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Facetten einer Theorie der Lebensweltorientierung und des

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Dr. Buchholz-Graf WS 06-07<br />

<strong>Theorie</strong>n <strong>der</strong> Sozialen Arbeit I:<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>einer</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Lebensweltorientierung</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> "Life - Models"<br />

05.10. Selbstvergewisserungen: "Das 20. Jahrhun<strong>der</strong>t das Jahrhun<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Sozialpädagogik" (H.<br />

Thiersch). Ein gestiegenes Selbstbewusstsein <strong>der</strong> Profession – Wi<strong>der</strong> eine Sozialpädagogisierung<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

Welche <strong>Theorie</strong> braucht die Soziale Arbeit?<br />

12.10. In welcher Gesellschaft leben wir – Möglichkeits- <strong>und</strong> Belastungsstrukturen heute<br />

• Individualisierung <strong>und</strong> Enttraditionalisierung<br />

• Auswirkungen von Mobilitätserfor<strong>der</strong>nissen<br />

• Zunehmende soziale Ungleichheiten<br />

• Leben mit riskanten Chancen<br />

• Zur These von <strong>der</strong> Abnahme <strong>des</strong> Sozialen Kapitals<br />

19.10. Sich selber finden – Identitätskonstruktionen heute (Diskussion eines Textes von H.<br />

Keupp)<br />

26.10. Was heißt eigentlich Alltags- <strong>und</strong> <strong>Lebensweltorientierung</strong> (nach H. Thiersch)?<br />

02.11. Netzwerkarbeit <strong>und</strong> Soziale Unterstützung<br />

09.11. Praxisbeispiel: Netzwerkarbeit <strong>und</strong> Soziale Unterstützung (Text: F. Straus & R. Höfer)<br />

• Verschiedene Formen von Netzwerkarbeit (z.B. Case-Management)<br />

16.11. Empowerment <strong>und</strong> Ressourcenorientierung – Konsequenzen<br />

• Verschiedene Praxisbeispiele<br />

23.11. Bürgerschaftliches Engagement: Neue Aufgaben für die Soziale Arbeit/<br />

• Verschiedene Praxisbeispiele<br />

• „Von <strong>der</strong> Fürsorge zur Befähigung zum aufrechten Gang. Eine Empowerment – Perspektive<br />

für Diakonisches Handeln“ (Text: H. Keupp)<br />

30.11. Beispiele für Empowerment <strong>und</strong> Partizipation in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- u. Jugendhilfe<br />

07.12. Praxisbeispiele: Sozialraumorientierung<br />

14.12. Informationen zum Life-Model (Carel Germain & Alex Gitterman)<br />

Attribuierungen im Person- Umwelt-Verhältnis o<strong>der</strong> ist die Soziale Arbeit blind für Umwelt<br />

<strong>und</strong> Ökologie? (z B.: Die Kritik am "Medizinischen Modell" <strong>der</strong> Sozialen Arbeit)<br />

21.12. Modelle <strong>des</strong> Person-Umwelt-Verhältnisses <strong>und</strong> das Belastungs-Bewältigungsmodell<br />

11.01. Praxisbeispiele nach dem Life-Model<br />

18.01. Praxisbeispiele nach dem Life-Model<br />

1


Dr. Buchholz-Graf WS 06-07<br />

<strong>Theorie</strong>n <strong>der</strong> Sozialen Arbeit I:<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>einer</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Lebensweltorientierung</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> "Life - Models"<br />

Literatur<br />

Buchholz-Graf, W. (2001). Empowerment <strong>und</strong> Ressourcenorientierung in <strong>der</strong> Sozialen<br />

Arbeit. In. Max Kreuzer (Hg.). Handlungsmodelle in <strong>der</strong> Familienhilfe. Neuwied:<br />

Luchterhand, 85-110<br />

Germain, Carol & Gitterman, Alex (1999). Praktische Sozialarbeit. Das „Life Model“<br />

<strong>der</strong> Sozialen Arbeit. Fortschritte in <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> Praxis. Stuttgart: Enke<br />

Grunwald, Klaus & Thiersch, Hans (Hg.). (2004). Praxis Lebensweltorientierter Sozialer<br />

Arbeit. Weinheim/ München: Juventa<br />

Keupp, H<strong>einer</strong> (2004). Sich selber finden – Erziehungsberatung in <strong>einer</strong> Gesell-<br />

schafft <strong>des</strong> Umbruchs. Vortrag im Rahmen <strong>der</strong> Jubiläumsveranstaltung <strong>der</strong> Beratungsstelle<br />

Düsseldorf-Eller am 09.09.2005.<br />

Keupp, H<strong>einer</strong> (2006). Von <strong>der</strong> Fürsorge zur Befähigung zum aufrechten Gang –<br />

Eine Empowerment – Perspektive für Diakonisches Handeln. Vortrag bei <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>synode<br />

<strong>der</strong> evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern am 28.03.2006<br />

Rauschenbach, T. & Züchner, I. (2002). <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> Sozialen Arbeit. In. Thole,<br />

Werner (Hg.) (2002). Gr<strong>und</strong>riss Soziale Arbeit. Opladen: Leske + Budrich, 139-160<br />

Straus, Florian & Höfer, Renate (1998). Die Netzwerkperspektive in <strong>der</strong> Praxis. In.<br />

Bernd Röhrle u.a. (Hg.). Netzwerkintervention. Tübingen: DGVT-Verlag, S. 77-98<br />

Thiersch, Hans u.a. (2002). Lebensweltorientierte Soziale Arbeit. Thole, Werner<br />

(Hg.) (2002). Gr<strong>und</strong>riss Soziale Arbeit. Opladen: Leske + Budrich, 161-178<br />

Thole, Werner (Hg.) (2002). Gr<strong>und</strong>riss Soziale Arbeit. Opladen: Leske + Budrich<br />

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<strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> Soziale Arbeit<br />

- Einführung -<br />

• Ein Fazit, über das sich die Fachleute einig sind, vorweg: Eine, o<strong>der</strong> gar die <strong>Theorie</strong><br />

<strong>der</strong> Sozialen Arbeit gibt es nicht.<br />

• Wenn wir über <strong>Theorie</strong>n <strong>und</strong> Soziale Arbeit sprechen, dann sind nicht <strong>Theorie</strong>n<br />

aus an<strong>der</strong>en Disziplinen wie <strong>der</strong> Soziologie (z.B. labeling-Ansatz o<strong>der</strong> Etikettierungstheorie,<br />

Rollentheorie, symbolischer Interaktionismus) o<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Psychologie<br />

(z.B. Lerntheorien, Verhaltenstheorie, Psychoanalyse Familientherapie) gemeint,<br />

son<strong>der</strong>n eine <strong>Theorie</strong>bildung die sich auf die Soziale Arbeit selber bezieht<br />

<strong>und</strong> sich aus <strong>der</strong> Sozialen Arbeit entwickelt.<br />

• Die Disziplin Soziale Arbeit hat nicht nur keine „eigene“ <strong>Theorie</strong>, son<strong>der</strong>n es ist<br />

noch nicht einmal geklärt, wann etwas als <strong>Theorie</strong> zu gelten hat. Thomas Rauschenbach:<br />

„Schaut man... das Material, die Textsorten <strong>und</strong> Ansätze, die als<br />

„<strong>Theorie</strong>“ gehandelt o<strong>der</strong> bezeichnet werden einmal genauer, dann verschwimmen<br />

einem rasch die Konturen <strong>des</strong>sen, was <strong>Theorie</strong> überhaupt ist o<strong>der</strong> wenigstens<br />

sein könnte... Ungeklärt ist beispielsweise, ob es sich im Falle von <strong>Theorie</strong>n<br />

lediglich um ein diffuses Gegenüber zur Praxis handelt – <strong>und</strong> in diesem Sinne<br />

dann mehr o<strong>der</strong> weniger alles zu <strong>Theorie</strong> wird...“ (2002, 139)<br />

Wie sollen wir unterscheiden zwischen <strong>Theorie</strong>n <strong>und</strong> Ideen, zwischen <strong>Theorie</strong><br />

<strong>und</strong> Konzept o<strong>der</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> Methode?<br />

• Schon bei <strong>der</strong> begrifflichen Rahmung beginnen die Schwierigkeiten: Die Begriffe<br />

Sozialpädagogik <strong>und</strong> Sozialarbeit machen die Probleme <strong>einer</strong> klaren <strong>und</strong> eindeutigen<br />

Begriffsbildung deutlich. Erinnern wir uns an die Traditionslinien sozialer Arbeit!<br />

- Sozialpädagogik (z.B. Bäumer, Pestalozzi, Natorp <strong>und</strong> Nohl)<br />

- Fürsorgewissenschaft (z.B. Scherpner)<br />

- Social Work (Mary Richmond, Alice Salomon)<br />

Die Fürsorgewissenschaft, die sich in Deutschland entwickelt hat <strong>und</strong> das amerikanische<br />

social work kann man als Sozialarbeit zusammenfassen.<br />

Die Definition <strong>der</strong> Sozialpädagogik etwa nach Gertrud Bäumer lautet: “<br />

„Sozialpädagogik ist alles, was Erziehung, aber nicht Familie <strong>und</strong> Schule ist“<br />

Ganz an<strong>der</strong>s definiert Alice Salomon Sozialarbeit: Sie stellt Hilfebedürftigkeit in<br />

den Mittelpunkt <strong>der</strong> Sozialen Arbeit <strong>und</strong> sie sieht in <strong>der</strong> Verhin<strong>der</strong>ung von Armut<br />

<strong>und</strong> Not das Gr<strong>und</strong>problem <strong>der</strong> Sozialen Arbeit.<br />

• Heute fassen wir beide Entwicklungslinien unter dem Begriff „Soziale Arbeit“ zusammen<br />

(<strong>und</strong> da sind sich die meisten Fachleute einig), aber das unterschiedliche<br />

Selbstverständnis von Sozialpädagogik <strong>und</strong> Sozialarbeit ist damit nicht aus<br />

<strong>der</strong> Welt. Sozialpädagogik hat die „Erziehungstatsache“ im Fokus <strong>und</strong> Sozialarbeit<br />

„Soziale Probleme“ im Blick.<br />

• Der Streit um den Gegenstand <strong>und</strong> das Selbstverständnis <strong>der</strong> Sozialen Arbeit<br />

zeigt sich nicht nur zwischen den Traditionslinien Sozialpädagogik <strong>und</strong> Sozialarbeit,<br />

son<strong>der</strong>n es besteht auch die Frage, in welchem Ausmaß die gesellschaftliche<br />

Bedingtheit von Erziehung <strong>und</strong> Hilfebedürftigkeit zum Ausgangspunkt entsprechen<strong>der</strong><br />

<strong>Theorie</strong>anstrengungen gemacht wird. Theoretische Analysen müssten<br />

dann z.B. die sozialen Ungleichheiten als Ansatzpunkt wählen <strong>und</strong> damit die<br />

soziale <strong>und</strong> ökonomisch induzierte Lage ihrer AdressatInnen in den Mittelpunkt ihrer<br />

Beobachtung rücken (T. Rauschenbach 2002).<br />

Betrachtet man die Geschichte <strong>der</strong> Sozialen Arbeit, so haben beide Traditionslinien<br />

ihre Klassiker. Damit sind Personen gemeint, die mit ihren Ideen in Schrift<br />

3


<strong>und</strong> Wort die Soziale Arbeit erheblich mitbestimmt <strong>und</strong> entwickelt haben. Aber<br />

von <strong>Theorie</strong>n in einem systematischen Sinne kann eigentlich nicht gesprochen<br />

werden. Die Werk- <strong>und</strong> Wirkgeschichte dieser Klassiker <strong>der</strong> Sozialen Arbeit verstehen<br />

sich als Entwürfe, Ideen o<strong>der</strong> auch begriffsbildende Beiträge, inwieweit sie<br />

begriffsklärende <strong>und</strong> erklärende theoretische Ansätze enthalten müsste erst einmal<br />

systematisch analysiert werden.<br />

• Ein weiterer Ansatz sollte Erwähnung finden. In Anlehnung an die marxistische<br />

Gesellschaftstheorie wurde in den 1970er Jahren die gesellschaftliche Funktion<br />

<strong>der</strong> Sozialen Arbeit in kapitalistischen Gesellschaften thematisiert. Soziale Arbeit<br />

wurde danach nicht mehr als persönliche Hilfe angesehen, son<strong>der</strong>n genau umgekehrt:<br />

als ein obrigkeitsstaatliches soziales Kontrollinstrument für das Klientel (Sozialarbeit<br />

als „sanfte Kontrolle“ z.B: Peters, Cremer-Peters 1975).<br />

• Betrachtet man die aktuellen Ansätze, so sind vor allem die folgenden zu nennen:<br />

- Die lebensweltorientierte Soziale Arbeit (vor allem Hans Thiersch)<br />

- Der sozialökologische Ansatz „life model“ (Carol Germain & Alex Gitterman)<br />

- Die systemisch-ökologische Perspektive (vgl. Silvia Staub-Bernasconi)<br />

- Die systemische Sozialarbeit (Peter Lüssi)<br />

• Im Wintersemester 06-07 stehen vor allem <strong>der</strong> lebensweltorientierte Ansatz im<br />

Mittelpunkt <strong>und</strong> es werden verschiedene <strong>Theorie</strong>-Fragmente wie Partizipation,<br />

Networking, zugehende Soziale Arbeit, Empowerment <strong>und</strong> Ressourcenorientierung,<br />

Sozialraumorientierung <strong>und</strong> Stärkung <strong>des</strong> bürgerlichen Engagements. Diese<br />

Fragmente verstehen sich als <strong>Facetten</strong> <strong>einer</strong> zu entwickelnden <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> sollen<br />

in ihrer Praxisrelevanz vorgestellt werden.<br />

Der amerikanische Ansatz das „life model“ wird in seinen Gr<strong>und</strong>zügen vorgestellt.<br />

• Im SS 07 werden dann von Frau Gregor die Ansätze von Staub-Bernasconi <strong>und</strong><br />

Lüssi vorgestellt.<br />

Wozu braucht die Soziale Arbeit eigentlich eine <strong>Theorie</strong>?<br />

Ein bedeuten<strong>der</strong> Hintergr<strong>und</strong> für die For<strong>der</strong>ung nach <strong>einer</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> Sozialen Arbeit<br />

ist die gegenwärtige Formierung <strong>der</strong> Sozialen Arbeit als Sozialarbeitswissenschaft<br />

(<strong>und</strong> natürlich auch Konkurrenzsituation <strong>der</strong> Sozialen Arbeit zu Professionen<br />

wie den PädagogInnen <strong>und</strong> PsychologInnen), aber auch <strong>der</strong> große Erfolg den die<br />

Profession <strong>und</strong> Disziplin <strong>der</strong> Sozialen Arbeit im letzten Jahrhun<strong>der</strong>t hatte. Die folgenden<br />

Zitate <strong>und</strong> Statistiken machen deutlich, dass H. Thiersch zurecht vom 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t als dem Jahrhun<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Sozialen Arbeit spricht.<br />

Selbstvergewisserungen zur Jahrtausendwende<br />

Michael Winkler (1995):<br />

"Die Soziale Arbeit ist eine Normalbedingung <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne geworden,<br />

mit <strong>der</strong> diese rechnet, ohne viel auf sie zu geben. es geht damit <strong>der</strong> Sozialpädagogik<br />

nicht an<strong>der</strong>s als <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esbahn <strong>und</strong> <strong>der</strong> Post."<br />

Hans Thiersch (1992):<br />

"Das sozialpädagogische Jahrhun<strong>der</strong>t"<br />

4


Thomas Rauschenbach (1996):<br />

...Erfolgsgeschichte <strong>der</strong> Ausdifferenzierung, ihres quantitativen Wachstums, ihrer<br />

Professionalisierung, ihres Zugewinns an professioneller <strong>und</strong> disziplinärer Kontur <strong>und</strong><br />

Gewicht. Also es ist eine Erfolgsgeschichte, die zum Selbstbewußtsein von Disziplin<br />

<strong>und</strong> Profession beitragen sollte.<br />

Michael Galuske (2002, 17):<br />

Aber es gibt auch eine Kehrseite dieses Erfolges. Man kann nämlich fragen:<br />

Signalisiert die zunehmende Institutionalisierung <strong>und</strong> Verberuflichung sozialer Unterstützung<br />

nicht zugleich eine abnehmende Potenz an<strong>der</strong>er Akteure <strong>des</strong> sozialen Bedarfsausgleiches,<br />

wie <strong>der</strong> Familien, <strong>der</strong> Verwandschaftsbeziehungen, <strong>der</strong> sozialen<br />

Netze wie <strong>der</strong> etablierten Formen <strong>des</strong> bürgerlichen <strong>und</strong> ehrenamtlichen Engagements?<br />

Ist sie nicht ein Zeichen vorhandener sozialer Defizite, ist jede weitere soziale<br />

Berufsgruppe, jede weitere soziale Fachkraft, je<strong>des</strong> neue Arbeitsfeld zugleich auch<br />

Ausdruck <strong>einer</strong> gesellschaftlichen Nie<strong>der</strong>lage?<br />

Das Jahrhun<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Sozialen Arbeit in Zahlen<br />

(1) Die Soziale Arbeit hat sich in ihrer institutionellen <strong>und</strong> verrechtlichten Gestalt<br />

seit Beginn <strong>des</strong> Jahrhun<strong>der</strong>t konsolidiert <strong>und</strong> differenziert<br />

(2) Von <strong>der</strong> bürgerliche Fürsorge für randständige, proletarische Bevölkerungsgruppen,<br />

hat sie sich zur Mitte <strong>der</strong> Gesellschaft bewegt<br />

(3) Von <strong>der</strong> ersten Frauenschule 1908 werden nun Studierende insgesamt 700<br />

Ausbildungseinrichtungen für Sozialpädagogik <strong>und</strong> Soziale Arbeit (u.a. 30 Universitäten,<br />

60 Fachhochschulen) ausgebildet<br />

Ausbildungszahlen: (ca. 4000-6000 in den 20er Jahren bis r<strong>und</strong><br />

150.000 Studierende <strong>und</strong> SchülerInnen am Ende <strong>des</strong> Jahrhun<strong>der</strong>ts)<br />

Die Fachschüler/innen verharren auf einem Niveau von 50.000 Studierenden/Jahr,<br />

so haben sich die Zahlen von FH <strong>und</strong> Uni- Studierenden zwischen<br />

1975 <strong>und</strong> 1994 verdoppelt auf jeweils 44.000<br />

(4) 1950 führten die sozialen Berufe mit r<strong>und</strong> 60.000 eine Randexistenz <strong>und</strong> heute<br />

haben sich die Zahlen mehr als verzehnfacht (820.000 Beschäftigte Ende<br />

<strong>der</strong> 90 er Jahre)<br />

<strong>und</strong> bis 2002 auf 1.255.000 erhöht!<br />

C.W. Müller: „Soziale Arbeit expandiert in <strong>der</strong> Krise....!“<br />

(5) Eine qualitative Erfolgsgeschichte ist in den Anfängen (z.B. Bemühungen um<br />

Sozialarbeitswissenschaft, Evaluationen <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Sozialen Arbeit, um<br />

<strong>Theorie</strong>bildung)<br />

(6) Die quantitative Erfolgsgeschichte ist heute nicht mehr ungebrochen. Die Finanzsituation<br />

auf B<strong>und</strong>es- Län<strong>der</strong>n- <strong>und</strong> Kommunalebene scheinen sich inzwischen<br />

auf die zumeist mit öffentlichen Mitteln finanzierten Stellen auszuwirken.<br />

Die SZ schreibt: Die Arbeitslosigkeit für SozialpädagogInnen ist innerhalb<br />

eines Jahres um 27 % gestiegen <strong>und</strong> zugleich ist die Zahl <strong>der</strong> freien Stellen<br />

um 1/3 gesunken (SZ v. März 2004)<br />

(7) Die Berufschancen für AbsolventInnen <strong>der</strong> FH Regensburg war noch vor 3<br />

Jahren hervorragend: Die Quote arbeitsloser AbsolventInnen betrug 2002 1,3<br />

%. Ein Drittel <strong>der</strong> AbsolventInnen tritt die erste Stelle sofort nach dem Examen<br />

an, nach drei Monaten sind zwei Drittel in Arbeit <strong>und</strong> nach einem halben Jahr<br />

84 %.<br />

5


(8) Allerdings hat sich nach 2004 im Zuge <strong>der</strong> Kürzungen im Sozialbereich die<br />

Situation etwas verschlechtert. Dennoch ist die Arbeitslosenquote – b<strong>und</strong>esweit<br />

betrachtet – im Vergleich zu an<strong>der</strong>en akademischen Berufen eher unterdurchschnittlich<br />

gestiegen.<br />

Nach Rauschenbach (1999) <strong>und</strong> Kleve (2005)<br />

Und nach dem Ende <strong>des</strong> sozialpädagogischen Jahrhun<strong>der</strong>ts?<br />

Thomas Rauschenbach (1999, 292):<br />

Vieles spricht dafür, dass sie auch in Zukunft gebraucht wird!<br />

Robert Castel (2000, 376):<br />

"Worin könnte eine soziale Einglie<strong>der</strong>ung (in Zukunft) bestehen, die nicht auf eine<br />

berufliche Einglie<strong>der</strong>ung, also auf Integration hinausläuft? Unterm Strich in <strong>einer</strong> Verurteilung<br />

zu ewiger Einglie<strong>der</strong>ung. Was ist ein dauernd Einzuglie<strong>der</strong>n<strong>der</strong>? Jemand,<br />

den man nicht völlig fallen lässt, den man in s<strong>einer</strong> augenblicklichen Situation begleitet,<br />

indem man um ihn herum ein Netz aus Aktivitäten, Initiativen <strong>und</strong> Projekten<br />

spinnt."<br />

H<strong>einer</strong> Keupp (1998, 279):<br />

"Der gesellschaftliche Umbruch an unsere Jahrtausendschwelle ist radikal <strong>und</strong> vielgestaltig.<br />

Es ist ein Umbruch mit weitreichenden technologischen, ökonomischen <strong>und</strong><br />

ökologischen Konsequenzen. Aber e zeigt auch eine tiefgreifende zivilisatorische<br />

Umgestaltung, die sich in <strong>der</strong> Alltagskultur, in unseren Werthaltungen <strong>und</strong> in unserem<br />

Handeln notwendigerweise auswirken muss. Angesichts ökonomischer Turbulenzen<br />

können sich Menschen nicht (mehr einfach) in die Festung Alltag zurückziehen - in<br />

<strong>der</strong> Hoffnung dort abzuwarten bis sich diese Turbulenzen gelegt haben, um dann so<br />

weiterzumachen wie bisher, wie man es schon immer gemacht hat. Die bisherige<br />

Debatte um die "riskanten Chancen" <strong>des</strong> gesellschaftlichen Umbruchs wurden zu<br />

sehr als ökonomische Standortdebatte geführt. Ich behaupte, dass eine soziale<br />

Standortdebatte von gleicher Relevanz ist. O<strong>der</strong> lasen Sie es mich in ökonomischen<br />

Metaphern ausdrücken: Nicht nur das ökonomische Kapital, son<strong>der</strong>n ebenso das<br />

"soziale Kapital" entscheidet über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands!"<br />

W. B.-G. 2003<br />

6


Zum <strong>Theorie</strong>-Praxis-Verhältnis<br />

in <strong>der</strong> Sozialen Arbeit<br />

<strong>Theorie</strong> ist, wenn man alles weiß <strong>und</strong> nichts funktioniert- <strong>und</strong> Praxis ist, wenn alles<br />

funktioniert, <strong>und</strong> k<strong>einer</strong> weiß warum!"<br />

”Erstens kommt es an<strong>der</strong>s <strong>und</strong> zweitens als man denkt!”<br />

Die folgenden Zitate machen deutlich: das Verhältnis zwischen dem theoretischen<br />

<strong>und</strong> dem praktischen Tun ist gespannt. Oft hat man auch den Eindruck es besteht<br />

überhaupt keine Beziehung zwischen diesen Bereichen. Es ist so als würde ein<br />

heimliches Einverständnis gelten, das sich so formulieren lässt: Lass du mich mit<br />

d<strong>einer</strong> <strong>Theorie</strong> in Ruhe, dann werde ich dich auch nicht mit den Wi<strong>der</strong>sprüchen,<br />

Zwängen <strong>und</strong> Anstrengungen m<strong>einer</strong> Praxis in Frieden lassen. Offenbar erwartet<br />

man nichts voneinan<strong>der</strong>, so jedenfalls das folgende Zitat von Silvia Staub-<br />

Bernasconi.<br />

”Verfolgt man die Diskussionen zur <strong>Theorie</strong>- <strong>und</strong> Methodenfrage in <strong>der</strong> Sozialen Arbeit,<br />

so könnte man meinen, es handele es sich um eine Form von ”Nullsummenspiel”: Wer<br />

Handlungs- <strong>und</strong> Praxisrelevanz for<strong>der</strong>t, kann nicht theoretisch-wissenschaftlich sein<br />

<strong>und</strong> wer Wissenschaftlichkeit <strong>und</strong> <strong>Theorie</strong>bildung for<strong>der</strong>t, kann nicht praktisch sein,<br />

intellektualisiert am Alltag vorbei......” (Silvia Staub-Bernasconi 1994)<br />

Dabei könnten sich beide durchaus befruchten:<br />

”Nichts ist praktischer als eine gute <strong>Theorie</strong>!” (Kurt Lewin)<br />

”Nichts bereichert eine <strong>Theorie</strong> mehr als eine gute Praxis!” (Maja H<strong>einer</strong>)<br />

Und <strong>der</strong> Alltag <strong>der</strong> Sozialen Arbeit ist auch voller Erörterungen, auf die <strong>Theorie</strong>n<br />

Antworten geben könnten bzw. die Erörterungen selber sind „theoretisch“. Wenn wir<br />

darüber diskutieren, was das Professionelle <strong>der</strong> Sozialen Arbeit ausmacht o<strong>der</strong> was<br />

professionelle Soziale Arbeit von Laienarbeit unterscheidet? Wenn wir uns überlegen,<br />

wann es sinnvoll ist Laien <strong>und</strong> wann Professionelle einzusetzen. Das sind theoretische<br />

Fragen!<br />

Wenn wir beim Thema Qualitätssicherung die Frage stellen was ist „Erfolg“ in <strong>der</strong><br />

Sozialen Arbeit o<strong>der</strong> uns fragen, wann ist es sinnvoll Erfolg zu messen?<br />

Wenn wir die Begriffe K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enorientierung in <strong>der</strong> Sozialen Arbeit reflektieren<br />

<strong>und</strong> diese dem Begriff „Hilfebedürftig“ gegenüberstellen <strong>und</strong> die jeweiligen<br />

Vorzüge untersuchen, „theoretisieren“ wir.<br />

Wenn ich darüber diskutiere, ob die Häufung von Gewaltdelikten gesellschaftliche<br />

Hintergründe hat, o<strong>der</strong> sich allein biografischen Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Personen verdankt,<br />

dann ist das eine theoretische Erörterung.<br />

In diesem Sinnen sind die folgenden Fragen solche auf die eine <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> sozialen<br />

Arbeit Antworten geben muss. Was ist Soziale Arbeit? Was hat Soziale Arbeit mit<br />

dem Staat zu tun? Was ist ihr Gegenstand? Wie werden die Adressaten <strong>der</strong> Sozialen<br />

Arbeit A gesehen? Was ist professionelles Handeln <strong>und</strong> wodurch zeichnet es sich<br />

aus? Wie werden Fragen <strong>der</strong> Normen <strong>und</strong> Ethik begründet <strong>und</strong> entwickelt... etc.?<br />

7

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