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Blickpunkt Musical 04-18 - Ausgabe 95

einschließlich Special zu Mamma Mia

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<strong>Ausgabe</strong> <strong>95</strong> (<strong>04</strong>/<strong>18</strong>)<br />

Juli – September 20<strong>18</strong><br />

€ 6,00 (DE) • € 6,50 (EU)<br />

ISSN 1619-9421<br />

www.blickpunktmusical.de<br />

»Mamma Mia! Here We Go Again«<br />

<strong>18</strong> Seiten Special im Heft!<br />

Les Misérables<br />

Klangvolles Freilichtdrama in Tecklenburg<br />

Herz aus Gold in Augsburg<br />

3 Musketiere in Winzendorf<br />

Starlight Express 30 Jahre in Bochum<br />

Erik Petersen Regie-Interview<br />

Nimmerwiedermehr in Hamburg<br />

Mamma Mia! in Thun


PRÄSENTIEREN<br />

TOUR 20<strong>18</strong><br />

20.09. - 23.12.20<strong>18</strong><br />

JETZT TICKETS SICHERN!<br />

MEHR INFO UNTER: FLASHDANCE-DASMUSICAL.DE


FREILICHTSPIELE<br />

TECKLENBURG


20,00 EUR Print<br />

<strong>18</strong>,00 EUR Digital<br />

30,00 EUR Print+Digital<br />

55,00 EUR gebunden<br />

Das neue Sonderheft ist ab sofort verfügbar<br />

Bestellung unter www.blickpunktmusical.de<br />

oder telefonisch 030-50596<strong>95</strong>9


Inhalt<br />

Inhalt<br />

<strong>Ausgabe</strong> <strong>95</strong> (<strong>04</strong>/<strong>18</strong>), Juli – September 20<strong>18</strong><br />

»Mamma Mia! Here We Go Again«<br />

<strong>18</strong> Seiten Special im Heft!<br />

Liebe Leser,<br />

… kurz vorweg<br />

wir starten in den Hot Summer mit einem<br />

<strong>Blickpunkt</strong> <strong>Musical</strong> Special zum<br />

»Mamma Mia!«-Sequel »Mamma Mia!<br />

Here We Go Again« in der Heftmitte.<br />

Dort finden Sie Interviews mit Regisseur /<br />

Drehbuchautor Ol Parker und den Darstellern<br />

der Sophie, der jungen Donna<br />

und des Sam.<br />

Wir würdigen das erfolgreichste in<br />

Deutschland gespielte <strong>Musical</strong>, das kürzlich<br />

mit einer überarbeiteten Fassung sein<br />

30-jähriges Jubiläum feierte.<br />

Während der Sommerpause haben die<br />

deutschen Freilichtbühnen Hochsaison:<br />

Im Süden gilt eine sehenswerte Uraufführung<br />

einem historischen Vertreter<br />

von Handel und Hochfinanz und eine<br />

deutschsprachige Erstaufführung dem<br />

Rock'n'Roll. Im Norden macht ein bemerkenswerter<br />

<strong>Musical</strong>-Neuzugang ein<br />

bewegendes Thema deutscher Geschichte<br />

zum Thema. Wir feiern das<br />

begeistert begrüßte Revival eines beliebten<br />

Drama-<strong>Musical</strong>s im Westen. Auf<br />

einer österreichischen Open-Air-Spielstätte<br />

läutet ein Pop-<strong>Musical</strong> nach einem<br />

weltberühmten Abenteuerroman die<br />

zweite Spielzeit ein.<br />

Das »ABBA«-Fieber weckt nicht nur der<br />

neue <strong>Musical</strong>film, sondern auch eine<br />

große Schweizer Seebühne, die das<br />

Original erstmals in schweizerdeutscher<br />

Mundart herausbringt. Magie steht im<br />

Mittelpunkt einer Schweizer Freilichtproduktion<br />

eines Märchenklassikers.<br />

Indoor gibt es ein Wiedersehen mit einem<br />

komplett überarbeiteten Historienmusical.<br />

Bücher und Filme inspirieren<br />

immer wieder zu <strong>Musical</strong>s: Diesmal ist<br />

es ein Roadmovie, dessen Bühnenfassung<br />

zeitgleich in der Schweiz und im<br />

Westen Deutschlands ein Tryout erhielt.<br />

Aufgrund des Engagements der Schweizer<br />

Veranstalter und Stadttheater in Sachen<br />

<strong>Musical</strong> haben wir entschieden – so es<br />

sich ergibt –, eine Rubrik »<strong>Musical</strong>s in<br />

der Schweiz« inklusive der News: »Neues<br />

aus der Schweiz« einzurichten.<br />

Vis-à-Vis starten wir mit einer neuen Reihe,<br />

in der wir die Generation neuer Regisseure<br />

vorstellen, die sich um das <strong>Musical</strong><br />

verdient machen: Als erstes stellen<br />

wir Erik Petersen vor. Im Darstellerinterview<br />

erzählt Newcomerin Hannah Leser<br />

von ihrem Weg zu »Flashdance«.<br />

Mit Broadway und West End-Seiten<br />

kommen wir auf 112 prall gefüllte Seiten.<br />

Daher bleibt uns nur noch, Ihnen viel<br />

Freude mit unserer <strong>Ausgabe</strong> <strong>04</strong>/20<strong>18</strong> zu<br />

wünschen.<br />

Herzlichst,<br />

Ihr<br />

Oliver Wünsch<br />

und die Redaktion der<br />

blickpunkt musical<br />

Topthema<br />

6 Les Misérables bei den Freilichtspielen Tecklenburg<br />

<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

44 Chicago bei den Schlossfestspielen Ettlingen<br />

39 Der bewegte Mann bei den Burgfestspielen<br />

Jagsthausen<br />

28 Die Päpstin im Schlosstheater Fulda<br />

34 Fame bei den Gandersheimer Domfestspielen<br />

36 Fame im F1rst Stage Theater der Stage School Hamburg<br />

13 Frühlings Erwachen im Theater Bielefeld<br />

10 UA Herz aus Gold auf der Freilichtbühne am Roten<br />

Tor Augsburg<br />

17 Im weißen Rössl im Berliner Renaissance Theater<br />

42 Jesus Christ Superstar beim DomplatzOpenAir<br />

Magdeburg<br />

22 Knockin' on Heaven's Door als Tryout in<br />

Essen-Werden<br />

40 My Fair Lady bei den Luisenburg-Festspielen Wunsiedel<br />

30 Natürlich Blond am Theater im P1 in Mainz<br />

24 UA Nimmerwiedermehr in der St. Thomas-Kirche<br />

Hamburg - Rothenburgsort<br />

26 UA Nisha bei den Cadolzburger Burgfestspielen<br />

14 DSE Rock of Ages im Theater Ulm<br />

<strong>18</strong> Starlight Express – 30 Jahre in Bochum<br />

32 The Addams Family bei den Gandersheimer<br />

Domfestspielen<br />

46 Zzaun! auf der Waldbühne Kloster Oesede<br />

48 Neues aus Deutschland<br />

<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

50 3 Musketiere beim <strong>Musical</strong>sommer Winzendorf<br />

54 Bettina Bogdany & Bernhard Viktorin:<br />

»Doppelt hält besser« in Wien<br />

52 West Side Story in Bad Leonfelden<br />

49 Neues aus Österreich<br />

<strong>Musical</strong>s in der Schweiz<br />

58 Die Schöne und das Biest am Walensee<br />

56 Mamma Mia! bei den Thunerseespielen<br />

60 Neues aus der Schweiz<br />

<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

86 Carousel Revival am Broadway<br />

82 My Fair Lady Broadway-Revival<br />

80 Summer: The Donna Summer <strong>Musical</strong><br />

am Broadway<br />

78 Neues aus den USA<br />

<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />

90 The Biograph Girl am Finborough Theatre London<br />

88 The Rink am Southwark Playhouse London<br />

91 Neues aus Großbritannien<br />

Konzerte & Entertainment<br />

68 »Faces of <strong>Musical</strong> 20<strong>18</strong>« mit Brigitte Oelke,<br />

Jesper Tydén, John Vooijs<br />

66 Lukas Perman & Mark Seibert:<br />

»Ziemlich gute Freunde«<br />

Abb. oben:<br />

1. »Die Päpstin« Fulda<br />

Foto: Christian Tech<br />

2. »Die Schöne und das Biest« Walenstadt<br />

Foto: Andy Mettler / Swiss-Image.ch<br />

3. » Summer: The Donna Summer <strong>Musical</strong>« New York<br />

Foto: Matthew Murphy<br />

Titelfoto:<br />

»Les Misérables« Tecklenburg<br />

Foto: Birgit Bernds<br />

Im Blick<br />

70 »<strong>Musical</strong> Meets Pop 20<strong>18</strong>« – Pfingstgala in<br />

Tecklenburg<br />

Vis-à-Vis<br />

72 Hannah Leser über »Flashdance«<br />

74 Erik Petersen – Neue Generation <strong>Musical</strong>regisseure<br />

Film & Fernsehen<br />

MM1 blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />

77 Prinz Charming fürs Heimkino<br />

Rubriken<br />

64 Einspielungen<br />

62 Premierenblick•<br />

93 Neues auf unitedmusicals.de, Ausblick &<br />

Impressum<br />

28<br />

58<br />

80<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

5


Topthema<br />

Bildgewaltiges Freilichtdrama<br />

»Les Misérables« zurück auf der Freilichtbühne Tecklenburg<br />

Abb. oben:<br />

›Der erste Angriff‹ – auf die<br />

Tecklenburger Barrikade aus Rädern,<br />

Teppichen, Leitern, Stühlen,<br />

Bilderrahmen …, mit Frauen und<br />

Männern des Ensembles<br />

Foto: Birgit Bernds<br />

Abb. unten:<br />

›Mein Herz ruft nach dir‹ – Marius<br />

(Florian Peters) und seine angebetete<br />

Cosette (Daniela Braun)<br />

Foto: Sandra Reichel<br />

2006 war das <strong>Musical</strong> von Claude-Michel Schönberg,<br />

Alain Boublil und Jean-Marc Natel sowie James<br />

Fenton erstmals bei den Freilichtspielen Tecklenburg<br />

zu sehen. 12 Jahre später ist das große, dramatische<br />

Ensemble-Stück mit einem 35-köpfigen Cast sowie<br />

Chor und Statisterie der Freilichtspiele, begleitet von<br />

einem 20-köpfigen Orchester, wiederbelebt worden.<br />

Regisseur Ulrich Wiggers hat die Bühne mit prall-lebendigen<br />

Gesellschaftsszenen gefüllt: Da kommen die<br />

Bauern vom Acker und der entlassene Sträfling, der verzweifelt<br />

versucht, ein neues Leben zu beginnen, muss<br />

feststellen, dass »die ganze Welt […] für Jean Valjean<br />

[Patrick Stanke] ein Gefängnis [ist]« und »das Gesetz<br />

[…] gegen ihn«. Der Heiligen Familie gleich sucht er<br />

vergeblich eine Herberge, bis ihn der Bischof von Digne<br />

aufnimmt. Im kleinen Ort Montreuil-sur-Mer – intelligent<br />

angebrachte Daten- und Ortsschilder erlauben<br />

die Einordnung –, an dem Valjean sich unter neuer<br />

Identität niederlässt, entfaltet sich eine große Halle mit<br />

Näherinnen. Fantine (Milica Jovanović) ist hier eine<br />

Außenseiterin (durch ihre Position am Rand der Bühne<br />

verdeutlicht). Als sie dem Vorarbeiter ihren Körper verweigert,<br />

muss sie diesen bald darauf verkaufen, um sich<br />

und ihre Tochter durchzubringen. Bürger flanieren und<br />

Prostituierte bieten ihre Dienste an. Besondere Authentizität<br />

und Lebendigkeit erhält Susanna Bullers Bühnenbild<br />

mit seinen Häusern mit den rußgeschwärzten<br />

Fassaden und Schindeldächern dadurch, dass Menschen<br />

aus den Fenstern das Treiben auf der Straße betrachten<br />

und beispielsweise sehen, wie Valjean den Heukarren allein<br />

mit Muskelkraft anhebt. Erfreulicherweise ist auch<br />

die Wendeltreppe in die Häuserzeile integriert, sodass<br />

Valjean mit seiner Tochter wirklich im Haus verschwinden<br />

kann. Ein besonders lebendiges Bild stellt der Auftritt<br />

der Gauner und Bettler (einer sogar auf einem Rollbrett)<br />

von Paris dar, bei dem man buchstäblich Zeuge<br />

wird, wie jeder an seinem Platz dazu beiträgt, Valjean<br />

mit Cosette in die Enge zu treiben: ›Schaut her – Reprise‹.<br />

Allerdings bleibt offen, wann Thénardier die Sträflingsnummer<br />

gesehen haben will, und doch gibt er Inspektor<br />

Javert den entsprechenden Wink. Zu den authentischen<br />

Bildern tragen auch Karin Albertis zeitgemäß gestaltete<br />

historische Kostüme der Ständegesellschaft und die<br />

Ausstattung bei – darunter die eindrucksvolle Barrikade<br />

– vom Wagenrad, über Möbel, Bilderrahmen bis zu<br />

Harken und Leitern authentisch. Es wird sogar angedeutet,<br />

wie die Frauen der Aufständischen Material für<br />

die Barrikade zusammentragen oder von den Passanten<br />

erbitten. Auch andere an sich kleine Momente erhalten<br />

Wirkung, etwa, wenn Enjolras die Frauen von der Barrikade<br />

wegschickt, weil er ahnt, dass es ihr letzter Kampf<br />

sein wird. Dagegen geht leider die Freilassung des gefangenen<br />

Javert durch Valjean auf der linken Seite der<br />

Bühne etwas unter.<br />

Doch Ulrich Wiggers hat auch den Mut, seinen<br />

Solisten die Bühne allein zu überlassen. Nachdem der<br />

barmherzige Bischof von Digne (Florian Soyka in dem<br />

gleichnamigen Lied mit geradezu herzerwärmendem<br />

Bariton-Vortrag) Valjean beschämt hat, versteht es Pa-<br />

6<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


Topthema<br />

trick Stanke, in einer sehr überzeugend gespielten Verwandlung<br />

vom Saulus zum Paulus den Raum mit seiner<br />

klangvollen Stimme sowie mit Bühnenpräsenz zu füllen.<br />

Präsent klingen hier zudem Posaune und Horn aus<br />

dem unter Leitung von Tjaard Kirsch brillant und sehr<br />

differenziert spielenden Orchester herauf. Auch die innere<br />

Auseinandersetzung Valjeans in ›Wer bin ich?‹ berührt,<br />

doch gesanglich beeindruckt Stanke am meisten<br />

mit dem stimmlich wunderbar sicher geführten Gebet<br />

des Valjean: ›Bring ihn heim‹. Dass Patrick Stanke auch<br />

als gereifter Herr in der Paris Rue Plumet überzeugend<br />

wirkt, wenn er über die Zeit, die ›Schon so lang‹ her ist,<br />

nicht sprechen möchte, ist auch der guten Maske von<br />

Stefan Becks und Susanne Bechtloff zu verdanken. Einzig<br />

dem geschwächten Greis im ›Epilog‹ könnte Stanke<br />

in der Körperlichkeit noch etwas mehr Gebrechlichkeit<br />

geben, eventuell unterstützt durch einen Stock, auf den<br />

er sich stützt.<br />

Milica Jovanović steht bei Fantines Lebensresümee<br />

›Ich hab' geträumt vor langer Zeit‹ als Solistin im Mittelpunkt<br />

und zeigt in ihrer gefühlvollen Interpretation,<br />

dass selbst einer so ausgezeichneten Sängerin wie ihr die<br />

emotional-gesteigerte Stimmführung mit ihren Höhen<br />

und Tiefen einiges abverlangt. In Fantines Sterbeszene<br />

dagegen klingt sie für die gebrochene Frau fast noch zu<br />

schön. Doch das ist »meckern« auf höchstem Niveau.<br />

Kevin Tarte zeichnet sich als Inspektor Javert durch<br />

sein imposantes Auftreten aus, wobei der fanatisch gesetzestreue<br />

Inspektor zunehmend an Akkuratesse verliert<br />

und später vom Aussehen her an den aufgelösten Lucius<br />

Malfoy in »Harry Potter« erinnert, kurz bevor er seinen<br />

in Tecklenburg besonders inszenierten Selbstmord<br />

begeht. Tartes an sich überzeugendes Schauspiel leidet<br />

bedauerlicherweise dadurch, dass er in den stark rhythmisch<br />

angelegten Sprechgesangspassagen, immer wieder<br />

aus dem Takt gerät. Szenen wie beispielsweise ›Die Prüfung‹,<br />

in der Javert das erste Mal Verdacht schöpft, wer<br />

Bürgermeister Madeleine wirklich ist – dabei doch eine<br />

musikalisch besonders schöne Passage in Tecklenburg –<br />

oder Javerts Auftritt als Polizeichef in Paris (›Schaut her –<br />

Reprise‹) verlieren an Wirkung. Es scheint, als mache<br />

Tarte der deutsche Sprachduktus, den er in Dialogen<br />

und Songs souverän beherrscht, hier Schwierigkeiten.<br />

Die teils hölzerne Übersetzung von Heinz Rudolf Kunze<br />

tut ihr Übriges. In Javerts großer Hymne auf Recht und<br />

Gesetz dagegen liefert Kevin Tarte eine emotionale und<br />

gesanglich starke Interpretation von ›Stern‹.<br />

Auch ohne Drehbühne malt die Tecklenburger Inszenierung<br />

die Szenenbilder ineinander. Von der Gerichtsszene<br />

mit einem vom Orchester brillant begleiteten<br />

Demaskieren Jean Valjeans geht es flüssig über in die<br />

Krankenhausszene an Fantines Bett, wozu ein Wagen<br />

mit wehenden Vorhängen hineingeschoben wird, während<br />

der Raum in der Mitte unter dem Häuserbogen<br />

mit Krankenschwestern bevölkert wird. Ulrich Wiggers<br />

entschärft überraschenderweise die Konfrontation zwi-<br />

Les Misérables<br />

Claude-Michel Schönberg / Alain Boublil /<br />

Jean-Marc Natel / James Fenton<br />

Deutsch von Heinz Rudolf Kunze<br />

Freilichtspiele Tecklenburg<br />

Freilichtbühne<br />

Premiere: 22. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie ........................... Ulrich Wiggers<br />

Musikalische Leitung ....... Tjaard Kirsch<br />

Neue Orchestrierung ......... Christopher<br />

Jahnke, Stephen Metcalfe &<br />

Stephen Brooker<br />

Choreographie .......... Kati Heidebrecht<br />

Bühnenbild .................. Susanna Buller<br />

Kostüme .......................... Karin Alberti<br />

Maske .......................... Stefan Becks &<br />

Susanne Bechtloff<br />

Lichtdesign ..................... Tim Löpmeier<br />

Sounddesign ....................... Sven Trees<br />

Jean Valjean .................. Patrick Stanke<br />

Javert ................................ Kevin Tarte /<br />

Robert Meyer (am <strong>04</strong>./05.08)<br />

Fantine ...................... Milica Jovanović<br />

Monsieur Thénardier ........... Jens Janke<br />

Madame Thénardier ...... Bettina Meske<br />

Marius ........................... Florian Peters<br />

Cosette ......................... Daniela Braun<br />

Éponine ....................... Lasarah Sattler<br />

Enjolras .......................... David Jakobs<br />

Bischof von Digne /<br />

Courfeyrac ..................... Florian Soyka<br />

Bamatabois ............. Gerben Grimmius<br />

Brujon / Joly ............... Mathias Meffert<br />

Babet .............................. Fin Holzwart<br />

Claquesous / Lesgles ..... Jan Altenbockum<br />

Montparnasse /<br />

Prouvaire ...................... Florian Albers<br />

Combeferre ............ Benjamin Witthoff<br />

Feuilly ........................ Nicolai Schwab<br />

Grantaire ....................... Robert Meyer<br />

Gavroche .............. Dean Clausmeyer /<br />

Jonas Kirsch / Adrian Müller-Bromley<br />

Cosette (klein) ........... Claire Heinrich /<br />

Malina Ziegeler<br />

Éponine (klein) .......... Malina Mahnig /<br />

Carlotta Mahnig<br />

Seeleute / Polizisten /<br />

Studenten ..................... Andrew Hill &<br />

Michael Thurner<br />

Erste Fabrikarbeiterin /<br />

Hairlady ...................... Juliane Bischoff<br />

Bagatelle Lady ................. Jennifer Kohl<br />

Fabrikarbeiterinnen / Huren / Gäste:<br />

Sophie Blümel, Joana Henrique, Alexander<br />

Hoffmann, Eva Kewer, Esther<br />

Larissa Lach, Dörte Niedermeyer,<br />

Céline Vogt<br />

Abb. links:<br />

1. Valjean (Patrick Stanke) bittet Gott um<br />

das Leben von Marius (Florian Peters,<br />

liegend): ›Bring ihn heim‹<br />

2. Die Hospiz-Schwester (Ensemble)<br />

mahnt die Widersacher Valjean (Patrick<br />

Stanke, l.) und Javert (Kevin Tarte, r.), die<br />

Totenruhe zu respektieren<br />

3. ›Stern‹ – Javert (Kevin Tarte) sieht in<br />

seiner Jagd eine Mission der Gerechtigkeit<br />

4. Vor dem letzten Kampf: Valjean<br />

(Patrick Stanke, l.) und Enjolras (David<br />

Jakobs) an der Barrikade<br />

Fotos (4): Sandra Reichel<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

7


Topthema<br />

Abb. unten:<br />

1. ›Ich hab' geträumt vor langer Zeit‹ – die<br />

verzweifelte Fantine (Milica Jovanović)<br />

2. Freuen sich auf ein neues Leben – die<br />

kleine Cosette (Malina Mahnig) und ihr<br />

Ziehvater Valjean (Patrick Stanke)<br />

3. Der tapfere kleine Gavroche (Dean<br />

Clausmeyer, Mitte) bringt die erbeutete<br />

Munition noch über den Rand der<br />

Barrikade, bis er tot zusammenbricht,<br />

mit Enjolras (David Jakobs, Mitte) und<br />

Ensemble<br />

4. ›Nur für mich‹ – Éponine (Lasarah<br />

Sattler) liebt heimlich den Studenten<br />

Marius<br />

Fotos (4): Sandra Reichel<br />

schen Valjean und Javert im ersten Akt (›Der doppelte<br />

Schwur‹) durch das Auftreten einer Nonne, die beide<br />

Streithähne, wie es aussieht, zum Respekt gegenüber der<br />

verstorbenen Fantine ermahnt. Über diese Veränderung<br />

kann man geteilter Meinung sein. Die wehenden Vorhänge,<br />

die in der bekannten Verfilmung des <strong>Musical</strong>s<br />

(2012) den Gegner gezielt verbargen, führten am Premierenabend<br />

bei aller Dramatik der Handlung zu einer<br />

unfreiwillig komischen Szene, da Javert sich zu Valjean<br />

durchkämpfen musste.<br />

Gezielte Komik gilt dagegen für das Gaunerpaar<br />

Thénardier – von Karin Alberti extra farbenfroh eingekleidet<br />

–, das sich in allen Lebenslagen zu bereichern<br />

versucht und dabei vor dem Unglück anderer nicht zurückschreckt.<br />

Gleichwohl gelingt es dem Komödianten<br />

Jens Janke und seiner kongenialen Partnerin Bettina<br />

Meske bei aller typgerechten Überzeichnung, Sympathie<br />

für ihre Figuren zu wecken: Bei ›Ich bin Herr<br />

im Haus‹ passen die Beinschwung-Choreographien<br />

von Kati Heidebrecht gut ins Bild, das gilt auch für<br />

die wunderschöne Schlusspose, mit der sie die Szene,<br />

in der Madame Thénardier am Fleischwolf etwas von<br />

Mrs Lovett hat, enden lässt. Zahlreiche Lacher erntet<br />

Thénardiers Versuch, sich am Mantel Valjeans die Nase<br />

zu schnäuzen, zugleich zeigt sich hier seine ausgeprägte<br />

Respektlosigkeit. Auch das zahllose Bekreuzigen,<br />

welches die Ehrlichkeit der Zieheltern beteuern soll,<br />

lässt einen schmunzeln. Doch Janke begeistert auch<br />

während der eindrucksvoll mit kaltem Streiflicht und<br />

Nebel gebauten Kanalisationsszene (Lichtdesign: Tim<br />

Löpmeier), in der Thénardier »im öffentlichen Dienst«<br />

den Toten die Goldzähne und anderes Verwertbares<br />

abnimmt.<br />

In der Rolle der erwachsenen Éponine ist die junge<br />

Osnabrücker Absolventin (Institut der Musik) Lasarah<br />

Sattler zu erleben. Mag im Schauspiel noch etwas Raum<br />

nach oben sein, so verleiht sie doch der unglücklichen<br />

Thénardier-Tochter mit Spielfreude und starker Stimme<br />

Profil – das nicht allein in ›Nur für mich‹.<br />

David Jakobs entspricht vielleicht äußerlich nicht<br />

8<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


Topthema<br />

dem gängigen Bild eines Enjolras, doch macht er das<br />

sowohl stimmlich als auch im Schauspiel durch Energie<br />

und Präsenz vergessen. Etwas blass wirkt dagegen<br />

noch Florian Peters als Marius. So ganz nimmt man<br />

ihm das Schüchterne, ja Linkische seiner Darstellung<br />

nicht ab – da ist noch Luft nach oben. Gesanglich<br />

überzeugt er hingegen solistisch (›Dunkles Schweigen<br />

an den Tischen‹) und im Duett mit Cosette (Daniela<br />

Braun): ›Mein Herz ruft nach dir‹. Dabei harmonisiert<br />

er glücklicherweise die leider an der Premiere sehr schrill<br />

klingende Stimme von Daniela Braun, die trotz ihres<br />

lyrischen Soprans unerklärlicherweise Probleme mit den<br />

Höhen hat. Dagegen überzeugt sie in ihrem Spiel der<br />

behüteten, aufs Leben neugierigen Cosette und in der<br />

Zuneigung zu Geliebtem und Vater.<br />

Hervorzuheben sind auch die Kinderdarsteller: allen<br />

voran Dean Clausmeyer als frecher Gavroche, der<br />

zeigt, was die »Kleinen« schon können. Claire Heinrich<br />

bezaubert als Cosette mit klarer Stimme (›In meinem<br />

Schloss‹) und im Zusammenspiel mit Patrick Stanke<br />

oder ihren Pflegeeltern Janke und Meske. Intelligent ist<br />

auch die Verwandlung der kleinen in die große Cosette<br />

gelöst. In ihrer rein mimischen Darstellung überzeugt<br />

auch Malina Mahnig als verwöhnte Göre Éponine, welche<br />

die geschenkte Puppe der Mutter ablehnt, sie aber<br />

auch ihrer Ziehschwester nicht gönnt.<br />

Der Chor der Tecklenburger Freilichtspiele überzeugt<br />

durch klare Verständlichkeit und enorme Spielfreude,<br />

manche langjährigen Mitglieder spielen inzwischen<br />

auch kleinere Rollen überzeugend.<br />

Bei »Les Misérables« in Tecklenburg trifft der oft gehörte<br />

Satz »Das Beste kommt zum Schluss« zu. Ist schon<br />

das erste Finale mit den roten Tüchern und der roten<br />

Fahne in Gavroches Händen eindrucksvoll, so verschafft<br />

Ulrich Wiggers dem Publikum mit der Schlussszene im<br />

›Epilog‹ erst recht Gänsehaut, wenn alle Mitwirkenden<br />

– Lebende und Tote – aus dem Nebel auftreten und die<br />

gesamte Spielfläche füllen.<br />

Barbara Kern<br />

Abb. unten:<br />

1. ›Dunkles Schweigen an den Tischen‹ –<br />

Marius (Florian Peters) hat überlebt und<br />

sieht die gefallenen Kameraden vor sich<br />

2. Valjean (Patrick Stanke, r.) kann kaum<br />

glauben, dass der Bischof von Digne<br />

(Florian Soyka, l.) ihm den Hals rettet,<br />

und nimmt die Aufgabe, Gutes zu tun, an<br />

3. ›Herr im Haus‹-Schlusspose – ein herrliches<br />

Gespann: die Thénardiers (Bettina<br />

Meske und Jens Janke mit Ensemble)<br />

4. ›Javerts Selbstmord‹ – Javert (Kevin<br />

Tarte) versteht die Welt nicht mehr<br />

Fotos (4): Birgit Bernds<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

9


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Geld oder Liebe<br />

Uraufführung von »Herz aus Gold – Das Fugger-<strong>Musical</strong>« am Theater Augsburg<br />

Ganz Augsburg feiert Fuggers Hochzeit<br />

Foto: Jan-Pieter Fuhr<br />

Herz aus Gold –<br />

Das Fugger-<strong>Musical</strong><br />

Stephan Kanyar / Andreas Hillger<br />

Theater Augsburg<br />

Freilichtbühne am Roten Tor<br />

Uraufführung: 30. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie ............................ Holger Hauer<br />

Musik. Leitung .......... Domonkos Héja<br />

Choreinstudierung .............. Katsiaryna<br />

Ihnatsyeva-Cadek &<br />

Carl Philipp Fromherz<br />

Choreographie......... Ricardo Fernando<br />

Bühnenbild .................. Karel Spanhak<br />

Kostüme ......................... Sven Bindseil<br />

Licht ............................... Marco Vitale<br />

Dramaturgie .................... Sophie Walz<br />

Jakob Fugger ................... Chris Murray<br />

Sibylla sr. ................. Roberta Valentini<br />

Barbara Fugger ............... Elke Kottmair<br />

Ulrich Fugger ............. Gerhard Werlitz<br />

Georg Fugger ........... Stanislav Sergeev<br />

Welser .......................... Holger Hauer<br />

Sibylla jr. ............. Katharina Wollmann<br />

Luther ........................... Thaisen Rusch<br />

Kaiser .................... Eckehard Gerboth /<br />

Andre Wölkner<br />

Priester .................. Oliver Marc Gilfert<br />

Sibylla jr. als Kind .......... Jonna Lenke /<br />

Anne Lohrum / Carla Schäfer<br />

Boten / Herolde .......... Christian Bock,<br />

Florian Koller, Edward Roland Serban,<br />

Thomas Zigon<br />

In weiteren Rollen:<br />

Joanna Nora Lissai, Sarah K.<br />

Martlmüller, Martina Oliveira,<br />

Naomi Simmonds<br />

Ballett &<br />

Opernchor des Theaters Augsburg<br />

Eröffnet hatte man sie musikalisch einst noch mit<br />

Ludwig van Beethovens einziger Oper »Fidelio«.<br />

Doch inzwischen regiert auch auf der Freilichtbühne am<br />

Roten Tor zur Sommerzeit längst das <strong>Musical</strong>, mit dem<br />

sich das demnächst in den Rang eines Staatstheaters aufsteigende<br />

Theater Augsburg zum Saisonausklang gerne<br />

noch mal ein wenig die Kassen auffüllt. Hatte man sich<br />

dafür in den vergangenen Jahren meist auf große, verkaufsträchtige<br />

Titel wie »Hair«, »Blues Brothers« oder<br />

die »The Rocky Horror Show« verlassen, setzte der neue<br />

Intendant des Hauses, André Bücker, zum Ende seiner<br />

an interessanten Experimenten keineswegs armen ersten<br />

Spielzeit ein weiteres mal auf Risiko: war mit »Herz aus<br />

Gold« doch die Uraufführung eines speziell für Augsburg<br />

entstandenen neuen <strong>Musical</strong>s aus der Feder von<br />

Stephan Kanyar und Andreas Hillger zu erleben. Dazu<br />

gehört tatsächlich eine gute Portion Mut. Wollen hier<br />

doch für über 20 Vorstellungen rund 2000 Sitzplätze<br />

gefüllt werden. Doch wie wir Titelheld Jakob Fugger<br />

gleich zu Beginn singen hören: »Wer siegen will, der<br />

muss auch wagen.« Und das Publikum wusste dieses<br />

Wagnis durchaus zu honorieren und feierte das Ensemble<br />

am Ende der Vorstellung mit langanhaltenden<br />

stehenden Ovationen.<br />

Ob das Stück nach der sommerlichen Spielserie auch<br />

ein Leben jenseits der Fuggerstadt haben wird, muss sich<br />

allerdings noch zeigen. Spielen Kanyar und Hillger doch<br />

bei dieser vermusicalisierten Geschichtsstunde mehr als<br />

einmal die lokalpatriotische Trumpfkarte aus. Nicht,<br />

dass man unbedingt großes historisches Vorwissen brauchen<br />

würde, doch die eine oder andere Anspielung gibt<br />

es schon, die in erster Linie bei den Einheimischen für<br />

Schmunzeln sorgt. Im Mittelpunkt der Geschichte steht<br />

mit Jakob Fugger der wohl berühmteste Spross der legendären<br />

Augsburger Kaufmannsfamilie. Ein Mann,<br />

dessen umsichtig aufgebautes Finanzimperium sich in<br />

der Renaissance über halb Europa ausgebreitet hatte<br />

und der seine Finger sogar Richtung Amerika ausstreckte.<br />

Gerne wurde er auch als der erste große Kapitalist bezeichnet,<br />

dessen politischer Einfluss als Geldgeber des<br />

Kaisers ebenfalls nicht zu unterschätzen war.<br />

Fast vier Jahrzehnte begleiten die Autoren Jakob Fugger<br />

auf seinem Weg. Frisch zurück aus Italien, lernen wir<br />

einen jungen Mann kennen, der voller lukrativer Geschäftsideen<br />

steckt, die in der Augsburger Heimat – wo<br />

man die Dinge am liebsten so hat, wie sie schon immer<br />

waren – nicht durchweg gut ankommen. Skeptisch ist<br />

hier neben den eigenen Brüdern vor allem der rivalisierende<br />

Kaufmann Welser, der fürs Stück eigentlich einen<br />

perfekten Gegenspieler abgeben würde, dafür aber leider<br />

nicht genug Zeit auf der Bühne bekommt. Immer<br />

wieder werden da neue Themen angerissen: Vom Ablasshandel<br />

des Vatikans bis hin zu Sebastian Brants Moralsatire<br />

»Das Narrrenschiff«, sodass man sich des Eindrucks<br />

nicht erwehren kann, dass die Autoren am Ende vielleicht<br />

ein wenig zu viel in die rund zweieinhalb Stunden<br />

hineinpacken wollten. Besonders, weil neben den<br />

zahlreich vorbeirauschenden historischen Anspielungen<br />

vor allem eine (fiktive) Liebesgeschichte erzählt werden<br />

soll, ohne die kein anständiges <strong>Musical</strong> auskommt, und<br />

die den Großteil der Aufführung in Beschlag nimmt.<br />

Keine zehn Minuten im Stück, trifft der Heimkehrer<br />

schon seine Jugendliebe Sibylla, die inzwischen jedoch<br />

mit einem anderen Mann verheiratet und Mutter einer<br />

kleinen Tochter ist. Ein schwerer Schlag für den jungen<br />

Kaufmann, der seine Energien fortan voll und ganz ins<br />

Familienimperium steckt. Natürlich kreuzen sich die<br />

Lebenswege der beiden trotzdem immer wieder. Doch<br />

10<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

selbst nach dem Tod ihres Mannes ist Sibylla nicht bereit,<br />

eine Beziehung mit Jakob einzugehen, der in ihren<br />

Augen eine jüngere Frau benötigt. Eine, die ihm einen<br />

Erben schenken kann. Diese findet sich kurzerhand in<br />

ihrer inzwischen erwachsenen Tochter Sibylla jr., die unfreiwillig<br />

von der eigenen Mutter verkuppelt und in einer<br />

äußerst unbehaglichen Zeremonie verheiratet wird,<br />

die das hier ziemlich naiv gezeichnete Augsburger Volk<br />

aber dennoch lächelnd und jubelnd besingt.<br />

Stephan Kanyar kleidet dies alles in eine sinfonisch<br />

opulente Partitur zwischen historisch angehauchtem<br />

Cembalo-Sound und E-Gitarren-Riffs, die von Generalmusikdirektor<br />

Domonkos Héja gut in der Balance<br />

gehalten wird und vor allem die Streicher gerne mal<br />

hollywoodverdächtig schmalzen lässt. Nummern wie<br />

der vorwärtsdrängende Titelsong, Sibyllas ›Wo bin ich<br />

geblieben‹ oder das emotionale Duett zwischen Mutter<br />

und Tochter (›Mein Leben und Dein Glück‹) gehen dabei<br />

ziemlich gut ins Ohr. Doch wird man das Gefühl<br />

nicht los, dass man mehr als einen davon irgendwie<br />

auch schon einmal so oder zumindest so ähnlich gehört<br />

hat. So ist der Ausspruch einer Zuschauerin, die in der<br />

Pause erfreut feststellt, »dass so viele bekannte Melodien<br />

drin sind«, wohl eher ein zweischneidiges Kompliment<br />

für den Komponisten. Vielleicht lag es aber auch einfach<br />

daran, dass Kanyar nicht nur immer wieder musikalische<br />

Erinnerungen an die holländischen »3 Musketiere«<br />

heraufbeschwört, sondern es vor allem beim Einsatz von<br />

Leitmotiven manchmal auch ein wenig übertreibt. So<br />

begegnet man etwa der Melodie der Eröffnungsnummer<br />

(›Augsburg, Augsburg, Du herrliche Stadt!‹) im weiteren<br />

Verlauf des Abends mit wechselndem Text wieder<br />

und wieder und wieder und wieder. So lange, bis sie sich<br />

wahrscheinlich auch beim Letzten für mindestens drei<br />

Tage in die Gehörgänge eingebrannt hat.<br />

Zuständig für diesen nicht ganz freiwilligen Ohrwurm<br />

sind neben dem stimmkräftigen Augsburger<br />

Opernchor unter anderem vier hektisch überdreht<br />

durch die Handlung stolpernde Herolde, die man sich<br />

von der Theaterakademie August Everding rekrutiert<br />

hat und die in den nicht immer geschmackssicheren<br />

Kostümen von Sven Bindseil wie frisch aus »Monty<br />

Python's Spamalot« entsprungen scheinen. Und das<br />

womöglich nicht ganz ohne Grund: Regisseur Holger<br />

Hauer begegnet dem bunten historischen Bilderbogen<br />

nämlich durchaus mit einer gesunden Portion Humor,<br />

die dem Stück extrem guttut, ihm das Pathos austreibt<br />

und den Abend zwischen all den tragisch unerfüllten<br />

Liebesbeziehungen und Geschäftsgesprächen dennoch<br />

zu einer überaus kurzweiligen Angelegenheit macht.<br />

Hauer – der auch selbst als Welser mit auf der Bühne<br />

steht und Fuggers Widersacher die nötige Autorität verleiht<br />

– weiß die ausladende Freiluftbühne dabei gut mit<br />

Leben zu füllen. Wobei er zum Glück nicht nur in großen<br />

monumentalen Bildern denkt, sondern auch den<br />

intimen Momenten genügend Fokus gibt und seinen<br />

Darstellern zutraut, auch ohne zusätzlichen Schnickschnack<br />

das Publikum zu fesseln. Einen zuverlässigen<br />

Partner hat er dabei in Choreograph Ricardo Fernando,<br />

der das hauseigene Ballettensemble und mehrere Mu-<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Auch nach dem Tod ihres Mannes verweigert<br />

Sibylla (Roberta Valentini) Jakob<br />

(Chris Murray) ihre Hand<br />

2. Nach der Rückkehr aus Italien fühlt<br />

Jakob (Chris Murray) sich in Augsburg als<br />

Außenseiter<br />

3. Ob beim Schach oder im Finanzgeschäft.<br />

Strategie ist alles für Fugger (Chris<br />

Murray, Mitte l.) und seinen Rivalen<br />

Welser (Holger Hauer, Mitte r.)<br />

Fotos (3): Jan-Pieter Fuhr<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Abb. oben:<br />

Tochter Sibylla (Katharina Wollmann)<br />

beginnt, sich gegen ihre Mutter (Roberta<br />

Valentini) aufzulehnen<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Geld oder Liebe? Am Ende seines Lebens<br />

zieht Fugger (Chris Murray) Bilanz!<br />

2. Rauf aufs Narrenschiff<br />

3. Die Herolde (v.l.: Thomas Zigon,<br />

Florian Koller, Edward Roland Serban,<br />

Christian Bock) bringen News vom<br />

Kaiserhof<br />

Fotos (4): Jan-Pieter Fuhr<br />

sicalgäste auf der Besetzungsliste zu einer homogenen<br />

Einheit zusammenschweißt und mit ihnen zur großen<br />

Auseinandersetzung zwischen Fugger und Welser ein<br />

ausgeklügeltes Schachspiel inszeniert, dessen Grundidee<br />

zwar auf der <strong>Musical</strong>bühne auch nicht unbedingt neu<br />

ist, aber doch genügend kreative Ideen mitbringt, um<br />

der Szene einen eigenen Twist zu geben.<br />

Ein Sonderlob gebührt ebenfalls Karel Spanhak,<br />

dessen stimmungsvoll ausgeleuchtetes Bühnenbild<br />

sich nahtlos in die bestehende Architektur der alten Bastion<br />

schmiegt und mit einer kleinen Drehbühne flüssige<br />

Übergänge zwischen Außen- und Innenräumen zulässt.<br />

Und selbst die sonst oft illusionszerstörenden<br />

Lautsprecher sind bei ihm geschickt kaschiert, ohne<br />

dass man dadurch akustische Einbußen in Kauf nehmen<br />

müsste. Ganz im Gegenteil, auch die Tonabteilung<br />

holt diesmal alles raus, was unter freiem Himmel<br />

eben machbar ist.<br />

So kann man sich entspannt zurücklehnen und<br />

ungestört auf die zwei größten Pluspunkte dieser Produktion<br />

konzentrieren: Waren mit Chris Murray und<br />

Roberta Valentini in den Hauptrollen doch zwei prominente<br />

Namen aufgeboten, mit denen man mehr als<br />

einen Fan nach Augsburg gelockt haben dürfte. Enttäuscht<br />

wird keiner von ihnen die Aufführung verlassen<br />

haben. Denn allein das zu Herzen gehende Porträt<br />

der zwischen Liebe und Pflicht zerrissenen Sibylla, das<br />

Valentini abliefert, ist jeden Cent des Eintrittsgeldes<br />

wert. Schon in der auf den ersten Blick noch unbeschwerten<br />

Begegnung mit Jakob ist ihr anzumerken,<br />

dass ihr die große Beichte bereits auf den Lippen liegt.<br />

Dass dann ausgerechnet während ihrer großen tragischen<br />

Selbstbeichte im zweiten Akt ein entscheidendes<br />

WM-Tor fällt, das in der Kneipe ums Eck heftig bejubelt<br />

wird, ist Pech. Aber ein Profi wie sie steckt selbst das<br />

weg wie nichts. Diese Souveränität muss sich Katharina<br />

Wollmann als Sibylla jr. noch etwas erarbeiten, die gerade<br />

im Duett zwischen Mutter und Tochter (›Mein Leben<br />

und Dein Glück‹) manchmal ein wenig ins Hintertreffen<br />

gerät. Wobei man fairerweise zugestehen muss,<br />

dass die Autoren ihr nicht allzu viel Gelegenheit geben,<br />

einen Charakter mit mehr als zwei Dimensionen zu formen.<br />

Ein Schicksal, das sie mit Thaisen Rusch als Luther<br />

und Elke Kottmair als Mutter Fugger teilt, von denen<br />

man gerne mehr gehört hätte. Deutlich mehr wird im<br />

Vergleich dazu Chris Murray abverlangt, der Jakob Fugger<br />

von der Jugend bis ins hohe Alter verkörpern muss<br />

und diese Herausforderung auch gesanglich mit erstaunlicher<br />

Wandlungsfähigkeit meistert. Dass Murray<br />

über Stimmbänder aus Stahl und nahezu endlose Atemreserven<br />

verfügt, dürfte nichts Neues sein, doch gerade<br />

im Duett mit Valentini bzw. Kottmair trotzen ihm seine<br />

Partnerinnen hier immer wieder Facetten ab, die man<br />

so nicht in jeder Rolle von ihm zu hören bekommt.<br />

Was einen am Ende des Tages dann auch darüber hinwegtröstet,<br />

dass die Geschichte mit ihrer Mischung aus<br />

historischer Wahrheit und rührseliger Fiktion unterm<br />

Strich oft ein wenig zu konstruiert wirkt.<br />

Tobias Hell<br />

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blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Frühlingsgefühle und erwachende Leidenschaft<br />

»Frühlings Erwachen« am Theater Bielefeld<br />

Wendla (Michaela Duhme) und Melchior (Benedikt Ivo) haben Schmetterlinge<br />

im Bauch<br />

Die Schüler, angeführt von Melchior<br />

(Benedikt Ivo, vorne), proben den<br />

Aufstand gegen die Erwachsenen<br />

Fotos (3): Bettina Stöß<br />

Das 130 Jahre alte Skandalstück von Frank Wedekind,<br />

»Frühlings Erwachen«, adaptierten Duncan<br />

Sheik (Musik) und Steven Sater (Buch und Liedtexte)<br />

2006 als Rock-<strong>Musical</strong> über die pubertären Sehnsüchte,<br />

sexuelle Neugier und Versagensängste jugendlicher<br />

Schüler im ewigen Konflikt mit den erwachsenen Autoritätspersonen:<br />

Eltern und Lehrern.<br />

Christian Müller wagte es, bei seiner Inszenierung<br />

für das Theater Bielefeld, die am <strong>18</strong>. Mai 20<strong>18</strong> Premiere<br />

feierte, neben den ausgebildeten <strong>Musical</strong>darstellern in<br />

den Hauptrollen alle weiteren Charaktere mit jungen<br />

Talenten aus der Bielefelder Region zu besetzen, die ein<br />

authentisches Gefühl für ihre Rollen einbringen sollten.<br />

Michaela Duhme (»Avenue Q« und »John und Jen«,<br />

Bielefeld) spielt die unaufgeklärte Wendla, die erst durch<br />

ihren Freund Melchior (Benedikt Ivo – »Bonnie & Clyde«,<br />

Bielefeld) im praktischen Selbstversuch erfährt, wie<br />

Kinder gemacht werden, und von ihrer konservativen<br />

Mutter (Melanie Kreuter: »Hochzeit mit Hindernissen«,<br />

Bielefeld) zur lebensbedrohlichen Abtreibung gedrängt<br />

wird. Moritz (Marvin Kobus Schütt: »Goethe – Auf<br />

Liebe und Tod«, Essen) hingegen treibt die Angst, von<br />

Direktor Knochenbruch (Martin Christoph Rönnebeck:<br />

»Das Phantom der Oper«, Hamburg) nicht in die nächste<br />

Klasse versetzt zu werden, in den Selbstmord.<br />

Neben diesen fünf hauptberuflichen Schauspielern<br />

machen die weiteren neun Amateure auf der Bühne eine<br />

erstaunlich gute Figur, sei es bei der flotten Choreographie<br />

von Isabelle von Gatterburg oder beim Gesang der<br />

abwechslungsreichen Partitur, die durch die achtköpfige<br />

Band unter der versierten Leitung von William Ward<br />

Murta kraftvoll aus dem Orchestergraben erschallt.<br />

Während das gesamte Ensemble eine überzeugend solide<br />

und bestens unterhaltende Leistung hinlegt, darf<br />

der Zuschauer etwas länger über die Inszenierung selbst<br />

nachsinnen. Das Stück spielt in Deutschland im Jahr<br />

<strong>18</strong>91 – zwar haben sich viele Probleme mit dem Erwachsenwerden<br />

in den letzten 100 Jahren kaum verändert, in<br />

der heutigen Zeit gehen wir aber trotzdem anders mit<br />

ihnen um. Mit Internet und Fernsehen erscheint die<br />

Naivität Wendlas beim Ohrwurm ›Mama‹ heute praktisch<br />

undenkbar und auch eine Abtreibung endet in der<br />

Neuzeit selten tödlich. Wedekinds Drama kann nicht<br />

komplett ins Hier und Jetzt transformiert werden, sondern<br />

bleibt in seiner Zeit verankert. Das <strong>Musical</strong> will<br />

trotzdem aktuell und zeitlos sein und schafft dies mit<br />

masturbierenden Jungs, Mobbing in der Schule, erotischen<br />

Gewalt-Phantasien und einem glücklichen, homosexuellen<br />

Pärchen. Die Sprache der Jugendlichen in<br />

der deutschen Übersetzung von Nina Schneider ist mit<br />

einigen Kraftausdrücken sehr modern (›So'n verficktes<br />

Leben‹, ›Völlig im Arsch‹). Die Bühne von Zahava Rodrigo<br />

beherrscht ein schräger, rechteckiger und steril wirkender<br />

Aufbau, der multifunktional genutzt wird, auch<br />

um Videoprojektionen von Dennis Böddicker und Lena<br />

Thimm einzusetzen. Alle Jugendlichen tragen moderne<br />

Klamotten und Sportschuhe, während die Erwachsenen<br />

in die strenge Mode des letzten Jahrtausends gepresst<br />

sind, abgesehen von glänzenden Plateauschuhen und<br />

anonymisierenden Clownsmasken frei nach Stephen<br />

Kings Horrorfilm »Es«, was der Tatsache geschuldet ist,<br />

dass die zwei Erwachsenen-Darsteller in insgesamt 14<br />

Rollen schlüpfen.<br />

Somit fühlt sich »Frühlings Erwachen« in Bielefeld<br />

wie eine modern inszenierte Oper mit dem Konflikt<br />

einer historisch verankerten Geschichte in ultra-modernem<br />

Gewand an. Wie weit dies den persönlichen<br />

Geschmack trifft, muss jeder Zuschauer selbst beurteilen.<br />

<strong>Musical</strong>-Liebhaber schätzen die kraftvollen Hits<br />

der Show, die längst kein Geheimtipp mehr sind und<br />

schon deshalb einen Besuch am Stadttheater Bielefeld<br />

lohnenswert machen.<br />

Stephan Drewianka<br />

Im Hormonchaos<br />

von Georg (Paul<br />

Erik Haverland)<br />

wird selbst die<br />

Klavierlehrerin<br />

(Melanie Kreuter)<br />

zum Objekt der<br />

Begierde<br />

Frühlings Erwachen<br />

(Spring Awakening)<br />

Duncan Sheik / Steven Sater<br />

Deutsch von Nina Schneider<br />

Theater Bielefeld<br />

Stadttheater<br />

Premiere: <strong>18</strong>. Mai 20<strong>18</strong><br />

Regie ......................... Christian Müller<br />

Musik. Leitung .... William Ward Murta<br />

Choreographie ................. Isabelle von<br />

Gatterburg<br />

Kampftraining .... Benjamin Armbruster<br />

Ausstattung ................ Zahava Rodrigo<br />

Video .................. Dennis Böddicker &<br />

Lena Thimm<br />

Dramaturgie .... Jón Philipp von Linden<br />

Wendla .................... Michaela Duhme<br />

Melchior ......................... Benedikt Ivo<br />

Moritz ................. Marvin Kobus Schütt<br />

Erwachsene ................ Melanie Kreuter<br />

Erwachsener ............. Martin Christoph<br />

Rönnebeck<br />

Martha ............................. Simone Rau<br />

Ilse .................................... Anja David<br />

Anna ................................ Silja Erdsiek<br />

Marianne ................... Adele Heinrichs<br />

Thea .......................... Ann-Kathrin Veit<br />

Georg .................. Paul Erik Haverland<br />

Otto ........................... Nick Westbrock<br />

Hänschen....................... Elian Latussek<br />

Ernst ................................. Nico Nefian<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

We Built This City On Rock'n'Roll<br />

Deutschsprachige Erstaufführung von »Rock of Ages« in Ulm<br />

Abschiedskuss? Oder womöglich doch noch ein Happy End für Sherrie (Navina Heyne) und Drew (Sascha Lien)?<br />

Foto: Jean-Marc Turmes<br />

Rock of Ages<br />

Diverse Komponisten / Chris D'Arienzo<br />

Deutsch von Holger Hauer<br />

Theater Ulm – Großes Haus<br />

Deutschsprachige Erstaufführung:<br />

7. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie ............................. Arthur Castro<br />

Musikalische Leitung ..... Ariane Müller<br />

Arrangements &<br />

Orchestrierung .................. Ethan Popp<br />

Choreographie ......... Damien Nazabal<br />

Ausstattung ................. Britta Lammers<br />

Licht ............................... Marcus Denk<br />

Video ...................... flora&faunavision<br />

Drew Boley ....................... Sascha Lien<br />

Sherrie Christian .......... Navina Heyne<br />

Stacee Jaxx / Vater ..... Thomas Borchert<br />

Lonny Barnett /<br />

Mann von Schallplattenfirma 1 .................<br />

Henrik Wager<br />

Dennis Dupree .... Andreas von Studnitz<br />

Hertz Klineman ......... Gunther Nickles<br />

Franz Klineman ................ John Davies<br />

Bürgermeister /<br />

Ja'Keith Gill ................. Johnny Warrior<br />

Justice Charlier / Mutter .... Christina Fry<br />

Regina .............................. Maren Kern<br />

Schmieriger Produzent .........................<br />

Timo Ben Schöfer<br />

Joey Primo ................. Benedikt Paulun<br />

Constance ...................... Julia Baukus /<br />

Nilufar K. Münzing<br />

Kellnerin / Sängerin /<br />

Tänzerin ........ Wiebke Isabella Neulist<br />

Sängerin & Tänzerin ......... Ines Becher,<br />

Catherine Chikosi, Marina Granchette<br />

Ballettcompagnie des Theaters Ulm<br />

Ariane-Müller-Band feat. Yasi Hofer<br />

Nennen wir die Sache ruhig einmal beim Namen:<br />

Jukebox-<strong>Musical</strong>s sind in der Regel oft wenig mehr<br />

als Edeltrash. Das liegt schon in der Natur der Sache,<br />

wenn man eine möglichst massenkompatible Story mit<br />

Potenzial für einen Sat.1-Sonntags-Film durch eine<br />

Reihe von altbekannten Hits unterfüttert, die bereits<br />

vor dem Heben des Vorhangs 90% des Publikums textsicher<br />

mitgrölen könnten. Grundsätzlich ist daran auch<br />

gar nichts Verwerfliches, solange sich die Macher dessen<br />

bewusst sind und den Spaßfaktor mit reichlich Selbstironie<br />

aufpolstern. Man denke etwa an den im nüchternen<br />

Zustand kaum ernst zu nehmenden Plot von »We<br />

Will Rock You« oder die Schlaghosen-Warnhinweise vor<br />

»Mamma Mia!«-Aufführungen. In genau diese augenzwinkernde<br />

Kategorie der Spaß-<strong>Musical</strong>s fällt auch das<br />

2008 in New York herausgekommene »Rock of Ages«,<br />

für das Autor Chris D'Arienzo sich einmal quer durch<br />

die Perlen des Classic Rock gewühlt hat. Wobei ausgerechnet<br />

der für den Titel verantwortliche Song von Def<br />

Leppard am Ende gar nicht im Stück auftaucht, da die<br />

Band die Rechte hierfür nicht freigeben wollte.<br />

Fans bzw. Kinder der 1980er werden es gnädig<br />

verzeihen. Bleiben doch auch so noch genügend Hits<br />

übrig, um das Ulmer Theater nach der deutschsprachigen<br />

Erstaufführung mit mehr als nur einem fetzigen<br />

Ohrwurm von »Twisted Sister«, »Whitesnake«, »Bon<br />

Jovi« oder »Pat Benatar« zu verlassen. Und das tröstet<br />

letztlich auch über so manchen szenischen Leerlauf hinweg,<br />

den Regisseur Arthur Castro in den zweieinhalb<br />

Stunden zuvor zu verantworten hat. Denn wenn selbst<br />

ein erfahrener Darsteller wie Thomas Borchert, der hier<br />

mit gewohnt starker Bühnenpräsenz und gestählten<br />

Stimmbändern den egomanischen Rockstar Stacee Jaxx<br />

gibt, zuweilen etwas verloren und permanent unterfordert<br />

wirkt, dann läuft definitiv etwas falsch. Alles, was<br />

auch im Stück selbst als reiner Bandauftritt gedacht<br />

ist, funktioniert dabei noch ganz gut. Denn wie man<br />

eine gute Shownummer inszeniert, weiß Castro durchaus.<br />

Nur ist »Rock of Ages« am Ende des Tages zwar<br />

Jukebox-Show, aber eben leider doch keine reine Revue.<br />

Schließlich taucht hier mehr als ein Song auf, der<br />

die Handlung auch mal vorantreiben sollte oder, besser<br />

gesagt, vorantreiben müsste. Auch in diesen Momenten<br />

spielt sich bei Castro einfach zu vieles nur frontal<br />

an der Rampe ab, während es das Ballett-Ensemble im<br />

Hintergrund irgendwie richten und für Bewegung auf<br />

der Bühne sorgen soll. Was vielleicht sogar funktionieren<br />

könnte, wenn Choreograph Damien Nazabal sich<br />

etwas mehr vom Vokabular des Modern Dance lösen<br />

und seine Tänzer richtig rocken lassen würde.<br />

Die oft schleppenden Übergänge zwischen den Szenen<br />

tun schließlich ihr Übriges, um die bei den Songs<br />

regelmäßig hochkochende Stimmung meist schnell<br />

wieder abzukühlen und dem Stück seinen Rhythmus<br />

auszutreiben. Vor allem die Wechsel in den Stripclub<br />

von Puffmutter Justice, der wiederholt im Schneckentempo<br />

aus der Unterbühne nach oben fährt und ebenso<br />

behäbig wieder versinkt, dauert jedes Mal wieder eine<br />

gefühlte Ewigkeit und hätte sich im detailreich gestalteten<br />

Bühnenbild von Britta Lammers – die es am Rest<br />

des Abends oft bei dezenten, aber durchaus wirksamen<br />

Andeutungen von neuen Räumen belässt – weitaus weniger<br />

kompliziert lösen lassen.<br />

Ein deutlich sichereres Händchen hatte man zum<br />

Glück bei der Besetzungsliste, für die einige klangvolle<br />

Namen der deutschen <strong>Musical</strong>szene nach Ulm verpflichtet<br />

wurden. Die Krone des Abends geht da ohne Zweifel<br />

an Henrik Wager. Er zeichnet als Altrocker Lonny für<br />

14<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

die meisten Lacher verantwortlich, wenn er als Erzähler<br />

immer wieder ironisch die vierte Wand durchbricht<br />

und das Publikum zur rechten Zeit daran erinnert, dass<br />

man sich hier schließlich in einem <strong>Musical</strong> befindet, wo<br />

die Dinge nicht immer zwangsläufig den Gesetzen der<br />

Logik folgen müssen. Wager spielt das einfach großartig<br />

und bringt genau jenes dringend benötigte Augenzwinkern<br />

mit, das einige seiner Kolleginnen und Kollegen,<br />

vor allem aber der Regisseur allzu oft vermissen lassen.<br />

Notiz für künftige deutsche Stadttheater-Produktionen:<br />

Bitte nicht nach existenziellen Dramen oder sozialkritischen<br />

Aspekten schürfen, um den <strong>Musical</strong>-skeptischen<br />

Kritikern zu gefallen. Bei diesem Stück hilft wirklich<br />

nur eines: die Flucht nach vorne!<br />

Die relativ übersichtliche Handlung spielt überwiegend<br />

in einem kalifornischen Kult-Club der 1980er.<br />

Drew, ein sympathischer Junge aus der Provinz, will in<br />

L.A. als Rocker durchstarten, muss sich aber vorläufig<br />

noch damit begnügen, den etablierten Stars und Idolen<br />

die leeren Bierflaschen hinterher zu räumen, bis eines<br />

Tages endlich die große Chance kommt. Auf solch eine<br />

Gelegenheit hofft auch Landei Sherrie, die ihrerseits<br />

wiederum von der Hollywood-Karriere träumt, aber<br />

genau wie Drew feststellen muss, dass »die Träume, mit<br />

denen man nach L.A. kommt, nicht immer dieselben<br />

sind, mit denen man die Stadt wieder verlässt.« Gerade<br />

darin liegt übrigens auch eine der Stärken von Chris<br />

D'Arienzos Buch. Dass es zwar von Klischees nur so<br />

wimmelt, diese aber zuweilen auch eine etwas unerwartete<br />

Wendung nehmen können.<br />

Wie wir aus den Marvel-Filmen gelernt haben, ist<br />

jede Geschichte letzten Endes aber auch immer nur so<br />

gut wie ihr Gegenspieler. Der hört hier auf den Namen<br />

Hertz Klineman und ist ein skrupelloser Unternehmer,<br />

der für ein neues Bauprojekt gleich eine ganze Reihe<br />

von traditionsreichen Musikclubs plattmachen möchte<br />

und nebenbei auch seinen weichherzigen Sohn Franz<br />

permanent unter Druck setzt. Sprich, ein echter Bilderbuchfiesling,<br />

dessen finstere Seite von Gunther Nickles<br />

in bester Camp-Manier lustvoll ausgekostet wird. Zumal<br />

er als Leihgabe aus dem Schauspielensemble des Hauses<br />

durchaus auch gesanglich neben den <strong>Musical</strong>-Gästen bestehen<br />

kann. Dass die Szenen zwischen Vater und Sohn,<br />

die im Original mehr als ein deutsches Klischee bedienen,<br />

auf heimatlichem Boden nur bedingt funktionieren, liegt<br />

dabei weniger an der erstaunlich pointensicheren Übersetzung<br />

von Holger Hauer, sondern eher an der Chemie<br />

zwischen den Darstellern. Wirken Nickles und »sein«<br />

Junior John Davies doch in Kostüm und Maske eher<br />

wie Brüder, was die Dynamik entscheidend ändert. Und<br />

so punktet John Davies als verklemmter Franz eher mit<br />

seinem Solo ›Hit Me With Your Best Shot‹, für das er<br />

hier noch einmal seine Rollschuherfahrungen aus »Starlight<br />

Express«-Tagen reaktivieren darf.<br />

Keine Wünsche offen lässt dagegen Sascha Lien als<br />

Drew. Bringt er doch nicht nur eine ordentliche Rockröhre<br />

mit, sondern ebenso eine sympathische Bühnenausstrahlung,<br />

die es leicht macht, den seinen Träumen<br />

hinterherjagenden Nachwuchsmusiker sofort ins Herz<br />

zu schließen. Ein Junge voller Ambitionen, dem es trotz<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Franz (John Davies, l.) und sein Vater<br />

(Gunther Nickles, 2.vl.) unterbreiten dem<br />

Bürgermeister (Johnny Warrior, 2.v.r.)<br />

ihre Pläne<br />

2. Lonny (Henrik Wager, l.) und Dennis<br />

(Andreas von Studnitz, r.) erklären Drew<br />

(Sascha Lien), wie der Hase läuft<br />

3. Die Zukunft sieht nicht rosig aus für<br />

Dennis (Andreas von Studnitz, l.) und<br />

Lonny (Henrik Wager, r.)<br />

4. Drew (Sascha Lien) ist not amused,<br />

dass ihn Manager Ja'Keith Gill (Johnny<br />

Warrior) zum Boyband-Star umstylen<br />

möchte<br />

Fotos (4): Jean-Marc Turmes<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Yasi Hofer sorgt zusammen mit der<br />

Ariane Müller Band für den rechten<br />

Rock-Sound<br />

2. Einen Fan hat Möchtegern-Rocker<br />

Drew (Sascha Lien) schon mal gefunden:<br />

Sherrie (Navina Heyne)<br />

3. Irgendwie hatte sich Sherrie (Navina<br />

Heyne) die Begegnung mit Stacee Jaxx<br />

(Thomas Borchert) anders vorgestellt<br />

4. Stacee Jaxx (Thomas Borchert), ein<br />

Rockstar aus dem (Klischee-)Bilderbuch<br />

Fotos (4): Jean-Marc Turmes<br />

großer Klappe abseits der Bühne aber auch schnell die<br />

Sprache verschlägt, wenn auf einmal die Liebe seines Lebens<br />

vor ihm steht. Ebenso unbezahlbar der beschämte<br />

Gesichtsausdruck, nachdem ihn sein findiger Manager<br />

Ja'Keith kurzerhand zum Boyband-Teenie-Schwarm<br />

umzustylen versucht. Ein Experiment, das zum Glück<br />

ebenso zum Scheitern verurteilt ist wie Sherries Zweitkarriere<br />

als »exotische Tänzerin«. Wobei, so gekonnt<br />

ungeschickt wie Navina Heyne muss man sich auch<br />

erst einmal um eine Poledance-Stange wickeln können.<br />

Mehr als eine Dame im Publikum dürfte da Sympathien<br />

entdecken, wenn Sherrie dem gedankenlosen Stacee<br />

endlich eine verpassen darf, nachdem er ihr diesen Job<br />

eingebrockt hat. Kein Wunder, dass sie ihre stärksten<br />

Momente vor allem hier im Dialog mit der stimmgewaltigen<br />

Christina Fry hat, die ein gefühlvolles ›Every Rose<br />

Has Its Thorn‹ intonieren darf. Wirkliches Entwicklungspotenzial<br />

bekommt aber auch sie darüber hinaus<br />

nur selten. Das liegt, wie schon erwähnt, in der Natur<br />

des Stücks, dessen Hauptziel es ist, einfach möglichst<br />

viele Hits in möglichst kurzer Zeit abzuwickeln.<br />

Während es einigen – wie zum Beispiel Henrik<br />

Wager oder Gunther Nickles – hervorragend gelingt,<br />

aus dieser Not eine Tugend zu machen, streben andere<br />

hingegen nach Tiefe. So etwa Intendant Andreas von<br />

Studnitz, der sich zum Ende seiner Amtszeit als Clubbesitzer<br />

Dennis Dupree auch auf der Bühne von seinem<br />

Publikum verabschiedet, mit seiner spannungsarmen<br />

und weitgehend spaßbefreiten Interpretation des<br />

Rock-Gurus aber leider vollkommen fehlbesetzt wirkt.<br />

Schlimmer noch, er weckt zum Teil eher traurige Erinnerungen<br />

an Ozzy Osbournes Karriereherbst als planloser,<br />

von seiner Familie hin- und hergeschobener Doku-<br />

Soap-Star. Mit dem Unterschied, dass dieser deutlich<br />

mehr Power in der Kehle hatte, während Studnitz bei<br />

›Can't Fight This Feeling‹ neben einem gestandenen<br />

Sänger wie Henrik Wager leider hoffnungslos untergeht.<br />

Hier zeigt sich, dass »Rock of Ages« vielleicht doch<br />

nicht hundertprozentig stadttheaterkompatibel ist.<br />

Zumindest nicht, wenn das hauseigene Schauspiel-,<br />

Opern- oder Ballettensemble mitbeschäftigt werden<br />

muss. Denn für manche Stücke sollte das Gästebudget<br />

besser etwas aufgestockt werden. Immerhin leistet man<br />

sich wieder einmal die Mitwirkung der Ariane Müller<br />

Band, am Theater Ulm schon länger ein Erfolgsgarant<br />

im Genre <strong>Musical</strong> und zum Glück auch hier wieder<br />

einmal ein Pfund, mit dem sich gerne wuchern lässt.<br />

Tragen Müllers Truppe und die virtuos in die Saiten<br />

greifende Gitarristin Yasi Hofer mit ihrer mitreißenden<br />

Energie doch maßgeblich dazu bei, dass es die Zuschauer<br />

beim abschließenden »Journey«-Klassiker ›Don't Stop<br />

Believin'‹ endgültig nicht mehr auf den Sitzen hält.<br />

Egal, ob man sich dabei nun an seine eigene zerkratzte<br />

Vinyl-Single von anno dazumal zurückerinnert oder an<br />

die Jungs und Mädels von »Glee«, die den Song im Jahr<br />

der Broadwaypremiere von »Rock of Ages« zurück in die<br />

Download-Charts katapultierten. Mag die Show auch<br />

großzügig die Nostalgiekarte ausspielen, für den Spaß<br />

an der Musik gibt es keine Altersgrenze.<br />

Tobias Hell<br />

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blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Langweiliger Urlaub am Wolfgangsee<br />

»Im weißen Rössl« am Renaissance Theater Berlin<br />

Ja, im Salzkammergut, da ka'mer gut lustig sein.« In<br />

der Tat ist Ralph Benatzkys »Im weißen Rössl« eins<br />

der meistgespielten Singspiele. Eine modernere, der Zeit<br />

angepasste Inszenierung hätte es daher verdient, doch<br />

gelingt das Regisseur Torsten Fischer mitsamt weiterem<br />

Kreativteam nicht so recht. Das »Rössl« wird zur reinen<br />

Farce und der Urlaub im Gasthaus zur Geduldsprobe.<br />

Das Bühnenbild (Ausstattung: Herbert Schäfer &<br />

Vasilis Triantafillopoulos) ist noch ansehnlich, geschickt<br />

gelöst und nutzt den kleinen Raum gut aus: Die Holzvertäfelungen<br />

passen zum Gasthausambiente, auch das<br />

Inventar ist mit rustikalen Holzbänken der österreichischen<br />

Gasthauskultur entlehnt. Jesus-Kreuz, Hirschgeweih<br />

fehlen ebenso wenig wie ein Bilderrahmen mit dem<br />

Kaiser-Abbild darin und Nationalflaggen. Der Eingang<br />

zum Gasthaus befindet sich im Hintergrund der Bühne<br />

in Form einer Drehtür aus Glas, was sehr modern anmutet,<br />

doch witzige Auftritte sowie Abgänge der Darsteller<br />

ermöglicht. Über der Drehtür zeigt eine Holzvorrichtung<br />

als Balkon eines Zimmers Landschaftsprojektionen<br />

und eine animierte Seelandschaft – der Wolfgangsee im<br />

Salzkammergut. Die Band ist mal im Hintergrund, mal<br />

auf der linken Seite in das Bühnenbild integriert. Unter<br />

musikalischer Leitung von Harry Ermer werden auch<br />

zeitgenössischere Komponisten angespielt (Falco, Edvard<br />

Griegs ›Morgenstimmung‹, »Cabaret«). Leider ist<br />

der Ton (Maximilian S. Engel, auch für Videoprojektion<br />

verantwortlich) in dem kleinen Theater ohne akustische<br />

Verstärkung zu leise.<br />

Der Kontrast zwischen Gastwirtschaft und Besuchern<br />

ist bei den Kostümen von Bettina Gawronsky<br />

deutlich: Das Personal trägt traditionell vom Dirndl<br />

über Lederhose bis Kellnerdress in elegantem Schwarz<br />

mit weinroter Schürze, die Kleidung der »Rössl«-Gäste<br />

ist zeitgemäßer: der Berliner Giesecke in schwarzer Lederjacke<br />

(und mit einem witzigen Auftritt als Lederhosen-Verschnitt),<br />

Tochter Ottilie in Sommerkleid oder Jeans<br />

und T-Shirt. Siedler tritt im Fahrradtour-Look auf, später<br />

trägt dieser schicke Anzüge (und auch mal fast gar nichts).<br />

Sülzheimer präsentiert sich als Modegeck in rotem Jackett<br />

und Anzughose (freizügiger in der Badeszene).<br />

Trotz klischeehaft ländlicher Idylle kommt kein<br />

Urlaubsgefühl auf. Und keine Spannung bei der altbekannten<br />

Handlung. Einzig die Szene mit heruntergefahrenem<br />

Baumstamm zwischen den Fabrikanten Giesecke<br />

und Siedler lässt erahnen, was man aus dem Stück hätte<br />

machen können.<br />

Leider überzeugt auch die Darstellung der Rollen,<br />

die teilweise zu sehr ins Lächerliche gerät, nicht. Winnie<br />

Böwe als Josepha Vogelhuber wirkt etwas jung, überzeugt<br />

im Schauspiel jedoch mit leicht rohem Charme,<br />

aber auch Sanftmütigkeit. Zahlkellner Leopold wird von<br />

Andreas Bieber mit Charme verkörpert. Er überzeugt,<br />

ob er Josepha anbetet oder sich von Herrn Dr. Siedler in<br />

seinen Träumen beleidigt und bedroht zeigt. Gesanglich<br />

bieten Bieber und Böwe die besten Leistungen. Boris<br />

Aljinović hat als Giesecke durch das Berlinerische und<br />

die typische Berliner Schnauze die Sympathien des Publikums<br />

zurecht schnell auf seiner Seite.<br />

Die restliche Besetzung wirkt eher schräg: Annemarie<br />

Brüntjen als Gieseckes Tochter ist ein schüchtern aufgeregtes<br />

Mädchen, aber ohne Charme. Weshalb sollte sie<br />

sich in den viel älteren und eingebildeten Dr. Siedler<br />

(Tonio Arango) verlieben? Und muss eine Szene einzig<br />

mit Penis- und Knieschonern nach der Nacht im blauen<br />

Zelt wirklich sein? Ebenso peinlich ist der Gag, wenn<br />

Ralph Morgenstern als Sülzheimer, weder schön noch<br />

dank schleimiger Persönlichkeit sympathisch, dem Klärchen<br />

seine Glatze entblößt und das Brusthaar-Toupet in<br />

seine Badehose steckt. Nadine Schori als Klärchen sollte<br />

eine Sympathieträgerin sein, stellt sich aber eher dumm<br />

und ihr Lispeln wird ausgereizt. Licht ins Besetzungsdunkel<br />

bringt Walter Kreye, der als Kaiser Franz Joseph<br />

gediegen und beruhigend wirkt. Angelika Milster zieht<br />

ihre Friedlichkeits-Nummer ab und jodelt ständig. Sie<br />

zeigt zwar ihre gute Stimme, aber wen singt sie mit »Eine<br />

Kuh so wie du« überhaupt an? Die muhenden Darsteller?<br />

Dem kleinen Theater fehlt der Platz für ein größeres<br />

Ensemble, das aber für ein Stück wie »Im weißen Rössl«<br />

nötig wäre, um auch kleinere Rollen zu besetzen.<br />

Eine optimale Besetzung, ergreifendere Personenregie<br />

und moderne Choreographien wären wünschenswert.<br />

»Im weißen Rössl« im Renaissance Theater Berlin<br />

ist keine Kritik an deutscher und österreichischer Kultur<br />

beziehungsweise Tourismus, sondern ein versuchtmodernes<br />

Possenspiel.<br />

Rosalie Rosenbusch<br />

Abb. links:<br />

Das zukünftige Traumpaar des<br />

»Weißen Rössl«: Josepha Vogelhuber<br />

(Winnie Böwe) und Leopold Brandmeyer<br />

(Andreas Bieber)<br />

Foto: Barbara Braun / drama-berlin.de<br />

Im weißen Rössl<br />

Ralph Benatzky / Robert Gilbert /<br />

Bruno Granichstaedten / Robert Stolz /<br />

Hans Müller / Erik Charell<br />

Renaissance Theater Berlin<br />

Premiere: 30. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie ........................... Torsten Fischer<br />

Musik. Leitung ................. Harry Ermer<br />

Choreographie .... Karl Alfred Schreiner<br />

Ausstattung............. Herbert Schäfer &<br />

Vasilis Triantafillopoulos<br />

Kostüme ................ Bettina Gawronsky<br />

Maske ................. Ulrike Göbel-Linder<br />

Licht ............................. Gerhard Littau<br />

Ton & Video ......... Maximilian S. Engel<br />

Josepha Vogelhuber ........ Winnie Böwe<br />

Leopold Brandmeyer .... Andreas Bieber<br />

Wilhelm Giesecke /<br />

Stubenmädchen............ Boris Aljinović<br />

Ottilie /<br />

Stubenmädchen .... Annemarie Brüntjen<br />

Dr. Otto Siedler / Piccolo /<br />

Bräutigam....................... Tonio Arango<br />

Sigismund Sülzheimer /<br />

Kellner Franz ........ Ralph Morgenstern<br />

Kaiser Franz Joseph /<br />

Prof. Dr. Hinzelmann ......... Walter Kreye<br />

Klärchen /<br />

Stubenmädchen ............ Nadine Schori<br />

Briefträgerin / Fräulein Weghalter /<br />

Braut .......................... Angelika Milster<br />

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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Papa auf dem Abstellgleis: Generalüberholung<br />

bei Bochums »Starlight Express«<br />

30-jähriges <strong>Musical</strong>-Jubiläum und Premiere der neuen Version<br />

Abb. oben:<br />

›Rolling Stock‹: Bei Greaseball<br />

(Ben Carruthers) landet mancher Wagen<br />

schnell auf dem Abstellgleis – und<br />

trotzdem liegen dem Rock'n'Roller alle<br />

Damenherzen zu Füßen<br />

Foto: Jens Hauer<br />

In der 30-jährigen Erfolgsgeschichte des Bochumer<br />

»Starlight Express« erlebte das <strong>Musical</strong> seit der<br />

Deutschlandpremiere am 12. Juni 1988 schon einige<br />

Überarbeitungen, um nach so vielen Jahren immer<br />

noch modern und auf dem neuesten Stand der Technik<br />

zu bleiben. Mit den Jahren wurden die Kostüme von<br />

Electra immer imposanter, Greaseball bekam Raketenantrieb,<br />

Pearls rosa Haare wurden wie Zuckerwatte immer<br />

länger bis weit unter die Po-Linie und die Show<br />

wurde mit zwei Stunt-Skatern noch spektakulärer und<br />

rasanter. Seit 2010 führen Rollschuhbahnen direkt an<br />

den 360°-Panorama-Sesseln vorbei quer durchs Parkett<br />

und die Show wurde von der Hauptbühne weg mitten<br />

ins Publikum verlagert. Musikalisch mussten einige sehr<br />

beliebte Songs weichen und wurden durch neue ersetzt,<br />

zum Beispiel wechselte das Liebesduett zwischen Rusty<br />

und Pearl von ›Du Allein‹ zu ›Allein im Licht der Sterne‹<br />

über ›Nur mit ihm‹ bis zum immer noch aktuellen Song<br />

›Für immer‹, den Andrew Lloyd Webbers Sohn Alastair<br />

2013 zum 25. Jubiläum beisteuern durfte.<br />

Überarbeitungen sind also nichts Neues für den betagten<br />

<strong>Musical</strong>-Klassiker. Im Frühjahr begann das ehemalige<br />

Kreativteam mit Andrew Lloyd Webber (Musik),<br />

Richard Stilgoe (Buch und Liedtexte), John Napier<br />

(Kostüme, Maske, Bühnenbild) und Arlene Phillips<br />

(Regie, Choreographie), das <strong>Musical</strong> komplett umzukrempeln<br />

und neu zu definieren. Denn im Jahr 20<strong>18</strong><br />

fiel den Schöpfern des <strong>Musical</strong>s auf, dass der »Starlight<br />

Express« ein unzeitgemäßes Frauenbild zeichnet: Es gibt<br />

nur starke männliche Zugmaschinen, die den schwachen,<br />

weiblichen Waggons zeigen, wo es lang geht.<br />

Ein Waggon ohne Zug war praktisch dazu verdammt,<br />

nur dumm rumzustehen, ohne Ziel und Sinn im Leben.<br />

Textzeilen wie »Ich bin nicht G.E.K.U.P.P.E.L.T.<br />

– kann nicht kreisen auf den Gleisen« waren nach 30<br />

Dienstjahren plötzlich sexistisch und »politically incorrect«.<br />

Das Rollenprofil bestehender Charaktere sollte<br />

grundlegend überarbeitet werden und weibliche Figuren<br />

eine selbstbewusste und emanzipierte Stärkung erhalten.<br />

Mit einem Wort: Frauen sollen Züge sein und<br />

Männer dürfen sich als Waggons auch mal ziehen lassen!<br />

Soweit okay. Doch als in der Presse durchsickerte,<br />

dass die zentrale Rolle des »Papa« als Vaterfigur Rustys<br />

durch eine »Mama« ersetzt werden sollte, war die Empörung<br />

der eingefleischten <strong>Musical</strong>-Fans gewaltig. Egal,<br />

ob Männlein oder Weiblein: kein »Starlight«-Fan wollte<br />

auf »Papa« verzichten und Äußerungen wie »dann ist<br />

›Starlight‹ für mich gestorben« waren in den sozialen<br />

Medien an der Tagesordnung. Als verkündet wurde,<br />

dass weitere Rollen gestrichen werden, zweifelten die<br />

Fans ernsthaft daran, ob der »Starlight Express« wirklich<br />

noch »ihr« <strong>Musical</strong> sein würde. In der Abschiedsvorstellung<br />

am 13. Mai 20<strong>18</strong> flossen zahlreiche Tränen, denn<br />

neben Dampflok Papa landeten Rauchwaggon Ashley,<br />

Buffetwagen Buffy, Electras Geldtransporter Purse und<br />

Waffenwaggon Krupp, die Hip-Hopper Frachtwagen,<br />

der Japan-Express Hashamoto und der französische<br />

TGV Bobo endgültig auf dem Abstellgleis. Schlechte<br />

Presse bekam die neue Version weiterhin durch die Verkleinerung<br />

des Orchesters, das von über 30 Musikern<br />

im Jahr 1988 über 11 Mitglieder 2013 auf jetzt 9 Live-<br />

Künstler rationiert wurde. Ein nach 30 Jahren gekün-<br />

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blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

digter Trompeter wollte nun auf Keyboard umschulen.<br />

Das Sternenlicht in Bochum flackerte bedenklich.<br />

Die erste Preview der »neuen Version« war für den<br />

6. Juni 20<strong>18</strong> geplant, musste aber wegen technischer Sicherheitsmängel<br />

kurzfristig abgesagt werden. Einen Tag<br />

später rollte der »Starlight Express« wieder und gleich<br />

hagelte es wieder Kritik bei den Fans über die stark<br />

vereinfachten Kostüme, insbesondere bei Electra und<br />

Pearl. Und was sind denn das für neue Züge? Coco, der<br />

schnellste Unterwasserzug der Welt mit der klassischen<br />

Nummer 5, dazu ein italienischer Pizza-Express und der<br />

Zug nach Nirgendwo – Brexit. Das sind also die innovativen<br />

Neuerungen?<br />

Die Gala-Premiere am 12. Juni 20<strong>18</strong>, exakt 30 Jahre<br />

nach der Deutschlandpremiere, sollte dann beweisen,<br />

ob der neue »Starlight Express« eine lahme Bummellok<br />

oder ein crazy High-Tech-Spektakel erster Klasse mit<br />

Pfiff sein sollte. Just in time, um 19:00 Uhr huschte<br />

noch medienscheu der Ehrengast, <strong>Musical</strong>-König Sir<br />

Andrew Lloyd Webber, über den roten Teppich, der sich<br />

noch Sonntagnacht bei der Tony-Verleihung in New<br />

York mit seinen 70 Jahren einen Ehren-Tony für sein<br />

Lebenswerk abholte, danach aber alle Interview-Anfragen<br />

sausen ließ und sofort den Flieger nach »Germany«<br />

bestieg, um bei seinem »neuen« <strong>Musical</strong> am Dienstagabend<br />

persönlich anwesend zu sein. Kaum verwunderlich<br />

also, dass Produzent und Geschäftsführer der<br />

Mehr! Entertainment Maik Klokow vor Showbeginn<br />

verkündete, dass die neue »Mama« Reva Rice, die erste<br />

Pearl am Broadway 1986, einen bedauerlichen Unfall<br />

während der letzten Preview-Show am Sonntag hatte,<br />

ihren Fuß einen Tag permanent auf Eis gekühlt hatte,<br />

eigentlich nicht spielen sollte, es sich aber nicht nehmen<br />

lasse, vor Komponist Lloyd Webber aufzutreten. Um es<br />

der Mama etwas einfacher zu machen, sei das Rennen<br />

mit ihr choreographisch etwas umgestaltet worden, um<br />

Reva Rice ihren Auftritt zu ermöglichen.<br />

Und dann startete der neue »Starlight Express« zu<br />

den neu eingespielten Dialogen eines kleinen Jungen,<br />

der von seiner Mutter ermahnt wird, die Eisenbahnen<br />

Abb. oben:<br />

Coco, der schnellste Unterwasserzug der<br />

Welt (Clare Maynard) mit Schlafwagen<br />

Belle (Rochelle Sherona)<br />

Foto: Jens Hauer<br />

Mamma Mia: Alles dreht sich um Papa-Ersatz Reva Rice, die nun mit einer<br />

unglaublichen Soul-Stimme der neuen Rolle Mama sehr sympathisches<br />

Leben einhaucht<br />

Traumpaar des Abends bleiben auch in der neuen Fassung Erster-Klasse-<br />

Wagen Pearl (Georgina Hagen) und Dampflok Rusty (Blake Patrick<br />

Anderson)<br />

Bei der Neugestaltung der Kostüme musste Electra (Sjoerd van den Meer)<br />

die meisten Federn lassen<br />

Auch nicht mehr der, der er früher einmal war, ist Red Caboose (Daniel Ellison),<br />

der nun für seine Sabotage-Dienste Geld verlangt und deshalb wohl wie ein<br />

Reeperbahn-Zuhälter aussieht<br />

Fotos (4): Stephan Drewianka<br />

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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Sir Andrew Lloyd Webber (Komponist)<br />

überwachte 4 Wochen mit seinem<br />

Kreativ-Team die Proben für die neue<br />

Fassung des »Starlight Express«<br />

2. Da staunt der kleine »Control« (vorne<br />

2.v.l.) nicht schlecht: Sir Andrew Lloyd<br />

Webber bedankt sich nach der Premiere<br />

für die Spitzenleistung der Darsteller und<br />

seines Kreativteams<br />

3. Friedrich Kurz (l., mit Bruder<br />

Bernhard) gründete die Stella-Theater-<br />

Produktions-GmbH und brachte nach<br />

»Cats« auch den »Starlight Express« nach<br />

Deutschland, indem er für 24 Millionen<br />

Mark die »Starlight«-Halle exklusiv nur<br />

für das Rollschuh-<strong>Musical</strong> bauen ließ<br />

Fotos (3): Stephan Drewianka<br />

wegzulegen und endlich zu schlafen. »Control« beginnt<br />

zu träumen, die Ouvertüre in neuer Orchestrierung beginnt<br />

mit der weltberühmten Titelmelodie, die aber von<br />

den rüden Worten unterbrochen wird: »Jetzt ist Schluss<br />

mit dieser langweiligen Musik!« Da soll doch mal jemand<br />

behaupten, britische Komponisten hätten keinen<br />

Humor. Und schon geht es fetzig los mit der Vorstellung<br />

der internationalen Züge, die längst nicht mehr den<br />

Hauptteil des ersten Aktes einnimmt. Es stehen jetzt die<br />

Charaktere fokussierter im Vordergrund.<br />

Pearl (Georgina Hagen, die nach ihrer Ausbildung in<br />

London bereits von 2010-2014 zunächst Dinah, dann<br />

Pearl in Bochum verkörperte) kommt als Taschengeldintensiver<br />

Neuerwerb von »Control« neu zur bestehenden<br />

Zugsammlung hinzu und lernt Züge und Waggons<br />

kennen. Im neuen Song ›Ich bin ich‹ berichten ihre Kolleginnen<br />

Speisewagen Dinah (Rose Ouellette, »Mamma<br />

Mia!« Oberhausen, »Rocky« Stuttgart), Kofferwagen<br />

Carrie (Veronika Hammer, »Footloose« Darmstadt)<br />

und Schlafwagen Belle (Rochelle Sherona aus London<br />

in ihrer Debütrolle) dem Erste-Klasse-Wagen von ihrem<br />

Selbstvertrauen. Die Text-Zeilen der britischen Songwriterin<br />

Lauren Aquilina machen das neue Frauenbild<br />

deutlich: »Wir sind alle gleich. Uns macht keiner klein.<br />

Und wir woll'n nicht länger zweite Klasse sein! Wir hängen<br />

nicht nur an irgendeinem Typen dran. Ich bin ich!<br />

Und mehr brauch ich nicht. Ich kann allein die Größte<br />

sein!« Das hat durchaus Klasse und ist energiegeladen.<br />

Bemerkenswert, dass danach das handgreifliche Gerangel<br />

mit den Zugmaschinen glücklicherweise nicht in<br />

einem Geschlechter-Kampf endet. Denn Coco (Clare<br />

Maynard, 2013-2016 Ensemble »Starlight Express«) ist<br />

der weibliche französische Unterwasserzug, der unter<br />

dem Ärmelkanal durchfährt, während Rocky 3 (Lucy<br />

Glover, »We Will Rock You« Stuttgart und Berlin) als<br />

»Mädchen« neben den zwei anderen Rockys (Dewayne<br />

Adams und Garry Kessing) über den Boden wirbelt.<br />

Aber natürlich darf Greaseball (Ben Carruthers, »Wicked«<br />

UK-Tour) immer noch seine ›Pumping Iron‹-<br />

Muskeln spielen lassen und Electra (Sjoerd van den<br />

Meer, »Grease« und »Hairspray« auf Kreuzfahrtschiffen)<br />

seine Elektroschocks verteilen.<br />

Im neuen Fokus der Geschichte steht Pearl, die<br />

sich einen neuen Partner sucht und eigentlich die kleine<br />

Dampflok Rusty (Blake Patrick Anderson in seiner<br />

ersten Hauptrolle) wirklich »niedlich« findet, denn nur<br />

noch er beherrscht (heimlich) das Pfeifen einer Lok, was<br />

alle anderen Züge längst als völlig uncool abgelegt haben.<br />

Aber Pearl erkennt ihre wahre Liebe erst, nachdem<br />

sie sich an die anderen Mehr-Schein-Als-Sein-Möchtegern-Machos<br />

Greaseball und Electra angekoppelt hat.<br />

Zur neuen Frauenpower kann Buffy natürlich<br />

nicht mehr ihr ›G.E.K.U.P.P.E.L.T.‹ singen – zum alten<br />

Song buchstabiert sie jetzt sehr phonetisch ein<br />

»A.B.G.E.H.Ä.N.G.T.«. Überhaupt gibt es zahlreiche<br />

kleinere und größere Text-Änderungen, die aber alle<br />

in den neuen Stil passen und die Handlung besser und<br />

verständlicher herüberbringen. Apropos Textverständlichkeit:<br />

Beim »Starlight Express« hatte man eigentlich<br />

immer das Gefühl, dass selbst Deutsche mit englischem<br />

Akzent gesungen hätten. Auch der aktuelle Cast setzt<br />

sich aus vielen Darstellern zusammen, deren Mutter-<br />

20<br />

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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

sprache nicht Deutsch ist. Dank der neuen Tonanlage,<br />

die mit doppelter Anzahl an Lautsprechern den Sound<br />

besser als früher in der Starlight-Halle verteilt, und den<br />

neuen Musik-Arrangements, die trotz der wenigen Musiker<br />

zwar immer noch recht opulent klingen, die Sänger<br />

aber längst nicht mehr so übertönen und erschlagen<br />

wie früher, ist die Verständlichkeit der Texte gestiegen.<br />

Auch die Kostüme stellen die Darsteller wieder mehr<br />

in den Vordergrund, eine Entwicklung »back to the<br />

roots«, die mit weniger Schminke und weniger Kostüm-<br />

Tamtam wahre Schauspielkunst erkennen lassen. Dem<br />

Schreiber gefällt der neu-alte Pearl-Look ohne rosa<br />

Haar-Extensions in schlichtem Erste-Klasse-Weiß mit<br />

blondem Pferdeschwanz sehr gut, auch wenn das Häubchen<br />

etwas an eine Krankenschwester erinnern mag. Red<br />

Caboose (Daniel Ellison) kommt mit Schlapphut nun<br />

etwas schleimig-schmierig rüber, da er sich aber jetzt als<br />

Bremswagen von den Zügen für ihre dunklen Sabotagepläne<br />

in den Rennen der internationalen Meisterschaft<br />

bezahlen lässt, steht ihm das Zuhälter-Image rollendeckend<br />

gut. Einzig das Kostüm von Electra erreicht nicht<br />

ganz die Faszination der älteren Fassung: Zwar ist sein<br />

Kopfschmuck inkl. Wimpern in den letzten Jahren beachtlich<br />

übertrieben angewachsen, aber der neue Look<br />

im fahlen Weiß, das zwar elektrisierend in bedrohlichem<br />

Rot oder fluoreszierendem Blau erstrahlen kann, irritiert<br />

jetzt mit einem Kopfschmuck, der einer Glasfaserlampe<br />

nicht unähnlich ist. Ansonsten kann man sich jedoch<br />

gut mit den neuen Kostümen und dem Make-up<br />

anfreunden.<br />

Sehr gelungen ist das neue Lichtdesign mit den 360°<br />

Projektionen, die nie die Aufmerksamkeit ablenken, die<br />

Starlight-Halle aber sehr authentisch beispielsweise mit<br />

Kränen in eine Hafen-Silhouette verwandeln können.<br />

Auf die Spitze getrieben mit Gänsehaut-Effekt ist die<br />

komplett neu gestaltete ›Starlight‹-Sequenz (übrigens wieder<br />

mit dem ursprünglichen Text, welcher in den letzten<br />

Jahren durch eine neue Übersetzung viel Charme verloren<br />

hatte). Die grüne Lasershow hat ausgedient, ersetzt durch<br />

ein goldenes Sternenleuchten inklusive Drohnen-Technologie,<br />

die den »Zug der Sterne« visualisieren. Zudem<br />

bekommt Rusty seinen ganz persönlichen »Wicked«-›Frei<br />

und Schwerelos‹-Effekt mit strahlendem Finale spendiert,<br />

das so manche Kinnlade herunterklappen lässt.<br />

Und was ist nun mit dem Papa? Wenn die unglaubliche<br />

Reva Rice mit ihrer volltönenden Soul-Stimme<br />

ihren ›Mamas Blues‹ anstimmt, gibt es völlig zurecht<br />

Standing Ovation mitten in der Show. Bei einer so intensiven<br />

Mama vermisst man wirklich keinen Papa. Die<br />

neue Version des Bochumer »Starlight Express« hat den<br />

Schreiber von der ersten Sekunde an gepackt und nicht<br />

nur ihn in einen 10-jährigen Jungen verwandelt, der mit<br />

seiner Modelleisenbahn spielt und für den sein Spielzeug<br />

menschliche Züge annimmt. Inhaltlich runder<br />

und moderner, präsentiert Bochum hier ein perfektes<br />

<strong>Musical</strong>-Spektakel, das zumindest die nächsten 20 Jahre<br />

noch nicht zum alten Eisen gehören sollte. »Starlight<br />

Express« ist ein Phänomen, das es weltweit in dieser<br />

Form nur im Ruhrpott gibt, denn nur hier siegt Kohle<br />

immer noch vor Diesel und Elektrizität!<br />

Stephan Drewianka<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Ganz schön crazy: Rusty (Blake Patrick<br />

Anderson, 2.v.r.) pfeift den Waggons<br />

(v.l.) Belle (Rochelle Sherona), Dinah<br />

(Rose Ouellette) und Carrie (Veronika<br />

Hammer) nach<br />

2. Dustin (Daniel Holley, r.) staunt nicht<br />

schlecht, denn im neuen »Starlight<br />

Express« singt Reva Rice den ›Mamas<br />

Blues‹, Papa wurde in Rente geschickt<br />

Fotos (2): Jens Hauer<br />

3. Ein neuer Song und viele Textänderungen<br />

hat das Ensemble des »Starlight<br />

Express« lernen müssen, aber es ist noch<br />

›Licht am Ende des Tunnels‹<br />

Foto: Stephan Drewianka<br />

4. Die Bühne mit dem Sternenhimmel<br />

Foto: Jens Hauer<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

21


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Einmal die Ostsee sehen und dann sterben …<br />

Deutsche Tryout-Premiere »Knockin' On Heaven's Door« an der<br />

Folkwang Universität der Künste in Essen<br />

Abb. oben:<br />

Ein letzter Blick auf das Meer für Martin<br />

(Florian Minnerop) und Rudi<br />

(Tomas Stitilis)<br />

Foto: Stephan Drewianka<br />

Knockin' On Heaven's Door –<br />

Das Rock'n Road <strong>Musical</strong><br />

Alex Geringas / Joachim Schlüter /<br />

Chris Silber / Mirco Vogelsang /<br />

Gil Mehmert<br />

Folkwang Universität Essen in<br />

Kooperation mit dem<br />

Häbse-Theater Basel<br />

Pina Bausch Theater Essen<br />

Campus Essen-Werden<br />

Deutsche Tryout-Premiere:<br />

21. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie .............................. Gil Mehmert<br />

Musik. Leitung ........ Patricia M. Martin<br />

<strong>Musical</strong> Supervision &<br />

Arrangements ................ Jürgen Grimm<br />

Choreographie ................. Yara Hassan<br />

Ausstattung ...................... Britta Tönne<br />

Videodesign ........ Lisa-Marie Kuntze &<br />

Benjamin Geipel<br />

Dramaturgie ......... Brigitte Schumacher<br />

Martin Brest ............. Florian Minnerop<br />

Rudi Wurlitzer ................ Tomas Stitilis<br />

Henk ............................. Pascal Cremer<br />

Abdul ............. Alejandro Nicolás Firlei<br />

Fernández<br />

Frankie ....................... Charlotte Katzer<br />

Frau Brest / Maitre .......... Esther Conter<br />

Kommissar ................ Florian Sigmund<br />

Barfrau /<br />

Krankenschwester ........... Aline Bucher<br />

Kellner / Autohändler ..... Nico Hartwig<br />

Boutique-Chefin /<br />

Reporterin ..................... Jessica Trocha<br />

Bankerin ....................... Lara Hofmann<br />

Bei Professor Gil Mehmert, der schon das Fußball-<br />

»Wunder« in Hamburg heraufbeschwor oder die<br />

Stiftsruine Bad Hersfeld in ein »Cabaret« verwandelte,<br />

sollen die Studenten der Folkwang Universität in ihren<br />

letzten Studienjahren im Fach <strong>Musical</strong> viel praktische<br />

Erfahrung auf der Bühne vor Publikum sammeln. Dabei<br />

setzt Mehmert in jüngster Zeit nicht mehr auf altbekannte<br />

Stücke, sondern versucht, neue Werke in Tryouts<br />

auf die Bretter zu schicken. Im letzten Jahr führten seine<br />

Studenten das <strong>Musical</strong> »Goethe – Auf Liebe und Tod«,<br />

basierend auf einem Kinofilm, auf (vgl. blimu 03-17).<br />

Für dieses Jahr stand der Filmklassiker »Knockin' on<br />

Heaven's Door« von Thomas Jahn und Til Schweiger<br />

aus dem Jahr 1997, der damals 3,7 Mio. Zuschauer in<br />

die Kinos zog, als <strong>Musical</strong>fassung auf dem Spielplan des<br />

intimen Pina Bausch Theaters in Essen-Werden.<br />

Warum aus diesem Stoff kein <strong>Musical</strong> machen, zumal<br />

der Titelsong von Bob Dylan ein absoluter Welthit<br />

ist, der zu den meistgecoverten Songs der Welt gehört?<br />

Zum Kreativteam der Produktion gehörten neben Gil<br />

Mehmert und Grimme-Preisträger Chris Silver (»Good<br />

Bye Lenin«), die Buch und Libretto schrieben, die Komponisten<br />

Alex Geringas (15 Nr. 1 Hits, zweifacher Echo<br />

Gewinner) und Joachim Schlüter (dreifacher Echo-Gewinner).<br />

Aus der innovativen Zusammenarbeit ist ein<br />

Rock'n Road-<strong>Musical</strong> entstanden, das am 28. Mai 20<strong>18</strong><br />

am Häbse-Theater in Basel und am 21. Juni 20<strong>18</strong> in<br />

Essen als Schweizer und Deutsche-Tryout-Premiere für<br />

mehrere ausverkaufte Vorstellungen zu sehen war.<br />

Rudi Wurlitzer hat Krebs, Martin Brest einen inoperablen<br />

Hirntumor. Die beiden völlig unterschiedlichen<br />

Charaktere treffen im Krankenhaus aufeinander und begießen<br />

ihr Schicksal mit reichlich Tequila. Rudi gesteht<br />

Martin, dass er noch nie das Meer gesehen hat, und für<br />

Martin, der nicht im Krankenhaus »abnippeln« will,<br />

steht ihre Mission fest: Beide klauen in der Tiefgarage<br />

ein Auto und fahren los Richtung Küste. Sie überfallen<br />

eine Bank, da sie blank sind, ohne zu wissen, dass im<br />

Kofferraum 1 Million Euro von Gangster Frankie liegen.<br />

Schnell werden die beiden Todkranken nicht nur<br />

von der Polizei, sondern auch von Frankies Handlangern<br />

Abdul und Henk verfolgt. Nach einer Nacht im<br />

Luxushotel wollen sich beide einen Wunsch erfüllen.<br />

Martin schenkt seiner unter Demenz leidenden Mutter<br />

einen Wagen, der wie der von Elvis Presley aussieht, und<br />

Rudi wünscht sich einen flotten Dreier – ausgerechnet<br />

im Nachtklub von Frankie. Bevor alles im Chaos versinkt,<br />

löst sich die kuriose Komödie doch noch im Happy<br />

End am Strand der Ostsee auf, bei der beide Kranke<br />

ihren letzten Sonnenuntergang erleben.<br />

Neben den vielen rockigen Songs, die bestens unterhalten<br />

und unter der Leitung von Patricia M. Martin<br />

wummernd aus den Lautsprechern hallen, gefällt auch<br />

die Choreographie von Yara Hassan ausgesprochen<br />

gut, denn zumindest bei der Ausbildung sollen die Studenten<br />

des 3. und 4. Jahres nicht nur in Gesang und<br />

Schauspiel, sondern auch beim Tanz zeigen dürfen, was<br />

sie gelernt haben. Da tritt die Ausstattung von Britta<br />

Tönne eigentlich in den Hintergrund. Doch was hier<br />

mit einfachsten Mitteln gezaubert wird, hat besonderen<br />

Charme und Charakter. Das beginnt bei den verschiedenen<br />

Autos, die sich aus drei Ensemble-Mitgliedern<br />

pfiffig zusammenbauen lassen und so immer ein kurioses<br />

Eigenleben führen, und endet in einem genialen Videodesign<br />

(Lisa-Marie Kuntze, Benjamin Geipel), das comicartig<br />

gezeichnete Hintergründe für alle Lebenslagen<br />

bereithält, die eben auch verblüffend mit den Darstellern<br />

interagieren, wenn zum Beispiel Martin aus einem<br />

geöffneten Kühlschrank eine Flasche holt und mit lautem<br />

Knall die Türe zuwirft, perfekt animiert auf einer<br />

Leinwand. Einzelne Szenen erinnern optisch bewusst<br />

mit einem Augenzwinkern an andere <strong>Musical</strong>vorbilder,<br />

22<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

ohne sie musikalisch zu zitieren. Wenn beispielsweise im<br />

Restaurant unsere Helden französische Gerichte, von<br />

denen sie nur vage erahnen können, was sich dahinter<br />

versteckt (unter anderem Stierhoden), getanzt serviert<br />

bekommen, erwartet man fast ein ›Sei hier Gast‹ (»Die<br />

Schöne und das Biest«). Wenn beim Herrenausstatter<br />

von schwulen Schneidern das Innenmaß der Hosenbeine<br />

genommen wird, vermutet der <strong>Musical</strong>begeisterte<br />

›Die Rechnung zahlt die Dame‹ (»Sunset Boulevard«),<br />

oder wenn die Todkranken am Meer den Mond bestaunen<br />

›Trägt sie ihr Traum‹ (»Mamma Mia!«).<br />

Die gesamte Inszenierung legt den Fokus aber auf die<br />

zukünftigen Absolventen im Studiengang <strong>Musical</strong> und<br />

auch in diesem Jahr muss sich der deutsche Nachwuchs<br />

nicht verstecken. Florian Minnerop (Wilhelm in »Goethe<br />

– Auf Liebe und Tod«, Cliff in »Sunset Boulevard«<br />

in Dortmund) verkörpert die Rolle des lebenslustigen<br />

Martin mit viel Energie, schlägt aber bei seiner Mutter<br />

(Esther Conter) auch die leisen Töne gekonnt an.<br />

Seinen verklemmten Partner Rudi spielt Tomas Stitilis<br />

(»Der kleine Horrorladen« an der Musikschule des<br />

Emslandes) mit besonnener und zurückhaltender Art.<br />

Pascal Cremer (»Alles was zählt«, »Wahnsinn!« in Duisburg)<br />

als ständig verletzter Möchtegern-Schmalspurgangster<br />

Henk harmoniert im Duo mit seinem typisch<br />

türkischen Proll-Partner Abdul, perfekt umgesetzt von<br />

Alejandro Nicolás Firlei Fernández. Boss der beiden ist<br />

Frankie, interpretiert als Kill Bill-Verschnitt mit Augenklappe<br />

und Samurai-Schwert von der phantastischen<br />

Charlotte Katzer (»Superhero« in Wiesbaden, Pop-Oratorium<br />

»Luther«). In weiteren Rollen vom Kommissar<br />

über Krankenschwester, Reporter, Autohändler bis zu<br />

Barfrauen und Kellnern sind Florian Sigmund, Aline<br />

Bucher, Nico Hartwig, Jessica Trocha und Lara Hofmann<br />

zu bestaunen.<br />

Auch wenn »Knockin' on Heaven's Door« hauptsächlich<br />

mit leichtem Humor und vermeintlich wenig<br />

Tiefgang daher poltert, wird doch eine ergreifende Geschichte<br />

über wahre Freundschaft und den Mut zum<br />

Leben erzählt, die in einigen Szenen wirklich zu berühren<br />

vermag. Fast befremdlich, dass der englische Welthit<br />

am Ende der Show der musikalisch schwächste Titel des<br />

<strong>Musical</strong>s ist – zugleich ein Kompliment für die Komponisten.<br />

Wie es nach diesen Tryouts weitergeht, steht<br />

wohl noch in den Sternen, laut Musikverlag soll 2019<br />

die offizielle Weltpremiere stattfinden. Ob diese dann<br />

noch den unvergleichlichen Charme dieser Studentenaufführung<br />

haben wird?<br />

Stephan Drewianka<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Gangsterbraut Frankie (Charlotte<br />

Katzer) schwingt das Samurai-Schwert<br />

wie in »Kill Bill«<br />

2. Die ewigen Verlierer Abdul (Alejandro<br />

Nicolás Firlei Fernández, hinten Mitte l.)<br />

und Henk (Pascal Cremer, hinten Mitte r.)<br />

landen mit dem zurückgeklauten Auto<br />

prompt in einer Polizeikontrolle<br />

3. Es wird gegessen, was auf den Tisch<br />

kommt, oder? Rudi (Tomas Stitilis) schlägt<br />

mal lieber im Französisch-Wörterbuch<br />

nach, was da auf den Tellern liegt<br />

4. Ein pinkfarbener Cadillac und ein<br />

Elvis-Song lassen die demente Mutter<br />

Brest (Esther Conter, 2. Reihe l.) für einen<br />

Augenblick ihren Sohn Martin (Florian<br />

Minnerop, 2. Reihe r.) erkennen<br />

Fotos (4): Stephan Drewianka<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

23


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Vergangenheitsbewältigung mal anders<br />

»Nimmerwiedermehr« als Uraufführung in der St. Thomas Kirche<br />

Hamburg - Rothenburgsort<br />

Abb. oben:<br />

Die kleine Anna (Svea) erzählt zu Anfang<br />

des <strong>Musical</strong>s ihre Geschichte und leitet<br />

somit in die Thematik ein<br />

Foto: Felix Amsel<br />

Nimmerwiedermehr –<br />

Das Kinderkrankenhaus<br />

von Rothenburgsort<br />

Mario Stork / Dirk Schattner<br />

Skycradle<br />

Kirche St. Thomas<br />

Hamburg - Rothenburgsort<br />

Uraufführung: 30. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie ......................... Agnes Oberauer<br />

Musikalische Leitung ......... Mario Stork<br />

Ausstattung ..... Julia Bührle-Nowikowa<br />

Anna als Studentin ........... Merle Hoch<br />

Andreas, Student ........ André Haedicke<br />

Frida ....................... Michaela Schober<br />

Herma, Mutter von Andreas .................<br />

Annika Bruhns<br />

Siegfried, Vater von Andrea ..................<br />

Georg Münzel<br />

Eva, Krankenschwester ...... Laura Saleh<br />

Anna als Kind ... Svea (in der Premiere)<br />

Das <strong>Musical</strong> »Nimmerwiedermehr« von Mario Stork<br />

(Musik) und Dirk Schattner (Buch und Liedtexte)<br />

basiert auf wahren Begebenheiten, welche sich im Kinderkrankenhaus<br />

Hamburg - Rothenburgsort in der<br />

Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1940 und 1945<br />

zugetragen haben. Hierbei wurden Kinder mit Behinderungen<br />

ermordet, was man damals »Vernichtung lebensunwerten<br />

Lebens« nannte. Personen und konkrete<br />

Handlung sind aber Fiktion.<br />

Der Spielort wurde bewusst ausgesucht, da die<br />

St. Thomas Kirche in Rothenburgsort eine Tochter der<br />

St. Nicolai Kirche im Nachbarort Moorfleet ist. Sie wurde<br />

<strong>18</strong>85 begründet und im großen Feuersturm von Hamburg<br />

im Jahre 1943 größtenteils zerstört. 1<strong>95</strong>2 wurde<br />

der Wiederaufbau beschlossen, woraufhin sie 1<strong>95</strong>7 neu<br />

eröffnet wurde.<br />

Durch ihre Nähe zum Ort der Geschehnisse von<br />

damals ist sie der perfekte Spielort für dieses <strong>Musical</strong>,<br />

das am 30. Juni 20<strong>18</strong> hier seine Uraufführung im Rahmen<br />

der ersten Rothenburgsorter Kulturwoche feierte.<br />

Von Beginn an lässt sich erahnen, welche düsteren und<br />

schrecklichen Ereignisse sich in diesem Kinderkrankenhaus<br />

zugetragen haben müssen.<br />

»Aus so einem Stoff kann man doch kein <strong>Musical</strong><br />

machen«, mit dieser Aussage wurden Dirk Schattner<br />

und Mario Stork häufiger konfrontiert, doch als sie im<br />

November 2017 die Readingfassung vorstellten, stand<br />

schnell fest: »Man kann nicht nur, man muss!« Gerade<br />

weil das <strong>Musical</strong> das wahrscheinlich lebendigste Musiktheatergenre<br />

ist, weil es eine Form ist, die die Menschen<br />

anspricht, und weil es vor allem in Inhalt und Musikstil<br />

die ganze Bandbreite von Klassik bis Rock, von leichtfüßiger<br />

Komödie bis zum Drama abdecken kann.<br />

Das Stück wird in 2 Zeitebenen gespielt: In den<br />

1940er Jahren erlebt die kleine Anna (Svea) in einem<br />

Bunker nahe Rothenburgsort den großen Feuersturm<br />

auf Hamburg (27./28. Juli 1943). Sie befindet sich zu<br />

der Zeit in besagtem Kinderkrankenhaus und fürchtet<br />

sich sehr, insbesondere da so viele Kinder nach der Verabreichung<br />

eines Medikamentes sterben. Sie selbst ist<br />

zwar nicht krank, aber ihre Mutter hat sie zur Adoption<br />

freigegeben. Glücklicherweise wird sie von der Krankenschwester<br />

Eva (Laura Saleh) gerettet. Diese Krankenschwester<br />

hat im Verlauf der Zeit von jedem Kind<br />

in der Nacht vor der Ermordung einen farbigen Fußabdruck<br />

genommen und hütet diese als Erinnerung an die<br />

Kinder wie einen Schatz. Doch die seelische Belastung<br />

wird ihr zu viel und sie rettet die kleine Anna.<br />

In der Premiere wird die kleine Anna von Svea dargestellt,<br />

die mit ihrem schauspielerischen Talent und<br />

ihrem Ausdruck das kleine Mädchen so gut verkörpert,<br />

dass im Publikum die ersten Tränen fließen. Zugleich<br />

erleichtert sie den Einstieg in die Geschichte.<br />

Dann wechselt die Zeit und wir befinden uns in den<br />

1960er Jahren: Anna ist mittlerweile eine Studentin und<br />

recherchiert die wahre Geschichte des Kinderkrankenhauses<br />

in Rothenburgsort, ohne zu ahnen, dass Frida<br />

(Michaela Schober) ihre Tochter seit ca. 1<strong>95</strong>5 sucht. Hierbei<br />

spielt Michaela Schober die Mutter Frida mit so einer<br />

herausragenden Klasse und identifiziert sich so stark<br />

mit der Rolle, dass ihr während des Stückes selbst die<br />

Tränen kommen. Verkörpert wird die Studentin Anna<br />

von Merle Hoch. Gestik und Mimik sind von solch einer<br />

Brillanz, dass jeder im Publikum die Schmerzen und<br />

Ängste der Kinder versteht.<br />

Während Anna recherchiert, lernt sie einen jungen<br />

Mann kennen (Andreas), dessen Schwester Marie in<br />

dem Krankenhaus während des Krieges gestorben ist.<br />

Andreas wird hier von André Haedicke dargestellt. Eine<br />

bessere Besetzung hätte man sich nicht wünschen können,<br />

sagenhaft gut in Stimme und Schauspiel, durchlebt<br />

man im ganzen Stück Andreas' Schmerz und das Leid.<br />

24<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Die Leichtigkeit, mit der Haedicke das schwere Thema<br />

auf die Bühne bringt, ist einfach nur phantastisch.<br />

Andreas' Eltern werden von Annika Bruhns und Georg<br />

Münzel gespielt, die in ihrem perfekten Zusammenspiel<br />

und einer unglaublichen Hingabe in Ausdruck und<br />

Gesang die wohl stärkste Leistung des Abends zeigen.<br />

Andreas und Anna verlieben sich ineinander und<br />

Anna hilft Andreas schließlich dabei, das zerrüttete<br />

Verhältnis zu seinen Eltern, denen er den Tod seiner<br />

Schwester vorwirft, zu verbessern.<br />

Durch die Geschichten über die Kindermorde setzt<br />

bei Anna eine starke Leidenschaft für dieses Thema<br />

ein. In ihrem Drang, mehr über sie herauszufinden,<br />

trifft sie auf Menschen, die persönliche Erinnerungen,<br />

Erfahrungen und Schuld mit sich tragen, und bringt<br />

diese dazu, sich nach langer Zeit mit dieser Geschichte<br />

auseinanderzusetzen.<br />

Schließlich begegnen sich Anna und Frida zum ersten<br />

Mal. Fast zeitgleich dazu sucht die ehemalige Stationsschwester<br />

Eva das Gespräch mit Frida, um Abbitte<br />

dafür zu leisten, dass sie das Geschehen im Krankenhaus<br />

zugelassen hat. Sie erzählt, dass nur ein Kind mit<br />

dem Namen »Anna« gerettet wurde – genau in diesem<br />

Moment setzt sich bei Frida wie auch beim Publikum<br />

der Gedanke fest, es könnte sich bei Anna um die verlorene<br />

Tochter handeln.<br />

Als die Studentin Anna einen Vortrag hält, stürmt<br />

Frida auf das Podium und schreit ihr schlechtes Gewissen<br />

in alle Welt hinaus. Dem gesamten Publikum<br />

stockte an der Premiere hier der Atem!<br />

Im Vortragssaal treffen nun alle aufeinander, und<br />

Anna muss Frida die falsche Hoffnung auf ein Happy<br />

End nehmen, das diese sich erträumt hatte. Anna ist<br />

leider nicht ihre verlorene Tochter.<br />

Die Lieder sind so gut abgestimmt, melodisch und<br />

einfühlsam, dass spürbar wird, mit welcher Genauigkeit<br />

und Hingabe an das Thema und an die Songs<br />

herangegangen wurde. Die Umsetzung der Musik übernimmt<br />

eine 5-köpfige erprobte Live-Band (Cello: Astrid<br />

Nägele, Gitarre: Hannes Kühn, Bass: Christian<br />

Niehues, Drums & Percussion: Matthias Plewak) unter<br />

Leitung des Komponisten Mario Stork am Piano.<br />

Als Bühne dient der Altar der Kirche und die Darsteller<br />

sind in graue Lumpen gehüllt, beschmutzte Gesichter<br />

und der durchzuckende Schmerz der Erinnerung<br />

lässt die Zuschauer erschaudern. Im 2. Akt wird die<br />

Geschichte weiter erzählt und dazu werden auf einer<br />

Folienwand im Hintergrund einige Namen von den<br />

damals ermordeten Kindern projiziert: Einige von<br />

ihnen sind nicht einmal 2 Monate alt geworden, andere<br />

4-5 Jahre. Zurückhaltend eingesetzte Lichttechnik<br />

unterstreicht die Stimmung und lenkt die Aufmerksamkeit<br />

der Zuschauer auf die Darsteller. Diesen gelingt<br />

es, das Publikum in ihren Bann zu ziehen und<br />

die Tragik dieses schweren Stoffes zu vermitteln. Das<br />

<strong>Musical</strong> rüttelt wach, regt einen über Tage zum Nachdenken<br />

an und offenbart einmal mehr, dass es im Krieg<br />

noch viel mehr Schreckliches gab als die Judenverfolgung.<br />

Insgesamt ist »Nimmerwiedermehr« ein gelungenes<br />

<strong>Musical</strong>, was sich an Hand von einem regionalen Beispiel<br />

mit einer sehr schweren Thematik beschäftigt. Es ist ohne<br />

Zweifel empfehlenswert und trägt zur Weiterbildung bei.<br />

Sven Petersen<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Erinnerungsbewältigung, Siegfried<br />

(Georg Münzel, 4.v.l.) verbrennt das Foto<br />

seiner verstorbenen Tochter Marie<br />

2. Trübsinn und Schockzustand, die Vermischung<br />

von Gefühlen und Erlebtem –<br />

(v.l.): Studentin Anna (Merle Hoch), Frida<br />

(Michaela Schober), Andreas<br />

(André Haedicke), Eva (Laura Saleh),<br />

Herma (Annika Bruhns)<br />

3. Erkennen und verlieben! Zwei Menschen<br />

mit gleicher Geschichte: Andreas<br />

(André Haedicke) und die erwachsene<br />

Anna (Merle Hoch)<br />

4. Erlebnisse verarbeiten, ›Die Kälte der<br />

Gefühle‹ – (v.l.): Frida (Michaela Schober),<br />

Herma (Annika Bruhns), erwachsene<br />

Anna (Merle Hoch), Astrid Naegele<br />

(Cello), Siegfried (Georg Münzel), Andreas<br />

(André Haedicke), Hannes Kühn (Gitarre)<br />

Fotos (4): Felix Amsel<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Zwei verschiedene Welten<br />

Uraufführung von<br />

»Nisha« in Cadolzburg<br />

Nisha<br />

Matthias Lange / Fritz Stiegler<br />

Cadolzburger Burgfestspiele<br />

Vorhof der Cadolzburg<br />

Uraufführung: 21. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie ............................. Jan Burdinski<br />

Musik. Leitung ............ Matthias Lange<br />

Choreographie ............ Kathleen Bengs<br />

Ausstattung .................. Karin E. Pollak<br />

Nisha ........ Romina Satiro / Lea Weber<br />

Mahmud ...................... Janos Schäfer /<br />

Martin Würflein<br />

Vater ........................ Bernhard Pfister /<br />

Manuel Unterburger<br />

Mutter ........................ Martina Pfister /<br />

Christine Schäfer<br />

Sohn Tarek .............. Sander Gößelein /<br />

Lukas Pfister<br />

Sittenwächter ................ Klaus Kinzel /<br />

Horst Mayer<br />

Oma ................... Carola Hesselberger<br />

Pamira ............. Jana König / Pia Köhler<br />

Camilla ...... Laura-Maria Wesolowski /<br />

Sina Vogt<br />

Achim ................ Heiko Winkelmann /<br />

Andreas Fingerhut<br />

Fabian ..... Simon Zange / Tom Sadurski<br />

Doktor Holger ............ Thomas Dröge /<br />

Siegfried Hornberger<br />

Ludwig Kienzle ......... Jürgen Sadurski /<br />

Helmut Köhler<br />

Michelle Kienzle .... Yvonne Fingerhut /<br />

Petra Kierner<br />

Frau Treuheit ............. Nadine Fischer /<br />

Erika Ruff / Sarah Tordai<br />

Bräutigam .................... Michael Leicht<br />

Kletterer ............. Alexander Gößelein /<br />

Norman Huber<br />

Erwachsenen-Ensemble:<br />

Eva Augustin, Hildegard Besendörfer,<br />

Barbara David-Kollek, Katrin Dröge,<br />

Françoise Eberlein, Ella Gößelein,<br />

Manuela Köhler, Manfred Ochsner,<br />

Heidi & Günter Oellerich, Heike Raith,<br />

Ladi Sadurski, Ursula &<br />

Michael Zeilinger, Gerhard Zucker<br />

Kinder-Ensemble:<br />

Nike Alt, Helena Arslan, Jonathan<br />

Bengs, Felina Fischer, Rosa Gößelein,<br />

Agnes & Clara Lengenfeld, Anna &<br />

Maja Pförtner, Jakob Rausch, Ben<br />

Sadurski, Sina Schäfer<br />

Der Vater (Bernhard Pfister, l.) und die Mutter (Martina Pfister, 2.v.l.) von Nisha (Romina Satiro, r.) diskutieren mit der Oma<br />

(Carola Hesselberger)<br />

Foto: Matthias Schäfer<br />

Im Jahr 2007 wurde der Markt Cadolzburg im Landkreis<br />

Fürth 850 Jahre alt. Im Rahmen der Feierlichkeiten<br />

wurde das im Mittelalter spielende <strong>Musical</strong> »Magdalena«<br />

im Vorhof des Schlosses Cadolzburg uraufgeführt.<br />

Das Buch schrieb Fritz Stiegler, während Rainer Gasser<br />

die Musik komponierte. Wegen des großen Erfolgs entschied<br />

man sich, auf der <strong>Musical</strong>-Schiene weiterzufahren.<br />

2008 wurde der Verein Cadolzburger Burgfestspiele<br />

gegründet. Zwei Jahre später erlebte das <strong>Musical</strong> »Die<br />

weiße Witwe« seine Uraufführung und wurde 2012<br />

wieder aufgenommen. Stiegler verfasste das Buch und<br />

Matthias Lange schrieb die Musik. Beide erschufen alle<br />

weiteren <strong>Musical</strong>s des Vereins.<br />

2013 handelte »Aeronauticus« vom fränkischen<br />

Flugpionier Gustav Weisskopf, 2014 spielte die Truppe<br />

in der Komödie Fürth »Fränkische Weihnacht«. Der<br />

größte Erfolg des Amateurvereins folgte 2015 mit »Mademoiselle<br />

Marie«. Etwa 20.000 Zuschauer sahen die<br />

Show, ein Jahr später wurde das <strong>Musical</strong> sogar verfilmt.<br />

Das Team um Präsident Thomas Dröge hat sich zum<br />

zehnten Geburtstag ein <strong>Musical</strong> zum Thema Menschenrechte<br />

ausgesucht: »Nisha«. Schirmherrin der Festspiele<br />

ist Maede Soltani, die Tochter von Abdolfattah Soltani,<br />

einem iranischen Anwalt, der sich für die Menschenrechte<br />

einsetzt. Er wurde 2009 mit dem Internationalen<br />

Nürnberger Menschenrechtspreis ausgezeichnet, 2012<br />

jedoch im Iran zu 13 Jahren Haft verurteilt. Zur Premiere<br />

war auch die Friedens-Nobelpreisträgerin des Jahres<br />

2003, Shirin Ebadi, eingeladen.<br />

»Nisha« spielt in zwei verschiedenen Welten – einmal<br />

in der westlichen Welt, in der das Geld regiert, und<br />

andererseits in Afrika (es könnte auch Asien sein), wo<br />

den Menschen das Elementarste für ein normales Leben<br />

fehlt. Die Bewohner eines Dorfes hoffen auf Regen. Der<br />

Sittenwächter (Klaus Kinzel) gibt dem Mädchen Nisha<br />

(Romina Satiro) die Schuld am ausbleibenden Nass, da<br />

sie sich mit Mahmud (Janos Schäfer) abgibt, der von der<br />

Gemeinde gemieden wird. Die Frauen des Dorfes, unter<br />

anderem auch Nishas Mutter (Martina Pfister), wollen<br />

einen Brunnen, damit sie nicht ständig den beschwerlichen<br />

und langen Weg zum Wasserloch gehen müssen.<br />

Die Männer wollen jedoch nichts davon wissen, so auch<br />

Nishas Vater (Bernhard Pfister).<br />

Im Westen bereiten die betuchten Bürger Camilla<br />

(Laura-Maria Wesolowski) und Achim Guggenberger<br />

(Heiko Winkelmann) eine Geburtstagsparty vor. Zu<br />

den Gästen gehört der Rennstallbesitzer Ludwig Kienzle<br />

(Jürgen Sadurski). Er plant eine Rallye nach Timbuktu,<br />

und um dem Ganzen einen ökologischen Touch zu verleihen,<br />

sollen die Rennwagen mit Treibstoff aus Palmöl<br />

fahren. Der Sohn der Guggenbergers, Fabian (Simon<br />

Zange), langweilt sich schrecklich auf der Party und<br />

feiert danach mit seinen Freunden. Nachdem sie sich<br />

betrunken haben, bleibt Fabian zurück und regungslos<br />

am Boden liegen. Die Polizei findet ihn, er wird ins<br />

Krankenhaus transportiert.<br />

Währenddessen zieht Nisha sich mit ihren Freundinnen<br />

in ein geheimes Versteck zurück. Sie hat auf der<br />

Mülldeponie Comics und Bücher wie »Anna Karenina«<br />

gefunden und sich selbst das Lesen beigebracht. Ihre<br />

Freundinnen wollen auch Lesen lernen. Als Mahmud<br />

ihren Unterschlupf entdeckt, hören sie zusammen mit<br />

ihm Rapmusik aus seinem selbstgebastelten CD-Spieler.<br />

Nishas Vater schenkt seinem Sohn Tarek (Sander Gößelein)<br />

einen Laptop. Via Internet soll er nach Lösungen<br />

für die schwierige finanzielle Situation suchen. Im Netz<br />

wird der Anbau von Palmölpflanzen gepriesen. Der<br />

schnelle Reichtum spukt nun in den Köpfen der Einwohner<br />

herum, auch Nishas Vater kauft solche Pflanzen,<br />

die aber ohne Wasser nicht gedeihen. Nisha muss<br />

26<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

wieder als Sündenbock für den ausbleibenden Regen<br />

herhalten. Sie wird gezwungen, das Dorf zu verlassen,<br />

und wird in der Stadt an ein Bordell verkauft, aus dem<br />

sie aber fliehen kann.<br />

Derweil erfahren Camilla und Achim von Doktor<br />

Holger (Thomas Dröge), dass Fabian herzkrank ist und<br />

dringend ein neues Herz braucht, aber selbst das Geld<br />

des Vaters kann die Suche nicht beschleunigen.<br />

Nisha trifft Mahmud, der sie anfleht, mit ihm zu<br />

fliehen. Sie will jedoch bleiben und ihren Wunsch, eine<br />

Schule zu errichten, verwirklichen. Das Dorf gaukelt<br />

Nisha zum Schein die Möglichkeit einer Hochzeit mit<br />

Mahmud vor, aber in Wahrheit ist das ein Trick, um sie<br />

mit einem Alten (Michael Leicht) zu vermählen. Nisha<br />

weigert sich vehement, bis der alte Mann von seinem<br />

Vorhaben absieht. Der Sittenwächter erzählt dem Vater<br />

des Mädchens vom schnellen Geld mit Organhandel. Um<br />

ihre Geschwister und ihre Eltern nicht weiter zu gefährden,<br />

geht Nisha ahnungslos mit ins »Haus der Kranken«.<br />

In Europa erzählt Ludwig Kienzle seinem Geschäftspartner<br />

Achim von der Möglichkeit, auf illegalem Weg<br />

schnell ein Spenderherz zu finden. Die Guggenbergers<br />

fliegen mit Fabian nach Afrika, wo Nisha im »Haus der<br />

Kranken« auf die Operation vorbereitet wird. Zur gleichen<br />

Zeit stürzt ein Kletterer (Alexander Gößelein) sich<br />

zu Tode. Seine Werte sind identisch mit denen von Fabian.<br />

In allerletzter Sekunde kann Camilla die Operation<br />

verhindern und Nishas Leben retten. Sie kehrt in ihr<br />

Dorf zurück und träumt ihren Traum von einer Schule<br />

weiter. So endet Nishas Geschichte.<br />

Dem Cadolzburger Verein muss man seine guten<br />

Absichten anrechnen, sich für Toleranz und das Recht<br />

auf Bildung besonders in Drittweltländern einzusetzen.<br />

Doch diese Geschichte beinhaltet etliche unausgereifte<br />

Ideen. Einem erfahrenen Regisseur wie Jan Burdinski<br />

hätten diese Ungereimtheiten auffallen müssen. Es<br />

scheint selbstverständlich, dass man in Afrika überall Internet<br />

empfängt oder der verschuldete Vater ohne Weiteres einen<br />

Laptop kaufen kann, dessen Bedienung sein Sohn problemlos<br />

beherrscht. Der reiche Europäer hat Vorrang bis<br />

auf die Tatsache, dass man einem Schwerkranken keinen<br />

stundenlangen Transport zumuten kann, und dann noch<br />

binnen kurzer Zeit die Rückreise. Dass das Ensemble nicht<br />

unbedingt wie die minderbemittelten Bewohner eines<br />

afrikanischen Dorfes aussieht und im fränkischen Dialekt<br />

redet, ist in dieser Hinsicht noch das geringste Problem.<br />

Die Musik von Matthias Lange klingt dagegen äußerst<br />

einnehmend, speziell die Lieder ›Wie eine Blume‹,<br />

›7000 Liter Blut‹, ›Das Paradies‹ und ›Ein Lehrer, ein<br />

Kind und sein Buch‹ gefallen, ebenso wie der instrumentale<br />

Titel ›Tango‹.<br />

Alle Beteiligten spielen mit Begeisterung und tanzen<br />

mit Energie die Choreographien von Kathleen Bengs.<br />

Romina Satiro hat eine angenehme Stimme und kann<br />

auch als Schauspielerin überzeugen. Aus dem restlichen<br />

Ensemble stechen hervor: Laura-Maria Wesolowski als<br />

Camilla, die mit dem Lied ›Nun sehe ich das eig'ne<br />

Kind‹ überzeugt, Bernhard Pfister (Nishas Vater) und<br />

Jana König als Nishas Schwester Pamira, die im Duett<br />

›Das Paradies‹ stimmlich überrascht. Musik, Gesang<br />

und Schauspiel retten somit das <strong>Musical</strong> über eine Geschichte<br />

mit Tücken und Lücken hinweg.<br />

Christian Spielmann<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Nisha (Romina Satiro) und Mahmud<br />

(Janos Schäfer)<br />

2. Camilla (Laura-Maria Wesolowski)<br />

und Achim Guggenberger (Heiko Winkelmann)<br />

3. Die Jugend (Ensemble) amüsiert sich<br />

im Haus der Guggenbergers<br />

4. Das Internet scheint das Allheilmittel<br />

zu sein, selbst in Afrika<br />

Fotos (4): Matthias Schäfer<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

27


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Kampf einer Frau um Wissen<br />

»Die Päpstin« 20<strong>18</strong> beim <strong>Musical</strong>sommer Fulda<br />

Abb.oben:<br />

Johanna (Sabrina Weckerlin) wird zum<br />

Papst ernannt<br />

Foto: Christian Tech<br />

Die Päpstin<br />

Dennis Martin / Christoph Jilo /<br />

Peter Scholz / Björn Herrmann<br />

<strong>Musical</strong>sommer Fulda<br />

Schlosstheater<br />

Premiere: 15. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie ..... Stanislav Moša & Christoph Jilo<br />

Musikalische Leitung ........ Peter Scholz<br />

Musikproduktion ...... Johannes Lowien<br />

Choreographie .................. Julia Poulet<br />

Bühnenbild ............. Christoph Weyers<br />

Kostüme & Maske .... Andrea Kučerová<br />

Lichtdesign .................... David Kachlíř<br />

Johanna ................. Sabrina Weckerlin<br />

Gerold .......................... Mark Seibert /<br />

Dennis Henschel<br />

Anastasius ................. Christian Schöne<br />

Aeskulapius ........ Reinhard Brussmann<br />

Arsenius / Ratgar ........ Daniele Nonnis<br />

Vater / Papst Sergius.... Sebastian Lohse<br />

Fulgentius / Rabanus ...... Lutz Standop<br />

Gudrun / Marioza ......... Anke Fiedler /<br />

Larissa Windegger<br />

Lothar ............................... Olaf Meyer<br />

Richild ................... Larissa Windegger<br />

Kleine Johanna ............. Alicia Hohmann<br />

(bes. Vorst.)<br />

Kleiner Johannes .......... Joshua Pfahls (<br />

bes. Vorst.)<br />

In weiteren Rollen:<br />

Jörg Alt, Michael Beck, Thomas Christ,<br />

Giulia Fabris, Farid Halim, Sascha<br />

Laue, Kristian Lucas, Denise Obedekah,<br />

Torsten Paul, Katharina Peregudov,<br />

Stephan R. Przywara, Sharon Rupa,<br />

Martin Ruppel, Jenny Schlensker,<br />

Doreen Sommer, Nicole Sydow,<br />

Michelle Tönnies, Andrea Viggiano,<br />

Julia Vilmar, Chadi Yacoub,<br />

Caroline Zins<br />

Mit Spannung wurde die Wiederaufnahme des <strong>Musical</strong>s<br />

»Die Päpstin« erwartet, denn bekanntlich<br />

tragen Neuauflagen eines Stücks nicht immer zur Verbesserung<br />

bei. Doch in diesem Fall ist es durch viele Änderungen<br />

Spotlight-<strong>Musical</strong>s absolut gelungen, »Die Päpstin«<br />

emotionaler, spannender und interessanter zu machen.<br />

Die Geschichte des Mädchens Johanna beginnt 814<br />

(laut dem Buch von Donna Woolfolk Cross) in Ingelheim<br />

am Rhein, wo sie als Tochter des Dorfpriesters geboren<br />

wird. Der Vater, der sich einen Jungen gewünscht<br />

hat, verachtet Mädchen und Frauen. Sie sind nur dazu<br />

da, den Männern zu gehorchen. Bildung ist ihnen strengstens<br />

untersagt.<br />

Johannas Mutter Gudrun glaubt jedoch noch an die<br />

alten Götter und lehrt Johanna den Rabenzauber. Johanna<br />

ist intelligent, wissbegierig und gerät ständig in<br />

Konflikte. Nicht nur, dass sie zwischen dem heidnischen<br />

Glauben der Mutter und dem unerbittlichen »christlichen«<br />

Glauben des Vaters hin- und hergerissen ist, ist<br />

ihr doch auch Lernen, Lesen und Schreiben strengstens<br />

verboten. Ihr Bruder Johannes ist das absolute Gegenteil,<br />

träumt nur vom Kämpfen und hält nichts vom Lernen.<br />

Als der Gelehrte Aeskulapius in Ingelheim vorbeikommt,<br />

um den Sohn des Dorfpriesters mit an die Scola<br />

nach Dorstadt zu nehmen, erkennt er schnell, dass in<br />

Johanna ein großes Potential steckt, und so macht er zur<br />

Bedingung, den Sohn nur mitzunehmen, wenn auch die<br />

Tochter gehen darf. Da der Vater dies niemals erlauben<br />

würde, flüchten die beiden Kinder in der Nacht alleine<br />

zu dem Treffpunkt, den Aeskulapius mit dem Vater ausgemacht<br />

hatte.<br />

Auch in der Scola sind die Jungen alle auf das Mädchen<br />

eifersüchtig und sie leidet. Einziger Halt ist ihr<br />

Mentor Markgraf Gerold, in den sie sich auch verliebt.<br />

Doch als dieser an den Hof des Kaisers nach Aachen<br />

gerufen wird, will die eifersüchtige Ehefrau von Gerold<br />

Johanna zwangsverheiraten.<br />

Die Rettung für Johanna ist der blutige Überfall der<br />

Normannen, bei denen alle sterben, auch ihr Bruder.<br />

Sie wird geschützt durch die beiden Raben, die ihre<br />

Schwingen über sie halten. In ihrer Verzweiflung nimmt<br />

Johanna die Identität ihres Bruders an und wird zu einem<br />

gefragten Heiler.<br />

Jahre später und nach vielen Irrungen und Wirrungen<br />

trifft sie ihre große Liebe Gerold in Rom wieder.<br />

Doch das Schicksal meint es nicht gut mit beiden. Nach<br />

dem Tod des Papstes landet Johanna zunächst im Gefängnis,<br />

doch zu ihrer und aller Überraschung wird sie<br />

vom Volk zum Papst gewählt.<br />

In dieser Rolle gelingt es ihr, viel Gutes zu tun, doch<br />

damit macht sie sich auch viele einflussreiche Feinde. Besonders<br />

Anastasius, der selbst Papst werden will, und sein<br />

Vater Arsenius, die schon den vorherigen Papst ermorden<br />

ließen, sind erbitterte Feinde des neuen Papstes. Und so<br />

endet auch Johannas Geschichte auf der Bühne tragisch.<br />

»Die Päpstin« überrascht 20<strong>18</strong> mit vielen Änderungen<br />

sowohl im Bühnenbild als auch in den Texten und<br />

der Musik, die neu von dem Tschechischen National<br />

Symphony Orchester eingespielt wurde. So wurden<br />

einige Lieder, wie zum Beispiel ›Rom‹, ›Wechselbalg‹,<br />

›Marktplatz von St. Denis‹ und ›Caesarin von Rom‹ gekürzt.<br />

Viele der Choreographien von Julia Poulet wurden<br />

ebenfalls verändert.<br />

Insgesamt wirkt das Bühnenbild ein bisschen düsterer,<br />

der damaligen Zeit angepasst. Auch wurden einige<br />

Szenen umgestellt, wodurch der erste Akt etwas länger<br />

geworden ist und im Kloster Fulda mit einer neu hinzu<br />

gekommenen Szene endet. Diese Szene ist besonders beeindruckend,<br />

aber auch erschreckend. Denn Abt Ratgar<br />

lässt die Bücher, die Johanna kopiert hat, verbrennen<br />

und Prior Rabanus, der die Schuld dafür auf sich genommen<br />

hat, auspeitschen. Diese Szene, mit viel Feuer<br />

28<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

auf der Bühne, macht deutlich, wie Furcht und Gewalt<br />

dieses Jahrhundert dominieren.<br />

Ein bisschen lustiger beginnt der zweite Teil mit<br />

›Rom‹ und einer singenden Säule, die protestiert, als<br />

man sie aus dem Bild schiebt. Eine weitere beeindruckende<br />

Projektion findet sich in der Szene ›Traum ohne<br />

Anfang und Ende‹, die ein Schlachtfeld darstellt. Die rollbaren<br />

Projektionsleinwände, die hier zum Einsatz kommen,<br />

sind eine Eigenentwicklung von Spotlight <strong>Musical</strong>s.<br />

Optisch deutlich verändert sind die beiden Raben<br />

Hugin und Munin, Götterboten und Beschützer von<br />

Johanna. Ihre Flügel haben einiges an Spannweite zugelegt.<br />

Trotz ihres dunklen, bedrohlichen Aussehens<br />

spielen sie mit Johanna und sind ihre Beschützer. Damit<br />

gewinnt der ›Rabenzauber‹, den Johanna von ihrer heidnischen<br />

Mutter gelernt hat, an neuer Bedeutung. Die<br />

Raben beschützen Johanna immer, wenn Gefahr droht,<br />

sei es durch den gewalttätigen Vater, beim Überfall der<br />

Normannen usw. Und als Johanna schließlich stirbt,<br />

sterben auch sie.<br />

Die eindrucksvolle Wirkung der »neuen« Päpstin<br />

liegt nicht zuletzt auch an den Darstellern, die sowohl<br />

stimmlich als auch schauspielerisch mitreißend spielen.<br />

Allen voran Sabrina Weckerlin, die die Rolle der Päpstin<br />

schon bei der Uraufführung am 3. Juni 2011 verkörperte.<br />

Sabrina Weckerlin ist, genau wie das ganze Stück,<br />

gereift und in die Rolle hineingewachsen. Sie berührt die<br />

Herzen mit ihrem Spiel und ist stimmlich absolut umwerfend.<br />

An ihrer Seite als Gerold ist Publikumsliebling<br />

Mark Seibert. Insgesamt überzeugend, bildet das Duett<br />

›Wehrlos‹ mit Sabrina Weckerlin ein absolutes Highlight.<br />

In der Rolle des Aeskulapius steht Reinhard Brussmann<br />

(auch Ibn Sina in »Der Medicus« und 2019 Titelrolle<br />

in »Bonifatius«) auf der Bühne. Sein schöner Bariton<br />

und seine Bühnenpräsenz sind ein wahrer Ruhepol auf<br />

der Bühne.<br />

Als »Parasiten der Macht« ist neben Christian Schöne<br />

als sehr überzeugender Anastasius auch Daniele Nonnis<br />

als Arsenius zu sehen. Daniele Nonnis steht zum ersten<br />

Mal in Fulda auf der Bühne und dies gleich noch in<br />

einer weiteren, neu geschaffenen Rolle, dem unerbittlichen<br />

Abt Ratgar.<br />

Auch Anke Fiedler als Mutter Gudrun und Marioza<br />

(die Caesarin von Rom) ist zum ersten Mal in Fulda zu<br />

sehen. Sie ist für die kleine Johanna, gespielt von Alicia<br />

Hohmann, und Johannes (Joshua Pfahls) eine wundervoll<br />

einfühlsame Mutter. Gerade die beiden Kinder sind in<br />

ihrer Rolle wirklich großartig. Denn insbesondere die Rolle<br />

der kleinen Johanna hat schwierige Texte und Szenen.<br />

Besonders im Zusammenspiel mit dem herrischen<br />

Vater, gespielt von Sebastian Lohse, gibt es auch durchaus<br />

gewalttätige Szenen, die für ein Kind sicher nicht<br />

ganz einfach zu spielen sind.<br />

Besonders erwähnenswert ist auch Lutz Standop, der<br />

zum »Stammpersonal« in Fulda gehört, in der Rolle des<br />

Priors Rabanus. Die Figur wurde verjüngt und besitzt<br />

nicht mehr die Macht, Johanna vor der Gefahr, die ihr<br />

im Kloster durch die falsche Identität droht, zu behüten.<br />

Sein Lied ›Hinter hohen Klostermauern‹ berührt,<br />

auch wenn sich viele an Dietmar Ziegler erinnern werden,<br />

der leider nicht mehr unter uns weilt. Insgesamt<br />

umfasst das Ensemble noch weitere <strong>18</strong> Personen und ist<br />

damit wirklich keine kleine Produktion.<br />

»Die Päpstin« 20<strong>18</strong> ist jung und frisch wie bei der<br />

Erstaufführung vor 7 Jahren. Man darf den Machern<br />

von Spotlight <strong>Musical</strong>s, Dennis Martin und Peter<br />

Scholz, nur zu dieser großartigen Neuinszenierung<br />

gratulieren. Auch das Premierenpublikum am 15. Juni<br />

20<strong>18</strong> bewies mit tosendem Applaus und Standing Ovations<br />

seine Begeisterung.<br />

Ingrid Kernbach<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Gerold (Mark Seibert) erklärt Johanna<br />

(Sabrina Weckerlin) in ›Wehrlos‹<br />

seine Liebe<br />

2. Immer an Johannas (Sabrina Weckerlin)<br />

Seite: Aeskulapius (Reinhard<br />

Brussmann)<br />

3. »Parasiten der Macht«: Anastasius<br />

(Christian Schöne) und Arsenius (Daniele<br />

Nonnis, r.)<br />

4. Johannas Mutter Gudrun (Anke Fiedler)<br />

erzählt dem wissbegierigen Mädchen<br />

(Alicia Hohmann) die Geschichte vom<br />

Rabenzauber<br />

Fotos (4): Christian Tech<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

29


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Feuerwerk mit Humor und Herzblut<br />

»Natürlich Blond« zum 25-jährigen Jubiläum der <strong>Musical</strong> Inc. im P1 in Mainz<br />

Natürlich Blond<br />

Laurence O'Keefe / Nell Benjamin /<br />

Heather Hach<br />

Deutsch von Heiko Wohlgemuth, Kevin<br />

Schroeder & Ruth Deny<br />

<strong>Musical</strong> Inc.<br />

Theater im P1 Mainz<br />

Premiere: 24. Mai 20<strong>18</strong><br />

Regie ......... Marie Friedl, Florian Pfaff,<br />

Dr. Steffen Storck<br />

Musik. Leitung ............ Nicolai Benner<br />

Choreographie ..... Felix Cambeis, Sina<br />

Eckardt, Jessica Gleisberg, Isabelle<br />

Jegotka, Miriam Kremser, Kathrin<br />

Mertes, Scarlett Saurat, Anna Schlie<br />

Ausstattung ...................... Florian Pfaff<br />

Elle Woods ..... Laura Heinz / Laura Saxler<br />

Emmett Forrest ....... Vinzent Grimmel /<br />

Jonathan Peters<br />

Warner Huntington III........Levent Sen /<br />

Johannes Lotz<br />

Vivienne Kensington .... Natascha Hahn /<br />

Tahira Schäfer<br />

Paulette Bonafonte ....... Miriam Kluth /<br />

Marie Friedl<br />

Prof. Callahan ............. Holger Reuter /<br />

Laurin Hess<br />

Kyle ...... Magnus Neuwirth / Torsten Eder<br />

Margot ...... Clara Eckert / Franziska Heger<br />

Serena ............ Jana Heß / Linda Malm<br />

Pilar ............ Jessica Jopp / Alina Berger<br />

Kate ................................. Katrin Bürck<br />

Brooke Wyndham ................................<br />

Jessica Gleisberg / Scarlett Saurat<br />

Enid Hoopes ................. Eva Friedrich /<br />

Svenja Drewitz<br />

Aaron Schultz .................. Jens Emmert<br />

Carlo ........................ Johannes Franken<br />

Sundeep Padamadan ............................<br />

Benjamin Fazlagic / Marlon Schneider<br />

Nico ...................... Johannes Franken /<br />

Hendrik von Hülst<br />

Richterin ................ Katharina Schäfer /<br />

Clara Vogel<br />

Dewey .................... Konstantin Hahn /<br />

Niklas Schliesmeier<br />

Elles Mutter ................. Isabelle Jegotka<br />

Reporterin ......................... Sarah Guth<br />

Wärter(in) .... Carla Kipke / Felix Cambeis<br />

Verkäuferin......................... Lisa Platz /<br />

Rebecca Richter<br />

Elle (Laura Heinz, Mitte) hat Prof. Callahan (Holger Reuter, vorne 2.v.l.) in die Schranken gewiesen, Warners<br />

(Levent Sen, vorne l.) Ablehnung überwunden, Vivienne (Natascha Hahn, hinten Mitte l.) für sich gewonnen und<br />

Brooke (Jessica Gleisberg, hinten Mitte) befreit<br />

Foto: Alexander Muth / Bildermuth<br />

Tut mir den Gefallen, habt einen Supertag!«, fordert<br />

eingangs Produktionsleiter Steffen Storck die<br />

Zuschauer auf. Das fällt dem Publikum im Mainzer<br />

Hörsaaltheater nicht schwer – angesichts der ideenreichen,<br />

unterhaltsamen Inszenierung und der talentierten<br />

und enorm spielfreudigen Darsteller von »Natürlich<br />

Blond«. Seit 25 Jahren bringt der Verein <strong>Musical</strong> Inc.<br />

jährlich mit rund 40 Darstellern und 20 Musikern sowie<br />

über 30 Helfern auf ehrenamtlicher Basis ein <strong>Musical</strong><br />

auf dem Campus der Johannes Gutenberg-Universität<br />

Mainz zur Aufführung.<br />

Zum Jubiläum entschied man sich für das Uni-<strong>Musical</strong><br />

von Laurence O'Keefe, Nell Benjamin (beide Musik<br />

& Liedtexte) und Heather Hach (Buch). Es erwies sich<br />

als exzellente Wahl, zumal Kevin Schroeder und Heiko<br />

Wohlgemuth (Songs) sowie Ruth Deny (Dialoge) mit<br />

reichlich Sprachwitz und zahlreichen Anspielungen auf<br />

gesellschaftliche Phänomene und Prominente passende<br />

Entsprechungen in der deutschen Sprache gefunden haben,<br />

die sowohl schrillen Ausbrüchen, hintergründigem<br />

Humor als auch Gefühlsschwankungen Rechnung tragen.<br />

Damit sorgen sie wesentlich dafür, dass Elle Woods'<br />

Porträt gegenüber der oberflächlichen Romanvorlage<br />

gewinnt.<br />

Die Malibu-Schönheit Elle wird von ihrem Angebeteten<br />

als lediglich »toll aussehende Frau« zurückgewiesen,<br />

weil er meint, es sei ›Zeit für was Ernsteres‹. Sie folgt<br />

ihm nach Harvard, um ihm zu beweisen, dass sie auch<br />

ernst sein kann. Dort nimmt man sie in ihrem pinken<br />

Outfit und Cheerleaderverhalten (herrlich der getanzte<br />

Motivationsaufsatz) allerdings nicht für voll. Während<br />

sie lernt und versucht, sich anzupassen, entdeckt nicht<br />

nur Tutor Emmett, dass mehr in ihr steckt. Dabei wehrt<br />

sie sich gegen sexuelle Übergriffe ihres Professors und<br />

verhilft als angehende Anwältin dem Recht zum Sieg.<br />

Sie gewinnt neue Freunde und erkennt, dass »sich selbst<br />

treu zu bleiben nie aus der Mode kommt«.<br />

O'Keefes und Benjamins kurzweiliger Stilmix aus<br />

Pop, Swing, Marching-Band-Sounds, Tarantella und<br />

Riverdance charakterisieren das Auftreten der – trotz<br />

aller Klischees – liebevoll gezeichneten Charaktere,<br />

ob blasierter Prinz (Benjamin Fazlagic), emanzipierte<br />

Retterin des Ökosystems (Eva Friedrich) oder irischer<br />

UPS-Bote mit Sixpack und erotischem Timbre (Magnus<br />

Neuwirth). Die Kompositionen vermitteln eine<br />

trügerische Leichtigkeit, verlangen es den Musikern<br />

unter der erfahrenen Leitung von Nicolai Benner aber<br />

ab, sich in hohem Tempo auf Stilwechsel einzustellen.<br />

Das Mainzer Choreographenteam (Felix Cambeis, Sina<br />

Eckardt, Jessica Gleisberg, Isabelle Jegotka, Miriam<br />

Kremser, Kathrin Mertes, Scarlett Saurat, Anna Schlie,<br />

Steffen Storck) inspirierten sie zu einem Feuerwerk von<br />

Tanznummern, welche die Darsteller getreu dem Motto<br />

von Aerobic-Queen Brooke Wyndham (stilecht Jessica<br />

Gleisberg): »Es ist erst dann richtig gut, wenn du<br />

nicht mehr kannst«, zu Höchstleistungen anspornen.<br />

Darunter die Springseilchoreographie (›Peitsch dich in<br />

Form‹), die choreographische Umsetzung von Emmetts<br />

Kaufhausbesuch: ›Trag es wie ein Mann‹, mit Schaufensterpuppen<br />

und die ›Knick und Pop‹-Choreographie<br />

mit »sabbernden Männern«. Deshalb musste noch mehr<br />

als sonst nach Bewegungs- und Tanztalent gecastet werden.<br />

Bewegung ist ein Kennzeichen des Stücks – die<br />

Szenen müssen flüssig ineinander laufen, damit das komödiantische<br />

Timing der Pointen nicht verpufft. Dem<br />

Regieteam Steffen Storck, Marie Friedl und Florian<br />

Pfaff (auch Ausstattung) ist auf offener Bühne sowohl<br />

ein stringenter Ablauf als auch eine klare Definition der<br />

vielfach wechselnden Spielorte gelungen. Letzterer dienen<br />

charakteristische kleine Prospekte sowie drei drehbare<br />

Bühnenelemente, die zusätzlich mittels Licht extra<br />

fokussiert werden können und sich zu einem Friseursalon,<br />

dem Eingangsbereich einer Wohnung oder einem<br />

Bad mit Dusche und Toilette öffnen. Besagtes Badezimmer<br />

dient dem Vor-Ort-Termin im Prozess gegen<br />

Brooke Wyndham: Während die Richterin (herrlich:<br />

Clara Vogel) auf der Toilette Platz nimmt, entlarvt Elle<br />

mit ihrem Wissen über Dauerwellen die wahre Täterin.<br />

30<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Zudem unterstreichen tragbare Requisiten Liedzeilen:<br />

So ist der starke, variable Mädchenchor – bestehend<br />

aus Clara Eckardt (Margot), Jana Heß (Serena), Jessica<br />

Jopp (Pilar) und Katrin Bürck (Kate) sowie Alina<br />

Berger, Franziska Heger, Linda Malm, Tahira Schäfer<br />

und Scarlett Saurat von den »Delta Nu Girls« – in der<br />

Eröffnungsnummer bei »Oh mein Gott, wie heiß!« mit<br />

Kerzen bewaffnet. In gleicher Konstellation bilden die<br />

letzteren Fünf auch den Griechischen Chor, »der bei<br />

keiner Tragödie fehlen darf« und deshalb, ganz in Weiß<br />

gekleidet, Elles Schicksal kommentiert. Passend zum<br />

Finale, das mit einem ganz besonderen Heiratsantrag<br />

endet, tragen die Harvardabsolventen rote Herzen an<br />

den »Doktorhüten«.<br />

Alle tragenden Rollen sind doppelt besetzt, in der<br />

besuchten Vorstellung wurde Elle von Laura Heinz verkörpert,<br />

die sich durch Gesangs- und Bewegungstalent<br />

auszeichnet. Bei aller komödiantischen Überzeichnung<br />

und Theatralik nimmt man ihr die Entwicklung vom<br />

naiven, oberflächlich geprägten Highschoolgirl zur starken,<br />

kämpferischen Frau ab. Zu den liebevoll gezeichneten<br />

Typen gehört auch die esoterisch angehauchte<br />

Friseurin Paulette. Miriam Kluth spielt Elles neue<br />

Freundin mit Verve in Ausdrucksstärke und Gesang.<br />

Ihre emotionale Interpretation der Sehnsuchtsballade<br />

›Irland‹ arbeitet die Geschichte des Songs schön heraus.<br />

Vinzent Grimmel steht als gutmütig strebsamer Tutor<br />

auf der Bühne. Die häufig eher blasse Rolle füllt er mit<br />

seinem warmen, hohen Bariton und einem Spiel voller<br />

Herzblut. Sein Emmett ist ein sympathischer Mann, der<br />

sich allein mit Fleiß aus dem Armenviertel hochgearbeitet<br />

hat. Doch erst durch Elles Freundschaft lernt er,<br />

auch nach außen selbstbewusst aufzutreten. Den arroganten,<br />

etwas tumben Unsympathen Warner verkörpert<br />

Levent Sen mit guter Gesangsstimme. Natascha Hahn<br />

spielt die Vivienne, Warners »was Ernsteres«. Sie spielt<br />

die Harvard-Studentin aus gutem Hause richtig schön<br />

böse, die am Ende jedoch über ihren Schatten springt,<br />

weil auch sie etwas von der ehrlichen, herzensguten Elle<br />

gelernt hat. Holger Reuter gibt dem fiesen Professor<br />

Callahan ein starkes Profil als Chauvinist und Sadist<br />

(›Blut in den Kiemen‹). Reuter gehört wie so viele zu<br />

den Wiederholungstätern in der <strong>Musical</strong> Inc. (»Curtains«),<br />

welche 1993 als Hochschulgruppe der Universität<br />

Mainz gegründet und 2008 zu einem gemeinnützigen<br />

Verein wurde. Seit 2008 kamen mit Unterstützung<br />

der Verlage »Hair«, »3 Musketiere«, »Rent«, »Pinkelstadt«,<br />

»Frühlings Erwachen«, »Side Show«, »Curtains«,<br />

»Frankenstein Junior«, »In the Heights« und zuletzt »Big<br />

Fish« vor einem begeisterten Publikum und unter wachsendem<br />

Medieninteresse auf die Bühne. Immer aufwendiger<br />

und anspruchsvoller wurden im Laufe der Jahre<br />

die Inszenierungen. Hier reiht sich die Inszenierung von<br />

»Natürlich Blond« als Entwicklungs- und Emanzipationsgeschichte<br />

mit Humor und Herz ein. Die Messlatte<br />

für die <strong>Musical</strong>produktion 2019 liegt hoch.<br />

Barbara Kern<br />

Abb. oben:<br />

Am ›Ort des Geschehens‹ thront Richterin<br />

(Clara Vogel, Mitte) mit Wärterin<br />

(Carla Kipke) auf einem Toilettensitz<br />

Abb. unten von links:<br />

1. »Oh mein Gott, wie heiß!« (vorne<br />

v.l.): Clara Eckardt (Margot), Katrin Bürck<br />

(Kate), Jessica Jopp (Pilar), Jana Heß (Serena)<br />

und die anderen »Delta Nu Girls«<br />

2. Emmett (Vinzent Grimmel, r.) findet<br />

Elle (Laura Heinz l.) zauberhaft verrückt,<br />

versucht aber trotzdem, sie mit einem<br />

›Tritt in den Hintern‹ zum Lernen zu<br />

bewegen<br />

3. ›Peitsch dich in Form‹ – Brooke<br />

Wyndham (Jessica Gleisberg) trainiert<br />

jetzt ihre Mitgefangenen<br />

4. ›Knick und Pop‹ – Paulette (Miriam<br />

Kluth, Mitte) hat es raus, die Männer<br />

(Ensemble Herren) umschwärmen sie<br />

Fotos (5): Alexander Muth / Bildermuth<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

31


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Ist deine Familie normal?<br />

»The Addams Family« Open Air in Bad Gandersheim<br />

Abb. oben:<br />

Eine Ehe voller Leidenschaft: Gomez (Lucas<br />

Baier) und Morticia Addams (Miriam Schwan)<br />

Foto: Hillebrecht / Die Fotomaus<br />

The Addams Family<br />

Andrew Lippa / Marshall Brickmann /<br />

Rick Elice<br />

Deutsch von Anja Hauptmann<br />

Gandersheimer Domfestspiele<br />

Bad Gandersheim<br />

Festspielbühne<br />

Premiere: 22. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie ............................... Achim Lenz<br />

Musik. Leitung ........ Patricia M. Martin<br />

Choreographie ........... Marc Bollmeyer<br />

Ausstattung ................... Sandra Becker<br />

Dramaturgie .............. Jennifer Traum &<br />

Prof. Hanns-Dietrich Schmidt<br />

Gomez Addams ................ Lucas Baier<br />

Morticia Addams ........ Miriam Schwan<br />

Wednesday Addams ..... Florentine Kühne<br />

Pugsley Addams .......... Stephan Luethy<br />

Grandma Addams ................ Sven Olaf<br />

Denkinger<br />

Onkel Fester .................... Fehmi Göklü<br />

Lurch ............................ Jan Kämmerer<br />

Lucas Beineke ..................... Jan Rogler<br />

Alice Beineke /<br />

Dance Captain .......... Susanna Panzner<br />

Mal Beineke ........... Guido Kleineidam<br />

Vor der tollen Kulisse am Fuße der Stiftskirche in<br />

Bad Gandersheim jähren sich die Gandersheimer<br />

Domfestspiele zum 60. Mal. Dieses Jubiläum muss gefeiert<br />

werden und das unter anderem mit dem <strong>Musical</strong><br />

»The Addams Family«. Charles Addams, amerikanischer<br />

Cartoonist, erfand in den 1930er Jahren diese skurrile,<br />

exzentrische Familie und veröffentlichte die grotesken<br />

sowie makaberen Geschichten erstmals 1983 als Zeitungscomic<br />

im »The New Yorker«. Die Charaktere sind<br />

frei seinen Angehörigen nachempfunden. Schnell wurden<br />

aus dem Comic die Fernsehserie und diverse Filme.<br />

Ein großer Erfolg folgte dann 2010 am Broadway als<br />

<strong>Musical</strong>.<br />

Wednesday, älteste Tochter der Addams, ist verliebt.<br />

Das passt der übrigen Familie aber leider gar nicht, weil<br />

Lucas, Wednesdays große Liebe, keiner von ihnen ist.<br />

Denn die Familie Addams ist nicht wie normale Familien,<br />

aber was ist schon normal? »Was für die Spinne<br />

normal ist, ist für die Fliege eine Katastrophe!« Sie lieben<br />

den Tod, die Gruft und das Lieblingsreiseziel ist die<br />

Pariser Kanalisation. Lucas' Familie, die Beinekes, sind<br />

hingegen bodenständig, kommen aus der Vorstadt, normal<br />

halt, oder nicht? Die Beinekes haben auch so ihre<br />

skurrilen Angewohnheiten. Mal Beineke, einst Rocker<br />

und sehr extrovertiert, ist zum Spießer geworden und<br />

Alice Beineke versteckt neuerdings ihre Unsicherheit<br />

hinter der Poesie und spricht nur noch in Reimen. Ob<br />

das alles gut geht?<br />

Eine großartig witzige Story mit Happy End. Diese<br />

Produktion ist liebevoll mit vielen Details produziert.<br />

Der Beginn: Sechs in weiße Lumpen gekleidete Personen<br />

torkeln auf die Bühne, scheinbar Untote, und<br />

verbeugen sich, so weit sie können. Der eine verbeugt<br />

sich mit dem Rücken zum Publikum, der andere läuft<br />

gegen das Bühnenbild. Sie verschwinden hinter einem<br />

schwarzen Vorhang, der im Eingangsportal der Stiftskirche<br />

gespannt ist. Direkt danach hört man aus derselben<br />

Richtung die Musik spielen, es ist die Band. Unter<br />

der Leitung von Patricia M. Martin klingt die Musik<br />

am ganzen Abend großartig, als würde man die CD<br />

abspielen. Auf den Punkt sind Übergänge und Einsätze<br />

getimt, und auch technisch ist die Band sehr gut ausgesteuert.<br />

Ein Genuss für die Ohren.<br />

Die Inszenierung harmonisiert sehr mit der Open-<br />

Air-Bühne. Es wird kein großes Bühnenbild eingesetzt,<br />

nur zwei drehbare Bühnenteile: von hinten die Außenwand<br />

des Addams Hauses, auf der Innenseite dann links<br />

auf der Bühne ein Folterstuhl, rechts ein Korbstuhl.<br />

Hinzu kommen Requisiten, die wichtig für die Szenerie<br />

und nicht überflüssig eingesetzt sind. So zum Beispiel<br />

ein überlanger Tisch, der für das Dinner hereingerollt<br />

wird, an dem die Abendgesellschaft Platz nimmt. Andere<br />

Requisiten werden pantomimisch dargestellt, wie<br />

die große, schwere Eingangstür, bei der Lurch sichtbar<br />

Schwierigkeiten hat, sie zu öffnen, wobei die öffnende<br />

Bewegung durch Soundeffekte noch realistischer wirkt.<br />

So »clean«, wie das Bühnenbild ist, so stellen sich auch<br />

die Darsteller dar. Und das kommt dem Stück nur zugute.<br />

Alle zeigen ohne viel Drumherum ihr Können,<br />

erwecken die Figuren zum Leben, fallen nicht aus den<br />

Rollen, lassen die Charaktere wachsen und das merkbar<br />

harmonisch miteinander. Das zeigt auch, dass nicht immer<br />

eine aufwendige Bühnentechnik nötig ist, die oft<br />

sehr von dem Stück und der Inszenierung ablenkt. Nur<br />

durch eine gute Besetzung wird eine Aufführung mitreißend.<br />

Und in dieser Inszenierung von Achim Lenz<br />

begeistert der Cast durchweg.<br />

Lucas Baier ist ein sehr charismatischer, heißblütiger<br />

32<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

und jung gebliebener Gomez Addams. Durch seinen<br />

auf den Punkt gespielten Witz wirkt sein Charakter authentisch.<br />

Das unterstützt sein durchgehend eingesetzter<br />

spanischer Akzent, den er auch beim Singen beibehält.<br />

Überraschend frischt er durch einen Wechsel in<br />

das Sächsische die Szene auf und hat die Lacher dabei<br />

auf seiner Seite. Miriam Schwan ist eine hervorragende<br />

Morticia. Mit ihrer Kühle und Ernsthaftigkeit kreiert sie<br />

eine Morticia, wie sie aus der Serie bekannt ist. Wednesday<br />

Addams wird von Florentine Kühne gespielt. Gesanglich<br />

stark, überzeugt sie in ihren Songs mit einem<br />

sicheren Belt.<br />

Sven Olaf Denkinger als Grandma ist perfekt besetzt,<br />

denn auch im Original vom Broadway wird die<br />

Grandma nämlich mit einem Mann besetzt. Dadurch<br />

bekommt die Rolle einen besonderen Witz, der bei einer<br />

weiblichen Besetzung verschwindet. Und dieser nicht zu<br />

erklärende Humor kommt sehr gut an. Schade, dass der<br />

Song der Grandma (›Let's Not Talk About Anything<br />

Else But Love – Reprise‹) in der deutschen Version des<br />

<strong>Musical</strong>s rausfällt, denn Denkinger hätte ihn bestimmt<br />

perfekt interpretiert.<br />

Jan Rogler als Lucas Beineke ist durch seine erfrischende<br />

Leidenschaft und seine mitreißende Spielfreude<br />

durchweg auf der Bühne präsent.<br />

Susanna Panzner zeigt in der Rolle der Alice Beineke<br />

einen starken Bruch von der etepeteten Hausfrau zur<br />

völlig extrovertierten, starken, temperamentvollen Frau<br />

in dem Song ›Das Warten‹.<br />

Einzig Guido Kleineidam überzeugt nicht als Mal<br />

Beineke. Bei seiner Darstellung vom bodenständigen,<br />

gradlinigen Mann zum Rocker aus alten Zeiten hat man<br />

das Gefühl, er müsste in einer Arena mit zigtausend<br />

Menschen auch bis zur letzten Reihe spielen, was ihn<br />

leider nicht authentisch und etwas drüber wirken lässt.<br />

Intendant Achim Lenz hat mit dem Aussuchen dieses<br />

<strong>Musical</strong>s einen Volltreffer gelandet und haucht mit seiner<br />

Regie den Charakteren einen wundervollen Witz ein.<br />

Leider ist diese Produktion eine gekürzte Fassung. Einige<br />

Songs fehlen und die Handlung ist etwas zusammengefasst,<br />

sodass der Abend ohne eine Pause auskommt und<br />

trotzdem nur gut zwei Stunden dauert. Das merkt man<br />

bei diesem kurzweiligen Abend aber nur daran, dass man<br />

am Schluss noch im Hellen nach Hause geht. Auch sind<br />

regionale Gags eingebaut, die für die ortsansässigen Zuschauer<br />

bestimmt lustig, für diejenigen von Außerhalb<br />

aber ein ganz klein wenig störend sind, weil man über<br />

den Witz nachdenkt und die nächsten zehn Sekunden<br />

die Handlung nicht mitbekommt. Ein Gag hätte nicht<br />

sein müssen und ist sogar unpassend. In Wednesdays<br />

Song ›Neue Wege‹ gibt es im Englischen die Textzeile<br />

»And Liberaces Greatest Hits«, die im deutschen mit<br />

»Udo Jürgens' größte Hits« übersetzt wurde. Nun wurde<br />

der große Udo Jürgens durch »Helene Fischers größte<br />

Hits« ausgetauscht und das Lied für einen kurzen Einwurf<br />

der Melodie von ›Atemlos‹ unterbrochen. Danke,<br />

nein! Die schon zu sehr allgegenwärtige Helene Fischer<br />

muss nicht auch noch in einem <strong>Musical</strong> auftauchen und<br />

den großartigen Udo Jürgens ersetzen.<br />

Zu erwähnen ist auch, dass man ganz ohne Ensemble<br />

ausgekommen ist. Dass die 10-köpfige Darstellergruppe<br />

auch das Ensemble spielt, darunter alle Ensembletänze<br />

übernommen hat, ist allen hoch anzurechnen.<br />

Denn die Tänze von Choreograph Marc Bollmeyer sind<br />

anspruchsvoll und die Kostümwechsel dazu schnell.<br />

Leider war das Zusammenspiel der Technik beim<br />

Vorstellungsbesuch noch nicht ganz ausgereift. Headset-<br />

Aussetzer sind leider nicht zu steuern, aber das knackende<br />

und rauschende Headset anzulassen, obwohl man<br />

dem Darsteller schon ein Handmikro gereicht hat, ist<br />

unprofessionell.<br />

Dies tut aber dem Abend keinen Abbruch. Im Gegenteil:<br />

Bad Gandersheim ist noch ein Geheimtipp, der<br />

unbedingt in der <strong>Musical</strong>-Open-Air-Saison berücksichtigt<br />

und besucht werden sollte.<br />

Vincent Kleen<br />

Abb. oben:<br />

Wednesday (Florentine Kühne) hat das<br />

Abendessen erlegt<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Zwei »normale« Familien unter sich<br />

(v.l.): Lucas Beineke (Jan Rogler), Mal<br />

Beineke (Guido Kleineidam), Grandma<br />

Addams (Sven Olaf Denkinger), Wednesday<br />

Addams (Florentine Kühne), Pugsley<br />

Addams (Stephan Luethy), Alice Beineke<br />

(Susanna Panzner), Onkel Fester (Fehmi<br />

Göklü)<br />

2. Morticia (Miriam Schwan), Wednesday<br />

(Florentine Kühne) und Gomez Addams<br />

(Lucas Baier) bereiten sich auf das<br />

Kennenlern-Essen mit den Beinekes vor<br />

3. Die Familie Beineke (von links): Alice<br />

(Susanna Panzner), Lucas (Jan Rogler)<br />

und Mal Beineke (Guido Kleineidam)<br />

Fotos (4): Hillebrecht / Die Fotomaus<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Der Weg zum Ruhm durch harte Arbeit<br />

»Fame« Open Air in Bad Gandersheim<br />

Fame<br />

Steve Margoshes / Jacques Levy /<br />

José Fernandez<br />

Titelsong ›Fame‹ von Dean Pitchfork &<br />

Michael Gore<br />

Deutsch von Frank Thannhäuser &<br />

Iris Schumacher<br />

Gandersheimer Domfestspiele<br />

Festspielbühne<br />

Premiere: 29. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie &<br />

Choreographie ........... Marc Bollmeyer<br />

Musik. Leitung .... Ferdinand von Seebach<br />

Ausstattung ..................... Thomas Döll<br />

Dramaturgie ...... Jennifer Traum & Prof.<br />

Hanns-Dietrich Schmidt<br />

Carmen Diaz /<br />

Dance Captain........... Julia Waldmayer<br />

Schlomo Metzenbaum .........................<br />

Hermann Bredke<br />

Nick Piazza ....................... Lucas Baier<br />

Serena Katz .................... Sarah Wilken<br />

José »Joe« Vegas .......... Daniel Wagner<br />

Tyrone Jackson ..... Dinipiri Collins Etebu<br />

Mabel Washington ....... Stefanie Köhm<br />

Iris Kelly ....................... Claudia Artner<br />

Grace »Lambchops« Lamb .... Selly Meier<br />

Goodman »Goody« King .... Lukas Janisch<br />

Miss Esther Sherman .... Susanna Panzner<br />

Ms Greta Bell ............. Miriam Schwan<br />

Mr Myers ........... Sven Olaf Denkinger<br />

Mr Sheinkopf ......... Guido Kleineidam<br />

Tanzensemble:<br />

Marie Armbrecht, Christina Baufeldt,<br />

Sidney Sophie Blume,<br />

Maja Brinkmann, Lelia Gödeke,<br />

Patricia Roddewig<br />

Die Aufnahmeprüfung ist bestanden (hinten v.l.): Schlomo Metzenbaum (Hermann Bredke), Goodman King<br />

(Lukas Janisch), Grace Lamb (Selly Meier), Serena Katz (Sarah Wilken), José »Joe« Vegas (Daniel Wagner); (vorne v.l.):<br />

Mabel Washington (Stefanie Köhm), Tyrone Jackson (Dinipiri Collins Etebu), Nick Piazza (Lucas Baier), Carmen Diaz<br />

(Julia Waldmayer)<br />

Foto: Hillebrecht / Die Fotomaus<br />

Zum 60. Jubiläum der Gandersheimer Domfestspiele<br />

wird nach dem Erfolg von »Saturday Night Fever«<br />

aus dem letzten Jahr wieder ein Tanzmusical aufgeführt.<br />

»Fame – Das <strong>Musical</strong>« basiert auf dem Film aus dem<br />

Jahr 1980 von Alan Parker. 1988 hatte das <strong>Musical</strong> in<br />

Miami Premiere. Außer dem Titellied ›Fame‹ war der<br />

Score komplett neu geschrieben worden. Die Charaktere<br />

blieben bestehen, die Handlung aber wurde abgeändert,<br />

um es bühnentauglicher zu machen. Bei der Bad<br />

Gandersheimer Produktion hat man das <strong>Musical</strong> etwas<br />

gekürzt, denn es wird zwei Stunden ohne Pause durchgespielt.<br />

Das tut dem Abend aber keinen Abbruch, denn<br />

man hat Spaß beim Zuschauen und dadurch ist der<br />

Abend sehr kurzweilig.<br />

An der Schule »New York City's High School of<br />

Performing Arts«, der P.A., lernen die Schüler nicht nur<br />

normale Fächer, denn neben Mathe, Englisch und Geschichte<br />

stehen Gesang, Tanz und Schauspiel auf dem<br />

Stundenplan. Nach erfolgreichem Abschluss dieser<br />

Schule ist man offiziell Künstler und nichts wünschen<br />

sich die Lernenden sehnlicher, als berühmt zu werden.<br />

Doch Klassenlehrerin Ms Sherman weiß, auch die »normalen«<br />

Fächer sind wichtig, denn nicht jeder schafft<br />

nach der Schule den Absprung zum Ruhm und nicht<br />

jeder kann seinen Lebensunterhalt mit der Kunst verdienen.<br />

Deswegen ist es für sie so wichtig, dass keiner<br />

durch die anderen Fächer fällt.<br />

So lautet nur eine kurze Zusammenfassung der<br />

Handlung, doch was die Darsteller unter der Regie von<br />

Marc Bollmeyer zum Leben erweckt haben, ist einfach<br />

großartig: klar definierte Charaktere und ein authentisches<br />

Zusammenspiel auf der Bühne. Tolle Stimmen<br />

und ein durchdachtes Bühnenbild (Ausstattung:<br />

Thomas Döll) runden den Abend ab.<br />

Der Cast harmoniert sehr gut untereinander, man<br />

hat das Gefühl, seine Mitglieder gehen wirklich auf eine<br />

Schule und leben drei Jahre zusammen. Die Entwicklung<br />

jedes einzelnen Charakters ist zu erkennen, auch<br />

wenn sich die Kostüme nicht groß ändern. Sie wachsen<br />

dennoch und entwickeln sich zu den Absolventen einer<br />

künstlerischen Schule. Am liebsten würde man ihnen<br />

noch weiter folgen, sehen, was aus ihnen wird, ob sie alle<br />

einen Job im Business bekommen.<br />

Was die Inszenierung sehr harmonisiert, sind die<br />

sehr gut eingesetzten szenischen Überschneidungen.<br />

Es ist nicht das Typische: eine Szene wird gespielt und<br />

wenn sie zu Ende ist, gehen alle ab und die nächste Szene<br />

beginnt. Während die eine Szene läuft, passiert im<br />

Hintergrund schon der Aufbau der nächsten. Und mit<br />

Aufbau ist nicht der Aufbau eines nächsten Bühnenbil-<br />

34<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

des gemeint, sondern das schauspielerische Vorbereiten<br />

der nächsten Szene. So wie zum Beispiel in der Szene,<br />

in der Serena und Nick zusammen für eine Aufgabe im<br />

Schauspielunterricht proben und sich daraus ein Song<br />

entwickelt, währenddessen man Schlomo auf einer oberen<br />

Ebene mit seiner Violine hantieren sieht. Er schreibt<br />

einen Song für einen Wettbewerb und spielt dann seine<br />

Melodie zu dem Song, den Serena und Nick im Vordergrund<br />

singen. Danach wechselt die Szene, die beiden<br />

gehen ab, Schlomo kommt in den Vordergrund und es<br />

geht direkt weiter. So entstehen keine unangenehmen<br />

Pausen, auch keine Umbaupausen, denn das festinstallierte<br />

Bühnenbild wird nur durch bewegliche Requisiten<br />

verändert. Fest auf der Bühne verankert ist auf der<br />

linken Bühnenseite ein Podest, in das ein Klavier integriert<br />

ist, welches auch live benutzt wird, und auf der<br />

rechten Bühnenseite sieht man die Schulspinde, welche<br />

aber auch durch eine Treppe begehbar gemacht werden.<br />

So entsteht eine obere Ebene, die bespielt werden kann.<br />

Die Spinde sind mit einem Graffiti übermalt, das in Neon-<br />

Farben ein typisches Kassettenradio aus den 80ern zeigt.<br />

Die Band ist sichtbar in der hinteren Mitte in das Eingangsportal<br />

der Stiftskirche integriert.<br />

Endlich kann ein Darsteller, der auf der Bühne einen<br />

Musiker spielt, sein Instrument auch selbst live spielen.<br />

Hermann Bredke, der den Schlomo darstellt, beherrscht<br />

das Klavier- und Violinenspiel und macht seinen Charakter<br />

dadurch noch echter. Auch Selly Meier als Grace Lamb<br />

vermag es, ihr Schlagzeug und Lukas Janisch als Goodman<br />

King seine Trompete live zu spielen. Sie überzeugen dadurch<br />

voll und ganz als Schulband und rocken die Bühne.<br />

Weiter hervorzuheben ist die Spielfreude, die von<br />

dem kompletten Cast an den Tag gelegt wird. Besonders<br />

Daniel Wagner als José Vegas hat durch sein offenes<br />

Spiel und seine perfekt getimte Komik viele Lacher auf<br />

seiner Seite. Gesanglich überzeugt er durch seine überraschend<br />

sicheren Höhen. Ebenfalls gesanglich beeindrucken<br />

können Lucas Baier als Nick Piazza und Susanna<br />

Panzner als Ms Sherman. Wer aus dem Tanzfach<br />

kommt, hat einzig die Ballett-Tanztechnik von Claudia<br />

Artner als Iris Kelly etwas zu bemängeln. Daneben ist<br />

ihre Tanztechnik bei allen anderen Choreographien,<br />

wie im Salsa, sehr gut, und sie sticht in dieser Hinsicht<br />

auch aus der Menge hervor. Das Gleiche gilt für Stefanie<br />

Köhm als Mabel, die Szenenapplaus bekommt und ihn<br />

auch verdient, denn ihre Darstellung der etwas dicklichen<br />

und immer hungrigen Mabel ist großartig. Durch<br />

ihre Mimik, Gestik und gesangliches Können macht<br />

sie ihre Szene und ihren Song ›Mabels Gebet‹ zu einem<br />

Höhepunkt.<br />

Neben der Regie hat Marc Bollmeyer auch die mitreißenden<br />

Choreographien kreiert. Typisch 80er, passend<br />

zur Zeit, anspruchsvoll, aber trotzdem nach Leichtigkeit<br />

aussehend, setzt der Cast die Tanzschritte um.<br />

Wenn man nun auf hohem Niveau meckern möchte,<br />

hätten sich die Tanzschritte bei Solotänzen noch differenzierter<br />

und individueller, jedem einzelnen Charakter<br />

typischer, abheben können. Doch bei solch einer Energie<br />

und Spaß, mit denen getanzt wird, ist es eine Freude,<br />

den Tänzern zuzusehen. Daher ist es überflüssig, dem<br />

Cast zusätzlich ein kleines Tanzensemble von sechs Tänzerinnen<br />

als Unterstützung zu geben. Klar sehen Ensemblechoreographien<br />

voller und nach Mehr aus, doch<br />

das muss bei dieser Produktion gar nicht sein, vor allem<br />

nicht, wenn das Tanzensemble eher durch seine nicht<br />

vorhandene Ausstrahlung auffällt und tänzerisch nicht<br />

an den übrigen Cast anschließen kann.<br />

Auch die Band unter der Leitung von Ferdinand von<br />

Seebach spielt mit Freude die verschiedenen Musikstile,<br />

die in diesem <strong>Musical</strong> verarbeitet sind, und klingt dabei<br />

sehr harmonisch.<br />

Leider hatte die Technik in der besuchten Vorstellung<br />

so ihre Tücken, doch der Headset-Ausfall wurde<br />

professionell schnell mit der Ersetzung durch ein Handmikro<br />

überspielt. Vielleicht hätten alle Darsteller mit<br />

Handmikro spielen sollen, da der Klang hier deutlich<br />

besser war als mit den nach Telefonstimme klingenden<br />

Headsets – doch auch das ist eher die Suche nach der<br />

berühmten Stecknadel im Heuhaufen.<br />

Zusammenfassend lohnt sich bei dieser tollen Produktion<br />

und Besetzung der Besuch bei den Gandersheimer<br />

Domfestspielen sehr.<br />

Vincent Kleen<br />

Abb. oben:<br />

1. Der talentierte Tänzer Tyrone Jackson<br />

(Dinipiri Collins Etebu) leidet an Dyslexie<br />

und gerät deswegen mit der strengen<br />

Miss Sherman (Susanna Panzner), die<br />

auch Wert auf akademische Leistungen<br />

legt, in Konflikt<br />

2. Mabel Washington (Stefanie Köhm)<br />

hat ständig mit Gewichtsproblemen zu<br />

kämpfen<br />

Fotos (2): Hillebrecht / Die Fotomaus<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Zwischen Tyrone Jackson (Dinipiri<br />

Collins Etebu) und Iris Kelly (Claudia<br />

Artner) entsteht ein Streit<br />

2. Carmen Diaz (Julia Waldmayer) sieht<br />

sich schon als großen Star in Hollywood<br />

Fotos (2): Hillebrecht / Die Fotomaus<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Auf dem Weg zum Ruhm?<br />

»Fame« im Hamburger F1rst Stage Theater der Stage School<br />

Abb. oben:<br />

Schaffen die angehenden Künstler<br />

(Michaela Thurner, Antonia Wortberg,<br />

Niklas Heinrichs, Fynn Duer-Koch<br />

[oben], Marius Bingel, Inga Clauß) die<br />

Aufnahmeprüfung für die Schule?<br />

Foto: Dennis Mundkowski<br />

Fame<br />

Steve Margoshes / Jacques Levy /<br />

José Fernandez<br />

Titelsong ›Fame‹ von Dean Pitchfork &<br />

Michael Gore<br />

Deutsch von Frank Thannhäuser &<br />

Iris Schumacher<br />

Stage School Hamburg<br />

F1rst Stage Theater Hamburg<br />

Premiere: <strong>18</strong>. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie .................................. Felix Löwy<br />

Musik. Leitung ................ Felix Löwy &<br />

James Mironchik<br />

Choreographie ............... Phil Kempster<br />

Bühnenbild .................... Felix Löwy &<br />

Toby Mancinella<br />

Kostüme ................ Lauren Slater-Klein<br />

Lichtdesign ................ Felx Wienbürger<br />

Sounddesign .......... Peppe Anderson &<br />

Toby Mancinella<br />

Serena Katz .............. Michaela Thurner<br />

Nick Piazza ............... Fynn Duer-Koch<br />

Carmen Diaz .......... Antonia Wortberg<br />

Joe Vegas ....................... Marius Bingel<br />

Tyrone Jackson .............. Robin Apostel<br />

Iris Kelly .................... Melanie Hügner<br />

Mabel Washington ............. Inga Clauß<br />

Schlomo Metzenbaum.... Niklas Heinrichs<br />

Grace Lamb ...................... Helen Hefti<br />

Goodman King ............ Max Herlitzius<br />

Mr Sheinkopf ..................... Tim Knieps<br />

Ms Sherman ..................... Sophie Alter<br />

Mr Myers.......................Simon Dubach<br />

Ms Bell ............................... Anna Vogt<br />

In weiteren Rollen:<br />

Felicitas Bauer (Dance Captain),<br />

Romina Czaja, Victoria Dias Santos,<br />

Giulia Haas, Melanie Haberlander,<br />

Lara Kilian, Juri Menke, Sarah Merten,<br />

Lilith Myska, Antonia Rinkel,<br />

Tina Rosensprung<br />

Remember my name: Erinnere Dich an meinen Namen!<br />

Das hofft wohl jeder angehende Künstler.<br />

Nun haben die Absolventen des diesjährigen Jahrgangs<br />

zusammen mit einigen aktuellen Studenten der Stage<br />

School Hamburg diese Aufgabe als Abschlussprojekt<br />

bekommen. Sie führen im schuleigenen Theater, dem<br />

F1rst Stage, das <strong>Musical</strong> »Fame« auf. Direkt nach den<br />

Abschluss- und Zwischenprüfungen ging es für die angehenden<br />

<strong>Musical</strong>darsteller auf die Bühne und das – wie<br />

im echten Darstellerleben – für eine Spielzeit von 8 Wochen:<br />

jeden Tag eine Show, am Wochenende auch schon<br />

mal zwei pro Tag. Nicht anders wird das tägliche Leben<br />

in diesem Job aussehen. Das heißt, wenn man einen Job<br />

hat. Denn das ist nicht unbedingt der Normalfall. Man<br />

muss sich durchsetzen können und Eindruck hinterlassen.<br />

Das haben zwar alle Schüler schon bei der Aufnahmeprüfung<br />

machen müssen, doch sich im Business<br />

durchzusetzen ist dann nochmal eine ganz andere Sache.<br />

Es gibt ein Überangebot an <strong>Musical</strong>darstellern und das<br />

auf der ganzen Welt. Doch das Business boomt. Immer<br />

mehr Angebote werden auf den Markt geschwemmt, zu<br />

jedem Thema muss ein neues <strong>Musical</strong> geschrieben werden,<br />

jeder möchte <strong>Musical</strong> machen und darunter leidet<br />

die Qualität zunehmend. Doch sehr hoch anzurechnen<br />

ist der Stage School, dass sie ihre Studenten auf diese<br />

Art auf den Berufsalltag vorbereitet. Auf solch professionellem<br />

Niveau macht dies keine andere <strong>Musical</strong>schule<br />

in Deutschland, ob privat oder staatlich. 1985 gegründet,<br />

ist die Stage School damit die erste Berufsfachschule<br />

für »performing arts« in Deutschland gewesen und<br />

kann sich berühmter Absolventen wie Elisabeth Hübert,<br />

Thomas Borchert oder Ralf Bauer rühmen. Nach dieser<br />

langen Zeit hat man sich nun den Traum vom eigenen<br />

Theater, dem F1rst Stage, erfüllt.<br />

Doch zurück zur Produktion: Die <strong>Musical</strong>fassung<br />

basiert auf dem gleichnamigen Film aus dem Jahre<br />

1980 und hat außer dem Titel und der Bezeichnung der<br />

Charaktere nur noch wenig mit der Vorlage zu tun. Die<br />

Musik wurde bis auf den Titelsong ›Fame‹ komplett neu<br />

geschrieben, der Erzählstrang neu angelegt. Der grobe<br />

Handlungsverlauf ist erhalten geblieben: Schüler auf einer<br />

Schule für Bühnenkünste in New York City. Die bekannten<br />

Charaktere wie Serena Katz, die Schüchterne,<br />

Carmen Diaz, die Draufgängerin, oder Tyrone Jackson,<br />

der Hip-Hopper, erzählen wie alle anderen Charaktere<br />

ihre Geschichte. Ähnlich wie bei »Cats« hat so jeder<br />

Charakter seine Szene und seinen Song. Gleich sind nur<br />

die drei Jahre Schulzeit, von denen <strong>Musical</strong> und Film<br />

handeln.<br />

Es beginnt mit dem ersten Schultag, an dem sich<br />

die Schüler der ›New York City's High School for Performing<br />

Arts‹, die es im Übrigen wirklich in New York<br />

gibt, kennenlernen und die Schulleiterin die multikulturelle<br />

und -ethnische Gruppe ermahnt, dass es noch<br />

mehr braucht als Träume, um den Abschluss zu schaffen.<br />

Harte Arbeit, Konzentration, Fokus und keine Ablenkungen<br />

sind das einzig Wahre. Nacheinander werden<br />

nun die Geschichten der einzelnen Lernenden erzählt,<br />

beginnend mit der Ruhm-besessenen Carmen Diaz, die<br />

auch den Titelsong ›Fame‹ performt. Sie schreibt einen<br />

Songtext für die Schulband, die der Klavier-Virtuose<br />

Schlomo mit der Drummerin Grace und dem Gitarristen<br />

Goodman ins Leben gerufen hat. Carmen und<br />

Schlomo werden ein Paar, doch Carmen gerät auf die<br />

falsche Bahn und vertraut blind einem Künstler-Agenten<br />

in Hollywood, der ihr versprochen hat, sie berühmt<br />

zu machen. Drogen und Alkohol lassen sie abstürzen<br />

und die schlimme Seite der schillernden Traumwelt erleben.<br />

Nach ihrem Song im zweiten Akt, ›In L.A.‹, begeht<br />

sie Selbstmord. Schlomo ehrt seine große Liebe,<br />

indem er mit allen Absolventen am Ende des Stücks den<br />

Song performt, zu dem Carmen den Songtext geschrieben<br />

hatte.<br />

Die angehende Schauspielerin Serena verguckt sich<br />

in Nick. Der hat aber nur Augen für seine Kunst und<br />

möchte ein ernsthafter Schauspieler werden. Das stellt<br />

er klar, doch Serena schwärmt weiter für ihn und darf<br />

bei dem Klassenprojekt »Romeo und Julia« seine Julia<br />

36<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

spielen. Nick bemerkt spät, dass auch er Gefühle entwickelt<br />

hat, aber sie kommen zum Schluss doch noch<br />

zusammen. Joe, auch angehender Schauspieler, kann<br />

im Unterricht einfach nicht ernst bleiben und merkt<br />

schnell, dass nur ein Komiker aus ihm werden kann.<br />

Schon während der Schulzeit hat er diverse Auftritte<br />

in einem Stand-up-Comedy Club. Die Tänzer der<br />

Schule haben es auch alle nicht ganz leicht. Iris kommt<br />

aus ärmlichen Verhältnissen, wird aber zuerst als reich<br />

abgestempelt, weil sie jeden Morgen von einer schwarzen<br />

Limousine zur Schule gebracht wird, doch es stellt<br />

sich heraus, dass ihr Vater Chauffeur ist und sie nur auf<br />

seinem Weg zur Arbeit absetzt. Sie verliebt sich in den<br />

sehr talentierten Tänzer Tyrone, der an Dyslexie leidet.<br />

Eigentlich hat er nicht wirklich Lust, sich den Lehrern<br />

unterzuordnen, und geht auch nicht gerade zimperlich<br />

mit ihnen um. Doch durch Iris fängt er sich etwas, sie<br />

hilft ihm bei seinen Aufsätzen und dem Lesenlernen<br />

und er hilft ihr bei ihren Ballettübungen. Die angehende<br />

Tänzerin Mabel isst einfach viel zu gerne, obwohl sie<br />

sich gerade als Tänzerin beherrschen können müsste. Es<br />

gilt ein besonderes Ideal an Aussehen und Können im<br />

Tanz, sodass sie nicht mithalten kann und in die Schauspielklasse<br />

wechselt.<br />

Was aus den Charakteren nach der Schulzeit im<br />

Stück wird, wird dem Publikum nicht gezeigt. Einige<br />

werden es geschafft haben, andere wohl nicht. Wie auch<br />

im wahren Leben wissen wir nicht, was aus den Absolventen<br />

der Stage School und aller anderen <strong>Musical</strong>schulen<br />

wird. Aber sicher ist, dass alle Darsteller dieser<br />

Produktion das Zeug dazu haben, auf der Bühne zu stehen.<br />

Im gesamten Ensemble herrscht ein ausgeglichenes<br />

Können. Tänzerisch sehr stark, gesanglich solide und<br />

schauspielerisch sehr gut fundiert. Phil Kempster setzt<br />

mit seinen Choreographien ein sehr hohes tänzerisches<br />

Niveau voraus, das hervorragend umgesetzt wird. Die<br />

Choreographien passen perfekt zu den Songs wie auch<br />

zu den jeweiligen Charakteren und reißen den Zuschauer<br />

mit – mehr als in so mancher professionellen Produktion.<br />

Hierbei hervorzuheben ist Robin Apostel als<br />

Tyrone Jackson. Obwohl zu Beginn nur in Ensemble-<br />

Choreographien tanzend, lenkt er trotzdem den Blick<br />

auf sich. Durch sein tänzerisches Können und seine<br />

Ausstrahlung wird sein Song ›Tanzen auf der Straße‹ ein<br />

absolutes Highlight für Auge und Ohr. Apostel ist einer<br />

der ganz wenigen Ausnahmen, die nicht als Absolvent,<br />

sondern als Schüler des ersten Jahrgangs bei dieser Produktion<br />

dabei sein dürfen. Wenn er bereits nach einem<br />

Jahr ein so hohes Niveau hat, darf sich schon auf spätere<br />

Produktionen gefreut werden. Außerdem herauszustellen<br />

ist Michaela Thurner, die gesanglich sehr überzeugen<br />

kann. Mit ihren Songs ›Wir spielen Liebe‹ und ›Ich will<br />

sie verzaubern‹ verzaubert sie in der Tat das Publikum.<br />

Einfühlsam, zart, aber auch stark im Belt, erinnert sie<br />

eher an die Stimmen aus <strong>Musical</strong>-Produktionen im<br />

Londoner West End oder am New Yorker Broadway.<br />

Etwas zu bemängeln ist die schauspielerische Leistung.<br />

Die Charaktere haben keinen Bogen, keinen roten<br />

Faden, keine Entwicklung. Nach den drei Jahren Schulzeit<br />

im Stück ist kein Unterschied zum ersten Schultag<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Voller Vorfreude auf das Ungewisse,<br />

jetzt geht es los! ( v.l.: Marius Bingel,<br />

Michaela Thurner, Antonia Rinkel,<br />

Antonia Wortberg, Giulia Haas, Tina<br />

Rosensprung, Niklas Heinrichs)<br />

2. Tyrone Jackson (Robin Apostel, vorne<br />

mit Ensemble) kann zwar nicht lesen,<br />

dafür aber umso besser tanzen<br />

3. Mabel (Inga Clauß, Mitte mit Ensemble)<br />

kann sich nicht vom Essen fernhalten<br />

und wechselt in die Schauspielklasse<br />

4. Carmen (Antonia Wortberg, Mitte mit<br />

Ensemble) träumt von der großen Karriere<br />

in Hollywood<br />

Fotos (4): Dennis Mundkowski<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

37


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Abb. rechts:<br />

Nick Piazza (Fynn Duer-Koch) will seine<br />

Zuschauer verzaubern<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Tyrone Jackson (Robin Apostel, vorne<br />

mit Ensemble) ist ein begnadeter Tänzer<br />

2. Tyrone Jackson (Robin Apostel mit<br />

Ensemble) bei seiner Lieblingsbeschäftigung,<br />

dem Tanzen<br />

3. Auch im normalen Unterricht wird lieber<br />

getanzt als Mathe gepaukt (Ensemble)<br />

4. Geschafft! Den Abschluss in der<br />

Tasche, nun geht der Ernst des Lebens los<br />

(Ensemble)<br />

Fotos (5): Dennis Mundkowski<br />

zu sehen und zu merken. Sehr oberflächlich und ohne<br />

Tiefe »spielen« sie im wahrsten Sinne des Wortes ihren<br />

Charakter. Da kann man sich nach einer dreijährigen<br />

Hochschulausbildung mehr wünschen. Auch ist der generelle<br />

Leistungsunterschied zwischen Absolventen und<br />

Noch-Schülern nur aus dem kurzen Vorstellungstext der<br />

Darstellerinnen und Darsteller auf der Website zu entnehmen,<br />

und das spricht eher für die Noch-Schüler als<br />

für die Absolventen.<br />

Das Bühnenbild besteht aus zwei Etagen, die bespielt<br />

werden können. Oben der Band-Übungsraum, unten<br />

ein großer Raum, der als Schulcafeteria, Pausen-, Klassen-<br />

und Ballettraum genutzt wird. An der Rückwand<br />

der unteren Ebene sind die klassischen Schließfächer installiert,<br />

die man aus amerikanischen Filmen kennt. Die<br />

mittleren fünf sind nach vorne ausfahrbar und werden<br />

dadurch zur Umkleide der Mädchen umfunktioniert.<br />

Hinter den Schließfächern ist die Band positioniert, die<br />

man während der Vorstellung leider nicht sieht, weshalb<br />

man sich wegen des perfekten Klangs kurz fragt, ob<br />

die Musik aus der Konserve oder von einer Live-Band<br />

kommt. Unter der Leitung von James Mironchik am<br />

Piano spielen die insgesamt vier Musiker perfekt und<br />

auf den Punkt die Kompositionen, die eigentlich für<br />

eine neunköpfige Combo ausgelegt sind. Es fehlte dem<br />

Klang an nichts.<br />

Als Zuschauer geht man sehr gut gelaunt aus einer<br />

sehr professionell angelegten Produktion.<br />

Allen angehenden <strong>Musical</strong>darstellern wünscht der<br />

Schreiber viele Audition-Angebote. Bleibt bitte am Ball<br />

und gebt nicht auf, auch wenn das erste Engagement<br />

etwas auf sich warten lässt!<br />

Vincent Kleen<br />

38<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Vaterfreuden mit Umwegen<br />

»Der bewegte Mann« als Gastspiel in Jagsthausen<br />

Im Juli 2017 feierte »Der bewegte Mann – Das <strong>Musical</strong>«<br />

im Altonaer Theater in Hamburg Uraufführung.<br />

Die Show basiert auf dem gleichnamigen Film von Sönke<br />

Wortmann aus dem Jahr 1994, der Til Schweiger und<br />

Katja Riemann zu Stars machte. Der Film holte sich seine<br />

Inspiration bei einem Comic von Ralph König von 1987.<br />

Die Produktion gastiert nun auf der Götzenburg in Jagsthausen,<br />

wo mit einem teils neuen Ensemble erstmals Open-<br />

Air gespielt wird. Die Hamburger Inszenierung ist integral<br />

übernommen worden, unter der Regie von Harald Weiler.<br />

Leider wird die Musik von Christian Gundlach nicht<br />

live gespielt, sondern kommt vom Band. Links auf der<br />

Bühne steht eine grüne Couch vor einer grün tapezierten<br />

Wand, mit einem seitlichen Schrank. Auf der rechten<br />

Seite steht das gleiche Ensemble, nur ockerfarbig.<br />

Im Hintergrund hängen Vorhänge aus glitzernden Fäden.<br />

Größere Unterschiede zum Erzählstrang des Films<br />

gibt es im <strong>Musical</strong> keine.<br />

Als Axel (Elias Krischke) von seiner Freundin Doro<br />

(Jennifer Siemann) mit einer anderen Frau erwischt<br />

wird, fliegt er kurzerhand vor die Tür der gemeinsamen<br />

Wohnung. Er lernt bei einer Selbsthilfegruppe für Sexsüchtige<br />

den homosexuellen Norbert (Moritz Grabbe)<br />

kennen, der ihm anbietet, bei ihm zu übernachten. Erst<br />

nimmt Axel das Angebot nicht an, bis er kurz darauf<br />

bei Norbert anklopft, der sich in ihn verknallt hat. Bei<br />

Norbert lernt er dessen Freunde(innen) Waltraud (Martin<br />

Markert) und Fränzchen (Matias Lavall) kennen, die<br />

nichts gegen ein Schäferstündchen mit dem blonden<br />

Adonis hätten. Nur ist Axel ein eingeschworener Hetero<br />

und will nichts von schwulen Gedanken wissen. Doro<br />

stellt fest, dass sie schwanger ist. Ihre Freundinnen Lisa<br />

(Luisa Meloni) und Claudia (Lisa Huk) sind nicht begeistert<br />

von ihrer Idee, Axel Bescheid zu sagen. Dieser<br />

erfährt dennoch von dem freudigen Ereignis und macht<br />

Doro einen Heiratsantrag. Als jedoch Norbert Axel bei<br />

der Hochzeit innig küsst, schmeißt Doro den weißen<br />

Schleier weg. Das Paar bleibt wegen des Kindes dennoch<br />

zusammen. Aus Angst, es könnte dem Baby schaden,<br />

lehnt Axel Sex mit Doro ab. Norbert hat einen neuen<br />

Freund gefunden, Metzger (David Wehle), während<br />

Axel seiner Jugendliebe Elke (Elena Otten) begegnet. Er<br />

wird wieder schwach und Elke macht ihn in einer turbulenten<br />

Szene in Norberts Wohnung mit einem Sexstimulator<br />

an, bis Axel – nackt – auf der Couch regungslos<br />

sitzen bleibt. Doro hat Wind von Axels Ausschweifung<br />

bekommen und stürmt in Norberts trautes Heim. Sie<br />

verliert plötzlich Fruchtwasser, und Norbert fährt mit<br />

ihr ins Krankenhaus. Ein Sohn kommt zur Welt, und<br />

Axel erkennt, wie dumm er sich benommen hat. Er<br />

macht Doro einen zweiten Antrag, den sie annimmt.<br />

Elias Krischke zeigt Mut, wenn er sich als Axel nackt<br />

vor dem Publikum duscht oder im Sexrausch bewegungslos<br />

auf der Couch sitzen bleibt. Stimmlich kann er<br />

ebenfalls gefallen. Moritz Grabbe, der mit seinem vielseitigen<br />

Mienenspiel alle Gefühle zeigt, die ein verliebter<br />

»schwuler« Kerl drauf hat, überzeugt am meisten. Er<br />

wirft als Norbert irrsinnig scharfe Blicke auf Axel, die in<br />

Enttäuschung übergehen, weil dieser seine Gefühle als<br />

Hetero nicht erwidert. Im Gegensatz zu seinen Freundinnen,<br />

benimmt er sich nicht frauenhaft, sondern<br />

bleibt eher männlich, speziell als er Doro ins Krankenhaus<br />

bringt und dort für den Kindsvater gehalten wird.<br />

Ein gesanglich aparter Moment ist das Duett mit Axel<br />

›Wie du‹, wo Gefühle freigesetzt werden und Norbert<br />

und Axel sich als echte Freunde fürs Leben outen.<br />

Interessant ist auch die Darstellung von Martin Markert<br />

als Waltraud. Er ist mal frech, scharf auf Axel oder<br />

verletzlich. Gesanglich kann er mit ›Sei einfach du‹ und<br />

›Waltraud weiß Bescheid‹ überzeugen. David Wehle<br />

spielt den Macho, der sich nicht zu schade ist, im Kino<br />

ein paar Querulanten zu vermöbeln, während Matias<br />

Lavall den hyperfrivolen Homosexuellen gibt.<br />

Sind die Männer noch voller Energie, so fehlt diese<br />

zum Teil dem weiblichen Ensemble.<br />

Sicher brauchen sie nicht herumzuspringen und ihre<br />

Gesinnung zu verkünden, dennoch hätte man etwas mehr<br />

Impulse im Spiel von Jennifer Siemann, Luisa Meloni und<br />

Lisa Huk erwartet. Nur Siemann braust ein paar Mal wegen<br />

Axels Untreue und Lügen auf. Das war's dann aber.<br />

Von den Songs gefallen insbesondere ›Alles was ich<br />

will‹ und ›Ich bin ein bewegter Mann‹. Einige lustige<br />

Situationen und Witze, die man aus dem Film kennt,<br />

halten das Publikum immer noch bei Laune, ebenso ein<br />

paar Tanzeinlagen. Somit ist das <strong>Musical</strong> um einen von<br />

Vaterfreuden neu bewegten Mann sehenswert.<br />

Christian Spielmann<br />

Abb. oben von links:<br />

1. Claudia (Lisa Huk), Doro (Jennifer<br />

Siemann) und Lisa (Luisa Meloni)<br />

schauen Axel (Elias Krischke) beim<br />

(Lügen) Telefonieren zu<br />

2. Fränzchen (Matias Lavall, l.) und Waltraud<br />

(Martin Markert, r.) umschwärmen<br />

Axel (Elias Krischke)<br />

Fotos (2): Altonaer Theater<br />

Der bewegte Mann<br />

Christian Gundlach / Craig Simmons<br />

Thalia Theater Hamburg<br />

Burgfestspiele Jagsthausen<br />

Hof der Götzenburg<br />

Premiere: 29. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie ............................ Harald Weiler<br />

Musik. Leitung ...... Christian Gundlach<br />

Choreographie ............ Sven Niemeyer<br />

Ausstattung .......................... Lars Peter<br />

Axel ............................... Elias Krischke<br />

Doro ......................... Jennifer Siemann<br />

Norbert ........................ Moritz Grabbe<br />

Waltraud ..................... Martin Markert<br />

Fränzchen ...................... Matias Lavall<br />

Metzger ......................... David Wehle<br />

Lisa ................................. Luisa Meloni<br />

Claudia ................................. Lisa Huk<br />

Elke .................................. Elena Otten<br />

Günther / Pastor .......... Sven Niemeyer<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

39


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

»My Fränkische Lady«<br />

Triumph für Zodwa K. M. Selele bei den Luisenburg Festspielen<br />

Abb. oben:<br />

Die beiden Sprachforscher Pickering<br />

(William Ludwig, l.) und Higgins (Markus<br />

Pol, r.) sind Eliza (Zodwa K. M. Selele)<br />

nicht so ganz geheuer<br />

Foto: Luisenburg-Festspiele / Florian Miedl<br />

My Fair Lady<br />

Frederick Loewe / Alan Jay Lerner<br />

Deutsch von Robert Gilbert<br />

Luisenburg-Festspiele Wunsiedel<br />

Premiere: 29. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie & Choreographie ................. Tim<br />

Zimmermann<br />

Regie Dialoge ......... Peter Hohenecker<br />

Musikalische Leitung & Keyboard.........<br />

Marty Jabara<br />

Bühnenbild ............... Jörg Brombacher<br />

Kostüme ....................... Angela Schuett<br />

Lichtdesign ......................... Rolf Essers<br />

Ton ............................. Otto Geymeier<br />

Eliza Doolittle ...... Zodwa K. M. Selele<br />

Prof. Henry Higgins .......... Markus Pol<br />

Oberst Hugh Pickering ........... William<br />

Ludwig<br />

Alfred P. Doolittle ................ Jogi Kaiser<br />

Mrs Pearce .......... Carmen Wiederstein<br />

Mrs Higgins ..................... Inez Timmer<br />

Freddy Eynsford-Hill ................. Jürgen<br />

Strohschein<br />

In weiteren Rollen:<br />

Dominique Aref, Carmen Danen,<br />

Maurice Ernst, Claudio Gottschalk-<br />

Schmitt, Gerrit Hericks, Anke Kastner,<br />

Emma Kumlien, Ewa Zyta Pankowska,<br />

Uschi Reifenberger, Nadin Reiness,<br />

Anouk Roolker (Dance Captain), Beate<br />

Roth, Philipp Rudig, David Schroeder,<br />

Bettina Schuster, C.C. Weinberger, Lisa<br />

Wilhelm, Julius Williams III., Wolfgang<br />

Zarnack, David Zieglmaier<br />

Wo bleibt die Sprache, die die Menschen näherbringt?«<br />

Diese Frage, mit der sich Phonetikprofessor<br />

Henry Higgins im Stück selbst vorstellt, könnte<br />

einem auch heutzutage wohl hin und wieder mal durch<br />

den Kopf schießen. In einer Ära, in der 140 online verbreitete<br />

Zeichen bereits genügen, um internationale Krisen<br />

und Proteste auszulösen, und Orthographie nicht unbedingt<br />

zu den Social-Media-Tugenden zählt. Als Alan<br />

Jay Lerner und Frederick Loewe einst »My Fair Lady« in<br />

New York auf die Bühne brachten, lag das freilich noch<br />

alles in sehr weiter Ferne. Seltsam war dieser Higgins<br />

aber wohl auch damals schon. Ein Nerd, der zwar anhand<br />

des Dialekts die Biografie eines jeden Menschen<br />

entschlüsseln kann, aber gleichzeitig unfähig ist, echte<br />

Beziehungen zu anderen zu knüpfen. Mitleid mit ihm<br />

zu haben fällt einem trotzdem nicht leicht, angesichts<br />

der menschen- und vor allem frauenverachtenden Sätze,<br />

die ihm in schöner Regelmäßigkeit über die Lippen<br />

kommen. Und so ist es vielleicht tatsächlich einfacher,<br />

als Regisseur die ganze Geschichte brav in einer Epoche<br />

zu belassen, in welcher der Hashtag »#MeToo« noch<br />

nicht die Runde machte.<br />

Natürlich ist und bleibt »My Fair Lady« einfach ein<br />

Klassiker. Mit unvergänglichen Melodien, die selbst<br />

nichtmusicalaffine Menschen sofort im Ohr haben.<br />

Doch so wie bei den Festspielen auf der Luisenburg<br />

dürfte man diese bisher noch nicht allzu oft gehört haben.<br />

Erklingt hier doch eine neue, auf Robert Gilberts<br />

deutscher Übersetzung basierende fränkische Textfassung,<br />

in der harte Konsonanten Mangelware und gerollte<br />

Rs im Überfluss zu finden sind. Was nicht nur beim<br />

einheimischen Publikum für gute Laune sorgt.<br />

Leicht zu übersetzen war das Stück noch nie, mit<br />

all seinen sprachlichen Nuancen, die sich nicht immer<br />

verlustfrei eins zu eins in ein anderes Idiom übertragen<br />

lassen. Und nicht zuletzt muss dann ja auch noch ein<br />

Ensemble gefunden werden, welches dieser Feinheiten<br />

mächtig ist. Doch in der Hinsicht hat man in Wunsiedel<br />

ein wahrhaft glückliches Händchen bewiesen. Dass<br />

die Inszenierung von Tim Zimmermann und Peter<br />

Hohenecker so hervorragend aufgeht, ist vor allem der<br />

Verdienst einer Frau, Zodwa K. M. Selele. Ihre Eliza hat<br />

Charme im Überfluss und kommt im fränkischen Zungenschlag<br />

zu jeder Sekunde so authentisch daher, wie<br />

man es sich nur wünschen kann. Da wirkt nichts aufgesetzt,<br />

nichts auf kalkulierte Lacher hin gespielt, sondern<br />

immer ehrlich empfunden – egal, wie deftig mancher<br />

Spruch des Blumenmädchens vielleicht daherkommen<br />

mag.<br />

Dass Eliza auch hier am Ende zu Higgins zurückkehrt,<br />

anstatt ihm wie in der Shaw-Vorlage endlich den<br />

Laufpass zu geben, mag auf den ersten Blick ein wenig<br />

rückwärtsgewandt erscheinen, wird durch das starke<br />

Auftreten von Zodwa K. M. Selele jedoch deutlich abgemildert.<br />

Präsentiert sie sich in den vorangegangenen<br />

Wortgefechten doch durchweg als selbstbewusste junge<br />

Frau, die schon vor der Begegnung mit Higgins auf eigenen<br />

Beinen stehen konnte. »Ich habe Blumen verkauft,<br />

nicht mich selbst!« Das wird hier zum Schlüsselsatz, der<br />

bei Seleles vielschichtigem Rollenportrait von Anfang<br />

an unterschwellig zu spüren ist. Womöglich auch, weil<br />

sie vom Stimmtypus her nicht unbedingt die klassische<br />

Soubrette ist, die man in mancher Stadttheater-Produktion<br />

als Eliza finden würde. Mit den Ausflügen in die<br />

Sopranlage hat sie dennoch keine Schwierigkeiten und<br />

macht sich die Songs virtuos zu eigen. Unterstützt von<br />

40<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

einer siebenköpfigen Band, die es in der großen Ballszene<br />

zwar notgedrungen an schwelgerischem Geigenschmalz<br />

fehlen lässt, wurde das Stück mit jazzig angehauchten<br />

Arrangements aber gleichzeitig aus der sonst<br />

oft zu hörenden Operettenseligkeit befreit.<br />

Wie wahrscheinlich schon zu ahnen ist, haben es die<br />

anderen Darsteller neben einer derart den Fokus auf sich<br />

ziehenden Titelheldin alles andere als leicht, sich zu behaupten.<br />

Doch auch Jogi Kaiser darf als verschmitzter<br />

Doolittle so manchen Lacher kassieren und seinen eigenen<br />

Dialekt durchklingen lassen. Immerhin hat Elizas<br />

trinkfester Vater ja auch walisische Wurzeln. Mit ihm ist<br />

die Elterngeneration ebenso stark vertreten wie in Gestalt<br />

von Inez Timmer, die als resolute Mrs Higgins zwar<br />

nicht viel Zeit auf der Bühne verbringt, diese jedoch<br />

immer gewinnbringend nutzt, um mit genau gesetzten<br />

Pointen und einer unnachahmlichen Mimik zu punkten.<br />

Abgesehen von Eliza ist sie die einzige, die es zumindest<br />

halbwegs schafft, den von sich selbst so unendlich<br />

überzeugten Junior hin und wieder in seine Schranken<br />

zu verweisen. Wobei Markus Pol zum Glück nicht in die<br />

Falle tappt, den taktlosen verbalen Entgleisungen seiner<br />

Figur noch einen draufsetzen zu wollen und ihn damit<br />

endgültig zum Fiesling abzustempeln. Pol geht den Higgins<br />

eher unterkühlt, aber auch auf eine angenehm neutrale<br />

Art an und überlässt das Werten dem Publikum. So<br />

kann jeder für sich selbst entscheiden, ob Henrys Ausrede,<br />

dass er die Menschen zwar immer schroff, aber<br />

zumindest alle Menschen gleich schroff behandelt, für<br />

gültig befunden wird. Oder ob man sich als Mann nicht<br />

doch lieber den gutmütigen Oberst Pickering zum Vorbild<br />

nimmt, der auch ein Blumenmädchen stets wie eine<br />

Lady behandelt. William Ludwig gibt Higgins' Kollegen<br />

mit einer sympathischen Kauzigkeit und zieht als Bonus<br />

eine herrliche Grimasse, als Elizas Dialekt mit »haßem<br />

Dee« und »grienem Bisdazienkuchen« sich auf einmal<br />

auch in seinen eigenen, sonst so gepflegten und wohl<br />

artikulierten Wortschatz einschleicht. Im Gegensatz zu<br />

ihm darf Jürgen Strohschein als Freddy rollenbedingt<br />

nur selten über das Klischee hinaus, bedient dieses jedoch<br />

mit sichtlicher Freude und stattet Elizas feschen,<br />

aber nutzlosen Verehrer mit jeder Menge tenoralem<br />

Schmelz aus, wenn er auf den Spuren von Gene Kelly<br />

im Schein einer Straßenlaterne über die Bühne wirbelt.<br />

Ein wenig härter ins Gericht gehen muss man da leider<br />

mit der Tontechnik, die eine ganze Weile braucht,<br />

um sich richtig einzupendeln, worunter die Textverständlichkeit<br />

zu Beginn etwas leidet. Was gerade bei einem<br />

Stück wie diesem, bei dem jede sprachliche Nuance<br />

zählt, schade ist, dem Spaß des Publikums aber letztlich<br />

keinen allzu großen Abbruch tut. Gelingt es dem Regie-<br />

Duo doch – mit Ausnahme eines kleinen Durchhängers<br />

bei Doolittles Hochzeit, in der sich die Bewegungsabläufe<br />

in den Choreographien etwas zu oft wiederholen<br />

und Darsteller wie Zuschauer gleichermaßen ermüden –,<br />

das Geschehen meist zügig in Fluss zu halten und die<br />

Ebenen der eindrucksvollen Naturbühne geschickt zu<br />

nutzen. Alles in allem eine mehr als achtbare Produktion,<br />

die den Zuschauer auf einen nostalgischen Trip in<br />

die Goldene Ära des Broadway-<strong>Musical</strong>s schickt. Und<br />

mit einer großartigen Performance in der Titelrolle daran<br />

erinnert, dass die Zeit vielleicht doch langsam reif<br />

wäre, diesen Klassiker endlich einmal etwas kritischer<br />

zu hinterfragen.<br />

Tobias Hell<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Im Gegensatz zu Vater Doolittle (Jogi<br />

Kaiser) steht Eliza (Zodwa K. M. Selele)<br />

auch ohne Hilfe auf eigenen Beinen<br />

2. Doolittle (Jogi Kaiser, Mitte mit Ensemble)<br />

hat es wieder einmal geschafft, Eliza<br />

Geld für die nächste Runde abzuluchsen<br />

3. Higgins (Markus Pol) sieht »Krä-hen<br />

inn derr Nä-he«, für Eliza (Zodwa K. M.<br />

Selele) bleiben es eher »Grä in da Nee«<br />

4. Für ihre erste Bewährungsprobe führt<br />

Higgins (Markus Pol) sein Experiment Eliza<br />

(Zodwa K. M. Selele) zum Tanzen aus<br />

Fotos (4): Luisenburg-Festspiele / Florian Miedl<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Von einem fallenden Helden<br />

»Jesus Christ Superstar« Open Air auf dem Magdeburger Domplatz<br />

Abb. oben:<br />

›Ouverture‹ – Jesus von Nazareth (Tobias<br />

Bieri, Mitte) und seine Anhänger, die sich<br />

bald gegen ihn wenden<br />

Foto: Nilz Böhme<br />

Jesus Christ Superstar<br />

Andrew Lloyd Webber / Tim Rice<br />

Deutsch von Anja Hauptmann<br />

Theater Magdeburg<br />

DomplatzOpenAir<br />

Premiere: 15. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie, Kostüme &<br />

Licht ........................ Sebastian Ritschel<br />

Musik. Leitung ....... Damian Omansen<br />

Choreinstudierung ....... Martin Wagner<br />

Choreographie ................... Kati Farkas<br />

Bühnenbild ............... Rifail Ajdarpasic<br />

Dramaturgie ............................ Thomas<br />

Schmidt-Ehrenberg<br />

Jesus von Nazareth ............ Tobias Bieri<br />

Maria Magdalena .... Julia Gámez Martín<br />

Judas Ischariot .............. Timothy Roller<br />

Pontius Pilatus ......... Johannes Wollrab<br />

Kaiphas ................... Bartek Bukowski /<br />

Frank Heinrich<br />

Annas / Johannes ........ Martin Mulders<br />

König Herodes .................. Paul Kribbe<br />

Simon Zelotes ............. Jannik Harneit /<br />

Andreas Schneider<br />

Petrus ...................... Christian Miebach<br />

Jakobus ........................ Tobias Brönner<br />

Matthäus ................ Andreas Schneider<br />

Soulgirls .......... Jessica Krüger, Beatrice<br />

Reece, Eva Zamostny<br />

Drei Priester ................... Jörg Benecke,<br />

Jürgen Jacobs, Thomas Matz<br />

Frau am Feuer ............... Ulrike Bäume<br />

Mann am Feuer ......... Peter Diebschlag<br />

Alter Mann am Feuer ........ Peter Wittig<br />

Soldat ............................ Jürgen Jakobs<br />

Opernchor &<br />

Ballett Theater Magdeburg<br />

Manche Werke sind legendär und deren Komponisten,<br />

Autoren oder Regisseure werden zurecht<br />

zu Legenden. Eines dieser <strong>Musical</strong>s, die Kultstatus erreichten,<br />

ist »Jesus Christ Superstar« von Andrew Lloyd<br />

Webber mit Texten von Tim Rice. Das Stück fasziniert<br />

mit seiner genialen Mischung aus Rock, Klassik und<br />

Soul-Musik sowie einer Geschichte, wie sie jedem Menschen<br />

passieren könnte, nicht nur Heiligen. Das macht<br />

die diesjährige Produktion des Theaters Magdeburg<br />

auf dem DomplatzOpenAir zum 70. Geburtstag Lloyd<br />

Webbers mit einer eleganten und packenden Inszenierung<br />

der sich überraschend gut einfügenden deutschen<br />

Fassung von Anja Hauptmann deutlich.<br />

Unter der Regie von Sebastian Ritschel, der auch<br />

für Lichtdesign und Kostüme verantwortlich zeichnet,<br />

kommt eine lebendige, aber nachdenkliche Show auf<br />

die Bühne am Magdeburger Dom. Die Location könnte<br />

nicht passender sein, sie verleiht den Abenden auf dem<br />

Open Air besonders zu diesem Stück eine besondere Atmosphäre.<br />

Und das, obwohl es hier zwar um eine Figur<br />

aus dem religiösen Bereich, jedoch viel wichtiger: um<br />

nur allzu Menschliches geht, nämlich um Freundschaft,<br />

Verrat, um Liebe, um Menschlichkeit und eine Vision<br />

sowie deren Erfüllung. Dass sich Jesus' Stern leuchtend<br />

über den Abend der Aufführung erhebt, um dann mit<br />

seinem Fall in Ungnade zu sinken, wird durch Beleuchtung,<br />

Choreographie, Schauspiel und musikalische Umsetzung<br />

gezeigt.<br />

Zu Anfang betreten aus allen möglichen Ecken,<br />

die das Bühnenbild (Rifail Ajdarpasic) eines weitläufigen<br />

Plateaus mit seinen Treppen und kleineren Seiten-<br />

Plattformen hergibt, in Schwarz und eher locker-lässig<br />

gekleidete Anhänger von Jesus die Bühne. Sie sind<br />

ausgelassen, halten die Zuschauer auf der Tribüne zum<br />

Klatschen an. In wenigen Sekunden breitet sich in den<br />

dunklen, unheimlichen Passagen der ›Ouvertüre‹ eine<br />

schaurige Stimmung in Erwartung der kommenden<br />

Geschehnisse aus, bevor nur kurze Zeit später der auserwählte<br />

Führer Jesus von Nazareth (Tobias Bieri) begrüßt<br />

und wie ein Superstar gefeiert wird. Über dem Plateau<br />

ist in Großbuchstaben das Wort »H-E-R-O« (Held) zu<br />

lesen. Die Lettern leuchten auf und werden im zweiten<br />

Akt dadurch parodiert, dass König Herodes vor dem<br />

Publikum mit einem Wagen vorfährt, der Anhänger mit<br />

einem Pelz ausgekleidet und er selbst im roten, glitzernden<br />

Anzug. Auf dem Gefährt stehen die Buchstaben »D-<br />

E-S«, welche sich zu »Herodes« zusammenfügen lassen.<br />

Heutzutage werden auch Schauspieler oder Musiker<br />

wie Helden gefeiert, was im 2. Akt mit der Bekleidung<br />

von Jesus mit einem eleganten Smoking mit<br />

Fliege aufgegriffen wird. Doch zuerst wirkt dieser im<br />

1. Akt mit schwarzem Strickblazer, hellem Kragenhemd<br />

und schwarzer Hose düster und elegant, doch nicht<br />

zu überheblich gekleidet. Er streift dann während der<br />

Vorstellung eine Jacke mit dem Schriftzug »Hero« auf<br />

dem Rücken über und nimmt so den Ruf an, der ihm<br />

vorauseilt, bis er diesen während ›Gethsemane‹ durch<br />

Demontieren des Schildes abzulegen versucht.<br />

Vorerst ist nur einer kritisch: Judas (Timothy Roller)<br />

findet, dass der Kult um und die Pläne von Jesus<br />

überhandnehmen, und versucht, ihn, insbesondere als<br />

Freund, zu warnen. Judas steht oftmals auf einem seitlichen<br />

Plateau, um sich von den anderen zu entfernen<br />

oder seine isolierte Meinung zu zeigen. Die Geschichte<br />

beziehungsweise der Streit geht für beide nicht gut<br />

aus: Judas nimmt nach dem Verrat an Jesus im 2. Akt<br />

Abschied von der Welt. Sich dabei in seinen letzten<br />

Momenten vor dem Springbrunnen in der Mitte des<br />

Aufbaus wie ein verletztes Tier windend und mit sich<br />

ringend, erklimmt er das oberste Plateau und springt<br />

schließlich in den Tod. Für Jesus' Kreuzigung fährt ein<br />

Gerüst aus dem Boden und eine Querstange deutet das<br />

42<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Kreuz an, an die er mit Lederarmbändern festgeschnallt<br />

wird. Diese sind ihm zuvor für die ›39 Peitschenhiebe‹<br />

angelegt worden, wobei modern gekleidete Soldaten<br />

den mit nacktem Oberkörper knienden Jesus mittels<br />

langer Lederbänder von sich fern, aber festhalten und<br />

ziehen können.<br />

Der Springbrunnen in der Mitte des Plateaus, welches<br />

durch verschiedene Spielflächen immer gut gefüllt,<br />

aber trotz großen Ensembles nicht überfüllt wirkt, wird<br />

zum Treffpunkt für das letzte Abendmahl. Dieses könnte<br />

als ein eher lockeres Zusammentreffen gelten, wenn<br />

Jesus seinen Aposteln nicht von seinen Visionen erzählen<br />

und versuchen würde, ihnen die Ernsthaftigkeit des<br />

Ganzen klar zu machen. Auch wird das Wasserspiel von<br />

einem der jüdischen Priester wie Weihwasser verwendet,<br />

um sich in Sorge vor Jesus' Macht vor diesem zu schützen<br />

oder sich im Angesicht von so viel Frevel reinzuwaschen.<br />

Die Choreographien (Kati Farkas) für das Ensemble<br />

sind einfach, aber schwungvoll, und arbeiten viel mit<br />

den Händen. ›Der Tempel‹ ist auch kostümtechnisch<br />

ein Hingucker, in Abendkleidern, SM-Kleidung inklusive<br />

ausgefallenen Masken und Kopfbedeckungen peitschen<br />

sich einige Pärchen aus, anstatt Geldscheine zu<br />

schwenken, und »verkaufen« sich und ihre Lust.<br />

Paul Kribbe steigt als Herodes mit in die Tanzchoreographien<br />

während ›Herodes' Song‹ ein und ›Superstar‹<br />

ist ein weiteres Highlight, bei dem auch LED-Stangen<br />

an den beiden Gerüsttürmen rechts und links sowie<br />

hinten in der Mitte aufleuchten, sogar Flammen nach<br />

oben schießen und Tanz und Kostüme anderen bekannten<br />

Showstoppern durchaus ebenbürtig sind – sie machen<br />

genauso viel Spaß vor dem ernsten Hintergrund<br />

der überforderten Heilsbringerfigur, welcher der Prozess<br />

gemacht wird.<br />

Mit Tobias Bieri als Jesus und Timothy Roller als<br />

Judas wurden starke Darsteller in den Hauptrollen verpflichtet,<br />

die das Publikum überzeugen können. Der<br />

Schweizer Tobias Bieri singt absolut akzentfrei, mit<br />

voller Stimme, die auch durchaus gekonnt die schwierigeren<br />

Höhen der Partitur und den Zuschauer damit<br />

einzunehmen weiß. Fast schon engelsgleich in ›Hosanna‹,<br />

energischer in ›Gethsemane‹ oder innerlich gepeinigt<br />

aufschreiend in ›Der Tempel‹, zeigt er verschiedene<br />

Facetten. Er bietet schauspielerisch einen Jesus, der sein<br />

Leiden nicht zu stark zeigt, während der Gefangennahme<br />

klarsieht, dass Gott ihm aufgetragen hat, für seinen<br />

Glauben zu sterben, und selbst bei den 39 Peitschenhieben<br />

durch das gesamte Ensemble die Schmerzen erträgt<br />

und standhaft bleibt.<br />

Sein Gegenpart Judas wird von Timothy Roller<br />

verkörpert, der stimmlich nicht ganz die fast schon<br />

gewohnte Rockröhre bieten kann, aber in Gesang und<br />

Schauspiel gefällt. Auch er meistert die schwierigen<br />

Gesangspartien, sodass man aufhorcht, wenn er in den<br />

Zuschauerrängen ›Weil sie ach so heilig sind‹ singt, und<br />

Anteil nimmt an seinem Selbstmord, obwohl er seinen<br />

Freund verraten hat. Julia Gámez Martín als Maria<br />

Magdalena steht zwischen den beiden Freunden und<br />

muss sich ihre Liebe zu Jesus eingestehen. Sie singt mit<br />

Inbrunst: ›Wie soll ich ihn nur lieben‹ oder ›Lass uns<br />

neu beginnen‹.<br />

Von der weiteren Besetzung sticht insbesondere<br />

Martin Mulders als verführerisch-teuflischer Annas<br />

heraus. Alle anderen zeigen wohlgefällige Bass- und<br />

Bariton-Stimmen. Die Soulgirls in ihren Abendkleidern<br />

singen glockenklar und mit Power: ›Superstar‹. Auch der<br />

Opernchor Magdeburg soll nicht unerwähnt bleiben, er<br />

erklingt eindrucksvoll (Einstudierung: Martin Wagner).<br />

Die Magdeburgische Philharmonie liefert den perfekten<br />

Rock-Klassik-Sound für so einen stimm- und inszenierungsgewaltigen<br />

Abend (Musikalische Leitung: Damian<br />

Omansen). Im nächsten Jahr ist »Chicago« beim DomplatzOpenAir<br />

zu sehen und ein Besuch unbedenklich<br />

zu empfehlen.<br />

Rosalie Rosenbusch<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Maria Magdalena (Julia Gámez Martín)<br />

will Jesus von Nazareth (Tobias Bieri)<br />

die Stirn kühlen und ihn beruhigen<br />

2. Judas Ischariot (Timothy Roller) steht<br />

mit seiner Meinung über den Kult um<br />

Jesus und seine Taten allein<br />

3. ›Herodes' Song‹ – König Herodes (Paul<br />

Kribbe, Mitte) und Ensemble verspotten<br />

Jesus von Nazareth (Tobias Bieri, l.)<br />

4. Der verratene Jesus (Tobias Bieri,<br />

Mitte) wird gefangengenommen, später<br />

vom wütenden Mob ausgepeitscht sowie<br />

gekreuzigt<br />

Fotos (4): Nilz Böhme<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

43


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Erfrischend neu<br />

»Chicago« bei den Schlossfestspielen Ettlingen<br />

Abb. oben:<br />

›Ich und mein Baby‹ – Roxy (Maria-<br />

Danaé Bansen, Mitte) erzählt Reporterin<br />

Mary Sunshine (Anton Schweizer, Mitte l.)<br />

und Anwalt Billy Flynn (Marc Lamberty,<br />

Mitte r.), dass sie ein Baby bekommt<br />

Foto: SFS<br />

Chicago<br />

John Kander / Fred Ebb / Bob Fosse<br />

Deutsch von Erika Gesell &<br />

Helmut Baumann<br />

Schlossfestspiele Ettlingen<br />

Schlosshof<br />

Premiere: 21. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie ........................... Udo Schürmer<br />

Musikalische Leitung ..... Tobias Leppert<br />

Choreographie ............. Bart De Clercq<br />

Bühnenbild ..................... Steven Koop<br />

Kostüme ............................ Birgit Barth<br />

Roxie Hart ......... Maria-Danaé Bansen<br />

Velma Kelly ............... Dorothee Kahler<br />

Billy Flynn .................. Marc Lamberty<br />

Amos Hart ........... Adrian Kroneberger<br />

»Mama« Morton ......... Gudrun Schade<br />

Mary Sunshine ......... Anton Schweizer<br />

Möderinnen ...... Julie Hall, Eva Müller,<br />

Tina Podstawa, Isabelle Vedder, Ellen<br />

Wawrzyniak, Vanessa Wilcek<br />

In weiteren Rollen:<br />

Marco Fahrland-Jadue, Robert<br />

Lancaster, Wolfgang Schwingler,<br />

Marc Trojan, Bas Timmers<br />

Schon seit 40 Jahren gibt es in Ettlingen, dem idyllischen<br />

Städtchen nahe Karlsruhe, die Schlossfestspiele.<br />

Mit dem <strong>Musical</strong> »Chicago«, inszeniert von Udo Schürmer,<br />

startete man am 21. Juni 20<strong>18</strong> in die neue Saison.<br />

Das <strong>Musical</strong>, das in den 20er Jahren in Chicago<br />

spielt, kommt frisch und munter daher. Neben großartigen<br />

Darstellern und Choreographien ist auch das Bühnenbild<br />

vor der beeindruckenden Kulisse des Schlosses<br />

durchaus ansprechend.<br />

»Chicago« beruht auf einer wahren Begebenheit<br />

und wurde von der Reporterin Maurine Dallas Watkins<br />

1926 als Schauspiel geschrieben. 1975 schufen Fred<br />

Ebb und Bob Fosse daraus die Vorlage für das <strong>Musical</strong>,<br />

zu dem John Kander die Musik schrieb.<br />

Wer das <strong>Musical</strong> in Stuttgart gesehen hat, wird ein<br />

bisschen über die »geänderten« Texte verwundert sein,<br />

denn in Ettlingen hat man sich an der Version der<br />

deutschsprachigen Erstaufführung von Erika Gesell und<br />

Helmut Baumann orientiert, die 1998/99 erstmals in<br />

Wien gespielt wurde.<br />

»Chicago« erzählt die Geschichte von Roxy Hart<br />

(Maria-Danaé Bansen), einer wenig erfolgreichen<br />

Nachtclubsängerin, die ihren Lover Fred Casely erschießt,<br />

nachdem er ihr erklärt hat, dass er sie gar nicht<br />

liebt. Ihr Ehemann Amos (Adrian Kroneberger), den sie<br />

zunächst noch dazu überreden kann, sie zu schützen,<br />

bemerkt sehr schnell, dass sie ihn nur ausnutzt, und<br />

korrigiert seine Aussage, er habe Fred erschossen. Somit<br />

wandert Roxy ins Gefängnis.<br />

Dort lernt sie 6 weitere Mörderinnen kennen, so auch<br />

Velma Kelly (Dorothee Kahler). Velma, eine Vaudeville-<br />

Sängerin, ist der heimliche Star unter den »Damen«,<br />

denn dank »Mama« Morton (Gudrun Schade), die im<br />

Gefängnis die Aufsicht hat, und dem windigen Anwalt<br />

Billy Flynn (Marc Lamberty), der für alle Mörderinnen mit<br />

erfundenen Geschichten einen Freispruch erwirkt, schaut<br />

Velma einer großen Karriere in Freiheit entgegen.<br />

Denn im Frauenknast der damaligen Zeit ging es vor<br />

allem darum, nicht am Galgen zu enden. Und ausgerechnet<br />

die einzige unter den Damen, eine Ungarin, die<br />

außer »nicht schuldig« fast nichts sagt und während des<br />

›Zellenblocktangos‹ nicht zugibt, jemanden umgebracht<br />

zu haben, erleidet dieses Schicksal.<br />

Währenddessen hat Velma die Rechnung ohne Roxy<br />

gemacht, die schnell zum Liebling der Presse wird. Auch<br />

sie bekommt von Anwalt Billy Flynn eine rührende Geschichte<br />

verpasst, die sie als Marionette an Billys Fäden<br />

dem Gericht präsentiert.<br />

Doch auch Roxy, die sich schon als großen Showstar<br />

sieht, wird vom Geschehen überholt. Ihr Freispruch,<br />

ihre angebliche Schwangerschaft, das alles geht im Wirbel<br />

um eine neue Mörderin unter, die aus der High Society<br />

kommt und um die sich alles dreht. So müssen<br />

sich am Ende Roxy und Velma notgedrungen zusammentun,<br />

um eine neue Karriere zu starten.<br />

Udo Schürmer inszeniert »Chicago« als Jahrmarkt.<br />

Steven Koops Bühnenbild ist in drei Teile aufgeteilt,<br />

links ein Puppentheater, in der Mitte ein Clownsgesicht<br />

und rechts der Zellenblock mit Gittern auf Rollen, die<br />

von den »Mörderinnen« beim berühmten ›Zellenblocktango‹<br />

mit ihren Opfern auf der anderen Seite gekonnt<br />

verschoben werden.<br />

Das Clownsgesicht dient als Hauptbühne und kann<br />

auch die Zunge herausstrecken, sodass ein Catwalk entsteht.<br />

Und im Puppentheater hängt Roxy als Marionette<br />

an Fäden.<br />

Billys erster Auftritt mit ›Ich bin nur für Liebe da‹<br />

wird von den Tänzerinnen in Bart De Clercqs Choreo-<br />

44<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

graphie mit bunten Schirmen anstelle der sonst üblichen<br />

Fächer aus Federn untermalt. Bei dem Lied ›Hokuspokus‹<br />

agiert Billy als Zauberer mit Zylinder und<br />

Zauberstab auf einem Jahrmarkt mit Artisten, Gauklern<br />

und Luftballons.<br />

Alles ist Inszenierung: Vor der Presse streiten sich<br />

Velma und Roxy um deren Gunst, doch dann fällt Roxy<br />

plötzlich in Ohnmacht und behauptet, schwanger zu<br />

sein. Während sie im Rollstuhl hinaus gebracht wird,<br />

tanzt das Ballett einfallsreich mit Kinderwagen und<br />

wirft sich gegenseitig die Babies zu.<br />

Lustig und für den Zuschauer gar nicht langweilig ist<br />

die Gerichtsverhandlung inszeniert, bei der Justitia zwar<br />

mit der berühmten Waage, aber auch mit Sternenkrone<br />

und Fackel erscheint und damit sehr an die Freiheitsstatue<br />

erinnert. Und ihr ist bei dem »Blablabla« von Billy<br />

so langweilig, dass sie sich gähnend setzt.<br />

Insgesamt orientiert sich die Produktion in Ettlingen<br />

ein bisschen an dem Kinofilm von 2001 mit Renée Zellweger,<br />

Catherine Zeta-Jones und Richard Gere. Doch<br />

die Besetzung, die man in Ettlingen gefunden hat, lässt<br />

auch keine Wünsche offen.<br />

Maria-Danaé Bansen als Roxy ist ebenso wie Dorothée<br />

Kahler als Velma sowohl stimmlich, tänzerisch und<br />

auch schauspielerisch sehr gut.<br />

Marc Lamberty, der optisch ein bisschen an Thomas<br />

Magnum (»Magnum«, 80er-TV-Serie um einen<br />

Privatdetektiv auf Hawaii) erinnert, spielt die Rolle des<br />

gewieften Anwalts, der immer nur auf seinen Vorteil bedacht<br />

ist, sehr überzeugend.<br />

Ein bisschen leid kann einem Adrian Kroneberger<br />

als Roxys Gatte Amos schon tun. Nicht nur, dass er als<br />

›Mr Zellophan‹ schon kaum beachtet wird, bekommt er<br />

auch keine Abgangsmusik wie zuvor Billy Flynn.<br />

Gudrun Schade als »Mama« überzeugt mit ihrem<br />

Spiel, hat sie doch keine Angst davor, ihre »Mörderinnen«<br />

überall zu berühren. Ihr erster Auftritt in Lack und<br />

Leder, von vier Tänzern in einer Sänfte getragen, macht<br />

gleich klar, wer im Gefängnis das Sagen hat.<br />

Auch Anton Schweizer als Reporterin Mary Sunshine<br />

ist einfach großartig. Während sie zunächst im<br />

Paillettenkleid auf der Bühne steht, enttarnt sie sich am<br />

Ende doch als Mann, getreu dem Motto: »Die Dinge<br />

sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen.«<br />

»Chicago« in Ettlingen ist eine absolut gelungene<br />

Produktion, bei der angenehm auffällt, dass man alle<br />

Darsteller hervorragend versteht. Das Ensemble ist<br />

durchweg sowohl tänzerisch als auch gesanglich sehr gut.<br />

Die Choreographien von Bart De Clercq und die<br />

Kostüme von Birgit Barth sind einfallsreich und wirken<br />

erfrischend neu. Unter der musikalischen Leitung<br />

von Tobias Leppert kommt das Stück fröhlich und<br />

munter daher.<br />

Das Premierenpublikum war, trotz heftigen Winds,<br />

der auch auf der Bühne alles durchblies, begeistert und<br />

bedankte sich mit minutenlangem Applaus und Standing<br />

Ovations.<br />

Wettermäßig ist man als Zuschauer in Ettlingen geschützt,<br />

denn die Zuschauer sitzen überdacht, während<br />

die Bühne unter freiem Himmel ist. Sitzkissen gibt es<br />

am Eingang umsonst, gegen eine kleine Gebühr kann<br />

man sogar eine Decke ausleihen.<br />

Da das Stück jedoch erst um 20.30 Uhr am Abend<br />

beginnt, empfiehlt es sich, eine warme Decke mitzunehmen.<br />

Ingrid Kernbach<br />

Abb. unten von links:<br />

1. ›All That Jazz‹ – Velma Kelly (Dorothée<br />

Kahler)<br />

2. Roxy (Maria-Danaé Bansen, 2.v.r.)<br />

möchte sich mit Velma (Dorothée Kahler,<br />

2.v.l.) anfreunden, doch die ist noch der<br />

Star des Gefängnisses<br />

3. Billy Flynns (Marc Lamberty mit<br />

Ensemble) großer Auftritt mit ›Ich bin nur<br />

für Liebe da‹<br />

4. Roxy (Maria-Danaé Bansen, 2.v.l.) als<br />

Marionette von Billy Flynn (Marc Lamberty,<br />

r.), der Reporterin Mary Sunshine<br />

(Anton Schweizer, 2.v.r.) eine erfundene<br />

Leidensgeschichte erzählt. Auch »Mama<br />

Morton« (Gudrun Schade, l.) zieht an<br />

den Fäden<br />

Fotos (4): SFS<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

45


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Wie man Kriege entfacht<br />

»Zzaun! – Das Nachbarschaftsmusical« erstmals Open Air in Kloster Oesede<br />

Abb. oben:<br />

Noch ist die Welt heil: Felix (Tobias<br />

Landwehr), Roland (Benjamin Tschesche),<br />

Walburga (Silke Röwekamp) und<br />

Horst (Werner Knappheide)<br />

Foto: Christian Spielmann<br />

Zzaun! –<br />

Das Nachbarschaftsmusical<br />

Alexander Kuchinka /<br />

Tilmann von Blomberg<br />

Kloster Oesede Georgsmarienhütte<br />

Waldbühne<br />

Premiere: 29. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie ......................... Klaus Michalski<br />

Musik. Leitung &<br />

Arrangements ..... Christian Tobias Müller<br />

Choreographie ............. Sabine Lindlar<br />

Bühnenbild ........ Sabine Lindlar, Klaus<br />

Michalski, Volker Möller<br />

Kostüme ..................... Annegret Weber<br />

Maske ........................ Sarah Niermann<br />

Licht .......................... Lennart Clausing<br />

Ton ............................ Michael Schütte<br />

Horst Könner ........ Werner Knappheide<br />

Leonie ...................... Melanie Krupke /<br />

Karina Linnemann<br />

Michelle .......................... Vanessa Rolf<br />

Roland Sieger ...... Benjamin Tschesche<br />

Felix .......................... Tobias Landwehr<br />

Walburga ................ Silke Röwekamp /<br />

Heike Niederwestberg<br />

Herr Kühn .................... Jens Landwehr<br />

Herr Grundlos ............. Jan Kaltermann<br />

Irene Sonnschein /<br />

UN-Generalsekretärin .... Uschi Körner<br />

Zaun Müller ........ Michael Kasselmann<br />

Reporter .................. Niklas Gausmann<br />

Erst im März feierte das <strong>Musical</strong> »Zzaun! – Das Nachbarschaftsmusical«<br />

in Dresden Uraufführung (vgl.<br />

blimu 02/<strong>18</strong>). Der Waldbühnenverein in Kloster Oesede<br />

sicherte sich die Rechte zur ersten Open-Air-Aufführung,<br />

die Klaus Michalski inszenierte.<br />

Die Waldbühne bietet mehr Platz als jene in Dresden.<br />

Hier stehen die Fassaden von sechs Reihenhäusern,<br />

deren Vorgärten durch Gartenzäune abgetrennt sind.<br />

Die Requisiten, unter anderem Liegestühle, Tische und<br />

Grills, werden von den Darstellern selbst bewegt. Und<br />

die wirklich großen Utensilien – zwei Büros / Bunker<br />

von den Streithähnen – stehen hinter den Fassaden, die<br />

aufklappbar sind.<br />

Zur Ouvertüre ›Wir hier‹ wird die gute Nachbarschaft<br />

besungen: Horst Könner (Werner Knappheide)<br />

und seine Freundin Leonie (Melanie Krupke) wohnen<br />

neben Roland Sieger (Benjamin Tschesche) und Felix<br />

(Tobias Landwehr), die miteinander verheiratet sind.<br />

Sie leihen sich gegenseitig Sachen aus und diskutieren<br />

über alles. Als Horst versehentlich einen Zaunpfahl abbricht,<br />

geht das freundschaftliche Verhältnis langsam,<br />

aber sicher in die Brüche. Horst will das Stück Zaun<br />

selbst reparieren, da er einst Schreiner war, und Roland<br />

drängt ihn, es sofort zu machen, da Felix' Mutter Walburga<br />

(Silke Röwekamp) zum ersten Mal zu Besuch<br />

kommt. Anschließend ist er aber nicht zufrieden mit<br />

der Reparatur, weil Horst das Teil nur mit Klebeband<br />

geflickt hat. Walburga ist nicht von der homosexuellen<br />

Ehe begeistert. Felix' rosarotes Kaffeeservice mag sie<br />

gar nicht, ebenso wie den lädierten Gartenzaun. Auf<br />

Leonies Vorschlag, den Zaun einfach abzureißen, geht<br />

keiner ein.<br />

Roland hat den Zaunverkäufer Zaun Müller (Michael<br />

Kasselmann) bestellt, um einen Kostenvoranschlag für<br />

eine neue Einfriedung zu erhalten. Zum Song ›Zaun<br />

Müller‹, der voller ironischer Anspielungen auf das<br />

Zaungewerbe ist sowie an den (Titel) ›Maschendrahtzaun‹<br />

erinnert, taucht ein Teil des Ensembles tanzend<br />

mit Kartons auf, welche die verschiedenen Farben der<br />

Zäune zeigen. Der Verkäufer nennt sich ironischerweise<br />

»Master of Zaun«. Da ein neuer Zaun viel kosten würde,<br />

soll Horst seine Versicherung einschalten.<br />

Horsts Tochter Michelle (Vanessa Rolf) besucht<br />

ihren Vater und staunt nicht schlecht über den Streit.<br />

Versicherungsagent Kühn (Jens Landwehr) will zuerst<br />

klären, auf welchem Grundstück der Zaun steht.<br />

Dies veranlasst Roland, seinen Anwalt Herrn Grundlos<br />

(Jan Kaltermann) hinzuzurufen. Das Lied der beiden,<br />

›Grundlos und Kühn‹, sagt genug aus über das, was gerade<br />

passiert.<br />

Die zwei Streithähne gründen je eine Partei: Roland<br />

die FFF, mit dem Motto »Der wahre Sieger«, und Horst<br />

die UAE, mit dem Motto »Was für Könner«. Beide halten<br />

große Reden, und Kühn bzw. Grundlos übernehmen<br />

nun die Aufgabe des jeweiligen Beraters. Ein Reporter<br />

(Niklas Gausmann) kommt an den Ort des Geschehens<br />

und interviewt die ahnungslosen Anwohner.<br />

Felix' Spezialität ist das Backen von Nusskringeln,<br />

die Roland nicht mag, nur seine Mutter und Leonie<br />

finden sie lecker. Mit dem Lied ›Ich auch‹ entdecken<br />

Felix und Leonie weitere Gemeinsamkeiten. Als Frau<br />

Sonnschein (Uschi Körner) den Grundbucheintrag prüfen<br />

soll, fahren Beamtinnen ihres Amts zum Rhythmus<br />

des Songs ›Lob dem Grundbuch‹ mit Rolltischen umher,<br />

ehe drei Geometer anrücken und die Vermessung<br />

vornehmen. Fazit: Der Zaun steht auf Horsts Grundstück!<br />

Nun benutzt Horst zum ersten Mal das Wort<br />

»Schwuchtel«. Der Ton ändert sich, und die beiden<br />

Nachbarn bekämpfen sich mit Baggern, ehe sich Felix<br />

und Leonie zwischen die Streithähne stellen. Das Ensemble<br />

staunt mit ›Was für eine Schlacht‹ und macht<br />

sich auf Schlimmeres gefasst.<br />

46<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

In der Pause werden zwei Büroräume auf die Bühne<br />

gefahren. Der eine ist die Zentrale von Roland, der sich<br />

nun Premierminister nennt, während im zweiten Horst<br />

sitzt, der sich zum Bundeskanzler ernannt hat. Ihre<br />

Reihenhaushälften sind jetzt durch eine Grenzschranke<br />

und einen Gitterzaun getrennt.<br />

Herr Zaun Müller ist Rüstungsfachmann geworden,<br />

der alle möglichen Waffen als »Master of Schieß« anbietet.<br />

Das Ensemble tanzt mit Fotos von Waffen und<br />

Roland zeigt seiner Schwiegermutter und Felix eine Rakete.<br />

Auch Horst verfügt über eine solche Waffe. Felix<br />

und Leonie treffen sich nun an der Schranke, er schenkt<br />

ihr eine Schachtel Gebäck und beide wollen gemeinsam<br />

gegen die Dummheit ihrer Partner vorgehen. Auch Michelle<br />

hat die Sinnlosigkeit des Streites satt. Da ihr Vater<br />

ihr zudem kein neues Smartphone kaufen will, stellt sie<br />

sich auf Leonies Seite. Felix verlangt von Roland, den<br />

Konflikt zu beenden, weil Leonie von Horst deswegen<br />

schlecht behandelt wird. Aber der Premierminister hat<br />

dafür kein Ohr.<br />

Mittlerweile patrouillieren Soldaten im Garten von<br />

Horst. Felix und Leonie beschließen, Widerstand zu<br />

leisten (›Untergrundballade‹). Bei einem Protest der Bevölkerung<br />

wird eine Frau erschossen. In dieser skurrilen<br />

Entwicklung werden die Büros gedreht und sind nun<br />

Bunker. Die Armee von »Mein Könner«, wie sich Horst<br />

gern anreden lässt, gerät in Verzug, und General Kühn<br />

wird wegen Unfähigkeit von einem Soldaten erschossen.<br />

Auf der anderen Seite führt Walburga den Reporter<br />

durch den »Sieger-Bunker«, während Grundlos zum<br />

Admiral avanciert.<br />

Die UN-Generalsekretärin (Uschi Körner) rückt in<br />

Begleitung von Blauhelmen an und fordert Roland und<br />

Horst auf, sich umgehend die Hände zu geben und den<br />

Streit beizulegen. Widerwillig geschieht dies, während<br />

Horst Verrat wittert. Er schießt auf Grundlos, bis ihm<br />

Michelle die »Verräter« nennt: Leonie und Felix. Walburga<br />

plädiert nun für den Frieden, und Felix und Leonie<br />

küssen sich. Das ist zu viel für Roland und Horst,<br />

und beide drücken den fatalen Knopf. Es knallt und<br />

Feuerwerksraketen fliegen hoch, die Bühne wird eingenebelt.<br />

Das Ensemble lässt Bunker und Schranke verschwinden.<br />

Während die Zäune wieder wie am Anfang stehen,<br />

diskutieren Horst und Roland über eine Nachbarschaft<br />

ohne Absperrungen. Alles war nur ein böser Traum.<br />

Jetzt leben alle ohne Zäune »glücklich und froh, wie der<br />

Frosch im Damenklo«.<br />

»Zzaun!« strotzt nur so von ironischen Anspielungen<br />

auf heutige und vergangene Konflikte. Aus einer Bagatelle<br />

kann plötzlich Krieg werden. Die Lieder von Alexander<br />

Kuchinka sind mal rockig, mal leise und stets<br />

mit den passenden Texten versehen.<br />

Die Amateurtruppe aus Kloster Oesede spielt das<br />

<strong>Musical</strong> von Autor Tilmann von Blomberg mit großer<br />

Begeisterung in einer Qualität, die es sich in all den Jahren<br />

erarbeitet hat, was auch für die gesanglichen Fähigkeiten<br />

gilt. Bei der besuchten Vorstellung gefielen am<br />

besten Melanie Krupke als Leonie, wegen ihrer Energie,<br />

diese Frau zu spielen, die von allen für dumm gehalten<br />

wird, Werner Knappheide als Horst, wegen seiner<br />

sarkastischen Entschlossenheit, alles zu tun, um Recht<br />

zu bekommen, und Benjamin Tschesche als Roland, der<br />

vom »Schmatzipuffer« – so nennt ihn Felix – zu einem<br />

energischen Macho wird, welcher sich nichts gefallen<br />

lässt. Auch »First Gentleman« Tobias Landwehr (Felix)<br />

und »First Schwiegermutter« Silke Röwekamp (Walburga)<br />

überzeugen.<br />

Christian Spielmann<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Herr Zaun Müller (Michael Kasselmann,<br />

5.v.l.) preist seine Zäune an. Walburga<br />

(Silke Röwekamp, l.), Felix (Tobias<br />

Landwehr, 2.v.l.) und Roland (Benjamin<br />

Tschesche, 3.v.l.) hören zu<br />

2. Roland (Benjamin Tschesche, Mitte l.)<br />

und Horst (Werner Knappheide, Mitte<br />

r.) halten Reden. Walburga (Silke Röwekamp),<br />

Herr Grundlos (Jan Kaltermann)<br />

und Felix (Tobias Landwehr) hören auf<br />

der linken Seite zu, während Herr Kühn<br />

(Jens Landwehr) rechts steht<br />

3. (v.l.): Herr Grundlos (Jan Kaltermann),<br />

Roland (Benjamin Tschesche), Felix<br />

(Tobias Landwehr) und Walburga (Silke<br />

Röwekamp) posieren mit der Rakete für<br />

ein Foto<br />

4. Die UN-Generalsekretärin (Uschi<br />

Körner mit Ensemble) schaltet sich ein<br />

Fotos (4): Christian Spielmann<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

47


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Neues aus Deutschland<br />

zusammengestellt von Barbara Kern<br />

Deutschsprachige / Europäische Erstaufführung<br />

von »Jasper in Deadland« am TfN<br />

Hildesheim<br />

Am 19. Januar 2019 feiert das <strong>Musical</strong> von<br />

Ryan Scott Oliver (Musik und Liedtexte) und<br />

Hunter Forster (Buch) in deutscher Übersetzung<br />

von Lisanne Wiegand und mit Regie und<br />

Choreographie von Bart De Clercq Premiere<br />

am TfN Hildesheim. Die musikalische Leitung<br />

übernimmt Andreas Unsicker, die Ausstattung<br />

Hannes Neumaier.<br />

Das <strong>Musical</strong> basiert auf dem Mythos von<br />

Orpheus und Eurydike sowie Isis und Osiris<br />

und erzählt die Geschichte des 16-jährigen<br />

Jasper, der nach der ersten Liebesnacht glaubt,<br />

seine Agnes sei von den Klippen gesprungen,<br />

und ihr folgt, um sie aus der Unterwelt zurückzuholen:<br />

Dort bekommt er es mit dem<br />

griechischen Zerberus und dem ägyptischen<br />

Totengott Osiris sowie Dämonen zu tun und<br />

trinkt das Wasser des Vergessens (Lethe).<br />

Mehr auf: www.tfn-online.de<br />

Uraufführung von »Drachenherz« Frühjahr<br />

2019 in Chemnitz<br />

In Koproduktion mit der Neuköllner Oper Berlin<br />

zeigt das Theater Chemnitz mit Premiere am<br />

2. März 2019 die Uraufführung von »Drachenherz«.<br />

Günni lebt in einer mitteldeutschen Kleinstadt<br />

mit hoher Arbeitslosigkeit, aber seine Clique ist<br />

cool. Da kommt Fred in die Stadt, der anders ist<br />

und Ideen im Kopf hat. Fred ist schon bald Günnis<br />

bester Gefolgsmann in der Clique. Hannes<br />

könnte kotzen. Günnis bester Mann war doch<br />

immer Hannes. Und wenn einer das Recht hat,<br />

Günnis Schwester Jenny den Hof zu machen,<br />

dann doch wohl er! Mit einem Wort: Fred geht<br />

Hannes schwer gegen die Ehre.<br />

Das <strong>Musical</strong> von Wolfgang Böhmer (Musik)<br />

und Peter Lund (Buch und Liedtexte) bedient<br />

sich der Siegfried-Sage, siedelt das Ganze aber<br />

im Hier und Heute an. Siegfried musste sterben,<br />

weil es damals keinen Platz gab für echte Helden.<br />

Gibt es diesen Platz heute?<br />

Regie führt Peter Lund selbst, die musikalische<br />

Leitung übernimmt Hans-Peter Kirchberg, die<br />

Ausstattung Ulrike Reinhard. Es choreographiert<br />

Neva Howard und die dramaturgische<br />

Betreuung verantwortet Christiane Dost.<br />

Es spielen: Günni (Florian Heinke), Hannes (Johannes<br />

Krimmel), Brüning (Florentine Beyer),<br />

Tropi (Timo Stacey), Jenny (Nicola Kripylo),<br />

Nasir (Tristan Giovanoli), Fred (Denis Riffel)<br />

und Woda (Ngako Keuni).<br />

Mehr auf: www.theater-chemnitz.de<br />

Stadttheater Hildesheim<br />

Foto: Andreas Hartmann<br />

Uraufführung von »Der Mann mit dem<br />

Lachen« an der Staatsoperette Dresden<br />

Das Auftragswerk schrieben Frank Nimsgern (Musik),<br />

Tilmann von Blomberg (Buch) und Alexander<br />

Kuchinka (Liedtexte) nach Victor Hugos (»Les Misérables«)<br />

gleichnamigem Roman »L'homme qui rit«<br />

aus dem Jahr <strong>18</strong>69 über den Waisenjungen Gwynplaine,<br />

dessen Gesicht zu einem Dauergrinsen entstellt<br />

ist. Er zieht als Gaukler über die Jahrmärkte,<br />

bis sich herausstellt, dass er der verschollene Erbe<br />

eines Lords ist. Berauscht vom Luxus des englischen<br />

Hochadels, erkennt er erst allmählich, dass die Dinge<br />

nicht so sind, wie sie scheinen.<br />

Am 27. April 2019 feiert das dramatische <strong>Musical</strong><br />

unter Regie von Andreas Gergen, mit musikalischer<br />

Leitung von Peter Christian Feigel, Bühnenbild<br />

von Sam Madwar und Choreographien von<br />

Simon Eichenberger in Dresden Uraufführung.<br />

Mehr auf: www.staatsoperette.de<br />

Europäische Erstaufführung von dem Cirque<br />

du Soleil-<strong>Musical</strong> »Paramour«<br />

In einer Co-Produktion von Stage Entertainment<br />

und Cirque du Soleil startet am 14. April<br />

2019 nach der Premiere am Broadway (vgl. blimu<br />

05/2016) die <strong>Musical</strong>-Show mit Weltklasse-<br />

Artistik ihre Spielzeit im Theater Neue Flora in<br />

Hamburg.<br />

Spielend in der goldenen Ära Hollywoods, wird<br />

die Geschichte einer Talentsuche erzählt. Die<br />

schöne Schauspielerin Indigo erlebt die Höhen<br />

und Tiefen einer Karriere im Showbusiness und<br />

muss sich zwischen der Zuneigung zu dem charismatischen<br />

Regisseur AJ, der ihr Talent fördert,<br />

und der Liebe zu dem Pianisten Joey entscheiden.<br />

In opulenten Bildern und von atemberaubender<br />

Artistik eingerahmt wird das Liebesdrama erzählt.<br />

Mehr auf: www.stage-entertainment.de<br />

Magdeburger DomplatzOpenAir 2019 mit<br />

»Chicago«<br />

Das Theater Magdeburg ist eines der wenigen<br />

deutschsprachigen Theater, das das Stück nicht in<br />

der New Yorker Revival-Inszenierung von 1996<br />

zeigen muss, sondern eigene Wege gehen darf.<br />

Am 14. Juni 2019 feiert das Vaudeville-<strong>Musical</strong><br />

»Chicago« von John Kander (Musik), Fred Ebb<br />

(Buch und Liedtexte) und Bob Fosse (Buch)<br />

dort unter Regie von Ulrich Wiggers Premiere.<br />

Die musikalische Leitung hat Damian Omansen<br />

und die Choreographien kreiert Jonathan<br />

Huor (»Tanz der Vampire«, St. Gallen). Leif-Erik<br />

Heine gestaltet die Bühne, Franz Blumauer die<br />

Kostüme. Thomas Schmidt-Ehrenberg ist der betreuende<br />

Dramaturg. Gespielt wird die deutsche<br />

Fassung von Erika Gesell und Helmut Baumann.<br />

Mehr auf: www.theater-magdeburg.de<br />

Andreas Gergen<br />

Foto: Andrea Peller<br />

48<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


Mamma Mia 2<br />

blickpunkt musical Special Mamma Mia 2<br />

1


Mamma Mia! 1<br />

rückblick<br />

MAMMA MIA!<br />

Universal Pictures<br />

USA / UK / Deutschland 2008<br />

Kinostart: 17. Juli 2008<br />

Wiederaufführung: 13. Mai 20<strong>18</strong><br />

FSK ohne Altersangabe<br />

Länge: 109 Minuten<br />

Regie ................................................................................................................... Phyllida Lloyd<br />

Drehbuch & <strong>Musical</strong>buch .................................................................... Catherine Johnson<br />

Kamera ................................................................................................... Haris Zambarloukos<br />

Filmschnitt ......................................................................................................... Lesley Walker<br />

Score ............................................................................. Benny Andersson & Björn Ulvaeus<br />

Music Direction ................................................................................................... Martin Lowe<br />

Music Supervision......................................................................................... Becky Bentham<br />

Choreographie ........................................................................................ Anthony Van Laast<br />

Setdesign .................................................................................... Barbara Herman-Skelding<br />

Produktionsdesign ...................................................................................... Maria Djurkovic<br />

Kostüme .................................................................................. Ann Roth & Timothy Everest<br />

Hair & Make-up ............................................................... Christina Baker, Polly Earnshaw,<br />

Tina Earnshaw, Eithene Fellen, Marcelle Genovese<br />

Special Effects .................................... Caimin Bourne, Paige Chaytor, Chris Corbould<br />

Sound .................................... Nick Adams, Mark Appeleby, Michael Barry, Ricky Butt<br />

Soundtrack ........................... »ABBA«, Anna Afzelius, Tobias Ahsell, Anki Albertsson<br />

Produzenten .................................... Judy Craymer, Gary Goetzman & Mark Huffman<br />

Sophie ........................................................................................................... Amanda Seyfried<br />

Bill ................................................................................................................... Stellan Skarsgård<br />

Sam ..................................................................................................................... Pierce Brosnan<br />

Harry ........................................................................................................................... Colin Firth<br />

Lisa ................................................................................................................. Rachel McDowall<br />

Ali ............................................................................................................................ Ashley Lilley<br />

Donna .....................................................................................................................Meryl Streep<br />

Rosie........................................................................................................................ Julie Walters<br />

Tanya............................................................................................................ Christine Baranski<br />

Sky.................................................................................................................... Dominic Cooper<br />

Pepper ................................................................................................................ Philip Michael<br />

Eddie ......................................................................................................................... Chris Jarvis<br />

Dimitri ................................................................................................................ Hemi Yeroham<br />

MM 1<br />

blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2


Mamma AMia! 1<br />

1975 eroberte der Song ›Mamma Mia‹<br />

der schwedischen Kultband »ABBA«<br />

die Charts von Deutschland, Großbritannien,<br />

Irland, der Schweiz, Australien<br />

und Costa Rica.<br />

In den 80er Jahren arbeitete Produzentin<br />

Judy Craymer mit Benny Andersson und<br />

Björn Ulvaeus als ausführende Produzenten<br />

an dem Projekt »Chess«. Inspiriert<br />

von der Darstellungskraft der Songs,<br />

plante sie, ein <strong>Musical</strong> zu kreieren, das<br />

bereits bestehende »ABBA«-Songs beinhalten<br />

sollte.<br />

19<strong>95</strong> stimmten Andersson und Ulvaeus<br />

dem <strong>Musical</strong> zu, unter der Voraussetzung,<br />

dass Craymer eine starke Geschichte<br />

schreiben ließ, die von den Songs getragen<br />

wird. Dramatikerin Catherine Johnson<br />

konnte für das <strong>Musical</strong> »Mamma Mia!«<br />

gewonnen werden, das 1999 in London<br />

seine Uraufführung feierte und sich zu<br />

einem weltweiten Erfolg entwickelte. In<br />

insgesamt 16 verschiedenen Sprachen<br />

übersetzt, mit 22 »ABBA«-Songs untermalt<br />

und in 440 Städten aufgeführt, begeisterte<br />

das <strong>Musical</strong> mehr als 60 Millionen<br />

Zuschauer.<br />

Basierend auf dem <strong>Musical</strong>, das die Geschichte<br />

zweier Generationen von Frauen<br />

– über junge Liebe und solche, die über<br />

Jahre Bestand hat – erzählt, entstand der<br />

gleichnamige <strong>Musical</strong>film, der 2008 in die<br />

Kinos kam. Mit der zeitlosen Musik und<br />

den Texten von »ABBA« setzte sich die Erfolgsgeschichte<br />

von »Mamma Mia!«, unter<br />

Regie der Theater- und Opernregisseurin<br />

Phyllida Lloyd, auf der Kinoleinwand fort.<br />

Die auf der fiktiven griechischen Insel<br />

Kalokairi angesiedelte Geschichte spielte<br />

weltweit über 600 Millionen Dollar<br />

ein und wurde in Großbritannien zum<br />

erfolgreichsten Kinofilm aller Zeiten. Die<br />

Kinobesucher wurden nicht nur durch<br />

die zahlreichen »ABBA«-Songs in die<br />

Kinos gelockt, sondern auch durch die<br />

hochkarätige Besetzung, die diese selbst<br />

sang. Neben Meryl Streep und Amanda<br />

Seyfried als Mutter-Tochter-Gespann rundeten<br />

Pierce Brosnan, Colin Firth, Stellan<br />

Skarsgård sowie Christine Baranski, Dominic<br />

Cooper und Julie Walters den Cast ab.<br />

Mit dem Wunsch, ihren leiblichen Vater bei<br />

ihrer Hochzeit mit Sky (Dominic Cooper)<br />

dabei zu haben, verschickt Sophie (Amanda<br />

Seyfried) drei Briefe an die Männer,<br />

von denen einer ihr Vater sein könnte.<br />

Tatsächlich machen sich Sam (Pierce<br />

Brosnan), Bill (Stellan Skarsgård) und<br />

Harry (Colin Firth) auf den Weg zur Insel,<br />

um die Absenderin persönlich kennenzulernen.<br />

Derweil treffen Lisa (Rachel<br />

McDowall) und Ali (Ashley Lilley), Sophies<br />

beste Freundinnen, auf der Insel ein und<br />

blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />

MM 2


Mamma Mia! 1<br />

Rosie (Julie Walters, l.) und Tanya (Christine Baranski, r.) bauen<br />

Donna (Meryl Streep, Mitte) wieder auf: ›Chiquitita‹<br />

Donna (Meryl Streep) und Sam (Pierce Brosnan): ›SOS‹<br />

C<br />

Bill (Stellan Skarsgård), Sam (Pierce Brosnan), Harry (Colin<br />

Firth) und Sophie (Amanda Seyfried) schließen einen Pakt<br />

MM 3<br />

begeben sich mit ihr auf eine Reise in die<br />

Vergangenheit: ›Honey, Honey‹. Auch<br />

Sophies Mutter Donna (Meryl Streep)<br />

freut sich auf den Besuch ihrer Freundinnen<br />

Tanya (Christine Baranski) und<br />

Rosie (Julie Walters). Die Freude über die<br />

Hochzeit wird durch das schlecht laufende<br />

Hotel überschattet. Donna benötigt<br />

›Money, Money, Money‹. Als Sam, Bill und<br />

Harry eintreffen, fühlt sich Sophie mit<br />

allen drei verbunden. Donna hingegen<br />

bringt das erste Aufeinandertreffen nach<br />

all den Jahren durcheinander: ›Mamma<br />

Mia!‹. Die Erinnerungen stürzen auf sie ein.<br />

Doch Tanya und Rosie bauen die ›Dancing<br />

Queen‹ schnell wieder auf. Bei einem Segeltörn<br />

versucht Sophie herauszufinden,<br />

wer wirklich ihr Vater ist. Überraschenderweise<br />

hat jeder etwas über ›Our Last<br />

Summer‹ mit Donna zu erzählen. Hinund<br />

hergerissen zwischen den drei möglichen<br />

Vätern, ist sich Sophie in Bezug auf<br />

Sky sicher. Beide schwören: ›Lay All Your<br />

Love on Me‹. Am Abend erwartet Sophie<br />

eine Überraschung, als ihre Mutter mit ihren<br />

Freundinnen auftritt: ›Super Trouper‹<br />

scheint die Lebensgeschichte der Frauen<br />

zu erzählen und zugleich ein Rat für die<br />

Zukunft zu sein. Durch den Gesang angelockt,<br />

erscheinen Harry, Sam und Bill<br />

und sorgen erneut für Gefühlschaos.<br />

›Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After<br />

Midnight)‹ bildet den Hintergrund für die<br />

Aussprache zwischen Sophie und den<br />

drei »Vätern«. Als die Männer den wahren<br />

Grund ihrer Einladung erkennen, kochen<br />

die Gefühle am vorletzten Abend vor der<br />

Hochzeit zu ›Voulez-Vous‹ hoch. Damit<br />

Sophie nicht von drei Vätern zum Altar<br />

geführt wird, gilt es, den »Richtigen« zu<br />

entlarven. Als es daraufhin zum Streit<br />

zwischen Sophie und Donna kommt,<br />

heißt es ›SOS‹. Alle fassen mit an, um<br />

die Traumhochzeit doch noch zu retten.<br />

Während sie die Feier vorbereiten, wirft<br />

Sky Sophie vor, dass sie noch nicht bereit<br />

sei für die Ehe. Doch Sophie ist sich sicher<br />

und so erkennt Donna, dass Sophie nun<br />

ihren eigenen Weg gehen muss: ›Slipping<br />

Through My Fingers‹. Mit dem Blick<br />

auf die Zukunft gerichtet, verabschiedet<br />

sich Donna von der Vergangenheit: ›The<br />

Winner Takes It All‹.<br />

Bereits zu Beginn des Projekts war Produzent<br />

Gary Goetzman darum bemüht,<br />

den Geist und die Energie des <strong>Musical</strong>s<br />

auf die Kinoleinwand zu übertragen und<br />

dabei den gleichen Spaß und die Freude<br />

wie das Bühnenstück auszudrücken: »Im<br />

Film kann man sich intensiver mit den<br />

blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />

A


Mamma Mia! 1<br />

Charakteren befassen, und es besteht<br />

die Möglichkeit, die Zuschauer mehr auf<br />

das zu lenken, was man ihnen zeigen will.<br />

Man kann die brillanten Elemente des<br />

Stückes hervorheben, die die Zuschauer<br />

seit vielen Jahren lieben.« Kameramann<br />

Haris Zambarloukos fing die Szenen des<br />

Films in den Pinewood Studios in London<br />

am großen »007«-Set und an Originalschauplätzen<br />

in Griechenland ein: Nach<br />

neun Wochen Dreharbeiten in den<br />

Pinewood-Studios zog die Unit nach<br />

Griechenland, wo sie fünf Tage auf der<br />

Insel Skiathos drehte. Danach ging es für<br />

zwei Wochen nach Skopelos und schließlich<br />

fünf Tage nach Damouchari, um die<br />

passende Location zu finden. Die Crew<br />

fand in einem Ressort ein passendes<br />

Gebäude, das Produktionsdesignerin<br />

Maria Djurkovic mit Hilfe von Designern,<br />

Zimmerleuten, Verputzern und Malern in<br />

Donnas Villa verwandelte. Skys und Sophies<br />

Hochzeitskapelle, welche in Pinewood<br />

entworfen wurde, setzte man auf<br />

eine 100 Meter hohe Felsformation mit<br />

Blick aufs Meer. Für den unverwechselbaren<br />

Look der Figuren sorgten Kostümdesignerin<br />

Ann Roth sowie Make-up-<br />

Designerin Tina Earnshaw.<br />

Leuchtende Farben und schmissige<br />

»ABBA«-Songs, die nicht verändert<br />

wurden, sorgen für ausgelassenes Sommerfeeling,<br />

gute Laune und das Gefühl<br />

von Ferienstimmung. Leichte Melancholie<br />

bezüglich der Vergangenheit<br />

und der sich durch die bevorstehende<br />

Heirat verändernden Mutter-Tochter-Beziehung<br />

verschmelzen mit den<br />

Szenen am Meer, die die beste Kulisse<br />

für die Romanze bilden.<br />

Oscar-Gewinnerin Meryl Streep, die ihr<br />

musikalisches Talent bereits in »Grüße<br />

aus Hollywood« und »Last Radio Show«<br />

unter Beweis stellte, brilliert in der Rolle<br />

der Donna, die während der Songs in<br />

Ziegenställen oder über Treppengeländer<br />

balanciert. Als ihre Tochter wurde<br />

im Laufe des Castingprozesses Amanda<br />

Seyfried besetzt, die ebenfalls Erfahrungen<br />

im Singen und Tanzen vorweisen<br />

konnte. Weil Benny Andersson und Björn<br />

Ulvaeus von ihrer jugendlichen Art verzaubert<br />

waren, ließen beide sie während<br />

des Vorsprechens zusätzliche Songs singen.<br />

Die Chemie zwischen Seyfried und<br />

dem britischen Schauspieler Dominic<br />

Cooper stimmte ebenfalls bereits beim<br />

Vorsprechen, sodass er als Sophies Verlobter<br />

Sky besetzt wurde. Mit Pierce Brosnan,<br />

Colin Firth und Stellan Skarsgård als<br />

(un)willkommene Väter besetzte Lloyd<br />

drei Männer mit Warmherzigkeit und Humor,<br />

die für heitere Momente sorgen. Vor<br />

der Herausforderung stehend, in dem Film<br />

gleichzeitig zu singen und zu tanzen, sind<br />

die Darsteller über sich selbst hinausgewachsen<br />

und stehen ihren Schauspielkolleginnen<br />

Julie Walters sowie der mit dem<br />

Tony ausgezeichneten Darstellerin Christine<br />

Baranski in nichts nach. Music Director<br />

Martin Lowe, der bereits bei den Vorsprechen<br />

anwesend war, arbeitete intensiv mit<br />

den Darstellern, bevor er mit ihnen ins<br />

Sophie (Amanda Seyfried, 2.v.l.) mit ihren<br />

Gästen auf dem Weg zur Kapelle<br />

Studio ging, um die Songs, die sie im Film<br />

singen, aufzunehmen. Produzent Mark<br />

Huffman gab den Darstellern die Chance,<br />

während der Dreharbeiten live zu singen,<br />

anstatt, wie es bisher Tradition in Musikfilmen<br />

war, die Lieder vorher aufzunehmen<br />

und dann beim Dreh nur zu mimen. Durch<br />

den Mix aus Playback und Livegesang<br />

kommt die komplexe »ABBA«-Musik mit<br />

ihren melodisch großartigen Harmonien<br />

bestens zum Ausdruck.<br />

Sandy Kolbuch<br />

blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />

MM 4


Mamma Mia! 2<br />

fortsetzung<br />

MAMMA MIA! HERE WE GO AGAIN<br />

Universal Pictures<br />

Kinostart: 19. Juli 20<strong>18</strong><br />

Länge: 114 Minuten<br />

Regie ............................................................................................................................. Ol Parker<br />

Drehbuch ................................................. Ol Parker, Catherine Johnson, Richard Curtis<br />

Score ..................................................... Benny Andersson, Anne Dusley, Björn Ulvaeus<br />

Kamera ....................................................................................................... Robert D. Yeoman<br />

Filmschnitt ........................................................................................................ Peter Lambert<br />

<strong>Musical</strong> Supervision...................................................................................... Becky Bentham<br />

Setdesign ........................................................................................................ Dominic Capon<br />

Produktionsdesign .................................... James Lewis, Andrew Palmer, Jason Virok<br />

Kostüme ............................................................................................. Michele Clapton Virok<br />

Hair & Make-up ............................................................................................... Tina Earnshaw<br />

Choreographie ....................................................................................... Anthony Van Laast<br />

Special Effects .......................................................................... Chris Corbould, Dean Ford<br />

Produzenten ..................................................................... Judy Craymer, Gary Goetzman<br />

MM 5<br />

Sophie ........................................................................................................... Amanda Seyfried<br />

Donna .................................................................................................................... Meryl Streep<br />

Young Donna ........................................................................................................... Lily James<br />

Ruby Sheridan .................................................................................................................... Cher<br />

Fernando ............................................................................................................... Andy Garcia<br />

Rosie ....................................................................................................................... Julie Walters<br />

Young Rosie ......................................................................................................... Alexa Davies<br />

Tanya ........................................................................................................... Christine Baranski<br />

Young Tanya ....................................................................................... Jessica Keenan Wynn<br />

Sky ................................................................................................................... Dominic Cooper<br />

Bill ................................................................................................................... Stellan Skarsgård<br />

Young Bill ................................................................................................................. Josh Dylan<br />

Sam ..................................................................................................................... Pierce Brosnan<br />

Young Sam ......................................................................................................... Jeremy Irvine<br />

Harry ........................................................................................................................... Colin Firth<br />

Young Harry ....................................................................................................... Hugh Skinner<br />

2B<br />

blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2


C<br />

H<br />

Mamma Mia! 2<br />

Fast 20 Jahre nach der Uraufführung<br />

des <strong>Musical</strong>s und 10 Jahre nach dem<br />

Kinofilm »Mamma Mia!«, der weltweit<br />

über 600 Millionen US-Dollar einspielte,<br />

wird die Geschichte von Sophie<br />

und ihrer Mutter Donna fortgesetzt: Der<br />

Großteil der Handlung spielt in der Vergangenheit<br />

und zeigt, wie Donna einst<br />

Sam, Bill und Harry kennenlernte, auf die<br />

griechische Insel Kalokairi kam und dort<br />

ihre Tochter Sophie zur Welt brachte.<br />

Die Sonne geht auf über Kalokairi,<br />

der zauberhaftesten aller griechischen<br />

Inseln. Es sind einige Jahre vergangen<br />

und Sophie (Amanda Seyfried) hat die<br />

Leitung des Hotel Bella Donna übernommen,<br />

dessen Neueröffnung kurz bevor<br />

steht: ›Thank You For the Music‹. Die Geschichte<br />

springt ins Jahr 1979 zurück. Die<br />

junge Donna (Lily James) hält singend die<br />

Abschlussrede an der Universität von Oxford:<br />

›When I Kissed the Teacher‹. Die ausgelassene<br />

Freude wird nur dadurch gedämpft,<br />

dass Donnas Mutter Ruby (Cher)<br />

nicht anwesend ist. Donna, Tanya (Jessica<br />

Keenan Wynn) und Rosie (Alexa Davies)<br />

schwören sich ewige Freundschaft, bevor<br />

Donna am nächsten Tag Großbritannien<br />

verlässt, um in Paris neue Erfahrungen zu<br />

sammeln.<br />

In der Gegenwart kämpft Sophie mit der<br />

Trennung von Sky (Dominic Cooper), der<br />

für sechs Wochen nach New York gegangen<br />

ist, um dort Einblicke in das Hotel<br />

Business zu erlangen. Als er verkündet,<br />

dass ihm ein Job angeboten wurde, ist<br />

Sophie davon nicht begeistert. Sie fürchtet<br />

sich davor, dass Sky das Angebot annehmen<br />

wird, während sie auf der Insel zurück<br />

bleibt, da sie das Erbe ihrer Mutter nicht<br />

aus den Händen geben will. Im Duett ›One<br />

of Us‹ werden ihre Gefühle füreinander<br />

H<br />

A<br />

blickpunkt<br />

blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />

MM 6


Mamma Mia! 2<br />

verdeutlicht. Um Sophie während der<br />

Neueröffnung zu unterstützen, reisen<br />

Tanya (Christine Baranski) und Rosie<br />

(Julie Walters) an.<br />

Zurück in der Vergangenheit, trifft Donna<br />

in Paris in einem Hotel auf Harry (Hugh<br />

Skinner). Er lädt sie zum Essen ein, bei<br />

dem sie ihm von ihren Plänen erzählt.<br />

Schockiert darüber, dass Donna die Stadt<br />

schon bald wieder verlassen will, versucht<br />

er, sie im Café Bonaparte mit ›Waterloo‹<br />

von seiner liebenswerten Art zu überzeugen.<br />

Während alle Gäste im Restaurant zu<br />

tanzen beginnen, kommen sie sich näher<br />

und verbringen die Nacht miteinander.<br />

Von ihren Gefühlen getrieben, besucht<br />

Sophie ihren Stiefvater Sam (Pierce Brosnan),<br />

der ebenfalls auf der Insel lebt und<br />

sie unterstützt. Gemeinsam helfen sie einander,<br />

sich an Donna zu erinnern. Traurig<br />

stimmt Sam ›SOS‹ an.<br />

Jahre zuvor macht Donna sich alleine auf<br />

den Weg zu der griechischen Insel Kalokairi,<br />

nachdem sie das Hotel ohne Harry<br />

verlassen hat. Sie verpasst das Schiff und<br />

heuert bei Bill (Josh Dylan) an, dessen<br />

Segelboot im Hafen ankert. Bezaubert<br />

von der Frohnatur, bringt Bill sie zur Insel:<br />

›Why Did It Have to Be Me?‹<br />

Ein Sturm bildet die Überleitung zur<br />

Gegenwart, in der Sophie um ihr Hotel<br />

bangt, während der Wind die Dekoration<br />

der Terrasse komplett zerstört. Ein<br />

Rückblick in die Vergangenheit zeigt,<br />

wie Donna einst das morsche Gebäude<br />

betreten hat und dass sie eine Vision vor<br />

Augen hatte, was man daraus machen<br />

könne: ›I Have a Dream‹. Von zusammenbrechenden<br />

Gebäudeteilen erschreckt,<br />

wird Donna auf ein Pferd aufmerksam,<br />

das in einem Nebengelass gefangen<br />

scheint. Nach Hilfe suchend, rennt sie auf<br />

die Straße und stößt dabei auf Sam (Jeremy<br />

Irvine). Gemeinsam retten sie das Tier<br />

und finden in einer Bar Zuflucht, in der<br />

eine Männer-Kombo spielt. Euphorisch<br />

fragt sie den Bandsänger, ob sie mit ihrer<br />

Band »The Dynamos« in der Bar auftreten<br />

darf. Mit einer Kostprobe von ›Andante,<br />

Andante‹ verzaubert sie nicht nur den<br />

Barinhaber, sondern auch Sam, der ihren<br />

Traum von einem Leben auf der Insel<br />

teilen will.<br />

In der Gegenwart ist Sophie niedergeschlagen<br />

und fühlt sich dieser der Verantwortung<br />

nicht mehr gewachsen: ›The<br />

Name of the Game‹. Auch Donna kam<br />

viele Jahre zuvor an den Punkt, an dem<br />

sie aufgeben wollte, nachdem der gemeinsame<br />

Traum von ihr und Sam zerplatzte:<br />

›Knowing Me, Knowing You‹ im<br />

gefühlvollen Duett. Doch ihre Trübsal<br />

hielt nicht lange an, da Tanya und Rosie<br />

ihr beistanden. Gemeinsam treten sie in<br />

der Bar auf, in die sie mit ›Mamma Mia‹<br />

das ganze Dorf locken.<br />

A<br />

Die junge Donna (Lily James) und der junge Bill (Josh Dylan)<br />

auf dem Boot: ›Why Did It Have to Be Me‹?<br />

MM 7<br />

Rund 25 Jahre später stehen die in die<br />

Jahre gekommenen Freundinnen Tanya<br />

und Rosie Sophie bei, die sich nach Sky<br />

sehnt, der ihre Anrufe nicht mehr beantwortet.<br />

Zum Trost erzählen sie von<br />

›Angel Eyes‹, denen sie einst verfallen<br />

sind. Noch ahnen die Frauen nicht, dass<br />

Harry und Bill bereits auf dem Weg zu ihnen<br />

sind, um ihrer »Tochter« beizustehen.<br />

Auch in der Vergangenheit kehrt Sam<br />

zurück zu Donna, doch diese hatte sich<br />

bereits auf Bill eingelassen.<br />

Als aus dem Nichts zahlreiche Schiffe<br />

voller Gäste in Sicht kommen, um den<br />

Neubeginn des Hotels Bella Donna zu<br />

feiern, schöpft Sophie neuen Mut. Die<br />

›Dancing Queen‹ kann nicht nur ihre drei<br />

»Väter« in die Arme schließen, sondern<br />

auch Sky. Überglücklich beichtet sie ihrer<br />

»Familie«, dass sie schwanger ist. Genau<br />

wie ihre Mutter viele Jahre zuvor –, wie<br />

ein Rückblick während des Songs ›I‘ve<br />

Been Waiting For You‹ zeigt. Die Zeiten<br />

haben sich geändert, die Generationen<br />

wechseln. Sophie nimmt offiziell Donnas<br />

Platz im Hotel und in der Mitte der »The<br />

Dynamos« ein. Die Geschichte endet wenige<br />

Monate später in der Kapelle, in der<br />

einst Sophie Sky heiraten wollte. Mutter<br />

und Tochter werden auf wunderbare und<br />

sehr emotionale Art während ›My Love,<br />

My Life‹ miteinander vereint. Der Auftritt<br />

von Ruby bringt auf ebenso beeindrublickpunkt<br />

musical Special Mamma Mia! 2


lickpunkt musical Special Mamma Mia 2A<br />

Mamma Mia! 2<br />

ckende und berührende Art mit ›Super<br />

Trouper‹ alle Generationen zusammen,<br />

was fast wie eine Art Traumsequenz<br />

erscheint.<br />

Regisseur und Drehbuchautor Ol Parker<br />

hat zusammen mit Catherine Johnson<br />

und Richard Curtis, die beide das <strong>Musical</strong>und<br />

Drehbuch des ersten Films geschrieben<br />

haben, die Story für »Mamma Mia!<br />

Here We Go Again« geschaffen. Mit viel<br />

Feingefühl und euphorischem Optimismus<br />

findet die Geschichte von »Mamma Mia!«<br />

ihre Fortsetzung. Neben den bekannten<br />

und beliebten Stars aus dem ersten Teil erweitern<br />

Lily James (»Cinderella«) als junge<br />

Donna, Alexa Davies (»X+Y«) und Jessica<br />

Keenan Wynn (»Go Green«) als junge<br />

Rosie und Tanya sowie Jeremy Irvine<br />

(»Fallen – Engelsnacht«) als junger Sam,<br />

Josh Dylan (»Allied: Vertraute Fremde«)<br />

und Hugh Skinner (»Kill Your Friends«)<br />

als junge Versionen von Bill und Harry<br />

den Cast. Der populärste Neuzugang der<br />

»Mamma Mia!«-Familie ist Musikikone<br />

Cher, die für Welthits wie ›If I Could Turn<br />

Back Time‹ und ›Believe‹ bekannt ist, als<br />

Donnas Mutter Ruby.<br />

Obwohl der Film die einstige Handlung<br />

fortführt, wirft er zugleich einen Blick in<br />

die Vergangenheit. Im stetigen Wechsel<br />

schwenkt die Kamera in das Leben der<br />

einst jungen Absolventin Donna, für die<br />

Lily James mit Herzblut in die Fußstapfen<br />

von Meryl Streep tritt, und das gegenwärtige<br />

Leben ihrer Tochter Sophie. Die<br />

Parallelen im Leben der zwei Frauen sind<br />

auffallend herausgearbeitet und werden<br />

von der zeitlosen Musik »ABBA«s getragen.<br />

Bemerkenswert ist, dass beim zweiten<br />

Film nicht nur besonders bekannte<br />

Songs wie »Waterloo«, mit welchem sich<br />

die Popgruppe »ABBA« am 6. April 1974<br />

den Sieg beim Eurovision Song Contest<br />

in Brighton und damit den Grundstein für<br />

ihre einzigartige internationale Karriere<br />

sicherte, in den Fokus rücken. Auch eher<br />

unbekanntere Titel wie ›When I Kissed<br />

the Teacher‹, der 1976 erstmals auf dem<br />

Album »Arrival« veröffentlicht wurde und<br />

mit seinem jugendlichen Sound den perfekten<br />

Einstieg in die Geschichte liefert,<br />

und ›My Love, My Life‹ sowie ›I‘ve Been<br />

Waiting For You‹ untermalen die Gefühle<br />

der Figuren und bringen die Handlung<br />

voran. Während Lily James und Amanda<br />

Seyfried mit ihren klaren und kraftvollen<br />

Stimmen überzeugen, merkt man ihren<br />

männlichen Schauspielkollegen an, dass<br />

sie im Bereich Gesang noch nicht so erfahren<br />

sind. Bradley Cooper ließ es sich<br />

nicht nehmen, seine Stimme in ›One of<br />

Us‹ auszuprobieren, während Jeremy Irvine<br />

mit seiner tiefen Tonlage gefühlvolle<br />

Momente beisteuern kann, die den ansonsten<br />

poppigen Up-tempo-Nummern<br />

des Films entgegenwirken. Lily James,<br />

die die Songs für den Film in Stockholm<br />

aufnahm, überraschte das Team mit<br />

ihrer klaren Stimme. Sie versteht es sehr<br />

gut, Donnas jugendliche Version zu verkörpern.<br />

Dass sie die Musik von »ABBA«<br />

bereits als Kind lieben lernte, kommt ihrem<br />

Ausdruck zugute. Amanda Seyfried als<br />

Donnas Tochter Sophie durchläuft ähnliche<br />

Phasen im Leben wie diese einst. Die<br />

Parallelen zwischen dem jeweiligen Leben<br />

beider Frauen spiegeln sich in den Songs<br />

wieder, die sowohl euphorische Momente<br />

als auch emotionale Stille kennen. Obwohl<br />

Seyfried bereits im ersten Teil mit ihrer<br />

Stimmkraft glänzen konnte, lässt sich<br />

eine Steigerung ihres gesanglichen Könnens<br />

im zweiten Film nicht bestreiten.<br />

Für die stets passende Choreographie<br />

hat Anthony Van Laast gesorgt, der ebenfalls<br />

seit 20 Jahren zur »Mamma Mia!«-Familie<br />

gehört. Von kleinen Tanzeinlagen<br />

mit zwei Personen bis hin zu großartigen<br />

Szenen mit mehr als 300 Tänzern findet<br />

jeder Song seine perfekte Performance.<br />

Die 70er Jahre werden durch die farbenfrohen<br />

Kostüme inklusive Plateauschuhen<br />

und Schlaghosen abgerundet<br />

(Kostümdesign: Michele Clapton Virok,<br />

»American Hustle«). Die Szenen der Vergangenheit,<br />

die in der alten Taverne spielen,<br />

wurden in den Shepperton Studios in<br />

Großbritannien gedreht. In zwei weiteren<br />

Hallen wurden das Pariser Café Bonaparte<br />

sowie das Hotel Bella Donna erbaut und<br />

die Szenen vor Ort gedreht. Die Außenszenen<br />

hingegen wurden vor den griechischen<br />

Inseln aufgenommen und später<br />

mit den Studioaufnahmen vereint.<br />

Die ›Dancing Queen‹-Szene, bei der 300<br />

Tänzer auf einem Steg tanzen, wurde an<br />

der Barjaci-Bucht gedreht, die in Kalokairi<br />

verwandelt wurde und mit ihrer euphorischen<br />

Stimmung zu den Highlights des<br />

Films gehört. Mit »Mamma Mia! Here<br />

We Go Again« wird die Geschichte gelungen<br />

und unterhaltsam fortgesetzt<br />

und ihr Hintergrund beleuchtet. Der entstandene<br />

<strong>Musical</strong>film bietet nicht nur für<br />

»ABBA«-Fans grandiose Unterhaltung.<br />

Sandy Kolbuch<br />

Rosie (Julie Walters, l.) und Tanya (Christine Baranski, r.) trösten<br />

Sophie (Amanda Seyfried, Mitte): ›Angel Eyes‹<br />

blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />

MM 8


H<br />

Mamma Mia 2<br />

B<br />

intervi ew m it<br />

amanda seyfri ed - sop h i e<br />

Schauspielerin Amanda Seyfried (*1985)<br />

war 2005 auf dem Sundance Film Festival<br />

in dem gefeierten Film »Nine Lives« zu sehen.<br />

Es folgten Rollen unter anderem in<br />

»Alpha Dog – Tödliche Freundschaften«<br />

(2006), »Das Leuchten der Stille« (2010),<br />

»Red Riding Hood – Unter dem Wolfsmond«<br />

und »In Time – Deine Zeit läuft<br />

ab« (2011). 2012 spielte und sang sie die Rolle<br />

der Cosette in Tom Hoopers <strong>Musical</strong>-Verfilmung<br />

von »Les Misérables«. 2015 feierte<br />

Seyfried ihr Theater-Debüt in der Off-Broadway-Produktion<br />

des Neil-LaBute-Stücks »The<br />

Way We Get By«. Zudem war sie auf der<br />

Kinoleinwand in »Ted 2«, »Gefühlt Mitte<br />

Zwanzig« und »Alle Jahre wieder – Weihnachten<br />

mit den Coopers« zu sehen.<br />

2017 war Seyfried in David Lynchs hochgelobter<br />

Fortsetzung seiner Kultserie<br />

»Twin Peaks« besetzt und spielte gemeinsam<br />

mit Shirley MacLaine in »Zu guter<br />

Letzt«. An der Seite von Aaron Paul und<br />

Russell Crowe war sie in Gabriele Muccinos<br />

Film »Väter und Töchter – Ein ganzes<br />

Leben« zu sehen. Für »Mamma Mia! Here<br />

We Go Again« kehrt sie als Sophie, die sie<br />

bereits vor zehn Jahren in »Mamma Mia!«<br />

spielte, zurück. Aktuell dreht Seyfried<br />

den Simon Curtis-Film »The Art of Racing<br />

in the Rain«.<br />

BLICKPUNKT MUSICAL: Sie haben sich<br />

in den letzten zehn Jahren überhaupt<br />

nicht verändert. Was ist Ihr Geheimnis?<br />

AMANDA SEYFRIED: Sie scherzen. (lacht)<br />

Ich habe meine 20er Jahre beendet, fühle<br />

mich aber immer noch genauso. Ich<br />

habe noch immer den gleichen Zugang<br />

zu Sophie, habe sie jedoch jetzt besser<br />

verstanden. Meine Schwangerschaft hat<br />

dies bewirkt. Das Timing für den zweiten<br />

Film war wirklich gut. Ich hätte nie daran<br />

geglaubt, dass wir eine Geschichte kreieren,<br />

die sich auf diese Art fortsetzen lässt.<br />

Doch wir haben diese cleveren Autoren<br />

gehabt, die wirklich eine ganz wunderschöne<br />

Geschichte kreiert haben. Der<br />

Kontext ist wirklich gelungen und spaßig,<br />

sowohl für die Geschichte als auch für die<br />

Fans des ersten Films.<br />

BLIMU: Können Sie sich noch an Ihre<br />

Reaktion erinnern, als Sie erfahren haben,<br />

dass es eine Fortsetzung geben wird?<br />

MM 9 blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2


Mamma Mia! 2<br />

AS: Ich habe es an dem Tag erfahren,<br />

als ich aus dem Krankenhaus entlassen<br />

wurde (Die Darstellerin hatte wenige<br />

Tage zuvor ihr erstes Kind entbunden,<br />

Anm. d. Red.). Das waren große Neuigkeiten<br />

für mich. Als meine Agentin mich<br />

anrief, um mir die News mitzuteilen, habe<br />

ich geweint.<br />

BLIMU: Sie haben kurz vor der Geburt<br />

geheiratet.<br />

AS: Ja, es war sehr spontan. Wir sprachen<br />

darüber, dass es cool wäre, noch vor der<br />

Geburt zu heiraten, und haben es dann<br />

einfach getan.<br />

BLIMU: Hatten Sie zunächst Bedenken,<br />

so kurz nach der Geburt zu drehen?<br />

AS: Ich habe mir darüber Gedanken gemacht,<br />

wie diese Rolle in mein Leben<br />

passen kann, und habe erkannt, dass<br />

es nun viele Parallelen zwischen Sophie<br />

und mir gibt. Gewisse Dinge sind wichtiger<br />

geworden. Dann kam ich vor dem<br />

Dreh an einen Punkt, an dem ich meine<br />

Tochter für kurze Zeit jemand anderem<br />

anvertrauen konnte, ohne mir darüber<br />

zu sehr Gedanken zu machen. Der Dreh<br />

hat unglaublichen Spaß gemacht und<br />

meine Tochter war ein Teil davon, weil sie<br />

die ganze Zeit dabei war. Jeder am Set<br />

hat sie in sein Herz geschlossen. Sophies<br />

Schwangerschaft konnte ich gut nachvollziehen,<br />

weil ich sie selbst kurz zuvor<br />

erlebt hatte. Es war dadurch sehr emotional<br />

und einfach perfekt.<br />

BLIMU: Beide »Mamma Mia!«-Filme zeigen,<br />

dass die Musik von »ABBA« dabei<br />

helfen kann, Probleme zu lösen. Würden<br />

Sie dies unterschreiben?<br />

AS: Diese Musik hat etwas Befreiendes.<br />

Sobald sie zu spielen beginnt, fühlt man<br />

das, was man gerade zu fühlen bereit ist,<br />

viel intensiver. Wenn man sich gerade<br />

entspannt fühlt, hilft einem die Musik,<br />

sich wirklich komplett zu entspannen.<br />

Hört man aber einen Song wie ›Waterloo‹,<br />

dann will man einfach aufspringen<br />

und tanzen. Man kennt die Melodien und<br />

fühlt sich dadurch sicher. Musik ist eine<br />

Sprache, die wir alle rund um den Globus<br />

sprechen. »ABBA«s Musik bedeutet Spaß<br />

und ausgelassene Freude. Und wenn der<br />

Song dies nicht ausdrückt, dann spricht<br />

er die melancholische Stimmung an,<br />

die wir auch alle kennen. Man fühlt sich<br />

durch diese Songs sehr emotional berührt<br />

und spürt eine Verbindung zu den<br />

Figuren. Das ist wirklich eine Kunst.<br />

BLIMU: Welcher Song ist Ihr persönlicher<br />

Favorit?<br />

AS: ›I‘ve Been Waiting For You‹. Dieser<br />

Song ist so unglaublich schön. Die Liedtexte<br />

in ›My Love, My Life‹ wurden etwas<br />

geändert, damit sie besser zu der<br />

Geschichte passen. Das war wirklich<br />

eine sehr gute Idee, die hervorragend<br />

funktioniert hat. Ich denke, es war auch<br />

notwendig, um zu verdeutlichen, dass<br />

ich in Meryls Fußstapfen trete. Ich liebe<br />

Julie Walters und Christine Baranski so<br />

sehr. Sie beide haben mich aufwachsen<br />

sehen als Amanda und auch als Sophie.<br />

Unsere Verbindung ist sehr stark und nun<br />

haben sie mich mit meiner Tochter erlebt.<br />

Mit ihnen über die Schwangerschaft und<br />

mein ungeborenes Kind zu sprechen hat<br />

sich nicht wie Schauspielerei angefühlt.<br />

Das Ganze war so unglaublich und emotional,<br />

dass wir gar nicht mehr aufhören<br />

wollten. Wenn man im Film den Zusammenschnitt<br />

sieht, wo Donna ihr Kind zur<br />

Welt bringt, und dann die schwangere Sophie,<br />

dann ist das unglaublich. Ich liebe es.<br />

BLIMU: Wem haben Sie mehr nachgeeifert?<br />

Meryl Streep oder Cher?<br />

AS: Beiden. Meryl im ersten Film und<br />

Cher im zweiten. (lacht) Mit Meryl habe<br />

ich während des gesamten Films zusammengearbeitet.<br />

Cher war hingegen nur<br />

ein oder zwei Wochen am Set. Die erste<br />

Szene, die wir zusammen gedreht haben,<br />

ist auch die Szene im Film, in der unsere<br />

Figuren erstmals aufeinander treffen. Sie<br />

kommt mir entgegen und ich sage ihr,<br />

dass sie nicht eingeladen ist. Das war unglaublich.<br />

Am zweiten Tag haben wir die<br />

Szene gedreht, in der wir gemeinsam an<br />

der Bar sitzen. Die anderen haben uns<br />

so viel Raum gelassen, dass es sich angefühlt<br />

hat, als ob nur wir zwei dort sind.<br />

Cher ist so normal und sie führt ein unglaubliches<br />

Leben. Ich war so glücklich<br />

darüber, sie erleben zu dürfen. Wir haben<br />

einfach nur geredet und dann kam Meryl<br />

vorbei und flüsterte eine kurze Begrüßung.<br />

Sie und Cher kennen sich seit vielen<br />

Jahren, hatten sich aber eine Ewigkeit<br />

nicht gesehen und es war schön, zu sehen,<br />

wie sehr sich beide über das Treffen<br />

gefreut haben. Und ich war ein Teil davon.<br />

Das war eine unglaubliche Erfahrung und<br />

einer der besten Momente am Set.<br />

BLIMU: Meryl Streep soll am Set sehr<br />

mütterlich zu ihren Kollegen sein. Wie<br />

ist sie mit Ihrer Tochter umgegangen?<br />

AS: Sie war sehr süß und hat immer die<br />

Arme nach ihr ausgestreckt. Meine Tochter<br />

hat bisher schon sehr viele bekannte<br />

Menschen getroffen und hat absolut keine<br />

Ahnung davon. (lacht)<br />

BLIMU: Im Film hat Sophie drei potenzielle<br />

Väter. Wenn Sie sich einen davon<br />

aussuchen müssten, wen würden Sie<br />

wählen?<br />

AS: Das ist eine schwere Frage. Wenn<br />

ich ein gebrochenes Herz hätte, würde<br />

ich mich von Pierce Brosnan trösten lassen.<br />

Stellan Skarsgård würde ich wählen,<br />

wenn ich mich über etwas super Cooles<br />

unterhalten wollen würde. Und wenn ich<br />

gerne stundenlang lachen wollen würde,<br />

wäre Colin Firth mein Favorit. Sie sind alle<br />

sehr charmant und lustig. Als sie auf der<br />

Insel angekommen sind, haben sie mich<br />

und meine Mutter besucht. Später saßen<br />

sie gemeinsam mit Hugh Skinner, Josh<br />

Dylan und Jeremy Irvine an einem Tisch<br />

und das war so wundervoll! Sie sind alle<br />

zauberhaft.<br />

BLIMU: Hoffen Sie, dass Ihre Tochter<br />

einmal in Ihre Fußstapfen treten wird?<br />

AS: Das kann ich jetzt noch nicht beantworten.<br />

Dafür muss sie erst älter sein. Die<br />

Dinge ändern sich ja so schnell. Als ich<br />

angefangen habe in der Branche, gab<br />

es noch nicht überall, wo man hingegangen<br />

ist, Internet. Es war damals noch<br />

schwieriger als heute, Informationen zu<br />

bekommen. In zwanzig Jahren weiß niemand,<br />

wie die Welt aussehen wird. Dann<br />

existiert eine völlig neue Generation. Der<br />

Druck wächst täglich durch die Follower<br />

in den medialen Netzwerken. Jeder spürt<br />

dies und es nervt. Ich warte einfach ab und<br />

werde sehen, was sie später interessiert.<br />

BLIMU: Können Sie etwas über Ihre<br />

kommenden Projekte verraten?<br />

AS: Sagt Ihnen das Buch »The Art of Racing<br />

in the Rain« etwas? Das Buch wird<br />

aus der Perspektive eines Hundes erzählt,<br />

dessen Besitzer ein Rennfahrer ist,<br />

der gerade seine Frau verloren hat. Es ist<br />

eines der traurigsten Bücher überhaupt.<br />

blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />

MM 10


HA<br />

Mamma Mia 2<br />

H<br />

intervi ew m it<br />

li ly james - junge donna<br />

Die britische Schauspielerin Lily James<br />

(*1989), die als Lily Chloe Ninette<br />

Thomson geboren wurde und den<br />

Vornamen ihres an Krebs verstorbenen<br />

Vaters zum Künstler-Nachnamen machte,<br />

gehört zu den begehrtesten Darstellerinnen<br />

ihrer Generation. Nach ihrem<br />

Abschluss 2010 an der »Guildhall School<br />

of Music and Drama« wurde sie 2012 für<br />

die Rolle der lebenslustigen Lady Rose<br />

MacClare in der vielfach ausgezeichneten<br />

Fernsehserie »Downton Abbey«<br />

besetzt. Auf der Leinwand überzeugte<br />

sie als Cinderella in Disneys gleichnamiger<br />

Realverfilmung und mit ihrer Rolle<br />

in »Baby Driver« sowie als persönliche<br />

Sekretärin Churchills in dem »Oscar«-prämierten<br />

Werk »Die dunkelste Stunde«. In<br />

»Mamma Mia! Here We Go Again« spielt Lily<br />

James die Rolle der Donna in jungen Jahren.<br />

Ab dem 09. August ist sie in dem romantischen<br />

Drama »Deine Juliet« zu sehen, Mike<br />

Newells Adaption des gleichnamigen »New<br />

York Times«-Bestsellers.<br />

MM 11 blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2


C<br />

Mamma Mia! 2<br />

BLICKPUNKT MUSICAL: Sie sind das<br />

Highlight des zweiten »Mamma Mia!«-<br />

Films, weil Sie dem Publikum mit Ihrem<br />

sprühenden Wesen so viele Emotionen<br />

schenken. Wie groß war für Sie der Spaß<br />

am Set?<br />

LILY JAMES: Es war wirklich die beste<br />

Zeit, die ich bisher in meinem Leben hatte.<br />

Ich habe es jeden einzelnen Tag genossen,<br />

ein Teil dieses Projekts zu sein.<br />

Wir haben auf dieser wunderschönen<br />

Insel in Kroatien gedreht, wo wir täglich<br />

mit dem Boot hingefahren sind. Die<br />

Sonne hat geschienen und ich konnte<br />

im Meer schwimmen. Ich hatte noch<br />

nie eine solch starke Bindung zum Cast<br />

und zu der Crew wie bei diesem Film.<br />

Es war eine unglaubliche Erfahrung für<br />

mich, weil jeder einzelne so inspirierend,<br />

brillant und teamfähig war.<br />

BLIMU: Hatten Sie Bedenken, als junge<br />

Donna quasi in die Fußstapfen von<br />

Meryl Streep zu treten?<br />

LJ: Dies ist genau der Punkt, über den ich<br />

mit meinen Agenten gesprochen habe.<br />

Ich habe Meryl in so vielen Filmen gesehen<br />

und von ihr gelernt. Es war Teil meiner<br />

Vorbereitung, mich von ihrer Offenheit<br />

inspirieren zu lassen. Meryl ist sehr<br />

expressiv mit ihrer Körperhaltung und<br />

ihrer Stimme. Ich habe keine Tipps von<br />

ihr bekommen, aber ich habe sehr eng<br />

mit Judy Craymer, der Produzentin von<br />

»Mamma Mia!«, gearbeitet. Sie ist auch<br />

die Schöpferin des <strong>Musical</strong>s und hat mir<br />

sehr viel über die Figur Donna erzählt.<br />

Wir haben darüber gesprochen, was ich<br />

über die Rolle denke, was Meryl über sie<br />

dachte und welche Gedanken die Rolle<br />

selbst hat. Dadurch fühlte ich mich sehr<br />

unterstützt.<br />

BLIMU: Ist es Ihnen leicht gefallen, eine<br />

so freigeistige und extrovertierte Person<br />

zu spielen, die singt und tanzt, um<br />

ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen?<br />

LJ: (lacht) Bevor ich wusste, dass es eine<br />

Fortsetzung von »Mamma Mia!« geben<br />

wird, hat meine Mutter ihren Geburtstag<br />

gefeiert. Am Ende des Essens habe ich auf<br />

dem Tisch getanzt und ›The Winner Takes<br />

It All‹ gesungen. In diesem Moment war<br />

ich wie Donna. Ich habe ein Video davon,<br />

es ist verrückt. Und vier Monate später<br />

habe ich die Rolle bekommen. Mit 20 war<br />

ich furchtlos, wollte die Welt sehen und<br />

Erfahrungen sammeln, mich selbst finden.<br />

Heute bin ich ausgeglichener.<br />

BLIMU: Wann haben Sie Meryl Streep<br />

das erste Mal getroffen?<br />

LJ: Ich habe sie erst während der Dreharbeiten<br />

getroffen und mein Bestes gegeben,<br />

um meine schauspielerischen<br />

Qualitäten ihrem Niveau anzupassen. Sie<br />

war sehr cool und hat keine große Sache<br />

daraus gemacht, sondern mich einfach<br />

die Rolle ausleben lassen.<br />

BLIMU: Donna ist eine mutige junge<br />

Frau, die alles hinter sich lässt, um ihren<br />

Träumen zu folgen. Können Sie sich mit<br />

ihr identifizieren?<br />

LJ: Manchmal fühle ich mich, als ob zwei<br />

Persönlichkeiten in mir wohnen. Dann<br />

kann ich mich mit dieser Art von Leben<br />

anfreunden. Aber dann gibt es die andere<br />

Seite von mir, die es nicht kann. Ich<br />

denke, jeder kennt das. Ich könnte mir<br />

vorstellen, einfach fortzugehen, um in<br />

Griechenland zu leben und einen Buchladen<br />

zu eröffnen, wie jenen, wo ich<br />

Stunden verbracht habe. Ich liebe es, in<br />

der Sonne und in der Nähe des Meeres<br />

zu sein. Ich liebe es, zu reisen, und fühle<br />

mich Donna dadurch verbunden.<br />

BLIMU: Wir war die Zusammenarbeit mit<br />

Björn Ulvaeus und Benny Andersson?<br />

LJ: Die beiden sind wunderbar. Ich bin<br />

nach Stockholm geflogen, um dort die<br />

Songs aufzunehmen. Zuvor habe ich<br />

eine Woche lang nicht gesprochen, weil<br />

ich solche Angst hatte, meine Stimme<br />

zu verlieren. (lacht) Vor Ort hatte ich vier<br />

magische Tage. Benny saß am Klavier und<br />

hat angefangen, ›My Love, My Life‹ zu<br />

spielen. Ich habe einfach begonnen, zu<br />

singen, und dann sang Benny ebenfalls.<br />

Die beiden sind Genies und haben die<br />

besten Takes mit mir zusammengestellt.<br />

Björn und Benny haben mir ihre Musik<br />

anvertraut. Ich bin so glücklich, ein Teil<br />

des Ganzen zu sein.<br />

BLIMU: Welchen Song haben Sie während<br />

der Dreharbeiten am liebsten<br />

gesungen?<br />

JL: Ich denke, das war ›Andante, Andante‹.<br />

Der Song ist so wunderschön. ›Mamma<br />

Mia‹ ist aber der beste Song, den man<br />

singen kann. Er entfacht das Feuer in<br />

einem. Diesen Song zusammen mit den<br />

anderen zu singen war so dynamisch.<br />

BLIMU: Für »Mamma Mia! Here We Go<br />

Again« mussten Sie gleichzeitig schauspielern,<br />

singen und tanzen. Welche Szene<br />

barg die größte Herausforderung?<br />

LJ: Ich denke, die Szene, wo ich ›When I<br />

Kissed the Teacher‹ singe, weil es die erste<br />

war, die wir gedreht haben. Es war ein<br />

harter Start mit einer sehr starken Nummer.<br />

Zum Ende des Films sind Jessica Keenan<br />

Wynn und Alexa Davies – die Darsteller<br />

der jungen Tanya und Rosie – und ich<br />

zusammengewachsen. Wir haben laufend<br />

zusammen getanzt und gesungen,<br />

sodass mir alles viel leichter fiel als zu<br />

Beginn. Am Anfang waren wir alle noch<br />

sehr nervös.<br />

BLIMU: Wann kam bei Ihnen der<br />

Wunsch auf, Schauspielerin zu werden?<br />

LJ: Mein Vater (Anmerkung der Redaktion:<br />

James Thomson) war Schauspieler,<br />

als ich noch sehr klein war. Er war immer<br />

sehr kreativ und hat Geschichten erzählt,<br />

aber mir war nie bewusst, dass dies sein<br />

Beruf war. Auch meine Großmutter (Helen<br />

Horton) war ihr ganzes Leben lang<br />

Schauspielerin, aber ich habe sie zum<br />

Schluss nicht oft gesehen. Ich habe die<br />

Leidenschaft für die Schauspielerei für<br />

mich selbst entdeckt.<br />

blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />

MM 12


Mamma Mia 2<br />

A<br />

intervi ew m it<br />

p i erce brosnan - sam<br />

Der irisch-amerikanische Schauspieler<br />

Pierce Brosnan (*1<strong>95</strong>3) kann auf eine umfangreiche<br />

und weitgefächerte Karriere<br />

vor und hinter der Kamera zurückblicken.<br />

In den 1990er Jahren wurde er für<br />

seine Rolle als britischer Geheimagent in<br />

»James Bond 007 – Golden Eye« (19<strong>95</strong>),<br />

»James Bond 007 – Der Morgen stirbt<br />

nie« (1997), »James Bond 007 – Die Welt<br />

ist nicht genug« (1999) und »James Bond<br />

007 – Stirb an einem anderen Tag« (2002)<br />

gefeiert. Zu Brosnans Erfolgsfilmen gehören<br />

unter anderem »Der ganz normale<br />

Wahnsinn – Working Mum« (2011), »Salvation<br />

Boulevard« (2011), »Percy Jackson:<br />

Diebe im Olymp« (2010), »Der Ghostwriter«<br />

(2010) und »Remember Me – Lebe<br />

den Augenblick« (2010). In der Adaption<br />

des Broadway-<strong>Musical</strong>-Hits »Mamma<br />

Mia!« spielte er 2008 die Rolle des Sam,<br />

die er in der Fortsetzung »Mamma Mia!<br />

Here We Go Again« wieder übernommen<br />

hat. Aktuell ist Brosnan zudem in der<br />

zweiten Staffel der AMC-Serie »The Son«,<br />

welche auf dem gleichnamigen Roman<br />

von Philipp Meyer basiert, in dem Thriller<br />

»Spinning Man«, in Marc Webbs »The Only<br />

Living Boy on New York« sowie unter der<br />

Regie von Martin Campbell in dem Action-Thriller<br />

»The Foreigner« zu sehen.<br />

MM 13 blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2


Mamma Mia! 2<br />

BLICKPUNKT MUSICAL: Herzlich willkommen<br />

in Hamburg. Sie haben hier<br />

schon oft gedreht. Verbinden Sie viele<br />

Erinnerungen mit der Stadt?<br />

PIERCE BROSNAN: Meine Frau Keely<br />

und ich verbinden mit der Stadt viele<br />

Erinnerungen an die gemeinsame Zeit,<br />

die wir hier verbracht haben, als unser<br />

Sohn noch klein war. Mittlerweile ist er<br />

ein junger Mann von 21 Jahren. Ich erinnere<br />

mich aber auch daran, wie ich mich<br />

vor Jahren hier in der Stadt im Kempinski<br />

Hotel auf die Tour als James Bond vorbereitet<br />

habe. Es fühlt sich gut an, jetzt<br />

für »Mamma Mia! Here We Go Again«<br />

zurückzukehren. Ich bin sehr glücklich<br />

und auch stolz auf diesen Film. Es hatte<br />

mir sehr viel Spaß gemacht, den ersten<br />

Film zu drehen, weshalb ich sehr erfreut<br />

war, als der Anruf kam, dass es eine Fortsetzung<br />

geben wird. Die Frage war natürlich,<br />

ob Meryl Streep dabei sein wird. Und<br />

Meryl war dabei. (lacht) Ich habe gleich<br />

zugesagt, weil der erste Teil so einen erstaunlichen<br />

und herrlichen Zugang zur<br />

Unterhaltung bot.<br />

BLIMU: Nutzen wir die Sprache des<br />

Films. Welches ist Ihr persönlicher<br />

»Waterloo« -und welches Ihr »The Winner<br />

Takes it All«-Moment?<br />

PB: Meinen »The Winner Takes it All«-Moment<br />

hatte ich vor 35 Jahren, als ich<br />

Courage bewiesen habe und den Bank<br />

Manager um einen Überziehungskredit<br />

von £2.000 gebeten habe. Ich brauchte<br />

das Geld, um nach Amerika gehen zu<br />

können, um berühmt und erfolgreich<br />

zu werden. Das war für mich ein wirklich<br />

großer Moment. Es gab einige »Waterloo«-Momente,<br />

aber die behalte ich lieber<br />

für mich. (lacht)<br />

BLIMU: Was ist es für ein Gefühl, den alten<br />

Cast, die Crew und die Insel wiederzusehen?<br />

PB: Es ist wunderbar. Inzwischen ist etwas<br />

Zeit vergangen, ich gehe auf die 65<br />

zu, habe einiges zu tun und liebe, was ich<br />

tue.<br />

BLIMU: Wie war nach diesen Jahren Ihre<br />

Arbeit mit Meryl Streep?<br />

PB: Meryl ist eine sehr bemerkenswerte<br />

Schauspielerin. Sie gibt so viel von sich<br />

selbst, um all die beeindruckenden Persönlichkeiten<br />

zu kreieren. Wir sind Freunde<br />

und sie macht es einem sehr leicht,<br />

sie zu lieben und mit ihr zusammenzuarbeiten.<br />

Ich denke, das ist das Geheimnis<br />

unserer Freundschaft. Wir können<br />

jahrelang nicht miteinander reden und<br />

machen dann einfach an dem Punkt weiter,<br />

wo wir einmal aufgehört haben. Wir<br />

erinnerten uns gemeinsam an die junge<br />

Amanda (Seyfried) im Alter von 21 Jahren<br />

und nun sahen wir sie plötzlich mit ihrem<br />

eigenen Baby. Das war so wundervoll.<br />

Und all die Darsteller der jungen Generation,<br />

die mit so viel Leidenschaft und<br />

Disziplin arbeiten, waren brillant.<br />

BLIMU: Wie nehmen Ihre Söhne »Mamma<br />

Mia! Here We Go Again« auf?<br />

PB: Sie lieben den Film. Vor zwei Wochen<br />

haben wir uns in unserem Haus mit der<br />

Familie und Freunden getroffen und bei<br />

Pizza den Film angesehen. Es war wunderbar.<br />

BLIMU: Ihre Kinder sind dabei, erwachsen<br />

zu werden. Wollen sie in der Filmbranche<br />

Fuß fassen?<br />

PB: Dylan ist 21 und studiert an der UIC<br />

(University of Illinois at Chicago). Paris ist<br />

17 und versucht, sein Studium durchzuziehen.<br />

Als wir das letzte Mal miteinander<br />

gesprochen haben, war er gerade in<br />

Washington. Ich denke nicht, dass meine<br />

Kinder Schauspieler sein wollen, auch<br />

wenn Dylan eine Filmschule besucht und<br />

Paris gerne das Gleiche machen möchte.<br />

Er ist ein sehr guter Geschichtenerzähler<br />

und Autor und wir werden sehen, wohin<br />

ihn sein Weg führen wird. Zudem arbeiten<br />

beide als Model. Paris liebt es, während<br />

es für Dylan nur ein Job von vielen<br />

ist. Sie haben eine sehr liebevolle Mutter,<br />

die alles auf Linie hält. Ich unterstütze<br />

beide, wo immer ich kann. Wenn wir zum<br />

Essen alle zusammen am Tisch sitzen, reden<br />

wir über alles. Wir sind uns sehr nahe.<br />

BLIMU: Haben Sie Ihrem Sohn Sean<br />

einen Rat gegeben, bevor er mit der<br />

Schauspielerei begonnen hat?<br />

PB: Ich habe ihn gefragt, ob er wirklich<br />

Schauspieler werden will. Er sagte: Vielleicht.<br />

Ich habe ihm gesagt, dass er sich<br />

bilden und viel lesen muss, um die Geschichte<br />

der Menschheit zu verstehen.<br />

Dass er gute Autoren finden und auch<br />

die Courage besitzen muss, eine Pause<br />

einzulegen, wenn dies notwendig ist, um<br />

auch auf der Bühne zu bestehen. Nachdem<br />

sein Entschluss gefallen war, hat<br />

er deshalb Schauspiel studiert, um sein<br />

Talent auszubauen.<br />

BLIMU: Wie sehen Ihre Zukunftsvisionen<br />

aus?<br />

PB: Ich beschreite eine neue Dekade meines<br />

Lebens und bin gespannt, welche Herausforderungen<br />

mich als Schauspieler<br />

erwarten. Ich möchte meine Memoiren<br />

schreiben, eine Art Show kreieren oder<br />

malen. Keely und ich haben uns dazu<br />

entschieden, gemeinsam als Produzenten<br />

meiner eigenen Produktionsgesellschaft<br />

»Irish DreamTime« zu arbeiten. Wir<br />

haben gerade die Rechte an dem Buch<br />

»Girls Like Us« erworben und werden daraus<br />

eine Dokumentation machen.<br />

BLIMU: Wie sieht Ihr perfekter Tag aus?<br />

PB: Ich stehe auf, gönne mir eine Tasse<br />

Kaffee und sage meiner Frau, dass ich<br />

sie liebe. Nachdem ich etwas Fahrrad<br />

gefahren bin, gehe ich in mein Studio<br />

und male. Keely zaubert uns ein Essen.<br />

Anschließend gehe ich schwimmen und<br />

entspanne auf ganz einfache Art.<br />

blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2 MM 14


C<br />

A<br />

intervi ew m it<br />

ol parker - regi e / drehbuch<br />

Der britische Drehbuchautor und Regisseur<br />

Ol Parker (*1969) begann seine Karriere<br />

mit Drehbüchern für die TV-Serie<br />

»Grange Hill«, die in der BBC ausgestrahlt<br />

wurde. Er schrieb das Drehbuch zu dem<br />

Film »The Best Exotic Marigold Hotel«<br />

(2011), der u. a. für den »BAFTA Award«<br />

und den »Golden Globe« nominiert wurde<br />

und weltweit über 136 Millionen Dollar<br />

einspielte. Es folgte das Buch für »Now<br />

Is Good – Jeder Moment zählt« (2012),<br />

bei dem er auch Regie führte, sowie für<br />

die Fortsetzung »The Best Exotic Marigold<br />

Hotel 2« (2015). Für »Mamma Mia!<br />

Here We Go Again« schrieb Parker das<br />

Drehbuch und übernahm die Regie.<br />

BLICKPUNKT MUSICAL: Sie wurden<br />

ursprünglich nur als Drehbuchautor<br />

engagiert und haben dann erst später<br />

den Regiestuhl angeboten bekommen.<br />

Wie haben Sie darauf reagiert?<br />

OL PARKER: Es war eine sehr große<br />

Überraschung für mich. Ich bekam eine<br />

E-Mail von meinem Freund Richard Curtis,<br />

der das Originalbuch geschrieben<br />

hat, in der er mir zum Regieposten gratulierte.<br />

Ich habe nur drei Sekunden gebraucht,<br />

um ihm zu antworten.<br />

BLIMU: Haben Sie während der Arbeit<br />

an dem Drehbuch je daran gedacht,<br />

dass man Sie auch für die Regie gewinnen<br />

könnte?<br />

OP: Nein, nie. Hätte ich es auch nur<br />

geahnt, hätte ich nie die Tanzszene auf<br />

dem Boot geschrieben. Mir gefiel die<br />

Idee und damals dachte ich, es wäre<br />

irgendwann das Problem von jemand<br />

anderem, diese Szene auch wirklich<br />

umzusetzen. Dann übertrug man mir<br />

die Regie und ich war entsetzt darüber,<br />

diese Szene wirklich drehen zu müssen.<br />

(lacht)<br />

BLIMU: War es einfacher oder schwerer<br />

für Sie, das eigene Drehbuch zu<br />

verfilmen?<br />

OP: Bei diesem Projekt war es eine Herausforderung.<br />

Aber es war brillant und<br />

atemberaubend.<br />

BLIMU: Haben Sie als Vorbereitung für<br />

Ihre Arbeit »Mamma Mia!« gesehen?<br />

OP: Oh ja, ich habe ihn sehr oft gesehen.<br />

Seither kriege ich die Musik von »ABBA«<br />

nicht mehr aus dem Kopf. Sie ist immer<br />

da, wie ein dauerhafter Ohrwurm.<br />

BLIMU: Es wurde von Beginn an kommuniziert,<br />

dass Meryl Streep auch im<br />

zweiten Film dabei sein wird. Und dies,<br />

obwohl Sie ihre Figur eigentlich herausgeschrieben<br />

hatten. Wie kam es dazu?<br />

OP: Ich würde nicht sagen, dass ich sie<br />

wirklich herausgeschrieben hatte. Ich<br />

denke, es hat zehn Jahre gedauert, bis<br />

die Fortsetzung kam, weil der kommerzielle<br />

Druck dann nicht mehr so groß war.<br />

Die Darsteller hatten eine wunderbare<br />

Zeit und Spaß an einer Arbeit, die sie<br />

wirklich machen wollten. Nicht jeder Film<br />

benötigt eine Fortsetzung, daher nahm<br />

man sich die Zeit, um herauszufinden, ob<br />

man die Geschichte wirklich fortsetzen<br />

will. Meryl wollte ein Teil des Ganzen sein,<br />

aber nicht als Schauspielerin. Ich denke,<br />

jeder der Darsteller ist bekannt genug<br />

und besitzt ausreichend Geld, um nicht<br />

auf das Sequel angewiesen zu sein. Auch<br />

Benny und Björn brauchten den Film<br />

nicht, um damit an den Erfolg des ersten<br />

MM 15 blickpunkt musical Special Mamma Mia 2


Mamma Mia! 2<br />

anzuknüpfen. Ich habe eine Geschichte<br />

geschaffen, mit der alle zufrieden waren.<br />

Auch Meryl. Es ist für einen Drehbuchautor<br />

immer ein großer Moment, wenn man<br />

die fertige Arbeit einreicht und dann das<br />

Okay von allen bekommt, die in der Vergangenheit<br />

an dem Projekt beteiligt gewesen<br />

waren.<br />

BLIMU: Wie viele Tage war Meryl Streep<br />

am Set?<br />

OP: Sie kam vorbei, um uns zu besuchen<br />

und Zeit mit uns zu verbringen. Sie ist<br />

sehr gut mit Cher befreundet. Ich bin mir<br />

nicht mehr ganz sicher, aber ich denke,<br />

sie war zehn Tage am Set.<br />

BLIMU: Wie war die Zusammenarbeit<br />

mit Cher? Konnte sie selbst entscheiden,<br />

welchen Song sie singen will?<br />

OP: Sie wusste, dass bereits alles festgelegt<br />

war. Wenn man Darsteller für einen<br />

Film castet, hat man im Hinterkopf immer<br />

einen Plan B, falls die gewünschten Darsteller<br />

ablehnen. Hat man diesen nicht,<br />

verliert man Zeit. Für Cher habe ich den<br />

Part der Großmutter geschrieben und sie<br />

mochte ihn. Ich habe hin und her überlegt,<br />

wer noch für die Rolle in Frage kommen<br />

könnte, aber es blieb immer Cher.<br />

Glücklicherweise war ›Fernando‹ immer<br />

einer ihrer Lieblingssongs, sodass auch<br />

diese Szene wunderbar passte.<br />

BLIMU: Wie wichtig war es, Donna wieder<br />

zurück auf die Leinwand zu bringen?<br />

OP: Es war sehr wichtig und immer ein<br />

Teil des Plans. Es stand von Beginn an<br />

fest, dass sie einen Song singen soll, auch<br />

wenn noch niemand wusste, wie der Plot<br />

der Geschichte genau aussehen würde.<br />

Ich hatte nur die vage Idee, dass der Film<br />

mit ihrem Song enden könnte.<br />

BLIMU: Die Szene in der Kapelle ist<br />

wunderschön und sehr emotional. Was<br />

hat Sie dazu inspiriert?<br />

OP: Es war ein Gedanke, den ich schon<br />

lange im Kopf hatte. Donnas Geschichte<br />

wiederholt sich durch Sophie. Wir wollten<br />

dies verdeutlichen. Ich bin Stunde<br />

um Stunde die Szene durchgegangen<br />

und habe überlegt, wie ich sie gestalten<br />

soll. Ich stellte mir vor, dass Donna<br />

in einem weißen Gewand wie ein Engel<br />

die Kapelle betritt oder hineinschwebt.<br />

Das eine war nicht dramatisch genug,<br />

das andere zu abgehoben. Ich habe mir<br />

Ideen bei den Setdesignern geholt, um<br />

herauszufinden, was möglich ist. Und so<br />

entstand die Idee nach und nach. Ich bin<br />

sehr glücklich mit dem Ergebnis.<br />

BLIMU: Benny Andersson und Björn<br />

Ulvaeus haben für den Film einige der<br />

Liedtexte verändert?<br />

OP: Benny hat dabei geholfen, den richtigen<br />

Mix für den Film zu finden. Ich habe<br />

beide in Griechenland getroffen, bevor<br />

ich mit dem Drehbuch begonnen habe.<br />

Ich hatte erwartet, von ihnen eine Liste<br />

mit zehn bis fünfzehn Songs zu bekommen,<br />

um die herum ich die Geschichte<br />

spinnen soll. Es passierte aber genau das<br />

Gegenteil. Sie sagten mir, ich soll schreiben,<br />

was ich will, und auch die Songs<br />

verwenden, die ich will. Ich war in der Gestaltung<br />

also völlig frei und konnte Cher<br />

›Fernando‹ singen lassen, wenn sie auf<br />

ihre alte Liebe trifft. Ich habe mich immer<br />

wieder mit Benny und Björn getroffen<br />

und ihnen von meinen Ideen erzählt und<br />

sie waren sehr angetan davon. Auch die<br />

Idee, als Sophie und Sky miteinander telefonieren<br />

und dabei ›One of Us‹ singen,<br />

während sich das Bild teilt und man sie<br />

beide gleichzeitig sieht, kam an. Ich habe<br />

mich aber auch bemüht, ihre Songs sehr<br />

sorgsam zu behandeln. Da sind mir die<br />

beiden entgegengekommen und haben<br />

einige Textpassagen verändert, sodass<br />

diese besser zur Handlung passen.<br />

BLIMU: Amanda Seyfried war kurz<br />

zuvor Mutter geworden. War dies eine<br />

Herausforderung?<br />

OP: Amanda brachte ihr Baby mit zum<br />

Set und es schlief oft auf meinem Arm,<br />

während ich Regie führte und Amanda<br />

vor der Kamera stand. Ich war also Babysitter<br />

und Regisseur zugleich. Sie ist wirklich<br />

ein reizendes kleines Mädchen, das<br />

alle verzaubert hat.<br />

BLIMU: Es ist immer schwer, Schauspieler<br />

zu finden, die ein bereits<br />

bekanntes Castmitglied in jüngeren<br />

Jahren verkörpern. Mit Lily James in<br />

der Rolle der jungen Donna ist dies<br />

perfekt gelungen.<br />

OP: Es ist immer günstig, wenn sich der<br />

Cast schon aus vorigen Projekten kennt<br />

und eine natürliche Freundschaft miteinander<br />

pflegt, weil die Szenen dann<br />

harmonischer wirken. Es klingt wie ein<br />

Klischee, aber man castet gerne Leute,<br />

die man mag und kennt. Mir war es für<br />

»Mamma Mia! Here We Go Again« wichtig,<br />

dass der junge Cast eine ähnliche<br />

Persönlichkeit wie der jeweils Bestehende<br />

hat. Lily hat beispielsweise ganz zu Beginn<br />

getanzt, genauso wie es Meryl im<br />

ersten Film getan hat. Dadurch war die<br />

Verbindung offensichtlich. Und natürlich<br />

sollte der Cast ebenfalls singen können,<br />

weil ich dies Benny und Björn versprochen<br />

hatte. Die Darsteller des ersten<br />

Films sind natürlich in den letzten zehn<br />

Jahren älter geworden, was man auch<br />

an den Stimmen hört, die sich etwas<br />

verloren haben. Daher war es wichtig,<br />

dass der junge Cast besser singt. (lacht)<br />

Die jungen Darsteller mussten einfach<br />

talentiert, sympathisch und brillant sein,<br />

also keine großartigen Voraussetzungen<br />

erfüllen. (lacht)<br />

BLIMU: Lily James hat eine wunderbare<br />

Stimme. Hat sie während der Dreharbeiten<br />

live gesungen oder wurden<br />

die Songs, die zuvor aufgenommen<br />

wurden, abgespielt?<br />

OP: Wir haben beide Varianten genutzt.<br />

Auch bei Amanda. Sie haben beide wunderbare<br />

Stimmen und das haben wir<br />

genutzt. Wenn Donna in der Taverne<br />

singt, hat Lily wirklich a capella gesungen.<br />

Meryl Streep hingegen hat Playback<br />

gesungen. Das war eine Herausforderung,<br />

weil man selbst bei seiner eigenen<br />

Stimme nicht immer lippensynchron<br />

ist. Meryl hat dies aber bestens gemeistert.<br />

Gefühlvoller ist es immer, wenn die<br />

Darsteller live singen, weil sie in diesem<br />

Moment ganz anders fühlen als Monate<br />

zuvor, wenn sie die Songs einsingen.<br />

Chers Gesang stammt vom Band. Sie ist<br />

72 Jahre alt und kann perfekt ihre eigenen<br />

Aufnahmen performen.<br />

BLIMU: Wird es einen dritten Teil geben?<br />

OP: Das kann ich jetzt noch nicht beantworten.<br />

Ich sitze heute hier, weil der erste<br />

Teil so erfolgreich war. Wenn der zweite<br />

Film auch so gut läuft, bin ich offen. Ich<br />

bin positiv gestimmt. Ich habe über Figuren<br />

geschrieben, die die Zuschauer bereits<br />

kannten und mochten, und ich habe<br />

»neue« geschaffen, die ebenso liebenswert<br />

sind. Wir hoffen einfach das Beste.<br />

blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />

MM 16


I Am From Austria in Wien<br />

Titanic in Bad Hersfeld<br />

Grand Hotel in Baden<br />

Spamalot in Merzig<br />

Anna Göldi<br />

Billy Elliot in Hamburg<br />

Mamma Mia 2<br />

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November 2017 – Januar 20<strong>18</strong><br />

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September – November 2017<br />

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<strong>Ausgabe</strong> 92 (01/<strong>18</strong>)<br />

Januar – März 20<strong>18</strong><br />

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Ausdrucksstarkes Drama in Tecklenburg<br />

Anna Göldi in Neuhausen a. Rheinfall<br />

Prince of Broadway in New York<br />

Die Story meines Lebens<br />

Wiedervereinigte Freunde in Fürth<br />

Footloose in Darmstadt<br />

Craig Simmons im Interview<br />

Hairspray in Dortmund<br />

Romantics Anonymous in London<br />

<strong>Ausgabe</strong> 93 (02/<strong>18</strong>)<br />

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Mit<br />

Saisonvorschau<br />

17/<strong>18</strong><br />

Teil 2<br />

The Band's Visit in New York<br />

Ghost – Das <strong>Musical</strong><br />

Eine grenzenlose Liebe in Berlin<br />

Kinky Boots in Hamburg<br />

The Greatest Showman im Kino<br />

Doctor Dolittle in Salzburg<br />

Priscilla – Königin der Wüste in München<br />

Jekyll & Hyde in Frankfurt a. Main<br />

Once on This Island in New York<br />

Doktor Schiwago<br />

Leidenschaftliches <strong>Musical</strong> in Leipzig<br />

Fack ju Göhte in München<br />

Betty Blue Eyes in Linz<br />

Der Fliegende Holländer in Köln<br />

Drew Sarich – Jesus vis-à-vis<br />

Das Matterhorn<br />

in St. Gallen<br />

Barnum in London<br />

– Jesus vis-à-vis<br />

in London<br />

Abo nach Österreich:<br />

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<strong>18</strong> blickpunkt musical Special Mamma Mia 2<br />

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<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

Neues aus Österreich<br />

zusammengestellt von Barbara Kern<br />

Uraufführung von »Heidi« im Oktober im<br />

Wiener MQ<br />

Die weltweit gelesenen Bücher von Johanna Spyri<br />

(<strong>18</strong>27–1901) prägen wohl auch in Österreich seit<br />

Generationen das Bild der Schweiz. Durch die<br />

Filme, Comics und Animationsfilme aus USA,<br />

England und Japan ist die Figur der Heidi weltweit<br />

bekannt. Auch Komponist, Songwriter und<br />

Entertainer Michael Schanze hat in seinen Sendungen<br />

als TV-Moderator Kinder erlebt, die damit<br />

aufgewachsen sind. Nachdem Michael Schanze<br />

2016 gemeinsam mit Christian Berg das Familien-<br />

<strong>Musical</strong> »Scrooge – Eine Weihnachtsgeschichte«<br />

geschrieben hat, verfasste er jetzt gemeinsam mit<br />

Hans Dieter Schreeb (»Der Kurier der Kaiserin«,<br />

»Moselbrück« und Buch von »Tell«) ein neues<br />

<strong>Musical</strong> über Heidi. Schreeb interessiert an der<br />

Geschichte auch das Bild gesellschaftlicher Veränderungen<br />

Ende des 19. Jahrhunderts, das hier mit<br />

Heidis Reise zwischen den für Freiheit stehenden<br />

Schweizer Alpen und dem streng geregelten bürgerlichen<br />

Leben in der Stadt Frankfurt gezeigt<br />

wird.<br />

Das <strong>Musical</strong> »Heidi« wird am 10. Oktober<br />

20<strong>18</strong> Uraufführung in der Halle E des Wiener<br />

Museumsquartiers feiern. Produzent ist Wolfgang<br />

Werner, der u. a. als Intendant der Opernfestspiele<br />

St. Margarethen bekannt ist.<br />

Uwe Kröger verkörpert die Rolle des kauzigen<br />

Alm-Öhis und Maya Hakvoort wird das gestrenge<br />

Fräulein Rottenmeier spielen. Zum Cast wird<br />

auch Alfons Haider gehören.<br />

Regie & Bühnenbild liegen in den Händen<br />

von Manfred Waba.<br />

Mehr auf: www.heidimusical.info<br />

Auf eine emotionale Zeitreise mitnehmen möchte<br />

das Stück, das als »Schauspiel mit Musik« bezeichnet<br />

wird. »Gefühlsmalerei« ist das schöne Wort,<br />

das Julia Marie Wagner für das Werk findet, bei<br />

dem sie auch Regie führt. Die musikalische Leitung<br />

am Klavier übernimmt die Songwriterin Babsea, die<br />

zusammen mit Marion Feichter auch die Arrangements<br />

schrieb.<br />

Es spielen Lena Weiss (»Mozart!« in Shanghai,<br />

»Anatevka« in Heidelberg) als Emilie und Florine<br />

Schnitzel (»Grand Hotel« in Baden, »Les Misérables«<br />

in Staatz) als Wally.<br />

Die Uraufführung findet am 26. September<br />

20<strong>18</strong> im Brick-5 in Wien statt.<br />

Mehr auf: www.wally-emilie.com<br />

»Rudolf – Affaire Mayerling« auf Blu-ray<br />

Seit dem 20. Juli ist die Aufnahme aus dem<br />

Wiener Raimund Theater jetzt in neuer Qualität<br />

fürs Heimkino erhältlich. Die Blu-ray von<br />

HitSquad Records enthält 62 Kapitel, verteilt<br />

auf zwei Akte. Basierend auf dem Roman »Der<br />

letzte Walzer« von Frederic Morton über das<br />

Leben des österreichischen Kronprinzen Rudolf<br />

und über seinen Selbstmord an der Seite<br />

von Marie Vetsera, schrieben Frank Wildhorn<br />

und Jack Murphy ein dramatisches <strong>Musical</strong> mit<br />

großen Songs, das 2009 Uraufführung in Wien<br />

feierte. Am 19. und 20. Juni 2009 wurden die<br />

Produktionen aufgenommen. Durch Kamerafahrten<br />

auf der Bühne erlebt der Zuschauer das<br />

emotionale <strong>Musical</strong> der Vereinigten Bühnen<br />

Wien mit Drew Sarich, Lisa Antoni und Uwe<br />

Kröger in den Hauptrollen in ca. 150 Minuten<br />

fast wie einen Film.<br />

Mehr auf: www.hitsquad.at und www.musicalvienna.at<br />

Österreichische Erstaufführung von<br />

»Bodyguard« in Wien<br />

Am 27. September 20<strong>18</strong> feiert »Bodyguard –<br />

Das <strong>Musical</strong>« Premiere im Wiener Ronacher.<br />

Die <strong>Musical</strong>fassung vereint Songs des Film-<br />

Soundtracks (wie ›One Moment in Time‹ und<br />

›I Will Always Love You‹) und weitere Welthits,<br />

die im Original von Whitney Houston gesungen<br />

wurden, mit deutschsprachigen Dialogen.<br />

Grundlage bildet das Drehbuch von Lawrence<br />

Kasdan um die Liebesgeschichte zwischen dem<br />

Star Rachel Marron und dem Bodyguard Frank<br />

Farmer, die Alexander Dinelaris für das <strong>Musical</strong><br />

adaptierte. Das künstlerische Kreativteam<br />

besteht aus Thea Sharrock (Regie), Chris Egan<br />

(Orchestrierung & zusätzliche Musik), Mike<br />

Dixon (<strong>Musical</strong> Supervision & Vocal Arrrangements),<br />

Richard Beadle (<strong>Musical</strong> Supervision &<br />

zusätzliche Vocal Arrangements), Karen Bruce<br />

(Choreographie), Tim Hatley (Ausstattung),<br />

Campbell Young (Perücken & Make-up) und<br />

Mark Henderson (Lichtdesign), Duncan Mc-<br />

Lean (Videodesign) und Richard Brooker<br />

(Sounddesign). Bisher wurde die Bühnenfassung<br />

in elf Ländern aufgeführt und von 4 Millionen<br />

Menschen gesehen.<br />

In Wien wird Patricia Meeden die Soul-Diva<br />

Rachel Marron spielen und ihren Bodyguard verkörpert<br />

Jo Weil (»Verbotene Liebe«, »Tatort«). In<br />

die Rolle von Rachels Schwester Nicki schlüpft<br />

Ana Milva Gomes. In weiteren Rollen sind Martin<br />

Muliar (Rachels Manager Bill Devaney), Andreas<br />

Kammerzelt (PR-Agent Sy Spector), Nicolas Tenerani<br />

(Security-Chef Tony Scribelli), Maximilian<br />

Ortner (Stalker) und Peter Windhofer (Special<br />

Agent Ray Court) zu erleben. Es spielt das Orchester<br />

der Vereinigten Bühnen Wien.<br />

Mehr auf: www.musicalvienna.at<br />

»Wally : Emilie« uraufgeführt im Brick-5 in<br />

Wien<br />

Wally Neuzil und Emilie Flöge waren aus Sicht der<br />

Geschichte nur Musen von Egon Schiele und Gustav<br />

Klimt. Doch Emilie war eine Frau von Welt,<br />

Designerin mit eigenem Modesalon und Platz in<br />

der Gesellschaft. Wally war eine einfache Tagelöhnerin,<br />

das Künstlermodell und machte aus der<br />

Not eine Tugend. In dem Stück von Julia Marie<br />

Wagner (Buch) und Babsea (Musik und Liedtexte)<br />

begegnen sie sich zwischen Raum und Zeit. Sie<br />

reflektieren über Schattenseiten und Glücksmomente,<br />

Egoismus und Seelenverwandtschaft an der<br />

Seite der beiden Künstler.<br />

(v.l.): Jo Weil, Patricia Meeden, Ana Milva Gomes und Christian Struppeck<br />

Foto: VBW / Herwig Prammer<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

49


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

Einer für alle und alle für einen<br />

»3 Musketiere« beim <strong>Musical</strong>sommer Winzendorf<br />

Jungspund D'Artagnan (Christopher Dederichs, r.) will es gleich mit den drei gestandenen Musketieren Porthos<br />

(Dirk Siebenmorgen), Aramis (Florian Fetterle) und Athos (Christoph Apfelbeck) aufnehmen<br />

Foto: Philipp Bernhard<br />

3 Musketiere<br />

Rob Bolland & Ferdi Bolland /<br />

Paul Bogaev / Gerard Cox /<br />

Jan-Simon Minkema / Petra van der<br />

Eerden / André Breedland<br />

Deutsch von Wolfgang Adenberg &<br />

Ruth Deny<br />

<strong>Musical</strong>sommer Winzendorf<br />

Steinbruch<br />

Premiere: 6. Juli 20<strong>18</strong><br />

Regie ......................... Andreas Gergen<br />

Musikalischer Leiter .......... Lior Kretzer<br />

Choreographie.............. Sabine Arthold<br />

Stunt-Choreographie ............................<br />

Josef Schützenhofer<br />

Bühnenbild ............................ El Lasso<br />

Kostüme ........... Gerlinde Höglhammer<br />

Maske .......................... Maya Storbeck<br />

Lichtdesign ...................... Lukas Berger<br />

Sounddesign ..... Johannes Minichmayr<br />

D'Artagnan ...... Christopher Dederichs<br />

Kardinal Richelieu ........... Armin Kahl /<br />

Robert D. Marx<br />

Milady de Winter .............. Lisa Antoni<br />

Constance .......................... Zoë Straub<br />

Athos ................... Christoph Apfelbeck<br />

Porthos .................. Dirk Siebenmorgen<br />

Aramis ......................... Florian Fetterle<br />

Rochefort ................ Lorenz Sandmaier<br />

Königin Anna .............. Sarah Zippusch<br />

Conférencier ................... Florian Klein<br />

König Ludwig .................. Kilian Berger<br />

Buckingham ........... Kevin G. Valentine<br />

Puffmutter ..................... Romina Stella<br />

D'Artagnans Mutter ....... Nadine Zemp<br />

Engel aus Kristall .......... Bianca Stocker<br />

In weiteren Rollen:<br />

Sara Lynn Boyer, Diego Federico,<br />

Maximilian Millen, Lisa Radl (Dance<br />

Captain), Max M. Vazquez<br />

Mit schwingendem Degen stolpert der junge<br />

D'Artagnan in sein erstes Abenteuer. Von seinem<br />

behüteten Zuhause im Süden Frankreichs hat er sich<br />

mit seinem geliebten Pferd »Pomme de terre« auf den<br />

Weg gemacht, um in Paris sein Glück zu finden. Doch<br />

ehe er sich versieht, verteidigt er den König, an der Seite<br />

der von ihm hochverehrten Musketiere Athos, Porthos<br />

und Aramis, gegen böse Mächte. Mit starken Stimmen,<br />

spektakulären Stunts und schwungvollen Schauspielszenen<br />

heizt der <strong>Musical</strong>sommer Winzendorf im alten<br />

Steinbruch in diesem Jahr mit »3 Musketiere« den Zuschauern<br />

ein. Trotz kleiner Optimierungsmöglichkeiten<br />

ist die Sommer-Spielstätte auf dem besten Weg, sich neben<br />

den etablierten Festspielen in Amstetten und Staatz<br />

in der warmen Jahreszeit zu einer der festen niederösterreichischen<br />

Musiktheaterinstitutionen rund um Wien<br />

zu mausern.<br />

Für die neue Inszenierung des Klassikers, der 2003<br />

seine Uraufführung im niederländischen Rotterdam<br />

feierte, wurde ein beachtlicher Cast gefunden. In die<br />

Rolle des etwas unbeholfenen, aber nicht minder mutigen<br />

D'Artagnan schlüpft Blondschopf Christopher<br />

Dederichs. Mit dem mitreißenden Song ›Heut' ist der<br />

Tag‹ setzt der Darsteller, der zuletzt in »Schikaneder«<br />

und »Tanz der Vampire« zu sehen war, gleich zu Beginn<br />

seines neuen Engagements hohe Standards, denen aber<br />

auch die nachfolgenden Solisten durchaus gerecht werden.<br />

Sehr gut spielt er die Entwicklung von dem tagträumerischen<br />

und etwas unbeholfenen Landburschen<br />

hin zum mutigen Musketier. Dabei erhält D'Artagnan<br />

die Chance, zu zeigen, was in ihm steckt. Noch gar nicht<br />

richtig in der französischen Hauptstadt angekommen,<br />

trifft er seine erste große Liebe in Gestalt von Constance.<br />

Sie wird von der Sängerin Zoë Straub verkörpert,<br />

die – nach der Teilnahme beim Eurovision Song Contest<br />

2016 für Österreich mit ›Loin d'ici‹ – in Winzendorf ihr<br />

<strong>Musical</strong>debüt gibt und unter Beweis stellt, dass sie nicht<br />

nur stimmliche, sondern auch darstellerische Qualitäten<br />

zu bieten hat. Ganz nebenbei purzelt D'Artagnan<br />

in sein erstes Abenteuer. Mit mehr Mut als Verstand<br />

fordert er gleich drei gestandene Musketiere zum Duell<br />

heraus. Christoph Apfelbeck spielt den Gentleman<br />

Athos, Florian Fetterle den humorvollen Aramis und<br />

Dirk Siebenmorgen den Genussmenschen Porthos. Die<br />

drei sind auch auf der Bühne ein eingespieltes Team und<br />

schaffen es, jedem der Leibgardisten einen ganz eigenen<br />

Charakter zu verleihen und dennoch eine verschworene<br />

Einheit zu bilden. Die hastig ausgemachten Duelle zwischen<br />

dem Greenhorn und den erfahrenen Kämpfern<br />

finden nicht statt, da die Leibgarde des Kardinals unter<br />

der Leitung von Rochefort (Lorenz Sandmaier) dazwischen<br />

geht. Statt gegeneinander kämpfen die vier in der<br />

folgenden Degen-Szene, die spannend und energiegeladen<br />

von Stunt-Choreograph Josef Schützenhofer umgesetzt<br />

wurde, zusammen. Gekonnt schwingen die Darsteller<br />

die Klingen. Ihnen gegenüber steht als Highlight<br />

des Casts Armin Kahl in Form des legendären Kardinals<br />

Richelieu. Dieser bewegt sich mit einer bewundernswerten<br />

Natürlichkeit im scharlachroten Ornat. Wer genau<br />

hinschaut, kann die zwiegespaltene Persönlichkeit, die<br />

zwischen der katholischen Liebe zu Gott und dem Hass<br />

auf die protestantischen Hugenotten schwankt, in seinen<br />

Augen blitzen sehen. Der Mann mit dem spitzbübisch-dämonischen<br />

Lächeln hat in Winzendorf offenbar<br />

ein Zuhause gefunden, hat Armin Kahl doch im letzten<br />

Sommer bereits Zorro verkörpert. An seiner Seite ist in<br />

50<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

diesem Jahr Lisa Antoni zu sehen. Mit ihrer beeindruckenden<br />

Stimme, die sie besonders bei ›Männer‹ unter<br />

Beweis stellt, begeistert sie das Publikum als Milady de<br />

Winter und vermeintliche Komplizin des dubiosen Kirchenmannes.<br />

Das Leading-Team rund um den erfahrenen Regisseur<br />

Andreas Gergen, der nicht nur im vergangenen Jahr<br />

in Winzendorf, sondern auch in Tecklenburg und anderen<br />

Theaterhäusern zahlreiche Ensuite-Erfolgsproduktionen<br />

aus der Taufe gehoben hat, hat auch beim Ensemble<br />

aus Schülern und Absolventen des Performing<br />

Center Austria in Wien eine gute Auswahl getroffen.<br />

So macht besonders Kilian Berger nicht nur im Ensemble,<br />

sondern auch in der Nebenrolle des König Ludwig eine<br />

tadellos gute Figur. Auch seine Bühnen-Gattin, die<br />

Newcomerin Sarah Zippusch, zeigt ihr Können und<br />

vermag beim Terzett ›Wer kann schon ohne Liebe sein‹,<br />

mit den erfahrenen Kolleginnen mitzuhalten.<br />

Alle Darsteller stehen vor der Herausforderung, die<br />

große Bühne von Winzendorf zu bespielen. Der alte<br />

Steinbruch bietet schon seit Jahren für die Winnetou-<br />

Festspiele dem Publikum eine einzigartige Kulisse. Im<br />

letzten Sommer nutzte der <strong>Musical</strong>sommer die Kulisse<br />

erstmals mit »Zorro« für ein <strong>Musical</strong>. Durch die Überdachung<br />

wetterfest, nimmt der Zuschauer in gemütlichen<br />

Kino-Sesseln Platz. Die besonders breite Bühne bietet<br />

ein kinoähnliches 16:9-Erlebnis. Viele einzelne kleine<br />

Schauplätze, wie eine Höhle, ein Salon, der zum Schloss<br />

umfunktioniert wird, und eine Brücke verbinden sich<br />

zu einem harmonischen Ensemble und bieten nicht nur<br />

dem Orchester unter der musikalischen Leitung von<br />

Lior Kretzer die Möglichkeit, sich direkt auf der Bühne<br />

zu positionieren, sondern auch mannigfaltige Auftrittsmöglichkeiten<br />

für Pferde und Kutschen. Die prunkvollen<br />

Kostüme der Musketiere oder auch von Königin<br />

Anna (Kostümbild: Gerlinde Höglhammer) können<br />

hier ihre ganze Pracht entfalten. Auch der Sound ist in<br />

diesem Jahr deutlich besser als noch beim Debüt des<br />

<strong>Musical</strong>sommers vor zwölf Monaten. Glasklar ist jede<br />

Stimme zu hören, die rockigen Rhythmen aus der Feder<br />

des niederländischen Komponistenbrüderpaares Rob<br />

und Ferdi Bolland gehen in Mark und Bein.<br />

Wie im vergangenen Jahr haben die Produzenten<br />

Jérôme Berg und Benedikt Karasek auch in diesem<br />

Jahr nicht nur bei der Stückwahl, sondern auch bei den<br />

Engagements ein glückliches Händchen bewiesen.<br />

Eine Bemerkung zum Schluss: Auch Schattenseiten<br />

bringt dieses kinohafte Erlebnis für die ganze Familie<br />

mit sich. So muss sich der erfahrene <strong>Musical</strong>-Besucher<br />

vermutlich erst daran gewöhnen, dass so manche beachtenswerte<br />

Reprise ungewohnt durch Popcorn-Geraschel<br />

vom hungrigen Nebensitzer gestört wird.<br />

Manuel Sommerfeld<br />

Abb. unten von links:<br />

1. ›Männer‹ – Milady de Winter (Lisa<br />

Antoni mit Ensemble) ist nicht gut auf die<br />

Herren der Schöpfung zu sprechen<br />

2. Kardinal Richelieu (Armin Kahl, Mitte<br />

mit Ensemble) hat nicht nur die Zügel,<br />

sondern auch das Königspaar (Kilian<br />

Berger, l. und Sarah Zippusch, r.) fest in<br />

der Hand<br />

3. Erstes Aufeinandertreffen und<br />

charmante Blicke zwischen D'Artagnan<br />

(Christopher Dederichs) und Constance<br />

(Zoë Straub)<br />

4. Constance (Zoë Straub, l.) und<br />

D'Artagnan (Christopher Dederichs,<br />

Mitte) strahlen vor Glück und haben<br />

auch den Segen von Athos (Christoph<br />

Apfelbeck, r.)<br />

Fotos (4): Philipp Bernhard<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

51


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

Ein Klassiker mit Herzschmerz und neuen Ideen<br />

»West Side Story« bei den Mühlviertler <strong>Musical</strong>festwochen in Bad Leonfelden<br />

West Side Story<br />

Leonard Bernstein / Stephen Sondheim /<br />

Arthur Laurents / Jerome Robbins<br />

Songs in englischer Sprache<br />

Deutsche Dialoge von Marcel Prawy<br />

Eine Kooperation oberösterreichischer<br />

Kultureinrichtungen mit<br />

Mühlviertler <strong>Musical</strong>festwochen<br />

Sporthalle Bad Leonfelden<br />

Premiere: 7. Juli 20<strong>18</strong><br />

Regie &<br />

Choreographie .... Daniel Morales Pérez<br />

Musik. Leitung ..... Walter Rescheneder<br />

Bühnenbild ....... Peter Manhartsberger,<br />

Anna Maria Brandstätter,<br />

Nicola Hackl-Haslinger<br />

Kostüme .... Susanne Kerbl & Anita Bachl<br />

Lichtdesign ....... Bernie und Birgit Leier<br />

»Skyline«<br />

Ton ........................ Mathias Burghofer<br />

Tony .............................. Gernot Romic<br />

Maria ................................ Ilia Staple /<br />

Svetlana Enzenhofer-Merzlova<br />

Anita .... Masengu Madeleine Kanyinda<br />

Bernardo .......... Damián Cortes Alberti<br />

Riff ....................... Johannes Nepomuk<br />

Anybody’s .... Nuria Gimenez Villaroya<br />

Chino ................................. Enyer Ruiz<br />

Doc .......................... Manfred Stepany<br />

Schrank ............. Peter Andreas Landerl<br />

Krupke ........................ Ralf Rachbauer<br />

Ein Mädchen ................. Esther Pollak /<br />

Lisa Marie Lang<br />

In weiteren Rollen<br />

Rie Akiyama, Marlene Aigner,<br />

Christian Baumgartner, Kai Chun<br />

Chuang, Pablo Delgado, Hermann<br />

Diller, Chiara Ebner, Katharina Egger,<br />

Julio Andrés Escudero, Cajsa Ekstrand,<br />

Sarah Est, Domen Fajfar, Magdalena<br />

Fankhauser, Sarah Hartl, Michael<br />

Hinterhauser, Anniina Kankkunen,<br />

Laura Maria Kerbl, Bjarne Kirchmair,<br />

Verena Örtelt-Sumps, Elías Morales<br />

Pérez, Gabriel Wanka, Jana Würleitner,<br />

Julian Ricardo Yopasá Samacá<br />

Star des Abends: Masengu Madeleine Kanyinda in der Rolle der Anita. Sie begeisterte mit dem Ohrwurm-Song ›America‹<br />

Foto: ABPU<br />

Die Zuschauer schmolzen reihenweise dahin. Sie taten<br />

das 1<strong>95</strong>7 bei der Uraufführung in New York<br />

und auch 1961, als Richard Beymer mit Natalie Wood<br />

auf der Leinwand flirtete. Leonard Bernsteins »West<br />

Side Story« ist ein <strong>Musical</strong>-Klassiker per excellence und<br />

ein »Romeo und Julia« der Gegenwart.<br />

Gemäß Bernsteins Motto »Alles ist möglich, wenn<br />

wir zusammenarbeiten«, nahm sich Produzent Thomas<br />

Kerbl in Bad Leonfelden dem amerikanischen Klassiker<br />

an. Eines stand von Anfang an fest: Das Publikum<br />

sollte die Partitur im Original hören. Ohne Abstriche<br />

oder Besetzungsminimierungen. Genau so, wie Leonard<br />

Bernstein das Werk niedergeschrieben hatte. Dem kam<br />

man auch akribisch nach. Mit dem Leonard Bernstein<br />

Festival Orchester unter der Leitung von Walter Rescheneder<br />

konnte ein musikalischer Leckerbissen gewonnen<br />

werden: Ein Orchester in einer Größenordnung, wie<br />

man es – vor allem beim Sommertheater – kaum sieht.<br />

Einzig der Ton machte Sängern und Musikern einen<br />

Strich durch die Rechnung. Aussetzende Mikros, Handmikrofone,<br />

die angereicht wurden und dann ebenso<br />

versagten, sowie generell verbesserungswürdige Tonqualität.<br />

Zur Geschichte – einer modernen »Romeo und<br />

Julia«-Version rund um Tony (Jets) und Maria (Sharks)<br />

an der New Yorker West Side – muss man wohl nicht<br />

mehr viel sagen. Sie ist allseits bekannt. Die Inszenierung<br />

von Daniel Morales Pérez liegt, wie bereits erwähnt,<br />

äußerst nahe am Original. Zwei erwähnenswerte<br />

Ausnahmen gibt es allerdings: Ende des zweiten Aktes<br />

träumen Tony und Maria von einer Zukunft zu zweit<br />

(›Somewhere‹). Der Song wird anstatt von den beiden<br />

von einem jungen Mädchen in weißem Kleid vorgetragen.<br />

Wenn auch Esther Pollak das mit Bravour meisterte,<br />

bleibt die Frage, ob es die Zuseher nicht aus dem Geschehen<br />

reißt und womöglich etwas deplatziert wirkt.<br />

Die zweite Änderung in Pérez' Inszenierung betrifft<br />

die Schlusssequenz. Anstatt der »Versöhnung« von Jets<br />

und Sharks, die Tony gemeinsam von der Bühne tragen,<br />

verlassen alle das Szenario und die trauernde Maria<br />

bleibt alleine mit Tony zurück. Wenn es auch einen<br />

Grund dafür geben mag, büßt das Finale durch Fehlen<br />

der Abschlussszene leider einiges an Emotionen ein. Der<br />

Schluss wirkt holprig – das Publikum scheint nicht sicher<br />

zu sein, ob das Stück schon vorbei ist oder nicht.<br />

Da hätte man sicherlich einen runderen Abschluss finden<br />

können.<br />

Positiv hervorzuheben sind die detailgetreue Arbeit<br />

und die kleinen Ideen, mit denen Pérez das sonst immergleiche<br />

Stück aufpeppt. Bei der ›Hochzeitsszene‹ im<br />

Brautmodengeschäft sind es keine Puppen, mit denen<br />

die Verliebten tanzen, sondern echte Darsteller, die Puppen<br />

mimen sollen. Eine gute Idee, da die Szene so durch<br />

den Roboter-artigen Puppentanz besonders lebendig wirkt.<br />

In den Hauptrollen finden sich Gernot Romic<br />

(»Mozart!«, »Elisabeth«, »Tanz der Vampire«) und Ilia<br />

Staple (»Das Phantom der Oper«, »Orpheus in der Unterwelt«,<br />

alternierend: Svetlana Enzenhofer-Merzlova)<br />

zwischen zwei Welten. Tony und Maria – zwei Rollen,<br />

die schon von zahlreichen Darstellern zuvor verkörpert<br />

wurden und das vermutlich auch noch werden. Romic<br />

bringt seine eigene Interpretation des ehemaligen Jets-<br />

Mitglieds ein. Er überzeugt stimmlich auf ganzer Linie,<br />

sorgt mit Klassikern wie ›Maria‹ und ›Something's Coming‹,<br />

welche bekanntlich nicht leicht zu singen sind,<br />

für Gänsehaut. Darstellerisch ist der 32-Jährige zwar<br />

bemüht, es gelingt ihm jedoch insbesondere in den Szenen<br />

mit Maria nicht, dass der Funke überspringt. Dies<br />

52<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

mag auch an seinem Gegenüber liegen. Während Staple<br />

eine Stimme besitzt, bei der so manche Sängerin an der<br />

Wiener Staatsoper vor Neid erblassen würde, kann sie in<br />

der Rolle der Maria schauspielerisch leider nicht überzeugen.<br />

Zu wenig Grazie, zu wenig lieblich, zu hart und<br />

hölzern wirkt sie. Auch darum fehlt es bei den Liebesszenen<br />

an der für »West Side Story« nötigen Romantik.<br />

Schade auch, dass sie den typischen »Maria-Akzent«<br />

nicht einfließen lässt.<br />

»Star« des Abends ist Anita-Interpretin Masengu<br />

Madeleine Kanyinda. Die Mezzosopranistin (PCA<br />

Abschluss 2016) singt und spielt ihre Kollegen am Premierenabend<br />

an die Wand. Sie verkörpert eine rassige,<br />

selbstbewusste Anita, die mit beiden Beinen fest im Leben<br />

steht und sich von nichts und niemandem unterkriegen<br />

lässt. Ihr Duett mit Maria (›A Boy Like That‹)<br />

bildet das Highlight der Vorstellung. Ebenso perfekt<br />

besetzt ist ihr Liebhaber, Marias Bruder Bernardo, dargestellt<br />

von Damián Cortes Alberti. Er mimt den klassischen<br />

puerto-ricanischen Macho mit Witz, Charme<br />

und Feuer. In die Rolle des Riff, Anführer der Jets,<br />

schlüpft Johannes Nepomuk, der zwar gesanglich stark<br />

ist, jedoch trotz Anstrengung die ganze Aufführung des<br />

Stückes hindurch eher unscheinbar bleibt.<br />

Die Kostüme von Susanne Kerbl und Anita Bachl<br />

sind an die typisch-modernen »West Side Story«-Inszenierungen<br />

angeglichen: die kurzen, bunten Kleider<br />

der Puerto-Ricanerinnen, die lässigen Outfits inklusive<br />

Chucks bei den Jets. Hervorzuheben ist in Bad Leonfelden<br />

vor allem die Choreographie, die ebenfalls von<br />

Regisseur Pérez stammt. Jazzig und mit Power ist von<br />

Beginn bis zum Ende eine klare Linie zu erkennen.<br />

Schnelle Moves wechseln sich mit kubanischen Rhythmen<br />

und langsamen Tänzen ab und ziehen das Publikum<br />

in ihren Bann. Dabei spielt ihm neben einem<br />

fantastischen Ensemble auch die weitläufige Bühne in<br />

die Hände. Das Bühnenbild ist zwar eher spärlich, aber<br />

effektiv, da es Raum für Bewegung bietet. Peter Manhartsberger,<br />

Nicola Hackl-Haslinger und Anna Maria<br />

Brandstätter kreierten mit Hilfe von Metallstäben und<br />

Holzteilen das Revier der Jugendbanden. Diese Elemente<br />

sind beweglich und können rasch in den kleinen<br />

Laden oder den Balkon von Maria verwandelt werden.<br />

Erst zum Schluss wird ersichtlich, dass die Holzeinheiten<br />

Buchstaben tragen, die die Wörter »West Side« bilden.<br />

Diese Inszenierung der berühmten »West Side Story«<br />

ist noch bis zum 5. August im Mühlviertel zu sehen. Die<br />

Geschichte über eine große Liebe, soziale Missstände<br />

und die Sinnlosigkeit von Gewalt ist in Bad Leonfelden<br />

klassisch und doch mit raffinierten Ideen inszeniert, mit<br />

zwei Hauptdarstellern, die uns mit ihren Stimmen in<br />

eine andere Welt entführen. Absolut zu empfehlen!<br />

Yvonne Brandstetter<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Eine Schlussszene der anderen Art:<br />

Die trauernde Maria (Ilia Staple) bleibt<br />

am Ende alleine mit ihrem Tony (Gernot<br />

Romic) zurück<br />

2. Feurig, charmant und mit dem nötigen<br />

Witz: Damián Cortes Alberti (l.) überzeugt<br />

in der Rolle des Sharks-Anführers<br />

Bernardo im Zusammenspiel mit Tony<br />

(Gernot Romic)<br />

3. Tony und Maria träumen von einer<br />

Zukunft ohne Mauern, die sie trennen;<br />

interpretiert wird ›Somewhere‹ von<br />

Esther Pollak<br />

4. Beim Tanzabend kommt sich das ungleiche<br />

Paar (Ilia Staple, Gernot Romic)<br />

näher. Doch das Glück soll nicht lange<br />

währen …<br />

Fotos (4): ABPU<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

53


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

Stimme und Klavier hoch 2<br />

»Be-Quadrat« mit ihrem neuen Programm »Doppelt hält besser«<br />

Abb. oben:<br />

Bettina Bogdany gibt die strenge<br />

Oberlehrerin, Pausenclown Bernhard<br />

Viktorin singt beschwingt<br />

Foto: Maria & Andi Altmann<br />

Sie sei eine Klaviervirtuosin, er der Kasper – so definiert<br />

sich das österreichische Duo »Be-Quadrat« am<br />

Anfang seines Abends selbst. In ihrem aktuellen Programm<br />

»Doppelt hält besser« beweist Bettina Bogdany<br />

im Verlaufe des Abends, dass sie nicht minder lustig ist<br />

als ihr Bühnenpartner, und der andere Teil des Duos,<br />

Bernhard Viktorin, zeigt immer wieder eindrucksvoll,<br />

dass er nicht nur Musik macht, sondern auch mit der<br />

Musik spielen kann.<br />

Viele Requisiten benötigen die <strong>Musical</strong>darsteller<br />

nicht. Ein E-Piano hat auf der sonst in Schwarz gehaltenen<br />

Bühne mittig seinen Platz gefunden. Nicht nur<br />

das Klavier, auch die Musik, mit der die zwei Künstler<br />

spielen, steht während des rund zweieinhalbstündigen<br />

Programms im Zentrum. Mal kopfüber, mal zu zweit,<br />

mal während eines Liedes abwechselnd spielend, zeigen<br />

sie auf ihm ihr ganzes Können und die vielseitige<br />

Bandbreite der Musik. In der Wiener Kulisse – einer<br />

Kleinkunstbühne mit Beislbewirtung im 17. Wiener<br />

Gemeindebezirk – verabschiedete sich das Duo in die<br />

Sommerpause, bevor es dann ab Mitte September auf<br />

diversen Bühnen in ganz Österreich wieder sein musikalisches<br />

und komödiantisches Talent zeigt.<br />

Bettina Bogdany gibt an diesem Abend die bieder<br />

angehauchte Kulturinteressierte, die, im grauen Hosenanzug,<br />

mit straff nach hinten gebundenen Haaren<br />

und Brille (Kostüme: Timo Verse), wie die perfekte<br />

Verkörperung der strengen Oberlehrerin wirkt. Immer<br />

wieder lässt sie auf humoristische Weise musiktheoretische<br />

Erklärungen einfließen. Dabei schlägt sie die<br />

Triangel an, unterbricht scheinbar das Programm und<br />

erläutert Begriffe wie »andante« oder »Swing«. Dem<br />

vielfach verbreiteten Musikphänomen »Key-Change«,<br />

dem Tonartwechsel am Ende des Liedes, wird sogar<br />

ein ganzer Song gewidmet. Bernhard Viktorin hingegen<br />

gibt den lässigen Klassenkasper mit hochgegelten<br />

Haaren, roter Hose, einem Logo-T-Shirt und einem<br />

blauen Kapuzen-Pullover. Das Repertoire des auf den<br />

ersten Blick unpassenden Paares ist reich an eigenen<br />

Kompositionen. Diese handeln oft von Alltagssituationen,<br />

die das Leben mit einem Augenzwinkern betrachten.<br />

Wenn sie bekannte Songs aufgreifen, dann immer<br />

auf ihre ganz eigene und persönliche Weise. In einem<br />

eindrucksvollen Medley schaffen sie es, in einem Rückblick<br />

von acht Minuten die größten Hits von heute bis<br />

zu den 50ern zu präsentieren. Dabei können die beiden<br />

auf ihre ausgebildeten <strong>Musical</strong>stimmen zurückgreifen.<br />

Zahlreiche Genres werden dabei von ihnen gefühlvoll<br />

und stilsicher bedacht. Auch dem Schlager-Phänomen<br />

Helene Fischer widmet sich das Duo. Verdient die Sängerin,<br />

die mit ›Atemlos‹ den gleichen Song immer und<br />

immer wieder singen muss, unser Mitleid? »Be-Quadrat«<br />

legt ihr zur Melodie des Hits einen neuen Text in den<br />

Mund: »Pausenlos dieses Lied / vier Akkorde und ein<br />

Beat / gnadenlos im Dauerlauf / wann zum Teufel hört<br />

das auf`?«<br />

Emotional wird es, als sie berichten, wie Dietmar, der<br />

Mitbewohner von Bernhard, aus der gemeinsamen WG<br />

wegen einer Frau auszieht. Der Mann steht ohne seinen<br />

Best Buddy nun vor der für ihn überaus existenziellen<br />

Frage des Alltags: Wer schaut jetzt mit ihm sein geliebtes<br />

Fußballprogramm? Stehen doch Championsleague,<br />

54<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

Bundesliga und die Weltmeisterschaft vor der Tür.<br />

Bühnenpartnerin Bettina zeigt wieder einmal Herz und<br />

bietet sich selbst zum gemeinsamen Fernsehen schauen<br />

an. Doch statt dem heißen Match folgt ein wildes<br />

Durchgezappe. Das dazu passende Medley aus Filmsongs<br />

und Werbejingles kommt beim bunt gemischten<br />

Publikum sehr gut an. »Indiana Jones«, »Flipper«, aber<br />

auch »Wickie und die starken Männer« flimmern über<br />

die Mattscheibe. Zeichentrickreihen, Spielfilme oder<br />

Serien – alle Klassiker, die die Fernsehunterhaltung zu<br />

bieten hat, geben sich hier die Klinke in die Hand. Besonders<br />

wer in den 90er Jahren aufgewachsen ist und die<br />

Zeit noch erlebt hat, als das Fernsehen das Lagerfeuer<br />

der Nation war, vor dem sich die Familie versammelte,<br />

wird hier seine Freude haben.<br />

Ein wenig machen sich die beiden Künstler auch<br />

über das Genre <strong>Musical</strong> lustig, was beim Musik-Kabarett<br />

aber durchaus mal erlaubt ist. Auch die Zuschauer<br />

werden immer direkt angesprochen und interaktiv mit<br />

in das Programm einbezogen. So wird dem ganzen Publikum<br />

demonstriert, wie es bei diversen Anlässen richtig<br />

zu applaudieren hat. Da ist von der Oper, wo man<br />

nach der Arie dezent und kontrolliert klatscht, über<br />

die Mischung aus begeistertem Applaus und Buh-Rufen<br />

bei einem Singer-Songwriter-Konzert bis hin zum<br />

animalischen Jubel beim Hip-Hop-Abend nahezu alles<br />

dabei. Fast wie eine kleine Liebeserklärung klingt der<br />

Song ›Geschwisterherz‹, bei dem Bettina sehr liebevoll<br />

über ihre kleine Schwester singt. Immer wieder veräppeln<br />

sich Viktorin und Bogdany auch gegenseitig. Die<br />

vom Publikum am häufigsten gestellte Frage: »Seids ihrs<br />

zsamm?«, verneinen beide vehement und versäumen es<br />

nicht, diese Aussage mit energischen Armbewegungen<br />

zu unterstreichen. Zusätzlich setzen sie mit dem Song<br />

›Schau amal in Spiegel‹ ein dickes Ausrufezeichen unter<br />

dieses Statement. Dafür klappt es mit »Be-Quadrat«<br />

umso besser: »Doppelt hält besser« ist schon das zweite<br />

Musik-Kabarett-Programm der beiden. Für alle, die ihr<br />

erstes Programm »In den Beziehungskisten« verpasst haben,<br />

geben Bogdany und Viktorin einen Schnelldurchlauf<br />

durch selbiges.<br />

Für noch mehr musikalische Abwechslung im<br />

Klangbild sorgt ein Cajon, ein Kasten zum Trommeln,<br />

der witzig ins Programm eingebaut wird und für Rhythmusunterstützung<br />

sorgt. Dabei wurde Bettina Bogdany<br />

zunehmend heißer und sie musste sich von Blazer und<br />

Brille trennen, um frei aufspielen zu können. Dabei verschwindet<br />

ihre biedere Seite und macht ihrem wilden<br />

Ich Platz. Aber auch ihre kindliche Seite kommt nicht<br />

zu kurz. Da darf dann auch mal der Plüschtiger auf dem<br />

Klavier steppen. Und da dem Stofftier-Tiger die obligatorischen<br />

Steppschuhe fehlen, muss der schon etwas<br />

skeptische Bernhard Viktorin mit »Klickediklack« für<br />

den passenden Ton zum Steppschritt sorgen. Mit dem<br />

Titelsong ›Doppelt hält besser‹ wird das gleichnamige<br />

Programm abgeschlossen.<br />

Am Ende eines unterhaltsamen Abends ernten Bettina<br />

Bogdany und Bernhard Viktorin für ihr spritziges,<br />

komplett in Eigenregie erstelltes Programm, welches<br />

Hits, Eigenkompositionen, Improvisations- und Inszenierungselemente<br />

enthält, wahrlich verdient minutenlange<br />

Standing Ovations.<br />

Manuel Sommerfeld<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Bettina Bogdany gekonnt am E-Klavier,<br />

während Bernhard Viktorin das Publikum<br />

unterhält<br />

2. Mal wieder erklärt Bettina Bogdany<br />

musikalische Fachbegriffe<br />

3. Bernhard Viktorin gibt den Rocker<br />

vom Hocker<br />

4. Bettina Bogdany mit ihrer »Swing-<br />

Bibel« – dort stehen alle wichtigen<br />

Details, die sie als Swing im <strong>Musical</strong><br />

beachten muss<br />

Fotos (4): Maria & Andi Altmann<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

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<strong>Musical</strong>s in der Schweiz<br />

Turbulente Ferien in Griechenland<br />

»Mamma Mia!« bei den Thunerseespielen, erstmals in schweizerdeutscher Mundart<br />

Abb. oben:<br />

›Super Trouper‹ – Donna (Monica<br />

Quinter, 10.v.r.), Tanja (Patricia Hodell<br />

9.v.r.), Rosi (Gigi Moto, 11.v.r.) begeistern<br />

als »The Dynamos« die Polterabendgäste<br />

(Ensemble)<br />

Foto: Foto4you.biz<br />

Mamma Mia!<br />

Benny Andersson / Björn Ulvaeus /<br />

Catherine Johnson<br />

Schweizerdeutsch von<br />

Dominik Flaschka & Roman Riklin<br />

Thunerseespiele Thun<br />

Seebühne<br />

Premiere: 11. Juli 20<strong>18</strong><br />

Regie ...................... Dominik Flaschka<br />

Musik. Leitung ......... Iwan Wassilevski<br />

Chorleitung &<br />

Supervision Berndeutsch ..... Ben Vatter<br />

Choreographie ............. Jonathan Huor<br />

Bühnenbild ................. Stephan Prattes<br />

Kostüme ............... Kathrin Baumberger<br />

Maske ............................ Ronald Fahm<br />

Lichtdesign ................... Christian Joller<br />

Sounddesign ............... Thomas Strebel<br />

Donna ....................... Monica Quinter<br />

Sophie ...................... Judith von Orelli<br />

Sky ........................... Angelo Canonico<br />

Tanja ............................ Patricia Hodell<br />

Rosi .................................... Gigi Moto<br />

Harry ...................... Nathanael Schaer<br />

Bill ........................ Eric Hättenschwiler<br />

Sam ................................ Matthias Arn<br />

Ali ............................. Fabienne Louves<br />

Lisa ................................... Heidy Suter<br />

Chili ............................... Nicolo Soller<br />

Eddie .................... Jan Simon Messerli<br />

In weiteren Rollen :<br />

Lukas Hobi, Tino Andrea Honegger,<br />

Sarah Madeleine Kappeler, Amaya<br />

Keller, Sandra Leon, Dominique Lüthi,<br />

Maja Luthiger, Giuliano Mercoli,<br />

Jeremy Müller, Rachele Pedrocchi,<br />

Fabio Romano, Gianmarco Rostetter<br />

(Dance Captain), Rico Salathe,<br />

Linda Trachsel<br />

Chor »<strong>Musical</strong>-Singers«<br />

Am 11. Juli 20<strong>18</strong> feierte das »ABBA«–<strong>Musical</strong><br />

»Mamma Mia!« seine Open-Air-Premiere in<br />

Schweizerdeutsch auf der Seebühne in Thun. »Mamma<br />

Mia!« ist nach »Gotthelf« und »Dällebach Kari« das<br />

dritte Mundart-<strong>Musical</strong> in der sechzehnten Spielzeit der<br />

Thunerseespiele.<br />

Das Jukebox-<strong>Musical</strong> mit den Hits von »ABBA«, mit<br />

den Kompositionen von Björn Ulvaeus und Benny Andersson,<br />

und einem Buch von Catherine Johnson feierte<br />

am 6. April 1999 im Prince Edward Theatre in London<br />

Uraufführung. Im Hamburger Operettenhaus konnten<br />

am 3. November 2002 die »ABBA«-Fans die deutschsprachige<br />

Erstaufführung der Fassung von Michael Kunze<br />

(Liedtexte) und Ruth Deny (Buch) erleben.<br />

Für die neue Inszenierung auf der Seebühne in Thun<br />

übersetzten Dominik Flaschka und Roman Riklin die<br />

Dialoge und Songtexte ins Schweizerdeutsche. Beide<br />

entwickelten bereits die erfolgreichen Schweizer <strong>Musical</strong>s<br />

»Ewigi Liebi«, »Mein Name ist Eugen« sowie »Ost<br />

Side Story«. Im Interview für das Programmheft der<br />

aktuellen Inszenierung erklärt Dominik Flaschka auf<br />

die Frage, warum »Mamma Mia!« ins Berndeutsche<br />

übertragen wurde: »Immerhin war es der Wunsch der<br />

Autoren, dass ›Mamma Mia!‹ auf der ganzen Welt in<br />

der jeweiligen Landessprache gespielt wird. Ausserdem<br />

ist die eigene Muttersprache immer die Sache des Herzens<br />

– die Charaktere und ihre Geschichten sind uns<br />

viel näher, wenn sie unsere Sprache sprechen.« Zugleich<br />

führt Roman Riklin zur Frage über die Besonderheiten,<br />

die bei der Übersetzung der »ABBA«-Lieder zu beachten<br />

waren, aus: »Die ›ABBA‹-Songtexte sind meines Erachtens<br />

weniger inhaltlich, sondern insbesondere durch ihre<br />

Form und ihren poppigen Sound bestechend. Deshalb<br />

habe ich, wo immer möglich, versucht, schweizerdeutsche<br />

Entsprechungen zu finden, die nicht nur sinngemäß<br />

das Gleiche aussagen und sich an den identischen<br />

Stellen reimen, sondern auch wieder sehr gut ›sounden‹<br />

und den gleichen natürlichen Rhythmus haben.«<br />

In der Mundartfassung des <strong>Musical</strong>s sind die meisten<br />

Rollen folgerichtig als Schweizer und Schweizerinnen<br />

gekennzeichnet, so auch die Aussteigerin Donna<br />

Scheidegger, alleinerziehende Mutter der zwanzigjährigen<br />

Sophie. Beide Frauen leben auf einer griechischen<br />

Insel, auf der Donna eine Taverne betreibt. Sophie plant<br />

ihre Traumhochzeit mit Sky. Dazu gehört für Sophie,<br />

dass sie ihr Vater zum Altar führt. Da Donna nie etwas<br />

von diesem Vater erzählt hat, ergreift das Mädchen die<br />

Initiative und lädt heimlich drei mögliche Kandidaten<br />

zur Hochzeit ein. Die ahnungslosen Männer: Sam, Bill<br />

und Harry reisen an und verursachen dadurch einigen<br />

Trubel auf der Insel sowie in den Gefühlen von Donna.<br />

Diese heitere Familiengeschichte siedelt der Regisseur<br />

Dominik Flaschka im Jahr 20<strong>18</strong> an, wie am Kostümbild<br />

von Kathrin Baumberger klar zu erkennen ist. Donnas<br />

Taverne befindet sich auf einer Drehbühne auf der mittleren<br />

der drei künstlichen Inseln im Thunersee, welche<br />

durch Stege miteinander verbunden sind. Auf der rechten,<br />

kleinsten Insel ist die Strandbar aufgebaut. Dagegen<br />

wird die linke Insel von übereinandergestapelten<br />

Containern dominiert. Diese will Donnas zukünftiger<br />

Schwiegersohn Sky mit Freunden in ein Casino mit Hotel<br />

umbauen. Die Container wurden nach den Plänen<br />

von Bühnenbildner Stephan Prattes aus Holz gebaut,<br />

bemalt und mit Graffiti verziert, deren Schriftzüge die<br />

englischen Titel der <strong>Musical</strong>songs zeigen. Außerdem<br />

verbergen sich in den Containern die Künstlergarderoben,<br />

während der Raum für die Band in der obersten<br />

Etage des Containerhafens angesiedelt ist. So sitzen<br />

die Zuschauer sehr nah am Wasser. Durch die in der<br />

Ferne auf dem Thunersee zu entdeckenden Segelschiffe<br />

ist die Illusion einer griechischen Ferieninsel perfekt.<br />

Diese heitere Ferienstimmung wird durch die Musik<br />

von »ABBA«, die die Band unter der musikalischen<br />

Leitung von Iwan Wassilevski hervorragend interpretiert,<br />

untermalt. Zudem vermitteln die ideenreichen,<br />

schwungvollen, oft die Situationskomik aufgreifenden<br />

Choreographien von Jonathan Huor die ausgelassene<br />

Stimmung der Ferien- und Hochzeitsgäste (Chor,<br />

56<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in der Schweiz<br />

Ensemble) aufs Beste.<br />

Besonders eindrücklich ist die Choreographie, die<br />

Sophies Albtraum visualisiert. Hierbei erscheinen Ensemble<br />

und Chor als groteske Geister auf der Bühne. In<br />

dieser bedrückenden Szene (›Under Beschuss‹) entgleitet<br />

Sophie die Situation, die sie mit der heimlichen Suche<br />

nach dem Vater angezettelt hat. Judith von Orelli als<br />

Sophie zeigt gemeinsam mit Angelo Canonico als Sky<br />

ein unbeschwertes Liebespaar. Trotzdem muss sich Sophie<br />

von unrealistischen Lebensträumen verabschieden.<br />

Dabei wird sie unerwartet von Sam (Matthias Arn) unterstützt,<br />

einem der ehemaligen Lover Donnas (›Ich bin<br />

ich, du bisch du‹). Der geschiedene Mann liebt Donna<br />

immer noch und kämpft um ihre Liebe. Doch Donna<br />

hat die Enttäuschung über die Trennung vor zwanzig<br />

Jahren immer noch nicht ganz verarbeitet (›S.O.S.‹). In<br />

der Rolle der resoluten, aber gleichzeitig sensiblen Powerfrau<br />

Donna überzeugt Monica Quinter. Stimmig<br />

wirken auch Patricia Hodell (Tanja) und Gigi Moto<br />

(Rosi) als lebenserfahrene, temperamentvolle Freundinnen<br />

Donnas. Gerne schwelgen die drei Freundinnen in<br />

Jugenderinnerungen, als sie mit ihrer Band »The Dynamos«<br />

unterwegs waren. Nachdem sie in einer Kiste<br />

die alten, schrillen Kostüme finden, begeistern Monica<br />

Quinter, Patricia Hodell, Gigi Moto mit ihrer Interpretation<br />

der Songs ›Dancing Queen‹ und ›Super Trouper‹<br />

das Publikum.<br />

Nathanael Schaer als netter, großzügiger Harry und<br />

Eric Hättenschwiler als Globetrotter Bill, welcher lieber<br />

allein in der Wildnis lebt, sind die zwei weiteren Ex-<br />

Lover Donnas. Da durch die Autoren die Figuren der<br />

drei Ex-Männer eher plakativ angelegt wurden, haben<br />

die Darsteller nicht sehr viele Möglichkeiten, diese zu<br />

gestalten.<br />

Dominik Flaschka setzt in seiner unterhaltsamen,<br />

lebendigen Inszenierung nicht nur auf das tänzerische,<br />

gesangliche Können der Darsteller aus der Schweiz, sondern<br />

ebenso auf ihr komödiantisches Schauspieltalent.<br />

Dadurch springt sofort der Funke von der Bühne auf<br />

das Publikum über, das die Leistung des großartigen<br />

Casts mit langanhaltenden Standing Ovations würdigt.<br />

Die schweizerdeutsche Mundartfassung von »Mamma<br />

Mia!« ist noch bis zum 30. August 20<strong>18</strong> auf der Seebühne<br />

in Thun zu erleben.<br />

2019 inszeniert Werner Bauer das <strong>Musical</strong> »Ich war<br />

noch niemals in New York«, mit den Songs von Udo<br />

Jürgens. Dies ist die erste Produktion unter der Leitung<br />

von Freddy Burger Management.<br />

Martina Friedrich<br />

Abb. unten von links:<br />

1. ›Mamma Mia / Danke für die Lieder‹:<br />

Sophie (Judith von Orelli, 2.v.r.) trifft ihre<br />

drei möglichen Väter, Harry (Nathanel<br />

Schaer, r.), Bill (Eric Hättenschwiler, 3.v.r.)<br />

und Sam (Matthias Arn, l.)<br />

2. ›Lah dys Härz mi la berüehre‹ – Sky<br />

(Angelo Canonico) und Sophie (Judith<br />

von Orelli) freuen sich auf den Polterabend<br />

3. ›S.O.S‹ – Donna (Monica Quinter) und<br />

Sam (Matthias Arn) versöhnen sich<br />

4. ›Under Beschuss‹ – Sophies (Judith von<br />

Orelli, Mitte und Ensemble) Albtraum<br />

Fotos (4): Foto4you.biz<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

57


<strong>Musical</strong>s in der Schweiz<br />

Ein zauberhafter Märchenabend<br />

»Die Schöne und das Biest« auf der Walensee-Bühne<br />

Abb. oben:<br />

Amüsiert beobachten Wilhelm<br />

(Hans Neblung, 2.v.l.), Grete (Ronja<br />

Borer, r.), Ilse (Laura Luisa Hat, 2.v.r.) und<br />

die Dorfgemeinschaft (Ensemble) das<br />

vergebliche Werben von Gustav (Jan<br />

Oliver Bühlmann, 6.v.l.) um Bella<br />

(Eveline Suter, 7.v.l.)<br />

Foto: Andy Mettler / Swiss-Image.ch<br />

Die Schöne und das Biest<br />

Martin Doepke / Elke Schlimbach /<br />

Grant Stevens / Christian Bieniek /<br />

Hans Holzbecher / Andrea Friedrichs<br />

TSW <strong>Musical</strong> AG Walenstadt<br />

Walensee-Bühne<br />

Premiere: 20. Juni 20<strong>18</strong><br />

Regie ........................... Stanislav Moša<br />

Musikalische Leitung ..... Gaudens Bieri<br />

Choreographie ................ Igor Barberic<br />

Ausstattung ..... Petr Hloušek & Jaroslav<br />

Milfajt<br />

Kostüme ................... Andrea Kučerová<br />

Maske ................... Sandra Wartenberg<br />

Lichtdesign .................... David Kachlíř<br />

Sounddesign .................. Andreas Brüll<br />

Bella ............................... Eveline Suter<br />

Biest ............................... István Csiszár<br />

Fee ............................ Pia Lustenberger<br />

Ilse .............................. Laura Luisa Hat<br />

Grete ............................... Ronja Borer<br />

Gustav ............... Jan Oliver Bühlmann<br />

Wilhelm ....................... Hans Neblung<br />

Mathilde ...................... Karolin Konert<br />

Freund von Gustav ............. Patric Scott<br />

Violoncello ................... Jessica Falceri<br />

Sessel ............................ Stefano Como<br />

Ensemble<br />

Adrian Burri, Elisa Filace, Eva-Maria<br />

Kuperion, Maura Oricchio, Richard<br />

Peter, Philipp Phung, Vanessa Rudolf,<br />

David Schuler, Karel Škarka, Tihana<br />

Strmečki (Dance Captain), Marco<br />

Trespioli, Barbara Weiss, Julia Werbick<br />

Am 20. Juni 20<strong>18</strong> feierte das <strong>Musical</strong> »Die Schöne<br />

und das Biest« in Walenstadt auf der Open-Air-<br />

Bühne am Walensee Premiere. Für die deutsche <strong>Musical</strong>version<br />

des alten Volksmärchens, nach einer Idee von<br />

Hans Holzbecher und Andrea Friedrichs, komponierte<br />

Martin Doepke die eingängige Musik, Elke Schlimbach<br />

und Grant Stevens erarbeiteten die Liedtexte, das<br />

Buch Christian Bieniek. Die Uraufführung des auf dem<br />

französischen Volksmärchen »La Belle et la Bête« der<br />

französischen Autorin und Gouvernante Jeanne-Marie<br />

Leprince de Beaumont (geboren am 26. April 1711,<br />

gestorben am 8. September 1780) basierenden <strong>Musical</strong>s<br />

fand 1994 im Sartory-Theater in Köln statt. In<br />

der Schweiz war das Stück erstmalig 2008 am Theater<br />

Bünzen zu sehen. Zuvor diente das Märchen als Grundlage<br />

für diverse Filme sowie Bühnenversionen. Der<br />

französische Schriftsteller, Regisseur und Maler Jean<br />

Cocteau (geboren am 5. Juli <strong>18</strong>89, gestorben am 11.<br />

Oktober 1963) verfilmte 1946 das Märchen. Als USamerikanische<br />

Fernsehserie »The Beauty and the Beast«<br />

produzierte George R. R. Martin es zwischen 1987 und<br />

1990. Danach folgte 1991 die Zeichentrickversion, Disneys<br />

»The Beauty and the Beast« und 2017 von Walt<br />

Disney Pictures die Realverfilmung. Frankreich und<br />

Deutschland produzierten gemeinsam unter der Regie<br />

von Christophe Gans den Film »Die Schöne und das<br />

Biest«, der 2014 im Kino zu sehen war.<br />

In der <strong>Musical</strong>inszenierung von Stanislav Moša<br />

verzaubert die charmante, kluge Bella (Eveline Suter)<br />

nicht nur das Publikum am Walensee, sondern ebenso<br />

Gustav. Der ungehobelte, eher dümmliche, egoistische<br />

Gustav (perfekt überzeichnet dargestellt von Jan Oliver<br />

Bühlmann) wirbt vergebens um Bella, da sie den Bier<br />

liebenden Bauern ablehnt. Statt sich abends nach getaner<br />

Arbeit in der Dorfkneipe zu vergnügen, liest die<br />

hübsche Kaufmannstochter lieber ein Buch, möchte<br />

ihre Träume leben und das eigene Schicksal selbst in<br />

die Hand nehmen. Dagegen liebäugeln ihre zwei herzlosen,<br />

zickigen, verwöhnten Schwestern Ilse und Grete<br />

(Laura Luisa Hat und Ronja Borer) mit Gustav. In der<br />

Kneipe vergnügt er sich beim Würfelspiel mit Wilhelm,<br />

dem Vater der drei Schwestern. Plötzlich bringt ein Bote<br />

Wilhelm die Nachricht, dass sein Schiff mit der wertvollen<br />

Ladung zerschellt ist. Damit ist die Familie ruiniert.<br />

Rasch nutzt Gustav die Chance, um erneut um Bella zu<br />

werben. »Ich bin einfach der Größte«, verkündet er im<br />

witzigen Duett mit Bella, die ihn erneut vor der gesamten<br />

Dorfgemeinschaft abblitzen lässt.<br />

Das Dorf ist auf der linken Seite der phantasievoll<br />

gestalteten Bühne zu sehen, in deren Mitte stilisierte<br />

Bäume stehen, an die auf der rechten Seite das in<br />

grauen/silbrigen Tönen gehaltene Schloss grenzt (Ausstattung:<br />

Jaroslav Milfajt und Petr Hloušek). Diese<br />

dreiteilige Bühne wird bei zunehmender Dunkelheit<br />

in stimmungsvolles Licht (Lichtdesign: David Kachlíř)<br />

getaucht. Andrea Kučerová kreierte die farbenfrohen,<br />

teils opulenten Kostüme. Das Orchester findet seinen<br />

Platz verdeckt im linken Bühnenteil (Dorf). Unter der<br />

musikalischen Leitung von Gaudens Bieri begleiten die<br />

elf Musiker hervorragend den internationalen Cast. Die<br />

wenigen Tanzszenen des Märchenmusicals erarbeitete<br />

Igor Barberic.<br />

Auf der Reise zu seinem gesunkenen Schiff verirrt<br />

sich Wilhelm (Hans Neblung) im Wald. Hier trifft er<br />

auf eine Fee (Pia Lustenberger), die über das Schicksal<br />

der Menschen wacht. Sie schickt ihn bewusst in ein<br />

Schloss, dessen Bewohner verzaubert wurden und auf<br />

Erlösung durch eine Frau warten, die in der Lage ist,<br />

den Schlossherrn auch in seiner Gestalt als Biest zu lieben.<br />

Im Schloss wird Wilhelm von dem Biest gefangen<br />

genommen und eingesperrt. Doch er möchte unbedingt<br />

wieder nach Hause. Daher schlägt der grausame<br />

58<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in der Schweiz<br />

Schlossherr ihm einen Handel vor: Wilhelm soll innerhalb<br />

von drei Tagen eine seiner Töchter zu ihm senden.<br />

Als Lohn bekommt er die Freiheit und seinen Reichtum<br />

zurück sowie einen Zauberring. Zu Hause freuen sich<br />

Ilse und Grete über den neu erlangten Wohlstand, nur<br />

Bella bemerkt die Sorgen des Vaters. Sie beschließt, in<br />

das verwunschene Schloss zu gehen. Auf dem Weg dahin<br />

offenbart ihr die Fee, dass sie mit dem Zauberring<br />

ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen kann. Diese<br />

zeigt ihr den Weg ins Schloss, in dem das einsame, vor<br />

Selbstmitleid vergehende Biest (István Csiszár) wütet, da es<br />

sich von den Menschen und Wilhelm verraten fühlt. Endlich<br />

bringt Bella Lebensfreude ins Schloss, wie die heitere<br />

Tanzszene der verzauberten Schlossbewohner zeigt.<br />

Aber Bellas hartnäckiger Verehrer Gustav kann die<br />

Schöne nicht vergessen. Zugleich schafft es Bella, die<br />

menschliche Seite im Biest aufzudecken: Es gestattet ihr,<br />

für kurze Zeit zum Vater zurückzukehren, da sie vom<br />

starken Heimweh geplagt wird.<br />

Im zweiten Akt wird das <strong>Musical</strong> turbulenter. In<br />

dem berührenden Duett ›Sehnsucht‹ denkt die ins Dorf<br />

zurückgekehrte Bella sehnsüchtig an das Biest, auch<br />

der Herr des verzauberten Schlosses vermisst die junge<br />

Frau. Zudem hoffen Bellas eitle Schwestern in einer<br />

lustigen Szene, ihr Herz an einen Traummann zu verlieren.<br />

Außerdem ist Gustav mit einem Strauß Blumen<br />

auf dem Weg zu Bella. Doch sein kluger Freund (Patric<br />

Scott) zweifelt daran, dass Bella Gustav heiraten wird.<br />

Vergebens versucht er, Gustav charmantes Liebeswerben<br />

beizubringen. Begeistert honoriert das Publikum<br />

die klamaukige Szene, für die Patric Scott eigens den<br />

Song ›Dir gehört mein Herz‹ mit der Musik des Berliner<br />

Komponisten Martin de Vries geschrieben hat. Ebenso<br />

vergebens versucht der Vater, Bella von der Rückkehr<br />

ins Schloss abzuhalten. »Entscheide du dich für Deinen<br />

Weg. Höre auf dein Herz«, rät die Fee Bella jedoch,<br />

die daraufhin ins Schloss zurückkehrt, wo das Biest<br />

ihr seine Liebe gesteht. Auch die junge Frau spürt die<br />

aufkeimende Liebe zu ihm. Zugleich marschiert Gustav<br />

mit einer Pistole bewaffnet durchs Dorf, da er das Biest<br />

umbringen will. Dafür hetzt er in einer eindrücklichen<br />

Chorszene die Dorfgemeinschaft auf der in rotes Licht<br />

getauchten Bühne auf: ›Holt die Gewehre‹. Zeitgleich<br />

genießen Bella und das Biest im Schloss einen romantischen<br />

Abend, den die aufgebrachten, bewaffneten Bauern<br />

gewaltsam stören. Dabei erschießt Gustav das Biest.<br />

Die entsetzte Bella gesteht im letzten Moment dem<br />

Sterbenden ihre Liebe. Somit ist die Fee gezwungen,<br />

den Bann von den Verzauberten zu nehmen. Glücklich<br />

kann der entzauberte und gerettete Prinz seine Bella in<br />

die Arme schließen.<br />

Die vom Premierenpublikum begeistert aufgenommene<br />

Inszenierung von Stanislav Moša lebt von den<br />

wechselnden romantischen, lustigen und dramatischen<br />

Momenten des Märchens, die vom spielfreudigen Cast<br />

meisterhaft präsentiert werden.<br />

Martina Friedrich<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Die Fee (Pia Lustenberger, vorne)<br />

zeigt Bella (Eveline Suter, l.) den Weg ins<br />

Schloss<br />

2. Das Biest (István Csiszár) gesteht Bella<br />

(Eveline Suter) seine Liebe<br />

3. Das Biest (István Csiszár) gestattet<br />

Bella (Eveline Suter), für kurze Zeit ihre<br />

Familie zu besuchen<br />

4. Wilhelm (Hans Neblung, Mitte) wird<br />

vom Biest (István Csiszár, l.) und dessen<br />

verzaubertem Gefolge (Ensemble) im<br />

Schloss festgehalten<br />

Fotos (4): Andy Mettler / Swiss-Image.ch<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

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<strong>Musical</strong>s in der Schweiz<br />

Neues aus der Schweiz<br />

zusammengestellt von Martina Friedrich und Barbara Kern<br />

»Ich war noch niemals in New York« 2019<br />

bei den Thunerseespielen<br />

Das <strong>Musical</strong> mit den Songs von Udo Jürgens wird<br />

die erste Produktion unter der neuen Leitung von<br />

Freddy Burger Management. Angelo Stamera<br />

wird ab 1. Januar 2019 der neue Geschäftsführer<br />

der Thunerseespiele. Am 2. Dezember 2007 wurde<br />

»Ich war noch niemals in New York« (Dialoge<br />

von Gabriel Barylli und Christian Struppeck) im<br />

TUI-Operettenhaus in Hamburg in der Inszenierung<br />

von Glenn Casale und Christian Struppeck sowie<br />

der Choreographie von Kim Duddy uraufgeführt.<br />

»Die Geschichte der beiden Rentner, die mit<br />

dem Ziel New York aus dem Altenwohnheim<br />

ausbrechen und damit das Leben ihrer Kinder<br />

durcheinanderwirbeln, wird in Thun erstmals<br />

Open-Air inszeniert. Es ist ein großes Privileg, dieses<br />

Vertrauen von den Lizenzgebern zu erhalten.<br />

Außerdem ist es für uns eine Ehre, die Lieder von<br />

Udo Jürgens hier in Thun präsentieren zu dürfen.<br />

Wir sind überzeugt: ›Ich war noch niemals in New<br />

York‹ bietet wieder alles, was das Publikum von<br />

einem tollen <strong>Musical</strong>-Abend am Thunersee erwartet«,<br />

äußert sich Markus Dinhobel, ausführender<br />

Produzent der Thunerseespiele, zur Inszenierung<br />

2019 in Thun. Werner Bauer wird Regie führen.<br />

Die Choreographien erarbeitet Kati Heidebrecht,<br />

Marlen von Heydenaber das Bühnenbild, Mareike<br />

Delaquis Porschka die Kostüme. Der Cast wird<br />

später bekanntgegeben.<br />

Das <strong>Musical</strong> mit den bekannten Songs wie<br />

›Aber bitte mit Sahne‹, ›Mit 66 Jahren‹ und ›Vielen<br />

Dank für die Blumen‹ wird vom 10. Juli bis<br />

zum 24. August 2019 auf der Seebühne in Thun<br />

zu sehen sein.<br />

Mehr auf: www.thunerseespiele.ch<br />

Uraufführung von »Spuk in der Villa Stern«<br />

und »La Cage aux Folles« am Theater Basel<br />

20<strong>18</strong> / 2019<br />

Am 26. Januar 2019 feiert »Spuk in der Villa<br />

Stern – Eine Nacht in 16 Verkleidungen« mit<br />

der Musik und Liedtexten von Friedrich Hollaender<br />

sowie neuen Dialogtexten von David<br />

Gieselmann seine Uraufführung. In der Inszenierung<br />

von Christian Brey verantwortet Kai Tietje<br />

die musikalische Leitung und die Arrangements<br />

und Anette Hachmann die Ausstattung.<br />

Gemeinsam mit dem »Geister-Kollektiv« gestalten<br />

die Opernsängerin Noëmi Nadelmann,<br />

der Chansonnier Michael von der Heide und<br />

der Tenor Karl-Heinz Brandt die vielen Rollen.<br />

Der Komponist und Liedtexter Friedrich Hollaender<br />

nimmt in seiner 1931 im Berliner Tingel-<br />

Tangel-Theater im Keller des Theater des Westens<br />

uraufgeführten, ebenso bösen wie komischen<br />

»Revue« das Bürgertum aufs Korn. In diesem seit<br />

der Uraufführung nicht mehr aufgeführten Stück<br />

Ensemble des <strong>Musical</strong>s »Ich war noch niemals in New York« Tour 2016/17<br />

Foto: Birgit Bernds<br />

spielt Hollaender auf den aufkommenden Nationalsozialismus<br />

in Deutschland an. Aufgrund seiner<br />

jüdischen Herkunft musste der Autor selbst<br />

1933 Deutschland verlassen. Da »Spuk in der<br />

Villa« nur in Teilen überliefert ist, verfasst Autor<br />

David Gieselmann eine neue Textfassung. Im<br />

Mittelpunkt des Stückes steht die Familie Stern,<br />

die in ihrer Villa einen Kostümball gibt. Die Familie<br />

ist mit Spießers verwandt und zugleich mit<br />

Neureichs verschwägert. Neben den zahlreichen<br />

Gästen erscheint ein »echter Einbrecher«, den die<br />

Gastgeber für einen guten Freund in ausgezeichneter<br />

Maske halten. Deshalb bittet ihn der Hausherr,<br />

den Geldschrank zu knacken. Friedrich<br />

Hollaender komponierte für »Spuk in der Villa<br />

Stern« seine erfolgreichsten Lieder, darunter ›Die<br />

Kleptomanin‹, ›An allem sind die Juden schuld‹<br />

sowie ›Münchhausen‹.<br />

Martin G. Berger wird am Theater Basel »La<br />

Cage aux Folles – Ein Käfig voller Narren« (Musik<br />

und Liedtexte von Jerry Herman, Buch von<br />

Harvey Fierstein) inszenieren. Die musikalische<br />

Leitung übernimmt Thomas Wise, die Choreographien<br />

kreiert Marguerite Donlon, das Bühnenbild<br />

Sarah-Katharina Karl und die Kostüme<br />

Marysol del Castillo. In den Hauptrollen sind<br />

Stefan Kurt als Albin/Zaza und Roland Koch<br />

als Georges zu erleben. Die Premiere findet am<br />

14. Dezember 20<strong>18</strong> statt.<br />

Mehr auf: www.theater-basel.ch<br />

»Adam Schaf hat Angst« im Oktober am<br />

Konzert Theater Bern<br />

Georg Kreislers <strong>Musical</strong> in zwei Akten für einen<br />

Schauspieler feiert am 6. Oktober 20<strong>18</strong> am<br />

Konzert Theater Bern Premiere.<br />

Der gealterte Schauspieler Adam Schaf zieht ein<br />

Lebensresümee und singt sich etwas Freude an,<br />

während er auf seinen winzigen Auftritt wartet.<br />

Er hatte es nicht leicht im Leben. Aufgewachsen<br />

im Nachkriegsdeutschland, war er von den Eltern<br />

in die Juralaufbahn gedrängt worden, obwohl<br />

er Schauspieler werden wollte. Als er es dann<br />

doch wurde, ließen die Erfolge zunächst auf sich<br />

warten … aber dann: hatte er sogar einen eigenen<br />

Sekretär! Doch er hat auch vieles versäumt<br />

im Leben.<br />

Kreislers herrlich böser Humor legt die Wunden<br />

(nicht nur) der deutschen Gesellschaft frei und entlässt<br />

einen nachdenklich, aber heiter.<br />

Regie führt Alexander Kreuselberg, die musikalische<br />

Leitung hat Hans Christoph Bünger, das<br />

Bühnenbild gestaltet Selina Howald und die dramaturgische<br />

Betreuung hat Katharina Schellenberg.<br />

Mehr auf: www.konzerttheaterbern.ch<br />

Martin G. Berger<br />

Foto: hierLeben / Sarah Karl<br />

60 blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


Premierenblick<br />

Premieren August & September 20<strong>18</strong><br />

Diese Premierenübersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Alle Angaben ohne Gewähr. Weitere Informationen finden Sie auf www.unitedmusicals.de<br />

3 Musketiere<br />

Rob & Ferdi Bolland / Paul Bogaev / Gerard Cox /<br />

Jan-Simon Minkema / Petra van der Eerden /<br />

André Breedland<br />

Deutsch von Wolfgang Adenberg & Ruth Deny<br />

Junges Staatsmusical<br />

Hessisches Staatstheater Wiesbaden – Kleines Haus<br />

Premiere: 28. September 20<strong>18</strong><br />

www.staatstheater-wiesbaden.de<br />

Bare<br />

Damon Intrabartolo / Jon Hartmere<br />

Deutsch von Hartmut H. Forche & Georg Graefe<br />

Die Künstlerwerkstatt<br />

Bürgersaal Stegaurach<br />

Deutschsprachige Erstaufführung:<br />

29. September 20<strong>18</strong><br />

www.die-kw.de<br />

Beat It!<br />

Michael Jackson / »Jackson 5« / Papilio Entertainment<br />

COFO Entertainment Group<br />

Theater am Potsdamer Platz Berlin<br />

Uraufführung: 29. August 20<strong>18</strong><br />

www.beat-it-musical.com<br />

Blues Brothers<br />

Dan Aykroyd / John Landis / Dietmar Horcicka<br />

Meininger Staatstheater – Großes Haus<br />

Uraufführung: 7. September 20<strong>18</strong><br />

www.meininger-staatstheater.de<br />

Bodyguard<br />

Diverse Komponisten / Alexander Dinelaris<br />

Deutsch von Tobias Rohe<br />

Vereinigte Bühnen Wien<br />

Ronacher<br />

Österreichische Erstaufführung: 27. September 20<strong>18</strong><br />

www.musicalvienna.at<br />

Cabaret<br />

John Kander / Fred Ebb / Joe Masteroff<br />

Deutsch von Robert Gilbert<br />

Theater & Philharmonie Thüringen<br />

Großes Haus Gera<br />

Premiere: 28. September 20<strong>18</strong><br />

www.tpthueringen.de<br />

Chess<br />

Benny Andersson / Björn Ulvaeus / Tim Rice<br />

Annie<br />

Deutsch von Kevin Schroeder<br />

Charles Strouse / Martin Charnin / Thomas Meehan<br />

Theater Koblenz<br />

Deutsch von Holger Hauer & Jürgen Hartmann<br />

Festung Ehrenbreitstein<br />

Stuttgarter Off Broadway Theater Company<br />

Premiere: <strong>18</strong>. August 20<strong>18</strong><br />

Im Wizemann Stuttgart<br />

Drew Sarich<br />

www.theater-koblenz.de<br />

Premiere: 20. September 20<strong>18</strong><br />

hat seinen Vertrag der Titelrolle von »Rocky« in Hamburg<br />

bis Mai 2014 verlängert und wird im Oktober 2013 Das Wunder von Luzern<br />

www.annie-das-musical.de<br />

in der konzertanten, deutschsprachigen Erstaufführung<br />

Lorenz Ulrich / Frank Sikora<br />

Auf Terrasse von »Love jibt's Never nur Dies« Kännchen in Wien auf der Bühne stehen.<br />

Geboren in St. Louis, Missouri (USA), absolvierte Koproduktion er<br />

MachArt <strong>Musical</strong>s &<br />

Matthias S. Raupach<br />

seine Ausbildung in Musik, Schauspiel und Tanz am Boys Choir Lucerne<br />

Musiktheater Boston Conservatory Brandenburg und stand in New York erstmals Le Théâtre, im Gersag – Emmen<br />

Film-Theater im <strong>Musical</strong> Bad Freienwalde<br />

auf der Bühne, u. a. in »Joseph and the Uraufführung: 8. September 20<strong>18</strong><br />

Uraufführung: Amazing 2. Technicolour August 20<strong>18</strong>Dreamcoat«, »Tony n‘ Tina‘s<br />

Wedding« und »Jesus Christ Superstar«. Die Rolle www.wundervonluzern.ch<br />

www.musiktheater-brandenburg.de<br />

des Quasimodo in »Der Glöckner von Notre Dame«<br />

führte ihn 1999 nach Berlin. Zu seinen Haupt- und Ti-Ditelrollen – Der in Deutschland, Rebell Österreich und der Schweiz<br />

Brücken am Fluss<br />

Bach<br />

Jason Robert Brown / Marsha Norman<br />

Marko Formanek<br />

gehören Berger<br />

/ Oskar<br />

in<br />

Maywald<br />

»Hair«, »Boss in »Fever«, die Titelrolle<br />

in »Hedwig and the Angry Inch«, Cousin Kevin in<br />

Deutsch von Wolfgang Adenberg<br />

Grossstadt »The Who‘s Entertainment Tommy«, die Titelrolle in »Jekyll & Hyde«, Theater für Niedersachsen<br />

»Jesus Theater Christ Arnstadt Superstar«, »Dracula«, »Rudolf – Affaire Stadttheater Hildesheim<br />

Theater Mayerling«, im Schlossgarten Che in »Evita«, Curtis Jackson in »Sister Premiere: 8. September 20<strong>18</strong><br />

Uraufführung: Act« und 21. Graf September von Krolock 20<strong>18</strong> in »Tanz der Vampire«.<br />

www.tfn-online.de<br />

Bei Aufenthalten in New York spielte er Hauptrollen in<br />

www.theater-arnstadt.de<br />

»Lestat«, »Jaques Brel is Alive ...« und »Les Misérables«<br />

am Broadway.<br />

Die Rache der Fledermaus<br />

Johann Strauß / Karl Haffner / Richard Genée<br />

Bearbeitung von Kai Tietje & Stefan Huber<br />

Casinotheater Winterthur<br />

Uraufführung: 30. August 20<strong>18</strong><br />

www.casinotheater.ch<br />

Die Schatzinsel<br />

Dennis Martin / Christoph Jilo / Wolfgang Adenberg<br />

<strong>Musical</strong>sommer Fulda<br />

Schlosstheater<br />

Premiere: <strong>18</strong>. August 20<strong>18</strong><br />

www.spotlight-musicals.de<br />

Die Supermarkt Ladies –<br />

Das <strong>Musical</strong> zum Mitbestimmen (Tour)<br />

Roman Riklin / Dominik Flaschka<br />

Migros<br />

Tour im Zelt<br />

Püntwiese Uster<br />

Uraufführung: 28. September 20<strong>18</strong><br />

www.supermarkt-ladies.ch<br />

Doktor Schiwago<br />

Lucy Simon / Michael Korie / Amy Powers /<br />

Michael Weller<br />

Deutsch von Sabine Ruflair & Jürgen Hartmann<br />

Theater Pforzheim – Großes Haus<br />

Premiere: 28. September 20<strong>18</strong><br />

www.theater-pforzheim.de<br />

Do Laachs Do Dich Kapott<br />

Diverse Komponisten / Ralf Hubertus Borgartz<br />

Scala Theater Köln<br />

Uraufführung: 20. September 20<strong>18</strong><br />

www.scala.koeln<br />

Eis, Eis Baby<br />

Diverse Komponisten / Martin Riemann /<br />

Christian Kühn<br />

Packhaus Theater im Schnoor Bremen<br />

Premiere: 16. August 20<strong>18</strong><br />

www.packhaustheater-im-schnoor.de<br />

Elisabeth – Die Legende einer Heiligen<br />

Dennis Martin / Peter Scholz<br />

Main<strong>Musical</strong><br />

Gotthardsruine Amorbach/Weilbach<br />

Premiere: 3. August 20<strong>18</strong><br />

www.mainmusical.com<br />

Evita<br />

Andrew Lloyd Webber / Tim Rice<br />

Deutsch von Michael Kunze<br />

Musikschule Seevetal<br />

The <strong>Musical</strong> Company<br />

Helbachhaus Meckelfeld<br />

Premiere: 8. September 20<strong>18</strong><br />

www.themusicalcompany.de<br />

Evita<br />

Andrew Lloyd Webber / Tim Rice<br />

Deutsch von Michael Kunze<br />

Capitol Mannheim<br />

Premiere: 13. September 20<strong>18</strong><br />

www.capitol-mannheim.de<br />

Flashdance (Tour)<br />

Robbie Roth / Robert Cary / Tom Hedley<br />

Deutsch von Anja Hauptmann<br />

2Entertain Germany<br />

Theater am Großmarkt Hamburg<br />

Premiere: 20. September 20<strong>18</strong><br />

www.2entertain.com<br />

Hair<br />

Galt MacDermot / Gerome Ragnie / James Rado<br />

Deutsch von Frank Thannhäuser & Nico Rabenald<br />

Bad Hersfelder Festspiele<br />

Stiftsruine<br />

Premiere: 3. August 20<strong>18</strong><br />

www.bad-hersfelder-festspiele.de<br />

In der Bar zum Krokodil –<br />

Ab in die wilden 20er Jahre<br />

Heiko Lippmann / Christian Doll<br />

Freilichtspiele Schwäbisch Hall<br />

Große Treppe vor St. Michael<br />

Uraufführung: 4. August 20<strong>18</strong><br />

www.freilichtspiele-hall.de<br />

62<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong> Juli – September 20<strong>18</strong>


Premierenblick<br />

Premieren August & September 20<strong>18</strong><br />

Diese Premierenübersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Alle Angaben ohne Gewähr. Weitere Informationen finden Sie auf www.unitedmusicals.de<br />

Lazarus<br />

David Bowie / Enda Walsh<br />

Songs in englischer Sprache<br />

Deutsche Dialoge von Peter Torberg<br />

Landestheater Linz<br />

Musiktheater – Großer Saal<br />

Premiere: 27. September 20<strong>18</strong><br />

www.landestheater-linz.at<br />

Love Life<br />

Kurt Weill / Alan Jay Lerner<br />

Deutsch von Rüdiger Bering<br />

Koproduktion Konzert Theater Bern mit<br />

Theater Freiburg<br />

Stadttheater Bern<br />

Schweizer Erstaufführung: 31. August 20<strong>18</strong><br />

www.konzerttheaterbern.ch<br />

Love Me Tender<br />

Elvis Presley / Stephen Oremus / Joe DiPietro<br />

Songs in englischer Sprache<br />

Deutsche Dialoge von Benjamin Baumann<br />

Theater Plauen / Zwickau<br />

Parktheater Plauen<br />

Premiere: 17. August 20<strong>18</strong><br />

www.theater-plauen-zwickau.de<br />

Männer<br />

Franz Wittenbrink<br />

Theater in der Grünen Zitadelle Magdeburg<br />

Premiere: 15. September 20<strong>18</strong><br />

www.theater-zitadelle.com<br />

My Fair Lady<br />

Frederick Loewe / Alan Jay Lerner<br />

Deutsch von Robert Gilbert<br />

Theater Bielefeld<br />

Theater am Alten Markt<br />

Premiere: 16. September 20<strong>18</strong><br />

www.theater-bielefeld.de<br />

Oh, Alpenglühn!<br />

Diverse Komponisten / Mirko Bott<br />

Comödie Dresden<br />

Hotel Elbflorenz<br />

Premiere: 3. August 20<strong>18</strong><br />

www.comoedie-dresden.de<br />

Sarg Niemals Nie<br />

Christoph Reuter / Cristin Claas / Dominik Wagner /<br />

Jörn-Felix Alt<br />

TalTon Theater Wuppertal<br />

Premiere: 28. September 20<strong>18</strong><br />

www.taltontheater.de<br />

Saturday Night Fever<br />

»The Bee Gees« / Nan Knighton / Arlene Phillips /<br />

Paul Nicholas / Robert Stigwood / Billy Oaks<br />

In einer neuen Version von Ryan McBryde<br />

Songs in englischer Sprache<br />

Deutsche Dialoge von Anja Hauptmann<br />

<strong>Musical</strong> Güssing<br />

Kulturzentrum Güssing<br />

Premiere: 22. September 20<strong>18</strong><br />

www.musicalguessing.com<br />

Schwarzes Gold<br />

Kai Dorenkamp / Tobias Stöttner<br />

Quasi So Theater<br />

Schauburg Ibbenbühren<br />

Uraufführung: 19. September 20<strong>18</strong><br />

www.quasiso.de<br />

Singin' in the Rain<br />

Nacio Herb Brown / Arthur Freed / Betty Comden /<br />

Adolph Green<br />

Songs in englischer Sprache<br />

Deutsche Dialoge von Roman Hinze<br />

Schleswig-Holsteinische Landestheater &<br />

Sinfonieorchester<br />

Stadttheater Flensburg<br />

Premiere: 29. September 20<strong>18</strong><br />

www.sh-landestheater.de<br />

The Producers<br />

Mel Brooks / Thomas Meehan<br />

Deutsch von Nina Schneider<br />

<strong>Musical</strong> Projekt Neunkirchen<br />

Neue Gebläsehalle Neunkirchen<br />

Premiere: 3. August 20<strong>18</strong><br />

www.musicalprojekt-neunkirchen.de<br />

tick, tick… BOOM!<br />

Jonathan Larson / David Auburn<br />

Deutsch von Bernd Julius Arends<br />

<strong>Musical</strong> Company Steinfurt<br />

Kino Steinfurt<br />

Premiere: 14. September 20<strong>18</strong><br />

www.musical-steinfurt.de<br />

Total verunsichert<br />

Diverse Komponisten / Benedikt Karasek<br />

Theater in der Innenstadt Linz<br />

Premiere: 13. September 20<strong>18</strong><br />

www.theater-innenstadt.at<br />

Vom Fischer und seiner Frau –<br />

Das <strong>Musical</strong><br />

Marc Schubring / Kevin Schroeder<br />

Brüder Grimm Festspiele Hanau<br />

Deutsches Theater München<br />

Premiere: 2. August 20<strong>18</strong><br />

www.deutsches-theater.de<br />

Wally:Emilie<br />

Babsea / Julia Marie Wagner<br />

Brick-5 Wien<br />

Uraufführung: 26. September 20<strong>18</strong><br />

www.wally-emilie.com<br />

Wie es euch gefällt<br />

Heiner Lürig / Heinz Rudolf Kunze<br />

Hannover Concerts<br />

Theater am Aegi Hannover<br />

Uraufführung: 2. August 20<strong>18</strong><br />

www.hannover-concerts.de<br />

Wir sind mal kurz weg<br />

Diverse Komponisten / Bärbel Arenz /<br />

Tilmann von Blomberg<br />

Kammertheater Karlsruhe<br />

Premiere: 21. September 20<strong>18</strong><br />

www.kammertheater-karlsruhe.de<br />

Hinweis der Redaktion<br />

Der Premierenblick basiert auf Informationen, die wir<br />

von den Theatern in Deutschland, Österreich und der<br />

Schweiz erhalten. Leider erreichen uns nicht alle Termine<br />

und Informationen rechtzeitig oder diese sind bei<br />

Redaktionsschluss noch nicht veröffentlicht. Premieren,<br />

die bei Redaktionsschluss nicht oder mit zu wenig<br />

Informationen vorliegen, können leider nicht berücksichtigt<br />

werden.<br />

Diese Premierenübersicht erhebt keinen Anspruch auf<br />

Vollständigkeit, jedoch bitten wir alle Theater, uns frühestmöglich<br />

mit Informationen zu den bevorstehenden<br />

Premieren zu versorgen. Damit wir Ihre Premieren im<br />

Oktober und November in der kommenden <strong>Ausgabe</strong><br />

berücksichtigen können, bitten wir Sie um Zusendung<br />

der Termine sowie Angaben zu Autoren, Komponisten<br />

und Übersetzung bis zum 20. August 20<strong>18</strong> an<br />

redaktion@blickpunktmusical.de.<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

63


Mit Unterstützung von sound of music<br />

Einspielungen<br />

Einspielungen<br />

zusammengestellt von Martina Friedrich, Barbara Kern,<br />

Matterhorn – Das <strong>Musical</strong><br />

Live-Aufnahme zur Uraufführung im Theater St. Gallen<br />

CD 1: 17 Titel, 47 min 24 sec<br />

CD 2: 16 Titel, 52 min 22 sec<br />

Doppel-Jewel-CD-Case mit<br />

32-seitigem Booklet mit allen<br />

Mitwirkenden, allen Liedtexten,<br />

Stückinhalt, Produktionsfotos<br />

ur Uraufführung am Theater St. Gallen vom Fe-<br />

20<strong>18</strong> ist jetzt ein Gesamt-Live-Mitschnitt<br />

Zbruar<br />

erschienen. Die Kompositionen von Albert Hammond<br />

sind eine Mischung aus Pop- und Rockmusik,<br />

Hip-Hop, Volksmusik sowie Klassik und wurden<br />

von Koen Schoots arrangiert. Die Handlung<br />

des <strong>Musical</strong>s lässt sich durch die aussagekräftigen<br />

Texte von Michael Kunze sehr gut nachvollziehen:<br />

Im Sommer <strong>18</strong>65 stand Edward Whymper als erster<br />

Mensch auf dem Matterhorn. In den instrumentalen<br />

Titeln versteht es Albert Hammond ausgezeichnet,<br />

die Dramatik der Erstbesteigung widerzuspiegeln<br />

(allen voran ›Unterwegs zum Gipfel‹). Zudem verdeutlicht<br />

er in den emotionalen Songs die inneren<br />

Konflikte der Hauptfiguren E. Whymper (›Unheilbar<br />

verliebt‹), Olivia Buckingham (›Ich fühle keine Liebe‹)<br />

und des Berggeists Orka (›Unberührt‹). Deren<br />

vielfältige Gefühle und Lebensziele bieten Oedo<br />

Kuipers, Lisa Antoni, Sabrina Weckerlin mit ihren wandelbaren Stimmen überzeugend<br />

dar. Zugleich werden in den Nebenhandlungen der Aufstieg Zermatts zum<br />

bekannten Touristenort sowie die Auswirkungen des Tourismus auf die Natur verdeutlicht.<br />

Dabei wird Orka zur globalen Hüterin der bedrohten Natur.<br />

Rulantica<br />

Original Studio-Cast Aufnahme Rust 20<strong>18</strong><br />

14 Titel<br />

46 min 17 sec<br />

Digipack mit Angabe aller Beteiligten,<br />

Handlung und Fotos des<br />

Orchesters<br />

Piano Impact<br />

Soloalbum von Dr. Konstantinos Kalogeropoulos<br />

12 Titel<br />

1 Bonus Titel<br />

47 min 28 sec<br />

Digipack mit Nennung und<br />

Fotos aller Beteiligten, Kurz-<br />

Biographie von Arrangeur Frank<br />

Nimsgern, Dankesworte von<br />

Kalogeropoulos<br />

uf nach Rulantica! Das neue <strong>Musical</strong> aus dem<br />

AEuropa-Park Rust wird auf dieser Aufnahme gekonnt<br />

als eindrucksvolles Hörerlebnis in Szene beziehungsweise<br />

Ton gesetzt. Es erzählt die Geschichte<br />

von Fin, der als Schiffsjunge auf der Tre Kronor unter<br />

dem macht-, geld- und ruhmgierigen Kapitän Tord Johansen<br />

in See sticht. Das Ziel: Rulantica und deren<br />

heilende Quelle des Lebens. Diese und die Menschheit<br />

muss Fin im spannenden ›Finale‹ gemeinsam<br />

mit der Meerjungfrau Kailani retten. Das akustische<br />

See-Abenteuer besticht mit einem klaren Sound, einem<br />

spannenden Soundtrack und einer die Fantasie<br />

anregenden Geräuschkulisse sowie der betörenden<br />

Stimme von Ornella De Santis als Kailani. Schon<br />

im ›Opener‹ schwappen dem Hörer die Seeluft, die<br />

rauhe Kapitänsstimme (Ulrich Grawunder) und harmonisch<br />

klingender Piratengesang entgegen. Nicolas<br />

Boris Christahl als Fin träumt mit verzückter Stimme davon, ›Ein Held auf dem Meer‹<br />

zu sein. Es fehlen natürlich Teile der Handlung und visuelle Eindrücke der Show, die<br />

jedoch den Hörgenuss nicht mindern, sondern neugierig auf einen Besuch im Europa-<br />

Park machen beziehungsweise Besucher in Erinnerungen schwelgen lassen.<br />

r. Konstantinos Kalogeropoulos, der griechische<br />

DPianist und musikalische Leiter von »Ludwig²«<br />

in Füssen, veröffentlicht mit »Piano Impact« sein<br />

erstes Soloalbum. Die positiv überraschende Tracklist<br />

beinhaltet Musik aus <strong>Musical</strong>, aber auch aus<br />

Film, Popmusik und klassischem Liedgut. Ein Highlight<br />

ist bereits der Eröffnungstitel ›Le Feu De l'Eau‹<br />

aus »Elements«, ein weiteres das Stück »Frank's<br />

Bach« von Johann Sebastian Bach mit einem sich<br />

imposant von Piano- und Gitarrenklängen zu einem<br />

treibenden Streicherwerk mit Chor aufschwingenden<br />

Arrangement von Frank Nimsgern. Auch sehr<br />

kraftvoll kommt ›Nie mehr geschlagen‹ aus »Der<br />

Ring« mit Sänger Chris Murray daher. Weitere Titel<br />

aus »Elements«, »Chess«, »Herr der Ringe« über Falco<br />

bis Michael Jackson machen diese Aufnahme zu<br />

einem künstlerischen Kleinod.<br />

Foto: Hendrik Nix<br />

Dornröschen – Das <strong>Musical</strong><br />

Die Lieder aus dem <strong>Musical</strong> – Live-Mitschnitt<br />

Zeitnah zur Uraufführung des <strong>Musical</strong>s »Dornröschen« bei den Brüder<br />

Grimm Festspielen erschien die CD mit der Musik von Marian Lux<br />

und Liedtexten von Wolfgang Adenberg als Live-Mitschnitt. Marian Lux'<br />

temporeiche Kompositionen tragen die nicht weniger wortreichen Liedtexte<br />

von Wolfgang Adenberg. Die Arrangements von Markus Syperek helfen<br />

den Sängern auch mal über eloquente Wortkonstrukte hinweg, begonnen<br />

mit der 4-minütigen, schwungvollen Eröffnungsnummer ›Wo bin ich?‹,<br />

in der auch elegische Zwischentöne erklingen. Schnelle Sprechgesangsteile<br />

hört man im gesungenen Dialog zwischen dem rotzfrechen, liebenswerten<br />

Teenager Dornröschen, den Sophia Euskirchen mit ihrer ausdrucksstarken<br />

Stimme interpretiert, und der schrägen, guten Fee Aurora (Joana Fee Würz).<br />

Dissonanzen prägen den düster-rockigen Song der traurig-bösen Fee Selena<br />

in ›Mondlose Nacht‹; Kerstin Ibald mit beeindruckendem Stimmumfang.<br />

In das hymnische Schlaflied von ›Segen und Flüche‹ eingebettet sind die<br />

funkig souligen Töne der segnenden Feen (Mirjam Wolf, Lisa Katharina<br />

Toh). Einen gesungenen Schlagabtausch liefern sich Sascha Oliver Bauers<br />

(König Albrecht) und Lisa-Marie Sumners (Königin Gloria) in ›Deine<br />

Schuld‹. ›Auf keinen Fall‹ ist ein herrlicher Wechselgesang der Klischees –<br />

arroganter Machoprinz und verwöhnte Mode-Prinzessin – zwischen Dornröschen<br />

und Prinz Alexander (Kurosch Abbasi). ›Es kann so schnell gehen‹<br />

zeigt, wie schnell Liebe entstehen und durch Selenas Fluch »die Welt in<br />

Trümmer« fallen kann. Bauer zeigt seine stimmliche Bandbreite in der etwas<br />

dahinplätschernden Ballade ›Soll das vorbei<br />

sein?‹. ›Ich bin es leid‹ ist Dornröschens<br />

nachfühlbarer Protest-Song. ›Was passiert ist‹<br />

erzählt das stimmstarke Ensemble. Einen der<br />

wohl schönsten Titel bildet das emotionale<br />

Duett ›Ich gebe alles auf für dich‹, in dem Abbasi<br />

und Euskirchen klangvoll harmonieren.<br />

Zu den Highlights gehört auch das Frauentrio<br />

›Verrat‹ mit den starken Stimmen von Sumner,<br />

Ibald und Würz. Die Live-Band kommt<br />

im Instrumental-Stück ›Der Kampf‹ zu ihrem<br />

Recht, bevor das ›Finale‹ das fulminante ›Finale<br />

Erster Akt‹ wieder aufnimmt und zum Schlusspunkt<br />

führt.<br />

19 Titel<br />

68 min 23 sec<br />

CD-Case mit 4-seitigem Einleger<br />

mit allen Mitwirkenden, kleinen<br />

Castfotos und Inhaltsangabe. Link<br />

zum Download der Songtexte auf<br />

der Seite von Wolfgang Adenberg<br />

64<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


Einspielungen<br />

Mit Unterstützung von sound of music<br />

Sandy Kolbuch, Rosalie Rosenbusch und Veronika Zangl<br />

Foto: Reinhard Winkler<br />

Betty Blue Eyes<br />

Live Recording zur deutschsprachigen Erstaufführung in Linz<br />

In Linz ist man auf das Schwein gekommen: Deshalb folgt auf den großen<br />

Erfolg von »Betty Blue Eyes« prompt das Album-Release der deutschsprachigen<br />

Erstaufführung mit der Musik von George Stiles und deutschen<br />

Liedtexten von Roman Hinze. Damit setzt das Haus seinem blauäugigen<br />

Lieblingstier ein gut gelauntes Denkmal. Das kommt trotz Sozialmusical-<br />

Charakter mit reichlich Dosenfleisch, Lebensmittelrationierung und Klassenkampf<br />

im Nachkriegs-England erstaunlich leichtfüßig daher. Vielleicht<br />

liegt das am stringenten Arrangement der ausgewählten Songs, die auf das<br />

Livealbum wanderten, und ihren vorangestellten Dialogelementen. Die<br />

punkten nicht nur mit britischem Witz, sondern erklären auf unaufdringliche<br />

Weise die Geschichte rund um das rosarote Borstentier. Das soll eigentlich<br />

bei einem Bankett von den Reichen der Stadt zu Ehren der königlichen<br />

Vermählung von Prinzessin Elizabeth und Prinz Philip geschlachtet werden.<br />

Allerdings gibt es da zwei Probleme: den zu allem bereiten Fleischinspektor<br />

Mr Wormold, auf der Jagd nach illegalem Fleisch, und Fußpfleger Gilbert<br />

Chivers, der Betty stiehlt, es dann aber nicht übers Herz bringt, ihr auch<br />

den Garaus zu machen. Die Story ist zwar amüsant, das alleine wäre aber<br />

noch kein Garant für den CD-Erfolg. Beim Livealbum von »Betty Blue<br />

Eyes« baute man vor: Die geballte Stimmkraft des Ensembles verleiht der<br />

<strong>Musical</strong>-Komödie ihre ganz eigene Note und damit auch eine großartige<br />

Strahlkraft. Vor allem Rob Pelzer und Kristin Hölck als biederes Ehepaar<br />

Chivers treiben die Handlung stimmkräftig<br />

klar voran – egal ob mit einem emotional<br />

sanften ›Zauberhände‹ oder einem amüsanten<br />

›Schwein, kein Schwein‹. Riccardo Greco<br />

sorgt als verbissen-schriller Fleischinspektor<br />

Mr Wormold für Schmunzeln und Gänsehautmomente<br />

– und bedient dabei das volle<br />

Repertoire. Musikalisch wird das Setting<br />

durch die »Black Beauty and Friends«-Band<br />

unter der Leitung von Tom Bitterlich abgerundet.<br />

Diese trägt die Swing-Melodien mit<br />

großartigem Schwung in die Welt hinaus<br />

und lässt den (Über-)Lebenswillen der Fünfziger<br />

Jahre wieder auferstehen.<br />

19 Titel<br />

77 min 35 sec<br />

Jewel-CD-Case mit 36-seitigem<br />

Booklet mit allen Beteiligten,<br />

Songliste, Handlung unter<br />

Einbindung der Liedtitel, alle<br />

Songtexte, Produktionsfotos<br />

Frozen: The Broadway <strong>Musical</strong><br />

Original Broadway Cast Recording<br />

ngelehnt an Hans Christian Andersens bekann-<br />

Märchen »Die Eiskönigin«, entstand 2013<br />

Atem<br />

der Animationsfilm »Die Eiskönigin – Völlig unverfroren«<br />

(»Frozen«) von Walt Disney. Die tragische<br />

Geschichte von Elsa, die durch ihre magischen Fähigkeiten<br />

von ihrer Schwester Anna getrennt wird, begeisterte<br />

nicht nur durch die starken Charaktere, sondern<br />

auch mit wunderschönen Songs, welche auch<br />

die samische Welt des hohen Nordens widerspiegeln<br />

(›Vuelie‹). Die Musik und Texte von Kristen Anderson-Lopez<br />

und dem Oscar- und Tony-Gewinner Robert<br />

Lopez finden mit der CD »Frozen: The Broadway<br />

<strong>Musical</strong>« ihre Entsprechung. Neben den bekanntesten<br />

Songs ›Do You Want to Build a Snowman‹ (Mattea<br />

Conforti, Ayla Schwartz, Patti Murin, Caissie Levy)<br />

und ›Let It Go‹, gesungen von Caissie Levy, finden<br />

sich zudem 20 andere mitreißende Songs auf der CD.<br />

John Riddle präsentiert die Welt von ›Hans of the<br />

Southern Isles‹ mit kraftvoller Stimme, die auch im<br />

Duett mit Patti Murin bei ›Love Is an Open Door‹ zu<br />

21 Titel, 1 Bonus Titel<br />

70 min 59 sec<br />

Jewel-CD-Case mit 28-seitigem<br />

Booklet mit allen Beteiligten,<br />

Songliste mit Angabe der Rollen,<br />

Synopsis unter Einbindung<br />

der Liedtitel, Randnotizen des<br />

Produzenten und der Songwriter,<br />

alle Songtexte, Produktionsfotos<br />

vernehmen ist. Ebenfalls eindrucksvoll und mit Einsatz von Glocken geradezu majestätisch<br />

wirkt der Song ›Queen Anointed‹, interpretiert vom Original Broadway Cast.<br />

Prince of Broadway<br />

Original Broadway Cast Recording<br />

iese Zusammenstellung von Songs aus <strong>Musical</strong>s,<br />

Ddie Harold Prince in seiner bisherigen eindrucksvollen<br />

Karriere inszeniert und produziert hat, bietet<br />

auch ohne die dazugehörigen Shows einiges und<br />

gibt einen guten Überblick über die Produktionen.<br />

Zudem freut sich das <strong>Musical</strong>-Herz beim Hören von<br />

hierzulande weitreichend bekannten Songs wie ›Cabaret‹<br />

und ›So what?‹ aus »Cabaret«, ›If I Were a Rich<br />

Man‹ des »Fiddler on the Roof« oder ›Don't Cry For<br />

Me Argentina‹ aus »Evita«. Sowohl eingefleischten<br />

Fans als auch Neulingen oder auch speziell Freunden<br />

des amerikanischen Musiktheaters werden Stücke<br />

aus »Company«, »Show Boat«,»Follies« oder »West<br />

Side Story« präsentiert. Bereits die ›Overture‹ als<br />

Medley aus verschiedenen <strong>Musical</strong>-Songs macht klar,<br />

dass auch »The Phantom of the Opera« hier nicht<br />

fehlen darf. Anspieltipps sind ›Ol' Man River‹ (»Show<br />

Boat«), mit Gefühl von Chuck Cooper (auch fröhlichbeschwingt<br />

in ›If I Were a Rich Man‹) gesungen, und<br />

›Tonight at Eight‹ mit Brandon Uranowitz. Unter den<br />

Frauenstimmen sticht insbesondere Emily Skinner mit<br />

ihrer kraftvollen Stimme hervor. Ein toller Abschluss:<br />

Die Finalnummer ›Do the Work‹.<br />

My Fair Lady<br />

20<strong>18</strong> Broadway Cast Recording<br />

Broadway hat den beliebten Klassiker mit<br />

Dder Musik von Frederick Loewe und den<br />

Liedtexten von Alan Jay Lerner wiederentdeckt<br />

und in bestechender Soundqualität eingespielt.<br />

Eliza wird von der jungen Lauren Ambrose erfrischend<br />

selbstbewusst gesungen, die sich im Laufe<br />

des Stückes zu einer extrem emanzipierten Frau entwickelt.<br />

Harry Hadden-Paton (»Downton Abbey«) ist<br />

als Prof. Henry Higgins zu hören. Was ihm an scharfer<br />

Ironie und Stakkato-Sprechgesang fehlt, ersetzt er<br />

durch klangvollen Gesang und Emotionen. In ›The<br />

Rain in Spain‹ jubelt er wie ein Freund Elizas über<br />

ihren Fortschritt. Norbert Leo Butz verbindet gelungen<br />

stimmliche Kapriolen mit ausdrucksvollem Spiel<br />

in der Rolle des alten Doolittle. Ein großes Plus: Mit<br />

vollem Orchester wurde hier die Originalpartitur<br />

komplett neu eingespielt.<br />

22 Titel<br />

74 min 52 sec<br />

Jewel-CD-Case mit 16-seitigem<br />

Booklet mit allen Beteiligten,<br />

Songliste mit Angabe der<br />

Sänger, Anmerkungen von David<br />

Thompson und Hal Prince,<br />

Produktionsfotos<br />

19 Titel<br />

65 min 31 sec<br />

Jewel-CD-Case mit 32-seitigem<br />

Booklet mit Mitwirkenden, allen<br />

Songtexten, Synopsis unter Einbindung<br />

der Liedtitel, Vorworten<br />

von Douglas McGrath und Ted<br />

Sperling, Produktionsfotos<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

65


Konzerte & Entertainment<br />

Männerfreundschaft im <strong>Musical</strong>business<br />

»Ziemlich gute Freunde ...« in Wien<br />

Abb. oben:<br />

›Strangers Like Me‹ – Gleich zu Beginn<br />

heizen Mark Seibert und Lukas Perman<br />

dem Publikum mit tollen Rhythmen ein<br />

Foto: Madeleine Weiss<br />

Abb. unten:<br />

›Gold von den Sternen‹ – Stargast Ana<br />

Milva Gomes performt ihren Paradesong<br />

aus »Mozart!«<br />

Foto: Madeleine Weiss<br />

Lukas Perman und Mark Seibert sind nicht nur zwei<br />

<strong>Musical</strong>-Stars, sondern auch privat seit ihrer Ausbildung<br />

eng befreundet. Umso überraschender, dass sie<br />

noch nie ein Konzert zusammen gegeben haben. Das<br />

haben die zwei Sonnyboys nun nachgeholt. Am 4. Juni<br />

20<strong>18</strong> fand ihr erster gemeinsamer Abend unter dem Titel<br />

»Ziemlich gute Freunde ...« im ausverkauften Wiener<br />

Raimund Theater statt, bei dem die beiden nicht nur<br />

als Künstler auf der Bühne standen, sondern auch als<br />

Produzenten fungierten.<br />

Im Mittelpunkt stand natürlich die Männerfreundschaft.<br />

Zu Beginn heizten sie dem Publikum mit den<br />

rhythmischen Disney-Songs ›Strangers Like Me‹ aus<br />

»Tarzan« und dem King-Louie-Lied ›I Wanna Be Like<br />

You‹ aus »Das Dschungelbuch« ein. <strong>Musical</strong>songs aus<br />

ihren zahlreichen Engagements mischten sich unter<br />

Pop- und Swing-Nummern. Zwischen den Songs erzählten<br />

die beiden Freunde immer wieder Anekdoten<br />

aus ihrer gemeinsamen Zeit. »Eine enge Freundschaft<br />

unter Künstlern ist gar nicht so einfach«, betonten die<br />

<strong>Musical</strong>größen und dass sie froh seien, dass sich ihre<br />

Wege doch immer wieder auch beruflich kreuzten.<br />

2001 haben sich die beiden beim Studium am Wiener<br />

Konservatorium kennen und schätzen gelernt. Nach<br />

den Auditions zum <strong>Musical</strong> »Romeo & Julia«, welches<br />

schließlich von 2005 bis 2006 in Wien zu sehen war,<br />

trauten sich beide nicht, sich gegenseitig von der eigenen<br />

Zusage zu berichten – zu groß war die Befürchtung,<br />

der andere könne es nicht geschafft haben. Dieses erste<br />

gemeinsame Engagement am Raimund Theater hat die<br />

zwei Sänger enger zusammengeschweißt und für Lukas<br />

war die Inszenierung gleich ein doppelter Glücksgriff,<br />

denn er lernte dort seine Bühnen-Partnerin Marjan<br />

Shaki erst kennen und schließlich auch lieben.<br />

Mit Babybauch im engen Glitzerkleid kam die werdende<br />

Mutter, mit der Perman bereits eine Tochter hat,<br />

beim Konzert von Lukas und Mark auf die Bühne und<br />

erntete für den »Romeo & Julia«-Song ›Liebe‹ großen<br />

Applaus. Nach diesem Gänsehautmoment plauderte<br />

auch das Liebespaar aus dem Nähkästchen. »In unserem<br />

ersten gemeinsamen Urlaub während der Sommerpause<br />

war Marjan morgens immer schwermütig«, erzählt Lukas.<br />

Marjan ergänzt nachdenklich: »Das war genau die<br />

Uhrzeit, zu der ich in Wien abends immer als Julia gestorben<br />

bin.« Immer wieder gab es aber auch lustige Momente<br />

und das Ehepaar steckte mit seiner Lebensfreude<br />

an. Mark Seibert teilt diesen Humor. Nachdem Perman<br />

sich bei der Dauer ihrer Freundschaft um zwei Jahre<br />

vertan hatte, entwickelte es sich während des Abends<br />

spontan zu einem Running Gag, die Jahreszahlen absichtlich<br />

zu vertauschen. Beim Song ›Totale Finsternis‹,<br />

welchen alle drei performten, biss Mark Marjan dann<br />

klassisch in den Hals, Lukas hingegen doch lieber in<br />

den Bauch seiner Frau. Im Sommer soll das zweite Kind<br />

kommen. Die erste Tochter des <strong>Musical</strong>paares kam am<br />

9. April 2015 zur Welt, am Geburtstag von Mark Seibert.<br />

Auch bei der Babyplanung war Mark nicht weit.<br />

Auf der Kreuzfahrt in Richtung Nordkap, als es passiert<br />

sein soll, lag er in der Nachbarkajüte, berichtet Mark<br />

Seibert nach ›Eye of the Tiger‹ aus »Rocky«.<br />

Neben zu erwartenden Klassikern, wie ›Die Schatten<br />

werden länger‹ aus »Elisabeth«, in dem die beiden ebenfalls<br />

zusammen auf der Bühne standen, und ›Die unstillbare<br />

Gier‹ aus »Tanz der Vampire«, in dem sie getrennt<br />

voneinander Hauptrollen gesungen haben, gab es auch<br />

einige Überraschungen. Mark sang zum Beispiel den<br />

66<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


Konzerte & Entertainment<br />

Dean-Martin-Swing-Song ›Sway‹ und Lukas gab mit<br />

dem Lied ›Mein Mädel ist nur eine Verkäuferin‹ eine<br />

Kostprobe auf sein nächstes Engagement an der Wiener<br />

Volksoper in der Ralph-Benatzky-Operette »Meine<br />

Schwester und ich«. Hierzu wurde zum Vergnügen des<br />

Publikums spontan die Zuschauerin Barbara auf die<br />

Bühne geholt, damit Lukas auch ein Mädel zum Ansingen<br />

hatte.<br />

Nach der Pause sorgten Überraschungs-Gäste für<br />

Stimmung im Publikum: Ana Milva Gomes performte<br />

mit Seibert den Song ›Sind die Sterne gegen uns‹ aus<br />

dem <strong>Musical</strong> »Aida« von Elton John und Tim Rice sowie<br />

ihren Paradesong ›Gold von den Sternen‹ aus »Mozart!«.<br />

Im »Elisabeth«-Block trat Roberta Valentini als<br />

Sisi stimmgewaltig in Erscheinung und bekam für ›Ich<br />

gehör' nur mir‹ verdiente Standing Ovations. Stimmlich<br />

unterstützten Alexandra-Yoana Alexandrova, Enny de<br />

Alba und Florian Sebastian Fitz als Backings die Protagonisten.<br />

Unter dem Motto »was sich liebt, das neckt<br />

sich« gab es zwischendurch immer kleine Sticheleien<br />

zwischen den Männern, die in ihren schmucken Anzügen<br />

in den Trendfarben Petrol und Pflaume auch farblich<br />

aufeinander abgestimmt waren. Sie geizten nicht<br />

mit Sprüchen und Kommentaren, zeigten witzige Fotos<br />

und erzählten von lustigen und peinlichen Bühnenmomenten.<br />

Perman hatte sich von Seibert Tipps geholt, als<br />

er 2002 im ORF bei »Dancing Stars« dabei war. Perfektionist<br />

Mark Seibert wird nicht gerne an seine frühere<br />

Zeit als Profiturniertänzer erinnert, da er inzwischen die<br />

Affektiertheit des Sports übertrieben findet, lässt sich<br />

aber doch überzeugen, mit seinem Kumpel einen Walzer<br />

aufs Parkett zu legen. Ganz der Profi ist Mark Seibert<br />

Gentleman und kann fehlerfrei auch den Part der Frau<br />

übernehmen.<br />

Beide standen aber auch zu Niederlagen in der Vergangenheit<br />

und berichteten, welche Rollen sie nicht bekommen<br />

haben. Bei den Auditions für »Les Misérables«<br />

im Londoner West End kam Mark Seibert, wie er sich<br />

erinnert, Runde für Runde bis zum sogenannten Final<br />

Callback. Doch dann kam Produzent Cameron Macintosh<br />

und hatte die Rolle des Jean Valjean schon einem<br />

anderen versprochen, sodass keiner der drei Finalisten<br />

die Rolle bekam. Trotzdem haben es einige »Les Mis«-<br />

Songs ins Programm geschafft. Auch Lukas Perman hatte<br />

eine solche Geschichte auf Lager. Was nur wenige wussten:<br />

Fast hätte er die Rolle des Bert in der Wiener »Mary<br />

Poppins«-Produktion bekommen, die aber schließlich<br />

an David Boyd ging. Doch traurig sind die beiden heute<br />

darüber nicht und wer weiß, ob Lukas Perman sonst<br />

den Erfolg als Josi Edler in der aktuellen Raimund-Theater-Produktion<br />

von »I Am From Austria« gefeiert hätte.<br />

Der Titel-Song durfte beim Freundschafts-Konzert nicht<br />

fehlen. Mark Seibert textete sich, weil er selbst nicht aus<br />

der Alpenrepublik stammt, eine eigene Strophe, die augenzwinkernd<br />

mit der Zeile »weil I da Piefke bin« endet, dem<br />

österreichischen Spottnamen für Deutsche.<br />

Passend zum Freundschaftsthema singen alle fünf,<br />

die zwei <strong>Musical</strong>männer und ihre weiblichen Gaststars,<br />

als Zugabe ›You've Got a Friend‹ von Carole King. Den<br />

ganzen Abend über lieferte eine achtköpfige Band einen<br />

hervorragenden Sound (Piano: Christian Frank, Keyboard:<br />

Dominik Oberenzer, Schlagzeug: Benjamin Figl,<br />

Bass: Ulrich Permanschlager, Gitarre: Manfred Wechselnder,<br />

Posaune: Martin Grünzweig, Reeds: Alwin<br />

Miller und Trompete / Arrangements: Robert Kerschbaumer).<br />

Als Schmankerl für den Nachhauseweg gab es<br />

zu guter Letzt von Mark und Lukas ›Imagine‹ von »The<br />

Beatles«, einzig mit Klavierbegleitung des Musikalischen<br />

Leiters Christian Frank. Mit dem Programm »Ziemlich<br />

gute Freunde ... « ist Mark Seibert und Lukas Perman<br />

auch ein starkes Debüt als Produzenten gelungen. Noch<br />

witzelten sie, ob sie Perman und Seibert- oder Mark und<br />

Lukas-Productions heißen möchten. Das Wiener Publikum<br />

belohnte die Show mit langanhaltendem Applaus.<br />

Manuel Sommerfeld<br />

Abb. unten von links:<br />

1. ›Liebe‹: Lukas Perman und Marjan<br />

Shaki zeigen beim Song aus »Romeo &<br />

Julia« viel Gefühl<br />

2. Mark Seibert und Lukas Perman<br />

tanzen einen Walzer<br />

3. ›Wenn ich tanzen will‹ von Mark<br />

Seibert und Roberta Valentini – ein<br />

starkes Duett<br />

4. Ziemlich beste Freunde – die Harmonie<br />

zwischen Lukas Perman und Mark<br />

Seibert ist deutlich spürbar<br />

Fotos (4): Madeleine Weiss<br />

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Konzerte & Entertainment<br />

Große Stimmen im Rampenlicht<br />

»Faces of <strong>Musical</strong> 20<strong>18</strong>« in Hennef<br />

Abb. oben:<br />

›You'll Never Walk Alone‹ – Jesper Tydén,<br />

John Vooijs, Wilma Harth und Brigitte<br />

Oelke verabschieden gemeinsam mit<br />

dem Chor der <strong>Musical</strong> Voices S.I.E.G. das<br />

begeisterte Publikum<br />

Foto: Sandra Reichel<br />

Abb. unten:<br />

Im Rampenlicht besingt Brigitte Oelke<br />

›Limelight‹ aus »Gambler«<br />

Foto: Sandra Reichel<br />

Bereits zum siebten Mal lud der rund 150 Mitglieder<br />

zählende Konzertchor <strong>Musical</strong> Voices S.I.E.G. am<br />

9. und 10. Juni unter Leitung von Chordirektor Wolfgang<br />

Harth zum ganz besonderen <strong>Musical</strong>konzert nach<br />

Hennef. Erneut waren Größen der <strong>Musical</strong>szene dem<br />

Ruf gefolgt und nahmen sichtlich begeistert die Gelegenheit<br />

wahr, mit einem ganz speziellen Gesangspartner<br />

und mit seiner Unterstützung im Background zu arbeiten.<br />

Im Rampenlicht standen diesmal in internationaler<br />

Besetzung die gebürtige Schweizerin Brigitte Oelke<br />

(»We Will Rock You«, »Chicago«), der Niederländer<br />

John Vooijs (»Tarzan«, »We Will Rock You«) und der<br />

Schwede Jesper Tydén (»Elisabeth«, »West Side Story«),<br />

welcher dem musikalischen Projekt von Anfang an seine<br />

Stimme gab. Mit dabei war wie immer auch die lyrische<br />

Sopranistin Wilma Harth, die als Vocalcoach auch<br />

für die exzellente Intonation und Verständlichkeit des<br />

Chors verantwortlich zeichnet und ihn als Mitglied unterstützt.<br />

Die hervorragende musikalische Begleitung<br />

übernahm erneut die Stuttgarter Band »Apollo 7« mit<br />

eigenen Arrangements, die Bandleader und musikalischer<br />

Leiter Bernd Steixner (Musikalischer Leiter bei<br />

Stage Entertainment, den Vereinigten Bühnen Wien<br />

und am Theater St. Gallen) gemeinsam mit Wolfgang<br />

Harth verfasste. Beide verbindet die Leidenschaft für<br />

Live-Musik.<br />

›Limelight/Rampenlicht‹ – dieser Titel aus dem Gesangsblock,<br />

der das Eric Woolfson-<strong>Musical</strong> »Gambler«<br />

wiederbelebte, hätte als Motto über dem Abend stehen<br />

können, der mit einem wahrhaft magischen Lichtdesign<br />

aufwartete und das nicht nur, weil Marcus Krömer seit<br />

2014 die Show der »Ehrlich Brothers« designt. Krömer<br />

hängte noch ein paar weitere Lampen auf und genoss<br />

es, mal etwas Neues auszuprobieren. Damit setzte er<br />

nicht nur die Solisten ins denkbar beste Licht und spielte<br />

mit Farbkombinationen, sondern auch die für jeden<br />

Block liebevoll gestalteten Kostüme der Chormitglieder<br />

traten gleich noch schöner hervor: Ob die ›Chimney‹-<br />

Schornsteinfeger, bei denen sich ein paar Feuerwehruniformen<br />

einreihten, und die Damen in Kleidern im<br />

englischen Stil, mit denen sie um die Jahrtausendwende<br />

durchaus den Kirschbaumweg 17 hätten entlangflanieren<br />

können, oder die stilechten Rocker und Rockerbräute<br />

aus dem »We Will Rock You«-Block. Wilma Harth<br />

wurde bei ihrem zauberhaft gespielten und sehr schön<br />

gesungenen Auftritt als Arielle (›Ein Mensch zu sein‹)<br />

in wahres Meeresleuchten getaucht. Für Brigitte Oelke,<br />

die der leidenschaftlichen Affenmutter Kala ebenso wie<br />

der arabischen Prinzessin Jasmin – im starken Duett mit<br />

Jesper Tydén – mit ihrer variablen Stimme neue, reizvolle<br />

Facetten verlieh, wurde das Grün des Dschungels<br />

und danach der magische Sternenhimmel beschworen.<br />

Seit dem ersten »Faces of <strong>Musical</strong>«-Konzert werden<br />

die gesanglichen Darbietungen immer wieder durch<br />

kleine Interviews mit den Stargästen unterbrochen,<br />

um diese dem Publikum vorzustellen. Doch dieses Mal<br />

hatten sich Moderatorin Nicola Reyk und Schauspielerin<br />

sowie Sprecherin Sabine Berg (beides selbst leidenschaftliche<br />

Chorsängerinnen) überlegt, doch auch mal<br />

die Arbeit ihres Vocalcoaches Wilma Harth und des<br />

Chordirektors Wolfgang Harth zu kommentieren: Da<br />

erfuhr man von der liebevoll akribischen Arbeit und<br />

sehr späten Änderungen in der Partitur, wobei einfach<br />

»16 Takte rausgeworfen« wurden. Anhand einer ausgebreiteten<br />

Bahn von aneinandergehängten Notenseiten<br />

demonstriert, führte dieser unterhaltsame Einblick in<br />

die Arbeit nicht nur auf Seiten der Insider zu zahlreichen<br />

Lachern. Angesichts des unglaublichen Textpensums<br />

des Konzertprogramms bekam man allerdings<br />

auch etwas Mitleid mit den Chorsängern. Den Vogel<br />

schoss eindeutig ›Supercalifragilistischexpialigetisch‹ ab,<br />

bei dem Wilma Harth als Motivatorin des Chors – vom<br />

Hut bis zum Papageienschirm ganz Mary Poppins – als<br />

gestrenge Chorleiterin die Silben wiederholen ließ und<br />

den Kindern einen »Löffel voll Zucker« kredenzte. LED-<br />

Buchstaben auf den Lichttürmen hinter dem Chor begleiteten<br />

das Zungenbrecher-Medley aus dem Disney-<br />

<strong>Musical</strong>.<br />

Wie immer brachten die Solisten eigene Favoriten<br />

mit: Brigitte Oelke mag Songs, die bei aller Dramatik<br />

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Konzerte & Entertainment<br />

eine »Hoffnung« vermitteln, und interpretierte deshalb<br />

›There You'll Be‹ aus dem Film »Pearl Harbour«. Jesper<br />

Tydén übernahm mit kraftvoller Stimme die Rolle des<br />

von Leidenschaft überwältigten Frollo in ›Das Feuer der<br />

Hölle‹ aus »Der Glöckner von Notre Dame«, umrahmt<br />

von Skelettrosetten, die an den Lichttürmen rankten.<br />

John Vooijs steuerte in der Reihe der »Faces-Songs« eine<br />

eigene melancholisch-rockige Ballade bei und begleitete<br />

sich selbst an der Gitarre: Ein Mann, der seine abendliche<br />

Bekanntschaft nicht mit zu sich genommen hat,<br />

stellt beim Aufwachen fest, dass er sich verliebt hat: »I'm<br />

falling for you, hey stranger!«<br />

Wenn zwei »We Will Rock You«-Interpreten auf der<br />

Bühne stehen, was liegt da näher, als einen Block mit<br />

dem »Queen«-<strong>Musical</strong> zu gestalten? John Vooijs rockte<br />

mit ›I Want to Break Free‹ die Bühne und Killer Queen<br />

Brigitte Oelke suchte ›Somebody to Love‹. Doch den<br />

Höhepunkt bildete beider gesanglich herausragender,<br />

hochemotionaler Gänsehaut-Vortrag von ›Who Wants<br />

to Live Forever‹. Pyrotechnik heizte Sängern und Publikum<br />

hierbei zusätzlich ein.<br />

Der zweite Teil begann mit einem nur noch selten<br />

gespielten <strong>Musical</strong> von Eric Woolfson bzw. »The Alan<br />

Parsons Project«: »Gambler« basiert auf Dostojewskis<br />

Roman »Der Spieler« und feierte 1996 Uraufführung in<br />

Mönchengladbach, versank danach im deutschsprachigen<br />

Raum aber in der Versenkung, während es in Japan<br />

und Korea gespielt wurde. Wilma Harth brachte ihren<br />

lyrischen Sopran als Showgirl in ›Far Away‹ zum Strahlen,<br />

John Vooijs beschwor mit Jesper Tydén als Casiono<br />

Boss den vom Spieler ersehnten ›Golden Key‹ zum Ort<br />

der Träume und Brigitte Oelke brillierte mit einem glasklaren<br />

›Limelight‹, umfasst von Fingern aus Licht. Den<br />

Abschluss machte ›Eye in the Sky‹, das John Vooijs im<br />

Dialog mit dem Chor interpretierte. Er genoss das gemeinsame<br />

Singen sichtlich: »I can read your mind«, und<br />

war sich im anschließenden Interview mit allen Mitwirkenden<br />

einig: »Ohne Musik geht gar nichts«.<br />

Der Abend klang passend zur bevorstehenden<br />

Fußball-WM mit einem Block »Music(al) goes Sport«<br />

aus, zu dem Wolfgang Harth den musikalischen Leiter<br />

Bernd Steixner zunächst überreden musste. Nach der<br />

Arbeit an großen Hymnen wie ›One Day in Your Life‹,<br />

bei der Brigitte Oelke mit ihrer Rock-Röhre Anastacia<br />

in nichts nachstand, oder ›One Moment in Time‹<br />

(Brigitte Oelke und der Chor ließen die Halle beben)<br />

habe er ihn allerdings gefragt: »Wann machen wir eine<br />

Stadiontour?« Im Arrangement von Bernd Steixner wurde<br />

sogar der Xavier Naidoo-Titel ›Dieser Weg‹ zu einer<br />

bluesigen Rock-Nummer, die Jesper Tydén ganz eigen<br />

interpretierte. Bei Christina Stürmers ›Fieber‹ wurde der<br />

Vortrag des Chors wiederum durch Bühnenfeuer angeheizt<br />

und mit einer letzten Zusammenarbeit mit John<br />

Vooijs klang das musikalische und optische Feuerwerk<br />

in der Halle Meiersheide in Hennef mit ›We Are the<br />

Champions‹ aus.<br />

Barbara Kern<br />

Abb. unten von links:<br />

1. ›Ein Mensch zu sein‹ ist der sehnlichste<br />

Wunsch von Arielle, gesungen von<br />

Wilma Harth<br />

2. Von Wilma Harth alias Mary Poppins<br />

lernen die Chormitglieder, dass »ein<br />

Löffelchen voll Zucker« Wunder bewirkt<br />

und wie man einen Zungenbrecher<br />

buchstabiert<br />

3. ›Das Feuer der Hölle‹ fürchtet Jesper<br />

Tydén als Frollo, Erzdiakon von Notre<br />

Dame<br />

4. Vor einem alles sehenden ›Eye in the<br />

Sky‹ (»Gambler«) warnt John Vooijs<br />

Fotos (4): Sandra Reichel<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

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Im Blick<br />

Schöne Tradition am Pfingstmontag!<br />

»<strong>Musical</strong> Meets Pop« eröffnet auch 20<strong>18</strong> die Freilichtspiele in Tecklenburg<br />

Die Solisten (v.l.): Frank Winkels, Sascha Krebs, Pia Douwes, Milica Jovanović, Patrick Stanke, David Jakobs, Dominik Hees, Kevin Tarte und Gino Emnes heizten dem<br />

Publikum mit ›Always Look on the Bright Side of Life‹ aus »Monty Python's Spamalot« ein<br />

›Endlich sehe ich das Licht‹ aus »Rapunzel« – Milica Jovanović und Dominik Hees<br />

›The Prayer‹ aus »Das magische Schwert« – Pia Douwes und Kevin Tarte<br />

›Trag mich in dein Herz‹ aus »Kinky Boots« – Gino Emnes<br />

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blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


Im Blick<br />

›Here I Go Again‹ von Whitesnake – Patrick Stanke zeigt, was er kann<br />

Sascha Krebs in der Ensemblenummer ›Always Look on the Bright Side of<br />

Life‹ aus »Monty Python's Spamalot«<br />

Pia Douwes und Sascha Krebs als<br />

Beyoncé und Ed Sheeran in ›Perfect‹<br />

David Jakobs begleitete sich selbst<br />

auf der Gitarre zu dem Lied von<br />

Gregor Meyle: ›Dann bin ich<br />

zuhaus'‹<br />

Milica Jovanović beschwerte sich wie einst Trude Herr:<br />

›Ich will keine Schokolade‹<br />

Die Backvocals (v.L.): Mathias Meffert, Esther-Larissa Lach, Florian Albers<br />

und Alexandra Hoffmann begleiteten stimmgewaltig die Solisten der<br />

»Pfingstgala«<br />

›Zieh' die Schuh' aus‹ von Roger Cicero, dargebracht von Frank Winkels<br />

Fotos (11): Sandra Reichel<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

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Vis-à-Vis<br />

Das Wichtigste ist für mich die Leidenschaft<br />

Hannah Leser über ihre Rolle als Alex Owens in »Flashdance«<br />

Hannah Leser spielte direkt nach Abschluss der<br />

Stage School in Hamburg die Titelrolle in »Mary<br />

Poppins« und wird ab 20. September 20<strong>18</strong> als<br />

Alex Owens in der Tour-Produktion von »Flashdance«<br />

von 2Entertain Germany auf der Bühne<br />

zu erleben sein.<br />

blickpunkt musical: Ist es eine Ehre für Sie, die<br />

Hauptrolle in »Flashdance – Das <strong>Musical</strong>« zu<br />

spielen?<br />

Hannah Leser: Ja, eine Ehre und Verantwortung.<br />

(lacht)<br />

blimu: Kannten Sie den Film?<br />

HL: Natürlich kannte ich den Film! Als crazy<br />

Tanzbegeisterte habe ich sämtliche Tanzfilme<br />

verschlungen und finde die Alten viel besser als<br />

die Aktuellen, denn es gibt ja heute nur noch<br />

»Hip-Hop-Kram« und ich stehe viel mehr auf die<br />

Klassiker wie »Flashdance«, »Dirty Dancing« und<br />

»Strictly Ballroom«. Als dann die Zusage für die<br />

Rolle kam, wusste ich, dass ich mal schleunigst<br />

trainieren sollte.<br />

blimu: Haben Sie das <strong>Musical</strong> schon gesehen?<br />

HL: Es lief ja bisher in Deutschland noch nicht<br />

so oft. Witzigerweise lief es in Darmstadt, wo<br />

ich zwar als Teenager gewohnt habe, aber nicht<br />

zu dieser Zeit. Es hat sich leider nie ergeben, das<br />

<strong>Musical</strong> zu sehen. Ich habe nach der Zusage recherchiert,<br />

aber jede Inszenierung ist anders und<br />

auch die schwedische Produktion, die auf Tour<br />

durch Deutschland und Österreich geht, hat<br />

noch einmal einen draufgelegt. Gerade bei den<br />

Tanzszenen wurde extrem an den Choreographien<br />

gefeilt und technisch einiges investiert. Die Darstellerin,<br />

die in Schweden die Alex Owens gespielt<br />

hat und witzigerweise auch Hannah heißt,<br />

ist eine unglaublich gute Tänzerin, die jede Szene<br />

großartig umgesetzt hat. Da trete ich in sehr<br />

große Fußstapfen.<br />

blimu: Was verbinden Sie mit dem <strong>Musical</strong><br />

»Flashdance«?<br />

HL: Das Wichtigste ist für mich die Leidenschaft.<br />

Alex hat nie gelernt, professionell zu tanzen, aber<br />

sie besitzt diese Leidenschaft und lebt sie einfach<br />

aus. Sie braucht das Tanzen. Es ist ihr Ventil, bei<br />

dem sie alles rauslassen kann, und man spürt ihre<br />

Leidenschaft von Anfang bis Ende. Das steckt<br />

alle an, reißt mit und darauf freue ich mich ganz<br />

besonders.<br />

Foto: 2Entertain Germany<br />

blimu: Haben Sie einen persönlichen Bezug zu<br />

»Flashdance« oder zu der Geschichte des Films?<br />

HL: Als Darstellerin, als Performer oder Tänzer<br />

versucht jeder, der im Showbusiness arbeitet,<br />

einen Durchbruch zu erreichen und das zu machen,<br />

wovon man träumt und was man liebt. Das<br />

ist die zentrale Story und jeder kann sich damit<br />

identifizieren, wie hart es ist, sich durchzubeißen.<br />

Ich kenne das ganz genau, auch wenn ich<br />

es nicht so schwer hatte wie sie. Wenn man an<br />

sich zweifelt und denkt, man sei zu schlecht, und<br />

dann kommt der Moment, wenn jemand mit dir<br />

arbeitet, dich aufbaut und du es schaffst, das ist<br />

unglaublich!<br />

Ich persönlich hatte das Glück, dass es mir<br />

privat und familiär immer gut ging – im Gegensatz<br />

zu Alex. Sie hatte eine schwere Kindheit, einen<br />

Vater, der nie an sie geglaubt und sich nicht<br />

um sie gekümmert hat. Selbst als sie ihren Traum<br />

verfolgen wollte, zog er sie runter und wollte ihren<br />

Traum zunichtemachen. Bei mir war das ganz<br />

anders: Meine Familie war immer mein größter<br />

Support, sie hat viel für mich getan, mich immer<br />

gestärkt und unterstützt. Trotzdem kenne ich den<br />

inneren Kampf und die Bedeutung der Entscheidung.<br />

Es sagen dir viele, es sei eine fixe Idee. Sie<br />

fragen: »Bist du sicher, dass du das durchziehen<br />

willst? Am Ende stehst du alleine da und hast<br />

nichts.« Da entsteht schon mal das Gefühl, man<br />

sei der einzige Mensch, der daran glaubt, und<br />

deswegen kann ich mich tatsächlich sehr gut mit<br />

der Rolle identifizieren.<br />

blimu: Die Geschichte ist bereits 30 Jahre alt.<br />

Sehen Sie einen aktuellen Bezug? Gerade in der<br />

Stahlindustrie werden heute viele Leute entlassen.<br />

HL: Das war schon damals ein großes Thema,<br />

weswegen es im Film auch thematisiert wird. Bei<br />

»Billy Elliot« zum Beispiel wurde auch die industrielle<br />

Krise in der Geschichte thematisiert. Oder<br />

in »The Full Monty«, einem meiner Lieblingsfilme,<br />

geht es ebenfalls um das Thema. Und auch<br />

wenn ich mich da nicht wirklich auskenne, was<br />

das Business angeht, weiß ich doch Bescheid, wie<br />

das läuft.<br />

Darum geht es ja auch in »Flashdance«. Dort<br />

wird die männliche Hauptrolle Nick in die Stahlfabrik<br />

geholt, um das Unternehmen zu modernisieren,<br />

sich um Outsourcing zu kümmern,<br />

aufzuräumen und zu rationalisieren. Und er ist<br />

dann ausgerechnet derjenige, der sich um die Arbeiter<br />

kümmern will. Das existiert heute in sehr<br />

vielen Bereichen. Konzerne kündigen Mitarbeitern,<br />

um Geld zu sparen. Das zieht sich durch<br />

viele Bereiche, selbst das Theater bleibt davon<br />

nicht unberührt. Auch wenn ich erst ein Jahr in<br />

dem Business arbeite, habe ich schon viel gelernt<br />

und möchte auch erreichen, dass unser Beruf als<br />

Künstler sicher ist und das, was man macht, sich<br />

auch lohnt.<br />

blimu: Sie haben gerade gesagt, Sie arbeiten erst<br />

seit einem Jahr in dem Business. Letztes Jahr haben<br />

Sie die Stage School beendet und sind direkt<br />

für die Titelrolle von »Mary Poppins« engagiert<br />

worden – als Cover.<br />

HL: Ich covere die Rolle nicht, sondern wurde<br />

72 blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


Vis-à-Vis<br />

alternierend für Mary Poppins besetzt. Ich spiele<br />

keine andere Rolle, sondern bin nur da, um die<br />

Hauptdarstellerin zu entlasten, mit zwei festen<br />

Shows die Woche, und ansonsten bin ich immer<br />

auf Stand-by, auf Reserve sozusagen. Die Mary<br />

Poppins ist natürlich eine Wahnsinnsrolle und<br />

ich bin dankbar, dass man so ein Vertrauen in<br />

mich hatte, mich direkt von der Schule in diese<br />

Produktion zu holen. Dann steht man auf einmal<br />

mit Leuten auf der Bühne, die man ein paar Wochen<br />

vorher noch im Internet »gestalkt« hat und<br />

bei denen man sich immer vorgestellt hat, wie es<br />

ist, mit ihnen mal auf der Bühne zu stehen. Das<br />

ist echt crazy.<br />

blimu: Haben Sie Cameron Mackintosh persönlich<br />

kennengelernt?<br />

HL: Ja. Das war das absurdeste Erlebnis überhaupt.<br />

Er war total entspannt, ist mit easyJet<br />

geflogen, also ganz anders, als man sich so einen<br />

erfolgreichen Menschen vorstellt. Ein Mann mit<br />

diesem Einfluss und so einer Autorität steht dann<br />

vor einem und ist total zugänglich. Ich habe mich<br />

ihm dann kurz vorgestellt und ihm die Hand<br />

geschüttelt. Das war ein aufregendes Gefühl. Er<br />

fragte mich dann, wie es mir gefällt, wie es sich<br />

anfühlt, zu fliegen, und ich konnte eigentlich nur<br />

lächeln und »Ja« sagen. Mehr ging nicht. (lacht)<br />

blimu: Mit 23 Jahren ist das beeindruckend.<br />

Sie sind zum Interview in einem schwarzen Outfit<br />

erschienen. Ist das selbst geschneidert? Ich hörte,<br />

das ist eine Leidenschaft von Ihnen.<br />

HL: Nein, das ist vom Flohmarkt. (lacht)<br />

blimu: Haben Sie schon mal für eine Produktion<br />

Kleider genäht oder daran gedacht, sich im Kostümbereich<br />

auszuprobieren?<br />

HL: Nein. Ich schneidere eigentlich nur für mich<br />

oder für gute Freunde, wenn sie etwas haben wollen,<br />

was sie aber nicht finden. Aber eine ganze<br />

Produktion auszustatten, kann ich mir, ehrlich<br />

gesagt, nicht vorstellen. Ich weiß auch gar nicht,<br />

ob ich das wollen würde. Unter Zeitdruck etwas<br />

abliefern und noch dazu nach genauen Vorgaben –<br />

ich glaube, das wäre nicht mein Ding. Auf der<br />

Bühne ist das etwas anderes. Ich habe schon mal<br />

in der Schule ein Kostüm für jemanden gemacht:<br />

Ein Mädchen sollte einen Diven-Song singen<br />

und dazu ein lilafarbenes Ballkleid tragen. Das<br />

brachte die Regisseurin auf die Idee, dass sie eine<br />

5 Meter lange Schleppe braucht, die von zwei Lakaien<br />

getragen wird. Damit kam sie dann zu mir<br />

und ich entwarf eine entsprechende Schleppe, die<br />

über die ganze Bühne ging. Solche Mini-Aufträge<br />

sind sehr schön. Und ich werde das Nähen auf<br />

Tour schon vermissen, denn meine Nähmaschine<br />

muss wohl zu Hause bleiben. Mehr als ein Koffer<br />

geht sicher nicht.<br />

blimu: Sie haben lange Zeit in den USA verbracht<br />

und erfahren, wie die Ausbildung dort abläuft.<br />

Haben Sie eine High School besucht?<br />

HL: Tatsächlich war ich nicht auf einer typischen<br />

High School, denn wenn du in den USA einen<br />

High School Abschluss machst, darfst du in<br />

Deutschland nicht studieren. Deswegen besuchte<br />

ich eine der internationalen Schulen, die ein etwas<br />

anderes System haben. Das ist zwar ähnlich,<br />

aber wir waren Leute aus aller Welt, das war toll.<br />

Aus China, Brasilien, Afrika bis nach Asien habe<br />

ich Menschen kennengelernt und konnte dort<br />

mein internationales Abitur machen, mit dem<br />

ich in Deutschland studieren konnte.<br />

blimu: Von der Vorschule bis zur High School<br />

und weiter gehört das Thema <strong>Musical</strong> in den<br />

USA fest zum Unterricht, während es in Deutschland<br />

meistens nur Arbeitsgemeinschaften an den<br />

Schulen gibt. Wir haben hier in Berlin Spandau<br />

auch ein Gymnasium, das sehr gut und engagiert<br />

Sachen in diesem Bereich auf die Beine stellt.<br />

Doch Sie haben das aus den USA zum Glück<br />

mitnehmen können.<br />

HL: Der Standard der Schulen in den USA ist<br />

extrem hoch. Hier war ich zwar in einer Theater-<br />

AG, doch diese lief nur einmal in der Woche und<br />

wir konnten so nur wenig erarbeiten. Das bringt<br />

nichts. In den USA war ich auf einem Internat,<br />

auch für Externe, das alle Schüler den ganzen Tag<br />

beschäftigt. Du musst dir eine Nachmittagstätigkeit<br />

aussuchen und bist dann auch zwei bis drei<br />

Nachmittage die Woche für drei Stunden in deiner<br />

Gruppe, in der man viel mehr machen kann.<br />

Wir haben tatsächlich zwei Schauspielstücke und<br />

ein <strong>Musical</strong> pro Jahr erarbeitet. Wir hatten viel<br />

Zeit zum Proben, zum Einstudieren, da lernt<br />

man auch etwas. Ich hatte lieber Theater statt<br />

Kunst als Fach und habe so viel über Techniken<br />

und Theatergeschichte gelernt. Und die Shows,<br />

die wir als Amateure auf die Beine gestellt haben,<br />

waren wirklich cool.<br />

blimu: Wie würden Sie <strong>Musical</strong> charakterisieren?<br />

Was bedeutet es Ihnen?<br />

HL: <strong>Musical</strong> ist für mich das Erzählen einer Geschichte,<br />

indem man die drei künstlerischen<br />

Tätigkeiten Schauspiel, Gesang und Tanz dazu<br />

nutzt, ein emotionales Gesamtbild zu schaffen.<br />

Wenn sich die Story nicht gut erzählen lässt,<br />

kannst du noch soviel investieren in Set, Kostüme<br />

und Künstler – ohne den zündenden Funken<br />

bringt dir das ganze Drumherum auch nichts<br />

mehr. Tolle Geschichten fesseln die Zuschauer<br />

und wir geben nur unser bestes handwerkliches<br />

Können dazu. Im <strong>Musical</strong> kommt natürlich noch<br />

der Showeffekt dazu, worüber man sich streiten<br />

kann – wenn hier noch Pyroeffekte dazu kommen<br />

oder ein extrem aufwendiges Kostüm. Ich<br />

persönlich liebe es, in kleine Theater zu gehen,<br />

in denen die Darsteller aus wenig eine Stimmung<br />

zaubern, die mich fesselt, die mich abholt und bei<br />

mir etwas bewirkt. Wenn ich jemanden kennenlerne,<br />

der keine <strong>Musical</strong>s mag oder noch nie eins<br />

gesehen hat, ist das wie eine Art Missionsauftrag<br />

für mich, denn ich muss diesem Menschen dann<br />

das Genre näherbringen und ihm zeigen, wie gut<br />

es sein kann.<br />

<strong>Musical</strong> ist so etwas Tolles und Abwechslungsreiches.<br />

Leider denken viele immer noch, dass es<br />

seichte Unterhaltung und Entertainment ist, aber<br />

es steckt soviel mehr dahinter, es gibt für jeden<br />

Geschmack etwas. Heute kann niemand sagen:<br />

»Ich mag keine <strong>Musical</strong>s, weil mich die Musik<br />

stört!«, denn wirklich jede Musikrichtung ist<br />

vertreten, man muss eben nur die richtige Show<br />

für sich selbst finden. Wenn jemand sagt, er mag<br />

Oper nicht, das kann ich nachvollziehen, aber<br />

<strong>Musical</strong> ist so vielfältig, dass eigentlich jeder das<br />

findet, was ihm gefällt.<br />

blimu: Was sagt Ihnen der Satz: »Ich bin so<br />

unmusikalisch«?<br />

HL: (lacht) Oh, mein Gott, das war der erste<br />

Song, mit dem ich auf die Bühne durfte. Ich glaube,<br />

das war im zweiten Jahr, als die Stage School<br />

das F1rst Stage Theater ausgebaut hat. Das war<br />

eine tolle Zeit, weil ich schon während der Ausbildung<br />

direkt auf der Bühne Erfahrungen habe<br />

sammeln können. Man lernt auch die Kaltblütigkeit,<br />

die man auf der Bühne braucht, damit<br />

man sagen kann: »Jetzt gehe ich raus und lege<br />

los«, auch wenn man sich nicht so sicher fühlt.<br />

Und dieses Chanson war mein Prüfungslied aus<br />

dem ersten Jahr: ein unglaublich schwerer Song,<br />

weil du auf einen C-Dur-Akkord ein Cis singen<br />

musst, und das habe ich auf der Bühne als Solo<br />

singen dürfen. Mein erstes Solo im F1rst Stage<br />

Theater wird für immer ein besonderer Moment<br />

für mich bleiben.<br />

blimu: Vielen Dank, Hannah Leser, und eine<br />

tolle Zeit bei »Flashdance«.<br />

Das Interview führte Oliver Wünsch<br />

Hannah Leser in ihrer Rolle als Alex Owens<br />

Foto: 2Entertain Germany<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

73


Vis-à-Vis<br />

»Regie ist für mich ein lebenslanger Prozess des<br />

Lernens« Eine neue Generation <strong>Musical</strong>regisseure: Erik Petersen im Interview<br />

Erik Petersen ist gebürtiger Magdeburger, stand<br />

in frühen Jahren bereits auf der Bühne, hospitierte<br />

später im Regiefach und gehört heute zu der<br />

Generation neuer Regisseure im musikalischen<br />

Unterhaltungstheater.<br />

blickpunkt musical: Wie kamen Sie zum Theater<br />

und wie zur Regie?<br />

Erik Petersen: Ich habe am Magdeburger Theater<br />

früh als Statist, später als Kleindarsteller auf<br />

der Bühne gestanden. Die Schauspielschulen,<br />

an denen ich mich beworben habe, sahen mich<br />

aber nicht als großen Schauspieler. (lacht) Dennoch<br />

hat Nico Rabenald mich in Magdeburg in<br />

zahlreichen Operetten und <strong>Musical</strong>s, u. a. auch<br />

in »Titanic« besetzt. Damals habe ich fallen lassen,<br />

dass ich gerne hospitieren würde. 2010 rief<br />

er mich an und bot mir eine Hospitanz bei dem<br />

neuen <strong>Musical</strong> »Carmen – Ein deutsches <strong>Musical</strong>«<br />

in Bad Hersfeld an. Eine Woche später fiel<br />

sein Regieassistent aus und ich erhielt die Möglichkeit,<br />

ins kalte Wasser zu springen und zu lernen.<br />

Die Arbeit mit Rabenald war der erste große<br />

Glücksfall. Der zweite war, dass ich im zweiten<br />

Jahr Gil Mehmert in Hersfeld kennenlernte.<br />

Die praktische Erfahrung hat mir den Weg<br />

geebnet. Regieassistenz meint zu 70% Logistik<br />

und nur zu 30% wirkliche Regiearbeit. Das ist im<br />

<strong>Musical</strong> noch extremer als in anderen Bereichen<br />

des Theaters, weil der Assistent versuchen muss,<br />

alles zu kombinieren: Umzüge, Umbauten, am<br />

Opernhaus den Chor, Gäste, die am Haus sind – es<br />

ist ein großer organisatorischer Aufwand. Doch<br />

wenn man Lust hat, diesen Weg in die Regie zu<br />

gehen, und gut arbeitet, wird das irgendwann<br />

auch anerkannt.<br />

blimu: Bei »The Full Monty« in Dortmund haben<br />

Sie auch gespielt.<br />

EP: Das stimmt, neben der Regieassistenz konnte<br />

ich eine kleine Rolle spielen. Dass ich überhaupt<br />

dort assistieren durfte, verdanke ich Gil Mehmert<br />

und dass mich der stellvertretende Intendant<br />

und Dramaturg Hans-Peter Frings aus Magdeburg<br />

kannte. Denn Dortmund gehört zu den<br />

Häusern, die damals nur studierte Leute, ob in<br />

Theaterwissenschaften oder Regie, eingestellt haben.<br />

Da man mir das Vertrauen entgegenbrachte,<br />

durfte ich dort 2 Jahre lang daran teilhaben, dass<br />

Dortmund zu dem Theater wurde, das es heute<br />

ist. Nicht nur »Hairspray« kam überzeugend auf<br />

die Bühne, sondern man wagte sich auch an ein<br />

Stück wie »next to normal«.<br />

blimu: Zwischen der Zeit des Spielens auf der<br />

Foto: Jan-Philipp Behr<br />

Bühne und Ihrer Regiearbeit haben Sie eine Ausbildung<br />

an einer Bibliothek gemacht. War dies<br />

von Vorteil?<br />

EP: Ich war damals fürs Theater noch zu jung,<br />

nachdem ich mit 16 die Schule mit dem erweiterten<br />

Realschulabschluss beendet hatte. Ich wollte<br />

etwas mit Medien und Bildung machen und habe<br />

schon immer gerne gelesen. Daher habe ich eine<br />

Ausbildung als Fachangestellter für Medieninformationsdienste<br />

– in der Fachrichtung Bibliothek<br />

gemacht. Es ist mir bei der Regiearbeit wichtig,<br />

mich weiterzubilden, und dabei nutze ich das<br />

Handwerk, das ich damals erworben habe. Im<br />

<strong>Musical</strong> gibt es allerdings weniger Literatur zu<br />

dem Thema als bei der Oper, da das <strong>Musical</strong> noch<br />

jung ist. Wenn man sich anschaut, wie etwas<br />

komponiert wurde, erfährt man manchmal, dass<br />

die Sängerin mit dem Komponisten zusammen<br />

war und deshalb die Arie so geschrieben wurde.<br />

Im <strong>Musical</strong> ist es zum Beispiel wichtig, zu verstehen,<br />

warum jetzt ein Falsett gesungen wird. Regie<br />

ist für mich ein lebenslanger Prozess des Lernens.<br />

blimu: War das <strong>Musical</strong> eine Art Zufallsprodukt,<br />

weil es <strong>Musical</strong>regisseure waren, die Ihnen die<br />

Tore öffneten, oder wollten Sie gerne in diese<br />

Richtung?<br />

EP: In der Regie gibt es viele talentierte junge<br />

Leute, die aber erst ab Mitte 30 überhaupt Karriere<br />

machen dürfen. Ich war nie der Freund vom<br />

Regietheater auf deutschen Opernbühnen und<br />

finde, dass jahrelang am Publikum vorbeiinszeniert<br />

wurde. Auch an den Auslastungszahlen der<br />

Häuser wird deutlich, wie schwierig es für ein<br />

jüngeres Publikum geworden ist, ins Theater zu<br />

gehen. Diese Entwicklung hat mir nicht gefallen.<br />

Mir schwebte der Bereich Unterhaltung vor. Ich<br />

habe mich immer schon für <strong>Musical</strong> interessiert<br />

und mir war die Nähe zum Publikum wichtig.<br />

Natürlich gibt es auch in unserer Branche<br />

schlechte Unterhaltung, in der man meint, nur<br />

weil <strong>Musical</strong> drunter steht, muss dies und jenes<br />

erzeugt werden. Dann ist das Ergebnis platt und<br />

unemotional.<br />

Heute bin ich in der gesamten Sparte des Musiktheaters<br />

unterwegs, inszeniere <strong>Musical</strong>, Oper<br />

und Operette, aber auf meine Art und Weise. Für<br />

mich ist die Bühne ein fantastischer Raum und<br />

ich wünsche mir, dass die Leute auch mal wieder<br />

zwei Stunden ins Theater gehen und abschalten<br />

können. Dass sie einfach genießen und Stücke erleben,<br />

die emotional über die Rampe gehen. Gil,<br />

Matthias (Davids) und Stephan (Huber) haben<br />

Großes für das Genre geleistet und den Weg für<br />

den Nachwuchs geebnet. Dafür bin ich ihnen<br />

sehr dankbar. Ob es nun der Umgang mit den<br />

Schauspielern ist oder wie wichtig die Psychologie<br />

der Szenen ist – hier habe ich viel von Stephan<br />

gelernt. Die drei Genannten unterscheiden sich<br />

sehr in ihrem Konzept – von der Ästhetik bis zum<br />

Szenenaufbau.<br />

Inzwischen freuen sich die Theater über Spezialisten,<br />

die Lust haben, <strong>Musical</strong> gut zu inszenieren.<br />

Denn es gibt auch diejenigen, die <strong>Musical</strong><br />

inszenieren, aber gar keine Lust darauf haben. Sie<br />

meinen, das Stück, weil es <strong>Musical</strong> ist, zerstören<br />

zu müssen, um es neu zusammensetzen zu können.<br />

Das finde ich traurig. Dann sollen sie etwas<br />

74 blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


Vis-à-Vis<br />

anderes inszenieren. Natürlich kann man bei der<br />

Regie an der Dramaturgie etwas ändern. Sie haben<br />

ja auch »Footloose« von mir in Darmstadt<br />

gesehen. Da haben wir uns getraut, am etwas<br />

schwachen Buch zu arbeiten. Wir haben versucht,<br />

eine weitere Qualitätsebene reinzubringen und zu<br />

zeigen, dass es wirklich ein gutes Buch sein kann.<br />

Das ist für mich auch in der Oper und Operette<br />

der Weg. Alles andere ist für mich unverständlich.<br />

Meine größte Angst ist, dass an einer Inszenierung<br />

von mir kritisiert wird, ich hätte keine Liebe<br />

hineingesteckt. Das ist glücklicherweise noch nie<br />

passiert.<br />

blimu: Wie gehen Sie an ein Stück heran?<br />

EP: Entscheidend ist ein gutes Bauchgefühl.<br />

Meist habe ich bei der Nennung des Titels schon<br />

eine Situation oder ein Bild vor Augen. Wenn<br />

das Bauchgefühl noch nicht gut ist, suche ich<br />

noch mal das Gespräch mit dem Intendanten<br />

oder überlege, was ich mit dem Stück machen<br />

kann. Nach der Zusage höre ich mir die Musik<br />

des Stückes über ein Jahr lang immer wieder an.<br />

Im <strong>Musical</strong> ist es meistens so, dass es eine erste<br />

Version gibt und noch eine überarbeitete Fassung,<br />

ich schaue mir beide an. Dann studiere<br />

ich die Dialoge und – was einige Kollegen nicht<br />

machen – auch, wie das Stück aufgeführt worden<br />

ist, wie andere es gemacht haben. Für mich ist<br />

das Fortbildung. Ich kann in meiner Generation<br />

ein Stück nicht neu erfinden. Würde ich das tun,<br />

spielt »My Fair Lady« in Kapstadt und das Ganze<br />

hätte nichts mehr mit dem Stück zu tun. Ich<br />

kann kombinieren und daraus eine neue Ästhetik<br />

schaffen. Deshalb ist mir der Dialog mit meinen<br />

Dramaturgen sehr wichtig, sodass wir über das<br />

entwickelte Konzept reden.<br />

Vor allem ist es mir wichtig, für das Publikum<br />

zu inszenieren. Ich habe mich während meiner<br />

Karriere schon immer für die Reaktionen des Publikums<br />

in Vorstellungen interessiert und beobachte<br />

unheimlich gern Zuschauer während einer<br />

Inszenierung – auch meiner eigenen. Wenn ich<br />

sehe: Aha, weil es diesen Song noch gibt, steigen<br />

sie aus und überlegen, ob sie den Bus noch bekommen,<br />

dann weiß ich, dass es das nicht geben<br />

darf. Ich halte es für ein hohes Gut, einen Zuschauer<br />

in einer Vorstellung so zu packen, dass<br />

er, wenn nach einer Stunde Pause ist, denkt: Oh,<br />

jetzt ist schon Pause. Eine meiner emotionalsten<br />

Inszenierungen war hier »Hair« auf dem Domplatz<br />

in Magdeburg.<br />

blimu: Mir fehlte bisher in allen Inszenierungen<br />

dieses Stückes der rote Faden.<br />

EP: Die Herausforderung ist, den Figuren eine<br />

Geschichte zu geben, damit sie nicht als ein paar<br />

langhaarige Idioten vorne sitzen, sondern der Zuschauer<br />

versteht, warum sie so handeln. Sonst ist<br />

es ein Konzert, alle singen und dann ziehen plötzlich<br />

Berger oder Claude in den Krieg.<br />

Es bedeutet eine intensive Vorbereitung, damit<br />

die Zuschauer schon vor dem Finale aufstehen<br />

wollen und emotional gepackt sind. Das Thema<br />

ist traurigerweise immer noch aktuell. Gerade<br />

deshalb kann das Stück eine große Kraft entfalten,<br />

wenn man das Publikum erreicht.<br />

blimu: Was ist Ihnen persönlich besonders wichtig<br />

bei Ihren Inszenierungen?<br />

EP: Meine vorrangige Aufgabe ist es, die Stücke<br />

auf der Bühne mit Leuten meiner Generation zu<br />

kreieren. Dazu gehören auch Rollendebüts, wie<br />

wir sie bei »Jesus Christ Superstar« in Oldenburg<br />

mit Oedo Kuipers und Rupert Markthaler hatten.<br />

Es war unglaublich schwer, einen Jesus und einen Judas<br />

aus der neuen Generation zu finden – auch weil<br />

die Stimmen dafür überhaupt nicht mehr ausgebildet<br />

sind. Und natürlich muss dann jemand<br />

mit den jungen Leuten arbeiten. Wir haben sehr<br />

viele unterschiedliche Typen von tollen Sängern<br />

in Deutschland, aber unsere Arbeit besteht darin,<br />

hier vor allem hinsichtlich Schauspiel einiges<br />

herauszukitzeln.<br />

Das macht die Castings manchmal anstrengend.<br />

Das gilt auch für »Footloose« in Darmstadt.<br />

Diese Show verlangt den Darstellern unheimlich<br />

viel ab, was bedeutet, junge Leute finden zu müssen,<br />

die alle drei Disziplinen sehr gut beherrschen<br />

und dann auch noch in authentischer Art und<br />

Weise auf der Bühne stehen. Deshalb bin ich<br />

viel unterwegs, gehe zu Intendantenvorsingen<br />

und schaue mir Absolventenshows an. Das kostet<br />

Zeit, ist aber entscheidend, um eine Entwicklung<br />

zu erkennen, damit ich nicht einfach besetze, weil<br />

»<strong>Musical</strong>darsteller« drunter steht, sondern Leute<br />

finde, die sehr gut spielen können und zu meinen<br />

Produktionen passen.<br />

Ich finde es besonders schön, wenn man in ein<br />

Stück gehen kann, ohne sich vorher zu belesen.<br />

Ich schaue immer, wie ich an den Zuschauer herankomme<br />

– auch mit einer gewissen Entscheidung<br />

innerhalb des Ensembles –, damit er mit<br />

»Evita« etwas anfangen kann, selbst wenn sie die<br />

Böse ist, die immer herumschreit, weil sie überfordert<br />

ist. Wie bekomme ich es hin, dass das Publikum<br />

mitfühlen kann? Das ist jeweils ein langer<br />

Prozess, bei dem die Atmosphäre und die Dichte<br />

der Szenen stimmen müssen, damit die Zuschauer<br />

dranbleiben. Man erarbeitet sich im Laufe der<br />

Zeit eine Handschrift, an die man sich bei jeder<br />

neuen Inszenierung idealerweise zurückerinnert,<br />

wie etwas funktioniert. Auslöser kann ein Satz<br />

sein wie bei »Frau Luna« jetzt in Dortmund, wo<br />

es hieß, dass es in den 20er Jahren ein großes<br />

Luftballett gab. Daraus entstehen dann Ideen:<br />

Ich schaue immer bei den Komponisten oder<br />

Autoren, was sie sich dabei gedacht haben, und<br />

versuche, das mit den Gedanken meiner Generation<br />

in unsere Zeit umzusetzen. Bei der Findung<br />

rede ich natürlich viel mit dem Kreativteam, den<br />

Choreographen.<br />

Bei meinen zukünftigen Projekten versuche<br />

ich, auch hinsichtlich der Entscheidung in der<br />

Besetzung, ein Publikum zu gewinnen, das sich<br />

sonst kein Ticket für Stücke wie »Anatevka« (Mai<br />

2019, Magdeburg) oder »Kiss Me, Kate« (Februar<br />

2019, Darmstadt) kaufen würde. Dieses darf sich<br />

auf einige namhafte Darsteller freuen. (Da wegen<br />

der Sommerpause noch keine Verträge endgültig<br />

unterschrieben sind, können hier leider keine Namen<br />

genannt werden, Anm. d. Red.). Als weitere<br />

Arbeiten sind für das nächste Jahr »West Side<br />

Story«, »Im weißen Rössl«, »Young Frankenstein«<br />

und »Victor/Victoria« in Planung.<br />

blimu: Sie haben gesagt, dass Sie direkt für die<br />

große Bühne arbeiten durften und sich danach<br />

sehnen, ein 2-Personenstück zu inszenieren. <strong>Musical</strong><br />

gilt als Ausstattungstheater – wie wichtig ist Ihnen<br />

der Rahmen?<br />

EP: Das Bühnenbild wird immer mehr und mehr<br />

durch Projektionen ersetzt. »Finding Neverland«<br />

ist beispielsweise nur noch eine reine LED-Wand-<br />

Produktion. Das ist finanziell sicher die beste<br />

Lösung, weil man keine großen Bühnenbauten<br />

braucht, aber für mich ist der Theaterraum immer<br />

noch entscheidend. Bei »Footloose« habe ich dem<br />

Bühnenbildner gesagt, ich hätte Lust auf ein richtiges<br />

Bühnenbild, weil in der Recherche immer<br />

nur von Kastenräumen oder Stangen die Rede<br />

war. Immer wieder wurde der Ort an der gleichen<br />

Stelle, nur mit anderen Requisiten, definiert. Das<br />

fand ich langweilig. Ich habe dann auch Feedback<br />

von dem Komponisten Tom Snow und Liedtexter<br />

Dean Pitchford bekommen, die Bilder von<br />

Darmstadt gesehen hatten und beeindruckt waren,<br />

welche Ausstattung ein solches Stück haben<br />

kann. Mir ist auch wichtig, zu präsentieren, was<br />

ein Theater zu leisten vermag.<br />

Bei »Anatevka« ist mir aufgefallen, dass manche<br />

Zuschauer aussteigen, weil sie das Gefühl<br />

haben, das Geschehen sei zu weit weg. Daher<br />

sind wir hier gerade an der Entscheidung dran,<br />

das Orchester mit auf die Bühne zu nehmen, damit<br />

wir mehr an die Rampe spielen können und<br />

die Zuschauer mitnehmen. Das ist das Konzept<br />

Erik Petersen während der Proben<br />

Foto: Jan-Philipp Behr<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

75


Vis-à-Vis<br />

vom Broadway und Londoner West End, wo es<br />

selten Shows mit einem Orchestergraben als Abtrennung<br />

gibt. Ein Großteil des Erfolges liegt an<br />

dieser Nähe zum Publikum. Bei uns bildet der<br />

Orchestergraben manchmal eine Barriere.<br />

blimu: Welches sind Stücke, die Ihnen persönlich<br />

besonders gut gefallen?<br />

EP: Für mich besteht das hohe Gut des <strong>Musical</strong>s<br />

im Zusammenkommen von Tanz, Gesang und<br />

Schauspiel – es ist das, was zählt. Daher ist für<br />

mich der Energiepol in den Stücken entscheidend<br />

dafür, wie kraftvoll eine Message herübergebracht<br />

wird. »Kinky Boots« beispielsweise ist so etwas<br />

wie das »La Cage aux Folles« der heutigen Zeit.<br />

Die Botschaft dahinter, ohne dass man mit dem<br />

Schuhlöffel draufschlägt, ist einfach enorm – wenn<br />

man sie als Zuschauer zulässt. Ich habe auch erlebt,<br />

dass Ehegatten ganz konsterniert darin sitzen,<br />

wenn Lola das erste Mal auftritt. Da ist erst<br />

einmal Schubladendenken am Werk. Doch dann<br />

schafft die Show es, den Menschen hinter dem<br />

Äußeren zu zeigen. Das ist eine Stärke des <strong>Musical</strong>s<br />

und gilt auch für Stücke wie »Anatevka«,<br />

»Hair«, »Evita« oder auch »Jesus Christ Superstar«.<br />

Stücke, bei denen die Aussage sehr groß ist<br />

und bei denen man als Regisseur die Chance hat,<br />

diese Message zum Publikum hin zu inszenieren.<br />

Das finde ich teilweise selbst sehr berührend.<br />

blimu: Wie sehen Sie, als jemand von der neuen<br />

Generation, die Zukunft des <strong>Musical</strong>s?<br />

EP: Mein größter Wunsch wäre, dass es mehr<br />

Intendanten gibt, die den Stellenwert des Unterhaltungstheaters<br />

höher bewerten. Möglicherweise<br />

muss dafür auch eine neue Generation an Intendanten<br />

kommen, weil viele in unserem Bereich<br />

ein »Nicht-Wissen« haben. Sicher werden wir,<br />

auch Kollegen wie Martin G. Berger, Felix Seiler<br />

und Stephan Sebastian Ritschel, gebucht, weil<br />

wir es mitbringen, aber ich denke, man könnte<br />

an jedem Haus drei <strong>Musical</strong>s spielen. Auf manchen<br />

Spielplänen stehen schon fünf <strong>Musical</strong>s parallel<br />

im Repertoire. Das ist für Deutschland eine<br />

enorme Entwicklung des Unterhaltungstheaters.<br />

Hierbei ist das Publikum wesentlich bestimmend,<br />

das in die Stadttheater geht und <strong>Musical</strong> verlangt.<br />

Ansonsten würde ich mir wünschen, dass sowohl<br />

die Entwicklung der Stücke als auch die Stückauswahl<br />

einen noch besseren Stand beim Zuschauer<br />

bekommen. Dass auch Stücke wie beispielsweise<br />

»Pippin«, die zunächst keinen großen Anklang<br />

haben, ihr Publikum finden.<br />

Wir haben glücklicherweise stellenweise eine<br />

Off-Broadway-Szene, in der sich einiges tut, aber<br />

bei den Stadttheatern ist das noch nicht so angekommen.<br />

Doch es gibt Häuser, die federführend<br />

sind im Unterhaltungstheater, und ich finde, dass<br />

man den Leuten nicht nur »Evita«, »West Side<br />

Story« und »Anatevka« vorsetzen muss. Ich fände<br />

es toll, wenn man in der Zukunft auch neue<br />

Wege bestreiten würde – egal, ob es deutsche<br />

Stücke sind, die eigens geschrieben werden, oder<br />

Stücke vom West End oder Broadway, die dort<br />

bereits erfolgreich sind. »next to normal« ist so<br />

ein Stück, das eine beispielhafte Entwicklung am<br />

deutschsprachigen Stadttheater erlebt hat. Man<br />

hat erkannt, dass das Thema viele Menschen angeht.<br />

Es wäre schön, wenn die Verlage sich mehr<br />

trauen würden und wir endlich große Titel an<br />

Stadttheatern spielen dürfen, die sonst nur von<br />

großen Firmen in Anspruch genommen werden.<br />

Das hätte eine ganz andere Dimension – auch<br />

musikalisch, da man Stücke wie »Der Glöckner<br />

von Notre Dame« natürlich mit einem Hauschor<br />

bestreiten könnte.<br />

blimu: Unsere Theaterlandschaft ist schon einzigartig.<br />

EP: So einzigartig, wie ich kürzlich gelesen habe,<br />

dass es einen Antrag gibt, das Konzept der Theaterlandschaft<br />

in Deutschland mit ihrer ganzen<br />

Organisation ins immaterielle Weltkulturerbe<br />

aufzunehmen. Das würde bedeuten, dass kein<br />

Haus mehr geschlossen werden darf. In einer<br />

aktuellen Statistik wurde veröffentlicht, dass in<br />

Deutschland 7000 Vorstellungen pro Jahr gespielt<br />

werden, gefolgt von Russland mit 1000<br />

Vorstellungen. Daran sieht man, welch wichtiger<br />

Beitrag zur Kultur hier gelegt wird. Ich bin<br />

ohnehin der Meinung, dass das Theater bei der<br />

Entwicklung der Gesellschaft eine entscheidende<br />

Rolle spielt – auch was die Verarbeitung negativer<br />

Themen in der Weltpolitik betrifft.<br />

blimu: Was würden Sie gerne ändern, um die<br />

Stellung des <strong>Musical</strong>s aufzuwerten?<br />

EP: Es gibt in Deutschland einen Theaterpreis,<br />

den »Faust«, in dem das Unterhaltungstheater<br />

0,0 Prozent gewürdigt wird. Es gibt nicht einmal<br />

eine Kategorie dafür. Immer noch nimmt eine<br />

Großzahl an Intendanten die Unterhaltungsbranche<br />

nicht ernst. Natürlich ist die Deutsche<br />

<strong>Musical</strong> Akademie in Berlin ein Wahnsinnsschritt<br />

für Deutschland, aber es geht dort nur<br />

um die neuen Stücke. Das ist zweifellos ein<br />

guter Ansatz für die Zukunft. Dennoch müssen<br />

auch die laufenden Produktionen gesehen<br />

werden. In Österreich schaffen sie es mit ihrem<br />

Musiktheaterpreis, alle Kategorien zu bedenken.<br />

Ich finde es faszinierend, dass in Deutschland<br />

Stücke, die erfolgreich sind und die Auslastungszahlen<br />

an den Theatern nach oben treiben,<br />

überhaupt nicht bedacht werden. Deshalb finde<br />

ich es wichtig, dass es so eine Figur wie Barrie<br />

Kosky gibt. Auch wenn man über seine Inszenierungen<br />

geteilter Meinung sein kann, es ist<br />

ihm gelungen, Aufmerksamkeit für das Genre<br />

zu wecken. Ich kämpfe um die Anerkennung<br />

des Unterhaltungsfaches und hoffe einfach, dass<br />

die Wertschätzung von Unterhaltung sowohl im<br />

deutschen Bühnenverein als auch bei den Intendanten<br />

in den nächsten Jahren noch mehr steigt.<br />

blimu: Vielen Dank für diese Einblicke in Ihren<br />

Werdegang und Ihr Engagement. Alles Gute für<br />

die kommenden Projekte.<br />

Das Interview führte Barbara Kern<br />

Erik Petersen während der Proben mit Oedo Kuipers, l.<br />

Foto: Jan-Philipp Behr<br />

Erik Petersen<br />

Theater- und Regieerfahrungen sammelte der Magdeburger<br />

u. a. als Regieassistent und Abendspielleiter bei<br />

den Bad Hersfelder Festspielen und an der Oper Dortmund,<br />

wo er mit Regisseuren wie Matthias Davids, Stefan<br />

Huber, Jens-Daniel Herzog und Mariame Clément<br />

zusammengearbeitet hat. Eine enge Zusammenarbeit<br />

verbindet ihn mit Gil Mehmert, dem er bei »Coco Schumann«<br />

an den Hamburger Kammerspielen, bei »Sunset<br />

Boulevard« bei den Bad Hersfelder Festspielen und bei<br />

»Jesus Christ Superstar« an der Oper Bonn assistierte.<br />

Bei den Magdeburger Domfestspielen war er als Co-Regisseur<br />

für »Les Misérables« engagiert und bei den Bad<br />

Hersfelder Festspielen für »Cabaret«.<br />

Inzwischen arbeitet er als freier Regisseur in allen Bereichen<br />

des Musiktheaters (<strong>Musical</strong>, Oper und Operette).<br />

Zu seinen <strong>Musical</strong>inszenierungen gehören »Evita« (Oldenburg<br />

und Darmstadt), »Crazy For You« (Magdeburg),<br />

»Der kleine Horrorladen« (Bonn), »Hair« (Domfestspiele<br />

Magdeburg), »My Fair Lady« (Theaterplatz Chemnitz),<br />

»Footloose« (Darmstadt) und »Jesus Christ Superstar«<br />

(Oldenburg).<br />

76 blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


Film & Fernsehen<br />

Märchenhafte <strong>Musical</strong>-Komödie<br />

»Prinz Charming« kommt ins Kino<br />

Schneewittchen (Avril Lavigne), Aschenputtel (Ashley Tisdale) und Dornröschen (G.E.M)<br />

Foto: splendid film<br />

Jeder kennt die Märchen von Aschenputtel, Schneewittchen<br />

und Dornröschen. Vanguard Animation<br />

und John H. Williams (Produzent der »Shrek«-Reihe)<br />

erzählen in der animierten <strong>Musical</strong>-Komödie »Prinz<br />

Charming« nun die Geschichten der Prinzessinnen aus<br />

der Sicht des Prinzen. Untermalt wird das amüsante<br />

Ganze mit einem Score von Tom Howe und Rock-Pop-<br />

Songs der australischen Sängerin und Songwriterin Sia<br />

sowie von Patrick Stump.<br />

Als Baby wurde Prinz Charming von der bösen Nenemy<br />

verflucht: Jede Frau, die ihm in die Augen blickt,<br />

verliebt sich unsterblich in ihn! Im Laufe der Jahre sind<br />

dem Prinzen zahlreiche Frauen verfallen. Um den Fluch<br />

endlich zu brechen, stellt König Charming seinem Sohn<br />

ein Ultimatum: Findet er vor seinem 21. Geburtstag<br />

nicht die einzig wahre Liebe und hebt damit den Fluch<br />

auf, verliert er seinen Anspruch auf den Thron! Prinz<br />

Charming reagiert zunächst gelassen, da er bereits mit<br />

Aschenputtel, Dornröschen und Schneewittchen verlobt<br />

ist. Doch dann erkennt er, dass die drei Auserwählten<br />

vermutlich nur seinem Charme erlegen sind. Während<br />

die drei Prinzessinnen sich sicher sind, ihren ›Trophy<br />

Boy‹ gefunden zu haben, streift die selbstbewusste und<br />

schlagkräftige Lenore allein durchs Land. Als sie auf den<br />

Prinzen trifft, kann dessen Charme ihr nichts anhaben.<br />

Sie bleibt sich treu: ›Not Changin'‹ (interpretiert von<br />

Catherine »Cat« Missal). Lediglich an dem königlichen<br />

Vermögen interessiert, ersinnt sie einen Plan. Als der<br />

Prinz zu einer Reise der Selbstfindung und zur Bestätigung<br />

seiner Männlichkeit aufbricht, bietet sich Lenore<br />

in Verkleidung des freundlichen Lenny als Wegbegleiter<br />

an. Gemeinsam entdecken sie und der Prinz das Dorf<br />

der Riesinnen. Während einer fröhlichen Party zu den<br />

Klängen von ›Charmin Anthem‹ (Text und Gesang von<br />

Steve Aoki) lernen sie das Halb-Orakel namens Matilija<br />

kennen. Diese gibt ihnen einen Ratschlag: ›Balladino‹<br />

(Text und Gesang von Sia). Da das Halb-Orakel jedoch<br />

auf einem Auge blind ist, stimmt nur die Hälfte ihrer<br />

Voraussagen. Und so stolpert das Duo von einem Abenteuer<br />

in das nächste. Doch erstaunlicherweise schlägt<br />

sich der Prinz während seines Kampfes mit einem steinernen<br />

Monster so gut, das Lenore einen Blick hinter<br />

seine strahlende Fassade erhascht. Je größer die Hürden<br />

werden, desto häufiger müssen sie und er als Team zusammenarbeiten.<br />

Als Lenore wieder als sie selbst auf den<br />

Prinzen trifft, ist plötzlich alles ›Magical‹, wie sie beide<br />

in dem Song von Sia (Furler) und Christopher Braide<br />

erkennen. Doch die böse Nenemy setzt alles daran, die<br />

Liebenden wieder zu trennen. Fast scheint ihr düsterer<br />

Plan aufzugehen, bis der Prinz sich freiwillig für sein<br />

Volk opfert und in der letzten Sekunde durch die wahre<br />

Liebe gerettet wird.<br />

Der Animationsfilm spielt mit den bekannten Märchenelementen,<br />

setzt diese neu und amüsant zusammen.<br />

Die Figuren präsentieren ihre Stimmen durch die<br />

schwungvollen Songs: Aus der Feder von Sia stammen<br />

die Songs ›Magical‹ und ›Balladino‹, die von Demi Lovato<br />

bzw. ihr selbst interpretiert werden. »Fall Out Boy«-<br />

Frontman Patrick Stump hat den Song ›Trophy Boy‹ beigesteuert,<br />

der von den drei Prinzessinnen – im Original<br />

interpretiert von Avril Lavigne, Ashley Tisdale und G.E.M.<br />

– gesungen wird. In der deutschen Fassung leiht der »musical.ly«-Star<br />

Selina Mour (›Hold Me‹) Schneewittchen<br />

die Stimme. Auch die im Hintergrund gespielten Songs<br />

›Avalanche‹ (Nick Jonas & Demi Lovato) und ›Somebody<br />

to You‹ (»The Vamps« &<br />

Demi Lovato) untermalen die<br />

Gefühlswelt der Figuren wirkungsvoll.<br />

Abgerundet wird<br />

der Film mit einem Abspann,<br />

der mit ›Charming‹ die Höhen<br />

und Tiefen der wahren Liebe<br />

zusammenfasst.<br />

Sandy Kolbuch<br />

Prinz Charming<br />

3QU Media & Vanguard Animation<br />

splendid film<br />

Deutscher Kinostart: 2. August 20<strong>18</strong><br />

Länge: 85 Minuten<br />

Regie & Drehbuch ......... Ross Venokur<br />

Filmschnitt ........................... Rob Neal<br />

Score ................................. Tom Howe<br />

Songs ..... Sia (Furler), Christopher Braide,<br />

Patrick Stump, Manny Streetz Guevara,<br />

David Kater, Nicolas Jerry Jonas, Jason<br />

Dean, Joe Kirkland, TJ Routon, Michel<br />

Heyaca, Carl Anthony Falk, Savan<br />

Kotecha, Kristian Lundin<br />

Musik. Leitung ........ Christophe Braide<br />

Orchestrierung ............... Tom Howe &<br />

David Krysal<br />

Chor........................ »The Bach Choir«<br />

Produktionsdesign ......... Michel Breton<br />

Lighting Supervision .... Matthew Clubb<br />

Visual Effects Supervision ............. Alex<br />

Parkinson<br />

Sounddesign ................ Olivier Calvert<br />

Dialogbuch &<br />

Dialogregie ............ Heiko Obermöller<br />

Synchronstudio ...... Splendid Synchron<br />

Soundtrack .... Harry Gregson-Williams<br />

Produzenten ......... John H. Williams &<br />

Patrick Worlock<br />

Lenore / Lenny .............. Demi Lovato /<br />

Mayke Dähn<br />

Prinz Charming .... Wilmer Valderrama /<br />

Christian Wunderlich<br />

Halb-Orakel ..... Sia / Daniela Bette-Koch<br />

Schneewittchen ............. Avril Lavigne /<br />

Selina Mour<br />

Aschenputtel ............... Ashley Tisdale /<br />

Fabienne Hesse<br />

Dornröschen .... G.E.M / Jana Julie Kilka<br />

Nemeny ...... Nia Vardalos / Ilya Welter<br />

Die gute Fee /<br />

Henker .... John Gleese / Gerd Kilbinger<br />

König Charming.......... Jim Cummings /<br />

Volker Wolf<br />

Abb. unten:<br />

Lenore (Demi Lovato) und Prinz Philippe<br />

Charming (Wilmer Valderrama)<br />

Foto: splendid film<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong> 77


<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

Neues aus den USA<br />

zusammengestellt von Richard C. Norton<br />

Tony Awards<br />

Die Broadway-Saison 2017/<strong>18</strong> schließt mit der<br />

jährlichen Verleihung der Tony Awards, bei denen<br />

der Kritiker-Favorit »The Band's Visit« (vgl.<br />

blimu 06/17) 10 Preise abräumt: »Best <strong>Musical</strong>«,<br />

»Best Book of a <strong>Musical</strong>« (Itamar Moses), »Best<br />

Original Score« (David Yazbek), »Best Director<br />

of a <strong>Musical</strong>« (David Cromer), »Best Actor« und<br />

»Best Actress in a <strong>Musical</strong>« (Tony Shalhoub und<br />

Katrina Lenk), »Best Featured Actor in a <strong>Musical</strong>«<br />

(Ari'el Stachel) und »Best Lighting«, »Best<br />

Sound«, »Best Orchestrations in a <strong>Musical</strong>«.<br />

Als »Best Revival« wird »Once on This Island«<br />

(vg. blimu 01/<strong>18</strong>) ausgezeichnet, das »My Fair<br />

Lady« und »Carousel« hinter sich lässt.<br />

»Carousel« (diese <strong>Ausgabe</strong>) wird ausgezeichnet<br />

für »Best Choreography« (Justin Peck), »SpongeBob<br />

SquarePants« (vgl. blimu 01/<strong>18</strong>) für<br />

»Best Scenic Design« (David Zinn) und »My<br />

Fair Lady« (diese <strong>Ausgabe</strong>) für »Best Costume<br />

Design« (Catherine Zuber).<br />

Samantha Barks als<br />

»Pretty Woman«<br />

Foto: Andrew Eccles<br />

»The Band's Visit« am Broadway 2017<br />

Foto: Matthew Murphy<br />

Vorhang zu und Vorhang auf<br />

In Kürze schließen »Hello, Dolly!« (vgl. blimu<br />

<strong>04</strong>/17), wobei Bette Midler die letzten Wochen<br />

noch einmal die Titelrolle spielt, und<br />

»Escape to Margaritaville« (vgl. blimu<br />

03/<strong>18</strong>).<br />

Dafür starten drei neue <strong>Musical</strong>s im<br />

Sommer:<br />

»Head Over Heels« (Previews ab 23. Juni,<br />

Premiere am 26. Juli 20<strong>18</strong> im Hudson Theatre)<br />

lebt von der Musik der Frauen-Rockband<br />

»The Go-Go's«. Die Schöpfer der 1980er Hits<br />

›We Got the Beat‹ und ›Our Lips Are Sealed‹ liefern<br />

die Partitur der berauschenden, turbulenten<br />

Komödie, die von Sir Philip Sidneys Prosa-Poem<br />

»Arcadia« aus dem 16. Jahrhundert inspiriert ist.<br />

»Head Over Heels« schreibt Geschichte durch die<br />

Besetzung von Peppermint, der Zweitplatzierten<br />

der 9. Staffel der Reality-Show »RuPaul's Drag<br />

Race« (eine US-amerikanische Reality-Show, die<br />

»Amerikas nächsten Drag-Superstar« sucht). Sie<br />

wird die erste Darstellerin sein, die sich öffentlich<br />

zum Leben als transsexuelle Frau bekennt und<br />

eine Hauptrolle am Broadway kreiert.<br />

»Gettin' the Band Back Together« (Previews<br />

ab 19. Juli, Premiere am 13. August<br />

20<strong>18</strong> im Belasco Theatre) erzählt von dem<br />

40-jährigen Mitch Papadopoulos (gespielt<br />

von Mitchell Jarvis), der durch<br />

die Finanzkrise von jetzt auf gleich<br />

seinen Job an der Wall Street verliert<br />

und wieder bei seiner Mutter<br />

(Marilu Henner spielt Sharon Papadopoulos)<br />

einziehen muss. Als<br />

sein Highschool-Erzfeind sein<br />

Haus zwangsversteigern lässt, gewinnt Mitch<br />

seine früheren Bandkollegen dafür, sich wiederzuvereinigen,<br />

um ein letztes Mal das lokale<br />

Band-Battle zu bestreiten und sein Haus zurückzubekommen.<br />

John Rando (»Urinetown«) führt<br />

Regie bei dem <strong>Musical</strong>, das von Produzent Ken<br />

Davenport (»Once on This Island«-Revival) und<br />

den Entwicklern von »The Grundleshotz« auf die<br />

Beine gestellt wird. Mark Allen schrieb die Musik,<br />

mit Unterstützung von Sarah Saltzberg.<br />

»Pretty Woman: The <strong>Musical</strong>« (Previews<br />

ab 20. Juli, Premiere am 16. August 20<strong>18</strong> im<br />

Nederlander Theatre) basiert auf der gleichnamigen<br />

romantischen Filmkomödie, in der Julia Roberts<br />

und Richard Gere die Hauptrollen spielten.<br />

Garry Marshall (Regisseur des Films) und Drehbuchautor<br />

J.F. Lawton schrieben gemeinsam das<br />

Buch, die Musik kommt von Grammy-Gewinner<br />

Bryan Adams sowie Jim Vallance. Der Tonynominierte<br />

und Oliver-Award-Gewinner Andy<br />

Karl (»Groundhog Day« und »Rocky«) wird den<br />

reichen Geschäftsmann Edward Lewis spielen,<br />

dessen Leben Samantha Barks als Vivian auf den<br />

Kopf stellt. Kit wird von Orfeh (Karls Frau im<br />

wahren Leben) gespielt und in weiteren Rollen<br />

sind Eric Anderson (Mr Thompson), Kingsley<br />

Leggs (James Morse) und Jason Danieley (Philip<br />

Stuckey) zu sehen. Jerry Mitchell (»Kinky Boots«)<br />

wird inszenieren und choreographieren.<br />

»King Kong« (Previews ab 5. Oktober, Premiere<br />

am 8. November im Broadway Theatre)<br />

wurde seit der Weltpremiere 2013 in Melbourne<br />

komplett überarbeitet. Es spielen Christiani Pitts<br />

(Ann Darrow) und Eric William Morris (Filmregisseur<br />

Carl Denham). Der sechs Meter große<br />

78<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

Gorilla King Kong ist eine hochtechnisierte Animatronik-Figur,<br />

die von einer Gruppe von Puppenspielern<br />

und Luftakrobaten auf der Bühne<br />

zum Leben erweckt wird. Das Buch schrieb Jack<br />

Thorne (»Harry Potter and the Cursed Child«),<br />

die Musik Marius de Vries (»La La Land«,<br />

»Moulin Rouge«) und die Songs Eddie Perfect<br />

(»Beetlejuice«-<strong>Musical</strong>).<br />

»The Prom« (Previews ab 23. Oktober, Premiere<br />

am 15. November 20<strong>18</strong> am Longacre Theatre)<br />

ist eine Original-<strong>Musical</strong>-Komödie von Bob<br />

Martin, Chad Beguelin sowie Matthew Sklar und<br />

erzählt die Geschichte einer Gruppe exzentrischer<br />

Fachleute vom Broadway, die in eine kleine Stadt<br />

in Indiana fahren, um einer Highschool-Schülerin<br />

zu helfen, die vom Abschlussball ausgeschlossen<br />

wurde, weil sie ihre Liebste mitbringen wollte.<br />

Der Cast besteht aus verschiedenen beliebten<br />

<strong>Musical</strong>darstellern: Beth Leavel, Christopher Sieber<br />

und Brooks Ashmanskas. Inszeniert und choreographiert<br />

ist es von Casey Nicholaw (»Mean<br />

Girls«, »The Book of Mormon«).<br />

»The Cher Show« (Previews ab 1. November,<br />

Premiere am 13. Dezember 20<strong>18</strong> im Neil Simon<br />

Theatre) verbindet die Biographie mit den großen<br />

Hits von ›Gypsies, Tramps and Thieves‹ bis<br />

›If I Could Turn Back Time‹ und dem Duett mit<br />

Sonny Bono: ›I Got You Babe‹. Es benötigt drei<br />

Darstellerinnen, um einen Star wie Cher zu porträtieren.<br />

Tony-Award-Sieger Rick Elice (»Jersey<br />

Boys«) hat das Leben des Popstars in drei Bereiche<br />

geteilt: Babe, Star und Lady – dargestellt von<br />

Micaela Diamond, Teal Wicks und Stephanie J.<br />

Block. Jarrod Spector (»Beautiful«) spielt Sonny<br />

Bono. Der legendäre Kostümdesigner Bob Mackie,<br />

der in Zusammenarbeit mit Cher über die<br />

Jahre unzählige Looks der Pop-Ikone kreiert hat,<br />

ist ebenfalls Teil des Kreativteams.<br />

Das Gesicht von King Kong<br />

Foto: James Morgan<br />

Tryouts und im Kommen<br />

Um seine Anwartschaft auf den Broadway zu<br />

bekräftigen, gibt »Moulin Rouge!« im Bostoner<br />

historischen Emerson Colonial Theatre ein<br />

Sommer-Tryout. Aaron Tveit (»Catch Me If You<br />

Can«) und Karen Olivo (»In the Heights«) verkörpern<br />

die Hauptrollen unter Regie von Alex<br />

Timbers (»Rocky«).<br />

»Hadestown«, Anaïs Mitchells gepriesene<br />

Folk Opera, die 2016 im New York Theatre<br />

Workshop ihr Debüt gegeben hat, plant nach einer<br />

Vorstellungsserie im Londoner National Theatre<br />

den Transfer an den Broadway. Regisseur Rachel<br />

Chavkin (»Natasha, Pierre & Great Comet<br />

of <strong>18</strong>12«) inszeniert die Show, die dem Mythos<br />

von Orpheus folgt, der verlangt, den Hades betreten<br />

zu dürfen, um seine wahre Liebe Eurydike<br />

wiederzugewinnen. Musikalisch ist das Stück von<br />

den Traditionen klassischer amerikanischer Folkmusik<br />

und hervorragendem New Orleans Jazz inspiriert.<br />

Die leitenden Produzenten Mara Isaacs,<br />

Dale Franzen, Hunter Arnold und Tom Kirdahy<br />

planen, das <strong>Musical</strong> 2019 an den Broadway zu<br />

bringen.<br />

der in Person der weiblichen Dorothy Michaels<br />

ein Engagement erhält. David Yazbek komponierte<br />

die Musik, das Buch schrieb Robert Horn und<br />

Regie führt Scott Ellis.<br />

»Dave« basiert auf der Oscar-nominierten<br />

Filmkomödie mit Kevin Kline und ist vom 13.<br />

Juli bis 19. August 20<strong>18</strong> im Arena Stage's Kreeger<br />

Theater in Washington, D.C. zu sehen. Drew<br />

Gehling (»Waitress«) verkörpert sowohl den Präsidenten<br />

Bill Mitchell als auch die Titelrolle. Das<br />

Buch für das neue <strong>Musical</strong> schrieben der dreifache<br />

Tony-Gewinner Thomas Meehan (»Annie«,<br />

»Hairspray«, »The Producers«) und Nell Benjamin<br />

(»Mean Girls«, »Legally Blonde«), welche auch die<br />

Liedtexte verfasste. Die Musik komponierte der<br />

Pulitzer Preis- und zweifache Tony-Gewinner Tom<br />

Kitt (»next to normal«, »If/Then«). Regie führt<br />

Tina Landau (»SpongeBob SquarePants«).<br />

»Tootsie: The <strong>Musical</strong>« ist eine Adaption des<br />

Dustin-Hoffman-Films. Das <strong>Musical</strong> wird am<br />

11. September Weltpremiere am Chicagoer Cadillac<br />

Palace Theatre feiern, mit Option auf den<br />

Broadway im Frühjahr 2019. Santino Fontana<br />

(»Hello, Dolly!«, »Cinderella«) wird die Hauptrolle<br />

des kämpferischen Michael Dorsey spielen,<br />

Dan Dwyer<br />

dt. von Leonie Löffler &<br />

Beate Luszeit<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

79


<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

Eine Schande für die »Discoqueen«<br />

»Summer: The Donna Summer <strong>Musical</strong>« am Broadway<br />

Summer:<br />

Das Donna Summer <strong>Musical</strong><br />

Diverse Komponisten / Donna Summer /<br />

Colman Domingo / Robert Cary /<br />

Des McAnuff<br />

La Jolla Playhouse<br />

Tommy Mottola, »The Dodgers«,<br />

Lauren Mitchell<br />

Lunt-Fontanne Theatre New York<br />

Broadway-Premiere: 23. April 20<strong>18</strong><br />

Direction ....................... Des McAnuff<br />

Music Direction ....... Victoria Theodore<br />

Music Supervision &<br />

Arrangements .................. Ron Melrose<br />

Orchestrations .................. Bill Brendle<br />

Choreography ............... Sergio Trujillo<br />

Fight Direction ................ Steve Rankin<br />

Scenic Design ................... Robert Brill<br />

Costume Design ............. Paul Tazewell<br />

Wig Design .......... Charles G. LaPointe<br />

Lighting Design ........... Howell Binkley<br />

Projection Design .... Sean Nieuwenhuis<br />

Sound Design ............... Gareth Owen<br />

Diva Donna / Mary Gaines .... LaChanze<br />

Disco Donna ............... Ariana DeBose<br />

Duckling Donna / Mimi .... Storm Lever<br />

Neil Bogart / Gunther ...... Aaron Krohn<br />

Andrew Gaines ............ Ken Robinson<br />

Bruce Sudano .................... Jared Zirilli<br />

David Geffen .............. Mackenzie Bell<br />

Giorgio Moroder ......... Kaleigh Cronin<br />

Bob .............................. Rebecca Riker<br />

Joyce Bogart ..................... Jessica Rush<br />

Adult Mary Ellen ............... Anissa Felix<br />

Young Mary Ellen /<br />

Brooklyn ............... Wonu Ogunfowora<br />

Adult Dara .... Christina Acosta Robinson<br />

Young Dara /<br />

Amanda ................. Kimberley Dodson<br />

Brian / Helmuth Sommer /<br />

Fight Captain ..... Drew Wildman Foster<br />

Michael / Maid / ›To Turn the Stone‹<br />

Solo ................................... Afra Hines<br />

Norman Brokaw /<br />

Dance Captain .............. Jenny Laroche<br />

Pete Bellote /<br />

Don Engel .................. Kaye Tuckerman<br />

Pastor ......................... Harris M. Turner<br />

In weiteren Rollen:<br />

Angelica Beliard, Aurelia Michael,<br />

Jody Reynard, Kim Steele<br />

Die drei Donnas im Finale mit Ensemble<br />

Foto: Matthew Murphy<br />

Trotz seines enormen Potentials ist »Summer: The<br />

Donna Summer <strong>Musical</strong>« nicht nur eine Schande<br />

für das Genre des Jukebox-<strong>Musical</strong>s, sondern es rückt<br />

auch das Leben der »Discoqueen« in ein ausgesprochen<br />

fades Licht. Zu groß ist die Bedeutung dieser Frau für<br />

die amerikanische Popkultur, als dass die Show ihr gerecht<br />

werden könnte. Das Trio höchst talentierter Darstellerinnen,<br />

die mit beeindruckender Stimmgewalt und<br />

Autorität Summer zu den verschiedenen Zeitpunkten<br />

ihres Lebens verkörpern, kann nicht das trostlose Buch<br />

kompensieren, welches in Kooperation von Colman<br />

Domingo, Robert Cary und Des McAnuff entstand.<br />

Letzterer führt außerdem Regie. Es ist schade und zugleich<br />

Ironie vom Feinsten, dass gerade McAnuff auch<br />

bei der Tony- und Olivier-ausgezeichneten Show »Jersey<br />

Boys« Regie führte – der Show, welche sich als Jukebox-<br />

<strong>Musical</strong> einen Namen im Bereich des »seriösen« <strong>Musical</strong>theaters<br />

machte.<br />

Diva Donna (LaChanze), die älteste der drei Donnas,<br />

erzählt mehr oder weniger chronologisch, jedoch<br />

mit einigen Zeitsprüngen ihre eigene Geschichte. Geboren<br />

als LaDonna Adrian Gaines, wächst sie in einem<br />

afrikanischen, streng adventistisch-episkopalen Haushalt<br />

auf, der vom autoritären und lieblosen Vater dominiert<br />

wird. Beste Voraussetzungen für ein Leben voller<br />

Schwierigkeiten. Inspiriert durch ihr Debüt als Solistin<br />

im Kirchenchor, von dessen Leiter sie missbraucht wird,<br />

entflieht LaDonna der High School, um in Manhattan<br />

bei einer Audition vorzusingen. Dort wird sie für eine<br />

deutsche Produktion von »Hair« engagiert. Das Leben<br />

in München bringt einen deutschen Ehemann, den<br />

Nachnamen Sommer (ein Schreibfehler auf ihrem ersten<br />

Album machte daraus »Summer«, wobei sie dann<br />

blieb), und – bis zu ihrer Aufnahme von ›Love to Love<br />

You Baby‹ für den italienischen Produzenten Giorgio<br />

Moroder (Kaleigh Cronin) – lediglich moderaten Erfolg<br />

mit sich. Amerikanische Unterstützer bringen die Aufnahme<br />

mit der Schwulen-Disko-Szene in Verbindung,<br />

welche in den Großstädten boomt. Summer protestiert<br />

schwach, dass sie nicht als Discoqueen abgetan werden<br />

möchte, aber der Erfolg holt sie ein – der Rest ist Geschichte.<br />

Weiteres Thema in »Summer« ist die Ausnutzung<br />

von Donna durch die Plattenindustrie und nicht<br />

zuletzt durch Männer im Allgemeinen – bis sie ihren<br />

zweiten und letzten Ehemann Bruce Sudano (Jared Zirilli)<br />

kennenlernt, sich mit ihm niederlässt, Zeit in ihre<br />

Familie investiert und die positiven Wurzeln des Christentums<br />

für sich entdeckt. Letzten Endes erliegt sie<br />

einem Krebsleiden. Ihr größtes Vermächtnis sind ihre<br />

ihr treu ergebenen Töchter: Summers öffentliche Rolle<br />

als Diva tritt angesichts ihrer Mutterschaft in den Hintergrund.<br />

Was ihre Existenz als »Schwulenikone« (im<br />

Original: gay diva) angeht, bringt diese Show Licht ins<br />

Dunkel: Die homosexuelle Kultur, in der Summer aufblühte,<br />

ist – frei nach Lord Alfred Douglas, welcher dies<br />

über seine Gefühle für Oscar Wilde schrieb – ein Phänomen,<br />

das nicht wagt, beim Namen genannt zu werden<br />

(Originalzitat: »The love that dare not speak its name«).<br />

Mit raffiniertem, dramaturgischem Geschick hat<br />

McAnuff 23 Musikstücke in das Buch integriert, welche<br />

original von Donna Summer aufgenommen und in<br />

vielen Fällen auch von ihr mitgeschrieben wurden. Bei<br />

den meisten handelt es sich um ihre sofort erkennbaren<br />

Paradehits, wobei aber der Eindruck entsteht, dass diese<br />

nichts mit der explodierenden Schwulenkultur zu tun<br />

haben, aus welcher sie hervorgegangen sind. Falls es je<br />

80<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

ein <strong>Musical</strong> gab, das geradezu nach einem männlichen –<br />

wenn nicht sogar schwulen (als Homosexueller darf ich<br />

das sagen) – Ensemble schreit, dann ist es »Summer«.<br />

Das Tanzensemble ist aber ausnahmslos weiblich.<br />

Thema des Stückes hätte sein sollen, wie Summers<br />

Discomusik der Schwulenkultur den Aufschwung zum<br />

Mainstream ermöglicht hat – genauso wie »Dreamgirls«<br />

thematisiert, wie die Symbiose aus Diana Ross und »The<br />

Supremes« der Black Music half, als Mainstream-Pop<br />

anerkannt zu werden. Stattdessen kreierten McAnuff<br />

und Co. eine Parabel auf die Befreiung der Frauen sowie<br />

die spirituelle Loslösung von Objektivierung und<br />

Kommerzialisierung. Wie konnte ein nettes, christliches<br />

Mädchen aus Boston (keines der »Bad Girls«, von welchen<br />

sie singt) unfreiwillig zur Ikone der internationalen<br />

Schwulenszene werden? Hatte denn keiner, der an dieser<br />

Produktion beteiligt war, auch nur IRGENDEINEN<br />

Sinn für Humor?<br />

Die Show buhlt von Beginn an mit ›I Feel Love‹ und<br />

Summers erstem Erfolgshit ›Love to Love You Baby‹ um<br />

unsere Aufmerksamkeit. Regie und Orchestrierung erwecken<br />

auf clevere Art und Weise und mit notwendiger<br />

Übersteuerung (es ist schließlich Disco!) Erinnerungen<br />

an den Sound von Summers Musik, so wie man sie zum<br />

allerersten Mal aus dem Walkman, in der Disco oder<br />

im Radio gehört hat: eine euphorisch synthetische, packende<br />

Mischung aus ohrenbetäubendem Schlagzeug,<br />

begnadeten Streichern, pointiert eingesetzten Bläsern<br />

und primitiver Elektronik. Summers kehlige Altstimme<br />

passt perfekt dazu: teils süß, teils zornig und gleichzeitig<br />

sowohl loyal gegenüber dem Kirchenchor als auch rebellisch<br />

– wie alle großartigen afroamerikanischen Diven<br />

der Popmusik.<br />

Tatsächlich sind die Stimmen der drei Donnas –<br />

Storm Lever (Duckling/Küken Donna), Ariana DeBose<br />

(Disco Donna) und LaChanze (Diva Donna) – die<br />

Stars der Show. Die junge Broadway-Newcomerin Lever<br />

verdient für ›On My Honor‹ jeden Respekt – eine<br />

gefühlvolle Ballade, in der es darum geht, wie einem<br />

braven Mädchen Leid angetan wird. DeBose (die ihre<br />

Beine sehr hoch bekommt, wenn sie sich in das Tanzensemble<br />

eingliedert) gibt gegen Mitte der Show bei<br />

›She Works Hard for the Money‹ Vollgas. Jede Diva hat<br />

ihren großen Auftritt, bei dem sie einen unglaublichen<br />

Stimmumfang unter Beweis stellen kann. Dies gilt vor<br />

allem für DeBose und LaChanze mit dem ergreifenden<br />

Gospelstück ›I Believe in Jesus‹. LaChanze (Tony<br />

Award für »The Color Purple« 2006) übertrifft sich mit<br />

›Unconditional Love‹ nochmal selbst, wenn die private<br />

Donna im fortgeschrittenen Alter mit ihrer eigenen Familiengeschichte<br />

abschließt und sich um ihre Töchter<br />

kümmert. LaChanze brilliert zudem in ihrem Schauspiel<br />

bei der eigennützigen Entschuldigung Summers<br />

für ihre verunglimpfenden und homophoben Kommentare<br />

über Schwule und AIDS: irgendwie gelingt es La-<br />

Chanze, Summer dennoch als sympathischen Charakter<br />

darzustellen.<br />

Die Choreographien von Sergio Trujillo (ebenfalls<br />

»Jersey Boys«) enthalten ab und zu ein paar zeitgemäße<br />

Discomoves, gleiten aber doch größtenteils<br />

in 08/15-Broadway-Popdance ab, der an modernes<br />

Kreuzfahrtentertainment erinnert. Das Bühnenbild<br />

besteht aus einem offenen, kühlen und sterilen weißen<br />

Hintergrund, auf welchem Projektionen einzelne Kulissenelemente<br />

ergänzen. In diesen Projektionen ist soviel<br />

Storm Lever als Duckling Donna<br />

Ariana DeBose als Disco Donna<br />

Fotos (3): Matthew Murphy<br />

Bewegung enthalten, wie es Songs im gesamten Stück<br />

gibt. Zum Ende der eindreiviertel Stunden andauernden,<br />

pausenlosen Show kommt der Doppelschlag von<br />

Summers zwei größten Discohits zum Finale und zum<br />

Schlussapplaus: ›Hot Stuff‹ und (Überraschung!) ›Last<br />

Dance‹. Schließlich werden Discokugeln herabgelassen,<br />

es kommt zur emotionalen Wiedervereinigung der drei<br />

Donnas und das Publikum ist – genau wie beim Finale<br />

von »Mamma Mia!« – auf den Füßen. Es gibt ein, zwei<br />

lustige Momente im Stück, aber von Nervenkitzel ist<br />

keine Spur. In der Disco wird es leise. Und die Musik<br />

geht aus.<br />

LaChanze als Diva Donna<br />

Dan Dwyer<br />

dt. von Veronika Arenz &<br />

Beate Luszeit<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

81


<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

Mehr Show, weniger Shaw<br />

»My Fair Lady« Revival am Broadway<br />

›The Rain in Spain‹ – Henry Higgins (Harry Hadden-Paton), Eliza (Lauren Ambrose) und Colonel Pickering (Allan Corduner)<br />

Foto: Joan Marcus<br />

My Fair Lady<br />

Frederick Loewe / Alan Jay Lerner<br />

Lincoln Center Theater New York<br />

The Vivian Beaumont Theater<br />

Premiere: 19. April 20<strong>18</strong><br />

Direction ......................... Bartlett Sher<br />

Music Direction ............... Ted Sperling<br />

<strong>Musical</strong> Arrangements .... Robert Russell<br />

Bennett & Philip J. Lang<br />

Dance Arrangements ....Trude Rittmann<br />

Choreography ...... Christopher Gattelli<br />

Set Design ................. Michael Yeargan<br />

Costume Design ........ Catherine Zuber<br />

Hair & Wig Design ........... Tom Watson<br />

Lighting Design ........... Donald Holder<br />

Sound Design ............... Marc Salzberg<br />

Eliza Doolittle ........... Lauren Ambrose<br />

Henry Higgins ..... Harry Hadden-Paton<br />

Alfred P. Doolittle ..... Norbert Leo Butz<br />

Mrs Higgins ...................... Diana Rigg<br />

Colonel Pickering ........ Allan Corduner<br />

Freddy Eynsford-Hill .... Jordan Donica<br />

Mrs Pearce ................ Linda Mugleston<br />

Zoltan Karpathy ............ Clarke Thorell<br />

In weiteren Rollen:<br />

Cameron Adams, Shereen Ahmed,<br />

Kerstin Anderson, Heather Botts,<br />

Rebecca Eichenberger, SuEllen Estey,<br />

Christopher Faison, Steven Trumon<br />

Gray, Adam Grupper, Michael Halling,<br />

Joe Hart, Todd A. Horman, Sasha<br />

Hutchings, Kate Marilley, Liz<br />

McCartney, Justin Lee Miller, Rommel<br />

Pierre O'Choa, Keven Quillon, JoAnna<br />

Rhinehart, Tony Roach, Lance Roberts,<br />

Blair Ross, Christine Cornish Smith,<br />

Paul Slade Smith, Samantha Sturm,<br />

Matt Wall, Michael Williams, Minami<br />

Yusui, Lee Zarrett<br />

In einem überdimensionierten Revival von »My Fair<br />

Lady« am Vivian Beaumont Theater im New Yorker<br />

Lincoln Center wird Shaw von viel Show verdrängt.<br />

Doch trotz allem behalten Frederick Loewes wunderbare<br />

Musik und Alan Jay Lerners alterslose Texte die<br />

Oberhand in diesem heiß geliebten, auf George Bernard<br />

Shaws Theaterstück »Pygmalion« basierenden <strong>Musical</strong><br />

über das gewöhnliche, Cockney-Slang sprechende Blumenmädchen<br />

aus Londons Arbeiterviertel East End,<br />

Eliza Doolittle, und den elitären Phonetik-Professor<br />

Henry Higgins. Einmal mehr versucht der Regisseur<br />

Bartlett Sher, im Lincoln Center eine sowohl bombastische<br />

Inszenierung als auch völlig neuartige, einfühlsame<br />

Version dieses <strong>Musical</strong>-Klassikers zu kreieren. Dieser<br />

Ansatz funktionierte großartig bei »South Pacific«<br />

(2008), jedoch weniger erfolgreich bei »The King and I«<br />

(2015). »My Fair Lady« landet mit einigem Abstand auf<br />

dem dritten Platz.<br />

Shers bisherige <strong>Musical</strong>-Revivals am Vivian Beaumont<br />

Theater spielten an weitläufigen Pazifikstränden<br />

oder in großartigen asiatischen Palästen und passten damit<br />

auf diese Bühne, die Größte am Broadway (in ganz<br />

Manhattan sind nur die Bühnen der Radio City Music<br />

Hall und der Metropolitan Opera noch größer). Aber<br />

mal abgesehen von den berühmten Ensemble-Szenen in<br />

»My Fair Lady« – Covent Garden, das Rennen in Ascot,<br />

Elizas Ball-Debüt – spielt die Geschichte überwiegend<br />

in privaten Räumen, vor allem in Higgins' Bibliothek.<br />

Dafür konstruierte der Bühnenbildner Michael Yeargan<br />

eine riesige, zweistöckige Bibliothek auf einer beweglichen<br />

Bühne, die mehrfach von hinten nach vorne und<br />

wieder zurück gezogen wird. Das Hin und Her dieses<br />

Giganten ist ablenkend und seine Ausmaße unpassend<br />

für den intimen Machtkampf, der sich nach und nach<br />

zwischen Eliza und Higgins entwickelt. Das soll nicht<br />

heißen, dass »My Fair Lady« ein Kammermusical wäre,<br />

aber es ist eher eine Erzählung, die sich in »Kammern«<br />

abspielt. Am Vivian Beaumont Theater schwebt vieles<br />

davon im freien Raum.<br />

Die dekorativen Elemente in Higgins' Wirkungsstätte<br />

sind eigentümlich. Die Bibliothek wird an einem<br />

Ende dominiert durch ein riesiges, über zwei Etagen<br />

reichendes Fenster im Stil des Palladianismus (klassizistisch<br />

geprägter Baustil, Anm. d. Red.), das eher in eine<br />

heutige, neureiche Vorort-Siedlung passen würde als in<br />

einen ordentlichen viktorianischen Haushalt. Eine weitere<br />

Skurrilität ist, dass die Wände der Bibliothek mit<br />

abstrakter Malerei geschmückt sind, ausgerechnet auch<br />

noch im Stil des abstrakten Expressionismus aus der<br />

Mitte des Jahrhunderts – vielleicht als Hinweis gedacht,<br />

dass Higgins ein »moderner Mann« sein soll, ganz nach<br />

Shaws Vorbild.<br />

Aber in Shers Inszenierung ist Henry Higgins nicht<br />

sonderlich kompliziert. Jonathan Pryce dagegen spielte<br />

Higgins in der West End-Produktion von 2002 als<br />

Freud'schen Neurotiker. Shaws Higgins kann ausgesprochen<br />

gemein, sexistisch und grob sein. Hier hingegen,<br />

gespielt vom freundlichen, jungenhaften und gutaussehenden<br />

West-End-Liebling Harry Hadden-Paton<br />

(»Downton Abbey«), ist Higgins teils Muttersöhnchen,<br />

teils Peter Pan mit »Ich will nicht erwachsen werden«-<br />

Einstellung. Diesem Higgins mangelt es an Biss: Als sein<br />

Bühnenpartner, Colonel Pickering, sich fragt, was wohl<br />

aus Eliza werden soll, falls Higgins' Umerziehungsversuche<br />

scheitern, klingt dessen scharfe Erwiderung, er würde<br />

sie wieder »in die Gosse« zurückwerfen, bei Hadden-<br />

82<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

Paton wie eine unwichtige Nebenbemerkung.<br />

Lauren Ambrose ist ausgezeichnet als Eliza. Ihre Gesangsstimme<br />

ist zwar für das Vivian Beaumont Theater<br />

recht klein, aber doch wandlungsfähig und gut in<br />

der Lage, die Veränderungen in Elizas Ausdrucksweise<br />

und Emotionen zu transportieren: von einem wehmütignaiven,<br />

in Cockney-Slang gesungenen ›Wouldn't It Be<br />

Loverly?‹ in der Eröffnungsszene am Covent Garden<br />

bis hin zum wütend-hochkultivierten ›Without You‹<br />

in Queen's English kurz vor Ende des <strong>Musical</strong>s. In den<br />

Dialogen klingt ihr Cockney-Akzent absolut fehlerfrei,<br />

doch leider sind einige ihrer Textzeilen unverständlich<br />

und ihr fehlt das passende Timing bei Elizas berühmtem<br />

Ausruf: »Move your bloomin' arse / Lauf schneller, oder<br />

ich streu dir Pfeffer in den Arsch!« beim Ascot-Rennen.<br />

Norbert Leo Butz als Elizas Vater Alfred P. Doolittle<br />

trägt bei ›A Little Bit of Luck‹ zu dick auf, stiehlt dann<br />

aber den anderen die Show mit dem Showstopper ›Get<br />

Me to the Church on Time‹ im 2. Akt. Die Tanzszenen<br />

sind eigentlich durchweg sehr schön – so auch in<br />

›The Rain in Spain‹ mit Eliza, Higgins und Pickering<br />

– in der Szene ›Get Me to the Church on Time‹ aber<br />

zieht Choreograph Gatelli sämtliche Register mit einem<br />

mitreißenden, herrlichen, aber auch schlüpfrigen<br />

Ensemble aus Doolittles Saufkumpanen, Flittchen und<br />

Dragqueens. In Gatellis Ensemble-Choreographie, während<br />

›Church‹ immer intensiver und lauter wird – fast<br />

drei Dutzend Darsteller schließen sich zu einer einzigen<br />

Tanzreihe zusammen, allen voran Butz, von der Mitte<br />

der Bühne rechts diagonal bis vorne links –, erreicht<br />

»My Fair Lady« für einen euphorischen, berauschenden<br />

Moment die mitreißende Magie, die das Musiktheater<br />

ausmacht.<br />

Zu den anderen Nebenrollen: Alan Corduner spielt<br />

Colonel Pickering ziemlich unauffällig, es fehlt Pickerings<br />

Zuneigung der verwandten Seele für Eliza. Altstar<br />

Diana Rigg spielt Higgins' Mutter so ziemlich als Diana<br />

Rigg. Jordan Donica als Freddy, der Aristokrat, der Eliza<br />

einen Heiratsantrag macht, bringt das berühmte ›On<br />

the Street Where You Live‹ mit seinem gefälligen Tenor.<br />

Catherine Zubers Kostüme zeigen viele Details, speziell<br />

die schrecklich vornehme Garderobe in der Ascot-<br />

Szene, wobei diese Kostüme, ganz nebenbei gesagt,<br />

erstaunliche Ähnlichkeit mit Cecil Beatons unglaublichem<br />

Kostümbild für die Filmversion von 1963 zeigen.<br />

Für Elizas gesellschaftliches Debüt beim Ball in der Botschaft<br />

kleidet sie Ambrose ganz gewagt in ein hautfarbenes<br />

Abendkleid im Art Deco-Stil.<br />

Neben ›Get Me … on Time‹ ist die andere spektakuläre<br />

Nummer ›The Embassy Waltz‹ als Eröffnung des<br />

2. Aktes, wenn das gesamte Orchester auf der Bühne<br />

spielt. Dickes Lob an den Sound Designer, Marc Salzberg,<br />

der ein separates Soundsystem dafür einplante,<br />

außerhalb des Orchestergrabens. Doch Yeargans Bühnenkonstruktion<br />

ist zum Kopfschütteln. Obwohl die<br />

Handlung 1913 spielt, steht das Orchester in drei Reihen<br />

auf der linken Bühnenseite, mit einem stabil wirkenden<br />

Notenständer vor jedem Musiker, was eher wie<br />

eine Nachtclub-Tanzband aus einem Astaire-Rogers-<br />

Film der 1930er wirkt, nicht wie ein Orchester in einem<br />

Ballsaal der viktorianischen Zeit.<br />

Alles in allem gelingt es der »My Fair Lady« im Lincoln<br />

Center immer wieder, zu beeindrucken, wenn auch<br />

die einzelnen Szenen nicht zusammen zu passen scheinen.<br />

Unter der musikalischen Leitung von Ted Sperling<br />

müssen Loewes Melodien einfach die Erwartungen er-<br />

Abb. oben:<br />

›On the Street Where You Live‹ – Freddy<br />

Eynsford-Hill (Jordan Donica)<br />

Abb. unten von links:<br />

1. ›Get Me to the Church on Time‹ –<br />

Alfred P. Doolittle (Norbert Lee Butz) und<br />

Ensemble<br />

2. Eliza (Lauren Ambrose, vorne mit<br />

Ensemble) beim Pferderennen in Ascot<br />

3. Eliza (Lauren Ambrose) als einfaches<br />

Blumenmädchen<br />

4. Henry Higgins (Harry Hadden-Paton)<br />

amüsiert sich über Eliza (Lauren Ambrose),<br />

die sich von ihm schlecht behandelt<br />

fühlt<br />

Fotos (5): Joan Marcus<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

83


<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Alfred P. Doolittle (Norbert Lee Butz)<br />

erscheint bei Higgins, um Geld zu<br />

schnorren<br />

2. Henry Higgins (Harry Hadden-Paton)<br />

vermisst Eliza<br />

3. Eliza (Lauren Ambrose) hat sich nach<br />

der Demütigung durch Henry zu Mrs<br />

Higgins (Diana Rigg) geflüchtet<br />

Fotos (3): Joan Marcus<br />

füllen: Sie erwecken süße Erinnerungen an eine Langspielplatte<br />

mit der Originalbesetzung, die in vielen<br />

amerikanischen Haushalten in den späten 1<strong>95</strong>0ern und<br />

1960ern immer wieder auf der Stereoanlage gespielt<br />

wurde.<br />

Aber im Grunde schafft es diese »My Fair Lady«-<br />

Inszenierung nicht, Mitgefühl für Higgins oder Eliza<br />

zu erwecken. Dies ist DAS Möchtegern-Liebespaar des<br />

Musiktheaters, ein merkwürdiges Pärchen, zwei Exzentriker<br />

von verschiedenen Enden des sozialen Spektrums,<br />

denen es vielleicht vom Schicksal bestimmt ist, einen<br />

ewigen Geschlechterkrieg zu führen, aber hier gibt es<br />

nicht viel authentisches Konfliktpotential, das den Zuschauer<br />

bewegen könnte. In der berühmten Schluss-<br />

Szene, wenn Higgins Eliza fragt: »Where the devil are<br />

my slippers / Wo zum Teufel sind meine Hausschuhe?«,<br />

reißt Shers Eliza eine Seite aus dem Textbuch zu Ibsens<br />

»Nora«. Diese Eliza hat sich zu einer Person mit großer<br />

emotionaler Raffinesse entwickelt, was jedoch dieser<br />

Higgins nicht bemerkt hat: Eliza ist mehr eine Frau als<br />

Higgins ein Mann. Shers »My Fair Lady« macht einen<br />

großen, modernen Schritt vorwärts und verkehrt Higgins'<br />

Worte »Why can't a woman be more like a man /<br />

Warum kann eine Frau nicht sein wie ein Mann?« in ihr<br />

Gegenteil, wodurch er den Klassiker überraschend mit<br />

einem Ansatz heutiger Werte überlagert.<br />

Das ist alles schön und gut, doch das leidenschaftliche<br />

Anschwellen der letzten Takte von ›I Could Have<br />

Danced All Night‹ zum Schlussapplaus scheint nicht so<br />

ganz dazu zu passen. Es ist bittersüß, sicherlich, aber<br />

Shaws Doppelsinnigkeit ist doch romantischer.<br />

Dan Dwyer<br />

dt. von Beate Luszeit<br />

84<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


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<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

Insgesamt wenig erinnerungswürdig<br />

Revival von »Carousel« am Imperial Theatre New York<br />

Carousel<br />

Richard Rodgers / Oscar Hammerstein II.<br />

Imperial Theatre New York<br />

Premiere: 12. April 20<strong>18</strong><br />

Direction ........................ Jack O'Brien<br />

Music Direction &<br />

Supervision .................... Andy Einhorn<br />

Orchestration ............. Jonathan Tunick<br />

Dance Arrangements ....... David Chase<br />

Choreography .................... Justin Peck<br />

Fight Direction ................ Steve Rankin<br />

Scenic Design ............. Santo Loquasto<br />

Costume Design ................... Ann Roth<br />

Hair, Wigs &<br />

Makeup Design ......... Campbell Young<br />

Associates<br />

Lighting Design ......... Brian MacDevitt<br />

Sound Design .................. Scott Lehrer<br />

Billy Bigelow ..................... Joshua Henry<br />

Julie Jordan ........................ Jessie Mueller<br />

Nettie Fowler .................. Renée Fleming<br />

Carrie Pipperidge ......... Lindsay Mendez<br />

Enoch Snow ................ Corey John Snide<br />

(in bes. Vorst.) / Alexander Gemignani<br />

Mrs Mullin ...................... Margaret Colin<br />

The Starkeeper ... John Douglas Thompson<br />

Jigger Craigin ................... Amar Ramasar<br />

Louise ............................. Brittany Pollack<br />

1st Policeman ............... Antoine L. Smith<br />

Policeman /<br />

Heavenly Friend .......... Nicholas Belton /<br />

Ahmad Simmons<br />

Fairground Boy ................ Andrei Chagas<br />

Enoch Snow Jr. ................... Garett Hawe<br />

School Principal ........... Rosena M. Hill<br />

Jackson<br />

In weiteren Rollen:<br />

Colin Anderson, Yesenia Ayala, Colin<br />

Bradbury, Leigh-Ann Esty, Laura Feig,<br />

David Michael Garry, Amy Justman,<br />

Jess LeProtto, Skye Mattox, Kelly Mc-<br />

Cormick, Anna Noble, Adriana Pierce,<br />

Rebecca Pitcher, David Prottas, Amy<br />

Ruggiero, Craig Salstein, Corey John<br />

Snide (Dance Captain), Erica Spyres,<br />

Ryan Steele, Sam Strasfeld (Fight<br />

Captain), Halli Toland, Ricky Ubeda,<br />

Scarlett Walker, Jacob Keith Watson,<br />

William Youmans<br />

›If I Loved You‹ – Julie (Jessie Mueller) und Billy (Joshua Henry)<br />

Foto: Julieta Cervantes<br />

Trotz einer glorreichen Partitur und einer hervorragend,<br />

fast schon bahnbrechend gesungenen Performance<br />

in der männlichen Hauptrolle ist diese neueste<br />

Wiederaufnahme von »Carousel« leider nicht sonderlich<br />

erinnerungswürdig. Dennoch entpuppt sich die Liebestragödie<br />

des rastlosen Marktschreiers »Bad Boy« Billy<br />

Bigelow (Joshua Henry, zuletzt in »Violet« und »The<br />

Scottsboro Boys«) und der einzelgängerischen Fabrikarbeiterin<br />

Julie Jordon (Jessie Mueller, Tony für »Beautiful«)<br />

als allseits beliebte, lebensbejahende Geschichte<br />

von Schuld, Erlösung und der grundlegenden menschlichen<br />

Güte vor der Kulisse der Küste von Maine um die<br />

Wende zum 20. Jahrhundert.<br />

Als Nachfolger des Riesenerfolges »Oklahoma!« von<br />

Rodgers und Hammerstein II. feierte »Carousel« 1945<br />

seine Uraufführung. Das <strong>Musical</strong> basiert auf dem deutschen<br />

Theaterstück »Lilliom«, welches in den Vereinigten<br />

Staaten 1921 zum ersten Mal auf Englisch zu sehen war.<br />

Billy ist nicht wirklich für das Familienleben gemacht,<br />

aber als Julie ihm offenbart, dass sie sein Kind<br />

erwartet, entscheidet er sich, sein Leben auf Vordermann<br />

zu bringen, damit sein ungeborener Sohn »Billy<br />

Junior« nicht als solch ein »Taugenichts« wie er selbst<br />

endet. Nachdem sein finsterer Verbrecherkumpan Jigger<br />

ihn doch wieder auf einen zwielichtigen Pfad führt, geht<br />

ein Überfall auf Kosten Billys fürchterlich schief, und er<br />

hinterlässt die schwangere Julie als Witwe.<br />

Nach Jahren im Jenseits darf Billy, begleitet von The<br />

Starkeeper (»Sternenhüter«), zurück auf die Erde – nicht<br />

um sein Schicksal zu ändern, sondern vielmehr um seine<br />

Tochter (kein Sohn!) zu besuchen, sie auf die richtige<br />

Bahn zu bringen und somit seinen eigenen Frieden zu<br />

finden.<br />

Das Buch, geschrieben von Oscar Hammerstein II.,<br />

leidet unter dem Wandel der Zeit, als Julie offenbart,<br />

dass sie von Billy geschlagen wird. Im Licht der hochaktuellen<br />

»#MeToo-Bewegung« hinterlassen die Reaktionen<br />

der beiden – ihre Vergebung und seine Verteidigung:<br />

»ich habe sie nicht misshandelt, ich habe sie nur<br />

einmal geschlagen« – sowohl einen schalen Geschmack<br />

als auch die Erinnerung, dass sich vieles verändert, aber<br />

eben auch vieles einfach nicht.<br />

Die ersten zwanzig Minuten, von dem sofort verzaubernden<br />

›Carousel Waltz‹ über das fesselnde Duett<br />

›If I Loved You‹, enthalten so ziemlich die am besten<br />

musikalisch unterlegten Szenen in der anerkannten<br />

amerikanischen <strong>Musical</strong> Szene und gehören zu den<br />

Höhepunkten dieser Wiederaufnahme. Die Vorstellung<br />

der Charaktere Billy und Julie sowie ihres unerwarteten<br />

Zueinanderfindens fühlen sich harmonisch an – schön<br />

im Kontrast zu Julies bester Freundin Carrie und deren<br />

konservativen Erwartungen an ihren Mr Snow. Allerdings<br />

hält dieser gute Eindruck nicht lange an. Die<br />

Besetzung ruiniert den Zauber: Während Joshua Henry,<br />

der erste Afroamerikaner, der die Rolle des Bigelow<br />

bekleidet, die Rolle noch mit seiner körperlichen und<br />

stimmlichen Stärke erfüllt, vermisst man bei Jessie Mueller<br />

jegliche Sinnlichkeit Julies, obgleich sie eine herausragende<br />

stimmliche Leistung erbringt. Das Paar ist alles,<br />

außer leidenschaftlich oder gar sexy.<br />

Das Ergebnis des Castings für die Nebenrollen ist<br />

auch sehr durchwachsen. Lindsay Mendez bringt Carrie<br />

mit viel »Giggelei« und warmherzigem Humor zum<br />

Sprühen: Ihr Solo ›Mr Snow‹ ist allerliebst und der Erinnerung<br />

würdig. Margaret Colin lässt mit ihrer derben<br />

Energie keinen Zweifel daran, dass Billy das Bett der<br />

86<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

Karussell-Besitzerin Mrs Mullin nicht hat kalt werden<br />

lassen, sobald die Lichter auf dem Karnevalsplatz erloschen<br />

waren. Der Rolle von The Starkeeper verleiht<br />

John Douglas Thompson mit seinem kraftvollen Auftreten<br />

die gebührende Würde.<br />

Unglücklicherweise verwandelt die Sopranistin und<br />

Opernsängerin Renée Fleming in der Rolle der Nettie<br />

die Hymne ›You'll Never Walk Alone‹ mit ihrer hölzernen<br />

Darstellung in eine Art Jeanette MacDonald-Solo im<br />

Stil der MGM-Operetten der frühen 1930er, anstatt die<br />

ältere und weisere Cousine Julies, wie wahrscheinlich mit<br />

dieser Besetzung gewollt, im Opernglanz erstrahlen zu<br />

lassen. Zudem hat dieser Klassiker es nicht nötig, wie eine<br />

Arie geschmettert zu werden, um die Taschentücher zum<br />

Vorschein zu bringen. Flemings Steifheit sticht vor allem<br />

aus dem mitreißenden Ensemble in der Eröffnungsnummer<br />

des zweiten Aktes, ›A Real Nice Clambake‹, hervor.<br />

Ganz annehmbar performt sie dafür im Duett mit Mueller<br />

den Titel ›What's the Use of Wonderin'?‹.<br />

Das Ballett, welches seit der Urproduktion des Stückes<br />

mit Agnes de Milles Choreographie grundlegender<br />

Bestandteil des Stückes ist, bekommt hier einen neuen<br />

Anstrich mit Tänzen von Justin Peck, Hauschoreograph<br />

des New York City Ballets. Das Ergebnis ist eindeutig<br />

Ballett und der Einfluss Pecks offensichtlich, allerdings<br />

nicht von bahnbrechender Wirkung. Seine eher athletischen<br />

Choreographien funktionieren am besten mit<br />

dem männlichen Ballettensemble in ›Blow High, Blow<br />

Low‹, angeführt von Amar Ramasar in der Rolle des<br />

Jigger, ebenfalls vom New York City Ballet. Ramasars<br />

Athletik im Tanz ist beeindruckend kraftvoll, allerdings<br />

zeigt er in den Sprechteilen nur einen Modus: taff. Sein<br />

Jigger überzeugt nicht als ernsthafte Bedrohung.<br />

Jack O'Brien, mehrfacher Tony-Gewinner, führt<br />

mit erfahrener, aber unausgewogener Hand Regie, und<br />

erlaubt leider dem Ensemble nach dem »Gießkannenprinzip«<br />

undisziplinierte Versuche am tieföstlichen<br />

(Maine)-Akzent. New England Akzente sind schon eine<br />

Herausforderung an sich, auch mit Dialekt Coaching<br />

(Kate Wilson). Joshua Henry bedient sich an afroamerikanischen<br />

und John Douglas Thomas an Theaterdialekten,<br />

welche beide in ihren Rollen ganz passabel<br />

funktionieren. Corey John Snide brilliert als exzellenter<br />

Ersatz in der Rolle des Enoch Snow in perfektem altertümlichen<br />

Maine-Dialekt sowohl im Dialog als auch im<br />

Gesang – im Gegensatz dazu klingt der Rest der Besetzung,<br />

als kämen sie irgendwo aus Brooklyn. Beim simplen<br />

Bühnenamerikanisch zu bleiben wäre eine bessere<br />

Entscheidung für O'Briens Cast gewesen.<br />

Ann Roths zeitgenössische Kostüme sind farbenfroh<br />

und schön. Santo Loquastos Bühnenbild erinnert eher<br />

an das altertümliche Set Design vergangener Produktionen<br />

als an die eigentliche Epoche des Stückes. Unglücklicherweise<br />

wirkt die Enthüllung des Karussells, welches<br />

sich während des Auftakts zu ›The Carousel Waltz‹ wie<br />

ein Regenschirm öffnet, wie ein trauriger Abklatsch einer<br />

Interpretation von Bob Crowleys spektakulärem,<br />

atemberaubendem Karussell-Design für die National<br />

Theatre Produktion, welche 1994 im Lincoln Center zu<br />

sehen und bis dato als Wiederaufnahme von »Carousel«<br />

unvergleichbar war.<br />

Dennoch: die Musik des hervorragenden Richard<br />

Rodgers – wohl sein bestes Werk in Zusammenwirken<br />

mit Liedtext-Partner Oscar Hammerstein II. – ist mit<br />

der ungekünstelten Orchestrierung Jonathan Tunicks<br />

und der sensiblen musikalischen Leitung Andy Einhorns<br />

in guten Händen. Mit einem heutzutage selten<br />

am Broadway gesehenen voll besetzten Orchester erhebt<br />

sich Rodgers' Musik auf einen Höhenflug zwischen<br />

Treue zur ursprünglichen Partitur und neuer Frische<br />

und Lebendigkeit. Bigelows ›Soliloquy‹, das den ersten<br />

Akt beschließt, ist und bleibt eines der besten Soli des<br />

amerikanischen <strong>Musical</strong>s und Joshua Henrys fesselnde<br />

Interpretation nimmt auf jeden Fall einen Platz unter<br />

den Besten ein.<br />

Dan Dwyer<br />

dt. von Viktoria Arenz<br />

Abb. unten von links:<br />

›1. Nettie (Renée Fleming, l.) tröstet Julie<br />

Jordon (Jessie Mueller, r.) in ›What's the<br />

Use of Wonderin'‹<br />

2. Billy Bigelow (Joshua Henry) in<br />

›Soliloquy‹<br />

3. ›A Real Nice Clambake‹ – Tanzensemble<br />

4. Jigger (Amar Ramasar) führt das Herrenensemble<br />

an in ›Blow High, Blow Low‹<br />

Fotos (4): Julieta Cervantes<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

87


<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />

Alte Zeiten<br />

»The Rink« am Southwark Playhouse in London<br />

Abb. oben:<br />

Angel (Gemma Sutton, vorne l.) und ihre<br />

Mutter (Caroline O'Connor, vorne r.)<br />

umgeben von Freunden der Familie<br />

(Elander Moore, l.; Ross Dawes, r.)<br />

Foto: Darren Bell<br />

The Rink<br />

John Kander / Fred Ebb /<br />

Terrence McNally<br />

Southwark Playhouse London<br />

Premiere: 29. Mai 20<strong>18</strong><br />

Direction ....................... Adam Lenson<br />

<strong>Musical</strong> Direction .............. Joe Bunker<br />

Orchestration ........... Greg Arrowsmith<br />

Choreography ................ Fabian Aloise<br />

Set Design ................ Bec Chippendale<br />

Costume Design ................. Libby Todd<br />

Lighting Design..................... Matt Daw<br />

Sound Design ........... Mike Thacker for<br />

Orbital Sound<br />

Anna ..................... Caroline O'Connor<br />

Angel .......................... Gemma Sutton<br />

Dino ............................ Stewart Clarke<br />

Lino ................................. Ross Dawes<br />

Lucky ............................... Michael Lin<br />

Benny .......................... Elander Moore<br />

Lenny ............................... Ben Redfern<br />

Tony ............................... Jason Winter<br />

Angels Tochter Amelia .......... Ioannou /<br />

Millie Samuels Lee<br />

Angel (Gemma Sutton) kommt zurück nach Hause<br />

und ist entsetzt. Arbeiter sind drauf und dran, ihr<br />

Elternhaus auseinander zu nehmen. Sie war jahrelang<br />

weg und ihr »Zuhause«, eine Rollschuhbahn, die ihr Vater<br />

ihr vermacht hatte, ist längst zerfallen und ihre Mutter<br />

Anna (Caroline O'Connor) hat den Rest verkauft.<br />

Das verbessert nicht gerade die seit jeher angespannte<br />

Beziehung zwischen den beiden. Durch Rückblicke, in<br />

die man unversehens hineingleitet, erfährt man allmählich,<br />

was zu diesen Spannungen führte.<br />

Autor Terrence McNally widmet sich wie bei »Masterclass«<br />

über Maria Callas starken Frauen und seziert<br />

fein einen Mutter-Tochter-Konflikt. John Kander und<br />

Fred Ebb liefern kraftvolle Musik, die sich der Gegenwart<br />

nähert. Das Stück umfasst die 1<strong>95</strong>0er bis 70er Jahre<br />

und wurde 1984 am Broadway uraufgeführt. 1988<br />

kam die Show auch ins West End, dort bereits dabei<br />

Caroline O'Connor, die damals in Zweitbesetzung die<br />

Rolle der Angel spielte.<br />

Der Putz bröckelt, die Farben sind verschmutzt. Der<br />

Glanz alter Zeiten ist längst vergangen am Säulengang,<br />

der zur Rollschuhbahn führt. Bec Chippendales Bühne<br />

erzählt Bände und schafft die richtige Atmosphäre. Bunte<br />

Lichterketten über der Bahn bringen den verlorenen<br />

Glanz zeitweilig zurück.<br />

Anna hat mit Dino (Stewart Clarke) damals den<br />

besten Mann bekommen, sie liebt ihn. Aber arbeiten<br />

ist nicht so seine Sache, so schuftet sie doppelt, um das<br />

Geschäft der Rollschuhbahn am Laufen zu halten und<br />

ihr Kind großzuziehen. ›Chief Cook and Bottle Washer‹<br />

erklärt O'Connor kraftvoll, was ihr viel Applaus einbringt.<br />

Für sie birgt der noch nicht entsorgte Hausrat,<br />

wie beispielsweise die blauen Kristallgläser, schmerzliche<br />

Erinnerungen. Für Angel hingegen sind sie eine<br />

pure Kostbarkeit, ihre Erinnerungen daran als Kind sind<br />

glückliche. Mit dem wehmütigen ›Blue Crystal‹ dreht<br />

sich die Zeit zurück. Wir begegnen Dino als jungem<br />

Mann, wie er seiner Frau diese Kostbarkeit mitbringt.<br />

»I've been to the moon«, erzählt er ihr. Wo genau er<br />

sie herhat, bleibt unklar. Nichtsdestotrotz bedeuten<br />

diese vertrauten Gegenstände für Angel auch bessere<br />

Zeiten: ›Under the Roller Coaster‹. Als sie die fehlende<br />

Discokugel bemerkt, wird es kritisch: Diese war ein<br />

Geschenk ihres Vaters zu ihrem 5. Geburtstag. Während<br />

die schimmernde Kugel den Raum verzaubert, tun sich<br />

mit ›Not Enough Magic‹ jedoch die Abgründe der Vergangenheit<br />

auf: Dino kommt spät und betrunken mit<br />

seinen Freunden nach Hause. Angels Geburtstagsfeier<br />

ist eine Gratwanderung. Von seiner Frau möchte Dino<br />

nichts mehr wissen, die Laune kippt und die Freunde<br />

gehen. Der Korea-Krieg hat ihn in Mitleidenschaft gezogen,<br />

schließlich verlässt er die Familie. Anna muss<br />

mit allem alleine fertig werden und eine Tochter, die<br />

nicht ihren Vorstellungen entspricht, macht es ihr noch<br />

schwerer. Die Spannungen lassen Angel ihr Glück lieber<br />

in der Ferne suchen. Als Hippie, wie ihre Mutter es<br />

abfällig sieht – von heutigem Standpunkt aber auch als<br />

moderne und selbstbewusste Frau. Angels Wanderjahre<br />

bringen auch besinnliche Momente, wie diesen, wenn<br />

sie auf einer Sanddüne am Meer sitzt, eigentlich glücklich<br />

sein könnte und doch das Gefühl hat, dass etwas<br />

fehlt: ›Coloured Lights‹. Ein einnehmender Song, deren<br />

Gitarrenlänge das entspannte und unbeschwerte Gefühl<br />

Kaliforniens einfängt, dann aber in einen schweren Walzer<br />

übergeht, in dem im »Humpapa«-Rhythmus an die<br />

Rollschuhbahn erinnert wird. Sieben Jahre später sehnt<br />

sie sich nach der Heimat, die sie sich nicht nehmen lassen<br />

möchte. Sie will alles daran setzen, das Gebäude vor<br />

88<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />

dem Abriss zu bewahren und es wieder strahlen zu lassen,<br />

voller Vorfreude singt sie bereits ›Angel's Rink and<br />

Social Center‹. Was sie jedoch nicht einkalkuliert hat:<br />

Auch »zu Hause« ist die Zeit vorangeschritten. Teenager<br />

mit Gettoblastern haben Einzug gehalten und aus der<br />

Idylle eine Hölle gemacht, bei der auch vor Gewalt kein<br />

Halt mehr gemacht wird, wie Anna am eigenen Leib<br />

spüren muss. ›What Happened to the Good Old Days‹,<br />

zeigt Anna im Liegestuhl am Strand mit zwei Freundinnen,<br />

den Sonnenuntergang genießend. Es ist eine<br />

herrliche Nummer mit viel Humor, der noch dadurch<br />

verstärkt wird, dass die »Freundinnen« von zwei Vertretern<br />

aus dem Männerensemble gespielt werden. Einer<br />

der Höhepunkte! Der Abend endet damit, dass Anna<br />

sich schwer verletzt nach Hause schleppt. Das Einzige,<br />

was ihr bleibt, ist Lenny (Ben Redfern), der ihr schon<br />

seit Jahren den Hof macht. So hat sie die Rollschuhbahn<br />

aufgegeben und als Angel mit Sack und Pack nach<br />

Hause kommt, sitzt Anna bereits auf gepackten Koffern,<br />

um mit Lenny nach Florida zu ziehen. Es gibt allerdings<br />

noch eine Überraschung, die der Mutter-Tochter-Beziehung<br />

am Ende noch einen besonderen Kniff verleiht,<br />

aber dieser wird hier nicht preisgegeben.<br />

Regisseur Adam Lenson hat einen packenden Abend<br />

geschaffen mit komplexen Familienbeziehungen und<br />

unvorstellbaren Leistungen: Caroline O'Connor und<br />

Gemma Sutton sind ein großartiges Duo. O'Connor<br />

spielt Anna als starke, resolute Frau, die hart gearbeitet<br />

und viel geopfert hat und nun ein Leben haben möchte;<br />

Suttons Angel muss sich im Leben erst zurecht finden,<br />

bevor sie nun fest auf dem Boden steht. Beide liefern<br />

sich rücksichtslose Wortgefechte, bis eine Versöhnung<br />

und Verständnis füreinander in Sicht sind. »I was too<br />

angry about my life to worry about you«, erklärt Anna<br />

später. Libby Todds Kostüme machen die Polarisierung<br />

von Mutter und Tochter auch visuell deutlich. Trägt<br />

Anna ein rotes figurbetontes Kleid der 50er Jahre, so<br />

behauptet sich Angel in grünen Schlaghosen, weißer<br />

Blümchenbluse und gelbem Pullunder – dazu trägt sie<br />

lange, glatte rote Haare. Die Kostüme der Männer sind<br />

ebenso gut gewählt, sie erlauben sowohl die Darstellung<br />

der bunt zusammengewürfelten Arbeiter als auch der<br />

Freunde der Familie, als diese sie doubeln. Selbst wenn<br />

die Männer dramaturgisch nur das »Drumherum« bilden,<br />

tänzerisch verdienen sie einen Tony bzw. Olivier<br />

Award. Wer sie in Fabian Aloises Choreographie zu ›The<br />

Rink‹ nicht nur kunstvoll mit Rollschuhen über die<br />

Bühne sausen und tanzen sieht, sondern auch steppen,<br />

dem bleibt der Atem weg und man hofft, dass sie alle<br />

wohlbehalten durch die Nummer kommen. Es ist ein<br />

sehenswertes Ereignis!<br />

Dank sei dem Southwark Playhouse dafür, dass es so<br />

selten gespielte Stücke präsentiert und wie bereits zuvor<br />

mit »The Life« andere Facetten von Kanders und Ebbs<br />

Arbeit zeigt. Die Musik war auch erstklassig.<br />

Hier werden also nicht nur lange verschüttete und<br />

bewusst vergrabene Emotionen zutage gefördert, deren<br />

Auseinandersetzung den Protagonisten letztendlich<br />

Frieden und Hoffnung bringt, sondern auch Stücke<br />

wiederentdeckt, denn eine lange Laufzeit war dem <strong>Musical</strong><br />

damals nicht vergönnt. Damit einher geht auch<br />

die Kunst zu lernen, die Vergangenheit loszulassen und<br />

nach vorne zu schauen.<br />

Sabine Schereck<br />

Abb. oben:<br />

Mutter (Caroline O'Connor) erzählt von<br />

der Vergangenheit. Im Hintergrund ihre<br />

Tochter (Gemma Sutton), vor ihr Dino<br />

(Stewart Clarke)<br />

Foto: Darren Bell<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Selbst nach langer Abwesenheit bestehen<br />

die Spannungen zwischen Mutter<br />

(Caroline O'Connor, r.) und Tochter<br />

(Gemma Sutton, l.)<br />

2. Das Männerteam, das zum Abriss<br />

gekommen ist, erinnert an die goldenen<br />

Zeiten der Rollschuhbahn (vorne v.l.:<br />

Jason Winter, Michael Lin, Ross Dawes<br />

und Ensemble)<br />

Fotos (2): Darren Bell<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

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<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />

Erste Leinwandhelden<br />

»The Biograph Girl« London Revival am Finborough Theatre<br />

Abb. oben von links:<br />

1. Im Kino bewundern die Zuschauer<br />

(oben v.l.: Lauren Chinery, Nova Skipp,<br />

Emily Langham, Joshua C. Jackson;<br />

unten v.l.: Matthew Cavendish, Charlie<br />

Ryall, Jason Morell) die Handlung auf<br />

der Leinwand<br />

2. Mary Pickford (Sophie Linder-Lee,<br />

Mitte) mit dem Produzenten Adolph<br />

Zukor (Jason Morell, r.). Im Hintergrund<br />

Momma Gish (Nova Skipp)<br />

Fotos: Lidia Crisafulli<br />

The Biograph Girl<br />

David Heneker / Warner Brown<br />

Finborough Theatre London<br />

Premiere: 24. Mai 20<strong>18</strong><br />

Direction ........................ Jenny Eastop<br />

Music Direction ..... Harry Haden-Brown<br />

Choreography ................ Holly Hughes<br />

Design ................................ Anna Yates<br />

Lighting Design ................... Ali Hunter<br />

Lillian Gish ................. Emily Langham<br />

Dorothy Gish .............. Lauren Chinery<br />

Momma Gish .................... Nova Skipp<br />

Mary Pickford ......... Sophie Linder-Lee<br />

D. W. Griffith ....... Jonathan Leinmuller<br />

Epping /<br />

Man of the South ..... Joshua C. Jackson<br />

Rose ................................ Charlie Ryall<br />

Bitzer / Zukor ................... Jason Morell<br />

Mack Sennett ....... Matthew Cavendish<br />

Spec .................... Harry Haden-Brown<br />

Gebannt blicken die Zuschauer vor allem auf eine<br />

Leinwand, wo flackernde Bilder Emotionen erzeugen.<br />

Aufregende Stummfilmmusik lässt ahnen, was<br />

da vorgeht. Begeistert singt das Ensemble ›The Moving<br />

Picture Show‹.<br />

Ein gelungener Auftakt, der uns in die Welt des<br />

Kintopps, in das New York des frühen 20. Jahrhunderts,<br />

versetzt, wo Warner Browns »The Biograph<br />

Girl« beginnt. Gemeinsam mit David Heneker, der<br />

die Musik komponierte, schrieb Brown auch die<br />

Liedtexte. Das Stück war 1980 erstmalig in Brighton<br />

und London zu erleben und wurde für die Produktion<br />

am Finborough Theatre vom Autor noch mal<br />

leicht überarbeitet.<br />

Die Gish-Schwestern Lillian (Emily Langham) und<br />

Dorothy (Lauren Chinery) entdecken ihre Freundin<br />

Gladys (Sophie Linder-Lee) auf der Leinwand und machen<br />

sich auf ins Atelier, um sie vor der Schande der<br />

Arbeit beim Film zu bewahren. Aber als Mary Pickford<br />

(so ihr Künstlername) macht Gladys viel Geld und ist<br />

glücklich, was man ihr auch in ihrem beherzten ›Workin'<br />

in Flickers‹ abnimmt. Im Atelier befindet sich auch<br />

der Regisseur D. W. Griffith (Jonathan Leinmuller), der<br />

in Lillian das Gesicht erkennt, das er für seinen nächsten<br />

Film sucht. Mit Leidenschaft beschreibt er seine Vision<br />

›The Moment I Close My Eyes‹, in der Film zur Kunst<br />

wird. Bald darauf geht's nach Hollywood mit dem Versprechen<br />

auf bessere Zeiten: ›Diggin' Gold Dust‹. Auf<br />

bessere Zeiten blickt auch Mary Pickford – als ein Ass<br />

in Verhandlungen schlägt sie bei Adolph Zukor (Jason<br />

Morell) $500 pro Woche heraus. Es ist erfrischend, eine<br />

solch selbstbewusste Frau zu sehen. Später muss sie dafür<br />

auch weiterhin das American Sweetheart spielen,<br />

das nicht erwachsen werden darf. Lillians Weg ist ein<br />

anderer. Sie spielt zwar in Griffith' Klassiker »Birth of<br />

a Nation«, bleibt aber ohne Namen. Es bedeutet ihr<br />

mehr, Einsicht in Griffith' Arbeit zu haben. Sie sind<br />

sich beruflich nahe, aber was Griffith an ihr hat, erkennt<br />

er nicht. Im Gegenteil, er sagt ihr sogar, sie solle sich<br />

mehr um sich selbst kümmern, als er ihr den Laufpass<br />

gibt. Seine Projekte sind stets ambitioniert, verschlingen<br />

astronomische Summen, sodass er irgendwann am<br />

Ende ist. Er wird Teil eines anderen Geschäftsmodells:<br />

Als Geschäftsfrau hat sich Mary Pickford inzwischen<br />

von Zukor losgesagt und Mitte der Zwanziger Jahre<br />

die »United Artists« gegründet. Dieser Filmgesellschaft<br />

gehört bald auch Griffith an. Bis dahin gilt es jedoch<br />

noch, einige Hürden zu überwinden, wie zum Beispiel,<br />

dass »Birth of a Nation« bei der schwarzen Bevölkerung<br />

nicht gut ankommt und der Blues ›Rivers of Blood‹ bedrohlich<br />

darauf hinweist, welche Macht Filme haben<br />

können: ein Song, der aus der damaligen Londoner Produktion<br />

herausgenommen wurde, dem Stück aber mehr<br />

Tiefe verleiht. Auffallend ist auch ›The Industry‹, ein<br />

vom Ensemble vorgetragener Tango, der zeigt, dass der<br />

Film seinen Kinderschuhen entwachsen ist und Holly<br />

Hughes auch auf kleiner Bühne einfallsreiche Choreographien<br />

schaffen kann. David Henekers Musik bleibt<br />

der Zeit mit Ragtime, Jazz, Charleston und typischen<br />

Stummfilmmelodien treu, was dem Stück eine schöne<br />

Leichtigkeit verleiht. Auch die Liedtexte sind charmant.<br />

Die Besetzung ist hervorragend: Vor allem Sophie<br />

Linder-Lee als Mary Pickford und Emily Langham als<br />

Lillian Gish verkörpern die Schauspielerinnen wunderbar.<br />

Erstere als ein raffiniertes Energiebündel, eine Frohnatur,<br />

Letztere als die Nachdenkliche und Zurückhaltende.<br />

Auch wenn man allen bei ihren Vortragskünsten<br />

gerne zusieht, fehlt doch ein wenig das Leben in den Figuren,<br />

das einen mitfühlen lassen würde. Aus der komplizierten<br />

Beziehung zwischen Lillian Gish und D. W.<br />

Griffith wäre sicher mehr herauszuholen, wie der Song<br />

›More Than a Man‹ andeutet.<br />

Auch Anna Yates' Ausstattung steht man zwiespältig<br />

gegenüber. Einerseits bewundert man die Sparsamkeit,<br />

mit der New York, Hollywood oder ein Hollywood-Palazzo<br />

durch ein Rollobild markiert werden, das zuweilen<br />

den Blick aus dem Fenster freigibt, andererseits wirkt<br />

die kleine, in schlichtem Weiß gehaltene Bühne sehr steril<br />

und ohne Atmosphäre. Die Zeit wird lediglich durch<br />

die Kostüme angedeutet.<br />

Nichtsdestotrotz hat Regisseurin Jenny Eastop eine<br />

beachtliche Produktion geschaffen, die unterhält und<br />

liebevoll einen interessanten Einblick in die frühe Zeit<br />

des Films gewährt. Ein lohnenswertes Revival.<br />

Sabine Schereck<br />

90<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />

Neues aus Großbritannien<br />

zusammengestellt von Barbara Kern und Sabine Schereck<br />

Uraufführungen<br />

Das Upstairs at the Gatehouse lässt mit »Give My<br />

Regards to Broadway« den Broadway grüßen –<br />

eine neue <strong>Musical</strong>revue, die New Yorks Bühnenmelodien<br />

der Jahre 1902 bis 1942 feiert. Die musikalische<br />

Reise findet unter der Leitung von Harry<br />

Blumenau vom 17. Juli bis 5. August 20<strong>18</strong> statt.<br />

Das Arts Theatre feiert vom 30. August bis 23.<br />

September die Londoner Premiere des neuen britischen<br />

<strong>Musical</strong>s »Six«, geschrieben von Toby Marlow<br />

und Lucy Moss. Darin geht es um die sechs<br />

Frauen von Heinrich VIII., die nun ihre Sicht der<br />

und auf die Geschichte zum Besten geben. Das<br />

<strong>Musical</strong> wird von Lucy Moss und Jamie Armitage<br />

inszeniert. Begleitet werden die Mitwirkenden von<br />

einer Frauenband.<br />

Arinzé Kenes »Misty« ist vom 8. September bis<br />

20. Oktober bei den Trafalgar Studios zu sehen. Die<br />

Produktion des Bush Theatres mit der Mischung<br />

aus Musik (Shiloh Coke & Adrian McLeod), Poesie<br />

und Drama erkundet kreative Freiheit innerhalb des<br />

heutigen Londons. Regie führt Omar Elerian.<br />

»Come From Away« am Broadway 2017<br />

Foto: Matthew Murphy<br />

Vom Broadway nach London<br />

»Come From Away«, das im März 2017 am<br />

Broadway zu sehen war, kommt ab 30. Januar<br />

2019 ins Londoner Phoenix Theatre. Das <strong>Musical</strong><br />

(Buch, Musik, Liedtexte) stammt von Irene<br />

Sankoff und David Hein und erzählt von den 38<br />

Flügen, die aufgrund der Angriffe des 11. Septembers<br />

2001 in Neufundland notlanden mussten,<br />

und wie eine Kleinstadt die 7000 gestrandeten<br />

Reisenden ernährte und unterbrachte.<br />

Sommer und kubanische Rhythmen sind in<br />

Gloria und Emilio Estefans <strong>Musical</strong> »On Your<br />

Feet« zu erwarten, das vom Broadway aus vom<br />

14. Juni bis 31. August 2019 ins Londoner Coliseum<br />

kommt. Es erzählt die wahre Liebesgeschichte<br />

der Estefans und ihres musikalischen<br />

Aufstiegs von Kuba über Miami zu internationalen<br />

Popstars. Das Buch wurde von Alexander Dinelaris<br />

verfasst, wobei Jerry Mitchell Regie führt und<br />

Sergio Trujillo die Choreographie übernimmt.<br />

London <strong>Musical</strong> Theatre Orchestra-Revivals<br />

Das London <strong>Musical</strong> Theatre Orchestra lässt selten<br />

Gespieltes in konzertanten Aufführungen wieder<br />

aufleben. Am 6. Oktober gibt es am London Palladium<br />

Lerners und Loewes »Camelot«, das seit<br />

über 30 Jahren nicht im West End zu hören war,<br />

zu erleben. Am 2. und 3. November folgt Howard<br />

Goodalls »Girlfriends« am Bishopsgate Institute.<br />

Darin geht es um die Rekrutierung der Women's<br />

Auxiliary Air Force (WAAF) während des 2. Weltkrieges.<br />

Die letzte Vorstellung ist eine Wiederaufnahme<br />

von Alan Menkens, Lynn Ahrens' und<br />

Mike Ockrents <strong>Musical</strong>fassung von Charles Dickens'<br />

»A Christmas Carol« am Lyceum Theatre.<br />

Auf Reisen<br />

Sonne und Spaß verspricht das Sommermusical<br />

»Club Tropicana«, das ab 24. Januar 2019 von<br />

Bromley aus auf Tournee geht und bis 13. Juli u. a. in<br />

Manchester, Liverpool, Edinburgh, London und<br />

Brighton zu sehen sein wird. Das <strong>Musical</strong> wurde<br />

von Michael Gyngell geschrieben und lässt die<br />

1980er Jahre aufleben. Es wird von Samuel Holmes<br />

und Nick Winston inszeniert, wobei Winston<br />

auch choreographiert.<br />

Die Produktion von Mel Brooks' »Young<br />

Frankenstein« segnet am Garrick Theatre bereits<br />

am 25. August 20<strong>18</strong> das Zeitliche, nachdem ursprünglich<br />

Tickets bis Ende September angeboten<br />

wurden. Wer die Produktion danach sehen möchte,<br />

muss dieses auf einer ihrer Tourstationen tun.<br />

Ab September ist sie unterwegs.<br />

Am 12. Januar 2019 laufen die letzten Stiefel<br />

vom Band, wenn bei »Kinky Boots« am Adelphi<br />

Theatre die Pforten geschlossen werden. Aber ab<br />

19. September geht das Stück auch auf Tournee,<br />

Start ist in Royal und Derngate in Northampton.<br />

Auch für die »Dreamgirls« hat es sich am 12.<br />

Januar 2019 in London ausgeträumt. Auf ihrer folgenden<br />

UK-Tour darf aber weiter geträumt werden.<br />

<strong>Musical</strong> auf der Leinwand<br />

Andrew Lloyd Webbers »Cats« kommt auf die<br />

Leinwand. Es wird von Tom Hooper adaptiert<br />

und im November beginnen in London die Dreharbeiten.<br />

Dafür arbeitet Lloyd Webber an neuem<br />

Material, inklusive eines neuen Songs für Victoria,<br />

Wayne McGregor, vom Royal Ballet choreographiert.<br />

In Memoriam<br />

An dieser Stelle gilt es, Original-Choreographin<br />

Gillian Lynne zu gedenken, die kürzlich im stolzen<br />

Alter von 92 Jahren verstarb. Geboren am 20.<br />

Februar 1926 in Kent, begann die Britin eine Karriere<br />

als Ballerina. Mit gerade 20 Jahren erhielt sie<br />

ihr erstes Hauptsolo als Dornröschen am Royal<br />

Opera House. Nachdem sie sich in der Ballettwelt<br />

einen Namen gemacht hatte, arbeitete sie für<br />

Ballettkompanien in Österreich, Russland und<br />

Australien, bevor sie 1965 erstmals am Broadway<br />

die Komödie »The Roar of the Greasepaint – The<br />

Smell of the Crowd« und »Pickwick« choreographierte.<br />

Ihre Choreographie für Andrew Lloyd Webbers<br />

»Cats« galt 1981 als Meilenstein im Tanz<br />

und eroberte ihr einen Platz im <strong>Musical</strong>genre. Für<br />

Lloyd Webber arbeitete sie noch an »The Phantom<br />

of the Opera« (auch die Filmfassung von<br />

20<strong>04</strong>) und »Aspects of Love«. Ihre letzte Arbeit<br />

am Broadway war »Chitty Chitty Bang Bang« im<br />

Jahr 2005. Lynne inszenierte 60 Produktionen im<br />

West End und am Broadway, arbeitete für Film<br />

und Fernsehen.<br />

blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />

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Neu auf unitedmusicals.de<br />

Foto: Christian Spielmann Foto: Sandra Reichel<br />

Foto: Birgit Bernds<br />

»Titanic« – Bad Hersfelder Festspiele<br />

Rezension zur Wiederaufnahme mit veränderter Besetzung<br />

2017 war die Nachfrage des Publikums nach »Titanic« so groß, dass die Produktion bei den 69.<br />

Bad Hersfelder Festspielen am Freitag, den 13. Juli 20<strong>18</strong> Wiederaufnahme-Premiere feierte. Noch<br />

vor dem letzten Ton stand das Publikum auf der Tribüne der ausverkauften Stiftsruine und applaudierte<br />

zurecht dem 37-köpfigen Ensemble und insbesondere den 25 Musikern unter Leitung<br />

von Christoph Wohlleben – wo ist heute noch ein Live-Orchester dieser Größenordnung inklusive<br />

Becken, Fagott und Querflöte zu erleben. Der zweite Stapellauf der Bad Hersfelder »Titanic«<br />

verspricht eine erfolgreiche Überfahrt.<br />

»Die zertanzten Schuhe« – Kassel<br />

Rezension der Uraufführung beim Brüder Grimm Festival Kassel<br />

Die Brüder Grimm wurden nach dem Tod ihres Vaters von der Mutter zum Jura-Studium nach<br />

Kassel geschickt. Hier begannen sie auch, Märchen zu sammeln und niederzuschreiben.<br />

Darum ehrt die Stadt Kassel die Märchenerzähler mit dem Brüder Grimm Festival im Park<br />

Schönfeld. Hier schwimmt im Märchenteich eine Bühne, auf der 20<strong>18</strong> »Die zertanzten Schuhe«<br />

gezeigt wird, das <strong>18</strong>15 in den »Kinder- und Hausmärchen« erschien. Michael Fajgel adaptierte<br />

die Geschichte zu einem Jukebox-<strong>Musical</strong> mit bekannten Songs aus der Popgeschichte.<br />

Regie führt Rüdiger Canalis Wandel (Autor und Regie von »Linie 2 – Der Alptraum«). […] Die<br />

Wahl der Songs ist ebenfalls geglückt ebenso wie deren Übersetzung (Buch und deutsche<br />

Liedtexte: Michael Fajgel). Eine vierköpfige Band spielt die Musik live aus einem überdachten<br />

Nebenteil der Hauptbühne heraus.<br />

»Ich war noch niemals in New York – Der Film« – Köln<br />

Pressevorstellung<br />

»Ich war noch niemals in New York« (Musik : Udo Jürgens; Buch: Gabriel Barylli und Christian<br />

Struppeck) wird der erste in Deutschland produzierte <strong>Musical</strong>film: Regina Ziegler (Ziegler<br />

Film), Sebastian Werninger, Nico Hofmann (UFA Fiction) und Christoph Müller (Mythos Film)<br />

sowie die Co-Produzenten Klaus Graf (Graf Film), Freddy Burger und Universal Pictures Productions<br />

bringen das <strong>Musical</strong> auf die Leinwand. Das Drehbuch stammt von Alexander Dydyna<br />

und Drehbuch-Co-Autor Philipp Stölzl, der auch Regie führen wird. Des weiteren kommen<br />

die Musik von Christoph Israel, die Choreographien von Christopher Tölle, die Kostüme von<br />

Nora Bates, die Maske von Gerd Zeiss, der Ton von Max Thomas Meindl und der Schnitt von<br />

Sven Budelmann zum Tragen.<br />

Die Rollen spielen Heike Makatsch (Lisa), Moritz Bleibtreu (Axel), Katharina Thalbach (Maria),<br />

Mat Schuh (James), Michael Ostrowski (Fred) und Marlon Schramm (Florian)<br />

Die nächste <strong>Ausgabe</strong> der blickpunkt musical erscheint im September mit dem zweiten Teil der Sommerproduktionen.<br />

In Deutschland feiert ein <strong>Musical</strong> Uraufführung, in dem ein Mensch unter Tieren aufwächst, und Ritter<br />

suchen ihren König sowie einen Becher auf einer Burg.<br />

In Österreich feiert ein <strong>Musical</strong> Open-Air-Revival, in dem ein Mann gegen die Ausgrenzung durch die Gesellschaft<br />

kämpft und eine kleine französische Revolution überlebt. Indoor erlebt ein Stück über ein tragisches<br />

Gaunerpaar seine österreichische Erstaufführung und eine Show zelebriert erstmals Rock'n'Roll als Lebensphilosophie.<br />

Das in diesem Heft immer wieder angesprochene Gute-Laune-<strong>Musical</strong> macht ebenfalls Station.<br />

Bei unserem Schweizer Nachbarn erlebt ein Operettenthema eine musicalische Neubearbeitung.<br />

Impressum<br />

UM Verlag und Medien GmbH<br />

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blickpunkt musical<br />

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Nr. 23 vom 1. Januar 20<strong>18</strong><br />

Druck<br />

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Stimmerswiesen 3<br />

34587 Felsberg<br />

Übersetzungen<br />

Barbara Kern, Beate Luszeit (Supervision),<br />

Viktoria Arenz<br />

Redakteure<br />

Eva Baldauf, Birgit Bernds, Yvonne<br />

Brandstetter(AT), Stephan Drewianka,<br />

Dan Dwyer(USA), Martina Friedrich(CH),<br />

Tobias Hell, Barbara Kern, Ingrid Kernbach,<br />

Vincent Kleen, Sandy Kolbuch, Richard<br />

C. Norton(USA), Sven Petersen, Sandra<br />

Reichel, Rosalie Rosenbusch, Sabine<br />

Schereck(UK), Manuel Sommerfeld(AT),<br />

Christian Spielmann, Oliver Wünsch,<br />

Veronika Zangl(AT)<br />

Mitarbeiter<br />

Sandy Kolbuch, Rosalie Rosenbusch<br />

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Preis der Zeitschrift im freien Verkauf:<br />

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werden. Wird nicht 2 Monate vor Ablauf<br />

gekündigt, verlängert sich das Abonnement<br />

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blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>


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Das neue <strong>Musical</strong> direkt aus Kuba<br />

17. – 29.07.<strong>18</strong> · Kölner Philharmonie<br />

21. – 26.08.<strong>18</strong> · Oper Leipzig<br />

28.08. – 02.09.<strong>18</strong> · Alte Oper Frankfurt<br />

02. – 14.10.<strong>18</strong> · Admiralspalast Berlin<br />

16. – 28.10.<strong>18</strong> · Deutsches Theater München<br />

www.carmen-la-cubana.de

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