Blickpunkt Musical 04-18 - Ausgabe 95
einschließlich Special zu Mamma Mia
einschließlich Special zu Mamma Mia
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<strong>Ausgabe</strong> <strong>95</strong> (<strong>04</strong>/<strong>18</strong>)<br />
Juli – September 20<strong>18</strong><br />
€ 6,00 (DE) • € 6,50 (EU)<br />
ISSN 1619-9421<br />
www.blickpunktmusical.de<br />
»Mamma Mia! Here We Go Again«<br />
<strong>18</strong> Seiten Special im Heft!<br />
Les Misérables<br />
Klangvolles Freilichtdrama in Tecklenburg<br />
Herz aus Gold in Augsburg<br />
3 Musketiere in Winzendorf<br />
Starlight Express 30 Jahre in Bochum<br />
Erik Petersen Regie-Interview<br />
Nimmerwiedermehr in Hamburg<br />
Mamma Mia! in Thun
PRÄSENTIEREN<br />
TOUR 20<strong>18</strong><br />
20.09. - 23.12.20<strong>18</strong><br />
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FREILICHTSPIELE<br />
TECKLENBURG
20,00 EUR Print<br />
<strong>18</strong>,00 EUR Digital<br />
30,00 EUR Print+Digital<br />
55,00 EUR gebunden<br />
Das neue Sonderheft ist ab sofort verfügbar<br />
Bestellung unter www.blickpunktmusical.de<br />
oder telefonisch 030-50596<strong>95</strong>9
Inhalt<br />
Inhalt<br />
<strong>Ausgabe</strong> <strong>95</strong> (<strong>04</strong>/<strong>18</strong>), Juli – September 20<strong>18</strong><br />
»Mamma Mia! Here We Go Again«<br />
<strong>18</strong> Seiten Special im Heft!<br />
Liebe Leser,<br />
… kurz vorweg<br />
wir starten in den Hot Summer mit einem<br />
<strong>Blickpunkt</strong> <strong>Musical</strong> Special zum<br />
»Mamma Mia!«-Sequel »Mamma Mia!<br />
Here We Go Again« in der Heftmitte.<br />
Dort finden Sie Interviews mit Regisseur /<br />
Drehbuchautor Ol Parker und den Darstellern<br />
der Sophie, der jungen Donna<br />
und des Sam.<br />
Wir würdigen das erfolgreichste in<br />
Deutschland gespielte <strong>Musical</strong>, das kürzlich<br />
mit einer überarbeiteten Fassung sein<br />
30-jähriges Jubiläum feierte.<br />
Während der Sommerpause haben die<br />
deutschen Freilichtbühnen Hochsaison:<br />
Im Süden gilt eine sehenswerte Uraufführung<br />
einem historischen Vertreter<br />
von Handel und Hochfinanz und eine<br />
deutschsprachige Erstaufführung dem<br />
Rock'n'Roll. Im Norden macht ein bemerkenswerter<br />
<strong>Musical</strong>-Neuzugang ein<br />
bewegendes Thema deutscher Geschichte<br />
zum Thema. Wir feiern das<br />
begeistert begrüßte Revival eines beliebten<br />
Drama-<strong>Musical</strong>s im Westen. Auf<br />
einer österreichischen Open-Air-Spielstätte<br />
läutet ein Pop-<strong>Musical</strong> nach einem<br />
weltberühmten Abenteuerroman die<br />
zweite Spielzeit ein.<br />
Das »ABBA«-Fieber weckt nicht nur der<br />
neue <strong>Musical</strong>film, sondern auch eine<br />
große Schweizer Seebühne, die das<br />
Original erstmals in schweizerdeutscher<br />
Mundart herausbringt. Magie steht im<br />
Mittelpunkt einer Schweizer Freilichtproduktion<br />
eines Märchenklassikers.<br />
Indoor gibt es ein Wiedersehen mit einem<br />
komplett überarbeiteten Historienmusical.<br />
Bücher und Filme inspirieren<br />
immer wieder zu <strong>Musical</strong>s: Diesmal ist<br />
es ein Roadmovie, dessen Bühnenfassung<br />
zeitgleich in der Schweiz und im<br />
Westen Deutschlands ein Tryout erhielt.<br />
Aufgrund des Engagements der Schweizer<br />
Veranstalter und Stadttheater in Sachen<br />
<strong>Musical</strong> haben wir entschieden – so es<br />
sich ergibt –, eine Rubrik »<strong>Musical</strong>s in<br />
der Schweiz« inklusive der News: »Neues<br />
aus der Schweiz« einzurichten.<br />
Vis-à-Vis starten wir mit einer neuen Reihe,<br />
in der wir die Generation neuer Regisseure<br />
vorstellen, die sich um das <strong>Musical</strong><br />
verdient machen: Als erstes stellen<br />
wir Erik Petersen vor. Im Darstellerinterview<br />
erzählt Newcomerin Hannah Leser<br />
von ihrem Weg zu »Flashdance«.<br />
Mit Broadway und West End-Seiten<br />
kommen wir auf 112 prall gefüllte Seiten.<br />
Daher bleibt uns nur noch, Ihnen viel<br />
Freude mit unserer <strong>Ausgabe</strong> <strong>04</strong>/20<strong>18</strong> zu<br />
wünschen.<br />
Herzlichst,<br />
Ihr<br />
Oliver Wünsch<br />
und die Redaktion der<br />
blickpunkt musical<br />
Topthema<br />
6 Les Misérables bei den Freilichtspielen Tecklenburg<br />
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
44 Chicago bei den Schlossfestspielen Ettlingen<br />
39 Der bewegte Mann bei den Burgfestspielen<br />
Jagsthausen<br />
28 Die Päpstin im Schlosstheater Fulda<br />
34 Fame bei den Gandersheimer Domfestspielen<br />
36 Fame im F1rst Stage Theater der Stage School Hamburg<br />
13 Frühlings Erwachen im Theater Bielefeld<br />
10 UA Herz aus Gold auf der Freilichtbühne am Roten<br />
Tor Augsburg<br />
17 Im weißen Rössl im Berliner Renaissance Theater<br />
42 Jesus Christ Superstar beim DomplatzOpenAir<br />
Magdeburg<br />
22 Knockin' on Heaven's Door als Tryout in<br />
Essen-Werden<br />
40 My Fair Lady bei den Luisenburg-Festspielen Wunsiedel<br />
30 Natürlich Blond am Theater im P1 in Mainz<br />
24 UA Nimmerwiedermehr in der St. Thomas-Kirche<br />
Hamburg - Rothenburgsort<br />
26 UA Nisha bei den Cadolzburger Burgfestspielen<br />
14 DSE Rock of Ages im Theater Ulm<br />
<strong>18</strong> Starlight Express – 30 Jahre in Bochum<br />
32 The Addams Family bei den Gandersheimer<br />
Domfestspielen<br />
46 Zzaun! auf der Waldbühne Kloster Oesede<br />
48 Neues aus Deutschland<br />
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
50 3 Musketiere beim <strong>Musical</strong>sommer Winzendorf<br />
54 Bettina Bogdany & Bernhard Viktorin:<br />
»Doppelt hält besser« in Wien<br />
52 West Side Story in Bad Leonfelden<br />
49 Neues aus Österreich<br />
<strong>Musical</strong>s in der Schweiz<br />
58 Die Schöne und das Biest am Walensee<br />
56 Mamma Mia! bei den Thunerseespielen<br />
60 Neues aus der Schweiz<br />
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
86 Carousel Revival am Broadway<br />
82 My Fair Lady Broadway-Revival<br />
80 Summer: The Donna Summer <strong>Musical</strong><br />
am Broadway<br />
78 Neues aus den USA<br />
<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />
90 The Biograph Girl am Finborough Theatre London<br />
88 The Rink am Southwark Playhouse London<br />
91 Neues aus Großbritannien<br />
Konzerte & Entertainment<br />
68 »Faces of <strong>Musical</strong> 20<strong>18</strong>« mit Brigitte Oelke,<br />
Jesper Tydén, John Vooijs<br />
66 Lukas Perman & Mark Seibert:<br />
»Ziemlich gute Freunde«<br />
Abb. oben:<br />
1. »Die Päpstin« Fulda<br />
Foto: Christian Tech<br />
2. »Die Schöne und das Biest« Walenstadt<br />
Foto: Andy Mettler / Swiss-Image.ch<br />
3. » Summer: The Donna Summer <strong>Musical</strong>« New York<br />
Foto: Matthew Murphy<br />
Titelfoto:<br />
»Les Misérables« Tecklenburg<br />
Foto: Birgit Bernds<br />
Im Blick<br />
70 »<strong>Musical</strong> Meets Pop 20<strong>18</strong>« – Pfingstgala in<br />
Tecklenburg<br />
Vis-à-Vis<br />
72 Hannah Leser über »Flashdance«<br />
74 Erik Petersen – Neue Generation <strong>Musical</strong>regisseure<br />
Film & Fernsehen<br />
MM1 blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />
77 Prinz Charming fürs Heimkino<br />
Rubriken<br />
64 Einspielungen<br />
62 Premierenblick•<br />
93 Neues auf unitedmusicals.de, Ausblick &<br />
Impressum<br />
28<br />
58<br />
80<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
5
Topthema<br />
Bildgewaltiges Freilichtdrama<br />
»Les Misérables« zurück auf der Freilichtbühne Tecklenburg<br />
Abb. oben:<br />
›Der erste Angriff‹ – auf die<br />
Tecklenburger Barrikade aus Rädern,<br />
Teppichen, Leitern, Stühlen,<br />
Bilderrahmen …, mit Frauen und<br />
Männern des Ensembles<br />
Foto: Birgit Bernds<br />
Abb. unten:<br />
›Mein Herz ruft nach dir‹ – Marius<br />
(Florian Peters) und seine angebetete<br />
Cosette (Daniela Braun)<br />
Foto: Sandra Reichel<br />
2006 war das <strong>Musical</strong> von Claude-Michel Schönberg,<br />
Alain Boublil und Jean-Marc Natel sowie James<br />
Fenton erstmals bei den Freilichtspielen Tecklenburg<br />
zu sehen. 12 Jahre später ist das große, dramatische<br />
Ensemble-Stück mit einem 35-köpfigen Cast sowie<br />
Chor und Statisterie der Freilichtspiele, begleitet von<br />
einem 20-köpfigen Orchester, wiederbelebt worden.<br />
Regisseur Ulrich Wiggers hat die Bühne mit prall-lebendigen<br />
Gesellschaftsszenen gefüllt: Da kommen die<br />
Bauern vom Acker und der entlassene Sträfling, der verzweifelt<br />
versucht, ein neues Leben zu beginnen, muss<br />
feststellen, dass »die ganze Welt […] für Jean Valjean<br />
[Patrick Stanke] ein Gefängnis [ist]« und »das Gesetz<br />
[…] gegen ihn«. Der Heiligen Familie gleich sucht er<br />
vergeblich eine Herberge, bis ihn der Bischof von Digne<br />
aufnimmt. Im kleinen Ort Montreuil-sur-Mer – intelligent<br />
angebrachte Daten- und Ortsschilder erlauben<br />
die Einordnung –, an dem Valjean sich unter neuer<br />
Identität niederlässt, entfaltet sich eine große Halle mit<br />
Näherinnen. Fantine (Milica Jovanović) ist hier eine<br />
Außenseiterin (durch ihre Position am Rand der Bühne<br />
verdeutlicht). Als sie dem Vorarbeiter ihren Körper verweigert,<br />
muss sie diesen bald darauf verkaufen, um sich<br />
und ihre Tochter durchzubringen. Bürger flanieren und<br />
Prostituierte bieten ihre Dienste an. Besondere Authentizität<br />
und Lebendigkeit erhält Susanna Bullers Bühnenbild<br />
mit seinen Häusern mit den rußgeschwärzten<br />
Fassaden und Schindeldächern dadurch, dass Menschen<br />
aus den Fenstern das Treiben auf der Straße betrachten<br />
und beispielsweise sehen, wie Valjean den Heukarren allein<br />
mit Muskelkraft anhebt. Erfreulicherweise ist auch<br />
die Wendeltreppe in die Häuserzeile integriert, sodass<br />
Valjean mit seiner Tochter wirklich im Haus verschwinden<br />
kann. Ein besonders lebendiges Bild stellt der Auftritt<br />
der Gauner und Bettler (einer sogar auf einem Rollbrett)<br />
von Paris dar, bei dem man buchstäblich Zeuge<br />
wird, wie jeder an seinem Platz dazu beiträgt, Valjean<br />
mit Cosette in die Enge zu treiben: ›Schaut her – Reprise‹.<br />
Allerdings bleibt offen, wann Thénardier die Sträflingsnummer<br />
gesehen haben will, und doch gibt er Inspektor<br />
Javert den entsprechenden Wink. Zu den authentischen<br />
Bildern tragen auch Karin Albertis zeitgemäß gestaltete<br />
historische Kostüme der Ständegesellschaft und die<br />
Ausstattung bei – darunter die eindrucksvolle Barrikade<br />
– vom Wagenrad, über Möbel, Bilderrahmen bis zu<br />
Harken und Leitern authentisch. Es wird sogar angedeutet,<br />
wie die Frauen der Aufständischen Material für<br />
die Barrikade zusammentragen oder von den Passanten<br />
erbitten. Auch andere an sich kleine Momente erhalten<br />
Wirkung, etwa, wenn Enjolras die Frauen von der Barrikade<br />
wegschickt, weil er ahnt, dass es ihr letzter Kampf<br />
sein wird. Dagegen geht leider die Freilassung des gefangenen<br />
Javert durch Valjean auf der linken Seite der<br />
Bühne etwas unter.<br />
Doch Ulrich Wiggers hat auch den Mut, seinen<br />
Solisten die Bühne allein zu überlassen. Nachdem der<br />
barmherzige Bischof von Digne (Florian Soyka in dem<br />
gleichnamigen Lied mit geradezu herzerwärmendem<br />
Bariton-Vortrag) Valjean beschämt hat, versteht es Pa-<br />
6<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
Topthema<br />
trick Stanke, in einer sehr überzeugend gespielten Verwandlung<br />
vom Saulus zum Paulus den Raum mit seiner<br />
klangvollen Stimme sowie mit Bühnenpräsenz zu füllen.<br />
Präsent klingen hier zudem Posaune und Horn aus<br />
dem unter Leitung von Tjaard Kirsch brillant und sehr<br />
differenziert spielenden Orchester herauf. Auch die innere<br />
Auseinandersetzung Valjeans in ›Wer bin ich?‹ berührt,<br />
doch gesanglich beeindruckt Stanke am meisten<br />
mit dem stimmlich wunderbar sicher geführten Gebet<br />
des Valjean: ›Bring ihn heim‹. Dass Patrick Stanke auch<br />
als gereifter Herr in der Paris Rue Plumet überzeugend<br />
wirkt, wenn er über die Zeit, die ›Schon so lang‹ her ist,<br />
nicht sprechen möchte, ist auch der guten Maske von<br />
Stefan Becks und Susanne Bechtloff zu verdanken. Einzig<br />
dem geschwächten Greis im ›Epilog‹ könnte Stanke<br />
in der Körperlichkeit noch etwas mehr Gebrechlichkeit<br />
geben, eventuell unterstützt durch einen Stock, auf den<br />
er sich stützt.<br />
Milica Jovanović steht bei Fantines Lebensresümee<br />
›Ich hab' geträumt vor langer Zeit‹ als Solistin im Mittelpunkt<br />
und zeigt in ihrer gefühlvollen Interpretation,<br />
dass selbst einer so ausgezeichneten Sängerin wie ihr die<br />
emotional-gesteigerte Stimmführung mit ihren Höhen<br />
und Tiefen einiges abverlangt. In Fantines Sterbeszene<br />
dagegen klingt sie für die gebrochene Frau fast noch zu<br />
schön. Doch das ist »meckern« auf höchstem Niveau.<br />
Kevin Tarte zeichnet sich als Inspektor Javert durch<br />
sein imposantes Auftreten aus, wobei der fanatisch gesetzestreue<br />
Inspektor zunehmend an Akkuratesse verliert<br />
und später vom Aussehen her an den aufgelösten Lucius<br />
Malfoy in »Harry Potter« erinnert, kurz bevor er seinen<br />
in Tecklenburg besonders inszenierten Selbstmord<br />
begeht. Tartes an sich überzeugendes Schauspiel leidet<br />
bedauerlicherweise dadurch, dass er in den stark rhythmisch<br />
angelegten Sprechgesangspassagen, immer wieder<br />
aus dem Takt gerät. Szenen wie beispielsweise ›Die Prüfung‹,<br />
in der Javert das erste Mal Verdacht schöpft, wer<br />
Bürgermeister Madeleine wirklich ist – dabei doch eine<br />
musikalisch besonders schöne Passage in Tecklenburg –<br />
oder Javerts Auftritt als Polizeichef in Paris (›Schaut her –<br />
Reprise‹) verlieren an Wirkung. Es scheint, als mache<br />
Tarte der deutsche Sprachduktus, den er in Dialogen<br />
und Songs souverän beherrscht, hier Schwierigkeiten.<br />
Die teils hölzerne Übersetzung von Heinz Rudolf Kunze<br />
tut ihr Übriges. In Javerts großer Hymne auf Recht und<br />
Gesetz dagegen liefert Kevin Tarte eine emotionale und<br />
gesanglich starke Interpretation von ›Stern‹.<br />
Auch ohne Drehbühne malt die Tecklenburger Inszenierung<br />
die Szenenbilder ineinander. Von der Gerichtsszene<br />
mit einem vom Orchester brillant begleiteten<br />
Demaskieren Jean Valjeans geht es flüssig über in die<br />
Krankenhausszene an Fantines Bett, wozu ein Wagen<br />
mit wehenden Vorhängen hineingeschoben wird, während<br />
der Raum in der Mitte unter dem Häuserbogen<br />
mit Krankenschwestern bevölkert wird. Ulrich Wiggers<br />
entschärft überraschenderweise die Konfrontation zwi-<br />
Les Misérables<br />
Claude-Michel Schönberg / Alain Boublil /<br />
Jean-Marc Natel / James Fenton<br />
Deutsch von Heinz Rudolf Kunze<br />
Freilichtspiele Tecklenburg<br />
Freilichtbühne<br />
Premiere: 22. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie ........................... Ulrich Wiggers<br />
Musikalische Leitung ....... Tjaard Kirsch<br />
Neue Orchestrierung ......... Christopher<br />
Jahnke, Stephen Metcalfe &<br />
Stephen Brooker<br />
Choreographie .......... Kati Heidebrecht<br />
Bühnenbild .................. Susanna Buller<br />
Kostüme .......................... Karin Alberti<br />
Maske .......................... Stefan Becks &<br />
Susanne Bechtloff<br />
Lichtdesign ..................... Tim Löpmeier<br />
Sounddesign ....................... Sven Trees<br />
Jean Valjean .................. Patrick Stanke<br />
Javert ................................ Kevin Tarte /<br />
Robert Meyer (am <strong>04</strong>./05.08)<br />
Fantine ...................... Milica Jovanović<br />
Monsieur Thénardier ........... Jens Janke<br />
Madame Thénardier ...... Bettina Meske<br />
Marius ........................... Florian Peters<br />
Cosette ......................... Daniela Braun<br />
Éponine ....................... Lasarah Sattler<br />
Enjolras .......................... David Jakobs<br />
Bischof von Digne /<br />
Courfeyrac ..................... Florian Soyka<br />
Bamatabois ............. Gerben Grimmius<br />
Brujon / Joly ............... Mathias Meffert<br />
Babet .............................. Fin Holzwart<br />
Claquesous / Lesgles ..... Jan Altenbockum<br />
Montparnasse /<br />
Prouvaire ...................... Florian Albers<br />
Combeferre ............ Benjamin Witthoff<br />
Feuilly ........................ Nicolai Schwab<br />
Grantaire ....................... Robert Meyer<br />
Gavroche .............. Dean Clausmeyer /<br />
Jonas Kirsch / Adrian Müller-Bromley<br />
Cosette (klein) ........... Claire Heinrich /<br />
Malina Ziegeler<br />
Éponine (klein) .......... Malina Mahnig /<br />
Carlotta Mahnig<br />
Seeleute / Polizisten /<br />
Studenten ..................... Andrew Hill &<br />
Michael Thurner<br />
Erste Fabrikarbeiterin /<br />
Hairlady ...................... Juliane Bischoff<br />
Bagatelle Lady ................. Jennifer Kohl<br />
Fabrikarbeiterinnen / Huren / Gäste:<br />
Sophie Blümel, Joana Henrique, Alexander<br />
Hoffmann, Eva Kewer, Esther<br />
Larissa Lach, Dörte Niedermeyer,<br />
Céline Vogt<br />
Abb. links:<br />
1. Valjean (Patrick Stanke) bittet Gott um<br />
das Leben von Marius (Florian Peters,<br />
liegend): ›Bring ihn heim‹<br />
2. Die Hospiz-Schwester (Ensemble)<br />
mahnt die Widersacher Valjean (Patrick<br />
Stanke, l.) und Javert (Kevin Tarte, r.), die<br />
Totenruhe zu respektieren<br />
3. ›Stern‹ – Javert (Kevin Tarte) sieht in<br />
seiner Jagd eine Mission der Gerechtigkeit<br />
4. Vor dem letzten Kampf: Valjean<br />
(Patrick Stanke, l.) und Enjolras (David<br />
Jakobs) an der Barrikade<br />
Fotos (4): Sandra Reichel<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
7
Topthema<br />
Abb. unten:<br />
1. ›Ich hab' geträumt vor langer Zeit‹ – die<br />
verzweifelte Fantine (Milica Jovanović)<br />
2. Freuen sich auf ein neues Leben – die<br />
kleine Cosette (Malina Mahnig) und ihr<br />
Ziehvater Valjean (Patrick Stanke)<br />
3. Der tapfere kleine Gavroche (Dean<br />
Clausmeyer, Mitte) bringt die erbeutete<br />
Munition noch über den Rand der<br />
Barrikade, bis er tot zusammenbricht,<br />
mit Enjolras (David Jakobs, Mitte) und<br />
Ensemble<br />
4. ›Nur für mich‹ – Éponine (Lasarah<br />
Sattler) liebt heimlich den Studenten<br />
Marius<br />
Fotos (4): Sandra Reichel<br />
schen Valjean und Javert im ersten Akt (›Der doppelte<br />
Schwur‹) durch das Auftreten einer Nonne, die beide<br />
Streithähne, wie es aussieht, zum Respekt gegenüber der<br />
verstorbenen Fantine ermahnt. Über diese Veränderung<br />
kann man geteilter Meinung sein. Die wehenden Vorhänge,<br />
die in der bekannten Verfilmung des <strong>Musical</strong>s<br />
(2012) den Gegner gezielt verbargen, führten am Premierenabend<br />
bei aller Dramatik der Handlung zu einer<br />
unfreiwillig komischen Szene, da Javert sich zu Valjean<br />
durchkämpfen musste.<br />
Gezielte Komik gilt dagegen für das Gaunerpaar<br />
Thénardier – von Karin Alberti extra farbenfroh eingekleidet<br />
–, das sich in allen Lebenslagen zu bereichern<br />
versucht und dabei vor dem Unglück anderer nicht zurückschreckt.<br />
Gleichwohl gelingt es dem Komödianten<br />
Jens Janke und seiner kongenialen Partnerin Bettina<br />
Meske bei aller typgerechten Überzeichnung, Sympathie<br />
für ihre Figuren zu wecken: Bei ›Ich bin Herr<br />
im Haus‹ passen die Beinschwung-Choreographien<br />
von Kati Heidebrecht gut ins Bild, das gilt auch für<br />
die wunderschöne Schlusspose, mit der sie die Szene,<br />
in der Madame Thénardier am Fleischwolf etwas von<br />
Mrs Lovett hat, enden lässt. Zahlreiche Lacher erntet<br />
Thénardiers Versuch, sich am Mantel Valjeans die Nase<br />
zu schnäuzen, zugleich zeigt sich hier seine ausgeprägte<br />
Respektlosigkeit. Auch das zahllose Bekreuzigen,<br />
welches die Ehrlichkeit der Zieheltern beteuern soll,<br />
lässt einen schmunzeln. Doch Janke begeistert auch<br />
während der eindrucksvoll mit kaltem Streiflicht und<br />
Nebel gebauten Kanalisationsszene (Lichtdesign: Tim<br />
Löpmeier), in der Thénardier »im öffentlichen Dienst«<br />
den Toten die Goldzähne und anderes Verwertbares<br />
abnimmt.<br />
In der Rolle der erwachsenen Éponine ist die junge<br />
Osnabrücker Absolventin (Institut der Musik) Lasarah<br />
Sattler zu erleben. Mag im Schauspiel noch etwas Raum<br />
nach oben sein, so verleiht sie doch der unglücklichen<br />
Thénardier-Tochter mit Spielfreude und starker Stimme<br />
Profil – das nicht allein in ›Nur für mich‹.<br />
David Jakobs entspricht vielleicht äußerlich nicht<br />
8<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
Topthema<br />
dem gängigen Bild eines Enjolras, doch macht er das<br />
sowohl stimmlich als auch im Schauspiel durch Energie<br />
und Präsenz vergessen. Etwas blass wirkt dagegen<br />
noch Florian Peters als Marius. So ganz nimmt man<br />
ihm das Schüchterne, ja Linkische seiner Darstellung<br />
nicht ab – da ist noch Luft nach oben. Gesanglich<br />
überzeugt er hingegen solistisch (›Dunkles Schweigen<br />
an den Tischen‹) und im Duett mit Cosette (Daniela<br />
Braun): ›Mein Herz ruft nach dir‹. Dabei harmonisiert<br />
er glücklicherweise die leider an der Premiere sehr schrill<br />
klingende Stimme von Daniela Braun, die trotz ihres<br />
lyrischen Soprans unerklärlicherweise Probleme mit den<br />
Höhen hat. Dagegen überzeugt sie in ihrem Spiel der<br />
behüteten, aufs Leben neugierigen Cosette und in der<br />
Zuneigung zu Geliebtem und Vater.<br />
Hervorzuheben sind auch die Kinderdarsteller: allen<br />
voran Dean Clausmeyer als frecher Gavroche, der<br />
zeigt, was die »Kleinen« schon können. Claire Heinrich<br />
bezaubert als Cosette mit klarer Stimme (›In meinem<br />
Schloss‹) und im Zusammenspiel mit Patrick Stanke<br />
oder ihren Pflegeeltern Janke und Meske. Intelligent ist<br />
auch die Verwandlung der kleinen in die große Cosette<br />
gelöst. In ihrer rein mimischen Darstellung überzeugt<br />
auch Malina Mahnig als verwöhnte Göre Éponine, welche<br />
die geschenkte Puppe der Mutter ablehnt, sie aber<br />
auch ihrer Ziehschwester nicht gönnt.<br />
Der Chor der Tecklenburger Freilichtspiele überzeugt<br />
durch klare Verständlichkeit und enorme Spielfreude,<br />
manche langjährigen Mitglieder spielen inzwischen<br />
auch kleinere Rollen überzeugend.<br />
Bei »Les Misérables« in Tecklenburg trifft der oft gehörte<br />
Satz »Das Beste kommt zum Schluss« zu. Ist schon<br />
das erste Finale mit den roten Tüchern und der roten<br />
Fahne in Gavroches Händen eindrucksvoll, so verschafft<br />
Ulrich Wiggers dem Publikum mit der Schlussszene im<br />
›Epilog‹ erst recht Gänsehaut, wenn alle Mitwirkenden<br />
– Lebende und Tote – aus dem Nebel auftreten und die<br />
gesamte Spielfläche füllen.<br />
Barbara Kern<br />
Abb. unten:<br />
1. ›Dunkles Schweigen an den Tischen‹ –<br />
Marius (Florian Peters) hat überlebt und<br />
sieht die gefallenen Kameraden vor sich<br />
2. Valjean (Patrick Stanke, r.) kann kaum<br />
glauben, dass der Bischof von Digne<br />
(Florian Soyka, l.) ihm den Hals rettet,<br />
und nimmt die Aufgabe, Gutes zu tun, an<br />
3. ›Herr im Haus‹-Schlusspose – ein herrliches<br />
Gespann: die Thénardiers (Bettina<br />
Meske und Jens Janke mit Ensemble)<br />
4. ›Javerts Selbstmord‹ – Javert (Kevin<br />
Tarte) versteht die Welt nicht mehr<br />
Fotos (4): Birgit Bernds<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
9
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Geld oder Liebe<br />
Uraufführung von »Herz aus Gold – Das Fugger-<strong>Musical</strong>« am Theater Augsburg<br />
Ganz Augsburg feiert Fuggers Hochzeit<br />
Foto: Jan-Pieter Fuhr<br />
Herz aus Gold –<br />
Das Fugger-<strong>Musical</strong><br />
Stephan Kanyar / Andreas Hillger<br />
Theater Augsburg<br />
Freilichtbühne am Roten Tor<br />
Uraufführung: 30. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie ............................ Holger Hauer<br />
Musik. Leitung .......... Domonkos Héja<br />
Choreinstudierung .............. Katsiaryna<br />
Ihnatsyeva-Cadek &<br />
Carl Philipp Fromherz<br />
Choreographie......... Ricardo Fernando<br />
Bühnenbild .................. Karel Spanhak<br />
Kostüme ......................... Sven Bindseil<br />
Licht ............................... Marco Vitale<br />
Dramaturgie .................... Sophie Walz<br />
Jakob Fugger ................... Chris Murray<br />
Sibylla sr. ................. Roberta Valentini<br />
Barbara Fugger ............... Elke Kottmair<br />
Ulrich Fugger ............. Gerhard Werlitz<br />
Georg Fugger ........... Stanislav Sergeev<br />
Welser .......................... Holger Hauer<br />
Sibylla jr. ............. Katharina Wollmann<br />
Luther ........................... Thaisen Rusch<br />
Kaiser .................... Eckehard Gerboth /<br />
Andre Wölkner<br />
Priester .................. Oliver Marc Gilfert<br />
Sibylla jr. als Kind .......... Jonna Lenke /<br />
Anne Lohrum / Carla Schäfer<br />
Boten / Herolde .......... Christian Bock,<br />
Florian Koller, Edward Roland Serban,<br />
Thomas Zigon<br />
In weiteren Rollen:<br />
Joanna Nora Lissai, Sarah K.<br />
Martlmüller, Martina Oliveira,<br />
Naomi Simmonds<br />
Ballett &<br />
Opernchor des Theaters Augsburg<br />
Eröffnet hatte man sie musikalisch einst noch mit<br />
Ludwig van Beethovens einziger Oper »Fidelio«.<br />
Doch inzwischen regiert auch auf der Freilichtbühne am<br />
Roten Tor zur Sommerzeit längst das <strong>Musical</strong>, mit dem<br />
sich das demnächst in den Rang eines Staatstheaters aufsteigende<br />
Theater Augsburg zum Saisonausklang gerne<br />
noch mal ein wenig die Kassen auffüllt. Hatte man sich<br />
dafür in den vergangenen Jahren meist auf große, verkaufsträchtige<br />
Titel wie »Hair«, »Blues Brothers« oder<br />
die »The Rocky Horror Show« verlassen, setzte der neue<br />
Intendant des Hauses, André Bücker, zum Ende seiner<br />
an interessanten Experimenten keineswegs armen ersten<br />
Spielzeit ein weiteres mal auf Risiko: war mit »Herz aus<br />
Gold« doch die Uraufführung eines speziell für Augsburg<br />
entstandenen neuen <strong>Musical</strong>s aus der Feder von<br />
Stephan Kanyar und Andreas Hillger zu erleben. Dazu<br />
gehört tatsächlich eine gute Portion Mut. Wollen hier<br />
doch für über 20 Vorstellungen rund 2000 Sitzplätze<br />
gefüllt werden. Doch wie wir Titelheld Jakob Fugger<br />
gleich zu Beginn singen hören: »Wer siegen will, der<br />
muss auch wagen.« Und das Publikum wusste dieses<br />
Wagnis durchaus zu honorieren und feierte das Ensemble<br />
am Ende der Vorstellung mit langanhaltenden<br />
stehenden Ovationen.<br />
Ob das Stück nach der sommerlichen Spielserie auch<br />
ein Leben jenseits der Fuggerstadt haben wird, muss sich<br />
allerdings noch zeigen. Spielen Kanyar und Hillger doch<br />
bei dieser vermusicalisierten Geschichtsstunde mehr als<br />
einmal die lokalpatriotische Trumpfkarte aus. Nicht,<br />
dass man unbedingt großes historisches Vorwissen brauchen<br />
würde, doch die eine oder andere Anspielung gibt<br />
es schon, die in erster Linie bei den Einheimischen für<br />
Schmunzeln sorgt. Im Mittelpunkt der Geschichte steht<br />
mit Jakob Fugger der wohl berühmteste Spross der legendären<br />
Augsburger Kaufmannsfamilie. Ein Mann,<br />
dessen umsichtig aufgebautes Finanzimperium sich in<br />
der Renaissance über halb Europa ausgebreitet hatte<br />
und der seine Finger sogar Richtung Amerika ausstreckte.<br />
Gerne wurde er auch als der erste große Kapitalist bezeichnet,<br />
dessen politischer Einfluss als Geldgeber des<br />
Kaisers ebenfalls nicht zu unterschätzen war.<br />
Fast vier Jahrzehnte begleiten die Autoren Jakob Fugger<br />
auf seinem Weg. Frisch zurück aus Italien, lernen wir<br />
einen jungen Mann kennen, der voller lukrativer Geschäftsideen<br />
steckt, die in der Augsburger Heimat – wo<br />
man die Dinge am liebsten so hat, wie sie schon immer<br />
waren – nicht durchweg gut ankommen. Skeptisch ist<br />
hier neben den eigenen Brüdern vor allem der rivalisierende<br />
Kaufmann Welser, der fürs Stück eigentlich einen<br />
perfekten Gegenspieler abgeben würde, dafür aber leider<br />
nicht genug Zeit auf der Bühne bekommt. Immer<br />
wieder werden da neue Themen angerissen: Vom Ablasshandel<br />
des Vatikans bis hin zu Sebastian Brants Moralsatire<br />
»Das Narrrenschiff«, sodass man sich des Eindrucks<br />
nicht erwehren kann, dass die Autoren am Ende vielleicht<br />
ein wenig zu viel in die rund zweieinhalb Stunden<br />
hineinpacken wollten. Besonders, weil neben den<br />
zahlreich vorbeirauschenden historischen Anspielungen<br />
vor allem eine (fiktive) Liebesgeschichte erzählt werden<br />
soll, ohne die kein anständiges <strong>Musical</strong> auskommt, und<br />
die den Großteil der Aufführung in Beschlag nimmt.<br />
Keine zehn Minuten im Stück, trifft der Heimkehrer<br />
schon seine Jugendliebe Sibylla, die inzwischen jedoch<br />
mit einem anderen Mann verheiratet und Mutter einer<br />
kleinen Tochter ist. Ein schwerer Schlag für den jungen<br />
Kaufmann, der seine Energien fortan voll und ganz ins<br />
Familienimperium steckt. Natürlich kreuzen sich die<br />
Lebenswege der beiden trotzdem immer wieder. Doch<br />
10<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
selbst nach dem Tod ihres Mannes ist Sibylla nicht bereit,<br />
eine Beziehung mit Jakob einzugehen, der in ihren<br />
Augen eine jüngere Frau benötigt. Eine, die ihm einen<br />
Erben schenken kann. Diese findet sich kurzerhand in<br />
ihrer inzwischen erwachsenen Tochter Sibylla jr., die unfreiwillig<br />
von der eigenen Mutter verkuppelt und in einer<br />
äußerst unbehaglichen Zeremonie verheiratet wird,<br />
die das hier ziemlich naiv gezeichnete Augsburger Volk<br />
aber dennoch lächelnd und jubelnd besingt.<br />
Stephan Kanyar kleidet dies alles in eine sinfonisch<br />
opulente Partitur zwischen historisch angehauchtem<br />
Cembalo-Sound und E-Gitarren-Riffs, die von Generalmusikdirektor<br />
Domonkos Héja gut in der Balance<br />
gehalten wird und vor allem die Streicher gerne mal<br />
hollywoodverdächtig schmalzen lässt. Nummern wie<br />
der vorwärtsdrängende Titelsong, Sibyllas ›Wo bin ich<br />
geblieben‹ oder das emotionale Duett zwischen Mutter<br />
und Tochter (›Mein Leben und Dein Glück‹) gehen dabei<br />
ziemlich gut ins Ohr. Doch wird man das Gefühl<br />
nicht los, dass man mehr als einen davon irgendwie<br />
auch schon einmal so oder zumindest so ähnlich gehört<br />
hat. So ist der Ausspruch einer Zuschauerin, die in der<br />
Pause erfreut feststellt, »dass so viele bekannte Melodien<br />
drin sind«, wohl eher ein zweischneidiges Kompliment<br />
für den Komponisten. Vielleicht lag es aber auch einfach<br />
daran, dass Kanyar nicht nur immer wieder musikalische<br />
Erinnerungen an die holländischen »3 Musketiere«<br />
heraufbeschwört, sondern es vor allem beim Einsatz von<br />
Leitmotiven manchmal auch ein wenig übertreibt. So<br />
begegnet man etwa der Melodie der Eröffnungsnummer<br />
(›Augsburg, Augsburg, Du herrliche Stadt!‹) im weiteren<br />
Verlauf des Abends mit wechselndem Text wieder<br />
und wieder und wieder und wieder. So lange, bis sie sich<br />
wahrscheinlich auch beim Letzten für mindestens drei<br />
Tage in die Gehörgänge eingebrannt hat.<br />
Zuständig für diesen nicht ganz freiwilligen Ohrwurm<br />
sind neben dem stimmkräftigen Augsburger<br />
Opernchor unter anderem vier hektisch überdreht<br />
durch die Handlung stolpernde Herolde, die man sich<br />
von der Theaterakademie August Everding rekrutiert<br />
hat und die in den nicht immer geschmackssicheren<br />
Kostümen von Sven Bindseil wie frisch aus »Monty<br />
Python's Spamalot« entsprungen scheinen. Und das<br />
womöglich nicht ganz ohne Grund: Regisseur Holger<br />
Hauer begegnet dem bunten historischen Bilderbogen<br />
nämlich durchaus mit einer gesunden Portion Humor,<br />
die dem Stück extrem guttut, ihm das Pathos austreibt<br />
und den Abend zwischen all den tragisch unerfüllten<br />
Liebesbeziehungen und Geschäftsgesprächen dennoch<br />
zu einer überaus kurzweiligen Angelegenheit macht.<br />
Hauer – der auch selbst als Welser mit auf der Bühne<br />
steht und Fuggers Widersacher die nötige Autorität verleiht<br />
– weiß die ausladende Freiluftbühne dabei gut mit<br />
Leben zu füllen. Wobei er zum Glück nicht nur in großen<br />
monumentalen Bildern denkt, sondern auch den<br />
intimen Momenten genügend Fokus gibt und seinen<br />
Darstellern zutraut, auch ohne zusätzlichen Schnickschnack<br />
das Publikum zu fesseln. Einen zuverlässigen<br />
Partner hat er dabei in Choreograph Ricardo Fernando,<br />
der das hauseigene Ballettensemble und mehrere Mu-<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Auch nach dem Tod ihres Mannes verweigert<br />
Sibylla (Roberta Valentini) Jakob<br />
(Chris Murray) ihre Hand<br />
2. Nach der Rückkehr aus Italien fühlt<br />
Jakob (Chris Murray) sich in Augsburg als<br />
Außenseiter<br />
3. Ob beim Schach oder im Finanzgeschäft.<br />
Strategie ist alles für Fugger (Chris<br />
Murray, Mitte l.) und seinen Rivalen<br />
Welser (Holger Hauer, Mitte r.)<br />
Fotos (3): Jan-Pieter Fuhr<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
11
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Abb. oben:<br />
Tochter Sibylla (Katharina Wollmann)<br />
beginnt, sich gegen ihre Mutter (Roberta<br />
Valentini) aufzulehnen<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Geld oder Liebe? Am Ende seines Lebens<br />
zieht Fugger (Chris Murray) Bilanz!<br />
2. Rauf aufs Narrenschiff<br />
3. Die Herolde (v.l.: Thomas Zigon,<br />
Florian Koller, Edward Roland Serban,<br />
Christian Bock) bringen News vom<br />
Kaiserhof<br />
Fotos (4): Jan-Pieter Fuhr<br />
sicalgäste auf der Besetzungsliste zu einer homogenen<br />
Einheit zusammenschweißt und mit ihnen zur großen<br />
Auseinandersetzung zwischen Fugger und Welser ein<br />
ausgeklügeltes Schachspiel inszeniert, dessen Grundidee<br />
zwar auf der <strong>Musical</strong>bühne auch nicht unbedingt neu<br />
ist, aber doch genügend kreative Ideen mitbringt, um<br />
der Szene einen eigenen Twist zu geben.<br />
Ein Sonderlob gebührt ebenfalls Karel Spanhak,<br />
dessen stimmungsvoll ausgeleuchtetes Bühnenbild<br />
sich nahtlos in die bestehende Architektur der alten Bastion<br />
schmiegt und mit einer kleinen Drehbühne flüssige<br />
Übergänge zwischen Außen- und Innenräumen zulässt.<br />
Und selbst die sonst oft illusionszerstörenden<br />
Lautsprecher sind bei ihm geschickt kaschiert, ohne<br />
dass man dadurch akustische Einbußen in Kauf nehmen<br />
müsste. Ganz im Gegenteil, auch die Tonabteilung<br />
holt diesmal alles raus, was unter freiem Himmel<br />
eben machbar ist.<br />
So kann man sich entspannt zurücklehnen und<br />
ungestört auf die zwei größten Pluspunkte dieser Produktion<br />
konzentrieren: Waren mit Chris Murray und<br />
Roberta Valentini in den Hauptrollen doch zwei prominente<br />
Namen aufgeboten, mit denen man mehr als<br />
einen Fan nach Augsburg gelockt haben dürfte. Enttäuscht<br />
wird keiner von ihnen die Aufführung verlassen<br />
haben. Denn allein das zu Herzen gehende Porträt<br />
der zwischen Liebe und Pflicht zerrissenen Sibylla, das<br />
Valentini abliefert, ist jeden Cent des Eintrittsgeldes<br />
wert. Schon in der auf den ersten Blick noch unbeschwerten<br />
Begegnung mit Jakob ist ihr anzumerken,<br />
dass ihr die große Beichte bereits auf den Lippen liegt.<br />
Dass dann ausgerechnet während ihrer großen tragischen<br />
Selbstbeichte im zweiten Akt ein entscheidendes<br />
WM-Tor fällt, das in der Kneipe ums Eck heftig bejubelt<br />
wird, ist Pech. Aber ein Profi wie sie steckt selbst das<br />
weg wie nichts. Diese Souveränität muss sich Katharina<br />
Wollmann als Sibylla jr. noch etwas erarbeiten, die gerade<br />
im Duett zwischen Mutter und Tochter (›Mein Leben<br />
und Dein Glück‹) manchmal ein wenig ins Hintertreffen<br />
gerät. Wobei man fairerweise zugestehen muss,<br />
dass die Autoren ihr nicht allzu viel Gelegenheit geben,<br />
einen Charakter mit mehr als zwei Dimensionen zu formen.<br />
Ein Schicksal, das sie mit Thaisen Rusch als Luther<br />
und Elke Kottmair als Mutter Fugger teilt, von denen<br />
man gerne mehr gehört hätte. Deutlich mehr wird im<br />
Vergleich dazu Chris Murray abverlangt, der Jakob Fugger<br />
von der Jugend bis ins hohe Alter verkörpern muss<br />
und diese Herausforderung auch gesanglich mit erstaunlicher<br />
Wandlungsfähigkeit meistert. Dass Murray<br />
über Stimmbänder aus Stahl und nahezu endlose Atemreserven<br />
verfügt, dürfte nichts Neues sein, doch gerade<br />
im Duett mit Valentini bzw. Kottmair trotzen ihm seine<br />
Partnerinnen hier immer wieder Facetten ab, die man<br />
so nicht in jeder Rolle von ihm zu hören bekommt.<br />
Was einen am Ende des Tages dann auch darüber hinwegtröstet,<br />
dass die Geschichte mit ihrer Mischung aus<br />
historischer Wahrheit und rührseliger Fiktion unterm<br />
Strich oft ein wenig zu konstruiert wirkt.<br />
Tobias Hell<br />
12<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Frühlingsgefühle und erwachende Leidenschaft<br />
»Frühlings Erwachen« am Theater Bielefeld<br />
Wendla (Michaela Duhme) und Melchior (Benedikt Ivo) haben Schmetterlinge<br />
im Bauch<br />
Die Schüler, angeführt von Melchior<br />
(Benedikt Ivo, vorne), proben den<br />
Aufstand gegen die Erwachsenen<br />
Fotos (3): Bettina Stöß<br />
Das 130 Jahre alte Skandalstück von Frank Wedekind,<br />
»Frühlings Erwachen«, adaptierten Duncan<br />
Sheik (Musik) und Steven Sater (Buch und Liedtexte)<br />
2006 als Rock-<strong>Musical</strong> über die pubertären Sehnsüchte,<br />
sexuelle Neugier und Versagensängste jugendlicher<br />
Schüler im ewigen Konflikt mit den erwachsenen Autoritätspersonen:<br />
Eltern und Lehrern.<br />
Christian Müller wagte es, bei seiner Inszenierung<br />
für das Theater Bielefeld, die am <strong>18</strong>. Mai 20<strong>18</strong> Premiere<br />
feierte, neben den ausgebildeten <strong>Musical</strong>darstellern in<br />
den Hauptrollen alle weiteren Charaktere mit jungen<br />
Talenten aus der Bielefelder Region zu besetzen, die ein<br />
authentisches Gefühl für ihre Rollen einbringen sollten.<br />
Michaela Duhme (»Avenue Q« und »John und Jen«,<br />
Bielefeld) spielt die unaufgeklärte Wendla, die erst durch<br />
ihren Freund Melchior (Benedikt Ivo – »Bonnie & Clyde«,<br />
Bielefeld) im praktischen Selbstversuch erfährt, wie<br />
Kinder gemacht werden, und von ihrer konservativen<br />
Mutter (Melanie Kreuter: »Hochzeit mit Hindernissen«,<br />
Bielefeld) zur lebensbedrohlichen Abtreibung gedrängt<br />
wird. Moritz (Marvin Kobus Schütt: »Goethe – Auf<br />
Liebe und Tod«, Essen) hingegen treibt die Angst, von<br />
Direktor Knochenbruch (Martin Christoph Rönnebeck:<br />
»Das Phantom der Oper«, Hamburg) nicht in die nächste<br />
Klasse versetzt zu werden, in den Selbstmord.<br />
Neben diesen fünf hauptberuflichen Schauspielern<br />
machen die weiteren neun Amateure auf der Bühne eine<br />
erstaunlich gute Figur, sei es bei der flotten Choreographie<br />
von Isabelle von Gatterburg oder beim Gesang der<br />
abwechslungsreichen Partitur, die durch die achtköpfige<br />
Band unter der versierten Leitung von William Ward<br />
Murta kraftvoll aus dem Orchestergraben erschallt.<br />
Während das gesamte Ensemble eine überzeugend solide<br />
und bestens unterhaltende Leistung hinlegt, darf<br />
der Zuschauer etwas länger über die Inszenierung selbst<br />
nachsinnen. Das Stück spielt in Deutschland im Jahr<br />
<strong>18</strong>91 – zwar haben sich viele Probleme mit dem Erwachsenwerden<br />
in den letzten 100 Jahren kaum verändert, in<br />
der heutigen Zeit gehen wir aber trotzdem anders mit<br />
ihnen um. Mit Internet und Fernsehen erscheint die<br />
Naivität Wendlas beim Ohrwurm ›Mama‹ heute praktisch<br />
undenkbar und auch eine Abtreibung endet in der<br />
Neuzeit selten tödlich. Wedekinds Drama kann nicht<br />
komplett ins Hier und Jetzt transformiert werden, sondern<br />
bleibt in seiner Zeit verankert. Das <strong>Musical</strong> will<br />
trotzdem aktuell und zeitlos sein und schafft dies mit<br />
masturbierenden Jungs, Mobbing in der Schule, erotischen<br />
Gewalt-Phantasien und einem glücklichen, homosexuellen<br />
Pärchen. Die Sprache der Jugendlichen in<br />
der deutschen Übersetzung von Nina Schneider ist mit<br />
einigen Kraftausdrücken sehr modern (›So'n verficktes<br />
Leben‹, ›Völlig im Arsch‹). Die Bühne von Zahava Rodrigo<br />
beherrscht ein schräger, rechteckiger und steril wirkender<br />
Aufbau, der multifunktional genutzt wird, auch<br />
um Videoprojektionen von Dennis Böddicker und Lena<br />
Thimm einzusetzen. Alle Jugendlichen tragen moderne<br />
Klamotten und Sportschuhe, während die Erwachsenen<br />
in die strenge Mode des letzten Jahrtausends gepresst<br />
sind, abgesehen von glänzenden Plateauschuhen und<br />
anonymisierenden Clownsmasken frei nach Stephen<br />
Kings Horrorfilm »Es«, was der Tatsache geschuldet ist,<br />
dass die zwei Erwachsenen-Darsteller in insgesamt 14<br />
Rollen schlüpfen.<br />
Somit fühlt sich »Frühlings Erwachen« in Bielefeld<br />
wie eine modern inszenierte Oper mit dem Konflikt<br />
einer historisch verankerten Geschichte in ultra-modernem<br />
Gewand an. Wie weit dies den persönlichen<br />
Geschmack trifft, muss jeder Zuschauer selbst beurteilen.<br />
<strong>Musical</strong>-Liebhaber schätzen die kraftvollen Hits<br />
der Show, die längst kein Geheimtipp mehr sind und<br />
schon deshalb einen Besuch am Stadttheater Bielefeld<br />
lohnenswert machen.<br />
Stephan Drewianka<br />
Im Hormonchaos<br />
von Georg (Paul<br />
Erik Haverland)<br />
wird selbst die<br />
Klavierlehrerin<br />
(Melanie Kreuter)<br />
zum Objekt der<br />
Begierde<br />
Frühlings Erwachen<br />
(Spring Awakening)<br />
Duncan Sheik / Steven Sater<br />
Deutsch von Nina Schneider<br />
Theater Bielefeld<br />
Stadttheater<br />
Premiere: <strong>18</strong>. Mai 20<strong>18</strong><br />
Regie ......................... Christian Müller<br />
Musik. Leitung .... William Ward Murta<br />
Choreographie ................. Isabelle von<br />
Gatterburg<br />
Kampftraining .... Benjamin Armbruster<br />
Ausstattung ................ Zahava Rodrigo<br />
Video .................. Dennis Böddicker &<br />
Lena Thimm<br />
Dramaturgie .... Jón Philipp von Linden<br />
Wendla .................... Michaela Duhme<br />
Melchior ......................... Benedikt Ivo<br />
Moritz ................. Marvin Kobus Schütt<br />
Erwachsene ................ Melanie Kreuter<br />
Erwachsener ............. Martin Christoph<br />
Rönnebeck<br />
Martha ............................. Simone Rau<br />
Ilse .................................... Anja David<br />
Anna ................................ Silja Erdsiek<br />
Marianne ................... Adele Heinrichs<br />
Thea .......................... Ann-Kathrin Veit<br />
Georg .................. Paul Erik Haverland<br />
Otto ........................... Nick Westbrock<br />
Hänschen....................... Elian Latussek<br />
Ernst ................................. Nico Nefian<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
13
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
We Built This City On Rock'n'Roll<br />
Deutschsprachige Erstaufführung von »Rock of Ages« in Ulm<br />
Abschiedskuss? Oder womöglich doch noch ein Happy End für Sherrie (Navina Heyne) und Drew (Sascha Lien)?<br />
Foto: Jean-Marc Turmes<br />
Rock of Ages<br />
Diverse Komponisten / Chris D'Arienzo<br />
Deutsch von Holger Hauer<br />
Theater Ulm – Großes Haus<br />
Deutschsprachige Erstaufführung:<br />
7. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie ............................. Arthur Castro<br />
Musikalische Leitung ..... Ariane Müller<br />
Arrangements &<br />
Orchestrierung .................. Ethan Popp<br />
Choreographie ......... Damien Nazabal<br />
Ausstattung ................. Britta Lammers<br />
Licht ............................... Marcus Denk<br />
Video ...................... flora&faunavision<br />
Drew Boley ....................... Sascha Lien<br />
Sherrie Christian .......... Navina Heyne<br />
Stacee Jaxx / Vater ..... Thomas Borchert<br />
Lonny Barnett /<br />
Mann von Schallplattenfirma 1 .................<br />
Henrik Wager<br />
Dennis Dupree .... Andreas von Studnitz<br />
Hertz Klineman ......... Gunther Nickles<br />
Franz Klineman ................ John Davies<br />
Bürgermeister /<br />
Ja'Keith Gill ................. Johnny Warrior<br />
Justice Charlier / Mutter .... Christina Fry<br />
Regina .............................. Maren Kern<br />
Schmieriger Produzent .........................<br />
Timo Ben Schöfer<br />
Joey Primo ................. Benedikt Paulun<br />
Constance ...................... Julia Baukus /<br />
Nilufar K. Münzing<br />
Kellnerin / Sängerin /<br />
Tänzerin ........ Wiebke Isabella Neulist<br />
Sängerin & Tänzerin ......... Ines Becher,<br />
Catherine Chikosi, Marina Granchette<br />
Ballettcompagnie des Theaters Ulm<br />
Ariane-Müller-Band feat. Yasi Hofer<br />
Nennen wir die Sache ruhig einmal beim Namen:<br />
Jukebox-<strong>Musical</strong>s sind in der Regel oft wenig mehr<br />
als Edeltrash. Das liegt schon in der Natur der Sache,<br />
wenn man eine möglichst massenkompatible Story mit<br />
Potenzial für einen Sat.1-Sonntags-Film durch eine<br />
Reihe von altbekannten Hits unterfüttert, die bereits<br />
vor dem Heben des Vorhangs 90% des Publikums textsicher<br />
mitgrölen könnten. Grundsätzlich ist daran auch<br />
gar nichts Verwerfliches, solange sich die Macher dessen<br />
bewusst sind und den Spaßfaktor mit reichlich Selbstironie<br />
aufpolstern. Man denke etwa an den im nüchternen<br />
Zustand kaum ernst zu nehmenden Plot von »We<br />
Will Rock You« oder die Schlaghosen-Warnhinweise vor<br />
»Mamma Mia!«-Aufführungen. In genau diese augenzwinkernde<br />
Kategorie der Spaß-<strong>Musical</strong>s fällt auch das<br />
2008 in New York herausgekommene »Rock of Ages«,<br />
für das Autor Chris D'Arienzo sich einmal quer durch<br />
die Perlen des Classic Rock gewühlt hat. Wobei ausgerechnet<br />
der für den Titel verantwortliche Song von Def<br />
Leppard am Ende gar nicht im Stück auftaucht, da die<br />
Band die Rechte hierfür nicht freigeben wollte.<br />
Fans bzw. Kinder der 1980er werden es gnädig<br />
verzeihen. Bleiben doch auch so noch genügend Hits<br />
übrig, um das Ulmer Theater nach der deutschsprachigen<br />
Erstaufführung mit mehr als nur einem fetzigen<br />
Ohrwurm von »Twisted Sister«, »Whitesnake«, »Bon<br />
Jovi« oder »Pat Benatar« zu verlassen. Und das tröstet<br />
letztlich auch über so manchen szenischen Leerlauf hinweg,<br />
den Regisseur Arthur Castro in den zweieinhalb<br />
Stunden zuvor zu verantworten hat. Denn wenn selbst<br />
ein erfahrener Darsteller wie Thomas Borchert, der hier<br />
mit gewohnt starker Bühnenpräsenz und gestählten<br />
Stimmbändern den egomanischen Rockstar Stacee Jaxx<br />
gibt, zuweilen etwas verloren und permanent unterfordert<br />
wirkt, dann läuft definitiv etwas falsch. Alles, was<br />
auch im Stück selbst als reiner Bandauftritt gedacht<br />
ist, funktioniert dabei noch ganz gut. Denn wie man<br />
eine gute Shownummer inszeniert, weiß Castro durchaus.<br />
Nur ist »Rock of Ages« am Ende des Tages zwar<br />
Jukebox-Show, aber eben leider doch keine reine Revue.<br />
Schließlich taucht hier mehr als ein Song auf, der<br />
die Handlung auch mal vorantreiben sollte oder, besser<br />
gesagt, vorantreiben müsste. Auch in diesen Momenten<br />
spielt sich bei Castro einfach zu vieles nur frontal<br />
an der Rampe ab, während es das Ballett-Ensemble im<br />
Hintergrund irgendwie richten und für Bewegung auf<br />
der Bühne sorgen soll. Was vielleicht sogar funktionieren<br />
könnte, wenn Choreograph Damien Nazabal sich<br />
etwas mehr vom Vokabular des Modern Dance lösen<br />
und seine Tänzer richtig rocken lassen würde.<br />
Die oft schleppenden Übergänge zwischen den Szenen<br />
tun schließlich ihr Übriges, um die bei den Songs<br />
regelmäßig hochkochende Stimmung meist schnell<br />
wieder abzukühlen und dem Stück seinen Rhythmus<br />
auszutreiben. Vor allem die Wechsel in den Stripclub<br />
von Puffmutter Justice, der wiederholt im Schneckentempo<br />
aus der Unterbühne nach oben fährt und ebenso<br />
behäbig wieder versinkt, dauert jedes Mal wieder eine<br />
gefühlte Ewigkeit und hätte sich im detailreich gestalteten<br />
Bühnenbild von Britta Lammers – die es am Rest<br />
des Abends oft bei dezenten, aber durchaus wirksamen<br />
Andeutungen von neuen Räumen belässt – weitaus weniger<br />
kompliziert lösen lassen.<br />
Ein deutlich sichereres Händchen hatte man zum<br />
Glück bei der Besetzungsliste, für die einige klangvolle<br />
Namen der deutschen <strong>Musical</strong>szene nach Ulm verpflichtet<br />
wurden. Die Krone des Abends geht da ohne Zweifel<br />
an Henrik Wager. Er zeichnet als Altrocker Lonny für<br />
14<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
die meisten Lacher verantwortlich, wenn er als Erzähler<br />
immer wieder ironisch die vierte Wand durchbricht<br />
und das Publikum zur rechten Zeit daran erinnert, dass<br />
man sich hier schließlich in einem <strong>Musical</strong> befindet, wo<br />
die Dinge nicht immer zwangsläufig den Gesetzen der<br />
Logik folgen müssen. Wager spielt das einfach großartig<br />
und bringt genau jenes dringend benötigte Augenzwinkern<br />
mit, das einige seiner Kolleginnen und Kollegen,<br />
vor allem aber der Regisseur allzu oft vermissen lassen.<br />
Notiz für künftige deutsche Stadttheater-Produktionen:<br />
Bitte nicht nach existenziellen Dramen oder sozialkritischen<br />
Aspekten schürfen, um den <strong>Musical</strong>-skeptischen<br />
Kritikern zu gefallen. Bei diesem Stück hilft wirklich<br />
nur eines: die Flucht nach vorne!<br />
Die relativ übersichtliche Handlung spielt überwiegend<br />
in einem kalifornischen Kult-Club der 1980er.<br />
Drew, ein sympathischer Junge aus der Provinz, will in<br />
L.A. als Rocker durchstarten, muss sich aber vorläufig<br />
noch damit begnügen, den etablierten Stars und Idolen<br />
die leeren Bierflaschen hinterher zu räumen, bis eines<br />
Tages endlich die große Chance kommt. Auf solch eine<br />
Gelegenheit hofft auch Landei Sherrie, die ihrerseits<br />
wiederum von der Hollywood-Karriere träumt, aber<br />
genau wie Drew feststellen muss, dass »die Träume, mit<br />
denen man nach L.A. kommt, nicht immer dieselben<br />
sind, mit denen man die Stadt wieder verlässt.« Gerade<br />
darin liegt übrigens auch eine der Stärken von Chris<br />
D'Arienzos Buch. Dass es zwar von Klischees nur so<br />
wimmelt, diese aber zuweilen auch eine etwas unerwartete<br />
Wendung nehmen können.<br />
Wie wir aus den Marvel-Filmen gelernt haben, ist<br />
jede Geschichte letzten Endes aber auch immer nur so<br />
gut wie ihr Gegenspieler. Der hört hier auf den Namen<br />
Hertz Klineman und ist ein skrupelloser Unternehmer,<br />
der für ein neues Bauprojekt gleich eine ganze Reihe<br />
von traditionsreichen Musikclubs plattmachen möchte<br />
und nebenbei auch seinen weichherzigen Sohn Franz<br />
permanent unter Druck setzt. Sprich, ein echter Bilderbuchfiesling,<br />
dessen finstere Seite von Gunther Nickles<br />
in bester Camp-Manier lustvoll ausgekostet wird. Zumal<br />
er als Leihgabe aus dem Schauspielensemble des Hauses<br />
durchaus auch gesanglich neben den <strong>Musical</strong>-Gästen bestehen<br />
kann. Dass die Szenen zwischen Vater und Sohn,<br />
die im Original mehr als ein deutsches Klischee bedienen,<br />
auf heimatlichem Boden nur bedingt funktionieren, liegt<br />
dabei weniger an der erstaunlich pointensicheren Übersetzung<br />
von Holger Hauer, sondern eher an der Chemie<br />
zwischen den Darstellern. Wirken Nickles und »sein«<br />
Junior John Davies doch in Kostüm und Maske eher<br />
wie Brüder, was die Dynamik entscheidend ändert. Und<br />
so punktet John Davies als verklemmter Franz eher mit<br />
seinem Solo ›Hit Me With Your Best Shot‹, für das er<br />
hier noch einmal seine Rollschuherfahrungen aus »Starlight<br />
Express«-Tagen reaktivieren darf.<br />
Keine Wünsche offen lässt dagegen Sascha Lien als<br />
Drew. Bringt er doch nicht nur eine ordentliche Rockröhre<br />
mit, sondern ebenso eine sympathische Bühnenausstrahlung,<br />
die es leicht macht, den seinen Träumen<br />
hinterherjagenden Nachwuchsmusiker sofort ins Herz<br />
zu schließen. Ein Junge voller Ambitionen, dem es trotz<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Franz (John Davies, l.) und sein Vater<br />
(Gunther Nickles, 2.vl.) unterbreiten dem<br />
Bürgermeister (Johnny Warrior, 2.v.r.)<br />
ihre Pläne<br />
2. Lonny (Henrik Wager, l.) und Dennis<br />
(Andreas von Studnitz, r.) erklären Drew<br />
(Sascha Lien), wie der Hase läuft<br />
3. Die Zukunft sieht nicht rosig aus für<br />
Dennis (Andreas von Studnitz, l.) und<br />
Lonny (Henrik Wager, r.)<br />
4. Drew (Sascha Lien) ist not amused,<br />
dass ihn Manager Ja'Keith Gill (Johnny<br />
Warrior) zum Boyband-Star umstylen<br />
möchte<br />
Fotos (4): Jean-Marc Turmes<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Yasi Hofer sorgt zusammen mit der<br />
Ariane Müller Band für den rechten<br />
Rock-Sound<br />
2. Einen Fan hat Möchtegern-Rocker<br />
Drew (Sascha Lien) schon mal gefunden:<br />
Sherrie (Navina Heyne)<br />
3. Irgendwie hatte sich Sherrie (Navina<br />
Heyne) die Begegnung mit Stacee Jaxx<br />
(Thomas Borchert) anders vorgestellt<br />
4. Stacee Jaxx (Thomas Borchert), ein<br />
Rockstar aus dem (Klischee-)Bilderbuch<br />
Fotos (4): Jean-Marc Turmes<br />
großer Klappe abseits der Bühne aber auch schnell die<br />
Sprache verschlägt, wenn auf einmal die Liebe seines Lebens<br />
vor ihm steht. Ebenso unbezahlbar der beschämte<br />
Gesichtsausdruck, nachdem ihn sein findiger Manager<br />
Ja'Keith kurzerhand zum Boyband-Teenie-Schwarm<br />
umzustylen versucht. Ein Experiment, das zum Glück<br />
ebenso zum Scheitern verurteilt ist wie Sherries Zweitkarriere<br />
als »exotische Tänzerin«. Wobei, so gekonnt<br />
ungeschickt wie Navina Heyne muss man sich auch<br />
erst einmal um eine Poledance-Stange wickeln können.<br />
Mehr als eine Dame im Publikum dürfte da Sympathien<br />
entdecken, wenn Sherrie dem gedankenlosen Stacee<br />
endlich eine verpassen darf, nachdem er ihr diesen Job<br />
eingebrockt hat. Kein Wunder, dass sie ihre stärksten<br />
Momente vor allem hier im Dialog mit der stimmgewaltigen<br />
Christina Fry hat, die ein gefühlvolles ›Every Rose<br />
Has Its Thorn‹ intonieren darf. Wirkliches Entwicklungspotenzial<br />
bekommt aber auch sie darüber hinaus<br />
nur selten. Das liegt, wie schon erwähnt, in der Natur<br />
des Stücks, dessen Hauptziel es ist, einfach möglichst<br />
viele Hits in möglichst kurzer Zeit abzuwickeln.<br />
Während es einigen – wie zum Beispiel Henrik<br />
Wager oder Gunther Nickles – hervorragend gelingt,<br />
aus dieser Not eine Tugend zu machen, streben andere<br />
hingegen nach Tiefe. So etwa Intendant Andreas von<br />
Studnitz, der sich zum Ende seiner Amtszeit als Clubbesitzer<br />
Dennis Dupree auch auf der Bühne von seinem<br />
Publikum verabschiedet, mit seiner spannungsarmen<br />
und weitgehend spaßbefreiten Interpretation des<br />
Rock-Gurus aber leider vollkommen fehlbesetzt wirkt.<br />
Schlimmer noch, er weckt zum Teil eher traurige Erinnerungen<br />
an Ozzy Osbournes Karriereherbst als planloser,<br />
von seiner Familie hin- und hergeschobener Doku-<br />
Soap-Star. Mit dem Unterschied, dass dieser deutlich<br />
mehr Power in der Kehle hatte, während Studnitz bei<br />
›Can't Fight This Feeling‹ neben einem gestandenen<br />
Sänger wie Henrik Wager leider hoffnungslos untergeht.<br />
Hier zeigt sich, dass »Rock of Ages« vielleicht doch<br />
nicht hundertprozentig stadttheaterkompatibel ist.<br />
Zumindest nicht, wenn das hauseigene Schauspiel-,<br />
Opern- oder Ballettensemble mitbeschäftigt werden<br />
muss. Denn für manche Stücke sollte das Gästebudget<br />
besser etwas aufgestockt werden. Immerhin leistet man<br />
sich wieder einmal die Mitwirkung der Ariane Müller<br />
Band, am Theater Ulm schon länger ein Erfolgsgarant<br />
im Genre <strong>Musical</strong> und zum Glück auch hier wieder<br />
einmal ein Pfund, mit dem sich gerne wuchern lässt.<br />
Tragen Müllers Truppe und die virtuos in die Saiten<br />
greifende Gitarristin Yasi Hofer mit ihrer mitreißenden<br />
Energie doch maßgeblich dazu bei, dass es die Zuschauer<br />
beim abschließenden »Journey«-Klassiker ›Don't Stop<br />
Believin'‹ endgültig nicht mehr auf den Sitzen hält.<br />
Egal, ob man sich dabei nun an seine eigene zerkratzte<br />
Vinyl-Single von anno dazumal zurückerinnert oder an<br />
die Jungs und Mädels von »Glee«, die den Song im Jahr<br />
der Broadwaypremiere von »Rock of Ages« zurück in die<br />
Download-Charts katapultierten. Mag die Show auch<br />
großzügig die Nostalgiekarte ausspielen, für den Spaß<br />
an der Musik gibt es keine Altersgrenze.<br />
Tobias Hell<br />
16<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Langweiliger Urlaub am Wolfgangsee<br />
»Im weißen Rössl« am Renaissance Theater Berlin<br />
Ja, im Salzkammergut, da ka'mer gut lustig sein.« In<br />
der Tat ist Ralph Benatzkys »Im weißen Rössl« eins<br />
der meistgespielten Singspiele. Eine modernere, der Zeit<br />
angepasste Inszenierung hätte es daher verdient, doch<br />
gelingt das Regisseur Torsten Fischer mitsamt weiterem<br />
Kreativteam nicht so recht. Das »Rössl« wird zur reinen<br />
Farce und der Urlaub im Gasthaus zur Geduldsprobe.<br />
Das Bühnenbild (Ausstattung: Herbert Schäfer &<br />
Vasilis Triantafillopoulos) ist noch ansehnlich, geschickt<br />
gelöst und nutzt den kleinen Raum gut aus: Die Holzvertäfelungen<br />
passen zum Gasthausambiente, auch das<br />
Inventar ist mit rustikalen Holzbänken der österreichischen<br />
Gasthauskultur entlehnt. Jesus-Kreuz, Hirschgeweih<br />
fehlen ebenso wenig wie ein Bilderrahmen mit dem<br />
Kaiser-Abbild darin und Nationalflaggen. Der Eingang<br />
zum Gasthaus befindet sich im Hintergrund der Bühne<br />
in Form einer Drehtür aus Glas, was sehr modern anmutet,<br />
doch witzige Auftritte sowie Abgänge der Darsteller<br />
ermöglicht. Über der Drehtür zeigt eine Holzvorrichtung<br />
als Balkon eines Zimmers Landschaftsprojektionen<br />
und eine animierte Seelandschaft – der Wolfgangsee im<br />
Salzkammergut. Die Band ist mal im Hintergrund, mal<br />
auf der linken Seite in das Bühnenbild integriert. Unter<br />
musikalischer Leitung von Harry Ermer werden auch<br />
zeitgenössischere Komponisten angespielt (Falco, Edvard<br />
Griegs ›Morgenstimmung‹, »Cabaret«). Leider ist<br />
der Ton (Maximilian S. Engel, auch für Videoprojektion<br />
verantwortlich) in dem kleinen Theater ohne akustische<br />
Verstärkung zu leise.<br />
Der Kontrast zwischen Gastwirtschaft und Besuchern<br />
ist bei den Kostümen von Bettina Gawronsky<br />
deutlich: Das Personal trägt traditionell vom Dirndl<br />
über Lederhose bis Kellnerdress in elegantem Schwarz<br />
mit weinroter Schürze, die Kleidung der »Rössl«-Gäste<br />
ist zeitgemäßer: der Berliner Giesecke in schwarzer Lederjacke<br />
(und mit einem witzigen Auftritt als Lederhosen-Verschnitt),<br />
Tochter Ottilie in Sommerkleid oder Jeans<br />
und T-Shirt. Siedler tritt im Fahrradtour-Look auf, später<br />
trägt dieser schicke Anzüge (und auch mal fast gar nichts).<br />
Sülzheimer präsentiert sich als Modegeck in rotem Jackett<br />
und Anzughose (freizügiger in der Badeszene).<br />
Trotz klischeehaft ländlicher Idylle kommt kein<br />
Urlaubsgefühl auf. Und keine Spannung bei der altbekannten<br />
Handlung. Einzig die Szene mit heruntergefahrenem<br />
Baumstamm zwischen den Fabrikanten Giesecke<br />
und Siedler lässt erahnen, was man aus dem Stück hätte<br />
machen können.<br />
Leider überzeugt auch die Darstellung der Rollen,<br />
die teilweise zu sehr ins Lächerliche gerät, nicht. Winnie<br />
Böwe als Josepha Vogelhuber wirkt etwas jung, überzeugt<br />
im Schauspiel jedoch mit leicht rohem Charme,<br />
aber auch Sanftmütigkeit. Zahlkellner Leopold wird von<br />
Andreas Bieber mit Charme verkörpert. Er überzeugt,<br />
ob er Josepha anbetet oder sich von Herrn Dr. Siedler in<br />
seinen Träumen beleidigt und bedroht zeigt. Gesanglich<br />
bieten Bieber und Böwe die besten Leistungen. Boris<br />
Aljinović hat als Giesecke durch das Berlinerische und<br />
die typische Berliner Schnauze die Sympathien des Publikums<br />
zurecht schnell auf seiner Seite.<br />
Die restliche Besetzung wirkt eher schräg: Annemarie<br />
Brüntjen als Gieseckes Tochter ist ein schüchtern aufgeregtes<br />
Mädchen, aber ohne Charme. Weshalb sollte sie<br />
sich in den viel älteren und eingebildeten Dr. Siedler<br />
(Tonio Arango) verlieben? Und muss eine Szene einzig<br />
mit Penis- und Knieschonern nach der Nacht im blauen<br />
Zelt wirklich sein? Ebenso peinlich ist der Gag, wenn<br />
Ralph Morgenstern als Sülzheimer, weder schön noch<br />
dank schleimiger Persönlichkeit sympathisch, dem Klärchen<br />
seine Glatze entblößt und das Brusthaar-Toupet in<br />
seine Badehose steckt. Nadine Schori als Klärchen sollte<br />
eine Sympathieträgerin sein, stellt sich aber eher dumm<br />
und ihr Lispeln wird ausgereizt. Licht ins Besetzungsdunkel<br />
bringt Walter Kreye, der als Kaiser Franz Joseph<br />
gediegen und beruhigend wirkt. Angelika Milster zieht<br />
ihre Friedlichkeits-Nummer ab und jodelt ständig. Sie<br />
zeigt zwar ihre gute Stimme, aber wen singt sie mit »Eine<br />
Kuh so wie du« überhaupt an? Die muhenden Darsteller?<br />
Dem kleinen Theater fehlt der Platz für ein größeres<br />
Ensemble, das aber für ein Stück wie »Im weißen Rössl«<br />
nötig wäre, um auch kleinere Rollen zu besetzen.<br />
Eine optimale Besetzung, ergreifendere Personenregie<br />
und moderne Choreographien wären wünschenswert.<br />
»Im weißen Rössl« im Renaissance Theater Berlin<br />
ist keine Kritik an deutscher und österreichischer Kultur<br />
beziehungsweise Tourismus, sondern ein versuchtmodernes<br />
Possenspiel.<br />
Rosalie Rosenbusch<br />
Abb. links:<br />
Das zukünftige Traumpaar des<br />
»Weißen Rössl«: Josepha Vogelhuber<br />
(Winnie Böwe) und Leopold Brandmeyer<br />
(Andreas Bieber)<br />
Foto: Barbara Braun / drama-berlin.de<br />
Im weißen Rössl<br />
Ralph Benatzky / Robert Gilbert /<br />
Bruno Granichstaedten / Robert Stolz /<br />
Hans Müller / Erik Charell<br />
Renaissance Theater Berlin<br />
Premiere: 30. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie ........................... Torsten Fischer<br />
Musik. Leitung ................. Harry Ermer<br />
Choreographie .... Karl Alfred Schreiner<br />
Ausstattung............. Herbert Schäfer &<br />
Vasilis Triantafillopoulos<br />
Kostüme ................ Bettina Gawronsky<br />
Maske ................. Ulrike Göbel-Linder<br />
Licht ............................. Gerhard Littau<br />
Ton & Video ......... Maximilian S. Engel<br />
Josepha Vogelhuber ........ Winnie Böwe<br />
Leopold Brandmeyer .... Andreas Bieber<br />
Wilhelm Giesecke /<br />
Stubenmädchen............ Boris Aljinović<br />
Ottilie /<br />
Stubenmädchen .... Annemarie Brüntjen<br />
Dr. Otto Siedler / Piccolo /<br />
Bräutigam....................... Tonio Arango<br />
Sigismund Sülzheimer /<br />
Kellner Franz ........ Ralph Morgenstern<br />
Kaiser Franz Joseph /<br />
Prof. Dr. Hinzelmann ......... Walter Kreye<br />
Klärchen /<br />
Stubenmädchen ............ Nadine Schori<br />
Briefträgerin / Fräulein Weghalter /<br />
Braut .......................... Angelika Milster<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
17
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Papa auf dem Abstellgleis: Generalüberholung<br />
bei Bochums »Starlight Express«<br />
30-jähriges <strong>Musical</strong>-Jubiläum und Premiere der neuen Version<br />
Abb. oben:<br />
›Rolling Stock‹: Bei Greaseball<br />
(Ben Carruthers) landet mancher Wagen<br />
schnell auf dem Abstellgleis – und<br />
trotzdem liegen dem Rock'n'Roller alle<br />
Damenherzen zu Füßen<br />
Foto: Jens Hauer<br />
In der 30-jährigen Erfolgsgeschichte des Bochumer<br />
»Starlight Express« erlebte das <strong>Musical</strong> seit der<br />
Deutschlandpremiere am 12. Juni 1988 schon einige<br />
Überarbeitungen, um nach so vielen Jahren immer<br />
noch modern und auf dem neuesten Stand der Technik<br />
zu bleiben. Mit den Jahren wurden die Kostüme von<br />
Electra immer imposanter, Greaseball bekam Raketenantrieb,<br />
Pearls rosa Haare wurden wie Zuckerwatte immer<br />
länger bis weit unter die Po-Linie und die Show<br />
wurde mit zwei Stunt-Skatern noch spektakulärer und<br />
rasanter. Seit 2010 führen Rollschuhbahnen direkt an<br />
den 360°-Panorama-Sesseln vorbei quer durchs Parkett<br />
und die Show wurde von der Hauptbühne weg mitten<br />
ins Publikum verlagert. Musikalisch mussten einige sehr<br />
beliebte Songs weichen und wurden durch neue ersetzt,<br />
zum Beispiel wechselte das Liebesduett zwischen Rusty<br />
und Pearl von ›Du Allein‹ zu ›Allein im Licht der Sterne‹<br />
über ›Nur mit ihm‹ bis zum immer noch aktuellen Song<br />
›Für immer‹, den Andrew Lloyd Webbers Sohn Alastair<br />
2013 zum 25. Jubiläum beisteuern durfte.<br />
Überarbeitungen sind also nichts Neues für den betagten<br />
<strong>Musical</strong>-Klassiker. Im Frühjahr begann das ehemalige<br />
Kreativteam mit Andrew Lloyd Webber (Musik),<br />
Richard Stilgoe (Buch und Liedtexte), John Napier<br />
(Kostüme, Maske, Bühnenbild) und Arlene Phillips<br />
(Regie, Choreographie), das <strong>Musical</strong> komplett umzukrempeln<br />
und neu zu definieren. Denn im Jahr 20<strong>18</strong><br />
fiel den Schöpfern des <strong>Musical</strong>s auf, dass der »Starlight<br />
Express« ein unzeitgemäßes Frauenbild zeichnet: Es gibt<br />
nur starke männliche Zugmaschinen, die den schwachen,<br />
weiblichen Waggons zeigen, wo es lang geht.<br />
Ein Waggon ohne Zug war praktisch dazu verdammt,<br />
nur dumm rumzustehen, ohne Ziel und Sinn im Leben.<br />
Textzeilen wie »Ich bin nicht G.E.K.U.P.P.E.L.T.<br />
– kann nicht kreisen auf den Gleisen« waren nach 30<br />
Dienstjahren plötzlich sexistisch und »politically incorrect«.<br />
Das Rollenprofil bestehender Charaktere sollte<br />
grundlegend überarbeitet werden und weibliche Figuren<br />
eine selbstbewusste und emanzipierte Stärkung erhalten.<br />
Mit einem Wort: Frauen sollen Züge sein und<br />
Männer dürfen sich als Waggons auch mal ziehen lassen!<br />
Soweit okay. Doch als in der Presse durchsickerte,<br />
dass die zentrale Rolle des »Papa« als Vaterfigur Rustys<br />
durch eine »Mama« ersetzt werden sollte, war die Empörung<br />
der eingefleischten <strong>Musical</strong>-Fans gewaltig. Egal,<br />
ob Männlein oder Weiblein: kein »Starlight«-Fan wollte<br />
auf »Papa« verzichten und Äußerungen wie »dann ist<br />
›Starlight‹ für mich gestorben« waren in den sozialen<br />
Medien an der Tagesordnung. Als verkündet wurde,<br />
dass weitere Rollen gestrichen werden, zweifelten die<br />
Fans ernsthaft daran, ob der »Starlight Express« wirklich<br />
noch »ihr« <strong>Musical</strong> sein würde. In der Abschiedsvorstellung<br />
am 13. Mai 20<strong>18</strong> flossen zahlreiche Tränen, denn<br />
neben Dampflok Papa landeten Rauchwaggon Ashley,<br />
Buffetwagen Buffy, Electras Geldtransporter Purse und<br />
Waffenwaggon Krupp, die Hip-Hopper Frachtwagen,<br />
der Japan-Express Hashamoto und der französische<br />
TGV Bobo endgültig auf dem Abstellgleis. Schlechte<br />
Presse bekam die neue Version weiterhin durch die Verkleinerung<br />
des Orchesters, das von über 30 Musikern<br />
im Jahr 1988 über 11 Mitglieder 2013 auf jetzt 9 Live-<br />
Künstler rationiert wurde. Ein nach 30 Jahren gekün-<br />
<strong>18</strong><br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
digter Trompeter wollte nun auf Keyboard umschulen.<br />
Das Sternenlicht in Bochum flackerte bedenklich.<br />
Die erste Preview der »neuen Version« war für den<br />
6. Juni 20<strong>18</strong> geplant, musste aber wegen technischer Sicherheitsmängel<br />
kurzfristig abgesagt werden. Einen Tag<br />
später rollte der »Starlight Express« wieder und gleich<br />
hagelte es wieder Kritik bei den Fans über die stark<br />
vereinfachten Kostüme, insbesondere bei Electra und<br />
Pearl. Und was sind denn das für neue Züge? Coco, der<br />
schnellste Unterwasserzug der Welt mit der klassischen<br />
Nummer 5, dazu ein italienischer Pizza-Express und der<br />
Zug nach Nirgendwo – Brexit. Das sind also die innovativen<br />
Neuerungen?<br />
Die Gala-Premiere am 12. Juni 20<strong>18</strong>, exakt 30 Jahre<br />
nach der Deutschlandpremiere, sollte dann beweisen,<br />
ob der neue »Starlight Express« eine lahme Bummellok<br />
oder ein crazy High-Tech-Spektakel erster Klasse mit<br />
Pfiff sein sollte. Just in time, um 19:00 Uhr huschte<br />
noch medienscheu der Ehrengast, <strong>Musical</strong>-König Sir<br />
Andrew Lloyd Webber, über den roten Teppich, der sich<br />
noch Sonntagnacht bei der Tony-Verleihung in New<br />
York mit seinen 70 Jahren einen Ehren-Tony für sein<br />
Lebenswerk abholte, danach aber alle Interview-Anfragen<br />
sausen ließ und sofort den Flieger nach »Germany«<br />
bestieg, um bei seinem »neuen« <strong>Musical</strong> am Dienstagabend<br />
persönlich anwesend zu sein. Kaum verwunderlich<br />
also, dass Produzent und Geschäftsführer der<br />
Mehr! Entertainment Maik Klokow vor Showbeginn<br />
verkündete, dass die neue »Mama« Reva Rice, die erste<br />
Pearl am Broadway 1986, einen bedauerlichen Unfall<br />
während der letzten Preview-Show am Sonntag hatte,<br />
ihren Fuß einen Tag permanent auf Eis gekühlt hatte,<br />
eigentlich nicht spielen sollte, es sich aber nicht nehmen<br />
lasse, vor Komponist Lloyd Webber aufzutreten. Um es<br />
der Mama etwas einfacher zu machen, sei das Rennen<br />
mit ihr choreographisch etwas umgestaltet worden, um<br />
Reva Rice ihren Auftritt zu ermöglichen.<br />
Und dann startete der neue »Starlight Express« zu<br />
den neu eingespielten Dialogen eines kleinen Jungen,<br />
der von seiner Mutter ermahnt wird, die Eisenbahnen<br />
Abb. oben:<br />
Coco, der schnellste Unterwasserzug der<br />
Welt (Clare Maynard) mit Schlafwagen<br />
Belle (Rochelle Sherona)<br />
Foto: Jens Hauer<br />
Mamma Mia: Alles dreht sich um Papa-Ersatz Reva Rice, die nun mit einer<br />
unglaublichen Soul-Stimme der neuen Rolle Mama sehr sympathisches<br />
Leben einhaucht<br />
Traumpaar des Abends bleiben auch in der neuen Fassung Erster-Klasse-<br />
Wagen Pearl (Georgina Hagen) und Dampflok Rusty (Blake Patrick<br />
Anderson)<br />
Bei der Neugestaltung der Kostüme musste Electra (Sjoerd van den Meer)<br />
die meisten Federn lassen<br />
Auch nicht mehr der, der er früher einmal war, ist Red Caboose (Daniel Ellison),<br />
der nun für seine Sabotage-Dienste Geld verlangt und deshalb wohl wie ein<br />
Reeperbahn-Zuhälter aussieht<br />
Fotos (4): Stephan Drewianka<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
19
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Sir Andrew Lloyd Webber (Komponist)<br />
überwachte 4 Wochen mit seinem<br />
Kreativ-Team die Proben für die neue<br />
Fassung des »Starlight Express«<br />
2. Da staunt der kleine »Control« (vorne<br />
2.v.l.) nicht schlecht: Sir Andrew Lloyd<br />
Webber bedankt sich nach der Premiere<br />
für die Spitzenleistung der Darsteller und<br />
seines Kreativteams<br />
3. Friedrich Kurz (l., mit Bruder<br />
Bernhard) gründete die Stella-Theater-<br />
Produktions-GmbH und brachte nach<br />
»Cats« auch den »Starlight Express« nach<br />
Deutschland, indem er für 24 Millionen<br />
Mark die »Starlight«-Halle exklusiv nur<br />
für das Rollschuh-<strong>Musical</strong> bauen ließ<br />
Fotos (3): Stephan Drewianka<br />
wegzulegen und endlich zu schlafen. »Control« beginnt<br />
zu träumen, die Ouvertüre in neuer Orchestrierung beginnt<br />
mit der weltberühmten Titelmelodie, die aber von<br />
den rüden Worten unterbrochen wird: »Jetzt ist Schluss<br />
mit dieser langweiligen Musik!« Da soll doch mal jemand<br />
behaupten, britische Komponisten hätten keinen<br />
Humor. Und schon geht es fetzig los mit der Vorstellung<br />
der internationalen Züge, die längst nicht mehr den<br />
Hauptteil des ersten Aktes einnimmt. Es stehen jetzt die<br />
Charaktere fokussierter im Vordergrund.<br />
Pearl (Georgina Hagen, die nach ihrer Ausbildung in<br />
London bereits von 2010-2014 zunächst Dinah, dann<br />
Pearl in Bochum verkörperte) kommt als Taschengeldintensiver<br />
Neuerwerb von »Control« neu zur bestehenden<br />
Zugsammlung hinzu und lernt Züge und Waggons<br />
kennen. Im neuen Song ›Ich bin ich‹ berichten ihre Kolleginnen<br />
Speisewagen Dinah (Rose Ouellette, »Mamma<br />
Mia!« Oberhausen, »Rocky« Stuttgart), Kofferwagen<br />
Carrie (Veronika Hammer, »Footloose« Darmstadt)<br />
und Schlafwagen Belle (Rochelle Sherona aus London<br />
in ihrer Debütrolle) dem Erste-Klasse-Wagen von ihrem<br />
Selbstvertrauen. Die Text-Zeilen der britischen Songwriterin<br />
Lauren Aquilina machen das neue Frauenbild<br />
deutlich: »Wir sind alle gleich. Uns macht keiner klein.<br />
Und wir woll'n nicht länger zweite Klasse sein! Wir hängen<br />
nicht nur an irgendeinem Typen dran. Ich bin ich!<br />
Und mehr brauch ich nicht. Ich kann allein die Größte<br />
sein!« Das hat durchaus Klasse und ist energiegeladen.<br />
Bemerkenswert, dass danach das handgreifliche Gerangel<br />
mit den Zugmaschinen glücklicherweise nicht in<br />
einem Geschlechter-Kampf endet. Denn Coco (Clare<br />
Maynard, 2013-2016 Ensemble »Starlight Express«) ist<br />
der weibliche französische Unterwasserzug, der unter<br />
dem Ärmelkanal durchfährt, während Rocky 3 (Lucy<br />
Glover, »We Will Rock You« Stuttgart und Berlin) als<br />
»Mädchen« neben den zwei anderen Rockys (Dewayne<br />
Adams und Garry Kessing) über den Boden wirbelt.<br />
Aber natürlich darf Greaseball (Ben Carruthers, »Wicked«<br />
UK-Tour) immer noch seine ›Pumping Iron‹-<br />
Muskeln spielen lassen und Electra (Sjoerd van den<br />
Meer, »Grease« und »Hairspray« auf Kreuzfahrtschiffen)<br />
seine Elektroschocks verteilen.<br />
Im neuen Fokus der Geschichte steht Pearl, die<br />
sich einen neuen Partner sucht und eigentlich die kleine<br />
Dampflok Rusty (Blake Patrick Anderson in seiner<br />
ersten Hauptrolle) wirklich »niedlich« findet, denn nur<br />
noch er beherrscht (heimlich) das Pfeifen einer Lok, was<br />
alle anderen Züge längst als völlig uncool abgelegt haben.<br />
Aber Pearl erkennt ihre wahre Liebe erst, nachdem<br />
sie sich an die anderen Mehr-Schein-Als-Sein-Möchtegern-Machos<br />
Greaseball und Electra angekoppelt hat.<br />
Zur neuen Frauenpower kann Buffy natürlich<br />
nicht mehr ihr ›G.E.K.U.P.P.E.L.T.‹ singen – zum alten<br />
Song buchstabiert sie jetzt sehr phonetisch ein<br />
»A.B.G.E.H.Ä.N.G.T.«. Überhaupt gibt es zahlreiche<br />
kleinere und größere Text-Änderungen, die aber alle<br />
in den neuen Stil passen und die Handlung besser und<br />
verständlicher herüberbringen. Apropos Textverständlichkeit:<br />
Beim »Starlight Express« hatte man eigentlich<br />
immer das Gefühl, dass selbst Deutsche mit englischem<br />
Akzent gesungen hätten. Auch der aktuelle Cast setzt<br />
sich aus vielen Darstellern zusammen, deren Mutter-<br />
20<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
sprache nicht Deutsch ist. Dank der neuen Tonanlage,<br />
die mit doppelter Anzahl an Lautsprechern den Sound<br />
besser als früher in der Starlight-Halle verteilt, und den<br />
neuen Musik-Arrangements, die trotz der wenigen Musiker<br />
zwar immer noch recht opulent klingen, die Sänger<br />
aber längst nicht mehr so übertönen und erschlagen<br />
wie früher, ist die Verständlichkeit der Texte gestiegen.<br />
Auch die Kostüme stellen die Darsteller wieder mehr<br />
in den Vordergrund, eine Entwicklung »back to the<br />
roots«, die mit weniger Schminke und weniger Kostüm-<br />
Tamtam wahre Schauspielkunst erkennen lassen. Dem<br />
Schreiber gefällt der neu-alte Pearl-Look ohne rosa<br />
Haar-Extensions in schlichtem Erste-Klasse-Weiß mit<br />
blondem Pferdeschwanz sehr gut, auch wenn das Häubchen<br />
etwas an eine Krankenschwester erinnern mag. Red<br />
Caboose (Daniel Ellison) kommt mit Schlapphut nun<br />
etwas schleimig-schmierig rüber, da er sich aber jetzt als<br />
Bremswagen von den Zügen für ihre dunklen Sabotagepläne<br />
in den Rennen der internationalen Meisterschaft<br />
bezahlen lässt, steht ihm das Zuhälter-Image rollendeckend<br />
gut. Einzig das Kostüm von Electra erreicht nicht<br />
ganz die Faszination der älteren Fassung: Zwar ist sein<br />
Kopfschmuck inkl. Wimpern in den letzten Jahren beachtlich<br />
übertrieben angewachsen, aber der neue Look<br />
im fahlen Weiß, das zwar elektrisierend in bedrohlichem<br />
Rot oder fluoreszierendem Blau erstrahlen kann, irritiert<br />
jetzt mit einem Kopfschmuck, der einer Glasfaserlampe<br />
nicht unähnlich ist. Ansonsten kann man sich jedoch<br />
gut mit den neuen Kostümen und dem Make-up<br />
anfreunden.<br />
Sehr gelungen ist das neue Lichtdesign mit den 360°<br />
Projektionen, die nie die Aufmerksamkeit ablenken, die<br />
Starlight-Halle aber sehr authentisch beispielsweise mit<br />
Kränen in eine Hafen-Silhouette verwandeln können.<br />
Auf die Spitze getrieben mit Gänsehaut-Effekt ist die<br />
komplett neu gestaltete ›Starlight‹-Sequenz (übrigens wieder<br />
mit dem ursprünglichen Text, welcher in den letzten<br />
Jahren durch eine neue Übersetzung viel Charme verloren<br />
hatte). Die grüne Lasershow hat ausgedient, ersetzt durch<br />
ein goldenes Sternenleuchten inklusive Drohnen-Technologie,<br />
die den »Zug der Sterne« visualisieren. Zudem<br />
bekommt Rusty seinen ganz persönlichen »Wicked«-›Frei<br />
und Schwerelos‹-Effekt mit strahlendem Finale spendiert,<br />
das so manche Kinnlade herunterklappen lässt.<br />
Und was ist nun mit dem Papa? Wenn die unglaubliche<br />
Reva Rice mit ihrer volltönenden Soul-Stimme<br />
ihren ›Mamas Blues‹ anstimmt, gibt es völlig zurecht<br />
Standing Ovation mitten in der Show. Bei einer so intensiven<br />
Mama vermisst man wirklich keinen Papa. Die<br />
neue Version des Bochumer »Starlight Express« hat den<br />
Schreiber von der ersten Sekunde an gepackt und nicht<br />
nur ihn in einen 10-jährigen Jungen verwandelt, der mit<br />
seiner Modelleisenbahn spielt und für den sein Spielzeug<br />
menschliche Züge annimmt. Inhaltlich runder<br />
und moderner, präsentiert Bochum hier ein perfektes<br />
<strong>Musical</strong>-Spektakel, das zumindest die nächsten 20 Jahre<br />
noch nicht zum alten Eisen gehören sollte. »Starlight<br />
Express« ist ein Phänomen, das es weltweit in dieser<br />
Form nur im Ruhrpott gibt, denn nur hier siegt Kohle<br />
immer noch vor Diesel und Elektrizität!<br />
Stephan Drewianka<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Ganz schön crazy: Rusty (Blake Patrick<br />
Anderson, 2.v.r.) pfeift den Waggons<br />
(v.l.) Belle (Rochelle Sherona), Dinah<br />
(Rose Ouellette) und Carrie (Veronika<br />
Hammer) nach<br />
2. Dustin (Daniel Holley, r.) staunt nicht<br />
schlecht, denn im neuen »Starlight<br />
Express« singt Reva Rice den ›Mamas<br />
Blues‹, Papa wurde in Rente geschickt<br />
Fotos (2): Jens Hauer<br />
3. Ein neuer Song und viele Textänderungen<br />
hat das Ensemble des »Starlight<br />
Express« lernen müssen, aber es ist noch<br />
›Licht am Ende des Tunnels‹<br />
Foto: Stephan Drewianka<br />
4. Die Bühne mit dem Sternenhimmel<br />
Foto: Jens Hauer<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Einmal die Ostsee sehen und dann sterben …<br />
Deutsche Tryout-Premiere »Knockin' On Heaven's Door« an der<br />
Folkwang Universität der Künste in Essen<br />
Abb. oben:<br />
Ein letzter Blick auf das Meer für Martin<br />
(Florian Minnerop) und Rudi<br />
(Tomas Stitilis)<br />
Foto: Stephan Drewianka<br />
Knockin' On Heaven's Door –<br />
Das Rock'n Road <strong>Musical</strong><br />
Alex Geringas / Joachim Schlüter /<br />
Chris Silber / Mirco Vogelsang /<br />
Gil Mehmert<br />
Folkwang Universität Essen in<br />
Kooperation mit dem<br />
Häbse-Theater Basel<br />
Pina Bausch Theater Essen<br />
Campus Essen-Werden<br />
Deutsche Tryout-Premiere:<br />
21. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie .............................. Gil Mehmert<br />
Musik. Leitung ........ Patricia M. Martin<br />
<strong>Musical</strong> Supervision &<br />
Arrangements ................ Jürgen Grimm<br />
Choreographie ................. Yara Hassan<br />
Ausstattung ...................... Britta Tönne<br />
Videodesign ........ Lisa-Marie Kuntze &<br />
Benjamin Geipel<br />
Dramaturgie ......... Brigitte Schumacher<br />
Martin Brest ............. Florian Minnerop<br />
Rudi Wurlitzer ................ Tomas Stitilis<br />
Henk ............................. Pascal Cremer<br />
Abdul ............. Alejandro Nicolás Firlei<br />
Fernández<br />
Frankie ....................... Charlotte Katzer<br />
Frau Brest / Maitre .......... Esther Conter<br />
Kommissar ................ Florian Sigmund<br />
Barfrau /<br />
Krankenschwester ........... Aline Bucher<br />
Kellner / Autohändler ..... Nico Hartwig<br />
Boutique-Chefin /<br />
Reporterin ..................... Jessica Trocha<br />
Bankerin ....................... Lara Hofmann<br />
Bei Professor Gil Mehmert, der schon das Fußball-<br />
»Wunder« in Hamburg heraufbeschwor oder die<br />
Stiftsruine Bad Hersfeld in ein »Cabaret« verwandelte,<br />
sollen die Studenten der Folkwang Universität in ihren<br />
letzten Studienjahren im Fach <strong>Musical</strong> viel praktische<br />
Erfahrung auf der Bühne vor Publikum sammeln. Dabei<br />
setzt Mehmert in jüngster Zeit nicht mehr auf altbekannte<br />
Stücke, sondern versucht, neue Werke in Tryouts<br />
auf die Bretter zu schicken. Im letzten Jahr führten seine<br />
Studenten das <strong>Musical</strong> »Goethe – Auf Liebe und Tod«,<br />
basierend auf einem Kinofilm, auf (vgl. blimu 03-17).<br />
Für dieses Jahr stand der Filmklassiker »Knockin' on<br />
Heaven's Door« von Thomas Jahn und Til Schweiger<br />
aus dem Jahr 1997, der damals 3,7 Mio. Zuschauer in<br />
die Kinos zog, als <strong>Musical</strong>fassung auf dem Spielplan des<br />
intimen Pina Bausch Theaters in Essen-Werden.<br />
Warum aus diesem Stoff kein <strong>Musical</strong> machen, zumal<br />
der Titelsong von Bob Dylan ein absoluter Welthit<br />
ist, der zu den meistgecoverten Songs der Welt gehört?<br />
Zum Kreativteam der Produktion gehörten neben Gil<br />
Mehmert und Grimme-Preisträger Chris Silver (»Good<br />
Bye Lenin«), die Buch und Libretto schrieben, die Komponisten<br />
Alex Geringas (15 Nr. 1 Hits, zweifacher Echo<br />
Gewinner) und Joachim Schlüter (dreifacher Echo-Gewinner).<br />
Aus der innovativen Zusammenarbeit ist ein<br />
Rock'n Road-<strong>Musical</strong> entstanden, das am 28. Mai 20<strong>18</strong><br />
am Häbse-Theater in Basel und am 21. Juni 20<strong>18</strong> in<br />
Essen als Schweizer und Deutsche-Tryout-Premiere für<br />
mehrere ausverkaufte Vorstellungen zu sehen war.<br />
Rudi Wurlitzer hat Krebs, Martin Brest einen inoperablen<br />
Hirntumor. Die beiden völlig unterschiedlichen<br />
Charaktere treffen im Krankenhaus aufeinander und begießen<br />
ihr Schicksal mit reichlich Tequila. Rudi gesteht<br />
Martin, dass er noch nie das Meer gesehen hat, und für<br />
Martin, der nicht im Krankenhaus »abnippeln« will,<br />
steht ihre Mission fest: Beide klauen in der Tiefgarage<br />
ein Auto und fahren los Richtung Küste. Sie überfallen<br />
eine Bank, da sie blank sind, ohne zu wissen, dass im<br />
Kofferraum 1 Million Euro von Gangster Frankie liegen.<br />
Schnell werden die beiden Todkranken nicht nur<br />
von der Polizei, sondern auch von Frankies Handlangern<br />
Abdul und Henk verfolgt. Nach einer Nacht im<br />
Luxushotel wollen sich beide einen Wunsch erfüllen.<br />
Martin schenkt seiner unter Demenz leidenden Mutter<br />
einen Wagen, der wie der von Elvis Presley aussieht, und<br />
Rudi wünscht sich einen flotten Dreier – ausgerechnet<br />
im Nachtklub von Frankie. Bevor alles im Chaos versinkt,<br />
löst sich die kuriose Komödie doch noch im Happy<br />
End am Strand der Ostsee auf, bei der beide Kranke<br />
ihren letzten Sonnenuntergang erleben.<br />
Neben den vielen rockigen Songs, die bestens unterhalten<br />
und unter der Leitung von Patricia M. Martin<br />
wummernd aus den Lautsprechern hallen, gefällt auch<br />
die Choreographie von Yara Hassan ausgesprochen<br />
gut, denn zumindest bei der Ausbildung sollen die Studenten<br />
des 3. und 4. Jahres nicht nur in Gesang und<br />
Schauspiel, sondern auch beim Tanz zeigen dürfen, was<br />
sie gelernt haben. Da tritt die Ausstattung von Britta<br />
Tönne eigentlich in den Hintergrund. Doch was hier<br />
mit einfachsten Mitteln gezaubert wird, hat besonderen<br />
Charme und Charakter. Das beginnt bei den verschiedenen<br />
Autos, die sich aus drei Ensemble-Mitgliedern<br />
pfiffig zusammenbauen lassen und so immer ein kurioses<br />
Eigenleben führen, und endet in einem genialen Videodesign<br />
(Lisa-Marie Kuntze, Benjamin Geipel), das comicartig<br />
gezeichnete Hintergründe für alle Lebenslagen<br />
bereithält, die eben auch verblüffend mit den Darstellern<br />
interagieren, wenn zum Beispiel Martin aus einem<br />
geöffneten Kühlschrank eine Flasche holt und mit lautem<br />
Knall die Türe zuwirft, perfekt animiert auf einer<br />
Leinwand. Einzelne Szenen erinnern optisch bewusst<br />
mit einem Augenzwinkern an andere <strong>Musical</strong>vorbilder,<br />
22<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
ohne sie musikalisch zu zitieren. Wenn beispielsweise im<br />
Restaurant unsere Helden französische Gerichte, von<br />
denen sie nur vage erahnen können, was sich dahinter<br />
versteckt (unter anderem Stierhoden), getanzt serviert<br />
bekommen, erwartet man fast ein ›Sei hier Gast‹ (»Die<br />
Schöne und das Biest«). Wenn beim Herrenausstatter<br />
von schwulen Schneidern das Innenmaß der Hosenbeine<br />
genommen wird, vermutet der <strong>Musical</strong>begeisterte<br />
›Die Rechnung zahlt die Dame‹ (»Sunset Boulevard«),<br />
oder wenn die Todkranken am Meer den Mond bestaunen<br />
›Trägt sie ihr Traum‹ (»Mamma Mia!«).<br />
Die gesamte Inszenierung legt den Fokus aber auf die<br />
zukünftigen Absolventen im Studiengang <strong>Musical</strong> und<br />
auch in diesem Jahr muss sich der deutsche Nachwuchs<br />
nicht verstecken. Florian Minnerop (Wilhelm in »Goethe<br />
– Auf Liebe und Tod«, Cliff in »Sunset Boulevard«<br />
in Dortmund) verkörpert die Rolle des lebenslustigen<br />
Martin mit viel Energie, schlägt aber bei seiner Mutter<br />
(Esther Conter) auch die leisen Töne gekonnt an.<br />
Seinen verklemmten Partner Rudi spielt Tomas Stitilis<br />
(»Der kleine Horrorladen« an der Musikschule des<br />
Emslandes) mit besonnener und zurückhaltender Art.<br />
Pascal Cremer (»Alles was zählt«, »Wahnsinn!« in Duisburg)<br />
als ständig verletzter Möchtegern-Schmalspurgangster<br />
Henk harmoniert im Duo mit seinem typisch<br />
türkischen Proll-Partner Abdul, perfekt umgesetzt von<br />
Alejandro Nicolás Firlei Fernández. Boss der beiden ist<br />
Frankie, interpretiert als Kill Bill-Verschnitt mit Augenklappe<br />
und Samurai-Schwert von der phantastischen<br />
Charlotte Katzer (»Superhero« in Wiesbaden, Pop-Oratorium<br />
»Luther«). In weiteren Rollen vom Kommissar<br />
über Krankenschwester, Reporter, Autohändler bis zu<br />
Barfrauen und Kellnern sind Florian Sigmund, Aline<br />
Bucher, Nico Hartwig, Jessica Trocha und Lara Hofmann<br />
zu bestaunen.<br />
Auch wenn »Knockin' on Heaven's Door« hauptsächlich<br />
mit leichtem Humor und vermeintlich wenig<br />
Tiefgang daher poltert, wird doch eine ergreifende Geschichte<br />
über wahre Freundschaft und den Mut zum<br />
Leben erzählt, die in einigen Szenen wirklich zu berühren<br />
vermag. Fast befremdlich, dass der englische Welthit<br />
am Ende der Show der musikalisch schwächste Titel des<br />
<strong>Musical</strong>s ist – zugleich ein Kompliment für die Komponisten.<br />
Wie es nach diesen Tryouts weitergeht, steht<br />
wohl noch in den Sternen, laut Musikverlag soll 2019<br />
die offizielle Weltpremiere stattfinden. Ob diese dann<br />
noch den unvergleichlichen Charme dieser Studentenaufführung<br />
haben wird?<br />
Stephan Drewianka<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Gangsterbraut Frankie (Charlotte<br />
Katzer) schwingt das Samurai-Schwert<br />
wie in »Kill Bill«<br />
2. Die ewigen Verlierer Abdul (Alejandro<br />
Nicolás Firlei Fernández, hinten Mitte l.)<br />
und Henk (Pascal Cremer, hinten Mitte r.)<br />
landen mit dem zurückgeklauten Auto<br />
prompt in einer Polizeikontrolle<br />
3. Es wird gegessen, was auf den Tisch<br />
kommt, oder? Rudi (Tomas Stitilis) schlägt<br />
mal lieber im Französisch-Wörterbuch<br />
nach, was da auf den Tellern liegt<br />
4. Ein pinkfarbener Cadillac und ein<br />
Elvis-Song lassen die demente Mutter<br />
Brest (Esther Conter, 2. Reihe l.) für einen<br />
Augenblick ihren Sohn Martin (Florian<br />
Minnerop, 2. Reihe r.) erkennen<br />
Fotos (4): Stephan Drewianka<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Vergangenheitsbewältigung mal anders<br />
»Nimmerwiedermehr« als Uraufführung in der St. Thomas Kirche<br />
Hamburg - Rothenburgsort<br />
Abb. oben:<br />
Die kleine Anna (Svea) erzählt zu Anfang<br />
des <strong>Musical</strong>s ihre Geschichte und leitet<br />
somit in die Thematik ein<br />
Foto: Felix Amsel<br />
Nimmerwiedermehr –<br />
Das Kinderkrankenhaus<br />
von Rothenburgsort<br />
Mario Stork / Dirk Schattner<br />
Skycradle<br />
Kirche St. Thomas<br />
Hamburg - Rothenburgsort<br />
Uraufführung: 30. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie ......................... Agnes Oberauer<br />
Musikalische Leitung ......... Mario Stork<br />
Ausstattung ..... Julia Bührle-Nowikowa<br />
Anna als Studentin ........... Merle Hoch<br />
Andreas, Student ........ André Haedicke<br />
Frida ....................... Michaela Schober<br />
Herma, Mutter von Andreas .................<br />
Annika Bruhns<br />
Siegfried, Vater von Andrea ..................<br />
Georg Münzel<br />
Eva, Krankenschwester ...... Laura Saleh<br />
Anna als Kind ... Svea (in der Premiere)<br />
Das <strong>Musical</strong> »Nimmerwiedermehr« von Mario Stork<br />
(Musik) und Dirk Schattner (Buch und Liedtexte)<br />
basiert auf wahren Begebenheiten, welche sich im Kinderkrankenhaus<br />
Hamburg - Rothenburgsort in der<br />
Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1940 und 1945<br />
zugetragen haben. Hierbei wurden Kinder mit Behinderungen<br />
ermordet, was man damals »Vernichtung lebensunwerten<br />
Lebens« nannte. Personen und konkrete<br />
Handlung sind aber Fiktion.<br />
Der Spielort wurde bewusst ausgesucht, da die<br />
St. Thomas Kirche in Rothenburgsort eine Tochter der<br />
St. Nicolai Kirche im Nachbarort Moorfleet ist. Sie wurde<br />
<strong>18</strong>85 begründet und im großen Feuersturm von Hamburg<br />
im Jahre 1943 größtenteils zerstört. 1<strong>95</strong>2 wurde<br />
der Wiederaufbau beschlossen, woraufhin sie 1<strong>95</strong>7 neu<br />
eröffnet wurde.<br />
Durch ihre Nähe zum Ort der Geschehnisse von<br />
damals ist sie der perfekte Spielort für dieses <strong>Musical</strong>,<br />
das am 30. Juni 20<strong>18</strong> hier seine Uraufführung im Rahmen<br />
der ersten Rothenburgsorter Kulturwoche feierte.<br />
Von Beginn an lässt sich erahnen, welche düsteren und<br />
schrecklichen Ereignisse sich in diesem Kinderkrankenhaus<br />
zugetragen haben müssen.<br />
»Aus so einem Stoff kann man doch kein <strong>Musical</strong><br />
machen«, mit dieser Aussage wurden Dirk Schattner<br />
und Mario Stork häufiger konfrontiert, doch als sie im<br />
November 2017 die Readingfassung vorstellten, stand<br />
schnell fest: »Man kann nicht nur, man muss!« Gerade<br />
weil das <strong>Musical</strong> das wahrscheinlich lebendigste Musiktheatergenre<br />
ist, weil es eine Form ist, die die Menschen<br />
anspricht, und weil es vor allem in Inhalt und Musikstil<br />
die ganze Bandbreite von Klassik bis Rock, von leichtfüßiger<br />
Komödie bis zum Drama abdecken kann.<br />
Das Stück wird in 2 Zeitebenen gespielt: In den<br />
1940er Jahren erlebt die kleine Anna (Svea) in einem<br />
Bunker nahe Rothenburgsort den großen Feuersturm<br />
auf Hamburg (27./28. Juli 1943). Sie befindet sich zu<br />
der Zeit in besagtem Kinderkrankenhaus und fürchtet<br />
sich sehr, insbesondere da so viele Kinder nach der Verabreichung<br />
eines Medikamentes sterben. Sie selbst ist<br />
zwar nicht krank, aber ihre Mutter hat sie zur Adoption<br />
freigegeben. Glücklicherweise wird sie von der Krankenschwester<br />
Eva (Laura Saleh) gerettet. Diese Krankenschwester<br />
hat im Verlauf der Zeit von jedem Kind<br />
in der Nacht vor der Ermordung einen farbigen Fußabdruck<br />
genommen und hütet diese als Erinnerung an die<br />
Kinder wie einen Schatz. Doch die seelische Belastung<br />
wird ihr zu viel und sie rettet die kleine Anna.<br />
In der Premiere wird die kleine Anna von Svea dargestellt,<br />
die mit ihrem schauspielerischen Talent und<br />
ihrem Ausdruck das kleine Mädchen so gut verkörpert,<br />
dass im Publikum die ersten Tränen fließen. Zugleich<br />
erleichtert sie den Einstieg in die Geschichte.<br />
Dann wechselt die Zeit und wir befinden uns in den<br />
1960er Jahren: Anna ist mittlerweile eine Studentin und<br />
recherchiert die wahre Geschichte des Kinderkrankenhauses<br />
in Rothenburgsort, ohne zu ahnen, dass Frida<br />
(Michaela Schober) ihre Tochter seit ca. 1<strong>95</strong>5 sucht. Hierbei<br />
spielt Michaela Schober die Mutter Frida mit so einer<br />
herausragenden Klasse und identifiziert sich so stark<br />
mit der Rolle, dass ihr während des Stückes selbst die<br />
Tränen kommen. Verkörpert wird die Studentin Anna<br />
von Merle Hoch. Gestik und Mimik sind von solch einer<br />
Brillanz, dass jeder im Publikum die Schmerzen und<br />
Ängste der Kinder versteht.<br />
Während Anna recherchiert, lernt sie einen jungen<br />
Mann kennen (Andreas), dessen Schwester Marie in<br />
dem Krankenhaus während des Krieges gestorben ist.<br />
Andreas wird hier von André Haedicke dargestellt. Eine<br />
bessere Besetzung hätte man sich nicht wünschen können,<br />
sagenhaft gut in Stimme und Schauspiel, durchlebt<br />
man im ganzen Stück Andreas' Schmerz und das Leid.<br />
24<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Die Leichtigkeit, mit der Haedicke das schwere Thema<br />
auf die Bühne bringt, ist einfach nur phantastisch.<br />
Andreas' Eltern werden von Annika Bruhns und Georg<br />
Münzel gespielt, die in ihrem perfekten Zusammenspiel<br />
und einer unglaublichen Hingabe in Ausdruck und<br />
Gesang die wohl stärkste Leistung des Abends zeigen.<br />
Andreas und Anna verlieben sich ineinander und<br />
Anna hilft Andreas schließlich dabei, das zerrüttete<br />
Verhältnis zu seinen Eltern, denen er den Tod seiner<br />
Schwester vorwirft, zu verbessern.<br />
Durch die Geschichten über die Kindermorde setzt<br />
bei Anna eine starke Leidenschaft für dieses Thema<br />
ein. In ihrem Drang, mehr über sie herauszufinden,<br />
trifft sie auf Menschen, die persönliche Erinnerungen,<br />
Erfahrungen und Schuld mit sich tragen, und bringt<br />
diese dazu, sich nach langer Zeit mit dieser Geschichte<br />
auseinanderzusetzen.<br />
Schließlich begegnen sich Anna und Frida zum ersten<br />
Mal. Fast zeitgleich dazu sucht die ehemalige Stationsschwester<br />
Eva das Gespräch mit Frida, um Abbitte<br />
dafür zu leisten, dass sie das Geschehen im Krankenhaus<br />
zugelassen hat. Sie erzählt, dass nur ein Kind mit<br />
dem Namen »Anna« gerettet wurde – genau in diesem<br />
Moment setzt sich bei Frida wie auch beim Publikum<br />
der Gedanke fest, es könnte sich bei Anna um die verlorene<br />
Tochter handeln.<br />
Als die Studentin Anna einen Vortrag hält, stürmt<br />
Frida auf das Podium und schreit ihr schlechtes Gewissen<br />
in alle Welt hinaus. Dem gesamten Publikum<br />
stockte an der Premiere hier der Atem!<br />
Im Vortragssaal treffen nun alle aufeinander, und<br />
Anna muss Frida die falsche Hoffnung auf ein Happy<br />
End nehmen, das diese sich erträumt hatte. Anna ist<br />
leider nicht ihre verlorene Tochter.<br />
Die Lieder sind so gut abgestimmt, melodisch und<br />
einfühlsam, dass spürbar wird, mit welcher Genauigkeit<br />
und Hingabe an das Thema und an die Songs<br />
herangegangen wurde. Die Umsetzung der Musik übernimmt<br />
eine 5-köpfige erprobte Live-Band (Cello: Astrid<br />
Nägele, Gitarre: Hannes Kühn, Bass: Christian<br />
Niehues, Drums & Percussion: Matthias Plewak) unter<br />
Leitung des Komponisten Mario Stork am Piano.<br />
Als Bühne dient der Altar der Kirche und die Darsteller<br />
sind in graue Lumpen gehüllt, beschmutzte Gesichter<br />
und der durchzuckende Schmerz der Erinnerung<br />
lässt die Zuschauer erschaudern. Im 2. Akt wird die<br />
Geschichte weiter erzählt und dazu werden auf einer<br />
Folienwand im Hintergrund einige Namen von den<br />
damals ermordeten Kindern projiziert: Einige von<br />
ihnen sind nicht einmal 2 Monate alt geworden, andere<br />
4-5 Jahre. Zurückhaltend eingesetzte Lichttechnik<br />
unterstreicht die Stimmung und lenkt die Aufmerksamkeit<br />
der Zuschauer auf die Darsteller. Diesen gelingt<br />
es, das Publikum in ihren Bann zu ziehen und<br />
die Tragik dieses schweren Stoffes zu vermitteln. Das<br />
<strong>Musical</strong> rüttelt wach, regt einen über Tage zum Nachdenken<br />
an und offenbart einmal mehr, dass es im Krieg<br />
noch viel mehr Schreckliches gab als die Judenverfolgung.<br />
Insgesamt ist »Nimmerwiedermehr« ein gelungenes<br />
<strong>Musical</strong>, was sich an Hand von einem regionalen Beispiel<br />
mit einer sehr schweren Thematik beschäftigt. Es ist ohne<br />
Zweifel empfehlenswert und trägt zur Weiterbildung bei.<br />
Sven Petersen<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Erinnerungsbewältigung, Siegfried<br />
(Georg Münzel, 4.v.l.) verbrennt das Foto<br />
seiner verstorbenen Tochter Marie<br />
2. Trübsinn und Schockzustand, die Vermischung<br />
von Gefühlen und Erlebtem –<br />
(v.l.): Studentin Anna (Merle Hoch), Frida<br />
(Michaela Schober), Andreas<br />
(André Haedicke), Eva (Laura Saleh),<br />
Herma (Annika Bruhns)<br />
3. Erkennen und verlieben! Zwei Menschen<br />
mit gleicher Geschichte: Andreas<br />
(André Haedicke) und die erwachsene<br />
Anna (Merle Hoch)<br />
4. Erlebnisse verarbeiten, ›Die Kälte der<br />
Gefühle‹ – (v.l.): Frida (Michaela Schober),<br />
Herma (Annika Bruhns), erwachsene<br />
Anna (Merle Hoch), Astrid Naegele<br />
(Cello), Siegfried (Georg Münzel), Andreas<br />
(André Haedicke), Hannes Kühn (Gitarre)<br />
Fotos (4): Felix Amsel<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Zwei verschiedene Welten<br />
Uraufführung von<br />
»Nisha« in Cadolzburg<br />
Nisha<br />
Matthias Lange / Fritz Stiegler<br />
Cadolzburger Burgfestspiele<br />
Vorhof der Cadolzburg<br />
Uraufführung: 21. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie ............................. Jan Burdinski<br />
Musik. Leitung ............ Matthias Lange<br />
Choreographie ............ Kathleen Bengs<br />
Ausstattung .................. Karin E. Pollak<br />
Nisha ........ Romina Satiro / Lea Weber<br />
Mahmud ...................... Janos Schäfer /<br />
Martin Würflein<br />
Vater ........................ Bernhard Pfister /<br />
Manuel Unterburger<br />
Mutter ........................ Martina Pfister /<br />
Christine Schäfer<br />
Sohn Tarek .............. Sander Gößelein /<br />
Lukas Pfister<br />
Sittenwächter ................ Klaus Kinzel /<br />
Horst Mayer<br />
Oma ................... Carola Hesselberger<br />
Pamira ............. Jana König / Pia Köhler<br />
Camilla ...... Laura-Maria Wesolowski /<br />
Sina Vogt<br />
Achim ................ Heiko Winkelmann /<br />
Andreas Fingerhut<br />
Fabian ..... Simon Zange / Tom Sadurski<br />
Doktor Holger ............ Thomas Dröge /<br />
Siegfried Hornberger<br />
Ludwig Kienzle ......... Jürgen Sadurski /<br />
Helmut Köhler<br />
Michelle Kienzle .... Yvonne Fingerhut /<br />
Petra Kierner<br />
Frau Treuheit ............. Nadine Fischer /<br />
Erika Ruff / Sarah Tordai<br />
Bräutigam .................... Michael Leicht<br />
Kletterer ............. Alexander Gößelein /<br />
Norman Huber<br />
Erwachsenen-Ensemble:<br />
Eva Augustin, Hildegard Besendörfer,<br />
Barbara David-Kollek, Katrin Dröge,<br />
Françoise Eberlein, Ella Gößelein,<br />
Manuela Köhler, Manfred Ochsner,<br />
Heidi & Günter Oellerich, Heike Raith,<br />
Ladi Sadurski, Ursula &<br />
Michael Zeilinger, Gerhard Zucker<br />
Kinder-Ensemble:<br />
Nike Alt, Helena Arslan, Jonathan<br />
Bengs, Felina Fischer, Rosa Gößelein,<br />
Agnes & Clara Lengenfeld, Anna &<br />
Maja Pförtner, Jakob Rausch, Ben<br />
Sadurski, Sina Schäfer<br />
Der Vater (Bernhard Pfister, l.) und die Mutter (Martina Pfister, 2.v.l.) von Nisha (Romina Satiro, r.) diskutieren mit der Oma<br />
(Carola Hesselberger)<br />
Foto: Matthias Schäfer<br />
Im Jahr 2007 wurde der Markt Cadolzburg im Landkreis<br />
Fürth 850 Jahre alt. Im Rahmen der Feierlichkeiten<br />
wurde das im Mittelalter spielende <strong>Musical</strong> »Magdalena«<br />
im Vorhof des Schlosses Cadolzburg uraufgeführt.<br />
Das Buch schrieb Fritz Stiegler, während Rainer Gasser<br />
die Musik komponierte. Wegen des großen Erfolgs entschied<br />
man sich, auf der <strong>Musical</strong>-Schiene weiterzufahren.<br />
2008 wurde der Verein Cadolzburger Burgfestspiele<br />
gegründet. Zwei Jahre später erlebte das <strong>Musical</strong> »Die<br />
weiße Witwe« seine Uraufführung und wurde 2012<br />
wieder aufgenommen. Stiegler verfasste das Buch und<br />
Matthias Lange schrieb die Musik. Beide erschufen alle<br />
weiteren <strong>Musical</strong>s des Vereins.<br />
2013 handelte »Aeronauticus« vom fränkischen<br />
Flugpionier Gustav Weisskopf, 2014 spielte die Truppe<br />
in der Komödie Fürth »Fränkische Weihnacht«. Der<br />
größte Erfolg des Amateurvereins folgte 2015 mit »Mademoiselle<br />
Marie«. Etwa 20.000 Zuschauer sahen die<br />
Show, ein Jahr später wurde das <strong>Musical</strong> sogar verfilmt.<br />
Das Team um Präsident Thomas Dröge hat sich zum<br />
zehnten Geburtstag ein <strong>Musical</strong> zum Thema Menschenrechte<br />
ausgesucht: »Nisha«. Schirmherrin der Festspiele<br />
ist Maede Soltani, die Tochter von Abdolfattah Soltani,<br />
einem iranischen Anwalt, der sich für die Menschenrechte<br />
einsetzt. Er wurde 2009 mit dem Internationalen<br />
Nürnberger Menschenrechtspreis ausgezeichnet, 2012<br />
jedoch im Iran zu 13 Jahren Haft verurteilt. Zur Premiere<br />
war auch die Friedens-Nobelpreisträgerin des Jahres<br />
2003, Shirin Ebadi, eingeladen.<br />
»Nisha« spielt in zwei verschiedenen Welten – einmal<br />
in der westlichen Welt, in der das Geld regiert, und<br />
andererseits in Afrika (es könnte auch Asien sein), wo<br />
den Menschen das Elementarste für ein normales Leben<br />
fehlt. Die Bewohner eines Dorfes hoffen auf Regen. Der<br />
Sittenwächter (Klaus Kinzel) gibt dem Mädchen Nisha<br />
(Romina Satiro) die Schuld am ausbleibenden Nass, da<br />
sie sich mit Mahmud (Janos Schäfer) abgibt, der von der<br />
Gemeinde gemieden wird. Die Frauen des Dorfes, unter<br />
anderem auch Nishas Mutter (Martina Pfister), wollen<br />
einen Brunnen, damit sie nicht ständig den beschwerlichen<br />
und langen Weg zum Wasserloch gehen müssen.<br />
Die Männer wollen jedoch nichts davon wissen, so auch<br />
Nishas Vater (Bernhard Pfister).<br />
Im Westen bereiten die betuchten Bürger Camilla<br />
(Laura-Maria Wesolowski) und Achim Guggenberger<br />
(Heiko Winkelmann) eine Geburtstagsparty vor. Zu<br />
den Gästen gehört der Rennstallbesitzer Ludwig Kienzle<br />
(Jürgen Sadurski). Er plant eine Rallye nach Timbuktu,<br />
und um dem Ganzen einen ökologischen Touch zu verleihen,<br />
sollen die Rennwagen mit Treibstoff aus Palmöl<br />
fahren. Der Sohn der Guggenbergers, Fabian (Simon<br />
Zange), langweilt sich schrecklich auf der Party und<br />
feiert danach mit seinen Freunden. Nachdem sie sich<br />
betrunken haben, bleibt Fabian zurück und regungslos<br />
am Boden liegen. Die Polizei findet ihn, er wird ins<br />
Krankenhaus transportiert.<br />
Währenddessen zieht Nisha sich mit ihren Freundinnen<br />
in ein geheimes Versteck zurück. Sie hat auf der<br />
Mülldeponie Comics und Bücher wie »Anna Karenina«<br />
gefunden und sich selbst das Lesen beigebracht. Ihre<br />
Freundinnen wollen auch Lesen lernen. Als Mahmud<br />
ihren Unterschlupf entdeckt, hören sie zusammen mit<br />
ihm Rapmusik aus seinem selbstgebastelten CD-Spieler.<br />
Nishas Vater schenkt seinem Sohn Tarek (Sander Gößelein)<br />
einen Laptop. Via Internet soll er nach Lösungen<br />
für die schwierige finanzielle Situation suchen. Im Netz<br />
wird der Anbau von Palmölpflanzen gepriesen. Der<br />
schnelle Reichtum spukt nun in den Köpfen der Einwohner<br />
herum, auch Nishas Vater kauft solche Pflanzen,<br />
die aber ohne Wasser nicht gedeihen. Nisha muss<br />
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blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
wieder als Sündenbock für den ausbleibenden Regen<br />
herhalten. Sie wird gezwungen, das Dorf zu verlassen,<br />
und wird in der Stadt an ein Bordell verkauft, aus dem<br />
sie aber fliehen kann.<br />
Derweil erfahren Camilla und Achim von Doktor<br />
Holger (Thomas Dröge), dass Fabian herzkrank ist und<br />
dringend ein neues Herz braucht, aber selbst das Geld<br />
des Vaters kann die Suche nicht beschleunigen.<br />
Nisha trifft Mahmud, der sie anfleht, mit ihm zu<br />
fliehen. Sie will jedoch bleiben und ihren Wunsch, eine<br />
Schule zu errichten, verwirklichen. Das Dorf gaukelt<br />
Nisha zum Schein die Möglichkeit einer Hochzeit mit<br />
Mahmud vor, aber in Wahrheit ist das ein Trick, um sie<br />
mit einem Alten (Michael Leicht) zu vermählen. Nisha<br />
weigert sich vehement, bis der alte Mann von seinem<br />
Vorhaben absieht. Der Sittenwächter erzählt dem Vater<br />
des Mädchens vom schnellen Geld mit Organhandel. Um<br />
ihre Geschwister und ihre Eltern nicht weiter zu gefährden,<br />
geht Nisha ahnungslos mit ins »Haus der Kranken«.<br />
In Europa erzählt Ludwig Kienzle seinem Geschäftspartner<br />
Achim von der Möglichkeit, auf illegalem Weg<br />
schnell ein Spenderherz zu finden. Die Guggenbergers<br />
fliegen mit Fabian nach Afrika, wo Nisha im »Haus der<br />
Kranken« auf die Operation vorbereitet wird. Zur gleichen<br />
Zeit stürzt ein Kletterer (Alexander Gößelein) sich<br />
zu Tode. Seine Werte sind identisch mit denen von Fabian.<br />
In allerletzter Sekunde kann Camilla die Operation<br />
verhindern und Nishas Leben retten. Sie kehrt in ihr<br />
Dorf zurück und träumt ihren Traum von einer Schule<br />
weiter. So endet Nishas Geschichte.<br />
Dem Cadolzburger Verein muss man seine guten<br />
Absichten anrechnen, sich für Toleranz und das Recht<br />
auf Bildung besonders in Drittweltländern einzusetzen.<br />
Doch diese Geschichte beinhaltet etliche unausgereifte<br />
Ideen. Einem erfahrenen Regisseur wie Jan Burdinski<br />
hätten diese Ungereimtheiten auffallen müssen. Es<br />
scheint selbstverständlich, dass man in Afrika überall Internet<br />
empfängt oder der verschuldete Vater ohne Weiteres einen<br />
Laptop kaufen kann, dessen Bedienung sein Sohn problemlos<br />
beherrscht. Der reiche Europäer hat Vorrang bis<br />
auf die Tatsache, dass man einem Schwerkranken keinen<br />
stundenlangen Transport zumuten kann, und dann noch<br />
binnen kurzer Zeit die Rückreise. Dass das Ensemble nicht<br />
unbedingt wie die minderbemittelten Bewohner eines<br />
afrikanischen Dorfes aussieht und im fränkischen Dialekt<br />
redet, ist in dieser Hinsicht noch das geringste Problem.<br />
Die Musik von Matthias Lange klingt dagegen äußerst<br />
einnehmend, speziell die Lieder ›Wie eine Blume‹,<br />
›7000 Liter Blut‹, ›Das Paradies‹ und ›Ein Lehrer, ein<br />
Kind und sein Buch‹ gefallen, ebenso wie der instrumentale<br />
Titel ›Tango‹.<br />
Alle Beteiligten spielen mit Begeisterung und tanzen<br />
mit Energie die Choreographien von Kathleen Bengs.<br />
Romina Satiro hat eine angenehme Stimme und kann<br />
auch als Schauspielerin überzeugen. Aus dem restlichen<br />
Ensemble stechen hervor: Laura-Maria Wesolowski als<br />
Camilla, die mit dem Lied ›Nun sehe ich das eig'ne<br />
Kind‹ überzeugt, Bernhard Pfister (Nishas Vater) und<br />
Jana König als Nishas Schwester Pamira, die im Duett<br />
›Das Paradies‹ stimmlich überrascht. Musik, Gesang<br />
und Schauspiel retten somit das <strong>Musical</strong> über eine Geschichte<br />
mit Tücken und Lücken hinweg.<br />
Christian Spielmann<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Nisha (Romina Satiro) und Mahmud<br />
(Janos Schäfer)<br />
2. Camilla (Laura-Maria Wesolowski)<br />
und Achim Guggenberger (Heiko Winkelmann)<br />
3. Die Jugend (Ensemble) amüsiert sich<br />
im Haus der Guggenbergers<br />
4. Das Internet scheint das Allheilmittel<br />
zu sein, selbst in Afrika<br />
Fotos (4): Matthias Schäfer<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
27
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Kampf einer Frau um Wissen<br />
»Die Päpstin« 20<strong>18</strong> beim <strong>Musical</strong>sommer Fulda<br />
Abb.oben:<br />
Johanna (Sabrina Weckerlin) wird zum<br />
Papst ernannt<br />
Foto: Christian Tech<br />
Die Päpstin<br />
Dennis Martin / Christoph Jilo /<br />
Peter Scholz / Björn Herrmann<br />
<strong>Musical</strong>sommer Fulda<br />
Schlosstheater<br />
Premiere: 15. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie ..... Stanislav Moša & Christoph Jilo<br />
Musikalische Leitung ........ Peter Scholz<br />
Musikproduktion ...... Johannes Lowien<br />
Choreographie .................. Julia Poulet<br />
Bühnenbild ............. Christoph Weyers<br />
Kostüme & Maske .... Andrea Kučerová<br />
Lichtdesign .................... David Kachlíř<br />
Johanna ................. Sabrina Weckerlin<br />
Gerold .......................... Mark Seibert /<br />
Dennis Henschel<br />
Anastasius ................. Christian Schöne<br />
Aeskulapius ........ Reinhard Brussmann<br />
Arsenius / Ratgar ........ Daniele Nonnis<br />
Vater / Papst Sergius.... Sebastian Lohse<br />
Fulgentius / Rabanus ...... Lutz Standop<br />
Gudrun / Marioza ......... Anke Fiedler /<br />
Larissa Windegger<br />
Lothar ............................... Olaf Meyer<br />
Richild ................... Larissa Windegger<br />
Kleine Johanna ............. Alicia Hohmann<br />
(bes. Vorst.)<br />
Kleiner Johannes .......... Joshua Pfahls (<br />
bes. Vorst.)<br />
In weiteren Rollen:<br />
Jörg Alt, Michael Beck, Thomas Christ,<br />
Giulia Fabris, Farid Halim, Sascha<br />
Laue, Kristian Lucas, Denise Obedekah,<br />
Torsten Paul, Katharina Peregudov,<br />
Stephan R. Przywara, Sharon Rupa,<br />
Martin Ruppel, Jenny Schlensker,<br />
Doreen Sommer, Nicole Sydow,<br />
Michelle Tönnies, Andrea Viggiano,<br />
Julia Vilmar, Chadi Yacoub,<br />
Caroline Zins<br />
Mit Spannung wurde die Wiederaufnahme des <strong>Musical</strong>s<br />
»Die Päpstin« erwartet, denn bekanntlich<br />
tragen Neuauflagen eines Stücks nicht immer zur Verbesserung<br />
bei. Doch in diesem Fall ist es durch viele Änderungen<br />
Spotlight-<strong>Musical</strong>s absolut gelungen, »Die Päpstin«<br />
emotionaler, spannender und interessanter zu machen.<br />
Die Geschichte des Mädchens Johanna beginnt 814<br />
(laut dem Buch von Donna Woolfolk Cross) in Ingelheim<br />
am Rhein, wo sie als Tochter des Dorfpriesters geboren<br />
wird. Der Vater, der sich einen Jungen gewünscht<br />
hat, verachtet Mädchen und Frauen. Sie sind nur dazu<br />
da, den Männern zu gehorchen. Bildung ist ihnen strengstens<br />
untersagt.<br />
Johannas Mutter Gudrun glaubt jedoch noch an die<br />
alten Götter und lehrt Johanna den Rabenzauber. Johanna<br />
ist intelligent, wissbegierig und gerät ständig in<br />
Konflikte. Nicht nur, dass sie zwischen dem heidnischen<br />
Glauben der Mutter und dem unerbittlichen »christlichen«<br />
Glauben des Vaters hin- und hergerissen ist, ist<br />
ihr doch auch Lernen, Lesen und Schreiben strengstens<br />
verboten. Ihr Bruder Johannes ist das absolute Gegenteil,<br />
träumt nur vom Kämpfen und hält nichts vom Lernen.<br />
Als der Gelehrte Aeskulapius in Ingelheim vorbeikommt,<br />
um den Sohn des Dorfpriesters mit an die Scola<br />
nach Dorstadt zu nehmen, erkennt er schnell, dass in<br />
Johanna ein großes Potential steckt, und so macht er zur<br />
Bedingung, den Sohn nur mitzunehmen, wenn auch die<br />
Tochter gehen darf. Da der Vater dies niemals erlauben<br />
würde, flüchten die beiden Kinder in der Nacht alleine<br />
zu dem Treffpunkt, den Aeskulapius mit dem Vater ausgemacht<br />
hatte.<br />
Auch in der Scola sind die Jungen alle auf das Mädchen<br />
eifersüchtig und sie leidet. Einziger Halt ist ihr<br />
Mentor Markgraf Gerold, in den sie sich auch verliebt.<br />
Doch als dieser an den Hof des Kaisers nach Aachen<br />
gerufen wird, will die eifersüchtige Ehefrau von Gerold<br />
Johanna zwangsverheiraten.<br />
Die Rettung für Johanna ist der blutige Überfall der<br />
Normannen, bei denen alle sterben, auch ihr Bruder.<br />
Sie wird geschützt durch die beiden Raben, die ihre<br />
Schwingen über sie halten. In ihrer Verzweiflung nimmt<br />
Johanna die Identität ihres Bruders an und wird zu einem<br />
gefragten Heiler.<br />
Jahre später und nach vielen Irrungen und Wirrungen<br />
trifft sie ihre große Liebe Gerold in Rom wieder.<br />
Doch das Schicksal meint es nicht gut mit beiden. Nach<br />
dem Tod des Papstes landet Johanna zunächst im Gefängnis,<br />
doch zu ihrer und aller Überraschung wird sie<br />
vom Volk zum Papst gewählt.<br />
In dieser Rolle gelingt es ihr, viel Gutes zu tun, doch<br />
damit macht sie sich auch viele einflussreiche Feinde. Besonders<br />
Anastasius, der selbst Papst werden will, und sein<br />
Vater Arsenius, die schon den vorherigen Papst ermorden<br />
ließen, sind erbitterte Feinde des neuen Papstes. Und so<br />
endet auch Johannas Geschichte auf der Bühne tragisch.<br />
»Die Päpstin« überrascht 20<strong>18</strong> mit vielen Änderungen<br />
sowohl im Bühnenbild als auch in den Texten und<br />
der Musik, die neu von dem Tschechischen National<br />
Symphony Orchester eingespielt wurde. So wurden<br />
einige Lieder, wie zum Beispiel ›Rom‹, ›Wechselbalg‹,<br />
›Marktplatz von St. Denis‹ und ›Caesarin von Rom‹ gekürzt.<br />
Viele der Choreographien von Julia Poulet wurden<br />
ebenfalls verändert.<br />
Insgesamt wirkt das Bühnenbild ein bisschen düsterer,<br />
der damaligen Zeit angepasst. Auch wurden einige<br />
Szenen umgestellt, wodurch der erste Akt etwas länger<br />
geworden ist und im Kloster Fulda mit einer neu hinzu<br />
gekommenen Szene endet. Diese Szene ist besonders beeindruckend,<br />
aber auch erschreckend. Denn Abt Ratgar<br />
lässt die Bücher, die Johanna kopiert hat, verbrennen<br />
und Prior Rabanus, der die Schuld dafür auf sich genommen<br />
hat, auspeitschen. Diese Szene, mit viel Feuer<br />
28<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
auf der Bühne, macht deutlich, wie Furcht und Gewalt<br />
dieses Jahrhundert dominieren.<br />
Ein bisschen lustiger beginnt der zweite Teil mit<br />
›Rom‹ und einer singenden Säule, die protestiert, als<br />
man sie aus dem Bild schiebt. Eine weitere beeindruckende<br />
Projektion findet sich in der Szene ›Traum ohne<br />
Anfang und Ende‹, die ein Schlachtfeld darstellt. Die rollbaren<br />
Projektionsleinwände, die hier zum Einsatz kommen,<br />
sind eine Eigenentwicklung von Spotlight <strong>Musical</strong>s.<br />
Optisch deutlich verändert sind die beiden Raben<br />
Hugin und Munin, Götterboten und Beschützer von<br />
Johanna. Ihre Flügel haben einiges an Spannweite zugelegt.<br />
Trotz ihres dunklen, bedrohlichen Aussehens<br />
spielen sie mit Johanna und sind ihre Beschützer. Damit<br />
gewinnt der ›Rabenzauber‹, den Johanna von ihrer heidnischen<br />
Mutter gelernt hat, an neuer Bedeutung. Die<br />
Raben beschützen Johanna immer, wenn Gefahr droht,<br />
sei es durch den gewalttätigen Vater, beim Überfall der<br />
Normannen usw. Und als Johanna schließlich stirbt,<br />
sterben auch sie.<br />
Die eindrucksvolle Wirkung der »neuen« Päpstin<br />
liegt nicht zuletzt auch an den Darstellern, die sowohl<br />
stimmlich als auch schauspielerisch mitreißend spielen.<br />
Allen voran Sabrina Weckerlin, die die Rolle der Päpstin<br />
schon bei der Uraufführung am 3. Juni 2011 verkörperte.<br />
Sabrina Weckerlin ist, genau wie das ganze Stück,<br />
gereift und in die Rolle hineingewachsen. Sie berührt die<br />
Herzen mit ihrem Spiel und ist stimmlich absolut umwerfend.<br />
An ihrer Seite als Gerold ist Publikumsliebling<br />
Mark Seibert. Insgesamt überzeugend, bildet das Duett<br />
›Wehrlos‹ mit Sabrina Weckerlin ein absolutes Highlight.<br />
In der Rolle des Aeskulapius steht Reinhard Brussmann<br />
(auch Ibn Sina in »Der Medicus« und 2019 Titelrolle<br />
in »Bonifatius«) auf der Bühne. Sein schöner Bariton<br />
und seine Bühnenpräsenz sind ein wahrer Ruhepol auf<br />
der Bühne.<br />
Als »Parasiten der Macht« ist neben Christian Schöne<br />
als sehr überzeugender Anastasius auch Daniele Nonnis<br />
als Arsenius zu sehen. Daniele Nonnis steht zum ersten<br />
Mal in Fulda auf der Bühne und dies gleich noch in<br />
einer weiteren, neu geschaffenen Rolle, dem unerbittlichen<br />
Abt Ratgar.<br />
Auch Anke Fiedler als Mutter Gudrun und Marioza<br />
(die Caesarin von Rom) ist zum ersten Mal in Fulda zu<br />
sehen. Sie ist für die kleine Johanna, gespielt von Alicia<br />
Hohmann, und Johannes (Joshua Pfahls) eine wundervoll<br />
einfühlsame Mutter. Gerade die beiden Kinder sind in<br />
ihrer Rolle wirklich großartig. Denn insbesondere die Rolle<br />
der kleinen Johanna hat schwierige Texte und Szenen.<br />
Besonders im Zusammenspiel mit dem herrischen<br />
Vater, gespielt von Sebastian Lohse, gibt es auch durchaus<br />
gewalttätige Szenen, die für ein Kind sicher nicht<br />
ganz einfach zu spielen sind.<br />
Besonders erwähnenswert ist auch Lutz Standop, der<br />
zum »Stammpersonal« in Fulda gehört, in der Rolle des<br />
Priors Rabanus. Die Figur wurde verjüngt und besitzt<br />
nicht mehr die Macht, Johanna vor der Gefahr, die ihr<br />
im Kloster durch die falsche Identität droht, zu behüten.<br />
Sein Lied ›Hinter hohen Klostermauern‹ berührt,<br />
auch wenn sich viele an Dietmar Ziegler erinnern werden,<br />
der leider nicht mehr unter uns weilt. Insgesamt<br />
umfasst das Ensemble noch weitere <strong>18</strong> Personen und ist<br />
damit wirklich keine kleine Produktion.<br />
»Die Päpstin« 20<strong>18</strong> ist jung und frisch wie bei der<br />
Erstaufführung vor 7 Jahren. Man darf den Machern<br />
von Spotlight <strong>Musical</strong>s, Dennis Martin und Peter<br />
Scholz, nur zu dieser großartigen Neuinszenierung<br />
gratulieren. Auch das Premierenpublikum am 15. Juni<br />
20<strong>18</strong> bewies mit tosendem Applaus und Standing Ovations<br />
seine Begeisterung.<br />
Ingrid Kernbach<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Gerold (Mark Seibert) erklärt Johanna<br />
(Sabrina Weckerlin) in ›Wehrlos‹<br />
seine Liebe<br />
2. Immer an Johannas (Sabrina Weckerlin)<br />
Seite: Aeskulapius (Reinhard<br />
Brussmann)<br />
3. »Parasiten der Macht«: Anastasius<br />
(Christian Schöne) und Arsenius (Daniele<br />
Nonnis, r.)<br />
4. Johannas Mutter Gudrun (Anke Fiedler)<br />
erzählt dem wissbegierigen Mädchen<br />
(Alicia Hohmann) die Geschichte vom<br />
Rabenzauber<br />
Fotos (4): Christian Tech<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
29
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Feuerwerk mit Humor und Herzblut<br />
»Natürlich Blond« zum 25-jährigen Jubiläum der <strong>Musical</strong> Inc. im P1 in Mainz<br />
Natürlich Blond<br />
Laurence O'Keefe / Nell Benjamin /<br />
Heather Hach<br />
Deutsch von Heiko Wohlgemuth, Kevin<br />
Schroeder & Ruth Deny<br />
<strong>Musical</strong> Inc.<br />
Theater im P1 Mainz<br />
Premiere: 24. Mai 20<strong>18</strong><br />
Regie ......... Marie Friedl, Florian Pfaff,<br />
Dr. Steffen Storck<br />
Musik. Leitung ............ Nicolai Benner<br />
Choreographie ..... Felix Cambeis, Sina<br />
Eckardt, Jessica Gleisberg, Isabelle<br />
Jegotka, Miriam Kremser, Kathrin<br />
Mertes, Scarlett Saurat, Anna Schlie<br />
Ausstattung ...................... Florian Pfaff<br />
Elle Woods ..... Laura Heinz / Laura Saxler<br />
Emmett Forrest ....... Vinzent Grimmel /<br />
Jonathan Peters<br />
Warner Huntington III........Levent Sen /<br />
Johannes Lotz<br />
Vivienne Kensington .... Natascha Hahn /<br />
Tahira Schäfer<br />
Paulette Bonafonte ....... Miriam Kluth /<br />
Marie Friedl<br />
Prof. Callahan ............. Holger Reuter /<br />
Laurin Hess<br />
Kyle ...... Magnus Neuwirth / Torsten Eder<br />
Margot ...... Clara Eckert / Franziska Heger<br />
Serena ............ Jana Heß / Linda Malm<br />
Pilar ............ Jessica Jopp / Alina Berger<br />
Kate ................................. Katrin Bürck<br />
Brooke Wyndham ................................<br />
Jessica Gleisberg / Scarlett Saurat<br />
Enid Hoopes ................. Eva Friedrich /<br />
Svenja Drewitz<br />
Aaron Schultz .................. Jens Emmert<br />
Carlo ........................ Johannes Franken<br />
Sundeep Padamadan ............................<br />
Benjamin Fazlagic / Marlon Schneider<br />
Nico ...................... Johannes Franken /<br />
Hendrik von Hülst<br />
Richterin ................ Katharina Schäfer /<br />
Clara Vogel<br />
Dewey .................... Konstantin Hahn /<br />
Niklas Schliesmeier<br />
Elles Mutter ................. Isabelle Jegotka<br />
Reporterin ......................... Sarah Guth<br />
Wärter(in) .... Carla Kipke / Felix Cambeis<br />
Verkäuferin......................... Lisa Platz /<br />
Rebecca Richter<br />
Elle (Laura Heinz, Mitte) hat Prof. Callahan (Holger Reuter, vorne 2.v.l.) in die Schranken gewiesen, Warners<br />
(Levent Sen, vorne l.) Ablehnung überwunden, Vivienne (Natascha Hahn, hinten Mitte l.) für sich gewonnen und<br />
Brooke (Jessica Gleisberg, hinten Mitte) befreit<br />
Foto: Alexander Muth / Bildermuth<br />
Tut mir den Gefallen, habt einen Supertag!«, fordert<br />
eingangs Produktionsleiter Steffen Storck die<br />
Zuschauer auf. Das fällt dem Publikum im Mainzer<br />
Hörsaaltheater nicht schwer – angesichts der ideenreichen,<br />
unterhaltsamen Inszenierung und der talentierten<br />
und enorm spielfreudigen Darsteller von »Natürlich<br />
Blond«. Seit 25 Jahren bringt der Verein <strong>Musical</strong> Inc.<br />
jährlich mit rund 40 Darstellern und 20 Musikern sowie<br />
über 30 Helfern auf ehrenamtlicher Basis ein <strong>Musical</strong><br />
auf dem Campus der Johannes Gutenberg-Universität<br />
Mainz zur Aufführung.<br />
Zum Jubiläum entschied man sich für das Uni-<strong>Musical</strong><br />
von Laurence O'Keefe, Nell Benjamin (beide Musik<br />
& Liedtexte) und Heather Hach (Buch). Es erwies sich<br />
als exzellente Wahl, zumal Kevin Schroeder und Heiko<br />
Wohlgemuth (Songs) sowie Ruth Deny (Dialoge) mit<br />
reichlich Sprachwitz und zahlreichen Anspielungen auf<br />
gesellschaftliche Phänomene und Prominente passende<br />
Entsprechungen in der deutschen Sprache gefunden haben,<br />
die sowohl schrillen Ausbrüchen, hintergründigem<br />
Humor als auch Gefühlsschwankungen Rechnung tragen.<br />
Damit sorgen sie wesentlich dafür, dass Elle Woods'<br />
Porträt gegenüber der oberflächlichen Romanvorlage<br />
gewinnt.<br />
Die Malibu-Schönheit Elle wird von ihrem Angebeteten<br />
als lediglich »toll aussehende Frau« zurückgewiesen,<br />
weil er meint, es sei ›Zeit für was Ernsteres‹. Sie folgt<br />
ihm nach Harvard, um ihm zu beweisen, dass sie auch<br />
ernst sein kann. Dort nimmt man sie in ihrem pinken<br />
Outfit und Cheerleaderverhalten (herrlich der getanzte<br />
Motivationsaufsatz) allerdings nicht für voll. Während<br />
sie lernt und versucht, sich anzupassen, entdeckt nicht<br />
nur Tutor Emmett, dass mehr in ihr steckt. Dabei wehrt<br />
sie sich gegen sexuelle Übergriffe ihres Professors und<br />
verhilft als angehende Anwältin dem Recht zum Sieg.<br />
Sie gewinnt neue Freunde und erkennt, dass »sich selbst<br />
treu zu bleiben nie aus der Mode kommt«.<br />
O'Keefes und Benjamins kurzweiliger Stilmix aus<br />
Pop, Swing, Marching-Band-Sounds, Tarantella und<br />
Riverdance charakterisieren das Auftreten der – trotz<br />
aller Klischees – liebevoll gezeichneten Charaktere,<br />
ob blasierter Prinz (Benjamin Fazlagic), emanzipierte<br />
Retterin des Ökosystems (Eva Friedrich) oder irischer<br />
UPS-Bote mit Sixpack und erotischem Timbre (Magnus<br />
Neuwirth). Die Kompositionen vermitteln eine<br />
trügerische Leichtigkeit, verlangen es den Musikern<br />
unter der erfahrenen Leitung von Nicolai Benner aber<br />
ab, sich in hohem Tempo auf Stilwechsel einzustellen.<br />
Das Mainzer Choreographenteam (Felix Cambeis, Sina<br />
Eckardt, Jessica Gleisberg, Isabelle Jegotka, Miriam<br />
Kremser, Kathrin Mertes, Scarlett Saurat, Anna Schlie,<br />
Steffen Storck) inspirierten sie zu einem Feuerwerk von<br />
Tanznummern, welche die Darsteller getreu dem Motto<br />
von Aerobic-Queen Brooke Wyndham (stilecht Jessica<br />
Gleisberg): »Es ist erst dann richtig gut, wenn du<br />
nicht mehr kannst«, zu Höchstleistungen anspornen.<br />
Darunter die Springseilchoreographie (›Peitsch dich in<br />
Form‹), die choreographische Umsetzung von Emmetts<br />
Kaufhausbesuch: ›Trag es wie ein Mann‹, mit Schaufensterpuppen<br />
und die ›Knick und Pop‹-Choreographie<br />
mit »sabbernden Männern«. Deshalb musste noch mehr<br />
als sonst nach Bewegungs- und Tanztalent gecastet werden.<br />
Bewegung ist ein Kennzeichen des Stücks – die<br />
Szenen müssen flüssig ineinander laufen, damit das komödiantische<br />
Timing der Pointen nicht verpufft. Dem<br />
Regieteam Steffen Storck, Marie Friedl und Florian<br />
Pfaff (auch Ausstattung) ist auf offener Bühne sowohl<br />
ein stringenter Ablauf als auch eine klare Definition der<br />
vielfach wechselnden Spielorte gelungen. Letzterer dienen<br />
charakteristische kleine Prospekte sowie drei drehbare<br />
Bühnenelemente, die zusätzlich mittels Licht extra<br />
fokussiert werden können und sich zu einem Friseursalon,<br />
dem Eingangsbereich einer Wohnung oder einem<br />
Bad mit Dusche und Toilette öffnen. Besagtes Badezimmer<br />
dient dem Vor-Ort-Termin im Prozess gegen<br />
Brooke Wyndham: Während die Richterin (herrlich:<br />
Clara Vogel) auf der Toilette Platz nimmt, entlarvt Elle<br />
mit ihrem Wissen über Dauerwellen die wahre Täterin.<br />
30<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Zudem unterstreichen tragbare Requisiten Liedzeilen:<br />
So ist der starke, variable Mädchenchor – bestehend<br />
aus Clara Eckardt (Margot), Jana Heß (Serena), Jessica<br />
Jopp (Pilar) und Katrin Bürck (Kate) sowie Alina<br />
Berger, Franziska Heger, Linda Malm, Tahira Schäfer<br />
und Scarlett Saurat von den »Delta Nu Girls« – in der<br />
Eröffnungsnummer bei »Oh mein Gott, wie heiß!« mit<br />
Kerzen bewaffnet. In gleicher Konstellation bilden die<br />
letzteren Fünf auch den Griechischen Chor, »der bei<br />
keiner Tragödie fehlen darf« und deshalb, ganz in Weiß<br />
gekleidet, Elles Schicksal kommentiert. Passend zum<br />
Finale, das mit einem ganz besonderen Heiratsantrag<br />
endet, tragen die Harvardabsolventen rote Herzen an<br />
den »Doktorhüten«.<br />
Alle tragenden Rollen sind doppelt besetzt, in der<br />
besuchten Vorstellung wurde Elle von Laura Heinz verkörpert,<br />
die sich durch Gesangs- und Bewegungstalent<br />
auszeichnet. Bei aller komödiantischen Überzeichnung<br />
und Theatralik nimmt man ihr die Entwicklung vom<br />
naiven, oberflächlich geprägten Highschoolgirl zur starken,<br />
kämpferischen Frau ab. Zu den liebevoll gezeichneten<br />
Typen gehört auch die esoterisch angehauchte<br />
Friseurin Paulette. Miriam Kluth spielt Elles neue<br />
Freundin mit Verve in Ausdrucksstärke und Gesang.<br />
Ihre emotionale Interpretation der Sehnsuchtsballade<br />
›Irland‹ arbeitet die Geschichte des Songs schön heraus.<br />
Vinzent Grimmel steht als gutmütig strebsamer Tutor<br />
auf der Bühne. Die häufig eher blasse Rolle füllt er mit<br />
seinem warmen, hohen Bariton und einem Spiel voller<br />
Herzblut. Sein Emmett ist ein sympathischer Mann, der<br />
sich allein mit Fleiß aus dem Armenviertel hochgearbeitet<br />
hat. Doch erst durch Elles Freundschaft lernt er,<br />
auch nach außen selbstbewusst aufzutreten. Den arroganten,<br />
etwas tumben Unsympathen Warner verkörpert<br />
Levent Sen mit guter Gesangsstimme. Natascha Hahn<br />
spielt die Vivienne, Warners »was Ernsteres«. Sie spielt<br />
die Harvard-Studentin aus gutem Hause richtig schön<br />
böse, die am Ende jedoch über ihren Schatten springt,<br />
weil auch sie etwas von der ehrlichen, herzensguten Elle<br />
gelernt hat. Holger Reuter gibt dem fiesen Professor<br />
Callahan ein starkes Profil als Chauvinist und Sadist<br />
(›Blut in den Kiemen‹). Reuter gehört wie so viele zu<br />
den Wiederholungstätern in der <strong>Musical</strong> Inc. (»Curtains«),<br />
welche 1993 als Hochschulgruppe der Universität<br />
Mainz gegründet und 2008 zu einem gemeinnützigen<br />
Verein wurde. Seit 2008 kamen mit Unterstützung<br />
der Verlage »Hair«, »3 Musketiere«, »Rent«, »Pinkelstadt«,<br />
»Frühlings Erwachen«, »Side Show«, »Curtains«,<br />
»Frankenstein Junior«, »In the Heights« und zuletzt »Big<br />
Fish« vor einem begeisterten Publikum und unter wachsendem<br />
Medieninteresse auf die Bühne. Immer aufwendiger<br />
und anspruchsvoller wurden im Laufe der Jahre<br />
die Inszenierungen. Hier reiht sich die Inszenierung von<br />
»Natürlich Blond« als Entwicklungs- und Emanzipationsgeschichte<br />
mit Humor und Herz ein. Die Messlatte<br />
für die <strong>Musical</strong>produktion 2019 liegt hoch.<br />
Barbara Kern<br />
Abb. oben:<br />
Am ›Ort des Geschehens‹ thront Richterin<br />
(Clara Vogel, Mitte) mit Wärterin<br />
(Carla Kipke) auf einem Toilettensitz<br />
Abb. unten von links:<br />
1. »Oh mein Gott, wie heiß!« (vorne<br />
v.l.): Clara Eckardt (Margot), Katrin Bürck<br />
(Kate), Jessica Jopp (Pilar), Jana Heß (Serena)<br />
und die anderen »Delta Nu Girls«<br />
2. Emmett (Vinzent Grimmel, r.) findet<br />
Elle (Laura Heinz l.) zauberhaft verrückt,<br />
versucht aber trotzdem, sie mit einem<br />
›Tritt in den Hintern‹ zum Lernen zu<br />
bewegen<br />
3. ›Peitsch dich in Form‹ – Brooke<br />
Wyndham (Jessica Gleisberg) trainiert<br />
jetzt ihre Mitgefangenen<br />
4. ›Knick und Pop‹ – Paulette (Miriam<br />
Kluth, Mitte) hat es raus, die Männer<br />
(Ensemble Herren) umschwärmen sie<br />
Fotos (5): Alexander Muth / Bildermuth<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
31
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Ist deine Familie normal?<br />
»The Addams Family« Open Air in Bad Gandersheim<br />
Abb. oben:<br />
Eine Ehe voller Leidenschaft: Gomez (Lucas<br />
Baier) und Morticia Addams (Miriam Schwan)<br />
Foto: Hillebrecht / Die Fotomaus<br />
The Addams Family<br />
Andrew Lippa / Marshall Brickmann /<br />
Rick Elice<br />
Deutsch von Anja Hauptmann<br />
Gandersheimer Domfestspiele<br />
Bad Gandersheim<br />
Festspielbühne<br />
Premiere: 22. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie ............................... Achim Lenz<br />
Musik. Leitung ........ Patricia M. Martin<br />
Choreographie ........... Marc Bollmeyer<br />
Ausstattung ................... Sandra Becker<br />
Dramaturgie .............. Jennifer Traum &<br />
Prof. Hanns-Dietrich Schmidt<br />
Gomez Addams ................ Lucas Baier<br />
Morticia Addams ........ Miriam Schwan<br />
Wednesday Addams ..... Florentine Kühne<br />
Pugsley Addams .......... Stephan Luethy<br />
Grandma Addams ................ Sven Olaf<br />
Denkinger<br />
Onkel Fester .................... Fehmi Göklü<br />
Lurch ............................ Jan Kämmerer<br />
Lucas Beineke ..................... Jan Rogler<br />
Alice Beineke /<br />
Dance Captain .......... Susanna Panzner<br />
Mal Beineke ........... Guido Kleineidam<br />
Vor der tollen Kulisse am Fuße der Stiftskirche in<br />
Bad Gandersheim jähren sich die Gandersheimer<br />
Domfestspiele zum 60. Mal. Dieses Jubiläum muss gefeiert<br />
werden und das unter anderem mit dem <strong>Musical</strong><br />
»The Addams Family«. Charles Addams, amerikanischer<br />
Cartoonist, erfand in den 1930er Jahren diese skurrile,<br />
exzentrische Familie und veröffentlichte die grotesken<br />
sowie makaberen Geschichten erstmals 1983 als Zeitungscomic<br />
im »The New Yorker«. Die Charaktere sind<br />
frei seinen Angehörigen nachempfunden. Schnell wurden<br />
aus dem Comic die Fernsehserie und diverse Filme.<br />
Ein großer Erfolg folgte dann 2010 am Broadway als<br />
<strong>Musical</strong>.<br />
Wednesday, älteste Tochter der Addams, ist verliebt.<br />
Das passt der übrigen Familie aber leider gar nicht, weil<br />
Lucas, Wednesdays große Liebe, keiner von ihnen ist.<br />
Denn die Familie Addams ist nicht wie normale Familien,<br />
aber was ist schon normal? »Was für die Spinne<br />
normal ist, ist für die Fliege eine Katastrophe!« Sie lieben<br />
den Tod, die Gruft und das Lieblingsreiseziel ist die<br />
Pariser Kanalisation. Lucas' Familie, die Beinekes, sind<br />
hingegen bodenständig, kommen aus der Vorstadt, normal<br />
halt, oder nicht? Die Beinekes haben auch so ihre<br />
skurrilen Angewohnheiten. Mal Beineke, einst Rocker<br />
und sehr extrovertiert, ist zum Spießer geworden und<br />
Alice Beineke versteckt neuerdings ihre Unsicherheit<br />
hinter der Poesie und spricht nur noch in Reimen. Ob<br />
das alles gut geht?<br />
Eine großartig witzige Story mit Happy End. Diese<br />
Produktion ist liebevoll mit vielen Details produziert.<br />
Der Beginn: Sechs in weiße Lumpen gekleidete Personen<br />
torkeln auf die Bühne, scheinbar Untote, und<br />
verbeugen sich, so weit sie können. Der eine verbeugt<br />
sich mit dem Rücken zum Publikum, der andere läuft<br />
gegen das Bühnenbild. Sie verschwinden hinter einem<br />
schwarzen Vorhang, der im Eingangsportal der Stiftskirche<br />
gespannt ist. Direkt danach hört man aus derselben<br />
Richtung die Musik spielen, es ist die Band. Unter<br />
der Leitung von Patricia M. Martin klingt die Musik<br />
am ganzen Abend großartig, als würde man die CD<br />
abspielen. Auf den Punkt sind Übergänge und Einsätze<br />
getimt, und auch technisch ist die Band sehr gut ausgesteuert.<br />
Ein Genuss für die Ohren.<br />
Die Inszenierung harmonisiert sehr mit der Open-<br />
Air-Bühne. Es wird kein großes Bühnenbild eingesetzt,<br />
nur zwei drehbare Bühnenteile: von hinten die Außenwand<br />
des Addams Hauses, auf der Innenseite dann links<br />
auf der Bühne ein Folterstuhl, rechts ein Korbstuhl.<br />
Hinzu kommen Requisiten, die wichtig für die Szenerie<br />
und nicht überflüssig eingesetzt sind. So zum Beispiel<br />
ein überlanger Tisch, der für das Dinner hereingerollt<br />
wird, an dem die Abendgesellschaft Platz nimmt. Andere<br />
Requisiten werden pantomimisch dargestellt, wie<br />
die große, schwere Eingangstür, bei der Lurch sichtbar<br />
Schwierigkeiten hat, sie zu öffnen, wobei die öffnende<br />
Bewegung durch Soundeffekte noch realistischer wirkt.<br />
So »clean«, wie das Bühnenbild ist, so stellen sich auch<br />
die Darsteller dar. Und das kommt dem Stück nur zugute.<br />
Alle zeigen ohne viel Drumherum ihr Können,<br />
erwecken die Figuren zum Leben, fallen nicht aus den<br />
Rollen, lassen die Charaktere wachsen und das merkbar<br />
harmonisch miteinander. Das zeigt auch, dass nicht immer<br />
eine aufwendige Bühnentechnik nötig ist, die oft<br />
sehr von dem Stück und der Inszenierung ablenkt. Nur<br />
durch eine gute Besetzung wird eine Aufführung mitreißend.<br />
Und in dieser Inszenierung von Achim Lenz<br />
begeistert der Cast durchweg.<br />
Lucas Baier ist ein sehr charismatischer, heißblütiger<br />
32<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
und jung gebliebener Gomez Addams. Durch seinen<br />
auf den Punkt gespielten Witz wirkt sein Charakter authentisch.<br />
Das unterstützt sein durchgehend eingesetzter<br />
spanischer Akzent, den er auch beim Singen beibehält.<br />
Überraschend frischt er durch einen Wechsel in<br />
das Sächsische die Szene auf und hat die Lacher dabei<br />
auf seiner Seite. Miriam Schwan ist eine hervorragende<br />
Morticia. Mit ihrer Kühle und Ernsthaftigkeit kreiert sie<br />
eine Morticia, wie sie aus der Serie bekannt ist. Wednesday<br />
Addams wird von Florentine Kühne gespielt. Gesanglich<br />
stark, überzeugt sie in ihren Songs mit einem<br />
sicheren Belt.<br />
Sven Olaf Denkinger als Grandma ist perfekt besetzt,<br />
denn auch im Original vom Broadway wird die<br />
Grandma nämlich mit einem Mann besetzt. Dadurch<br />
bekommt die Rolle einen besonderen Witz, der bei einer<br />
weiblichen Besetzung verschwindet. Und dieser nicht zu<br />
erklärende Humor kommt sehr gut an. Schade, dass der<br />
Song der Grandma (›Let's Not Talk About Anything<br />
Else But Love – Reprise‹) in der deutschen Version des<br />
<strong>Musical</strong>s rausfällt, denn Denkinger hätte ihn bestimmt<br />
perfekt interpretiert.<br />
Jan Rogler als Lucas Beineke ist durch seine erfrischende<br />
Leidenschaft und seine mitreißende Spielfreude<br />
durchweg auf der Bühne präsent.<br />
Susanna Panzner zeigt in der Rolle der Alice Beineke<br />
einen starken Bruch von der etepeteten Hausfrau zur<br />
völlig extrovertierten, starken, temperamentvollen Frau<br />
in dem Song ›Das Warten‹.<br />
Einzig Guido Kleineidam überzeugt nicht als Mal<br />
Beineke. Bei seiner Darstellung vom bodenständigen,<br />
gradlinigen Mann zum Rocker aus alten Zeiten hat man<br />
das Gefühl, er müsste in einer Arena mit zigtausend<br />
Menschen auch bis zur letzten Reihe spielen, was ihn<br />
leider nicht authentisch und etwas drüber wirken lässt.<br />
Intendant Achim Lenz hat mit dem Aussuchen dieses<br />
<strong>Musical</strong>s einen Volltreffer gelandet und haucht mit seiner<br />
Regie den Charakteren einen wundervollen Witz ein.<br />
Leider ist diese Produktion eine gekürzte Fassung. Einige<br />
Songs fehlen und die Handlung ist etwas zusammengefasst,<br />
sodass der Abend ohne eine Pause auskommt und<br />
trotzdem nur gut zwei Stunden dauert. Das merkt man<br />
bei diesem kurzweiligen Abend aber nur daran, dass man<br />
am Schluss noch im Hellen nach Hause geht. Auch sind<br />
regionale Gags eingebaut, die für die ortsansässigen Zuschauer<br />
bestimmt lustig, für diejenigen von Außerhalb<br />
aber ein ganz klein wenig störend sind, weil man über<br />
den Witz nachdenkt und die nächsten zehn Sekunden<br />
die Handlung nicht mitbekommt. Ein Gag hätte nicht<br />
sein müssen und ist sogar unpassend. In Wednesdays<br />
Song ›Neue Wege‹ gibt es im Englischen die Textzeile<br />
»And Liberaces Greatest Hits«, die im deutschen mit<br />
»Udo Jürgens' größte Hits« übersetzt wurde. Nun wurde<br />
der große Udo Jürgens durch »Helene Fischers größte<br />
Hits« ausgetauscht und das Lied für einen kurzen Einwurf<br />
der Melodie von ›Atemlos‹ unterbrochen. Danke,<br />
nein! Die schon zu sehr allgegenwärtige Helene Fischer<br />
muss nicht auch noch in einem <strong>Musical</strong> auftauchen und<br />
den großartigen Udo Jürgens ersetzen.<br />
Zu erwähnen ist auch, dass man ganz ohne Ensemble<br />
ausgekommen ist. Dass die 10-köpfige Darstellergruppe<br />
auch das Ensemble spielt, darunter alle Ensembletänze<br />
übernommen hat, ist allen hoch anzurechnen.<br />
Denn die Tänze von Choreograph Marc Bollmeyer sind<br />
anspruchsvoll und die Kostümwechsel dazu schnell.<br />
Leider war das Zusammenspiel der Technik beim<br />
Vorstellungsbesuch noch nicht ganz ausgereift. Headset-<br />
Aussetzer sind leider nicht zu steuern, aber das knackende<br />
und rauschende Headset anzulassen, obwohl man<br />
dem Darsteller schon ein Handmikro gereicht hat, ist<br />
unprofessionell.<br />
Dies tut aber dem Abend keinen Abbruch. Im Gegenteil:<br />
Bad Gandersheim ist noch ein Geheimtipp, der<br />
unbedingt in der <strong>Musical</strong>-Open-Air-Saison berücksichtigt<br />
und besucht werden sollte.<br />
Vincent Kleen<br />
Abb. oben:<br />
Wednesday (Florentine Kühne) hat das<br />
Abendessen erlegt<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Zwei »normale« Familien unter sich<br />
(v.l.): Lucas Beineke (Jan Rogler), Mal<br />
Beineke (Guido Kleineidam), Grandma<br />
Addams (Sven Olaf Denkinger), Wednesday<br />
Addams (Florentine Kühne), Pugsley<br />
Addams (Stephan Luethy), Alice Beineke<br />
(Susanna Panzner), Onkel Fester (Fehmi<br />
Göklü)<br />
2. Morticia (Miriam Schwan), Wednesday<br />
(Florentine Kühne) und Gomez Addams<br />
(Lucas Baier) bereiten sich auf das<br />
Kennenlern-Essen mit den Beinekes vor<br />
3. Die Familie Beineke (von links): Alice<br />
(Susanna Panzner), Lucas (Jan Rogler)<br />
und Mal Beineke (Guido Kleineidam)<br />
Fotos (4): Hillebrecht / Die Fotomaus<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
33
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Der Weg zum Ruhm durch harte Arbeit<br />
»Fame« Open Air in Bad Gandersheim<br />
Fame<br />
Steve Margoshes / Jacques Levy /<br />
José Fernandez<br />
Titelsong ›Fame‹ von Dean Pitchfork &<br />
Michael Gore<br />
Deutsch von Frank Thannhäuser &<br />
Iris Schumacher<br />
Gandersheimer Domfestspiele<br />
Festspielbühne<br />
Premiere: 29. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie &<br />
Choreographie ........... Marc Bollmeyer<br />
Musik. Leitung .... Ferdinand von Seebach<br />
Ausstattung ..................... Thomas Döll<br />
Dramaturgie ...... Jennifer Traum & Prof.<br />
Hanns-Dietrich Schmidt<br />
Carmen Diaz /<br />
Dance Captain........... Julia Waldmayer<br />
Schlomo Metzenbaum .........................<br />
Hermann Bredke<br />
Nick Piazza ....................... Lucas Baier<br />
Serena Katz .................... Sarah Wilken<br />
José »Joe« Vegas .......... Daniel Wagner<br />
Tyrone Jackson ..... Dinipiri Collins Etebu<br />
Mabel Washington ....... Stefanie Köhm<br />
Iris Kelly ....................... Claudia Artner<br />
Grace »Lambchops« Lamb .... Selly Meier<br />
Goodman »Goody« King .... Lukas Janisch<br />
Miss Esther Sherman .... Susanna Panzner<br />
Ms Greta Bell ............. Miriam Schwan<br />
Mr Myers ........... Sven Olaf Denkinger<br />
Mr Sheinkopf ......... Guido Kleineidam<br />
Tanzensemble:<br />
Marie Armbrecht, Christina Baufeldt,<br />
Sidney Sophie Blume,<br />
Maja Brinkmann, Lelia Gödeke,<br />
Patricia Roddewig<br />
Die Aufnahmeprüfung ist bestanden (hinten v.l.): Schlomo Metzenbaum (Hermann Bredke), Goodman King<br />
(Lukas Janisch), Grace Lamb (Selly Meier), Serena Katz (Sarah Wilken), José »Joe« Vegas (Daniel Wagner); (vorne v.l.):<br />
Mabel Washington (Stefanie Köhm), Tyrone Jackson (Dinipiri Collins Etebu), Nick Piazza (Lucas Baier), Carmen Diaz<br />
(Julia Waldmayer)<br />
Foto: Hillebrecht / Die Fotomaus<br />
Zum 60. Jubiläum der Gandersheimer Domfestspiele<br />
wird nach dem Erfolg von »Saturday Night Fever«<br />
aus dem letzten Jahr wieder ein Tanzmusical aufgeführt.<br />
»Fame – Das <strong>Musical</strong>« basiert auf dem Film aus dem<br />
Jahr 1980 von Alan Parker. 1988 hatte das <strong>Musical</strong> in<br />
Miami Premiere. Außer dem Titellied ›Fame‹ war der<br />
Score komplett neu geschrieben worden. Die Charaktere<br />
blieben bestehen, die Handlung aber wurde abgeändert,<br />
um es bühnentauglicher zu machen. Bei der Bad<br />
Gandersheimer Produktion hat man das <strong>Musical</strong> etwas<br />
gekürzt, denn es wird zwei Stunden ohne Pause durchgespielt.<br />
Das tut dem Abend aber keinen Abbruch, denn<br />
man hat Spaß beim Zuschauen und dadurch ist der<br />
Abend sehr kurzweilig.<br />
An der Schule »New York City's High School of<br />
Performing Arts«, der P.A., lernen die Schüler nicht nur<br />
normale Fächer, denn neben Mathe, Englisch und Geschichte<br />
stehen Gesang, Tanz und Schauspiel auf dem<br />
Stundenplan. Nach erfolgreichem Abschluss dieser<br />
Schule ist man offiziell Künstler und nichts wünschen<br />
sich die Lernenden sehnlicher, als berühmt zu werden.<br />
Doch Klassenlehrerin Ms Sherman weiß, auch die »normalen«<br />
Fächer sind wichtig, denn nicht jeder schafft<br />
nach der Schule den Absprung zum Ruhm und nicht<br />
jeder kann seinen Lebensunterhalt mit der Kunst verdienen.<br />
Deswegen ist es für sie so wichtig, dass keiner<br />
durch die anderen Fächer fällt.<br />
So lautet nur eine kurze Zusammenfassung der<br />
Handlung, doch was die Darsteller unter der Regie von<br />
Marc Bollmeyer zum Leben erweckt haben, ist einfach<br />
großartig: klar definierte Charaktere und ein authentisches<br />
Zusammenspiel auf der Bühne. Tolle Stimmen<br />
und ein durchdachtes Bühnenbild (Ausstattung:<br />
Thomas Döll) runden den Abend ab.<br />
Der Cast harmoniert sehr gut untereinander, man<br />
hat das Gefühl, seine Mitglieder gehen wirklich auf eine<br />
Schule und leben drei Jahre zusammen. Die Entwicklung<br />
jedes einzelnen Charakters ist zu erkennen, auch<br />
wenn sich die Kostüme nicht groß ändern. Sie wachsen<br />
dennoch und entwickeln sich zu den Absolventen einer<br />
künstlerischen Schule. Am liebsten würde man ihnen<br />
noch weiter folgen, sehen, was aus ihnen wird, ob sie alle<br />
einen Job im Business bekommen.<br />
Was die Inszenierung sehr harmonisiert, sind die<br />
sehr gut eingesetzten szenischen Überschneidungen.<br />
Es ist nicht das Typische: eine Szene wird gespielt und<br />
wenn sie zu Ende ist, gehen alle ab und die nächste Szene<br />
beginnt. Während die eine Szene läuft, passiert im<br />
Hintergrund schon der Aufbau der nächsten. Und mit<br />
Aufbau ist nicht der Aufbau eines nächsten Bühnenbil-<br />
34<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
des gemeint, sondern das schauspielerische Vorbereiten<br />
der nächsten Szene. So wie zum Beispiel in der Szene,<br />
in der Serena und Nick zusammen für eine Aufgabe im<br />
Schauspielunterricht proben und sich daraus ein Song<br />
entwickelt, währenddessen man Schlomo auf einer oberen<br />
Ebene mit seiner Violine hantieren sieht. Er schreibt<br />
einen Song für einen Wettbewerb und spielt dann seine<br />
Melodie zu dem Song, den Serena und Nick im Vordergrund<br />
singen. Danach wechselt die Szene, die beiden<br />
gehen ab, Schlomo kommt in den Vordergrund und es<br />
geht direkt weiter. So entstehen keine unangenehmen<br />
Pausen, auch keine Umbaupausen, denn das festinstallierte<br />
Bühnenbild wird nur durch bewegliche Requisiten<br />
verändert. Fest auf der Bühne verankert ist auf der<br />
linken Bühnenseite ein Podest, in das ein Klavier integriert<br />
ist, welches auch live benutzt wird, und auf der<br />
rechten Bühnenseite sieht man die Schulspinde, welche<br />
aber auch durch eine Treppe begehbar gemacht werden.<br />
So entsteht eine obere Ebene, die bespielt werden kann.<br />
Die Spinde sind mit einem Graffiti übermalt, das in Neon-<br />
Farben ein typisches Kassettenradio aus den 80ern zeigt.<br />
Die Band ist sichtbar in der hinteren Mitte in das Eingangsportal<br />
der Stiftskirche integriert.<br />
Endlich kann ein Darsteller, der auf der Bühne einen<br />
Musiker spielt, sein Instrument auch selbst live spielen.<br />
Hermann Bredke, der den Schlomo darstellt, beherrscht<br />
das Klavier- und Violinenspiel und macht seinen Charakter<br />
dadurch noch echter. Auch Selly Meier als Grace Lamb<br />
vermag es, ihr Schlagzeug und Lukas Janisch als Goodman<br />
King seine Trompete live zu spielen. Sie überzeugen dadurch<br />
voll und ganz als Schulband und rocken die Bühne.<br />
Weiter hervorzuheben ist die Spielfreude, die von<br />
dem kompletten Cast an den Tag gelegt wird. Besonders<br />
Daniel Wagner als José Vegas hat durch sein offenes<br />
Spiel und seine perfekt getimte Komik viele Lacher auf<br />
seiner Seite. Gesanglich überzeugt er durch seine überraschend<br />
sicheren Höhen. Ebenfalls gesanglich beeindrucken<br />
können Lucas Baier als Nick Piazza und Susanna<br />
Panzner als Ms Sherman. Wer aus dem Tanzfach<br />
kommt, hat einzig die Ballett-Tanztechnik von Claudia<br />
Artner als Iris Kelly etwas zu bemängeln. Daneben ist<br />
ihre Tanztechnik bei allen anderen Choreographien,<br />
wie im Salsa, sehr gut, und sie sticht in dieser Hinsicht<br />
auch aus der Menge hervor. Das Gleiche gilt für Stefanie<br />
Köhm als Mabel, die Szenenapplaus bekommt und ihn<br />
auch verdient, denn ihre Darstellung der etwas dicklichen<br />
und immer hungrigen Mabel ist großartig. Durch<br />
ihre Mimik, Gestik und gesangliches Können macht<br />
sie ihre Szene und ihren Song ›Mabels Gebet‹ zu einem<br />
Höhepunkt.<br />
Neben der Regie hat Marc Bollmeyer auch die mitreißenden<br />
Choreographien kreiert. Typisch 80er, passend<br />
zur Zeit, anspruchsvoll, aber trotzdem nach Leichtigkeit<br />
aussehend, setzt der Cast die Tanzschritte um.<br />
Wenn man nun auf hohem Niveau meckern möchte,<br />
hätten sich die Tanzschritte bei Solotänzen noch differenzierter<br />
und individueller, jedem einzelnen Charakter<br />
typischer, abheben können. Doch bei solch einer Energie<br />
und Spaß, mit denen getanzt wird, ist es eine Freude,<br />
den Tänzern zuzusehen. Daher ist es überflüssig, dem<br />
Cast zusätzlich ein kleines Tanzensemble von sechs Tänzerinnen<br />
als Unterstützung zu geben. Klar sehen Ensemblechoreographien<br />
voller und nach Mehr aus, doch<br />
das muss bei dieser Produktion gar nicht sein, vor allem<br />
nicht, wenn das Tanzensemble eher durch seine nicht<br />
vorhandene Ausstrahlung auffällt und tänzerisch nicht<br />
an den übrigen Cast anschließen kann.<br />
Auch die Band unter der Leitung von Ferdinand von<br />
Seebach spielt mit Freude die verschiedenen Musikstile,<br />
die in diesem <strong>Musical</strong> verarbeitet sind, und klingt dabei<br />
sehr harmonisch.<br />
Leider hatte die Technik in der besuchten Vorstellung<br />
so ihre Tücken, doch der Headset-Ausfall wurde<br />
professionell schnell mit der Ersetzung durch ein Handmikro<br />
überspielt. Vielleicht hätten alle Darsteller mit<br />
Handmikro spielen sollen, da der Klang hier deutlich<br />
besser war als mit den nach Telefonstimme klingenden<br />
Headsets – doch auch das ist eher die Suche nach der<br />
berühmten Stecknadel im Heuhaufen.<br />
Zusammenfassend lohnt sich bei dieser tollen Produktion<br />
und Besetzung der Besuch bei den Gandersheimer<br />
Domfestspielen sehr.<br />
Vincent Kleen<br />
Abb. oben:<br />
1. Der talentierte Tänzer Tyrone Jackson<br />
(Dinipiri Collins Etebu) leidet an Dyslexie<br />
und gerät deswegen mit der strengen<br />
Miss Sherman (Susanna Panzner), die<br />
auch Wert auf akademische Leistungen<br />
legt, in Konflikt<br />
2. Mabel Washington (Stefanie Köhm)<br />
hat ständig mit Gewichtsproblemen zu<br />
kämpfen<br />
Fotos (2): Hillebrecht / Die Fotomaus<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Zwischen Tyrone Jackson (Dinipiri<br />
Collins Etebu) und Iris Kelly (Claudia<br />
Artner) entsteht ein Streit<br />
2. Carmen Diaz (Julia Waldmayer) sieht<br />
sich schon als großen Star in Hollywood<br />
Fotos (2): Hillebrecht / Die Fotomaus<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
35
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Auf dem Weg zum Ruhm?<br />
»Fame« im Hamburger F1rst Stage Theater der Stage School<br />
Abb. oben:<br />
Schaffen die angehenden Künstler<br />
(Michaela Thurner, Antonia Wortberg,<br />
Niklas Heinrichs, Fynn Duer-Koch<br />
[oben], Marius Bingel, Inga Clauß) die<br />
Aufnahmeprüfung für die Schule?<br />
Foto: Dennis Mundkowski<br />
Fame<br />
Steve Margoshes / Jacques Levy /<br />
José Fernandez<br />
Titelsong ›Fame‹ von Dean Pitchfork &<br />
Michael Gore<br />
Deutsch von Frank Thannhäuser &<br />
Iris Schumacher<br />
Stage School Hamburg<br />
F1rst Stage Theater Hamburg<br />
Premiere: <strong>18</strong>. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie .................................. Felix Löwy<br />
Musik. Leitung ................ Felix Löwy &<br />
James Mironchik<br />
Choreographie ............... Phil Kempster<br />
Bühnenbild .................... Felix Löwy &<br />
Toby Mancinella<br />
Kostüme ................ Lauren Slater-Klein<br />
Lichtdesign ................ Felx Wienbürger<br />
Sounddesign .......... Peppe Anderson &<br />
Toby Mancinella<br />
Serena Katz .............. Michaela Thurner<br />
Nick Piazza ............... Fynn Duer-Koch<br />
Carmen Diaz .......... Antonia Wortberg<br />
Joe Vegas ....................... Marius Bingel<br />
Tyrone Jackson .............. Robin Apostel<br />
Iris Kelly .................... Melanie Hügner<br />
Mabel Washington ............. Inga Clauß<br />
Schlomo Metzenbaum.... Niklas Heinrichs<br />
Grace Lamb ...................... Helen Hefti<br />
Goodman King ............ Max Herlitzius<br />
Mr Sheinkopf ..................... Tim Knieps<br />
Ms Sherman ..................... Sophie Alter<br />
Mr Myers.......................Simon Dubach<br />
Ms Bell ............................... Anna Vogt<br />
In weiteren Rollen:<br />
Felicitas Bauer (Dance Captain),<br />
Romina Czaja, Victoria Dias Santos,<br />
Giulia Haas, Melanie Haberlander,<br />
Lara Kilian, Juri Menke, Sarah Merten,<br />
Lilith Myska, Antonia Rinkel,<br />
Tina Rosensprung<br />
Remember my name: Erinnere Dich an meinen Namen!<br />
Das hofft wohl jeder angehende Künstler.<br />
Nun haben die Absolventen des diesjährigen Jahrgangs<br />
zusammen mit einigen aktuellen Studenten der Stage<br />
School Hamburg diese Aufgabe als Abschlussprojekt<br />
bekommen. Sie führen im schuleigenen Theater, dem<br />
F1rst Stage, das <strong>Musical</strong> »Fame« auf. Direkt nach den<br />
Abschluss- und Zwischenprüfungen ging es für die angehenden<br />
<strong>Musical</strong>darsteller auf die Bühne und das – wie<br />
im echten Darstellerleben – für eine Spielzeit von 8 Wochen:<br />
jeden Tag eine Show, am Wochenende auch schon<br />
mal zwei pro Tag. Nicht anders wird das tägliche Leben<br />
in diesem Job aussehen. Das heißt, wenn man einen Job<br />
hat. Denn das ist nicht unbedingt der Normalfall. Man<br />
muss sich durchsetzen können und Eindruck hinterlassen.<br />
Das haben zwar alle Schüler schon bei der Aufnahmeprüfung<br />
machen müssen, doch sich im Business<br />
durchzusetzen ist dann nochmal eine ganz andere Sache.<br />
Es gibt ein Überangebot an <strong>Musical</strong>darstellern und das<br />
auf der ganzen Welt. Doch das Business boomt. Immer<br />
mehr Angebote werden auf den Markt geschwemmt, zu<br />
jedem Thema muss ein neues <strong>Musical</strong> geschrieben werden,<br />
jeder möchte <strong>Musical</strong> machen und darunter leidet<br />
die Qualität zunehmend. Doch sehr hoch anzurechnen<br />
ist der Stage School, dass sie ihre Studenten auf diese<br />
Art auf den Berufsalltag vorbereitet. Auf solch professionellem<br />
Niveau macht dies keine andere <strong>Musical</strong>schule<br />
in Deutschland, ob privat oder staatlich. 1985 gegründet,<br />
ist die Stage School damit die erste Berufsfachschule<br />
für »performing arts« in Deutschland gewesen und<br />
kann sich berühmter Absolventen wie Elisabeth Hübert,<br />
Thomas Borchert oder Ralf Bauer rühmen. Nach dieser<br />
langen Zeit hat man sich nun den Traum vom eigenen<br />
Theater, dem F1rst Stage, erfüllt.<br />
Doch zurück zur Produktion: Die <strong>Musical</strong>fassung<br />
basiert auf dem gleichnamigen Film aus dem Jahre<br />
1980 und hat außer dem Titel und der Bezeichnung der<br />
Charaktere nur noch wenig mit der Vorlage zu tun. Die<br />
Musik wurde bis auf den Titelsong ›Fame‹ komplett neu<br />
geschrieben, der Erzählstrang neu angelegt. Der grobe<br />
Handlungsverlauf ist erhalten geblieben: Schüler auf einer<br />
Schule für Bühnenkünste in New York City. Die bekannten<br />
Charaktere wie Serena Katz, die Schüchterne,<br />
Carmen Diaz, die Draufgängerin, oder Tyrone Jackson,<br />
der Hip-Hopper, erzählen wie alle anderen Charaktere<br />
ihre Geschichte. Ähnlich wie bei »Cats« hat so jeder<br />
Charakter seine Szene und seinen Song. Gleich sind nur<br />
die drei Jahre Schulzeit, von denen <strong>Musical</strong> und Film<br />
handeln.<br />
Es beginnt mit dem ersten Schultag, an dem sich<br />
die Schüler der ›New York City's High School for Performing<br />
Arts‹, die es im Übrigen wirklich in New York<br />
gibt, kennenlernen und die Schulleiterin die multikulturelle<br />
und -ethnische Gruppe ermahnt, dass es noch<br />
mehr braucht als Träume, um den Abschluss zu schaffen.<br />
Harte Arbeit, Konzentration, Fokus und keine Ablenkungen<br />
sind das einzig Wahre. Nacheinander werden<br />
nun die Geschichten der einzelnen Lernenden erzählt,<br />
beginnend mit der Ruhm-besessenen Carmen Diaz, die<br />
auch den Titelsong ›Fame‹ performt. Sie schreibt einen<br />
Songtext für die Schulband, die der Klavier-Virtuose<br />
Schlomo mit der Drummerin Grace und dem Gitarristen<br />
Goodman ins Leben gerufen hat. Carmen und<br />
Schlomo werden ein Paar, doch Carmen gerät auf die<br />
falsche Bahn und vertraut blind einem Künstler-Agenten<br />
in Hollywood, der ihr versprochen hat, sie berühmt<br />
zu machen. Drogen und Alkohol lassen sie abstürzen<br />
und die schlimme Seite der schillernden Traumwelt erleben.<br />
Nach ihrem Song im zweiten Akt, ›In L.A.‹, begeht<br />
sie Selbstmord. Schlomo ehrt seine große Liebe,<br />
indem er mit allen Absolventen am Ende des Stücks den<br />
Song performt, zu dem Carmen den Songtext geschrieben<br />
hatte.<br />
Die angehende Schauspielerin Serena verguckt sich<br />
in Nick. Der hat aber nur Augen für seine Kunst und<br />
möchte ein ernsthafter Schauspieler werden. Das stellt<br />
er klar, doch Serena schwärmt weiter für ihn und darf<br />
bei dem Klassenprojekt »Romeo und Julia« seine Julia<br />
36<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
spielen. Nick bemerkt spät, dass auch er Gefühle entwickelt<br />
hat, aber sie kommen zum Schluss doch noch<br />
zusammen. Joe, auch angehender Schauspieler, kann<br />
im Unterricht einfach nicht ernst bleiben und merkt<br />
schnell, dass nur ein Komiker aus ihm werden kann.<br />
Schon während der Schulzeit hat er diverse Auftritte<br />
in einem Stand-up-Comedy Club. Die Tänzer der<br />
Schule haben es auch alle nicht ganz leicht. Iris kommt<br />
aus ärmlichen Verhältnissen, wird aber zuerst als reich<br />
abgestempelt, weil sie jeden Morgen von einer schwarzen<br />
Limousine zur Schule gebracht wird, doch es stellt<br />
sich heraus, dass ihr Vater Chauffeur ist und sie nur auf<br />
seinem Weg zur Arbeit absetzt. Sie verliebt sich in den<br />
sehr talentierten Tänzer Tyrone, der an Dyslexie leidet.<br />
Eigentlich hat er nicht wirklich Lust, sich den Lehrern<br />
unterzuordnen, und geht auch nicht gerade zimperlich<br />
mit ihnen um. Doch durch Iris fängt er sich etwas, sie<br />
hilft ihm bei seinen Aufsätzen und dem Lesenlernen<br />
und er hilft ihr bei ihren Ballettübungen. Die angehende<br />
Tänzerin Mabel isst einfach viel zu gerne, obwohl sie<br />
sich gerade als Tänzerin beherrschen können müsste. Es<br />
gilt ein besonderes Ideal an Aussehen und Können im<br />
Tanz, sodass sie nicht mithalten kann und in die Schauspielklasse<br />
wechselt.<br />
Was aus den Charakteren nach der Schulzeit im<br />
Stück wird, wird dem Publikum nicht gezeigt. Einige<br />
werden es geschafft haben, andere wohl nicht. Wie auch<br />
im wahren Leben wissen wir nicht, was aus den Absolventen<br />
der Stage School und aller anderen <strong>Musical</strong>schulen<br />
wird. Aber sicher ist, dass alle Darsteller dieser<br />
Produktion das Zeug dazu haben, auf der Bühne zu stehen.<br />
Im gesamten Ensemble herrscht ein ausgeglichenes<br />
Können. Tänzerisch sehr stark, gesanglich solide und<br />
schauspielerisch sehr gut fundiert. Phil Kempster setzt<br />
mit seinen Choreographien ein sehr hohes tänzerisches<br />
Niveau voraus, das hervorragend umgesetzt wird. Die<br />
Choreographien passen perfekt zu den Songs wie auch<br />
zu den jeweiligen Charakteren und reißen den Zuschauer<br />
mit – mehr als in so mancher professionellen Produktion.<br />
Hierbei hervorzuheben ist Robin Apostel als<br />
Tyrone Jackson. Obwohl zu Beginn nur in Ensemble-<br />
Choreographien tanzend, lenkt er trotzdem den Blick<br />
auf sich. Durch sein tänzerisches Können und seine<br />
Ausstrahlung wird sein Song ›Tanzen auf der Straße‹ ein<br />
absolutes Highlight für Auge und Ohr. Apostel ist einer<br />
der ganz wenigen Ausnahmen, die nicht als Absolvent,<br />
sondern als Schüler des ersten Jahrgangs bei dieser Produktion<br />
dabei sein dürfen. Wenn er bereits nach einem<br />
Jahr ein so hohes Niveau hat, darf sich schon auf spätere<br />
Produktionen gefreut werden. Außerdem herauszustellen<br />
ist Michaela Thurner, die gesanglich sehr überzeugen<br />
kann. Mit ihren Songs ›Wir spielen Liebe‹ und ›Ich will<br />
sie verzaubern‹ verzaubert sie in der Tat das Publikum.<br />
Einfühlsam, zart, aber auch stark im Belt, erinnert sie<br />
eher an die Stimmen aus <strong>Musical</strong>-Produktionen im<br />
Londoner West End oder am New Yorker Broadway.<br />
Etwas zu bemängeln ist die schauspielerische Leistung.<br />
Die Charaktere haben keinen Bogen, keinen roten<br />
Faden, keine Entwicklung. Nach den drei Jahren Schulzeit<br />
im Stück ist kein Unterschied zum ersten Schultag<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Voller Vorfreude auf das Ungewisse,<br />
jetzt geht es los! ( v.l.: Marius Bingel,<br />
Michaela Thurner, Antonia Rinkel,<br />
Antonia Wortberg, Giulia Haas, Tina<br />
Rosensprung, Niklas Heinrichs)<br />
2. Tyrone Jackson (Robin Apostel, vorne<br />
mit Ensemble) kann zwar nicht lesen,<br />
dafür aber umso besser tanzen<br />
3. Mabel (Inga Clauß, Mitte mit Ensemble)<br />
kann sich nicht vom Essen fernhalten<br />
und wechselt in die Schauspielklasse<br />
4. Carmen (Antonia Wortberg, Mitte mit<br />
Ensemble) träumt von der großen Karriere<br />
in Hollywood<br />
Fotos (4): Dennis Mundkowski<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
37
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Abb. rechts:<br />
Nick Piazza (Fynn Duer-Koch) will seine<br />
Zuschauer verzaubern<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Tyrone Jackson (Robin Apostel, vorne<br />
mit Ensemble) ist ein begnadeter Tänzer<br />
2. Tyrone Jackson (Robin Apostel mit<br />
Ensemble) bei seiner Lieblingsbeschäftigung,<br />
dem Tanzen<br />
3. Auch im normalen Unterricht wird lieber<br />
getanzt als Mathe gepaukt (Ensemble)<br />
4. Geschafft! Den Abschluss in der<br />
Tasche, nun geht der Ernst des Lebens los<br />
(Ensemble)<br />
Fotos (5): Dennis Mundkowski<br />
zu sehen und zu merken. Sehr oberflächlich und ohne<br />
Tiefe »spielen« sie im wahrsten Sinne des Wortes ihren<br />
Charakter. Da kann man sich nach einer dreijährigen<br />
Hochschulausbildung mehr wünschen. Auch ist der generelle<br />
Leistungsunterschied zwischen Absolventen und<br />
Noch-Schülern nur aus dem kurzen Vorstellungstext der<br />
Darstellerinnen und Darsteller auf der Website zu entnehmen,<br />
und das spricht eher für die Noch-Schüler als<br />
für die Absolventen.<br />
Das Bühnenbild besteht aus zwei Etagen, die bespielt<br />
werden können. Oben der Band-Übungsraum, unten<br />
ein großer Raum, der als Schulcafeteria, Pausen-, Klassen-<br />
und Ballettraum genutzt wird. An der Rückwand<br />
der unteren Ebene sind die klassischen Schließfächer installiert,<br />
die man aus amerikanischen Filmen kennt. Die<br />
mittleren fünf sind nach vorne ausfahrbar und werden<br />
dadurch zur Umkleide der Mädchen umfunktioniert.<br />
Hinter den Schließfächern ist die Band positioniert, die<br />
man während der Vorstellung leider nicht sieht, weshalb<br />
man sich wegen des perfekten Klangs kurz fragt, ob<br />
die Musik aus der Konserve oder von einer Live-Band<br />
kommt. Unter der Leitung von James Mironchik am<br />
Piano spielen die insgesamt vier Musiker perfekt und<br />
auf den Punkt die Kompositionen, die eigentlich für<br />
eine neunköpfige Combo ausgelegt sind. Es fehlte dem<br />
Klang an nichts.<br />
Als Zuschauer geht man sehr gut gelaunt aus einer<br />
sehr professionell angelegten Produktion.<br />
Allen angehenden <strong>Musical</strong>darstellern wünscht der<br />
Schreiber viele Audition-Angebote. Bleibt bitte am Ball<br />
und gebt nicht auf, auch wenn das erste Engagement<br />
etwas auf sich warten lässt!<br />
Vincent Kleen<br />
38<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Vaterfreuden mit Umwegen<br />
»Der bewegte Mann« als Gastspiel in Jagsthausen<br />
Im Juli 2017 feierte »Der bewegte Mann – Das <strong>Musical</strong>«<br />
im Altonaer Theater in Hamburg Uraufführung.<br />
Die Show basiert auf dem gleichnamigen Film von Sönke<br />
Wortmann aus dem Jahr 1994, der Til Schweiger und<br />
Katja Riemann zu Stars machte. Der Film holte sich seine<br />
Inspiration bei einem Comic von Ralph König von 1987.<br />
Die Produktion gastiert nun auf der Götzenburg in Jagsthausen,<br />
wo mit einem teils neuen Ensemble erstmals Open-<br />
Air gespielt wird. Die Hamburger Inszenierung ist integral<br />
übernommen worden, unter der Regie von Harald Weiler.<br />
Leider wird die Musik von Christian Gundlach nicht<br />
live gespielt, sondern kommt vom Band. Links auf der<br />
Bühne steht eine grüne Couch vor einer grün tapezierten<br />
Wand, mit einem seitlichen Schrank. Auf der rechten<br />
Seite steht das gleiche Ensemble, nur ockerfarbig.<br />
Im Hintergrund hängen Vorhänge aus glitzernden Fäden.<br />
Größere Unterschiede zum Erzählstrang des Films<br />
gibt es im <strong>Musical</strong> keine.<br />
Als Axel (Elias Krischke) von seiner Freundin Doro<br />
(Jennifer Siemann) mit einer anderen Frau erwischt<br />
wird, fliegt er kurzerhand vor die Tür der gemeinsamen<br />
Wohnung. Er lernt bei einer Selbsthilfegruppe für Sexsüchtige<br />
den homosexuellen Norbert (Moritz Grabbe)<br />
kennen, der ihm anbietet, bei ihm zu übernachten. Erst<br />
nimmt Axel das Angebot nicht an, bis er kurz darauf<br />
bei Norbert anklopft, der sich in ihn verknallt hat. Bei<br />
Norbert lernt er dessen Freunde(innen) Waltraud (Martin<br />
Markert) und Fränzchen (Matias Lavall) kennen, die<br />
nichts gegen ein Schäferstündchen mit dem blonden<br />
Adonis hätten. Nur ist Axel ein eingeschworener Hetero<br />
und will nichts von schwulen Gedanken wissen. Doro<br />
stellt fest, dass sie schwanger ist. Ihre Freundinnen Lisa<br />
(Luisa Meloni) und Claudia (Lisa Huk) sind nicht begeistert<br />
von ihrer Idee, Axel Bescheid zu sagen. Dieser<br />
erfährt dennoch von dem freudigen Ereignis und macht<br />
Doro einen Heiratsantrag. Als jedoch Norbert Axel bei<br />
der Hochzeit innig küsst, schmeißt Doro den weißen<br />
Schleier weg. Das Paar bleibt wegen des Kindes dennoch<br />
zusammen. Aus Angst, es könnte dem Baby schaden,<br />
lehnt Axel Sex mit Doro ab. Norbert hat einen neuen<br />
Freund gefunden, Metzger (David Wehle), während<br />
Axel seiner Jugendliebe Elke (Elena Otten) begegnet. Er<br />
wird wieder schwach und Elke macht ihn in einer turbulenten<br />
Szene in Norberts Wohnung mit einem Sexstimulator<br />
an, bis Axel – nackt – auf der Couch regungslos<br />
sitzen bleibt. Doro hat Wind von Axels Ausschweifung<br />
bekommen und stürmt in Norberts trautes Heim. Sie<br />
verliert plötzlich Fruchtwasser, und Norbert fährt mit<br />
ihr ins Krankenhaus. Ein Sohn kommt zur Welt, und<br />
Axel erkennt, wie dumm er sich benommen hat. Er<br />
macht Doro einen zweiten Antrag, den sie annimmt.<br />
Elias Krischke zeigt Mut, wenn er sich als Axel nackt<br />
vor dem Publikum duscht oder im Sexrausch bewegungslos<br />
auf der Couch sitzen bleibt. Stimmlich kann er<br />
ebenfalls gefallen. Moritz Grabbe, der mit seinem vielseitigen<br />
Mienenspiel alle Gefühle zeigt, die ein verliebter<br />
»schwuler« Kerl drauf hat, überzeugt am meisten. Er<br />
wirft als Norbert irrsinnig scharfe Blicke auf Axel, die in<br />
Enttäuschung übergehen, weil dieser seine Gefühle als<br />
Hetero nicht erwidert. Im Gegensatz zu seinen Freundinnen,<br />
benimmt er sich nicht frauenhaft, sondern<br />
bleibt eher männlich, speziell als er Doro ins Krankenhaus<br />
bringt und dort für den Kindsvater gehalten wird.<br />
Ein gesanglich aparter Moment ist das Duett mit Axel<br />
›Wie du‹, wo Gefühle freigesetzt werden und Norbert<br />
und Axel sich als echte Freunde fürs Leben outen.<br />
Interessant ist auch die Darstellung von Martin Markert<br />
als Waltraud. Er ist mal frech, scharf auf Axel oder<br />
verletzlich. Gesanglich kann er mit ›Sei einfach du‹ und<br />
›Waltraud weiß Bescheid‹ überzeugen. David Wehle<br />
spielt den Macho, der sich nicht zu schade ist, im Kino<br />
ein paar Querulanten zu vermöbeln, während Matias<br />
Lavall den hyperfrivolen Homosexuellen gibt.<br />
Sind die Männer noch voller Energie, so fehlt diese<br />
zum Teil dem weiblichen Ensemble.<br />
Sicher brauchen sie nicht herumzuspringen und ihre<br />
Gesinnung zu verkünden, dennoch hätte man etwas mehr<br />
Impulse im Spiel von Jennifer Siemann, Luisa Meloni und<br />
Lisa Huk erwartet. Nur Siemann braust ein paar Mal wegen<br />
Axels Untreue und Lügen auf. Das war's dann aber.<br />
Von den Songs gefallen insbesondere ›Alles was ich<br />
will‹ und ›Ich bin ein bewegter Mann‹. Einige lustige<br />
Situationen und Witze, die man aus dem Film kennt,<br />
halten das Publikum immer noch bei Laune, ebenso ein<br />
paar Tanzeinlagen. Somit ist das <strong>Musical</strong> um einen von<br />
Vaterfreuden neu bewegten Mann sehenswert.<br />
Christian Spielmann<br />
Abb. oben von links:<br />
1. Claudia (Lisa Huk), Doro (Jennifer<br />
Siemann) und Lisa (Luisa Meloni)<br />
schauen Axel (Elias Krischke) beim<br />
(Lügen) Telefonieren zu<br />
2. Fränzchen (Matias Lavall, l.) und Waltraud<br />
(Martin Markert, r.) umschwärmen<br />
Axel (Elias Krischke)<br />
Fotos (2): Altonaer Theater<br />
Der bewegte Mann<br />
Christian Gundlach / Craig Simmons<br />
Thalia Theater Hamburg<br />
Burgfestspiele Jagsthausen<br />
Hof der Götzenburg<br />
Premiere: 29. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie ............................ Harald Weiler<br />
Musik. Leitung ...... Christian Gundlach<br />
Choreographie ............ Sven Niemeyer<br />
Ausstattung .......................... Lars Peter<br />
Axel ............................... Elias Krischke<br />
Doro ......................... Jennifer Siemann<br />
Norbert ........................ Moritz Grabbe<br />
Waltraud ..................... Martin Markert<br />
Fränzchen ...................... Matias Lavall<br />
Metzger ......................... David Wehle<br />
Lisa ................................. Luisa Meloni<br />
Claudia ................................. Lisa Huk<br />
Elke .................................. Elena Otten<br />
Günther / Pastor .......... Sven Niemeyer<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
39
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
»My Fränkische Lady«<br />
Triumph für Zodwa K. M. Selele bei den Luisenburg Festspielen<br />
Abb. oben:<br />
Die beiden Sprachforscher Pickering<br />
(William Ludwig, l.) und Higgins (Markus<br />
Pol, r.) sind Eliza (Zodwa K. M. Selele)<br />
nicht so ganz geheuer<br />
Foto: Luisenburg-Festspiele / Florian Miedl<br />
My Fair Lady<br />
Frederick Loewe / Alan Jay Lerner<br />
Deutsch von Robert Gilbert<br />
Luisenburg-Festspiele Wunsiedel<br />
Premiere: 29. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie & Choreographie ................. Tim<br />
Zimmermann<br />
Regie Dialoge ......... Peter Hohenecker<br />
Musikalische Leitung & Keyboard.........<br />
Marty Jabara<br />
Bühnenbild ............... Jörg Brombacher<br />
Kostüme ....................... Angela Schuett<br />
Lichtdesign ......................... Rolf Essers<br />
Ton ............................. Otto Geymeier<br />
Eliza Doolittle ...... Zodwa K. M. Selele<br />
Prof. Henry Higgins .......... Markus Pol<br />
Oberst Hugh Pickering ........... William<br />
Ludwig<br />
Alfred P. Doolittle ................ Jogi Kaiser<br />
Mrs Pearce .......... Carmen Wiederstein<br />
Mrs Higgins ..................... Inez Timmer<br />
Freddy Eynsford-Hill ................. Jürgen<br />
Strohschein<br />
In weiteren Rollen:<br />
Dominique Aref, Carmen Danen,<br />
Maurice Ernst, Claudio Gottschalk-<br />
Schmitt, Gerrit Hericks, Anke Kastner,<br />
Emma Kumlien, Ewa Zyta Pankowska,<br />
Uschi Reifenberger, Nadin Reiness,<br />
Anouk Roolker (Dance Captain), Beate<br />
Roth, Philipp Rudig, David Schroeder,<br />
Bettina Schuster, C.C. Weinberger, Lisa<br />
Wilhelm, Julius Williams III., Wolfgang<br />
Zarnack, David Zieglmaier<br />
Wo bleibt die Sprache, die die Menschen näherbringt?«<br />
Diese Frage, mit der sich Phonetikprofessor<br />
Henry Higgins im Stück selbst vorstellt, könnte<br />
einem auch heutzutage wohl hin und wieder mal durch<br />
den Kopf schießen. In einer Ära, in der 140 online verbreitete<br />
Zeichen bereits genügen, um internationale Krisen<br />
und Proteste auszulösen, und Orthographie nicht unbedingt<br />
zu den Social-Media-Tugenden zählt. Als Alan<br />
Jay Lerner und Frederick Loewe einst »My Fair Lady« in<br />
New York auf die Bühne brachten, lag das freilich noch<br />
alles in sehr weiter Ferne. Seltsam war dieser Higgins<br />
aber wohl auch damals schon. Ein Nerd, der zwar anhand<br />
des Dialekts die Biografie eines jeden Menschen<br />
entschlüsseln kann, aber gleichzeitig unfähig ist, echte<br />
Beziehungen zu anderen zu knüpfen. Mitleid mit ihm<br />
zu haben fällt einem trotzdem nicht leicht, angesichts<br />
der menschen- und vor allem frauenverachtenden Sätze,<br />
die ihm in schöner Regelmäßigkeit über die Lippen<br />
kommen. Und so ist es vielleicht tatsächlich einfacher,<br />
als Regisseur die ganze Geschichte brav in einer Epoche<br />
zu belassen, in welcher der Hashtag »#MeToo« noch<br />
nicht die Runde machte.<br />
Natürlich ist und bleibt »My Fair Lady« einfach ein<br />
Klassiker. Mit unvergänglichen Melodien, die selbst<br />
nichtmusicalaffine Menschen sofort im Ohr haben.<br />
Doch so wie bei den Festspielen auf der Luisenburg<br />
dürfte man diese bisher noch nicht allzu oft gehört haben.<br />
Erklingt hier doch eine neue, auf Robert Gilberts<br />
deutscher Übersetzung basierende fränkische Textfassung,<br />
in der harte Konsonanten Mangelware und gerollte<br />
Rs im Überfluss zu finden sind. Was nicht nur beim<br />
einheimischen Publikum für gute Laune sorgt.<br />
Leicht zu übersetzen war das Stück noch nie, mit<br />
all seinen sprachlichen Nuancen, die sich nicht immer<br />
verlustfrei eins zu eins in ein anderes Idiom übertragen<br />
lassen. Und nicht zuletzt muss dann ja auch noch ein<br />
Ensemble gefunden werden, welches dieser Feinheiten<br />
mächtig ist. Doch in der Hinsicht hat man in Wunsiedel<br />
ein wahrhaft glückliches Händchen bewiesen. Dass<br />
die Inszenierung von Tim Zimmermann und Peter<br />
Hohenecker so hervorragend aufgeht, ist vor allem der<br />
Verdienst einer Frau, Zodwa K. M. Selele. Ihre Eliza hat<br />
Charme im Überfluss und kommt im fränkischen Zungenschlag<br />
zu jeder Sekunde so authentisch daher, wie<br />
man es sich nur wünschen kann. Da wirkt nichts aufgesetzt,<br />
nichts auf kalkulierte Lacher hin gespielt, sondern<br />
immer ehrlich empfunden – egal, wie deftig mancher<br />
Spruch des Blumenmädchens vielleicht daherkommen<br />
mag.<br />
Dass Eliza auch hier am Ende zu Higgins zurückkehrt,<br />
anstatt ihm wie in der Shaw-Vorlage endlich den<br />
Laufpass zu geben, mag auf den ersten Blick ein wenig<br />
rückwärtsgewandt erscheinen, wird durch das starke<br />
Auftreten von Zodwa K. M. Selele jedoch deutlich abgemildert.<br />
Präsentiert sie sich in den vorangegangenen<br />
Wortgefechten doch durchweg als selbstbewusste junge<br />
Frau, die schon vor der Begegnung mit Higgins auf eigenen<br />
Beinen stehen konnte. »Ich habe Blumen verkauft,<br />
nicht mich selbst!« Das wird hier zum Schlüsselsatz, der<br />
bei Seleles vielschichtigem Rollenportrait von Anfang<br />
an unterschwellig zu spüren ist. Womöglich auch, weil<br />
sie vom Stimmtypus her nicht unbedingt die klassische<br />
Soubrette ist, die man in mancher Stadttheater-Produktion<br />
als Eliza finden würde. Mit den Ausflügen in die<br />
Sopranlage hat sie dennoch keine Schwierigkeiten und<br />
macht sich die Songs virtuos zu eigen. Unterstützt von<br />
40<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
einer siebenköpfigen Band, die es in der großen Ballszene<br />
zwar notgedrungen an schwelgerischem Geigenschmalz<br />
fehlen lässt, wurde das Stück mit jazzig angehauchten<br />
Arrangements aber gleichzeitig aus der sonst<br />
oft zu hörenden Operettenseligkeit befreit.<br />
Wie wahrscheinlich schon zu ahnen ist, haben es die<br />
anderen Darsteller neben einer derart den Fokus auf sich<br />
ziehenden Titelheldin alles andere als leicht, sich zu behaupten.<br />
Doch auch Jogi Kaiser darf als verschmitzter<br />
Doolittle so manchen Lacher kassieren und seinen eigenen<br />
Dialekt durchklingen lassen. Immerhin hat Elizas<br />
trinkfester Vater ja auch walisische Wurzeln. Mit ihm ist<br />
die Elterngeneration ebenso stark vertreten wie in Gestalt<br />
von Inez Timmer, die als resolute Mrs Higgins zwar<br />
nicht viel Zeit auf der Bühne verbringt, diese jedoch<br />
immer gewinnbringend nutzt, um mit genau gesetzten<br />
Pointen und einer unnachahmlichen Mimik zu punkten.<br />
Abgesehen von Eliza ist sie die einzige, die es zumindest<br />
halbwegs schafft, den von sich selbst so unendlich<br />
überzeugten Junior hin und wieder in seine Schranken<br />
zu verweisen. Wobei Markus Pol zum Glück nicht in die<br />
Falle tappt, den taktlosen verbalen Entgleisungen seiner<br />
Figur noch einen draufsetzen zu wollen und ihn damit<br />
endgültig zum Fiesling abzustempeln. Pol geht den Higgins<br />
eher unterkühlt, aber auch auf eine angenehm neutrale<br />
Art an und überlässt das Werten dem Publikum. So<br />
kann jeder für sich selbst entscheiden, ob Henrys Ausrede,<br />
dass er die Menschen zwar immer schroff, aber<br />
zumindest alle Menschen gleich schroff behandelt, für<br />
gültig befunden wird. Oder ob man sich als Mann nicht<br />
doch lieber den gutmütigen Oberst Pickering zum Vorbild<br />
nimmt, der auch ein Blumenmädchen stets wie eine<br />
Lady behandelt. William Ludwig gibt Higgins' Kollegen<br />
mit einer sympathischen Kauzigkeit und zieht als Bonus<br />
eine herrliche Grimasse, als Elizas Dialekt mit »haßem<br />
Dee« und »grienem Bisdazienkuchen« sich auf einmal<br />
auch in seinen eigenen, sonst so gepflegten und wohl<br />
artikulierten Wortschatz einschleicht. Im Gegensatz zu<br />
ihm darf Jürgen Strohschein als Freddy rollenbedingt<br />
nur selten über das Klischee hinaus, bedient dieses jedoch<br />
mit sichtlicher Freude und stattet Elizas feschen,<br />
aber nutzlosen Verehrer mit jeder Menge tenoralem<br />
Schmelz aus, wenn er auf den Spuren von Gene Kelly<br />
im Schein einer Straßenlaterne über die Bühne wirbelt.<br />
Ein wenig härter ins Gericht gehen muss man da leider<br />
mit der Tontechnik, die eine ganze Weile braucht,<br />
um sich richtig einzupendeln, worunter die Textverständlichkeit<br />
zu Beginn etwas leidet. Was gerade bei einem<br />
Stück wie diesem, bei dem jede sprachliche Nuance<br />
zählt, schade ist, dem Spaß des Publikums aber letztlich<br />
keinen allzu großen Abbruch tut. Gelingt es dem Regie-<br />
Duo doch – mit Ausnahme eines kleinen Durchhängers<br />
bei Doolittles Hochzeit, in der sich die Bewegungsabläufe<br />
in den Choreographien etwas zu oft wiederholen<br />
und Darsteller wie Zuschauer gleichermaßen ermüden –,<br />
das Geschehen meist zügig in Fluss zu halten und die<br />
Ebenen der eindrucksvollen Naturbühne geschickt zu<br />
nutzen. Alles in allem eine mehr als achtbare Produktion,<br />
die den Zuschauer auf einen nostalgischen Trip in<br />
die Goldene Ära des Broadway-<strong>Musical</strong>s schickt. Und<br />
mit einer großartigen Performance in der Titelrolle daran<br />
erinnert, dass die Zeit vielleicht doch langsam reif<br />
wäre, diesen Klassiker endlich einmal etwas kritischer<br />
zu hinterfragen.<br />
Tobias Hell<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Im Gegensatz zu Vater Doolittle (Jogi<br />
Kaiser) steht Eliza (Zodwa K. M. Selele)<br />
auch ohne Hilfe auf eigenen Beinen<br />
2. Doolittle (Jogi Kaiser, Mitte mit Ensemble)<br />
hat es wieder einmal geschafft, Eliza<br />
Geld für die nächste Runde abzuluchsen<br />
3. Higgins (Markus Pol) sieht »Krä-hen<br />
inn derr Nä-he«, für Eliza (Zodwa K. M.<br />
Selele) bleiben es eher »Grä in da Nee«<br />
4. Für ihre erste Bewährungsprobe führt<br />
Higgins (Markus Pol) sein Experiment Eliza<br />
(Zodwa K. M. Selele) zum Tanzen aus<br />
Fotos (4): Luisenburg-Festspiele / Florian Miedl<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
41
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Von einem fallenden Helden<br />
»Jesus Christ Superstar« Open Air auf dem Magdeburger Domplatz<br />
Abb. oben:<br />
›Ouverture‹ – Jesus von Nazareth (Tobias<br />
Bieri, Mitte) und seine Anhänger, die sich<br />
bald gegen ihn wenden<br />
Foto: Nilz Böhme<br />
Jesus Christ Superstar<br />
Andrew Lloyd Webber / Tim Rice<br />
Deutsch von Anja Hauptmann<br />
Theater Magdeburg<br />
DomplatzOpenAir<br />
Premiere: 15. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie, Kostüme &<br />
Licht ........................ Sebastian Ritschel<br />
Musik. Leitung ....... Damian Omansen<br />
Choreinstudierung ....... Martin Wagner<br />
Choreographie ................... Kati Farkas<br />
Bühnenbild ............... Rifail Ajdarpasic<br />
Dramaturgie ............................ Thomas<br />
Schmidt-Ehrenberg<br />
Jesus von Nazareth ............ Tobias Bieri<br />
Maria Magdalena .... Julia Gámez Martín<br />
Judas Ischariot .............. Timothy Roller<br />
Pontius Pilatus ......... Johannes Wollrab<br />
Kaiphas ................... Bartek Bukowski /<br />
Frank Heinrich<br />
Annas / Johannes ........ Martin Mulders<br />
König Herodes .................. Paul Kribbe<br />
Simon Zelotes ............. Jannik Harneit /<br />
Andreas Schneider<br />
Petrus ...................... Christian Miebach<br />
Jakobus ........................ Tobias Brönner<br />
Matthäus ................ Andreas Schneider<br />
Soulgirls .......... Jessica Krüger, Beatrice<br />
Reece, Eva Zamostny<br />
Drei Priester ................... Jörg Benecke,<br />
Jürgen Jacobs, Thomas Matz<br />
Frau am Feuer ............... Ulrike Bäume<br />
Mann am Feuer ......... Peter Diebschlag<br />
Alter Mann am Feuer ........ Peter Wittig<br />
Soldat ............................ Jürgen Jakobs<br />
Opernchor &<br />
Ballett Theater Magdeburg<br />
Manche Werke sind legendär und deren Komponisten,<br />
Autoren oder Regisseure werden zurecht<br />
zu Legenden. Eines dieser <strong>Musical</strong>s, die Kultstatus erreichten,<br />
ist »Jesus Christ Superstar« von Andrew Lloyd<br />
Webber mit Texten von Tim Rice. Das Stück fasziniert<br />
mit seiner genialen Mischung aus Rock, Klassik und<br />
Soul-Musik sowie einer Geschichte, wie sie jedem Menschen<br />
passieren könnte, nicht nur Heiligen. Das macht<br />
die diesjährige Produktion des Theaters Magdeburg<br />
auf dem DomplatzOpenAir zum 70. Geburtstag Lloyd<br />
Webbers mit einer eleganten und packenden Inszenierung<br />
der sich überraschend gut einfügenden deutschen<br />
Fassung von Anja Hauptmann deutlich.<br />
Unter der Regie von Sebastian Ritschel, der auch<br />
für Lichtdesign und Kostüme verantwortlich zeichnet,<br />
kommt eine lebendige, aber nachdenkliche Show auf<br />
die Bühne am Magdeburger Dom. Die Location könnte<br />
nicht passender sein, sie verleiht den Abenden auf dem<br />
Open Air besonders zu diesem Stück eine besondere Atmosphäre.<br />
Und das, obwohl es hier zwar um eine Figur<br />
aus dem religiösen Bereich, jedoch viel wichtiger: um<br />
nur allzu Menschliches geht, nämlich um Freundschaft,<br />
Verrat, um Liebe, um Menschlichkeit und eine Vision<br />
sowie deren Erfüllung. Dass sich Jesus' Stern leuchtend<br />
über den Abend der Aufführung erhebt, um dann mit<br />
seinem Fall in Ungnade zu sinken, wird durch Beleuchtung,<br />
Choreographie, Schauspiel und musikalische Umsetzung<br />
gezeigt.<br />
Zu Anfang betreten aus allen möglichen Ecken,<br />
die das Bühnenbild (Rifail Ajdarpasic) eines weitläufigen<br />
Plateaus mit seinen Treppen und kleineren Seiten-<br />
Plattformen hergibt, in Schwarz und eher locker-lässig<br />
gekleidete Anhänger von Jesus die Bühne. Sie sind<br />
ausgelassen, halten die Zuschauer auf der Tribüne zum<br />
Klatschen an. In wenigen Sekunden breitet sich in den<br />
dunklen, unheimlichen Passagen der ›Ouvertüre‹ eine<br />
schaurige Stimmung in Erwartung der kommenden<br />
Geschehnisse aus, bevor nur kurze Zeit später der auserwählte<br />
Führer Jesus von Nazareth (Tobias Bieri) begrüßt<br />
und wie ein Superstar gefeiert wird. Über dem Plateau<br />
ist in Großbuchstaben das Wort »H-E-R-O« (Held) zu<br />
lesen. Die Lettern leuchten auf und werden im zweiten<br />
Akt dadurch parodiert, dass König Herodes vor dem<br />
Publikum mit einem Wagen vorfährt, der Anhänger mit<br />
einem Pelz ausgekleidet und er selbst im roten, glitzernden<br />
Anzug. Auf dem Gefährt stehen die Buchstaben »D-<br />
E-S«, welche sich zu »Herodes« zusammenfügen lassen.<br />
Heutzutage werden auch Schauspieler oder Musiker<br />
wie Helden gefeiert, was im 2. Akt mit der Bekleidung<br />
von Jesus mit einem eleganten Smoking mit<br />
Fliege aufgegriffen wird. Doch zuerst wirkt dieser im<br />
1. Akt mit schwarzem Strickblazer, hellem Kragenhemd<br />
und schwarzer Hose düster und elegant, doch nicht<br />
zu überheblich gekleidet. Er streift dann während der<br />
Vorstellung eine Jacke mit dem Schriftzug »Hero« auf<br />
dem Rücken über und nimmt so den Ruf an, der ihm<br />
vorauseilt, bis er diesen während ›Gethsemane‹ durch<br />
Demontieren des Schildes abzulegen versucht.<br />
Vorerst ist nur einer kritisch: Judas (Timothy Roller)<br />
findet, dass der Kult um und die Pläne von Jesus<br />
überhandnehmen, und versucht, ihn, insbesondere als<br />
Freund, zu warnen. Judas steht oftmals auf einem seitlichen<br />
Plateau, um sich von den anderen zu entfernen<br />
oder seine isolierte Meinung zu zeigen. Die Geschichte<br />
beziehungsweise der Streit geht für beide nicht gut<br />
aus: Judas nimmt nach dem Verrat an Jesus im 2. Akt<br />
Abschied von der Welt. Sich dabei in seinen letzten<br />
Momenten vor dem Springbrunnen in der Mitte des<br />
Aufbaus wie ein verletztes Tier windend und mit sich<br />
ringend, erklimmt er das oberste Plateau und springt<br />
schließlich in den Tod. Für Jesus' Kreuzigung fährt ein<br />
Gerüst aus dem Boden und eine Querstange deutet das<br />
42<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Kreuz an, an die er mit Lederarmbändern festgeschnallt<br />
wird. Diese sind ihm zuvor für die ›39 Peitschenhiebe‹<br />
angelegt worden, wobei modern gekleidete Soldaten<br />
den mit nacktem Oberkörper knienden Jesus mittels<br />
langer Lederbänder von sich fern, aber festhalten und<br />
ziehen können.<br />
Der Springbrunnen in der Mitte des Plateaus, welches<br />
durch verschiedene Spielflächen immer gut gefüllt,<br />
aber trotz großen Ensembles nicht überfüllt wirkt, wird<br />
zum Treffpunkt für das letzte Abendmahl. Dieses könnte<br />
als ein eher lockeres Zusammentreffen gelten, wenn<br />
Jesus seinen Aposteln nicht von seinen Visionen erzählen<br />
und versuchen würde, ihnen die Ernsthaftigkeit des<br />
Ganzen klar zu machen. Auch wird das Wasserspiel von<br />
einem der jüdischen Priester wie Weihwasser verwendet,<br />
um sich in Sorge vor Jesus' Macht vor diesem zu schützen<br />
oder sich im Angesicht von so viel Frevel reinzuwaschen.<br />
Die Choreographien (Kati Farkas) für das Ensemble<br />
sind einfach, aber schwungvoll, und arbeiten viel mit<br />
den Händen. ›Der Tempel‹ ist auch kostümtechnisch<br />
ein Hingucker, in Abendkleidern, SM-Kleidung inklusive<br />
ausgefallenen Masken und Kopfbedeckungen peitschen<br />
sich einige Pärchen aus, anstatt Geldscheine zu<br />
schwenken, und »verkaufen« sich und ihre Lust.<br />
Paul Kribbe steigt als Herodes mit in die Tanzchoreographien<br />
während ›Herodes' Song‹ ein und ›Superstar‹<br />
ist ein weiteres Highlight, bei dem auch LED-Stangen<br />
an den beiden Gerüsttürmen rechts und links sowie<br />
hinten in der Mitte aufleuchten, sogar Flammen nach<br />
oben schießen und Tanz und Kostüme anderen bekannten<br />
Showstoppern durchaus ebenbürtig sind – sie machen<br />
genauso viel Spaß vor dem ernsten Hintergrund<br />
der überforderten Heilsbringerfigur, welcher der Prozess<br />
gemacht wird.<br />
Mit Tobias Bieri als Jesus und Timothy Roller als<br />
Judas wurden starke Darsteller in den Hauptrollen verpflichtet,<br />
die das Publikum überzeugen können. Der<br />
Schweizer Tobias Bieri singt absolut akzentfrei, mit<br />
voller Stimme, die auch durchaus gekonnt die schwierigeren<br />
Höhen der Partitur und den Zuschauer damit<br />
einzunehmen weiß. Fast schon engelsgleich in ›Hosanna‹,<br />
energischer in ›Gethsemane‹ oder innerlich gepeinigt<br />
aufschreiend in ›Der Tempel‹, zeigt er verschiedene<br />
Facetten. Er bietet schauspielerisch einen Jesus, der sein<br />
Leiden nicht zu stark zeigt, während der Gefangennahme<br />
klarsieht, dass Gott ihm aufgetragen hat, für seinen<br />
Glauben zu sterben, und selbst bei den 39 Peitschenhieben<br />
durch das gesamte Ensemble die Schmerzen erträgt<br />
und standhaft bleibt.<br />
Sein Gegenpart Judas wird von Timothy Roller<br />
verkörpert, der stimmlich nicht ganz die fast schon<br />
gewohnte Rockröhre bieten kann, aber in Gesang und<br />
Schauspiel gefällt. Auch er meistert die schwierigen<br />
Gesangspartien, sodass man aufhorcht, wenn er in den<br />
Zuschauerrängen ›Weil sie ach so heilig sind‹ singt, und<br />
Anteil nimmt an seinem Selbstmord, obwohl er seinen<br />
Freund verraten hat. Julia Gámez Martín als Maria<br />
Magdalena steht zwischen den beiden Freunden und<br />
muss sich ihre Liebe zu Jesus eingestehen. Sie singt mit<br />
Inbrunst: ›Wie soll ich ihn nur lieben‹ oder ›Lass uns<br />
neu beginnen‹.<br />
Von der weiteren Besetzung sticht insbesondere<br />
Martin Mulders als verführerisch-teuflischer Annas<br />
heraus. Alle anderen zeigen wohlgefällige Bass- und<br />
Bariton-Stimmen. Die Soulgirls in ihren Abendkleidern<br />
singen glockenklar und mit Power: ›Superstar‹. Auch der<br />
Opernchor Magdeburg soll nicht unerwähnt bleiben, er<br />
erklingt eindrucksvoll (Einstudierung: Martin Wagner).<br />
Die Magdeburgische Philharmonie liefert den perfekten<br />
Rock-Klassik-Sound für so einen stimm- und inszenierungsgewaltigen<br />
Abend (Musikalische Leitung: Damian<br />
Omansen). Im nächsten Jahr ist »Chicago« beim DomplatzOpenAir<br />
zu sehen und ein Besuch unbedenklich<br />
zu empfehlen.<br />
Rosalie Rosenbusch<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Maria Magdalena (Julia Gámez Martín)<br />
will Jesus von Nazareth (Tobias Bieri)<br />
die Stirn kühlen und ihn beruhigen<br />
2. Judas Ischariot (Timothy Roller) steht<br />
mit seiner Meinung über den Kult um<br />
Jesus und seine Taten allein<br />
3. ›Herodes' Song‹ – König Herodes (Paul<br />
Kribbe, Mitte) und Ensemble verspotten<br />
Jesus von Nazareth (Tobias Bieri, l.)<br />
4. Der verratene Jesus (Tobias Bieri,<br />
Mitte) wird gefangengenommen, später<br />
vom wütenden Mob ausgepeitscht sowie<br />
gekreuzigt<br />
Fotos (4): Nilz Böhme<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
43
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Erfrischend neu<br />
»Chicago« bei den Schlossfestspielen Ettlingen<br />
Abb. oben:<br />
›Ich und mein Baby‹ – Roxy (Maria-<br />
Danaé Bansen, Mitte) erzählt Reporterin<br />
Mary Sunshine (Anton Schweizer, Mitte l.)<br />
und Anwalt Billy Flynn (Marc Lamberty,<br />
Mitte r.), dass sie ein Baby bekommt<br />
Foto: SFS<br />
Chicago<br />
John Kander / Fred Ebb / Bob Fosse<br />
Deutsch von Erika Gesell &<br />
Helmut Baumann<br />
Schlossfestspiele Ettlingen<br />
Schlosshof<br />
Premiere: 21. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie ........................... Udo Schürmer<br />
Musikalische Leitung ..... Tobias Leppert<br />
Choreographie ............. Bart De Clercq<br />
Bühnenbild ..................... Steven Koop<br />
Kostüme ............................ Birgit Barth<br />
Roxie Hart ......... Maria-Danaé Bansen<br />
Velma Kelly ............... Dorothee Kahler<br />
Billy Flynn .................. Marc Lamberty<br />
Amos Hart ........... Adrian Kroneberger<br />
»Mama« Morton ......... Gudrun Schade<br />
Mary Sunshine ......... Anton Schweizer<br />
Möderinnen ...... Julie Hall, Eva Müller,<br />
Tina Podstawa, Isabelle Vedder, Ellen<br />
Wawrzyniak, Vanessa Wilcek<br />
In weiteren Rollen:<br />
Marco Fahrland-Jadue, Robert<br />
Lancaster, Wolfgang Schwingler,<br />
Marc Trojan, Bas Timmers<br />
Schon seit 40 Jahren gibt es in Ettlingen, dem idyllischen<br />
Städtchen nahe Karlsruhe, die Schlossfestspiele.<br />
Mit dem <strong>Musical</strong> »Chicago«, inszeniert von Udo Schürmer,<br />
startete man am 21. Juni 20<strong>18</strong> in die neue Saison.<br />
Das <strong>Musical</strong>, das in den 20er Jahren in Chicago<br />
spielt, kommt frisch und munter daher. Neben großartigen<br />
Darstellern und Choreographien ist auch das Bühnenbild<br />
vor der beeindruckenden Kulisse des Schlosses<br />
durchaus ansprechend.<br />
»Chicago« beruht auf einer wahren Begebenheit<br />
und wurde von der Reporterin Maurine Dallas Watkins<br />
1926 als Schauspiel geschrieben. 1975 schufen Fred<br />
Ebb und Bob Fosse daraus die Vorlage für das <strong>Musical</strong>,<br />
zu dem John Kander die Musik schrieb.<br />
Wer das <strong>Musical</strong> in Stuttgart gesehen hat, wird ein<br />
bisschen über die »geänderten« Texte verwundert sein,<br />
denn in Ettlingen hat man sich an der Version der<br />
deutschsprachigen Erstaufführung von Erika Gesell und<br />
Helmut Baumann orientiert, die 1998/99 erstmals in<br />
Wien gespielt wurde.<br />
»Chicago« erzählt die Geschichte von Roxy Hart<br />
(Maria-Danaé Bansen), einer wenig erfolgreichen<br />
Nachtclubsängerin, die ihren Lover Fred Casely erschießt,<br />
nachdem er ihr erklärt hat, dass er sie gar nicht<br />
liebt. Ihr Ehemann Amos (Adrian Kroneberger), den sie<br />
zunächst noch dazu überreden kann, sie zu schützen,<br />
bemerkt sehr schnell, dass sie ihn nur ausnutzt, und<br />
korrigiert seine Aussage, er habe Fred erschossen. Somit<br />
wandert Roxy ins Gefängnis.<br />
Dort lernt sie 6 weitere Mörderinnen kennen, so auch<br />
Velma Kelly (Dorothee Kahler). Velma, eine Vaudeville-<br />
Sängerin, ist der heimliche Star unter den »Damen«,<br />
denn dank »Mama« Morton (Gudrun Schade), die im<br />
Gefängnis die Aufsicht hat, und dem windigen Anwalt<br />
Billy Flynn (Marc Lamberty), der für alle Mörderinnen mit<br />
erfundenen Geschichten einen Freispruch erwirkt, schaut<br />
Velma einer großen Karriere in Freiheit entgegen.<br />
Denn im Frauenknast der damaligen Zeit ging es vor<br />
allem darum, nicht am Galgen zu enden. Und ausgerechnet<br />
die einzige unter den Damen, eine Ungarin, die<br />
außer »nicht schuldig« fast nichts sagt und während des<br />
›Zellenblocktangos‹ nicht zugibt, jemanden umgebracht<br />
zu haben, erleidet dieses Schicksal.<br />
Währenddessen hat Velma die Rechnung ohne Roxy<br />
gemacht, die schnell zum Liebling der Presse wird. Auch<br />
sie bekommt von Anwalt Billy Flynn eine rührende Geschichte<br />
verpasst, die sie als Marionette an Billys Fäden<br />
dem Gericht präsentiert.<br />
Doch auch Roxy, die sich schon als großen Showstar<br />
sieht, wird vom Geschehen überholt. Ihr Freispruch,<br />
ihre angebliche Schwangerschaft, das alles geht im Wirbel<br />
um eine neue Mörderin unter, die aus der High Society<br />
kommt und um die sich alles dreht. So müssen<br />
sich am Ende Roxy und Velma notgedrungen zusammentun,<br />
um eine neue Karriere zu starten.<br />
Udo Schürmer inszeniert »Chicago« als Jahrmarkt.<br />
Steven Koops Bühnenbild ist in drei Teile aufgeteilt,<br />
links ein Puppentheater, in der Mitte ein Clownsgesicht<br />
und rechts der Zellenblock mit Gittern auf Rollen, die<br />
von den »Mörderinnen« beim berühmten ›Zellenblocktango‹<br />
mit ihren Opfern auf der anderen Seite gekonnt<br />
verschoben werden.<br />
Das Clownsgesicht dient als Hauptbühne und kann<br />
auch die Zunge herausstrecken, sodass ein Catwalk entsteht.<br />
Und im Puppentheater hängt Roxy als Marionette<br />
an Fäden.<br />
Billys erster Auftritt mit ›Ich bin nur für Liebe da‹<br />
wird von den Tänzerinnen in Bart De Clercqs Choreo-<br />
44<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
graphie mit bunten Schirmen anstelle der sonst üblichen<br />
Fächer aus Federn untermalt. Bei dem Lied ›Hokuspokus‹<br />
agiert Billy als Zauberer mit Zylinder und<br />
Zauberstab auf einem Jahrmarkt mit Artisten, Gauklern<br />
und Luftballons.<br />
Alles ist Inszenierung: Vor der Presse streiten sich<br />
Velma und Roxy um deren Gunst, doch dann fällt Roxy<br />
plötzlich in Ohnmacht und behauptet, schwanger zu<br />
sein. Während sie im Rollstuhl hinaus gebracht wird,<br />
tanzt das Ballett einfallsreich mit Kinderwagen und<br />
wirft sich gegenseitig die Babies zu.<br />
Lustig und für den Zuschauer gar nicht langweilig ist<br />
die Gerichtsverhandlung inszeniert, bei der Justitia zwar<br />
mit der berühmten Waage, aber auch mit Sternenkrone<br />
und Fackel erscheint und damit sehr an die Freiheitsstatue<br />
erinnert. Und ihr ist bei dem »Blablabla« von Billy<br />
so langweilig, dass sie sich gähnend setzt.<br />
Insgesamt orientiert sich die Produktion in Ettlingen<br />
ein bisschen an dem Kinofilm von 2001 mit Renée Zellweger,<br />
Catherine Zeta-Jones und Richard Gere. Doch<br />
die Besetzung, die man in Ettlingen gefunden hat, lässt<br />
auch keine Wünsche offen.<br />
Maria-Danaé Bansen als Roxy ist ebenso wie Dorothée<br />
Kahler als Velma sowohl stimmlich, tänzerisch und<br />
auch schauspielerisch sehr gut.<br />
Marc Lamberty, der optisch ein bisschen an Thomas<br />
Magnum (»Magnum«, 80er-TV-Serie um einen<br />
Privatdetektiv auf Hawaii) erinnert, spielt die Rolle des<br />
gewieften Anwalts, der immer nur auf seinen Vorteil bedacht<br />
ist, sehr überzeugend.<br />
Ein bisschen leid kann einem Adrian Kroneberger<br />
als Roxys Gatte Amos schon tun. Nicht nur, dass er als<br />
›Mr Zellophan‹ schon kaum beachtet wird, bekommt er<br />
auch keine Abgangsmusik wie zuvor Billy Flynn.<br />
Gudrun Schade als »Mama« überzeugt mit ihrem<br />
Spiel, hat sie doch keine Angst davor, ihre »Mörderinnen«<br />
überall zu berühren. Ihr erster Auftritt in Lack und<br />
Leder, von vier Tänzern in einer Sänfte getragen, macht<br />
gleich klar, wer im Gefängnis das Sagen hat.<br />
Auch Anton Schweizer als Reporterin Mary Sunshine<br />
ist einfach großartig. Während sie zunächst im<br />
Paillettenkleid auf der Bühne steht, enttarnt sie sich am<br />
Ende doch als Mann, getreu dem Motto: »Die Dinge<br />
sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen.«<br />
»Chicago« in Ettlingen ist eine absolut gelungene<br />
Produktion, bei der angenehm auffällt, dass man alle<br />
Darsteller hervorragend versteht. Das Ensemble ist<br />
durchweg sowohl tänzerisch als auch gesanglich sehr gut.<br />
Die Choreographien von Bart De Clercq und die<br />
Kostüme von Birgit Barth sind einfallsreich und wirken<br />
erfrischend neu. Unter der musikalischen Leitung<br />
von Tobias Leppert kommt das Stück fröhlich und<br />
munter daher.<br />
Das Premierenpublikum war, trotz heftigen Winds,<br />
der auch auf der Bühne alles durchblies, begeistert und<br />
bedankte sich mit minutenlangem Applaus und Standing<br />
Ovations.<br />
Wettermäßig ist man als Zuschauer in Ettlingen geschützt,<br />
denn die Zuschauer sitzen überdacht, während<br />
die Bühne unter freiem Himmel ist. Sitzkissen gibt es<br />
am Eingang umsonst, gegen eine kleine Gebühr kann<br />
man sogar eine Decke ausleihen.<br />
Da das Stück jedoch erst um 20.30 Uhr am Abend<br />
beginnt, empfiehlt es sich, eine warme Decke mitzunehmen.<br />
Ingrid Kernbach<br />
Abb. unten von links:<br />
1. ›All That Jazz‹ – Velma Kelly (Dorothée<br />
Kahler)<br />
2. Roxy (Maria-Danaé Bansen, 2.v.r.)<br />
möchte sich mit Velma (Dorothée Kahler,<br />
2.v.l.) anfreunden, doch die ist noch der<br />
Star des Gefängnisses<br />
3. Billy Flynns (Marc Lamberty mit<br />
Ensemble) großer Auftritt mit ›Ich bin nur<br />
für Liebe da‹<br />
4. Roxy (Maria-Danaé Bansen, 2.v.l.) als<br />
Marionette von Billy Flynn (Marc Lamberty,<br />
r.), der Reporterin Mary Sunshine<br />
(Anton Schweizer, 2.v.r.) eine erfundene<br />
Leidensgeschichte erzählt. Auch »Mama<br />
Morton« (Gudrun Schade, l.) zieht an<br />
den Fäden<br />
Fotos (4): SFS<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
45
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Wie man Kriege entfacht<br />
»Zzaun! – Das Nachbarschaftsmusical« erstmals Open Air in Kloster Oesede<br />
Abb. oben:<br />
Noch ist die Welt heil: Felix (Tobias<br />
Landwehr), Roland (Benjamin Tschesche),<br />
Walburga (Silke Röwekamp) und<br />
Horst (Werner Knappheide)<br />
Foto: Christian Spielmann<br />
Zzaun! –<br />
Das Nachbarschaftsmusical<br />
Alexander Kuchinka /<br />
Tilmann von Blomberg<br />
Kloster Oesede Georgsmarienhütte<br />
Waldbühne<br />
Premiere: 29. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie ......................... Klaus Michalski<br />
Musik. Leitung &<br />
Arrangements ..... Christian Tobias Müller<br />
Choreographie ............. Sabine Lindlar<br />
Bühnenbild ........ Sabine Lindlar, Klaus<br />
Michalski, Volker Möller<br />
Kostüme ..................... Annegret Weber<br />
Maske ........................ Sarah Niermann<br />
Licht .......................... Lennart Clausing<br />
Ton ............................ Michael Schütte<br />
Horst Könner ........ Werner Knappheide<br />
Leonie ...................... Melanie Krupke /<br />
Karina Linnemann<br />
Michelle .......................... Vanessa Rolf<br />
Roland Sieger ...... Benjamin Tschesche<br />
Felix .......................... Tobias Landwehr<br />
Walburga ................ Silke Röwekamp /<br />
Heike Niederwestberg<br />
Herr Kühn .................... Jens Landwehr<br />
Herr Grundlos ............. Jan Kaltermann<br />
Irene Sonnschein /<br />
UN-Generalsekretärin .... Uschi Körner<br />
Zaun Müller ........ Michael Kasselmann<br />
Reporter .................. Niklas Gausmann<br />
Erst im März feierte das <strong>Musical</strong> »Zzaun! – Das Nachbarschaftsmusical«<br />
in Dresden Uraufführung (vgl.<br />
blimu 02/<strong>18</strong>). Der Waldbühnenverein in Kloster Oesede<br />
sicherte sich die Rechte zur ersten Open-Air-Aufführung,<br />
die Klaus Michalski inszenierte.<br />
Die Waldbühne bietet mehr Platz als jene in Dresden.<br />
Hier stehen die Fassaden von sechs Reihenhäusern,<br />
deren Vorgärten durch Gartenzäune abgetrennt sind.<br />
Die Requisiten, unter anderem Liegestühle, Tische und<br />
Grills, werden von den Darstellern selbst bewegt. Und<br />
die wirklich großen Utensilien – zwei Büros / Bunker<br />
von den Streithähnen – stehen hinter den Fassaden, die<br />
aufklappbar sind.<br />
Zur Ouvertüre ›Wir hier‹ wird die gute Nachbarschaft<br />
besungen: Horst Könner (Werner Knappheide)<br />
und seine Freundin Leonie (Melanie Krupke) wohnen<br />
neben Roland Sieger (Benjamin Tschesche) und Felix<br />
(Tobias Landwehr), die miteinander verheiratet sind.<br />
Sie leihen sich gegenseitig Sachen aus und diskutieren<br />
über alles. Als Horst versehentlich einen Zaunpfahl abbricht,<br />
geht das freundschaftliche Verhältnis langsam,<br />
aber sicher in die Brüche. Horst will das Stück Zaun<br />
selbst reparieren, da er einst Schreiner war, und Roland<br />
drängt ihn, es sofort zu machen, da Felix' Mutter Walburga<br />
(Silke Röwekamp) zum ersten Mal zu Besuch<br />
kommt. Anschließend ist er aber nicht zufrieden mit<br />
der Reparatur, weil Horst das Teil nur mit Klebeband<br />
geflickt hat. Walburga ist nicht von der homosexuellen<br />
Ehe begeistert. Felix' rosarotes Kaffeeservice mag sie<br />
gar nicht, ebenso wie den lädierten Gartenzaun. Auf<br />
Leonies Vorschlag, den Zaun einfach abzureißen, geht<br />
keiner ein.<br />
Roland hat den Zaunverkäufer Zaun Müller (Michael<br />
Kasselmann) bestellt, um einen Kostenvoranschlag für<br />
eine neue Einfriedung zu erhalten. Zum Song ›Zaun<br />
Müller‹, der voller ironischer Anspielungen auf das<br />
Zaungewerbe ist sowie an den (Titel) ›Maschendrahtzaun‹<br />
erinnert, taucht ein Teil des Ensembles tanzend<br />
mit Kartons auf, welche die verschiedenen Farben der<br />
Zäune zeigen. Der Verkäufer nennt sich ironischerweise<br />
»Master of Zaun«. Da ein neuer Zaun viel kosten würde,<br />
soll Horst seine Versicherung einschalten.<br />
Horsts Tochter Michelle (Vanessa Rolf) besucht<br />
ihren Vater und staunt nicht schlecht über den Streit.<br />
Versicherungsagent Kühn (Jens Landwehr) will zuerst<br />
klären, auf welchem Grundstück der Zaun steht.<br />
Dies veranlasst Roland, seinen Anwalt Herrn Grundlos<br />
(Jan Kaltermann) hinzuzurufen. Das Lied der beiden,<br />
›Grundlos und Kühn‹, sagt genug aus über das, was gerade<br />
passiert.<br />
Die zwei Streithähne gründen je eine Partei: Roland<br />
die FFF, mit dem Motto »Der wahre Sieger«, und Horst<br />
die UAE, mit dem Motto »Was für Könner«. Beide halten<br />
große Reden, und Kühn bzw. Grundlos übernehmen<br />
nun die Aufgabe des jeweiligen Beraters. Ein Reporter<br />
(Niklas Gausmann) kommt an den Ort des Geschehens<br />
und interviewt die ahnungslosen Anwohner.<br />
Felix' Spezialität ist das Backen von Nusskringeln,<br />
die Roland nicht mag, nur seine Mutter und Leonie<br />
finden sie lecker. Mit dem Lied ›Ich auch‹ entdecken<br />
Felix und Leonie weitere Gemeinsamkeiten. Als Frau<br />
Sonnschein (Uschi Körner) den Grundbucheintrag prüfen<br />
soll, fahren Beamtinnen ihres Amts zum Rhythmus<br />
des Songs ›Lob dem Grundbuch‹ mit Rolltischen umher,<br />
ehe drei Geometer anrücken und die Vermessung<br />
vornehmen. Fazit: Der Zaun steht auf Horsts Grundstück!<br />
Nun benutzt Horst zum ersten Mal das Wort<br />
»Schwuchtel«. Der Ton ändert sich, und die beiden<br />
Nachbarn bekämpfen sich mit Baggern, ehe sich Felix<br />
und Leonie zwischen die Streithähne stellen. Das Ensemble<br />
staunt mit ›Was für eine Schlacht‹ und macht<br />
sich auf Schlimmeres gefasst.<br />
46<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
In der Pause werden zwei Büroräume auf die Bühne<br />
gefahren. Der eine ist die Zentrale von Roland, der sich<br />
nun Premierminister nennt, während im zweiten Horst<br />
sitzt, der sich zum Bundeskanzler ernannt hat. Ihre<br />
Reihenhaushälften sind jetzt durch eine Grenzschranke<br />
und einen Gitterzaun getrennt.<br />
Herr Zaun Müller ist Rüstungsfachmann geworden,<br />
der alle möglichen Waffen als »Master of Schieß« anbietet.<br />
Das Ensemble tanzt mit Fotos von Waffen und<br />
Roland zeigt seiner Schwiegermutter und Felix eine Rakete.<br />
Auch Horst verfügt über eine solche Waffe. Felix<br />
und Leonie treffen sich nun an der Schranke, er schenkt<br />
ihr eine Schachtel Gebäck und beide wollen gemeinsam<br />
gegen die Dummheit ihrer Partner vorgehen. Auch Michelle<br />
hat die Sinnlosigkeit des Streites satt. Da ihr Vater<br />
ihr zudem kein neues Smartphone kaufen will, stellt sie<br />
sich auf Leonies Seite. Felix verlangt von Roland, den<br />
Konflikt zu beenden, weil Leonie von Horst deswegen<br />
schlecht behandelt wird. Aber der Premierminister hat<br />
dafür kein Ohr.<br />
Mittlerweile patrouillieren Soldaten im Garten von<br />
Horst. Felix und Leonie beschließen, Widerstand zu<br />
leisten (›Untergrundballade‹). Bei einem Protest der Bevölkerung<br />
wird eine Frau erschossen. In dieser skurrilen<br />
Entwicklung werden die Büros gedreht und sind nun<br />
Bunker. Die Armee von »Mein Könner«, wie sich Horst<br />
gern anreden lässt, gerät in Verzug, und General Kühn<br />
wird wegen Unfähigkeit von einem Soldaten erschossen.<br />
Auf der anderen Seite führt Walburga den Reporter<br />
durch den »Sieger-Bunker«, während Grundlos zum<br />
Admiral avanciert.<br />
Die UN-Generalsekretärin (Uschi Körner) rückt in<br />
Begleitung von Blauhelmen an und fordert Roland und<br />
Horst auf, sich umgehend die Hände zu geben und den<br />
Streit beizulegen. Widerwillig geschieht dies, während<br />
Horst Verrat wittert. Er schießt auf Grundlos, bis ihm<br />
Michelle die »Verräter« nennt: Leonie und Felix. Walburga<br />
plädiert nun für den Frieden, und Felix und Leonie<br />
küssen sich. Das ist zu viel für Roland und Horst,<br />
und beide drücken den fatalen Knopf. Es knallt und<br />
Feuerwerksraketen fliegen hoch, die Bühne wird eingenebelt.<br />
Das Ensemble lässt Bunker und Schranke verschwinden.<br />
Während die Zäune wieder wie am Anfang stehen,<br />
diskutieren Horst und Roland über eine Nachbarschaft<br />
ohne Absperrungen. Alles war nur ein böser Traum.<br />
Jetzt leben alle ohne Zäune »glücklich und froh, wie der<br />
Frosch im Damenklo«.<br />
»Zzaun!« strotzt nur so von ironischen Anspielungen<br />
auf heutige und vergangene Konflikte. Aus einer Bagatelle<br />
kann plötzlich Krieg werden. Die Lieder von Alexander<br />
Kuchinka sind mal rockig, mal leise und stets<br />
mit den passenden Texten versehen.<br />
Die Amateurtruppe aus Kloster Oesede spielt das<br />
<strong>Musical</strong> von Autor Tilmann von Blomberg mit großer<br />
Begeisterung in einer Qualität, die es sich in all den Jahren<br />
erarbeitet hat, was auch für die gesanglichen Fähigkeiten<br />
gilt. Bei der besuchten Vorstellung gefielen am<br />
besten Melanie Krupke als Leonie, wegen ihrer Energie,<br />
diese Frau zu spielen, die von allen für dumm gehalten<br />
wird, Werner Knappheide als Horst, wegen seiner<br />
sarkastischen Entschlossenheit, alles zu tun, um Recht<br />
zu bekommen, und Benjamin Tschesche als Roland, der<br />
vom »Schmatzipuffer« – so nennt ihn Felix – zu einem<br />
energischen Macho wird, welcher sich nichts gefallen<br />
lässt. Auch »First Gentleman« Tobias Landwehr (Felix)<br />
und »First Schwiegermutter« Silke Röwekamp (Walburga)<br />
überzeugen.<br />
Christian Spielmann<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Herr Zaun Müller (Michael Kasselmann,<br />
5.v.l.) preist seine Zäune an. Walburga<br />
(Silke Röwekamp, l.), Felix (Tobias<br />
Landwehr, 2.v.l.) und Roland (Benjamin<br />
Tschesche, 3.v.l.) hören zu<br />
2. Roland (Benjamin Tschesche, Mitte l.)<br />
und Horst (Werner Knappheide, Mitte<br />
r.) halten Reden. Walburga (Silke Röwekamp),<br />
Herr Grundlos (Jan Kaltermann)<br />
und Felix (Tobias Landwehr) hören auf<br />
der linken Seite zu, während Herr Kühn<br />
(Jens Landwehr) rechts steht<br />
3. (v.l.): Herr Grundlos (Jan Kaltermann),<br />
Roland (Benjamin Tschesche), Felix<br />
(Tobias Landwehr) und Walburga (Silke<br />
Röwekamp) posieren mit der Rakete für<br />
ein Foto<br />
4. Die UN-Generalsekretärin (Uschi<br />
Körner mit Ensemble) schaltet sich ein<br />
Fotos (4): Christian Spielmann<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
47
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Neues aus Deutschland<br />
zusammengestellt von Barbara Kern<br />
Deutschsprachige / Europäische Erstaufführung<br />
von »Jasper in Deadland« am TfN<br />
Hildesheim<br />
Am 19. Januar 2019 feiert das <strong>Musical</strong> von<br />
Ryan Scott Oliver (Musik und Liedtexte) und<br />
Hunter Forster (Buch) in deutscher Übersetzung<br />
von Lisanne Wiegand und mit Regie und<br />
Choreographie von Bart De Clercq Premiere<br />
am TfN Hildesheim. Die musikalische Leitung<br />
übernimmt Andreas Unsicker, die Ausstattung<br />
Hannes Neumaier.<br />
Das <strong>Musical</strong> basiert auf dem Mythos von<br />
Orpheus und Eurydike sowie Isis und Osiris<br />
und erzählt die Geschichte des 16-jährigen<br />
Jasper, der nach der ersten Liebesnacht glaubt,<br />
seine Agnes sei von den Klippen gesprungen,<br />
und ihr folgt, um sie aus der Unterwelt zurückzuholen:<br />
Dort bekommt er es mit dem<br />
griechischen Zerberus und dem ägyptischen<br />
Totengott Osiris sowie Dämonen zu tun und<br />
trinkt das Wasser des Vergessens (Lethe).<br />
Mehr auf: www.tfn-online.de<br />
Uraufführung von »Drachenherz« Frühjahr<br />
2019 in Chemnitz<br />
In Koproduktion mit der Neuköllner Oper Berlin<br />
zeigt das Theater Chemnitz mit Premiere am<br />
2. März 2019 die Uraufführung von »Drachenherz«.<br />
Günni lebt in einer mitteldeutschen Kleinstadt<br />
mit hoher Arbeitslosigkeit, aber seine Clique ist<br />
cool. Da kommt Fred in die Stadt, der anders ist<br />
und Ideen im Kopf hat. Fred ist schon bald Günnis<br />
bester Gefolgsmann in der Clique. Hannes<br />
könnte kotzen. Günnis bester Mann war doch<br />
immer Hannes. Und wenn einer das Recht hat,<br />
Günnis Schwester Jenny den Hof zu machen,<br />
dann doch wohl er! Mit einem Wort: Fred geht<br />
Hannes schwer gegen die Ehre.<br />
Das <strong>Musical</strong> von Wolfgang Böhmer (Musik)<br />
und Peter Lund (Buch und Liedtexte) bedient<br />
sich der Siegfried-Sage, siedelt das Ganze aber<br />
im Hier und Heute an. Siegfried musste sterben,<br />
weil es damals keinen Platz gab für echte Helden.<br />
Gibt es diesen Platz heute?<br />
Regie führt Peter Lund selbst, die musikalische<br />
Leitung übernimmt Hans-Peter Kirchberg, die<br />
Ausstattung Ulrike Reinhard. Es choreographiert<br />
Neva Howard und die dramaturgische<br />
Betreuung verantwortet Christiane Dost.<br />
Es spielen: Günni (Florian Heinke), Hannes (Johannes<br />
Krimmel), Brüning (Florentine Beyer),<br />
Tropi (Timo Stacey), Jenny (Nicola Kripylo),<br />
Nasir (Tristan Giovanoli), Fred (Denis Riffel)<br />
und Woda (Ngako Keuni).<br />
Mehr auf: www.theater-chemnitz.de<br />
Stadttheater Hildesheim<br />
Foto: Andreas Hartmann<br />
Uraufführung von »Der Mann mit dem<br />
Lachen« an der Staatsoperette Dresden<br />
Das Auftragswerk schrieben Frank Nimsgern (Musik),<br />
Tilmann von Blomberg (Buch) und Alexander<br />
Kuchinka (Liedtexte) nach Victor Hugos (»Les Misérables«)<br />
gleichnamigem Roman »L'homme qui rit«<br />
aus dem Jahr <strong>18</strong>69 über den Waisenjungen Gwynplaine,<br />
dessen Gesicht zu einem Dauergrinsen entstellt<br />
ist. Er zieht als Gaukler über die Jahrmärkte,<br />
bis sich herausstellt, dass er der verschollene Erbe<br />
eines Lords ist. Berauscht vom Luxus des englischen<br />
Hochadels, erkennt er erst allmählich, dass die Dinge<br />
nicht so sind, wie sie scheinen.<br />
Am 27. April 2019 feiert das dramatische <strong>Musical</strong><br />
unter Regie von Andreas Gergen, mit musikalischer<br />
Leitung von Peter Christian Feigel, Bühnenbild<br />
von Sam Madwar und Choreographien von<br />
Simon Eichenberger in Dresden Uraufführung.<br />
Mehr auf: www.staatsoperette.de<br />
Europäische Erstaufführung von dem Cirque<br />
du Soleil-<strong>Musical</strong> »Paramour«<br />
In einer Co-Produktion von Stage Entertainment<br />
und Cirque du Soleil startet am 14. April<br />
2019 nach der Premiere am Broadway (vgl. blimu<br />
05/2016) die <strong>Musical</strong>-Show mit Weltklasse-<br />
Artistik ihre Spielzeit im Theater Neue Flora in<br />
Hamburg.<br />
Spielend in der goldenen Ära Hollywoods, wird<br />
die Geschichte einer Talentsuche erzählt. Die<br />
schöne Schauspielerin Indigo erlebt die Höhen<br />
und Tiefen einer Karriere im Showbusiness und<br />
muss sich zwischen der Zuneigung zu dem charismatischen<br />
Regisseur AJ, der ihr Talent fördert,<br />
und der Liebe zu dem Pianisten Joey entscheiden.<br />
In opulenten Bildern und von atemberaubender<br />
Artistik eingerahmt wird das Liebesdrama erzählt.<br />
Mehr auf: www.stage-entertainment.de<br />
Magdeburger DomplatzOpenAir 2019 mit<br />
»Chicago«<br />
Das Theater Magdeburg ist eines der wenigen<br />
deutschsprachigen Theater, das das Stück nicht in<br />
der New Yorker Revival-Inszenierung von 1996<br />
zeigen muss, sondern eigene Wege gehen darf.<br />
Am 14. Juni 2019 feiert das Vaudeville-<strong>Musical</strong><br />
»Chicago« von John Kander (Musik), Fred Ebb<br />
(Buch und Liedtexte) und Bob Fosse (Buch)<br />
dort unter Regie von Ulrich Wiggers Premiere.<br />
Die musikalische Leitung hat Damian Omansen<br />
und die Choreographien kreiert Jonathan<br />
Huor (»Tanz der Vampire«, St. Gallen). Leif-Erik<br />
Heine gestaltet die Bühne, Franz Blumauer die<br />
Kostüme. Thomas Schmidt-Ehrenberg ist der betreuende<br />
Dramaturg. Gespielt wird die deutsche<br />
Fassung von Erika Gesell und Helmut Baumann.<br />
Mehr auf: www.theater-magdeburg.de<br />
Andreas Gergen<br />
Foto: Andrea Peller<br />
48<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
Mamma Mia 2<br />
blickpunkt musical Special Mamma Mia 2<br />
1
Mamma Mia! 1<br />
rückblick<br />
MAMMA MIA!<br />
Universal Pictures<br />
USA / UK / Deutschland 2008<br />
Kinostart: 17. Juli 2008<br />
Wiederaufführung: 13. Mai 20<strong>18</strong><br />
FSK ohne Altersangabe<br />
Länge: 109 Minuten<br />
Regie ................................................................................................................... Phyllida Lloyd<br />
Drehbuch & <strong>Musical</strong>buch .................................................................... Catherine Johnson<br />
Kamera ................................................................................................... Haris Zambarloukos<br />
Filmschnitt ......................................................................................................... Lesley Walker<br />
Score ............................................................................. Benny Andersson & Björn Ulvaeus<br />
Music Direction ................................................................................................... Martin Lowe<br />
Music Supervision......................................................................................... Becky Bentham<br />
Choreographie ........................................................................................ Anthony Van Laast<br />
Setdesign .................................................................................... Barbara Herman-Skelding<br />
Produktionsdesign ...................................................................................... Maria Djurkovic<br />
Kostüme .................................................................................. Ann Roth & Timothy Everest<br />
Hair & Make-up ............................................................... Christina Baker, Polly Earnshaw,<br />
Tina Earnshaw, Eithene Fellen, Marcelle Genovese<br />
Special Effects .................................... Caimin Bourne, Paige Chaytor, Chris Corbould<br />
Sound .................................... Nick Adams, Mark Appeleby, Michael Barry, Ricky Butt<br />
Soundtrack ........................... »ABBA«, Anna Afzelius, Tobias Ahsell, Anki Albertsson<br />
Produzenten .................................... Judy Craymer, Gary Goetzman & Mark Huffman<br />
Sophie ........................................................................................................... Amanda Seyfried<br />
Bill ................................................................................................................... Stellan Skarsgård<br />
Sam ..................................................................................................................... Pierce Brosnan<br />
Harry ........................................................................................................................... Colin Firth<br />
Lisa ................................................................................................................. Rachel McDowall<br />
Ali ............................................................................................................................ Ashley Lilley<br />
Donna .....................................................................................................................Meryl Streep<br />
Rosie........................................................................................................................ Julie Walters<br />
Tanya............................................................................................................ Christine Baranski<br />
Sky.................................................................................................................... Dominic Cooper<br />
Pepper ................................................................................................................ Philip Michael<br />
Eddie ......................................................................................................................... Chris Jarvis<br />
Dimitri ................................................................................................................ Hemi Yeroham<br />
MM 1<br />
blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2
Mamma AMia! 1<br />
1975 eroberte der Song ›Mamma Mia‹<br />
der schwedischen Kultband »ABBA«<br />
die Charts von Deutschland, Großbritannien,<br />
Irland, der Schweiz, Australien<br />
und Costa Rica.<br />
In den 80er Jahren arbeitete Produzentin<br />
Judy Craymer mit Benny Andersson und<br />
Björn Ulvaeus als ausführende Produzenten<br />
an dem Projekt »Chess«. Inspiriert<br />
von der Darstellungskraft der Songs,<br />
plante sie, ein <strong>Musical</strong> zu kreieren, das<br />
bereits bestehende »ABBA«-Songs beinhalten<br />
sollte.<br />
19<strong>95</strong> stimmten Andersson und Ulvaeus<br />
dem <strong>Musical</strong> zu, unter der Voraussetzung,<br />
dass Craymer eine starke Geschichte<br />
schreiben ließ, die von den Songs getragen<br />
wird. Dramatikerin Catherine Johnson<br />
konnte für das <strong>Musical</strong> »Mamma Mia!«<br />
gewonnen werden, das 1999 in London<br />
seine Uraufführung feierte und sich zu<br />
einem weltweiten Erfolg entwickelte. In<br />
insgesamt 16 verschiedenen Sprachen<br />
übersetzt, mit 22 »ABBA«-Songs untermalt<br />
und in 440 Städten aufgeführt, begeisterte<br />
das <strong>Musical</strong> mehr als 60 Millionen<br />
Zuschauer.<br />
Basierend auf dem <strong>Musical</strong>, das die Geschichte<br />
zweier Generationen von Frauen<br />
– über junge Liebe und solche, die über<br />
Jahre Bestand hat – erzählt, entstand der<br />
gleichnamige <strong>Musical</strong>film, der 2008 in die<br />
Kinos kam. Mit der zeitlosen Musik und<br />
den Texten von »ABBA« setzte sich die Erfolgsgeschichte<br />
von »Mamma Mia!«, unter<br />
Regie der Theater- und Opernregisseurin<br />
Phyllida Lloyd, auf der Kinoleinwand fort.<br />
Die auf der fiktiven griechischen Insel<br />
Kalokairi angesiedelte Geschichte spielte<br />
weltweit über 600 Millionen Dollar<br />
ein und wurde in Großbritannien zum<br />
erfolgreichsten Kinofilm aller Zeiten. Die<br />
Kinobesucher wurden nicht nur durch<br />
die zahlreichen »ABBA«-Songs in die<br />
Kinos gelockt, sondern auch durch die<br />
hochkarätige Besetzung, die diese selbst<br />
sang. Neben Meryl Streep und Amanda<br />
Seyfried als Mutter-Tochter-Gespann rundeten<br />
Pierce Brosnan, Colin Firth, Stellan<br />
Skarsgård sowie Christine Baranski, Dominic<br />
Cooper und Julie Walters den Cast ab.<br />
Mit dem Wunsch, ihren leiblichen Vater bei<br />
ihrer Hochzeit mit Sky (Dominic Cooper)<br />
dabei zu haben, verschickt Sophie (Amanda<br />
Seyfried) drei Briefe an die Männer,<br />
von denen einer ihr Vater sein könnte.<br />
Tatsächlich machen sich Sam (Pierce<br />
Brosnan), Bill (Stellan Skarsgård) und<br />
Harry (Colin Firth) auf den Weg zur Insel,<br />
um die Absenderin persönlich kennenzulernen.<br />
Derweil treffen Lisa (Rachel<br />
McDowall) und Ali (Ashley Lilley), Sophies<br />
beste Freundinnen, auf der Insel ein und<br />
blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />
MM 2
Mamma Mia! 1<br />
Rosie (Julie Walters, l.) und Tanya (Christine Baranski, r.) bauen<br />
Donna (Meryl Streep, Mitte) wieder auf: ›Chiquitita‹<br />
Donna (Meryl Streep) und Sam (Pierce Brosnan): ›SOS‹<br />
C<br />
Bill (Stellan Skarsgård), Sam (Pierce Brosnan), Harry (Colin<br />
Firth) und Sophie (Amanda Seyfried) schließen einen Pakt<br />
MM 3<br />
begeben sich mit ihr auf eine Reise in die<br />
Vergangenheit: ›Honey, Honey‹. Auch<br />
Sophies Mutter Donna (Meryl Streep)<br />
freut sich auf den Besuch ihrer Freundinnen<br />
Tanya (Christine Baranski) und<br />
Rosie (Julie Walters). Die Freude über die<br />
Hochzeit wird durch das schlecht laufende<br />
Hotel überschattet. Donna benötigt<br />
›Money, Money, Money‹. Als Sam, Bill und<br />
Harry eintreffen, fühlt sich Sophie mit<br />
allen drei verbunden. Donna hingegen<br />
bringt das erste Aufeinandertreffen nach<br />
all den Jahren durcheinander: ›Mamma<br />
Mia!‹. Die Erinnerungen stürzen auf sie ein.<br />
Doch Tanya und Rosie bauen die ›Dancing<br />
Queen‹ schnell wieder auf. Bei einem Segeltörn<br />
versucht Sophie herauszufinden,<br />
wer wirklich ihr Vater ist. Überraschenderweise<br />
hat jeder etwas über ›Our Last<br />
Summer‹ mit Donna zu erzählen. Hinund<br />
hergerissen zwischen den drei möglichen<br />
Vätern, ist sich Sophie in Bezug auf<br />
Sky sicher. Beide schwören: ›Lay All Your<br />
Love on Me‹. Am Abend erwartet Sophie<br />
eine Überraschung, als ihre Mutter mit ihren<br />
Freundinnen auftritt: ›Super Trouper‹<br />
scheint die Lebensgeschichte der Frauen<br />
zu erzählen und zugleich ein Rat für die<br />
Zukunft zu sein. Durch den Gesang angelockt,<br />
erscheinen Harry, Sam und Bill<br />
und sorgen erneut für Gefühlschaos.<br />
›Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After<br />
Midnight)‹ bildet den Hintergrund für die<br />
Aussprache zwischen Sophie und den<br />
drei »Vätern«. Als die Männer den wahren<br />
Grund ihrer Einladung erkennen, kochen<br />
die Gefühle am vorletzten Abend vor der<br />
Hochzeit zu ›Voulez-Vous‹ hoch. Damit<br />
Sophie nicht von drei Vätern zum Altar<br />
geführt wird, gilt es, den »Richtigen« zu<br />
entlarven. Als es daraufhin zum Streit<br />
zwischen Sophie und Donna kommt,<br />
heißt es ›SOS‹. Alle fassen mit an, um<br />
die Traumhochzeit doch noch zu retten.<br />
Während sie die Feier vorbereiten, wirft<br />
Sky Sophie vor, dass sie noch nicht bereit<br />
sei für die Ehe. Doch Sophie ist sich sicher<br />
und so erkennt Donna, dass Sophie nun<br />
ihren eigenen Weg gehen muss: ›Slipping<br />
Through My Fingers‹. Mit dem Blick<br />
auf die Zukunft gerichtet, verabschiedet<br />
sich Donna von der Vergangenheit: ›The<br />
Winner Takes It All‹.<br />
Bereits zu Beginn des Projekts war Produzent<br />
Gary Goetzman darum bemüht,<br />
den Geist und die Energie des <strong>Musical</strong>s<br />
auf die Kinoleinwand zu übertragen und<br />
dabei den gleichen Spaß und die Freude<br />
wie das Bühnenstück auszudrücken: »Im<br />
Film kann man sich intensiver mit den<br />
blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />
A
Mamma Mia! 1<br />
Charakteren befassen, und es besteht<br />
die Möglichkeit, die Zuschauer mehr auf<br />
das zu lenken, was man ihnen zeigen will.<br />
Man kann die brillanten Elemente des<br />
Stückes hervorheben, die die Zuschauer<br />
seit vielen Jahren lieben.« Kameramann<br />
Haris Zambarloukos fing die Szenen des<br />
Films in den Pinewood Studios in London<br />
am großen »007«-Set und an Originalschauplätzen<br />
in Griechenland ein: Nach<br />
neun Wochen Dreharbeiten in den<br />
Pinewood-Studios zog die Unit nach<br />
Griechenland, wo sie fünf Tage auf der<br />
Insel Skiathos drehte. Danach ging es für<br />
zwei Wochen nach Skopelos und schließlich<br />
fünf Tage nach Damouchari, um die<br />
passende Location zu finden. Die Crew<br />
fand in einem Ressort ein passendes<br />
Gebäude, das Produktionsdesignerin<br />
Maria Djurkovic mit Hilfe von Designern,<br />
Zimmerleuten, Verputzern und Malern in<br />
Donnas Villa verwandelte. Skys und Sophies<br />
Hochzeitskapelle, welche in Pinewood<br />
entworfen wurde, setzte man auf<br />
eine 100 Meter hohe Felsformation mit<br />
Blick aufs Meer. Für den unverwechselbaren<br />
Look der Figuren sorgten Kostümdesignerin<br />
Ann Roth sowie Make-up-<br />
Designerin Tina Earnshaw.<br />
Leuchtende Farben und schmissige<br />
»ABBA«-Songs, die nicht verändert<br />
wurden, sorgen für ausgelassenes Sommerfeeling,<br />
gute Laune und das Gefühl<br />
von Ferienstimmung. Leichte Melancholie<br />
bezüglich der Vergangenheit<br />
und der sich durch die bevorstehende<br />
Heirat verändernden Mutter-Tochter-Beziehung<br />
verschmelzen mit den<br />
Szenen am Meer, die die beste Kulisse<br />
für die Romanze bilden.<br />
Oscar-Gewinnerin Meryl Streep, die ihr<br />
musikalisches Talent bereits in »Grüße<br />
aus Hollywood« und »Last Radio Show«<br />
unter Beweis stellte, brilliert in der Rolle<br />
der Donna, die während der Songs in<br />
Ziegenställen oder über Treppengeländer<br />
balanciert. Als ihre Tochter wurde<br />
im Laufe des Castingprozesses Amanda<br />
Seyfried besetzt, die ebenfalls Erfahrungen<br />
im Singen und Tanzen vorweisen<br />
konnte. Weil Benny Andersson und Björn<br />
Ulvaeus von ihrer jugendlichen Art verzaubert<br />
waren, ließen beide sie während<br />
des Vorsprechens zusätzliche Songs singen.<br />
Die Chemie zwischen Seyfried und<br />
dem britischen Schauspieler Dominic<br />
Cooper stimmte ebenfalls bereits beim<br />
Vorsprechen, sodass er als Sophies Verlobter<br />
Sky besetzt wurde. Mit Pierce Brosnan,<br />
Colin Firth und Stellan Skarsgård als<br />
(un)willkommene Väter besetzte Lloyd<br />
drei Männer mit Warmherzigkeit und Humor,<br />
die für heitere Momente sorgen. Vor<br />
der Herausforderung stehend, in dem Film<br />
gleichzeitig zu singen und zu tanzen, sind<br />
die Darsteller über sich selbst hinausgewachsen<br />
und stehen ihren Schauspielkolleginnen<br />
Julie Walters sowie der mit dem<br />
Tony ausgezeichneten Darstellerin Christine<br />
Baranski in nichts nach. Music Director<br />
Martin Lowe, der bereits bei den Vorsprechen<br />
anwesend war, arbeitete intensiv mit<br />
den Darstellern, bevor er mit ihnen ins<br />
Sophie (Amanda Seyfried, 2.v.l.) mit ihren<br />
Gästen auf dem Weg zur Kapelle<br />
Studio ging, um die Songs, die sie im Film<br />
singen, aufzunehmen. Produzent Mark<br />
Huffman gab den Darstellern die Chance,<br />
während der Dreharbeiten live zu singen,<br />
anstatt, wie es bisher Tradition in Musikfilmen<br />
war, die Lieder vorher aufzunehmen<br />
und dann beim Dreh nur zu mimen. Durch<br />
den Mix aus Playback und Livegesang<br />
kommt die komplexe »ABBA«-Musik mit<br />
ihren melodisch großartigen Harmonien<br />
bestens zum Ausdruck.<br />
Sandy Kolbuch<br />
blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />
MM 4
Mamma Mia! 2<br />
fortsetzung<br />
MAMMA MIA! HERE WE GO AGAIN<br />
Universal Pictures<br />
Kinostart: 19. Juli 20<strong>18</strong><br />
Länge: 114 Minuten<br />
Regie ............................................................................................................................. Ol Parker<br />
Drehbuch ................................................. Ol Parker, Catherine Johnson, Richard Curtis<br />
Score ..................................................... Benny Andersson, Anne Dusley, Björn Ulvaeus<br />
Kamera ....................................................................................................... Robert D. Yeoman<br />
Filmschnitt ........................................................................................................ Peter Lambert<br />
<strong>Musical</strong> Supervision...................................................................................... Becky Bentham<br />
Setdesign ........................................................................................................ Dominic Capon<br />
Produktionsdesign .................................... James Lewis, Andrew Palmer, Jason Virok<br />
Kostüme ............................................................................................. Michele Clapton Virok<br />
Hair & Make-up ............................................................................................... Tina Earnshaw<br />
Choreographie ....................................................................................... Anthony Van Laast<br />
Special Effects .......................................................................... Chris Corbould, Dean Ford<br />
Produzenten ..................................................................... Judy Craymer, Gary Goetzman<br />
MM 5<br />
Sophie ........................................................................................................... Amanda Seyfried<br />
Donna .................................................................................................................... Meryl Streep<br />
Young Donna ........................................................................................................... Lily James<br />
Ruby Sheridan .................................................................................................................... Cher<br />
Fernando ............................................................................................................... Andy Garcia<br />
Rosie ....................................................................................................................... Julie Walters<br />
Young Rosie ......................................................................................................... Alexa Davies<br />
Tanya ........................................................................................................... Christine Baranski<br />
Young Tanya ....................................................................................... Jessica Keenan Wynn<br />
Sky ................................................................................................................... Dominic Cooper<br />
Bill ................................................................................................................... Stellan Skarsgård<br />
Young Bill ................................................................................................................. Josh Dylan<br />
Sam ..................................................................................................................... Pierce Brosnan<br />
Young Sam ......................................................................................................... Jeremy Irvine<br />
Harry ........................................................................................................................... Colin Firth<br />
Young Harry ....................................................................................................... Hugh Skinner<br />
2B<br />
blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2
C<br />
H<br />
Mamma Mia! 2<br />
Fast 20 Jahre nach der Uraufführung<br />
des <strong>Musical</strong>s und 10 Jahre nach dem<br />
Kinofilm »Mamma Mia!«, der weltweit<br />
über 600 Millionen US-Dollar einspielte,<br />
wird die Geschichte von Sophie<br />
und ihrer Mutter Donna fortgesetzt: Der<br />
Großteil der Handlung spielt in der Vergangenheit<br />
und zeigt, wie Donna einst<br />
Sam, Bill und Harry kennenlernte, auf die<br />
griechische Insel Kalokairi kam und dort<br />
ihre Tochter Sophie zur Welt brachte.<br />
Die Sonne geht auf über Kalokairi,<br />
der zauberhaftesten aller griechischen<br />
Inseln. Es sind einige Jahre vergangen<br />
und Sophie (Amanda Seyfried) hat die<br />
Leitung des Hotel Bella Donna übernommen,<br />
dessen Neueröffnung kurz bevor<br />
steht: ›Thank You For the Music‹. Die Geschichte<br />
springt ins Jahr 1979 zurück. Die<br />
junge Donna (Lily James) hält singend die<br />
Abschlussrede an der Universität von Oxford:<br />
›When I Kissed the Teacher‹. Die ausgelassene<br />
Freude wird nur dadurch gedämpft,<br />
dass Donnas Mutter Ruby (Cher)<br />
nicht anwesend ist. Donna, Tanya (Jessica<br />
Keenan Wynn) und Rosie (Alexa Davies)<br />
schwören sich ewige Freundschaft, bevor<br />
Donna am nächsten Tag Großbritannien<br />
verlässt, um in Paris neue Erfahrungen zu<br />
sammeln.<br />
In der Gegenwart kämpft Sophie mit der<br />
Trennung von Sky (Dominic Cooper), der<br />
für sechs Wochen nach New York gegangen<br />
ist, um dort Einblicke in das Hotel<br />
Business zu erlangen. Als er verkündet,<br />
dass ihm ein Job angeboten wurde, ist<br />
Sophie davon nicht begeistert. Sie fürchtet<br />
sich davor, dass Sky das Angebot annehmen<br />
wird, während sie auf der Insel zurück<br />
bleibt, da sie das Erbe ihrer Mutter nicht<br />
aus den Händen geben will. Im Duett ›One<br />
of Us‹ werden ihre Gefühle füreinander<br />
H<br />
A<br />
blickpunkt<br />
blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />
MM 6
Mamma Mia! 2<br />
verdeutlicht. Um Sophie während der<br />
Neueröffnung zu unterstützen, reisen<br />
Tanya (Christine Baranski) und Rosie<br />
(Julie Walters) an.<br />
Zurück in der Vergangenheit, trifft Donna<br />
in Paris in einem Hotel auf Harry (Hugh<br />
Skinner). Er lädt sie zum Essen ein, bei<br />
dem sie ihm von ihren Plänen erzählt.<br />
Schockiert darüber, dass Donna die Stadt<br />
schon bald wieder verlassen will, versucht<br />
er, sie im Café Bonaparte mit ›Waterloo‹<br />
von seiner liebenswerten Art zu überzeugen.<br />
Während alle Gäste im Restaurant zu<br />
tanzen beginnen, kommen sie sich näher<br />
und verbringen die Nacht miteinander.<br />
Von ihren Gefühlen getrieben, besucht<br />
Sophie ihren Stiefvater Sam (Pierce Brosnan),<br />
der ebenfalls auf der Insel lebt und<br />
sie unterstützt. Gemeinsam helfen sie einander,<br />
sich an Donna zu erinnern. Traurig<br />
stimmt Sam ›SOS‹ an.<br />
Jahre zuvor macht Donna sich alleine auf<br />
den Weg zu der griechischen Insel Kalokairi,<br />
nachdem sie das Hotel ohne Harry<br />
verlassen hat. Sie verpasst das Schiff und<br />
heuert bei Bill (Josh Dylan) an, dessen<br />
Segelboot im Hafen ankert. Bezaubert<br />
von der Frohnatur, bringt Bill sie zur Insel:<br />
›Why Did It Have to Be Me?‹<br />
Ein Sturm bildet die Überleitung zur<br />
Gegenwart, in der Sophie um ihr Hotel<br />
bangt, während der Wind die Dekoration<br />
der Terrasse komplett zerstört. Ein<br />
Rückblick in die Vergangenheit zeigt,<br />
wie Donna einst das morsche Gebäude<br />
betreten hat und dass sie eine Vision vor<br />
Augen hatte, was man daraus machen<br />
könne: ›I Have a Dream‹. Von zusammenbrechenden<br />
Gebäudeteilen erschreckt,<br />
wird Donna auf ein Pferd aufmerksam,<br />
das in einem Nebengelass gefangen<br />
scheint. Nach Hilfe suchend, rennt sie auf<br />
die Straße und stößt dabei auf Sam (Jeremy<br />
Irvine). Gemeinsam retten sie das Tier<br />
und finden in einer Bar Zuflucht, in der<br />
eine Männer-Kombo spielt. Euphorisch<br />
fragt sie den Bandsänger, ob sie mit ihrer<br />
Band »The Dynamos« in der Bar auftreten<br />
darf. Mit einer Kostprobe von ›Andante,<br />
Andante‹ verzaubert sie nicht nur den<br />
Barinhaber, sondern auch Sam, der ihren<br />
Traum von einem Leben auf der Insel<br />
teilen will.<br />
In der Gegenwart ist Sophie niedergeschlagen<br />
und fühlt sich dieser der Verantwortung<br />
nicht mehr gewachsen: ›The<br />
Name of the Game‹. Auch Donna kam<br />
viele Jahre zuvor an den Punkt, an dem<br />
sie aufgeben wollte, nachdem der gemeinsame<br />
Traum von ihr und Sam zerplatzte:<br />
›Knowing Me, Knowing You‹ im<br />
gefühlvollen Duett. Doch ihre Trübsal<br />
hielt nicht lange an, da Tanya und Rosie<br />
ihr beistanden. Gemeinsam treten sie in<br />
der Bar auf, in die sie mit ›Mamma Mia‹<br />
das ganze Dorf locken.<br />
A<br />
Die junge Donna (Lily James) und der junge Bill (Josh Dylan)<br />
auf dem Boot: ›Why Did It Have to Be Me‹?<br />
MM 7<br />
Rund 25 Jahre später stehen die in die<br />
Jahre gekommenen Freundinnen Tanya<br />
und Rosie Sophie bei, die sich nach Sky<br />
sehnt, der ihre Anrufe nicht mehr beantwortet.<br />
Zum Trost erzählen sie von<br />
›Angel Eyes‹, denen sie einst verfallen<br />
sind. Noch ahnen die Frauen nicht, dass<br />
Harry und Bill bereits auf dem Weg zu ihnen<br />
sind, um ihrer »Tochter« beizustehen.<br />
Auch in der Vergangenheit kehrt Sam<br />
zurück zu Donna, doch diese hatte sich<br />
bereits auf Bill eingelassen.<br />
Als aus dem Nichts zahlreiche Schiffe<br />
voller Gäste in Sicht kommen, um den<br />
Neubeginn des Hotels Bella Donna zu<br />
feiern, schöpft Sophie neuen Mut. Die<br />
›Dancing Queen‹ kann nicht nur ihre drei<br />
»Väter« in die Arme schließen, sondern<br />
auch Sky. Überglücklich beichtet sie ihrer<br />
»Familie«, dass sie schwanger ist. Genau<br />
wie ihre Mutter viele Jahre zuvor –, wie<br />
ein Rückblick während des Songs ›I‘ve<br />
Been Waiting For You‹ zeigt. Die Zeiten<br />
haben sich geändert, die Generationen<br />
wechseln. Sophie nimmt offiziell Donnas<br />
Platz im Hotel und in der Mitte der »The<br />
Dynamos« ein. Die Geschichte endet wenige<br />
Monate später in der Kapelle, in der<br />
einst Sophie Sky heiraten wollte. Mutter<br />
und Tochter werden auf wunderbare und<br />
sehr emotionale Art während ›My Love,<br />
My Life‹ miteinander vereint. Der Auftritt<br />
von Ruby bringt auf ebenso beeindrublickpunkt<br />
musical Special Mamma Mia! 2
lickpunkt musical Special Mamma Mia 2A<br />
Mamma Mia! 2<br />
ckende und berührende Art mit ›Super<br />
Trouper‹ alle Generationen zusammen,<br />
was fast wie eine Art Traumsequenz<br />
erscheint.<br />
Regisseur und Drehbuchautor Ol Parker<br />
hat zusammen mit Catherine Johnson<br />
und Richard Curtis, die beide das <strong>Musical</strong>und<br />
Drehbuch des ersten Films geschrieben<br />
haben, die Story für »Mamma Mia!<br />
Here We Go Again« geschaffen. Mit viel<br />
Feingefühl und euphorischem Optimismus<br />
findet die Geschichte von »Mamma Mia!«<br />
ihre Fortsetzung. Neben den bekannten<br />
und beliebten Stars aus dem ersten Teil erweitern<br />
Lily James (»Cinderella«) als junge<br />
Donna, Alexa Davies (»X+Y«) und Jessica<br />
Keenan Wynn (»Go Green«) als junge<br />
Rosie und Tanya sowie Jeremy Irvine<br />
(»Fallen – Engelsnacht«) als junger Sam,<br />
Josh Dylan (»Allied: Vertraute Fremde«)<br />
und Hugh Skinner (»Kill Your Friends«)<br />
als junge Versionen von Bill und Harry<br />
den Cast. Der populärste Neuzugang der<br />
»Mamma Mia!«-Familie ist Musikikone<br />
Cher, die für Welthits wie ›If I Could Turn<br />
Back Time‹ und ›Believe‹ bekannt ist, als<br />
Donnas Mutter Ruby.<br />
Obwohl der Film die einstige Handlung<br />
fortführt, wirft er zugleich einen Blick in<br />
die Vergangenheit. Im stetigen Wechsel<br />
schwenkt die Kamera in das Leben der<br />
einst jungen Absolventin Donna, für die<br />
Lily James mit Herzblut in die Fußstapfen<br />
von Meryl Streep tritt, und das gegenwärtige<br />
Leben ihrer Tochter Sophie. Die<br />
Parallelen im Leben der zwei Frauen sind<br />
auffallend herausgearbeitet und werden<br />
von der zeitlosen Musik »ABBA«s getragen.<br />
Bemerkenswert ist, dass beim zweiten<br />
Film nicht nur besonders bekannte<br />
Songs wie »Waterloo«, mit welchem sich<br />
die Popgruppe »ABBA« am 6. April 1974<br />
den Sieg beim Eurovision Song Contest<br />
in Brighton und damit den Grundstein für<br />
ihre einzigartige internationale Karriere<br />
sicherte, in den Fokus rücken. Auch eher<br />
unbekanntere Titel wie ›When I Kissed<br />
the Teacher‹, der 1976 erstmals auf dem<br />
Album »Arrival« veröffentlicht wurde und<br />
mit seinem jugendlichen Sound den perfekten<br />
Einstieg in die Geschichte liefert,<br />
und ›My Love, My Life‹ sowie ›I‘ve Been<br />
Waiting For You‹ untermalen die Gefühle<br />
der Figuren und bringen die Handlung<br />
voran. Während Lily James und Amanda<br />
Seyfried mit ihren klaren und kraftvollen<br />
Stimmen überzeugen, merkt man ihren<br />
männlichen Schauspielkollegen an, dass<br />
sie im Bereich Gesang noch nicht so erfahren<br />
sind. Bradley Cooper ließ es sich<br />
nicht nehmen, seine Stimme in ›One of<br />
Us‹ auszuprobieren, während Jeremy Irvine<br />
mit seiner tiefen Tonlage gefühlvolle<br />
Momente beisteuern kann, die den ansonsten<br />
poppigen Up-tempo-Nummern<br />
des Films entgegenwirken. Lily James,<br />
die die Songs für den Film in Stockholm<br />
aufnahm, überraschte das Team mit<br />
ihrer klaren Stimme. Sie versteht es sehr<br />
gut, Donnas jugendliche Version zu verkörpern.<br />
Dass sie die Musik von »ABBA«<br />
bereits als Kind lieben lernte, kommt ihrem<br />
Ausdruck zugute. Amanda Seyfried als<br />
Donnas Tochter Sophie durchläuft ähnliche<br />
Phasen im Leben wie diese einst. Die<br />
Parallelen zwischen dem jeweiligen Leben<br />
beider Frauen spiegeln sich in den Songs<br />
wieder, die sowohl euphorische Momente<br />
als auch emotionale Stille kennen. Obwohl<br />
Seyfried bereits im ersten Teil mit ihrer<br />
Stimmkraft glänzen konnte, lässt sich<br />
eine Steigerung ihres gesanglichen Könnens<br />
im zweiten Film nicht bestreiten.<br />
Für die stets passende Choreographie<br />
hat Anthony Van Laast gesorgt, der ebenfalls<br />
seit 20 Jahren zur »Mamma Mia!«-Familie<br />
gehört. Von kleinen Tanzeinlagen<br />
mit zwei Personen bis hin zu großartigen<br />
Szenen mit mehr als 300 Tänzern findet<br />
jeder Song seine perfekte Performance.<br />
Die 70er Jahre werden durch die farbenfrohen<br />
Kostüme inklusive Plateauschuhen<br />
und Schlaghosen abgerundet<br />
(Kostümdesign: Michele Clapton Virok,<br />
»American Hustle«). Die Szenen der Vergangenheit,<br />
die in der alten Taverne spielen,<br />
wurden in den Shepperton Studios in<br />
Großbritannien gedreht. In zwei weiteren<br />
Hallen wurden das Pariser Café Bonaparte<br />
sowie das Hotel Bella Donna erbaut und<br />
die Szenen vor Ort gedreht. Die Außenszenen<br />
hingegen wurden vor den griechischen<br />
Inseln aufgenommen und später<br />
mit den Studioaufnahmen vereint.<br />
Die ›Dancing Queen‹-Szene, bei der 300<br />
Tänzer auf einem Steg tanzen, wurde an<br />
der Barjaci-Bucht gedreht, die in Kalokairi<br />
verwandelt wurde und mit ihrer euphorischen<br />
Stimmung zu den Highlights des<br />
Films gehört. Mit »Mamma Mia! Here<br />
We Go Again« wird die Geschichte gelungen<br />
und unterhaltsam fortgesetzt<br />
und ihr Hintergrund beleuchtet. Der entstandene<br />
<strong>Musical</strong>film bietet nicht nur für<br />
»ABBA«-Fans grandiose Unterhaltung.<br />
Sandy Kolbuch<br />
Rosie (Julie Walters, l.) und Tanya (Christine Baranski, r.) trösten<br />
Sophie (Amanda Seyfried, Mitte): ›Angel Eyes‹<br />
blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />
MM 8
H<br />
Mamma Mia 2<br />
B<br />
intervi ew m it<br />
amanda seyfri ed - sop h i e<br />
Schauspielerin Amanda Seyfried (*1985)<br />
war 2005 auf dem Sundance Film Festival<br />
in dem gefeierten Film »Nine Lives« zu sehen.<br />
Es folgten Rollen unter anderem in<br />
»Alpha Dog – Tödliche Freundschaften«<br />
(2006), »Das Leuchten der Stille« (2010),<br />
»Red Riding Hood – Unter dem Wolfsmond«<br />
und »In Time – Deine Zeit läuft<br />
ab« (2011). 2012 spielte und sang sie die Rolle<br />
der Cosette in Tom Hoopers <strong>Musical</strong>-Verfilmung<br />
von »Les Misérables«. 2015 feierte<br />
Seyfried ihr Theater-Debüt in der Off-Broadway-Produktion<br />
des Neil-LaBute-Stücks »The<br />
Way We Get By«. Zudem war sie auf der<br />
Kinoleinwand in »Ted 2«, »Gefühlt Mitte<br />
Zwanzig« und »Alle Jahre wieder – Weihnachten<br />
mit den Coopers« zu sehen.<br />
2017 war Seyfried in David Lynchs hochgelobter<br />
Fortsetzung seiner Kultserie<br />
»Twin Peaks« besetzt und spielte gemeinsam<br />
mit Shirley MacLaine in »Zu guter<br />
Letzt«. An der Seite von Aaron Paul und<br />
Russell Crowe war sie in Gabriele Muccinos<br />
Film »Väter und Töchter – Ein ganzes<br />
Leben« zu sehen. Für »Mamma Mia! Here<br />
We Go Again« kehrt sie als Sophie, die sie<br />
bereits vor zehn Jahren in »Mamma Mia!«<br />
spielte, zurück. Aktuell dreht Seyfried<br />
den Simon Curtis-Film »The Art of Racing<br />
in the Rain«.<br />
BLICKPUNKT MUSICAL: Sie haben sich<br />
in den letzten zehn Jahren überhaupt<br />
nicht verändert. Was ist Ihr Geheimnis?<br />
AMANDA SEYFRIED: Sie scherzen. (lacht)<br />
Ich habe meine 20er Jahre beendet, fühle<br />
mich aber immer noch genauso. Ich<br />
habe noch immer den gleichen Zugang<br />
zu Sophie, habe sie jedoch jetzt besser<br />
verstanden. Meine Schwangerschaft hat<br />
dies bewirkt. Das Timing für den zweiten<br />
Film war wirklich gut. Ich hätte nie daran<br />
geglaubt, dass wir eine Geschichte kreieren,<br />
die sich auf diese Art fortsetzen lässt.<br />
Doch wir haben diese cleveren Autoren<br />
gehabt, die wirklich eine ganz wunderschöne<br />
Geschichte kreiert haben. Der<br />
Kontext ist wirklich gelungen und spaßig,<br />
sowohl für die Geschichte als auch für die<br />
Fans des ersten Films.<br />
BLIMU: Können Sie sich noch an Ihre<br />
Reaktion erinnern, als Sie erfahren haben,<br />
dass es eine Fortsetzung geben wird?<br />
MM 9 blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2
Mamma Mia! 2<br />
AS: Ich habe es an dem Tag erfahren,<br />
als ich aus dem Krankenhaus entlassen<br />
wurde (Die Darstellerin hatte wenige<br />
Tage zuvor ihr erstes Kind entbunden,<br />
Anm. d. Red.). Das waren große Neuigkeiten<br />
für mich. Als meine Agentin mich<br />
anrief, um mir die News mitzuteilen, habe<br />
ich geweint.<br />
BLIMU: Sie haben kurz vor der Geburt<br />
geheiratet.<br />
AS: Ja, es war sehr spontan. Wir sprachen<br />
darüber, dass es cool wäre, noch vor der<br />
Geburt zu heiraten, und haben es dann<br />
einfach getan.<br />
BLIMU: Hatten Sie zunächst Bedenken,<br />
so kurz nach der Geburt zu drehen?<br />
AS: Ich habe mir darüber Gedanken gemacht,<br />
wie diese Rolle in mein Leben<br />
passen kann, und habe erkannt, dass<br />
es nun viele Parallelen zwischen Sophie<br />
und mir gibt. Gewisse Dinge sind wichtiger<br />
geworden. Dann kam ich vor dem<br />
Dreh an einen Punkt, an dem ich meine<br />
Tochter für kurze Zeit jemand anderem<br />
anvertrauen konnte, ohne mir darüber<br />
zu sehr Gedanken zu machen. Der Dreh<br />
hat unglaublichen Spaß gemacht und<br />
meine Tochter war ein Teil davon, weil sie<br />
die ganze Zeit dabei war. Jeder am Set<br />
hat sie in sein Herz geschlossen. Sophies<br />
Schwangerschaft konnte ich gut nachvollziehen,<br />
weil ich sie selbst kurz zuvor<br />
erlebt hatte. Es war dadurch sehr emotional<br />
und einfach perfekt.<br />
BLIMU: Beide »Mamma Mia!«-Filme zeigen,<br />
dass die Musik von »ABBA« dabei<br />
helfen kann, Probleme zu lösen. Würden<br />
Sie dies unterschreiben?<br />
AS: Diese Musik hat etwas Befreiendes.<br />
Sobald sie zu spielen beginnt, fühlt man<br />
das, was man gerade zu fühlen bereit ist,<br />
viel intensiver. Wenn man sich gerade<br />
entspannt fühlt, hilft einem die Musik,<br />
sich wirklich komplett zu entspannen.<br />
Hört man aber einen Song wie ›Waterloo‹,<br />
dann will man einfach aufspringen<br />
und tanzen. Man kennt die Melodien und<br />
fühlt sich dadurch sicher. Musik ist eine<br />
Sprache, die wir alle rund um den Globus<br />
sprechen. »ABBA«s Musik bedeutet Spaß<br />
und ausgelassene Freude. Und wenn der<br />
Song dies nicht ausdrückt, dann spricht<br />
er die melancholische Stimmung an,<br />
die wir auch alle kennen. Man fühlt sich<br />
durch diese Songs sehr emotional berührt<br />
und spürt eine Verbindung zu den<br />
Figuren. Das ist wirklich eine Kunst.<br />
BLIMU: Welcher Song ist Ihr persönlicher<br />
Favorit?<br />
AS: ›I‘ve Been Waiting For You‹. Dieser<br />
Song ist so unglaublich schön. Die Liedtexte<br />
in ›My Love, My Life‹ wurden etwas<br />
geändert, damit sie besser zu der<br />
Geschichte passen. Das war wirklich<br />
eine sehr gute Idee, die hervorragend<br />
funktioniert hat. Ich denke, es war auch<br />
notwendig, um zu verdeutlichen, dass<br />
ich in Meryls Fußstapfen trete. Ich liebe<br />
Julie Walters und Christine Baranski so<br />
sehr. Sie beide haben mich aufwachsen<br />
sehen als Amanda und auch als Sophie.<br />
Unsere Verbindung ist sehr stark und nun<br />
haben sie mich mit meiner Tochter erlebt.<br />
Mit ihnen über die Schwangerschaft und<br />
mein ungeborenes Kind zu sprechen hat<br />
sich nicht wie Schauspielerei angefühlt.<br />
Das Ganze war so unglaublich und emotional,<br />
dass wir gar nicht mehr aufhören<br />
wollten. Wenn man im Film den Zusammenschnitt<br />
sieht, wo Donna ihr Kind zur<br />
Welt bringt, und dann die schwangere Sophie,<br />
dann ist das unglaublich. Ich liebe es.<br />
BLIMU: Wem haben Sie mehr nachgeeifert?<br />
Meryl Streep oder Cher?<br />
AS: Beiden. Meryl im ersten Film und<br />
Cher im zweiten. (lacht) Mit Meryl habe<br />
ich während des gesamten Films zusammengearbeitet.<br />
Cher war hingegen nur<br />
ein oder zwei Wochen am Set. Die erste<br />
Szene, die wir zusammen gedreht haben,<br />
ist auch die Szene im Film, in der unsere<br />
Figuren erstmals aufeinander treffen. Sie<br />
kommt mir entgegen und ich sage ihr,<br />
dass sie nicht eingeladen ist. Das war unglaublich.<br />
Am zweiten Tag haben wir die<br />
Szene gedreht, in der wir gemeinsam an<br />
der Bar sitzen. Die anderen haben uns<br />
so viel Raum gelassen, dass es sich angefühlt<br />
hat, als ob nur wir zwei dort sind.<br />
Cher ist so normal und sie führt ein unglaubliches<br />
Leben. Ich war so glücklich<br />
darüber, sie erleben zu dürfen. Wir haben<br />
einfach nur geredet und dann kam Meryl<br />
vorbei und flüsterte eine kurze Begrüßung.<br />
Sie und Cher kennen sich seit vielen<br />
Jahren, hatten sich aber eine Ewigkeit<br />
nicht gesehen und es war schön, zu sehen,<br />
wie sehr sich beide über das Treffen<br />
gefreut haben. Und ich war ein Teil davon.<br />
Das war eine unglaubliche Erfahrung und<br />
einer der besten Momente am Set.<br />
BLIMU: Meryl Streep soll am Set sehr<br />
mütterlich zu ihren Kollegen sein. Wie<br />
ist sie mit Ihrer Tochter umgegangen?<br />
AS: Sie war sehr süß und hat immer die<br />
Arme nach ihr ausgestreckt. Meine Tochter<br />
hat bisher schon sehr viele bekannte<br />
Menschen getroffen und hat absolut keine<br />
Ahnung davon. (lacht)<br />
BLIMU: Im Film hat Sophie drei potenzielle<br />
Väter. Wenn Sie sich einen davon<br />
aussuchen müssten, wen würden Sie<br />
wählen?<br />
AS: Das ist eine schwere Frage. Wenn<br />
ich ein gebrochenes Herz hätte, würde<br />
ich mich von Pierce Brosnan trösten lassen.<br />
Stellan Skarsgård würde ich wählen,<br />
wenn ich mich über etwas super Cooles<br />
unterhalten wollen würde. Und wenn ich<br />
gerne stundenlang lachen wollen würde,<br />
wäre Colin Firth mein Favorit. Sie sind alle<br />
sehr charmant und lustig. Als sie auf der<br />
Insel angekommen sind, haben sie mich<br />
und meine Mutter besucht. Später saßen<br />
sie gemeinsam mit Hugh Skinner, Josh<br />
Dylan und Jeremy Irvine an einem Tisch<br />
und das war so wundervoll! Sie sind alle<br />
zauberhaft.<br />
BLIMU: Hoffen Sie, dass Ihre Tochter<br />
einmal in Ihre Fußstapfen treten wird?<br />
AS: Das kann ich jetzt noch nicht beantworten.<br />
Dafür muss sie erst älter sein. Die<br />
Dinge ändern sich ja so schnell. Als ich<br />
angefangen habe in der Branche, gab<br />
es noch nicht überall, wo man hingegangen<br />
ist, Internet. Es war damals noch<br />
schwieriger als heute, Informationen zu<br />
bekommen. In zwanzig Jahren weiß niemand,<br />
wie die Welt aussehen wird. Dann<br />
existiert eine völlig neue Generation. Der<br />
Druck wächst täglich durch die Follower<br />
in den medialen Netzwerken. Jeder spürt<br />
dies und es nervt. Ich warte einfach ab und<br />
werde sehen, was sie später interessiert.<br />
BLIMU: Können Sie etwas über Ihre<br />
kommenden Projekte verraten?<br />
AS: Sagt Ihnen das Buch »The Art of Racing<br />
in the Rain« etwas? Das Buch wird<br />
aus der Perspektive eines Hundes erzählt,<br />
dessen Besitzer ein Rennfahrer ist,<br />
der gerade seine Frau verloren hat. Es ist<br />
eines der traurigsten Bücher überhaupt.<br />
blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />
MM 10
HA<br />
Mamma Mia 2<br />
H<br />
intervi ew m it<br />
li ly james - junge donna<br />
Die britische Schauspielerin Lily James<br />
(*1989), die als Lily Chloe Ninette<br />
Thomson geboren wurde und den<br />
Vornamen ihres an Krebs verstorbenen<br />
Vaters zum Künstler-Nachnamen machte,<br />
gehört zu den begehrtesten Darstellerinnen<br />
ihrer Generation. Nach ihrem<br />
Abschluss 2010 an der »Guildhall School<br />
of Music and Drama« wurde sie 2012 für<br />
die Rolle der lebenslustigen Lady Rose<br />
MacClare in der vielfach ausgezeichneten<br />
Fernsehserie »Downton Abbey«<br />
besetzt. Auf der Leinwand überzeugte<br />
sie als Cinderella in Disneys gleichnamiger<br />
Realverfilmung und mit ihrer Rolle<br />
in »Baby Driver« sowie als persönliche<br />
Sekretärin Churchills in dem »Oscar«-prämierten<br />
Werk »Die dunkelste Stunde«. In<br />
»Mamma Mia! Here We Go Again« spielt Lily<br />
James die Rolle der Donna in jungen Jahren.<br />
Ab dem 09. August ist sie in dem romantischen<br />
Drama »Deine Juliet« zu sehen, Mike<br />
Newells Adaption des gleichnamigen »New<br />
York Times«-Bestsellers.<br />
MM 11 blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2
C<br />
Mamma Mia! 2<br />
BLICKPUNKT MUSICAL: Sie sind das<br />
Highlight des zweiten »Mamma Mia!«-<br />
Films, weil Sie dem Publikum mit Ihrem<br />
sprühenden Wesen so viele Emotionen<br />
schenken. Wie groß war für Sie der Spaß<br />
am Set?<br />
LILY JAMES: Es war wirklich die beste<br />
Zeit, die ich bisher in meinem Leben hatte.<br />
Ich habe es jeden einzelnen Tag genossen,<br />
ein Teil dieses Projekts zu sein.<br />
Wir haben auf dieser wunderschönen<br />
Insel in Kroatien gedreht, wo wir täglich<br />
mit dem Boot hingefahren sind. Die<br />
Sonne hat geschienen und ich konnte<br />
im Meer schwimmen. Ich hatte noch<br />
nie eine solch starke Bindung zum Cast<br />
und zu der Crew wie bei diesem Film.<br />
Es war eine unglaubliche Erfahrung für<br />
mich, weil jeder einzelne so inspirierend,<br />
brillant und teamfähig war.<br />
BLIMU: Hatten Sie Bedenken, als junge<br />
Donna quasi in die Fußstapfen von<br />
Meryl Streep zu treten?<br />
LJ: Dies ist genau der Punkt, über den ich<br />
mit meinen Agenten gesprochen habe.<br />
Ich habe Meryl in so vielen Filmen gesehen<br />
und von ihr gelernt. Es war Teil meiner<br />
Vorbereitung, mich von ihrer Offenheit<br />
inspirieren zu lassen. Meryl ist sehr<br />
expressiv mit ihrer Körperhaltung und<br />
ihrer Stimme. Ich habe keine Tipps von<br />
ihr bekommen, aber ich habe sehr eng<br />
mit Judy Craymer, der Produzentin von<br />
»Mamma Mia!«, gearbeitet. Sie ist auch<br />
die Schöpferin des <strong>Musical</strong>s und hat mir<br />
sehr viel über die Figur Donna erzählt.<br />
Wir haben darüber gesprochen, was ich<br />
über die Rolle denke, was Meryl über sie<br />
dachte und welche Gedanken die Rolle<br />
selbst hat. Dadurch fühlte ich mich sehr<br />
unterstützt.<br />
BLIMU: Ist es Ihnen leicht gefallen, eine<br />
so freigeistige und extrovertierte Person<br />
zu spielen, die singt und tanzt, um<br />
ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen?<br />
LJ: (lacht) Bevor ich wusste, dass es eine<br />
Fortsetzung von »Mamma Mia!« geben<br />
wird, hat meine Mutter ihren Geburtstag<br />
gefeiert. Am Ende des Essens habe ich auf<br />
dem Tisch getanzt und ›The Winner Takes<br />
It All‹ gesungen. In diesem Moment war<br />
ich wie Donna. Ich habe ein Video davon,<br />
es ist verrückt. Und vier Monate später<br />
habe ich die Rolle bekommen. Mit 20 war<br />
ich furchtlos, wollte die Welt sehen und<br />
Erfahrungen sammeln, mich selbst finden.<br />
Heute bin ich ausgeglichener.<br />
BLIMU: Wann haben Sie Meryl Streep<br />
das erste Mal getroffen?<br />
LJ: Ich habe sie erst während der Dreharbeiten<br />
getroffen und mein Bestes gegeben,<br />
um meine schauspielerischen<br />
Qualitäten ihrem Niveau anzupassen. Sie<br />
war sehr cool und hat keine große Sache<br />
daraus gemacht, sondern mich einfach<br />
die Rolle ausleben lassen.<br />
BLIMU: Donna ist eine mutige junge<br />
Frau, die alles hinter sich lässt, um ihren<br />
Träumen zu folgen. Können Sie sich mit<br />
ihr identifizieren?<br />
LJ: Manchmal fühle ich mich, als ob zwei<br />
Persönlichkeiten in mir wohnen. Dann<br />
kann ich mich mit dieser Art von Leben<br />
anfreunden. Aber dann gibt es die andere<br />
Seite von mir, die es nicht kann. Ich<br />
denke, jeder kennt das. Ich könnte mir<br />
vorstellen, einfach fortzugehen, um in<br />
Griechenland zu leben und einen Buchladen<br />
zu eröffnen, wie jenen, wo ich<br />
Stunden verbracht habe. Ich liebe es, in<br />
der Sonne und in der Nähe des Meeres<br />
zu sein. Ich liebe es, zu reisen, und fühle<br />
mich Donna dadurch verbunden.<br />
BLIMU: Wir war die Zusammenarbeit mit<br />
Björn Ulvaeus und Benny Andersson?<br />
LJ: Die beiden sind wunderbar. Ich bin<br />
nach Stockholm geflogen, um dort die<br />
Songs aufzunehmen. Zuvor habe ich<br />
eine Woche lang nicht gesprochen, weil<br />
ich solche Angst hatte, meine Stimme<br />
zu verlieren. (lacht) Vor Ort hatte ich vier<br />
magische Tage. Benny saß am Klavier und<br />
hat angefangen, ›My Love, My Life‹ zu<br />
spielen. Ich habe einfach begonnen, zu<br />
singen, und dann sang Benny ebenfalls.<br />
Die beiden sind Genies und haben die<br />
besten Takes mit mir zusammengestellt.<br />
Björn und Benny haben mir ihre Musik<br />
anvertraut. Ich bin so glücklich, ein Teil<br />
des Ganzen zu sein.<br />
BLIMU: Welchen Song haben Sie während<br />
der Dreharbeiten am liebsten<br />
gesungen?<br />
JL: Ich denke, das war ›Andante, Andante‹.<br />
Der Song ist so wunderschön. ›Mamma<br />
Mia‹ ist aber der beste Song, den man<br />
singen kann. Er entfacht das Feuer in<br />
einem. Diesen Song zusammen mit den<br />
anderen zu singen war so dynamisch.<br />
BLIMU: Für »Mamma Mia! Here We Go<br />
Again« mussten Sie gleichzeitig schauspielern,<br />
singen und tanzen. Welche Szene<br />
barg die größte Herausforderung?<br />
LJ: Ich denke, die Szene, wo ich ›When I<br />
Kissed the Teacher‹ singe, weil es die erste<br />
war, die wir gedreht haben. Es war ein<br />
harter Start mit einer sehr starken Nummer.<br />
Zum Ende des Films sind Jessica Keenan<br />
Wynn und Alexa Davies – die Darsteller<br />
der jungen Tanya und Rosie – und ich<br />
zusammengewachsen. Wir haben laufend<br />
zusammen getanzt und gesungen,<br />
sodass mir alles viel leichter fiel als zu<br />
Beginn. Am Anfang waren wir alle noch<br />
sehr nervös.<br />
BLIMU: Wann kam bei Ihnen der<br />
Wunsch auf, Schauspielerin zu werden?<br />
LJ: Mein Vater (Anmerkung der Redaktion:<br />
James Thomson) war Schauspieler,<br />
als ich noch sehr klein war. Er war immer<br />
sehr kreativ und hat Geschichten erzählt,<br />
aber mir war nie bewusst, dass dies sein<br />
Beruf war. Auch meine Großmutter (Helen<br />
Horton) war ihr ganzes Leben lang<br />
Schauspielerin, aber ich habe sie zum<br />
Schluss nicht oft gesehen. Ich habe die<br />
Leidenschaft für die Schauspielerei für<br />
mich selbst entdeckt.<br />
blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />
MM 12
Mamma Mia 2<br />
A<br />
intervi ew m it<br />
p i erce brosnan - sam<br />
Der irisch-amerikanische Schauspieler<br />
Pierce Brosnan (*1<strong>95</strong>3) kann auf eine umfangreiche<br />
und weitgefächerte Karriere<br />
vor und hinter der Kamera zurückblicken.<br />
In den 1990er Jahren wurde er für<br />
seine Rolle als britischer Geheimagent in<br />
»James Bond 007 – Golden Eye« (19<strong>95</strong>),<br />
»James Bond 007 – Der Morgen stirbt<br />
nie« (1997), »James Bond 007 – Die Welt<br />
ist nicht genug« (1999) und »James Bond<br />
007 – Stirb an einem anderen Tag« (2002)<br />
gefeiert. Zu Brosnans Erfolgsfilmen gehören<br />
unter anderem »Der ganz normale<br />
Wahnsinn – Working Mum« (2011), »Salvation<br />
Boulevard« (2011), »Percy Jackson:<br />
Diebe im Olymp« (2010), »Der Ghostwriter«<br />
(2010) und »Remember Me – Lebe<br />
den Augenblick« (2010). In der Adaption<br />
des Broadway-<strong>Musical</strong>-Hits »Mamma<br />
Mia!« spielte er 2008 die Rolle des Sam,<br />
die er in der Fortsetzung »Mamma Mia!<br />
Here We Go Again« wieder übernommen<br />
hat. Aktuell ist Brosnan zudem in der<br />
zweiten Staffel der AMC-Serie »The Son«,<br />
welche auf dem gleichnamigen Roman<br />
von Philipp Meyer basiert, in dem Thriller<br />
»Spinning Man«, in Marc Webbs »The Only<br />
Living Boy on New York« sowie unter der<br />
Regie von Martin Campbell in dem Action-Thriller<br />
»The Foreigner« zu sehen.<br />
MM 13 blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2
Mamma Mia! 2<br />
BLICKPUNKT MUSICAL: Herzlich willkommen<br />
in Hamburg. Sie haben hier<br />
schon oft gedreht. Verbinden Sie viele<br />
Erinnerungen mit der Stadt?<br />
PIERCE BROSNAN: Meine Frau Keely<br />
und ich verbinden mit der Stadt viele<br />
Erinnerungen an die gemeinsame Zeit,<br />
die wir hier verbracht haben, als unser<br />
Sohn noch klein war. Mittlerweile ist er<br />
ein junger Mann von 21 Jahren. Ich erinnere<br />
mich aber auch daran, wie ich mich<br />
vor Jahren hier in der Stadt im Kempinski<br />
Hotel auf die Tour als James Bond vorbereitet<br />
habe. Es fühlt sich gut an, jetzt<br />
für »Mamma Mia! Here We Go Again«<br />
zurückzukehren. Ich bin sehr glücklich<br />
und auch stolz auf diesen Film. Es hatte<br />
mir sehr viel Spaß gemacht, den ersten<br />
Film zu drehen, weshalb ich sehr erfreut<br />
war, als der Anruf kam, dass es eine Fortsetzung<br />
geben wird. Die Frage war natürlich,<br />
ob Meryl Streep dabei sein wird. Und<br />
Meryl war dabei. (lacht) Ich habe gleich<br />
zugesagt, weil der erste Teil so einen erstaunlichen<br />
und herrlichen Zugang zur<br />
Unterhaltung bot.<br />
BLIMU: Nutzen wir die Sprache des<br />
Films. Welches ist Ihr persönlicher<br />
»Waterloo« -und welches Ihr »The Winner<br />
Takes it All«-Moment?<br />
PB: Meinen »The Winner Takes it All«-Moment<br />
hatte ich vor 35 Jahren, als ich<br />
Courage bewiesen habe und den Bank<br />
Manager um einen Überziehungskredit<br />
von £2.000 gebeten habe. Ich brauchte<br />
das Geld, um nach Amerika gehen zu<br />
können, um berühmt und erfolgreich<br />
zu werden. Das war für mich ein wirklich<br />
großer Moment. Es gab einige »Waterloo«-Momente,<br />
aber die behalte ich lieber<br />
für mich. (lacht)<br />
BLIMU: Was ist es für ein Gefühl, den alten<br />
Cast, die Crew und die Insel wiederzusehen?<br />
PB: Es ist wunderbar. Inzwischen ist etwas<br />
Zeit vergangen, ich gehe auf die 65<br />
zu, habe einiges zu tun und liebe, was ich<br />
tue.<br />
BLIMU: Wie war nach diesen Jahren Ihre<br />
Arbeit mit Meryl Streep?<br />
PB: Meryl ist eine sehr bemerkenswerte<br />
Schauspielerin. Sie gibt so viel von sich<br />
selbst, um all die beeindruckenden Persönlichkeiten<br />
zu kreieren. Wir sind Freunde<br />
und sie macht es einem sehr leicht,<br />
sie zu lieben und mit ihr zusammenzuarbeiten.<br />
Ich denke, das ist das Geheimnis<br />
unserer Freundschaft. Wir können<br />
jahrelang nicht miteinander reden und<br />
machen dann einfach an dem Punkt weiter,<br />
wo wir einmal aufgehört haben. Wir<br />
erinnerten uns gemeinsam an die junge<br />
Amanda (Seyfried) im Alter von 21 Jahren<br />
und nun sahen wir sie plötzlich mit ihrem<br />
eigenen Baby. Das war so wundervoll.<br />
Und all die Darsteller der jungen Generation,<br />
die mit so viel Leidenschaft und<br />
Disziplin arbeiten, waren brillant.<br />
BLIMU: Wie nehmen Ihre Söhne »Mamma<br />
Mia! Here We Go Again« auf?<br />
PB: Sie lieben den Film. Vor zwei Wochen<br />
haben wir uns in unserem Haus mit der<br />
Familie und Freunden getroffen und bei<br />
Pizza den Film angesehen. Es war wunderbar.<br />
BLIMU: Ihre Kinder sind dabei, erwachsen<br />
zu werden. Wollen sie in der Filmbranche<br />
Fuß fassen?<br />
PB: Dylan ist 21 und studiert an der UIC<br />
(University of Illinois at Chicago). Paris ist<br />
17 und versucht, sein Studium durchzuziehen.<br />
Als wir das letzte Mal miteinander<br />
gesprochen haben, war er gerade in<br />
Washington. Ich denke nicht, dass meine<br />
Kinder Schauspieler sein wollen, auch<br />
wenn Dylan eine Filmschule besucht und<br />
Paris gerne das Gleiche machen möchte.<br />
Er ist ein sehr guter Geschichtenerzähler<br />
und Autor und wir werden sehen, wohin<br />
ihn sein Weg führen wird. Zudem arbeiten<br />
beide als Model. Paris liebt es, während<br />
es für Dylan nur ein Job von vielen<br />
ist. Sie haben eine sehr liebevolle Mutter,<br />
die alles auf Linie hält. Ich unterstütze<br />
beide, wo immer ich kann. Wenn wir zum<br />
Essen alle zusammen am Tisch sitzen, reden<br />
wir über alles. Wir sind uns sehr nahe.<br />
BLIMU: Haben Sie Ihrem Sohn Sean<br />
einen Rat gegeben, bevor er mit der<br />
Schauspielerei begonnen hat?<br />
PB: Ich habe ihn gefragt, ob er wirklich<br />
Schauspieler werden will. Er sagte: Vielleicht.<br />
Ich habe ihm gesagt, dass er sich<br />
bilden und viel lesen muss, um die Geschichte<br />
der Menschheit zu verstehen.<br />
Dass er gute Autoren finden und auch<br />
die Courage besitzen muss, eine Pause<br />
einzulegen, wenn dies notwendig ist, um<br />
auch auf der Bühne zu bestehen. Nachdem<br />
sein Entschluss gefallen war, hat<br />
er deshalb Schauspiel studiert, um sein<br />
Talent auszubauen.<br />
BLIMU: Wie sehen Ihre Zukunftsvisionen<br />
aus?<br />
PB: Ich beschreite eine neue Dekade meines<br />
Lebens und bin gespannt, welche Herausforderungen<br />
mich als Schauspieler<br />
erwarten. Ich möchte meine Memoiren<br />
schreiben, eine Art Show kreieren oder<br />
malen. Keely und ich haben uns dazu<br />
entschieden, gemeinsam als Produzenten<br />
meiner eigenen Produktionsgesellschaft<br />
»Irish DreamTime« zu arbeiten. Wir<br />
haben gerade die Rechte an dem Buch<br />
»Girls Like Us« erworben und werden daraus<br />
eine Dokumentation machen.<br />
BLIMU: Wie sieht Ihr perfekter Tag aus?<br />
PB: Ich stehe auf, gönne mir eine Tasse<br />
Kaffee und sage meiner Frau, dass ich<br />
sie liebe. Nachdem ich etwas Fahrrad<br />
gefahren bin, gehe ich in mein Studio<br />
und male. Keely zaubert uns ein Essen.<br />
Anschließend gehe ich schwimmen und<br />
entspanne auf ganz einfache Art.<br />
blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2 MM 14
C<br />
A<br />
intervi ew m it<br />
ol parker - regi e / drehbuch<br />
Der britische Drehbuchautor und Regisseur<br />
Ol Parker (*1969) begann seine Karriere<br />
mit Drehbüchern für die TV-Serie<br />
»Grange Hill«, die in der BBC ausgestrahlt<br />
wurde. Er schrieb das Drehbuch zu dem<br />
Film »The Best Exotic Marigold Hotel«<br />
(2011), der u. a. für den »BAFTA Award«<br />
und den »Golden Globe« nominiert wurde<br />
und weltweit über 136 Millionen Dollar<br />
einspielte. Es folgte das Buch für »Now<br />
Is Good – Jeder Moment zählt« (2012),<br />
bei dem er auch Regie führte, sowie für<br />
die Fortsetzung »The Best Exotic Marigold<br />
Hotel 2« (2015). Für »Mamma Mia!<br />
Here We Go Again« schrieb Parker das<br />
Drehbuch und übernahm die Regie.<br />
BLICKPUNKT MUSICAL: Sie wurden<br />
ursprünglich nur als Drehbuchautor<br />
engagiert und haben dann erst später<br />
den Regiestuhl angeboten bekommen.<br />
Wie haben Sie darauf reagiert?<br />
OL PARKER: Es war eine sehr große<br />
Überraschung für mich. Ich bekam eine<br />
E-Mail von meinem Freund Richard Curtis,<br />
der das Originalbuch geschrieben<br />
hat, in der er mir zum Regieposten gratulierte.<br />
Ich habe nur drei Sekunden gebraucht,<br />
um ihm zu antworten.<br />
BLIMU: Haben Sie während der Arbeit<br />
an dem Drehbuch je daran gedacht,<br />
dass man Sie auch für die Regie gewinnen<br />
könnte?<br />
OP: Nein, nie. Hätte ich es auch nur<br />
geahnt, hätte ich nie die Tanzszene auf<br />
dem Boot geschrieben. Mir gefiel die<br />
Idee und damals dachte ich, es wäre<br />
irgendwann das Problem von jemand<br />
anderem, diese Szene auch wirklich<br />
umzusetzen. Dann übertrug man mir<br />
die Regie und ich war entsetzt darüber,<br />
diese Szene wirklich drehen zu müssen.<br />
(lacht)<br />
BLIMU: War es einfacher oder schwerer<br />
für Sie, das eigene Drehbuch zu<br />
verfilmen?<br />
OP: Bei diesem Projekt war es eine Herausforderung.<br />
Aber es war brillant und<br />
atemberaubend.<br />
BLIMU: Haben Sie als Vorbereitung für<br />
Ihre Arbeit »Mamma Mia!« gesehen?<br />
OP: Oh ja, ich habe ihn sehr oft gesehen.<br />
Seither kriege ich die Musik von »ABBA«<br />
nicht mehr aus dem Kopf. Sie ist immer<br />
da, wie ein dauerhafter Ohrwurm.<br />
BLIMU: Es wurde von Beginn an kommuniziert,<br />
dass Meryl Streep auch im<br />
zweiten Film dabei sein wird. Und dies,<br />
obwohl Sie ihre Figur eigentlich herausgeschrieben<br />
hatten. Wie kam es dazu?<br />
OP: Ich würde nicht sagen, dass ich sie<br />
wirklich herausgeschrieben hatte. Ich<br />
denke, es hat zehn Jahre gedauert, bis<br />
die Fortsetzung kam, weil der kommerzielle<br />
Druck dann nicht mehr so groß war.<br />
Die Darsteller hatten eine wunderbare<br />
Zeit und Spaß an einer Arbeit, die sie<br />
wirklich machen wollten. Nicht jeder Film<br />
benötigt eine Fortsetzung, daher nahm<br />
man sich die Zeit, um herauszufinden, ob<br />
man die Geschichte wirklich fortsetzen<br />
will. Meryl wollte ein Teil des Ganzen sein,<br />
aber nicht als Schauspielerin. Ich denke,<br />
jeder der Darsteller ist bekannt genug<br />
und besitzt ausreichend Geld, um nicht<br />
auf das Sequel angewiesen zu sein. Auch<br />
Benny und Björn brauchten den Film<br />
nicht, um damit an den Erfolg des ersten<br />
MM 15 blickpunkt musical Special Mamma Mia 2
Mamma Mia! 2<br />
anzuknüpfen. Ich habe eine Geschichte<br />
geschaffen, mit der alle zufrieden waren.<br />
Auch Meryl. Es ist für einen Drehbuchautor<br />
immer ein großer Moment, wenn man<br />
die fertige Arbeit einreicht und dann das<br />
Okay von allen bekommt, die in der Vergangenheit<br />
an dem Projekt beteiligt gewesen<br />
waren.<br />
BLIMU: Wie viele Tage war Meryl Streep<br />
am Set?<br />
OP: Sie kam vorbei, um uns zu besuchen<br />
und Zeit mit uns zu verbringen. Sie ist<br />
sehr gut mit Cher befreundet. Ich bin mir<br />
nicht mehr ganz sicher, aber ich denke,<br />
sie war zehn Tage am Set.<br />
BLIMU: Wie war die Zusammenarbeit<br />
mit Cher? Konnte sie selbst entscheiden,<br />
welchen Song sie singen will?<br />
OP: Sie wusste, dass bereits alles festgelegt<br />
war. Wenn man Darsteller für einen<br />
Film castet, hat man im Hinterkopf immer<br />
einen Plan B, falls die gewünschten Darsteller<br />
ablehnen. Hat man diesen nicht,<br />
verliert man Zeit. Für Cher habe ich den<br />
Part der Großmutter geschrieben und sie<br />
mochte ihn. Ich habe hin und her überlegt,<br />
wer noch für die Rolle in Frage kommen<br />
könnte, aber es blieb immer Cher.<br />
Glücklicherweise war ›Fernando‹ immer<br />
einer ihrer Lieblingssongs, sodass auch<br />
diese Szene wunderbar passte.<br />
BLIMU: Wie wichtig war es, Donna wieder<br />
zurück auf die Leinwand zu bringen?<br />
OP: Es war sehr wichtig und immer ein<br />
Teil des Plans. Es stand von Beginn an<br />
fest, dass sie einen Song singen soll, auch<br />
wenn noch niemand wusste, wie der Plot<br />
der Geschichte genau aussehen würde.<br />
Ich hatte nur die vage Idee, dass der Film<br />
mit ihrem Song enden könnte.<br />
BLIMU: Die Szene in der Kapelle ist<br />
wunderschön und sehr emotional. Was<br />
hat Sie dazu inspiriert?<br />
OP: Es war ein Gedanke, den ich schon<br />
lange im Kopf hatte. Donnas Geschichte<br />
wiederholt sich durch Sophie. Wir wollten<br />
dies verdeutlichen. Ich bin Stunde<br />
um Stunde die Szene durchgegangen<br />
und habe überlegt, wie ich sie gestalten<br />
soll. Ich stellte mir vor, dass Donna<br />
in einem weißen Gewand wie ein Engel<br />
die Kapelle betritt oder hineinschwebt.<br />
Das eine war nicht dramatisch genug,<br />
das andere zu abgehoben. Ich habe mir<br />
Ideen bei den Setdesignern geholt, um<br />
herauszufinden, was möglich ist. Und so<br />
entstand die Idee nach und nach. Ich bin<br />
sehr glücklich mit dem Ergebnis.<br />
BLIMU: Benny Andersson und Björn<br />
Ulvaeus haben für den Film einige der<br />
Liedtexte verändert?<br />
OP: Benny hat dabei geholfen, den richtigen<br />
Mix für den Film zu finden. Ich habe<br />
beide in Griechenland getroffen, bevor<br />
ich mit dem Drehbuch begonnen habe.<br />
Ich hatte erwartet, von ihnen eine Liste<br />
mit zehn bis fünfzehn Songs zu bekommen,<br />
um die herum ich die Geschichte<br />
spinnen soll. Es passierte aber genau das<br />
Gegenteil. Sie sagten mir, ich soll schreiben,<br />
was ich will, und auch die Songs<br />
verwenden, die ich will. Ich war in der Gestaltung<br />
also völlig frei und konnte Cher<br />
›Fernando‹ singen lassen, wenn sie auf<br />
ihre alte Liebe trifft. Ich habe mich immer<br />
wieder mit Benny und Björn getroffen<br />
und ihnen von meinen Ideen erzählt und<br />
sie waren sehr angetan davon. Auch die<br />
Idee, als Sophie und Sky miteinander telefonieren<br />
und dabei ›One of Us‹ singen,<br />
während sich das Bild teilt und man sie<br />
beide gleichzeitig sieht, kam an. Ich habe<br />
mich aber auch bemüht, ihre Songs sehr<br />
sorgsam zu behandeln. Da sind mir die<br />
beiden entgegengekommen und haben<br />
einige Textpassagen verändert, sodass<br />
diese besser zur Handlung passen.<br />
BLIMU: Amanda Seyfried war kurz<br />
zuvor Mutter geworden. War dies eine<br />
Herausforderung?<br />
OP: Amanda brachte ihr Baby mit zum<br />
Set und es schlief oft auf meinem Arm,<br />
während ich Regie führte und Amanda<br />
vor der Kamera stand. Ich war also Babysitter<br />
und Regisseur zugleich. Sie ist wirklich<br />
ein reizendes kleines Mädchen, das<br />
alle verzaubert hat.<br />
BLIMU: Es ist immer schwer, Schauspieler<br />
zu finden, die ein bereits<br />
bekanntes Castmitglied in jüngeren<br />
Jahren verkörpern. Mit Lily James in<br />
der Rolle der jungen Donna ist dies<br />
perfekt gelungen.<br />
OP: Es ist immer günstig, wenn sich der<br />
Cast schon aus vorigen Projekten kennt<br />
und eine natürliche Freundschaft miteinander<br />
pflegt, weil die Szenen dann<br />
harmonischer wirken. Es klingt wie ein<br />
Klischee, aber man castet gerne Leute,<br />
die man mag und kennt. Mir war es für<br />
»Mamma Mia! Here We Go Again« wichtig,<br />
dass der junge Cast eine ähnliche<br />
Persönlichkeit wie der jeweils Bestehende<br />
hat. Lily hat beispielsweise ganz zu Beginn<br />
getanzt, genauso wie es Meryl im<br />
ersten Film getan hat. Dadurch war die<br />
Verbindung offensichtlich. Und natürlich<br />
sollte der Cast ebenfalls singen können,<br />
weil ich dies Benny und Björn versprochen<br />
hatte. Die Darsteller des ersten<br />
Films sind natürlich in den letzten zehn<br />
Jahren älter geworden, was man auch<br />
an den Stimmen hört, die sich etwas<br />
verloren haben. Daher war es wichtig,<br />
dass der junge Cast besser singt. (lacht)<br />
Die jungen Darsteller mussten einfach<br />
talentiert, sympathisch und brillant sein,<br />
also keine großartigen Voraussetzungen<br />
erfüllen. (lacht)<br />
BLIMU: Lily James hat eine wunderbare<br />
Stimme. Hat sie während der Dreharbeiten<br />
live gesungen oder wurden<br />
die Songs, die zuvor aufgenommen<br />
wurden, abgespielt?<br />
OP: Wir haben beide Varianten genutzt.<br />
Auch bei Amanda. Sie haben beide wunderbare<br />
Stimmen und das haben wir<br />
genutzt. Wenn Donna in der Taverne<br />
singt, hat Lily wirklich a capella gesungen.<br />
Meryl Streep hingegen hat Playback<br />
gesungen. Das war eine Herausforderung,<br />
weil man selbst bei seiner eigenen<br />
Stimme nicht immer lippensynchron<br />
ist. Meryl hat dies aber bestens gemeistert.<br />
Gefühlvoller ist es immer, wenn die<br />
Darsteller live singen, weil sie in diesem<br />
Moment ganz anders fühlen als Monate<br />
zuvor, wenn sie die Songs einsingen.<br />
Chers Gesang stammt vom Band. Sie ist<br />
72 Jahre alt und kann perfekt ihre eigenen<br />
Aufnahmen performen.<br />
BLIMU: Wird es einen dritten Teil geben?<br />
OP: Das kann ich jetzt noch nicht beantworten.<br />
Ich sitze heute hier, weil der erste<br />
Teil so erfolgreich war. Wenn der zweite<br />
Film auch so gut läuft, bin ich offen. Ich<br />
bin positiv gestimmt. Ich habe über Figuren<br />
geschrieben, die die Zuschauer bereits<br />
kannten und mochten, und ich habe<br />
»neue« geschaffen, die ebenso liebenswert<br />
sind. Wir hoffen einfach das Beste.<br />
blickpunkt musical Special Mamma Mia! 2<br />
MM 16
I Am From Austria in Wien<br />
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Spamalot in Merzig<br />
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Billy Elliot in Hamburg<br />
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November 2017 – Januar 20<strong>18</strong><br />
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<strong>Ausgabe</strong> 90 (05/17)<br />
September – November 2017<br />
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<strong>Ausgabe</strong> 92 (01/<strong>18</strong>)<br />
Januar – März 20<strong>18</strong><br />
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Ausdrucksstarkes Drama in Tecklenburg<br />
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Prince of Broadway in New York<br />
Die Story meines Lebens<br />
Wiedervereinigte Freunde in Fürth<br />
Footloose in Darmstadt<br />
Craig Simmons im Interview<br />
Hairspray in Dortmund<br />
Romantics Anonymous in London<br />
<strong>Ausgabe</strong> 93 (02/<strong>18</strong>)<br />
März – Mai 20<strong>18</strong><br />
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Saisonvorschau<br />
17/<strong>18</strong><br />
Teil 2<br />
The Band's Visit in New York<br />
Ghost – Das <strong>Musical</strong><br />
Eine grenzenlose Liebe in Berlin<br />
Kinky Boots in Hamburg<br />
The Greatest Showman im Kino<br />
Doctor Dolittle in Salzburg<br />
Priscilla – Königin der Wüste in München<br />
Jekyll & Hyde in Frankfurt a. Main<br />
Once on This Island in New York<br />
Doktor Schiwago<br />
Leidenschaftliches <strong>Musical</strong> in Leipzig<br />
Fack ju Göhte in München<br />
Betty Blue Eyes in Linz<br />
Der Fliegende Holländer in Köln<br />
Drew Sarich – Jesus vis-à-vis<br />
Das Matterhorn<br />
in St. Gallen<br />
Barnum in London<br />
– Jesus vis-à-vis<br />
in London<br />
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<strong>18</strong> blickpunkt musical Special Mamma Mia 2<br />
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<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
Neues aus Österreich<br />
zusammengestellt von Barbara Kern<br />
Uraufführung von »Heidi« im Oktober im<br />
Wiener MQ<br />
Die weltweit gelesenen Bücher von Johanna Spyri<br />
(<strong>18</strong>27–1901) prägen wohl auch in Österreich seit<br />
Generationen das Bild der Schweiz. Durch die<br />
Filme, Comics und Animationsfilme aus USA,<br />
England und Japan ist die Figur der Heidi weltweit<br />
bekannt. Auch Komponist, Songwriter und<br />
Entertainer Michael Schanze hat in seinen Sendungen<br />
als TV-Moderator Kinder erlebt, die damit<br />
aufgewachsen sind. Nachdem Michael Schanze<br />
2016 gemeinsam mit Christian Berg das Familien-<br />
<strong>Musical</strong> »Scrooge – Eine Weihnachtsgeschichte«<br />
geschrieben hat, verfasste er jetzt gemeinsam mit<br />
Hans Dieter Schreeb (»Der Kurier der Kaiserin«,<br />
»Moselbrück« und Buch von »Tell«) ein neues<br />
<strong>Musical</strong> über Heidi. Schreeb interessiert an der<br />
Geschichte auch das Bild gesellschaftlicher Veränderungen<br />
Ende des 19. Jahrhunderts, das hier mit<br />
Heidis Reise zwischen den für Freiheit stehenden<br />
Schweizer Alpen und dem streng geregelten bürgerlichen<br />
Leben in der Stadt Frankfurt gezeigt<br />
wird.<br />
Das <strong>Musical</strong> »Heidi« wird am 10. Oktober<br />
20<strong>18</strong> Uraufführung in der Halle E des Wiener<br />
Museumsquartiers feiern. Produzent ist Wolfgang<br />
Werner, der u. a. als Intendant der Opernfestspiele<br />
St. Margarethen bekannt ist.<br />
Uwe Kröger verkörpert die Rolle des kauzigen<br />
Alm-Öhis und Maya Hakvoort wird das gestrenge<br />
Fräulein Rottenmeier spielen. Zum Cast wird<br />
auch Alfons Haider gehören.<br />
Regie & Bühnenbild liegen in den Händen<br />
von Manfred Waba.<br />
Mehr auf: www.heidimusical.info<br />
Auf eine emotionale Zeitreise mitnehmen möchte<br />
das Stück, das als »Schauspiel mit Musik« bezeichnet<br />
wird. »Gefühlsmalerei« ist das schöne Wort,<br />
das Julia Marie Wagner für das Werk findet, bei<br />
dem sie auch Regie führt. Die musikalische Leitung<br />
am Klavier übernimmt die Songwriterin Babsea, die<br />
zusammen mit Marion Feichter auch die Arrangements<br />
schrieb.<br />
Es spielen Lena Weiss (»Mozart!« in Shanghai,<br />
»Anatevka« in Heidelberg) als Emilie und Florine<br />
Schnitzel (»Grand Hotel« in Baden, »Les Misérables«<br />
in Staatz) als Wally.<br />
Die Uraufführung findet am 26. September<br />
20<strong>18</strong> im Brick-5 in Wien statt.<br />
Mehr auf: www.wally-emilie.com<br />
»Rudolf – Affaire Mayerling« auf Blu-ray<br />
Seit dem 20. Juli ist die Aufnahme aus dem<br />
Wiener Raimund Theater jetzt in neuer Qualität<br />
fürs Heimkino erhältlich. Die Blu-ray von<br />
HitSquad Records enthält 62 Kapitel, verteilt<br />
auf zwei Akte. Basierend auf dem Roman »Der<br />
letzte Walzer« von Frederic Morton über das<br />
Leben des österreichischen Kronprinzen Rudolf<br />
und über seinen Selbstmord an der Seite<br />
von Marie Vetsera, schrieben Frank Wildhorn<br />
und Jack Murphy ein dramatisches <strong>Musical</strong> mit<br />
großen Songs, das 2009 Uraufführung in Wien<br />
feierte. Am 19. und 20. Juni 2009 wurden die<br />
Produktionen aufgenommen. Durch Kamerafahrten<br />
auf der Bühne erlebt der Zuschauer das<br />
emotionale <strong>Musical</strong> der Vereinigten Bühnen<br />
Wien mit Drew Sarich, Lisa Antoni und Uwe<br />
Kröger in den Hauptrollen in ca. 150 Minuten<br />
fast wie einen Film.<br />
Mehr auf: www.hitsquad.at und www.musicalvienna.at<br />
Österreichische Erstaufführung von<br />
»Bodyguard« in Wien<br />
Am 27. September 20<strong>18</strong> feiert »Bodyguard –<br />
Das <strong>Musical</strong>« Premiere im Wiener Ronacher.<br />
Die <strong>Musical</strong>fassung vereint Songs des Film-<br />
Soundtracks (wie ›One Moment in Time‹ und<br />
›I Will Always Love You‹) und weitere Welthits,<br />
die im Original von Whitney Houston gesungen<br />
wurden, mit deutschsprachigen Dialogen.<br />
Grundlage bildet das Drehbuch von Lawrence<br />
Kasdan um die Liebesgeschichte zwischen dem<br />
Star Rachel Marron und dem Bodyguard Frank<br />
Farmer, die Alexander Dinelaris für das <strong>Musical</strong><br />
adaptierte. Das künstlerische Kreativteam<br />
besteht aus Thea Sharrock (Regie), Chris Egan<br />
(Orchestrierung & zusätzliche Musik), Mike<br />
Dixon (<strong>Musical</strong> Supervision & Vocal Arrrangements),<br />
Richard Beadle (<strong>Musical</strong> Supervision &<br />
zusätzliche Vocal Arrangements), Karen Bruce<br />
(Choreographie), Tim Hatley (Ausstattung),<br />
Campbell Young (Perücken & Make-up) und<br />
Mark Henderson (Lichtdesign), Duncan Mc-<br />
Lean (Videodesign) und Richard Brooker<br />
(Sounddesign). Bisher wurde die Bühnenfassung<br />
in elf Ländern aufgeführt und von 4 Millionen<br />
Menschen gesehen.<br />
In Wien wird Patricia Meeden die Soul-Diva<br />
Rachel Marron spielen und ihren Bodyguard verkörpert<br />
Jo Weil (»Verbotene Liebe«, »Tatort«). In<br />
die Rolle von Rachels Schwester Nicki schlüpft<br />
Ana Milva Gomes. In weiteren Rollen sind Martin<br />
Muliar (Rachels Manager Bill Devaney), Andreas<br />
Kammerzelt (PR-Agent Sy Spector), Nicolas Tenerani<br />
(Security-Chef Tony Scribelli), Maximilian<br />
Ortner (Stalker) und Peter Windhofer (Special<br />
Agent Ray Court) zu erleben. Es spielt das Orchester<br />
der Vereinigten Bühnen Wien.<br />
Mehr auf: www.musicalvienna.at<br />
»Wally : Emilie« uraufgeführt im Brick-5 in<br />
Wien<br />
Wally Neuzil und Emilie Flöge waren aus Sicht der<br />
Geschichte nur Musen von Egon Schiele und Gustav<br />
Klimt. Doch Emilie war eine Frau von Welt,<br />
Designerin mit eigenem Modesalon und Platz in<br />
der Gesellschaft. Wally war eine einfache Tagelöhnerin,<br />
das Künstlermodell und machte aus der<br />
Not eine Tugend. In dem Stück von Julia Marie<br />
Wagner (Buch) und Babsea (Musik und Liedtexte)<br />
begegnen sie sich zwischen Raum und Zeit. Sie<br />
reflektieren über Schattenseiten und Glücksmomente,<br />
Egoismus und Seelenverwandtschaft an der<br />
Seite der beiden Künstler.<br />
(v.l.): Jo Weil, Patricia Meeden, Ana Milva Gomes und Christian Struppeck<br />
Foto: VBW / Herwig Prammer<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
49
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
Einer für alle und alle für einen<br />
»3 Musketiere« beim <strong>Musical</strong>sommer Winzendorf<br />
Jungspund D'Artagnan (Christopher Dederichs, r.) will es gleich mit den drei gestandenen Musketieren Porthos<br />
(Dirk Siebenmorgen), Aramis (Florian Fetterle) und Athos (Christoph Apfelbeck) aufnehmen<br />
Foto: Philipp Bernhard<br />
3 Musketiere<br />
Rob Bolland & Ferdi Bolland /<br />
Paul Bogaev / Gerard Cox /<br />
Jan-Simon Minkema / Petra van der<br />
Eerden / André Breedland<br />
Deutsch von Wolfgang Adenberg &<br />
Ruth Deny<br />
<strong>Musical</strong>sommer Winzendorf<br />
Steinbruch<br />
Premiere: 6. Juli 20<strong>18</strong><br />
Regie ......................... Andreas Gergen<br />
Musikalischer Leiter .......... Lior Kretzer<br />
Choreographie.............. Sabine Arthold<br />
Stunt-Choreographie ............................<br />
Josef Schützenhofer<br />
Bühnenbild ............................ El Lasso<br />
Kostüme ........... Gerlinde Höglhammer<br />
Maske .......................... Maya Storbeck<br />
Lichtdesign ...................... Lukas Berger<br />
Sounddesign ..... Johannes Minichmayr<br />
D'Artagnan ...... Christopher Dederichs<br />
Kardinal Richelieu ........... Armin Kahl /<br />
Robert D. Marx<br />
Milady de Winter .............. Lisa Antoni<br />
Constance .......................... Zoë Straub<br />
Athos ................... Christoph Apfelbeck<br />
Porthos .................. Dirk Siebenmorgen<br />
Aramis ......................... Florian Fetterle<br />
Rochefort ................ Lorenz Sandmaier<br />
Königin Anna .............. Sarah Zippusch<br />
Conférencier ................... Florian Klein<br />
König Ludwig .................. Kilian Berger<br />
Buckingham ........... Kevin G. Valentine<br />
Puffmutter ..................... Romina Stella<br />
D'Artagnans Mutter ....... Nadine Zemp<br />
Engel aus Kristall .......... Bianca Stocker<br />
In weiteren Rollen:<br />
Sara Lynn Boyer, Diego Federico,<br />
Maximilian Millen, Lisa Radl (Dance<br />
Captain), Max M. Vazquez<br />
Mit schwingendem Degen stolpert der junge<br />
D'Artagnan in sein erstes Abenteuer. Von seinem<br />
behüteten Zuhause im Süden Frankreichs hat er sich<br />
mit seinem geliebten Pferd »Pomme de terre« auf den<br />
Weg gemacht, um in Paris sein Glück zu finden. Doch<br />
ehe er sich versieht, verteidigt er den König, an der Seite<br />
der von ihm hochverehrten Musketiere Athos, Porthos<br />
und Aramis, gegen böse Mächte. Mit starken Stimmen,<br />
spektakulären Stunts und schwungvollen Schauspielszenen<br />
heizt der <strong>Musical</strong>sommer Winzendorf im alten<br />
Steinbruch in diesem Jahr mit »3 Musketiere« den Zuschauern<br />
ein. Trotz kleiner Optimierungsmöglichkeiten<br />
ist die Sommer-Spielstätte auf dem besten Weg, sich neben<br />
den etablierten Festspielen in Amstetten und Staatz<br />
in der warmen Jahreszeit zu einer der festen niederösterreichischen<br />
Musiktheaterinstitutionen rund um Wien<br />
zu mausern.<br />
Für die neue Inszenierung des Klassikers, der 2003<br />
seine Uraufführung im niederländischen Rotterdam<br />
feierte, wurde ein beachtlicher Cast gefunden. In die<br />
Rolle des etwas unbeholfenen, aber nicht minder mutigen<br />
D'Artagnan schlüpft Blondschopf Christopher<br />
Dederichs. Mit dem mitreißenden Song ›Heut' ist der<br />
Tag‹ setzt der Darsteller, der zuletzt in »Schikaneder«<br />
und »Tanz der Vampire« zu sehen war, gleich zu Beginn<br />
seines neuen Engagements hohe Standards, denen aber<br />
auch die nachfolgenden Solisten durchaus gerecht werden.<br />
Sehr gut spielt er die Entwicklung von dem tagträumerischen<br />
und etwas unbeholfenen Landburschen<br />
hin zum mutigen Musketier. Dabei erhält D'Artagnan<br />
die Chance, zu zeigen, was in ihm steckt. Noch gar nicht<br />
richtig in der französischen Hauptstadt angekommen,<br />
trifft er seine erste große Liebe in Gestalt von Constance.<br />
Sie wird von der Sängerin Zoë Straub verkörpert,<br />
die – nach der Teilnahme beim Eurovision Song Contest<br />
2016 für Österreich mit ›Loin d'ici‹ – in Winzendorf ihr<br />
<strong>Musical</strong>debüt gibt und unter Beweis stellt, dass sie nicht<br />
nur stimmliche, sondern auch darstellerische Qualitäten<br />
zu bieten hat. Ganz nebenbei purzelt D'Artagnan<br />
in sein erstes Abenteuer. Mit mehr Mut als Verstand<br />
fordert er gleich drei gestandene Musketiere zum Duell<br />
heraus. Christoph Apfelbeck spielt den Gentleman<br />
Athos, Florian Fetterle den humorvollen Aramis und<br />
Dirk Siebenmorgen den Genussmenschen Porthos. Die<br />
drei sind auch auf der Bühne ein eingespieltes Team und<br />
schaffen es, jedem der Leibgardisten einen ganz eigenen<br />
Charakter zu verleihen und dennoch eine verschworene<br />
Einheit zu bilden. Die hastig ausgemachten Duelle zwischen<br />
dem Greenhorn und den erfahrenen Kämpfern<br />
finden nicht statt, da die Leibgarde des Kardinals unter<br />
der Leitung von Rochefort (Lorenz Sandmaier) dazwischen<br />
geht. Statt gegeneinander kämpfen die vier in der<br />
folgenden Degen-Szene, die spannend und energiegeladen<br />
von Stunt-Choreograph Josef Schützenhofer umgesetzt<br />
wurde, zusammen. Gekonnt schwingen die Darsteller<br />
die Klingen. Ihnen gegenüber steht als Highlight<br />
des Casts Armin Kahl in Form des legendären Kardinals<br />
Richelieu. Dieser bewegt sich mit einer bewundernswerten<br />
Natürlichkeit im scharlachroten Ornat. Wer genau<br />
hinschaut, kann die zwiegespaltene Persönlichkeit, die<br />
zwischen der katholischen Liebe zu Gott und dem Hass<br />
auf die protestantischen Hugenotten schwankt, in seinen<br />
Augen blitzen sehen. Der Mann mit dem spitzbübisch-dämonischen<br />
Lächeln hat in Winzendorf offenbar<br />
ein Zuhause gefunden, hat Armin Kahl doch im letzten<br />
Sommer bereits Zorro verkörpert. An seiner Seite ist in<br />
50<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
diesem Jahr Lisa Antoni zu sehen. Mit ihrer beeindruckenden<br />
Stimme, die sie besonders bei ›Männer‹ unter<br />
Beweis stellt, begeistert sie das Publikum als Milady de<br />
Winter und vermeintliche Komplizin des dubiosen Kirchenmannes.<br />
Das Leading-Team rund um den erfahrenen Regisseur<br />
Andreas Gergen, der nicht nur im vergangenen Jahr<br />
in Winzendorf, sondern auch in Tecklenburg und anderen<br />
Theaterhäusern zahlreiche Ensuite-Erfolgsproduktionen<br />
aus der Taufe gehoben hat, hat auch beim Ensemble<br />
aus Schülern und Absolventen des Performing<br />
Center Austria in Wien eine gute Auswahl getroffen.<br />
So macht besonders Kilian Berger nicht nur im Ensemble,<br />
sondern auch in der Nebenrolle des König Ludwig eine<br />
tadellos gute Figur. Auch seine Bühnen-Gattin, die<br />
Newcomerin Sarah Zippusch, zeigt ihr Können und<br />
vermag beim Terzett ›Wer kann schon ohne Liebe sein‹,<br />
mit den erfahrenen Kolleginnen mitzuhalten.<br />
Alle Darsteller stehen vor der Herausforderung, die<br />
große Bühne von Winzendorf zu bespielen. Der alte<br />
Steinbruch bietet schon seit Jahren für die Winnetou-<br />
Festspiele dem Publikum eine einzigartige Kulisse. Im<br />
letzten Sommer nutzte der <strong>Musical</strong>sommer die Kulisse<br />
erstmals mit »Zorro« für ein <strong>Musical</strong>. Durch die Überdachung<br />
wetterfest, nimmt der Zuschauer in gemütlichen<br />
Kino-Sesseln Platz. Die besonders breite Bühne bietet<br />
ein kinoähnliches 16:9-Erlebnis. Viele einzelne kleine<br />
Schauplätze, wie eine Höhle, ein Salon, der zum Schloss<br />
umfunktioniert wird, und eine Brücke verbinden sich<br />
zu einem harmonischen Ensemble und bieten nicht nur<br />
dem Orchester unter der musikalischen Leitung von<br />
Lior Kretzer die Möglichkeit, sich direkt auf der Bühne<br />
zu positionieren, sondern auch mannigfaltige Auftrittsmöglichkeiten<br />
für Pferde und Kutschen. Die prunkvollen<br />
Kostüme der Musketiere oder auch von Königin<br />
Anna (Kostümbild: Gerlinde Höglhammer) können<br />
hier ihre ganze Pracht entfalten. Auch der Sound ist in<br />
diesem Jahr deutlich besser als noch beim Debüt des<br />
<strong>Musical</strong>sommers vor zwölf Monaten. Glasklar ist jede<br />
Stimme zu hören, die rockigen Rhythmen aus der Feder<br />
des niederländischen Komponistenbrüderpaares Rob<br />
und Ferdi Bolland gehen in Mark und Bein.<br />
Wie im vergangenen Jahr haben die Produzenten<br />
Jérôme Berg und Benedikt Karasek auch in diesem<br />
Jahr nicht nur bei der Stückwahl, sondern auch bei den<br />
Engagements ein glückliches Händchen bewiesen.<br />
Eine Bemerkung zum Schluss: Auch Schattenseiten<br />
bringt dieses kinohafte Erlebnis für die ganze Familie<br />
mit sich. So muss sich der erfahrene <strong>Musical</strong>-Besucher<br />
vermutlich erst daran gewöhnen, dass so manche beachtenswerte<br />
Reprise ungewohnt durch Popcorn-Geraschel<br />
vom hungrigen Nebensitzer gestört wird.<br />
Manuel Sommerfeld<br />
Abb. unten von links:<br />
1. ›Männer‹ – Milady de Winter (Lisa<br />
Antoni mit Ensemble) ist nicht gut auf die<br />
Herren der Schöpfung zu sprechen<br />
2. Kardinal Richelieu (Armin Kahl, Mitte<br />
mit Ensemble) hat nicht nur die Zügel,<br />
sondern auch das Königspaar (Kilian<br />
Berger, l. und Sarah Zippusch, r.) fest in<br />
der Hand<br />
3. Erstes Aufeinandertreffen und<br />
charmante Blicke zwischen D'Artagnan<br />
(Christopher Dederichs) und Constance<br />
(Zoë Straub)<br />
4. Constance (Zoë Straub, l.) und<br />
D'Artagnan (Christopher Dederichs,<br />
Mitte) strahlen vor Glück und haben<br />
auch den Segen von Athos (Christoph<br />
Apfelbeck, r.)<br />
Fotos (4): Philipp Bernhard<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
51
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
Ein Klassiker mit Herzschmerz und neuen Ideen<br />
»West Side Story« bei den Mühlviertler <strong>Musical</strong>festwochen in Bad Leonfelden<br />
West Side Story<br />
Leonard Bernstein / Stephen Sondheim /<br />
Arthur Laurents / Jerome Robbins<br />
Songs in englischer Sprache<br />
Deutsche Dialoge von Marcel Prawy<br />
Eine Kooperation oberösterreichischer<br />
Kultureinrichtungen mit<br />
Mühlviertler <strong>Musical</strong>festwochen<br />
Sporthalle Bad Leonfelden<br />
Premiere: 7. Juli 20<strong>18</strong><br />
Regie &<br />
Choreographie .... Daniel Morales Pérez<br />
Musik. Leitung ..... Walter Rescheneder<br />
Bühnenbild ....... Peter Manhartsberger,<br />
Anna Maria Brandstätter,<br />
Nicola Hackl-Haslinger<br />
Kostüme .... Susanne Kerbl & Anita Bachl<br />
Lichtdesign ....... Bernie und Birgit Leier<br />
»Skyline«<br />
Ton ........................ Mathias Burghofer<br />
Tony .............................. Gernot Romic<br />
Maria ................................ Ilia Staple /<br />
Svetlana Enzenhofer-Merzlova<br />
Anita .... Masengu Madeleine Kanyinda<br />
Bernardo .......... Damián Cortes Alberti<br />
Riff ....................... Johannes Nepomuk<br />
Anybody’s .... Nuria Gimenez Villaroya<br />
Chino ................................. Enyer Ruiz<br />
Doc .......................... Manfred Stepany<br />
Schrank ............. Peter Andreas Landerl<br />
Krupke ........................ Ralf Rachbauer<br />
Ein Mädchen ................. Esther Pollak /<br />
Lisa Marie Lang<br />
In weiteren Rollen<br />
Rie Akiyama, Marlene Aigner,<br />
Christian Baumgartner, Kai Chun<br />
Chuang, Pablo Delgado, Hermann<br />
Diller, Chiara Ebner, Katharina Egger,<br />
Julio Andrés Escudero, Cajsa Ekstrand,<br />
Sarah Est, Domen Fajfar, Magdalena<br />
Fankhauser, Sarah Hartl, Michael<br />
Hinterhauser, Anniina Kankkunen,<br />
Laura Maria Kerbl, Bjarne Kirchmair,<br />
Verena Örtelt-Sumps, Elías Morales<br />
Pérez, Gabriel Wanka, Jana Würleitner,<br />
Julian Ricardo Yopasá Samacá<br />
Star des Abends: Masengu Madeleine Kanyinda in der Rolle der Anita. Sie begeisterte mit dem Ohrwurm-Song ›America‹<br />
Foto: ABPU<br />
Die Zuschauer schmolzen reihenweise dahin. Sie taten<br />
das 1<strong>95</strong>7 bei der Uraufführung in New York<br />
und auch 1961, als Richard Beymer mit Natalie Wood<br />
auf der Leinwand flirtete. Leonard Bernsteins »West<br />
Side Story« ist ein <strong>Musical</strong>-Klassiker per excellence und<br />
ein »Romeo und Julia« der Gegenwart.<br />
Gemäß Bernsteins Motto »Alles ist möglich, wenn<br />
wir zusammenarbeiten«, nahm sich Produzent Thomas<br />
Kerbl in Bad Leonfelden dem amerikanischen Klassiker<br />
an. Eines stand von Anfang an fest: Das Publikum<br />
sollte die Partitur im Original hören. Ohne Abstriche<br />
oder Besetzungsminimierungen. Genau so, wie Leonard<br />
Bernstein das Werk niedergeschrieben hatte. Dem kam<br />
man auch akribisch nach. Mit dem Leonard Bernstein<br />
Festival Orchester unter der Leitung von Walter Rescheneder<br />
konnte ein musikalischer Leckerbissen gewonnen<br />
werden: Ein Orchester in einer Größenordnung, wie<br />
man es – vor allem beim Sommertheater – kaum sieht.<br />
Einzig der Ton machte Sängern und Musikern einen<br />
Strich durch die Rechnung. Aussetzende Mikros, Handmikrofone,<br />
die angereicht wurden und dann ebenso<br />
versagten, sowie generell verbesserungswürdige Tonqualität.<br />
Zur Geschichte – einer modernen »Romeo und<br />
Julia«-Version rund um Tony (Jets) und Maria (Sharks)<br />
an der New Yorker West Side – muss man wohl nicht<br />
mehr viel sagen. Sie ist allseits bekannt. Die Inszenierung<br />
von Daniel Morales Pérez liegt, wie bereits erwähnt,<br />
äußerst nahe am Original. Zwei erwähnenswerte<br />
Ausnahmen gibt es allerdings: Ende des zweiten Aktes<br />
träumen Tony und Maria von einer Zukunft zu zweit<br />
(›Somewhere‹). Der Song wird anstatt von den beiden<br />
von einem jungen Mädchen in weißem Kleid vorgetragen.<br />
Wenn auch Esther Pollak das mit Bravour meisterte,<br />
bleibt die Frage, ob es die Zuseher nicht aus dem Geschehen<br />
reißt und womöglich etwas deplatziert wirkt.<br />
Die zweite Änderung in Pérez' Inszenierung betrifft<br />
die Schlusssequenz. Anstatt der »Versöhnung« von Jets<br />
und Sharks, die Tony gemeinsam von der Bühne tragen,<br />
verlassen alle das Szenario und die trauernde Maria<br />
bleibt alleine mit Tony zurück. Wenn es auch einen<br />
Grund dafür geben mag, büßt das Finale durch Fehlen<br />
der Abschlussszene leider einiges an Emotionen ein. Der<br />
Schluss wirkt holprig – das Publikum scheint nicht sicher<br />
zu sein, ob das Stück schon vorbei ist oder nicht.<br />
Da hätte man sicherlich einen runderen Abschluss finden<br />
können.<br />
Positiv hervorzuheben sind die detailgetreue Arbeit<br />
und die kleinen Ideen, mit denen Pérez das sonst immergleiche<br />
Stück aufpeppt. Bei der ›Hochzeitsszene‹ im<br />
Brautmodengeschäft sind es keine Puppen, mit denen<br />
die Verliebten tanzen, sondern echte Darsteller, die Puppen<br />
mimen sollen. Eine gute Idee, da die Szene so durch<br />
den Roboter-artigen Puppentanz besonders lebendig wirkt.<br />
In den Hauptrollen finden sich Gernot Romic<br />
(»Mozart!«, »Elisabeth«, »Tanz der Vampire«) und Ilia<br />
Staple (»Das Phantom der Oper«, »Orpheus in der Unterwelt«,<br />
alternierend: Svetlana Enzenhofer-Merzlova)<br />
zwischen zwei Welten. Tony und Maria – zwei Rollen,<br />
die schon von zahlreichen Darstellern zuvor verkörpert<br />
wurden und das vermutlich auch noch werden. Romic<br />
bringt seine eigene Interpretation des ehemaligen Jets-<br />
Mitglieds ein. Er überzeugt stimmlich auf ganzer Linie,<br />
sorgt mit Klassikern wie ›Maria‹ und ›Something's Coming‹,<br />
welche bekanntlich nicht leicht zu singen sind,<br />
für Gänsehaut. Darstellerisch ist der 32-Jährige zwar<br />
bemüht, es gelingt ihm jedoch insbesondere in den Szenen<br />
mit Maria nicht, dass der Funke überspringt. Dies<br />
52<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
mag auch an seinem Gegenüber liegen. Während Staple<br />
eine Stimme besitzt, bei der so manche Sängerin an der<br />
Wiener Staatsoper vor Neid erblassen würde, kann sie in<br />
der Rolle der Maria schauspielerisch leider nicht überzeugen.<br />
Zu wenig Grazie, zu wenig lieblich, zu hart und<br />
hölzern wirkt sie. Auch darum fehlt es bei den Liebesszenen<br />
an der für »West Side Story« nötigen Romantik.<br />
Schade auch, dass sie den typischen »Maria-Akzent«<br />
nicht einfließen lässt.<br />
»Star« des Abends ist Anita-Interpretin Masengu<br />
Madeleine Kanyinda. Die Mezzosopranistin (PCA<br />
Abschluss 2016) singt und spielt ihre Kollegen am Premierenabend<br />
an die Wand. Sie verkörpert eine rassige,<br />
selbstbewusste Anita, die mit beiden Beinen fest im Leben<br />
steht und sich von nichts und niemandem unterkriegen<br />
lässt. Ihr Duett mit Maria (›A Boy Like That‹)<br />
bildet das Highlight der Vorstellung. Ebenso perfekt<br />
besetzt ist ihr Liebhaber, Marias Bruder Bernardo, dargestellt<br />
von Damián Cortes Alberti. Er mimt den klassischen<br />
puerto-ricanischen Macho mit Witz, Charme<br />
und Feuer. In die Rolle des Riff, Anführer der Jets,<br />
schlüpft Johannes Nepomuk, der zwar gesanglich stark<br />
ist, jedoch trotz Anstrengung die ganze Aufführung des<br />
Stückes hindurch eher unscheinbar bleibt.<br />
Die Kostüme von Susanne Kerbl und Anita Bachl<br />
sind an die typisch-modernen »West Side Story«-Inszenierungen<br />
angeglichen: die kurzen, bunten Kleider<br />
der Puerto-Ricanerinnen, die lässigen Outfits inklusive<br />
Chucks bei den Jets. Hervorzuheben ist in Bad Leonfelden<br />
vor allem die Choreographie, die ebenfalls von<br />
Regisseur Pérez stammt. Jazzig und mit Power ist von<br />
Beginn bis zum Ende eine klare Linie zu erkennen.<br />
Schnelle Moves wechseln sich mit kubanischen Rhythmen<br />
und langsamen Tänzen ab und ziehen das Publikum<br />
in ihren Bann. Dabei spielt ihm neben einem<br />
fantastischen Ensemble auch die weitläufige Bühne in<br />
die Hände. Das Bühnenbild ist zwar eher spärlich, aber<br />
effektiv, da es Raum für Bewegung bietet. Peter Manhartsberger,<br />
Nicola Hackl-Haslinger und Anna Maria<br />
Brandstätter kreierten mit Hilfe von Metallstäben und<br />
Holzteilen das Revier der Jugendbanden. Diese Elemente<br />
sind beweglich und können rasch in den kleinen<br />
Laden oder den Balkon von Maria verwandelt werden.<br />
Erst zum Schluss wird ersichtlich, dass die Holzeinheiten<br />
Buchstaben tragen, die die Wörter »West Side« bilden.<br />
Diese Inszenierung der berühmten »West Side Story«<br />
ist noch bis zum 5. August im Mühlviertel zu sehen. Die<br />
Geschichte über eine große Liebe, soziale Missstände<br />
und die Sinnlosigkeit von Gewalt ist in Bad Leonfelden<br />
klassisch und doch mit raffinierten Ideen inszeniert, mit<br />
zwei Hauptdarstellern, die uns mit ihren Stimmen in<br />
eine andere Welt entführen. Absolut zu empfehlen!<br />
Yvonne Brandstetter<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Eine Schlussszene der anderen Art:<br />
Die trauernde Maria (Ilia Staple) bleibt<br />
am Ende alleine mit ihrem Tony (Gernot<br />
Romic) zurück<br />
2. Feurig, charmant und mit dem nötigen<br />
Witz: Damián Cortes Alberti (l.) überzeugt<br />
in der Rolle des Sharks-Anführers<br />
Bernardo im Zusammenspiel mit Tony<br />
(Gernot Romic)<br />
3. Tony und Maria träumen von einer<br />
Zukunft ohne Mauern, die sie trennen;<br />
interpretiert wird ›Somewhere‹ von<br />
Esther Pollak<br />
4. Beim Tanzabend kommt sich das ungleiche<br />
Paar (Ilia Staple, Gernot Romic)<br />
näher. Doch das Glück soll nicht lange<br />
währen …<br />
Fotos (4): ABPU<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
53
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
Stimme und Klavier hoch 2<br />
»Be-Quadrat« mit ihrem neuen Programm »Doppelt hält besser«<br />
Abb. oben:<br />
Bettina Bogdany gibt die strenge<br />
Oberlehrerin, Pausenclown Bernhard<br />
Viktorin singt beschwingt<br />
Foto: Maria & Andi Altmann<br />
Sie sei eine Klaviervirtuosin, er der Kasper – so definiert<br />
sich das österreichische Duo »Be-Quadrat« am<br />
Anfang seines Abends selbst. In ihrem aktuellen Programm<br />
»Doppelt hält besser« beweist Bettina Bogdany<br />
im Verlaufe des Abends, dass sie nicht minder lustig ist<br />
als ihr Bühnenpartner, und der andere Teil des Duos,<br />
Bernhard Viktorin, zeigt immer wieder eindrucksvoll,<br />
dass er nicht nur Musik macht, sondern auch mit der<br />
Musik spielen kann.<br />
Viele Requisiten benötigen die <strong>Musical</strong>darsteller<br />
nicht. Ein E-Piano hat auf der sonst in Schwarz gehaltenen<br />
Bühne mittig seinen Platz gefunden. Nicht nur<br />
das Klavier, auch die Musik, mit der die zwei Künstler<br />
spielen, steht während des rund zweieinhalbstündigen<br />
Programms im Zentrum. Mal kopfüber, mal zu zweit,<br />
mal während eines Liedes abwechselnd spielend, zeigen<br />
sie auf ihm ihr ganzes Können und die vielseitige<br />
Bandbreite der Musik. In der Wiener Kulisse – einer<br />
Kleinkunstbühne mit Beislbewirtung im 17. Wiener<br />
Gemeindebezirk – verabschiedete sich das Duo in die<br />
Sommerpause, bevor es dann ab Mitte September auf<br />
diversen Bühnen in ganz Österreich wieder sein musikalisches<br />
und komödiantisches Talent zeigt.<br />
Bettina Bogdany gibt an diesem Abend die bieder<br />
angehauchte Kulturinteressierte, die, im grauen Hosenanzug,<br />
mit straff nach hinten gebundenen Haaren<br />
und Brille (Kostüme: Timo Verse), wie die perfekte<br />
Verkörperung der strengen Oberlehrerin wirkt. Immer<br />
wieder lässt sie auf humoristische Weise musiktheoretische<br />
Erklärungen einfließen. Dabei schlägt sie die<br />
Triangel an, unterbricht scheinbar das Programm und<br />
erläutert Begriffe wie »andante« oder »Swing«. Dem<br />
vielfach verbreiteten Musikphänomen »Key-Change«,<br />
dem Tonartwechsel am Ende des Liedes, wird sogar<br />
ein ganzer Song gewidmet. Bernhard Viktorin hingegen<br />
gibt den lässigen Klassenkasper mit hochgegelten<br />
Haaren, roter Hose, einem Logo-T-Shirt und einem<br />
blauen Kapuzen-Pullover. Das Repertoire des auf den<br />
ersten Blick unpassenden Paares ist reich an eigenen<br />
Kompositionen. Diese handeln oft von Alltagssituationen,<br />
die das Leben mit einem Augenzwinkern betrachten.<br />
Wenn sie bekannte Songs aufgreifen, dann immer<br />
auf ihre ganz eigene und persönliche Weise. In einem<br />
eindrucksvollen Medley schaffen sie es, in einem Rückblick<br />
von acht Minuten die größten Hits von heute bis<br />
zu den 50ern zu präsentieren. Dabei können die beiden<br />
auf ihre ausgebildeten <strong>Musical</strong>stimmen zurückgreifen.<br />
Zahlreiche Genres werden dabei von ihnen gefühlvoll<br />
und stilsicher bedacht. Auch dem Schlager-Phänomen<br />
Helene Fischer widmet sich das Duo. Verdient die Sängerin,<br />
die mit ›Atemlos‹ den gleichen Song immer und<br />
immer wieder singen muss, unser Mitleid? »Be-Quadrat«<br />
legt ihr zur Melodie des Hits einen neuen Text in den<br />
Mund: »Pausenlos dieses Lied / vier Akkorde und ein<br />
Beat / gnadenlos im Dauerlauf / wann zum Teufel hört<br />
das auf`?«<br />
Emotional wird es, als sie berichten, wie Dietmar, der<br />
Mitbewohner von Bernhard, aus der gemeinsamen WG<br />
wegen einer Frau auszieht. Der Mann steht ohne seinen<br />
Best Buddy nun vor der für ihn überaus existenziellen<br />
Frage des Alltags: Wer schaut jetzt mit ihm sein geliebtes<br />
Fußballprogramm? Stehen doch Championsleague,<br />
54<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
Bundesliga und die Weltmeisterschaft vor der Tür.<br />
Bühnenpartnerin Bettina zeigt wieder einmal Herz und<br />
bietet sich selbst zum gemeinsamen Fernsehen schauen<br />
an. Doch statt dem heißen Match folgt ein wildes<br />
Durchgezappe. Das dazu passende Medley aus Filmsongs<br />
und Werbejingles kommt beim bunt gemischten<br />
Publikum sehr gut an. »Indiana Jones«, »Flipper«, aber<br />
auch »Wickie und die starken Männer« flimmern über<br />
die Mattscheibe. Zeichentrickreihen, Spielfilme oder<br />
Serien – alle Klassiker, die die Fernsehunterhaltung zu<br />
bieten hat, geben sich hier die Klinke in die Hand. Besonders<br />
wer in den 90er Jahren aufgewachsen ist und die<br />
Zeit noch erlebt hat, als das Fernsehen das Lagerfeuer<br />
der Nation war, vor dem sich die Familie versammelte,<br />
wird hier seine Freude haben.<br />
Ein wenig machen sich die beiden Künstler auch<br />
über das Genre <strong>Musical</strong> lustig, was beim Musik-Kabarett<br />
aber durchaus mal erlaubt ist. Auch die Zuschauer<br />
werden immer direkt angesprochen und interaktiv mit<br />
in das Programm einbezogen. So wird dem ganzen Publikum<br />
demonstriert, wie es bei diversen Anlässen richtig<br />
zu applaudieren hat. Da ist von der Oper, wo man<br />
nach der Arie dezent und kontrolliert klatscht, über<br />
die Mischung aus begeistertem Applaus und Buh-Rufen<br />
bei einem Singer-Songwriter-Konzert bis hin zum<br />
animalischen Jubel beim Hip-Hop-Abend nahezu alles<br />
dabei. Fast wie eine kleine Liebeserklärung klingt der<br />
Song ›Geschwisterherz‹, bei dem Bettina sehr liebevoll<br />
über ihre kleine Schwester singt. Immer wieder veräppeln<br />
sich Viktorin und Bogdany auch gegenseitig. Die<br />
vom Publikum am häufigsten gestellte Frage: »Seids ihrs<br />
zsamm?«, verneinen beide vehement und versäumen es<br />
nicht, diese Aussage mit energischen Armbewegungen<br />
zu unterstreichen. Zusätzlich setzen sie mit dem Song<br />
›Schau amal in Spiegel‹ ein dickes Ausrufezeichen unter<br />
dieses Statement. Dafür klappt es mit »Be-Quadrat«<br />
umso besser: »Doppelt hält besser« ist schon das zweite<br />
Musik-Kabarett-Programm der beiden. Für alle, die ihr<br />
erstes Programm »In den Beziehungskisten« verpasst haben,<br />
geben Bogdany und Viktorin einen Schnelldurchlauf<br />
durch selbiges.<br />
Für noch mehr musikalische Abwechslung im<br />
Klangbild sorgt ein Cajon, ein Kasten zum Trommeln,<br />
der witzig ins Programm eingebaut wird und für Rhythmusunterstützung<br />
sorgt. Dabei wurde Bettina Bogdany<br />
zunehmend heißer und sie musste sich von Blazer und<br />
Brille trennen, um frei aufspielen zu können. Dabei verschwindet<br />
ihre biedere Seite und macht ihrem wilden<br />
Ich Platz. Aber auch ihre kindliche Seite kommt nicht<br />
zu kurz. Da darf dann auch mal der Plüschtiger auf dem<br />
Klavier steppen. Und da dem Stofftier-Tiger die obligatorischen<br />
Steppschuhe fehlen, muss der schon etwas<br />
skeptische Bernhard Viktorin mit »Klickediklack« für<br />
den passenden Ton zum Steppschritt sorgen. Mit dem<br />
Titelsong ›Doppelt hält besser‹ wird das gleichnamige<br />
Programm abgeschlossen.<br />
Am Ende eines unterhaltsamen Abends ernten Bettina<br />
Bogdany und Bernhard Viktorin für ihr spritziges,<br />
komplett in Eigenregie erstelltes Programm, welches<br />
Hits, Eigenkompositionen, Improvisations- und Inszenierungselemente<br />
enthält, wahrlich verdient minutenlange<br />
Standing Ovations.<br />
Manuel Sommerfeld<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Bettina Bogdany gekonnt am E-Klavier,<br />
während Bernhard Viktorin das Publikum<br />
unterhält<br />
2. Mal wieder erklärt Bettina Bogdany<br />
musikalische Fachbegriffe<br />
3. Bernhard Viktorin gibt den Rocker<br />
vom Hocker<br />
4. Bettina Bogdany mit ihrer »Swing-<br />
Bibel« – dort stehen alle wichtigen<br />
Details, die sie als Swing im <strong>Musical</strong><br />
beachten muss<br />
Fotos (4): Maria & Andi Altmann<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
55
<strong>Musical</strong>s in der Schweiz<br />
Turbulente Ferien in Griechenland<br />
»Mamma Mia!« bei den Thunerseespielen, erstmals in schweizerdeutscher Mundart<br />
Abb. oben:<br />
›Super Trouper‹ – Donna (Monica<br />
Quinter, 10.v.r.), Tanja (Patricia Hodell<br />
9.v.r.), Rosi (Gigi Moto, 11.v.r.) begeistern<br />
als »The Dynamos« die Polterabendgäste<br />
(Ensemble)<br />
Foto: Foto4you.biz<br />
Mamma Mia!<br />
Benny Andersson / Björn Ulvaeus /<br />
Catherine Johnson<br />
Schweizerdeutsch von<br />
Dominik Flaschka & Roman Riklin<br />
Thunerseespiele Thun<br />
Seebühne<br />
Premiere: 11. Juli 20<strong>18</strong><br />
Regie ...................... Dominik Flaschka<br />
Musik. Leitung ......... Iwan Wassilevski<br />
Chorleitung &<br />
Supervision Berndeutsch ..... Ben Vatter<br />
Choreographie ............. Jonathan Huor<br />
Bühnenbild ................. Stephan Prattes<br />
Kostüme ............... Kathrin Baumberger<br />
Maske ............................ Ronald Fahm<br />
Lichtdesign ................... Christian Joller<br />
Sounddesign ............... Thomas Strebel<br />
Donna ....................... Monica Quinter<br />
Sophie ...................... Judith von Orelli<br />
Sky ........................... Angelo Canonico<br />
Tanja ............................ Patricia Hodell<br />
Rosi .................................... Gigi Moto<br />
Harry ...................... Nathanael Schaer<br />
Bill ........................ Eric Hättenschwiler<br />
Sam ................................ Matthias Arn<br />
Ali ............................. Fabienne Louves<br />
Lisa ................................... Heidy Suter<br />
Chili ............................... Nicolo Soller<br />
Eddie .................... Jan Simon Messerli<br />
In weiteren Rollen :<br />
Lukas Hobi, Tino Andrea Honegger,<br />
Sarah Madeleine Kappeler, Amaya<br />
Keller, Sandra Leon, Dominique Lüthi,<br />
Maja Luthiger, Giuliano Mercoli,<br />
Jeremy Müller, Rachele Pedrocchi,<br />
Fabio Romano, Gianmarco Rostetter<br />
(Dance Captain), Rico Salathe,<br />
Linda Trachsel<br />
Chor »<strong>Musical</strong>-Singers«<br />
Am 11. Juli 20<strong>18</strong> feierte das »ABBA«–<strong>Musical</strong><br />
»Mamma Mia!« seine Open-Air-Premiere in<br />
Schweizerdeutsch auf der Seebühne in Thun. »Mamma<br />
Mia!« ist nach »Gotthelf« und »Dällebach Kari« das<br />
dritte Mundart-<strong>Musical</strong> in der sechzehnten Spielzeit der<br />
Thunerseespiele.<br />
Das Jukebox-<strong>Musical</strong> mit den Hits von »ABBA«, mit<br />
den Kompositionen von Björn Ulvaeus und Benny Andersson,<br />
und einem Buch von Catherine Johnson feierte<br />
am 6. April 1999 im Prince Edward Theatre in London<br />
Uraufführung. Im Hamburger Operettenhaus konnten<br />
am 3. November 2002 die »ABBA«-Fans die deutschsprachige<br />
Erstaufführung der Fassung von Michael Kunze<br />
(Liedtexte) und Ruth Deny (Buch) erleben.<br />
Für die neue Inszenierung auf der Seebühne in Thun<br />
übersetzten Dominik Flaschka und Roman Riklin die<br />
Dialoge und Songtexte ins Schweizerdeutsche. Beide<br />
entwickelten bereits die erfolgreichen Schweizer <strong>Musical</strong>s<br />
»Ewigi Liebi«, »Mein Name ist Eugen« sowie »Ost<br />
Side Story«. Im Interview für das Programmheft der<br />
aktuellen Inszenierung erklärt Dominik Flaschka auf<br />
die Frage, warum »Mamma Mia!« ins Berndeutsche<br />
übertragen wurde: »Immerhin war es der Wunsch der<br />
Autoren, dass ›Mamma Mia!‹ auf der ganzen Welt in<br />
der jeweiligen Landessprache gespielt wird. Ausserdem<br />
ist die eigene Muttersprache immer die Sache des Herzens<br />
– die Charaktere und ihre Geschichten sind uns<br />
viel näher, wenn sie unsere Sprache sprechen.« Zugleich<br />
führt Roman Riklin zur Frage über die Besonderheiten,<br />
die bei der Übersetzung der »ABBA«-Lieder zu beachten<br />
waren, aus: »Die ›ABBA‹-Songtexte sind meines Erachtens<br />
weniger inhaltlich, sondern insbesondere durch ihre<br />
Form und ihren poppigen Sound bestechend. Deshalb<br />
habe ich, wo immer möglich, versucht, schweizerdeutsche<br />
Entsprechungen zu finden, die nicht nur sinngemäß<br />
das Gleiche aussagen und sich an den identischen<br />
Stellen reimen, sondern auch wieder sehr gut ›sounden‹<br />
und den gleichen natürlichen Rhythmus haben.«<br />
In der Mundartfassung des <strong>Musical</strong>s sind die meisten<br />
Rollen folgerichtig als Schweizer und Schweizerinnen<br />
gekennzeichnet, so auch die Aussteigerin Donna<br />
Scheidegger, alleinerziehende Mutter der zwanzigjährigen<br />
Sophie. Beide Frauen leben auf einer griechischen<br />
Insel, auf der Donna eine Taverne betreibt. Sophie plant<br />
ihre Traumhochzeit mit Sky. Dazu gehört für Sophie,<br />
dass sie ihr Vater zum Altar führt. Da Donna nie etwas<br />
von diesem Vater erzählt hat, ergreift das Mädchen die<br />
Initiative und lädt heimlich drei mögliche Kandidaten<br />
zur Hochzeit ein. Die ahnungslosen Männer: Sam, Bill<br />
und Harry reisen an und verursachen dadurch einigen<br />
Trubel auf der Insel sowie in den Gefühlen von Donna.<br />
Diese heitere Familiengeschichte siedelt der Regisseur<br />
Dominik Flaschka im Jahr 20<strong>18</strong> an, wie am Kostümbild<br />
von Kathrin Baumberger klar zu erkennen ist. Donnas<br />
Taverne befindet sich auf einer Drehbühne auf der mittleren<br />
der drei künstlichen Inseln im Thunersee, welche<br />
durch Stege miteinander verbunden sind. Auf der rechten,<br />
kleinsten Insel ist die Strandbar aufgebaut. Dagegen<br />
wird die linke Insel von übereinandergestapelten<br />
Containern dominiert. Diese will Donnas zukünftiger<br />
Schwiegersohn Sky mit Freunden in ein Casino mit Hotel<br />
umbauen. Die Container wurden nach den Plänen<br />
von Bühnenbildner Stephan Prattes aus Holz gebaut,<br />
bemalt und mit Graffiti verziert, deren Schriftzüge die<br />
englischen Titel der <strong>Musical</strong>songs zeigen. Außerdem<br />
verbergen sich in den Containern die Künstlergarderoben,<br />
während der Raum für die Band in der obersten<br />
Etage des Containerhafens angesiedelt ist. So sitzen<br />
die Zuschauer sehr nah am Wasser. Durch die in der<br />
Ferne auf dem Thunersee zu entdeckenden Segelschiffe<br />
ist die Illusion einer griechischen Ferieninsel perfekt.<br />
Diese heitere Ferienstimmung wird durch die Musik<br />
von »ABBA«, die die Band unter der musikalischen<br />
Leitung von Iwan Wassilevski hervorragend interpretiert,<br />
untermalt. Zudem vermitteln die ideenreichen,<br />
schwungvollen, oft die Situationskomik aufgreifenden<br />
Choreographien von Jonathan Huor die ausgelassene<br />
Stimmung der Ferien- und Hochzeitsgäste (Chor,<br />
56<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in der Schweiz<br />
Ensemble) aufs Beste.<br />
Besonders eindrücklich ist die Choreographie, die<br />
Sophies Albtraum visualisiert. Hierbei erscheinen Ensemble<br />
und Chor als groteske Geister auf der Bühne. In<br />
dieser bedrückenden Szene (›Under Beschuss‹) entgleitet<br />
Sophie die Situation, die sie mit der heimlichen Suche<br />
nach dem Vater angezettelt hat. Judith von Orelli als<br />
Sophie zeigt gemeinsam mit Angelo Canonico als Sky<br />
ein unbeschwertes Liebespaar. Trotzdem muss sich Sophie<br />
von unrealistischen Lebensträumen verabschieden.<br />
Dabei wird sie unerwartet von Sam (Matthias Arn) unterstützt,<br />
einem der ehemaligen Lover Donnas (›Ich bin<br />
ich, du bisch du‹). Der geschiedene Mann liebt Donna<br />
immer noch und kämpft um ihre Liebe. Doch Donna<br />
hat die Enttäuschung über die Trennung vor zwanzig<br />
Jahren immer noch nicht ganz verarbeitet (›S.O.S.‹). In<br />
der Rolle der resoluten, aber gleichzeitig sensiblen Powerfrau<br />
Donna überzeugt Monica Quinter. Stimmig<br />
wirken auch Patricia Hodell (Tanja) und Gigi Moto<br />
(Rosi) als lebenserfahrene, temperamentvolle Freundinnen<br />
Donnas. Gerne schwelgen die drei Freundinnen in<br />
Jugenderinnerungen, als sie mit ihrer Band »The Dynamos«<br />
unterwegs waren. Nachdem sie in einer Kiste<br />
die alten, schrillen Kostüme finden, begeistern Monica<br />
Quinter, Patricia Hodell, Gigi Moto mit ihrer Interpretation<br />
der Songs ›Dancing Queen‹ und ›Super Trouper‹<br />
das Publikum.<br />
Nathanael Schaer als netter, großzügiger Harry und<br />
Eric Hättenschwiler als Globetrotter Bill, welcher lieber<br />
allein in der Wildnis lebt, sind die zwei weiteren Ex-<br />
Lover Donnas. Da durch die Autoren die Figuren der<br />
drei Ex-Männer eher plakativ angelegt wurden, haben<br />
die Darsteller nicht sehr viele Möglichkeiten, diese zu<br />
gestalten.<br />
Dominik Flaschka setzt in seiner unterhaltsamen,<br />
lebendigen Inszenierung nicht nur auf das tänzerische,<br />
gesangliche Können der Darsteller aus der Schweiz, sondern<br />
ebenso auf ihr komödiantisches Schauspieltalent.<br />
Dadurch springt sofort der Funke von der Bühne auf<br />
das Publikum über, das die Leistung des großartigen<br />
Casts mit langanhaltenden Standing Ovations würdigt.<br />
Die schweizerdeutsche Mundartfassung von »Mamma<br />
Mia!« ist noch bis zum 30. August 20<strong>18</strong> auf der Seebühne<br />
in Thun zu erleben.<br />
2019 inszeniert Werner Bauer das <strong>Musical</strong> »Ich war<br />
noch niemals in New York«, mit den Songs von Udo<br />
Jürgens. Dies ist die erste Produktion unter der Leitung<br />
von Freddy Burger Management.<br />
Martina Friedrich<br />
Abb. unten von links:<br />
1. ›Mamma Mia / Danke für die Lieder‹:<br />
Sophie (Judith von Orelli, 2.v.r.) trifft ihre<br />
drei möglichen Väter, Harry (Nathanel<br />
Schaer, r.), Bill (Eric Hättenschwiler, 3.v.r.)<br />
und Sam (Matthias Arn, l.)<br />
2. ›Lah dys Härz mi la berüehre‹ – Sky<br />
(Angelo Canonico) und Sophie (Judith<br />
von Orelli) freuen sich auf den Polterabend<br />
3. ›S.O.S‹ – Donna (Monica Quinter) und<br />
Sam (Matthias Arn) versöhnen sich<br />
4. ›Under Beschuss‹ – Sophies (Judith von<br />
Orelli, Mitte und Ensemble) Albtraum<br />
Fotos (4): Foto4you.biz<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
57
<strong>Musical</strong>s in der Schweiz<br />
Ein zauberhafter Märchenabend<br />
»Die Schöne und das Biest« auf der Walensee-Bühne<br />
Abb. oben:<br />
Amüsiert beobachten Wilhelm<br />
(Hans Neblung, 2.v.l.), Grete (Ronja<br />
Borer, r.), Ilse (Laura Luisa Hat, 2.v.r.) und<br />
die Dorfgemeinschaft (Ensemble) das<br />
vergebliche Werben von Gustav (Jan<br />
Oliver Bühlmann, 6.v.l.) um Bella<br />
(Eveline Suter, 7.v.l.)<br />
Foto: Andy Mettler / Swiss-Image.ch<br />
Die Schöne und das Biest<br />
Martin Doepke / Elke Schlimbach /<br />
Grant Stevens / Christian Bieniek /<br />
Hans Holzbecher / Andrea Friedrichs<br />
TSW <strong>Musical</strong> AG Walenstadt<br />
Walensee-Bühne<br />
Premiere: 20. Juni 20<strong>18</strong><br />
Regie ........................... Stanislav Moša<br />
Musikalische Leitung ..... Gaudens Bieri<br />
Choreographie ................ Igor Barberic<br />
Ausstattung ..... Petr Hloušek & Jaroslav<br />
Milfajt<br />
Kostüme ................... Andrea Kučerová<br />
Maske ................... Sandra Wartenberg<br />
Lichtdesign .................... David Kachlíř<br />
Sounddesign .................. Andreas Brüll<br />
Bella ............................... Eveline Suter<br />
Biest ............................... István Csiszár<br />
Fee ............................ Pia Lustenberger<br />
Ilse .............................. Laura Luisa Hat<br />
Grete ............................... Ronja Borer<br />
Gustav ............... Jan Oliver Bühlmann<br />
Wilhelm ....................... Hans Neblung<br />
Mathilde ...................... Karolin Konert<br />
Freund von Gustav ............. Patric Scott<br />
Violoncello ................... Jessica Falceri<br />
Sessel ............................ Stefano Como<br />
Ensemble<br />
Adrian Burri, Elisa Filace, Eva-Maria<br />
Kuperion, Maura Oricchio, Richard<br />
Peter, Philipp Phung, Vanessa Rudolf,<br />
David Schuler, Karel Škarka, Tihana<br />
Strmečki (Dance Captain), Marco<br />
Trespioli, Barbara Weiss, Julia Werbick<br />
Am 20. Juni 20<strong>18</strong> feierte das <strong>Musical</strong> »Die Schöne<br />
und das Biest« in Walenstadt auf der Open-Air-<br />
Bühne am Walensee Premiere. Für die deutsche <strong>Musical</strong>version<br />
des alten Volksmärchens, nach einer Idee von<br />
Hans Holzbecher und Andrea Friedrichs, komponierte<br />
Martin Doepke die eingängige Musik, Elke Schlimbach<br />
und Grant Stevens erarbeiteten die Liedtexte, das<br />
Buch Christian Bieniek. Die Uraufführung des auf dem<br />
französischen Volksmärchen »La Belle et la Bête« der<br />
französischen Autorin und Gouvernante Jeanne-Marie<br />
Leprince de Beaumont (geboren am 26. April 1711,<br />
gestorben am 8. September 1780) basierenden <strong>Musical</strong>s<br />
fand 1994 im Sartory-Theater in Köln statt. In<br />
der Schweiz war das Stück erstmalig 2008 am Theater<br />
Bünzen zu sehen. Zuvor diente das Märchen als Grundlage<br />
für diverse Filme sowie Bühnenversionen. Der<br />
französische Schriftsteller, Regisseur und Maler Jean<br />
Cocteau (geboren am 5. Juli <strong>18</strong>89, gestorben am 11.<br />
Oktober 1963) verfilmte 1946 das Märchen. Als USamerikanische<br />
Fernsehserie »The Beauty and the Beast«<br />
produzierte George R. R. Martin es zwischen 1987 und<br />
1990. Danach folgte 1991 die Zeichentrickversion, Disneys<br />
»The Beauty and the Beast« und 2017 von Walt<br />
Disney Pictures die Realverfilmung. Frankreich und<br />
Deutschland produzierten gemeinsam unter der Regie<br />
von Christophe Gans den Film »Die Schöne und das<br />
Biest«, der 2014 im Kino zu sehen war.<br />
In der <strong>Musical</strong>inszenierung von Stanislav Moša<br />
verzaubert die charmante, kluge Bella (Eveline Suter)<br />
nicht nur das Publikum am Walensee, sondern ebenso<br />
Gustav. Der ungehobelte, eher dümmliche, egoistische<br />
Gustav (perfekt überzeichnet dargestellt von Jan Oliver<br />
Bühlmann) wirbt vergebens um Bella, da sie den Bier<br />
liebenden Bauern ablehnt. Statt sich abends nach getaner<br />
Arbeit in der Dorfkneipe zu vergnügen, liest die<br />
hübsche Kaufmannstochter lieber ein Buch, möchte<br />
ihre Träume leben und das eigene Schicksal selbst in<br />
die Hand nehmen. Dagegen liebäugeln ihre zwei herzlosen,<br />
zickigen, verwöhnten Schwestern Ilse und Grete<br />
(Laura Luisa Hat und Ronja Borer) mit Gustav. In der<br />
Kneipe vergnügt er sich beim Würfelspiel mit Wilhelm,<br />
dem Vater der drei Schwestern. Plötzlich bringt ein Bote<br />
Wilhelm die Nachricht, dass sein Schiff mit der wertvollen<br />
Ladung zerschellt ist. Damit ist die Familie ruiniert.<br />
Rasch nutzt Gustav die Chance, um erneut um Bella zu<br />
werben. »Ich bin einfach der Größte«, verkündet er im<br />
witzigen Duett mit Bella, die ihn erneut vor der gesamten<br />
Dorfgemeinschaft abblitzen lässt.<br />
Das Dorf ist auf der linken Seite der phantasievoll<br />
gestalteten Bühne zu sehen, in deren Mitte stilisierte<br />
Bäume stehen, an die auf der rechten Seite das in<br />
grauen/silbrigen Tönen gehaltene Schloss grenzt (Ausstattung:<br />
Jaroslav Milfajt und Petr Hloušek). Diese<br />
dreiteilige Bühne wird bei zunehmender Dunkelheit<br />
in stimmungsvolles Licht (Lichtdesign: David Kachlíř)<br />
getaucht. Andrea Kučerová kreierte die farbenfrohen,<br />
teils opulenten Kostüme. Das Orchester findet seinen<br />
Platz verdeckt im linken Bühnenteil (Dorf). Unter der<br />
musikalischen Leitung von Gaudens Bieri begleiten die<br />
elf Musiker hervorragend den internationalen Cast. Die<br />
wenigen Tanzszenen des Märchenmusicals erarbeitete<br />
Igor Barberic.<br />
Auf der Reise zu seinem gesunkenen Schiff verirrt<br />
sich Wilhelm (Hans Neblung) im Wald. Hier trifft er<br />
auf eine Fee (Pia Lustenberger), die über das Schicksal<br />
der Menschen wacht. Sie schickt ihn bewusst in ein<br />
Schloss, dessen Bewohner verzaubert wurden und auf<br />
Erlösung durch eine Frau warten, die in der Lage ist,<br />
den Schlossherrn auch in seiner Gestalt als Biest zu lieben.<br />
Im Schloss wird Wilhelm von dem Biest gefangen<br />
genommen und eingesperrt. Doch er möchte unbedingt<br />
wieder nach Hause. Daher schlägt der grausame<br />
58<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in der Schweiz<br />
Schlossherr ihm einen Handel vor: Wilhelm soll innerhalb<br />
von drei Tagen eine seiner Töchter zu ihm senden.<br />
Als Lohn bekommt er die Freiheit und seinen Reichtum<br />
zurück sowie einen Zauberring. Zu Hause freuen sich<br />
Ilse und Grete über den neu erlangten Wohlstand, nur<br />
Bella bemerkt die Sorgen des Vaters. Sie beschließt, in<br />
das verwunschene Schloss zu gehen. Auf dem Weg dahin<br />
offenbart ihr die Fee, dass sie mit dem Zauberring<br />
ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen kann. Diese<br />
zeigt ihr den Weg ins Schloss, in dem das einsame, vor<br />
Selbstmitleid vergehende Biest (István Csiszár) wütet, da es<br />
sich von den Menschen und Wilhelm verraten fühlt. Endlich<br />
bringt Bella Lebensfreude ins Schloss, wie die heitere<br />
Tanzszene der verzauberten Schlossbewohner zeigt.<br />
Aber Bellas hartnäckiger Verehrer Gustav kann die<br />
Schöne nicht vergessen. Zugleich schafft es Bella, die<br />
menschliche Seite im Biest aufzudecken: Es gestattet ihr,<br />
für kurze Zeit zum Vater zurückzukehren, da sie vom<br />
starken Heimweh geplagt wird.<br />
Im zweiten Akt wird das <strong>Musical</strong> turbulenter. In<br />
dem berührenden Duett ›Sehnsucht‹ denkt die ins Dorf<br />
zurückgekehrte Bella sehnsüchtig an das Biest, auch<br />
der Herr des verzauberten Schlosses vermisst die junge<br />
Frau. Zudem hoffen Bellas eitle Schwestern in einer<br />
lustigen Szene, ihr Herz an einen Traummann zu verlieren.<br />
Außerdem ist Gustav mit einem Strauß Blumen<br />
auf dem Weg zu Bella. Doch sein kluger Freund (Patric<br />
Scott) zweifelt daran, dass Bella Gustav heiraten wird.<br />
Vergebens versucht er, Gustav charmantes Liebeswerben<br />
beizubringen. Begeistert honoriert das Publikum<br />
die klamaukige Szene, für die Patric Scott eigens den<br />
Song ›Dir gehört mein Herz‹ mit der Musik des Berliner<br />
Komponisten Martin de Vries geschrieben hat. Ebenso<br />
vergebens versucht der Vater, Bella von der Rückkehr<br />
ins Schloss abzuhalten. »Entscheide du dich für Deinen<br />
Weg. Höre auf dein Herz«, rät die Fee Bella jedoch,<br />
die daraufhin ins Schloss zurückkehrt, wo das Biest<br />
ihr seine Liebe gesteht. Auch die junge Frau spürt die<br />
aufkeimende Liebe zu ihm. Zugleich marschiert Gustav<br />
mit einer Pistole bewaffnet durchs Dorf, da er das Biest<br />
umbringen will. Dafür hetzt er in einer eindrücklichen<br />
Chorszene die Dorfgemeinschaft auf der in rotes Licht<br />
getauchten Bühne auf: ›Holt die Gewehre‹. Zeitgleich<br />
genießen Bella und das Biest im Schloss einen romantischen<br />
Abend, den die aufgebrachten, bewaffneten Bauern<br />
gewaltsam stören. Dabei erschießt Gustav das Biest.<br />
Die entsetzte Bella gesteht im letzten Moment dem<br />
Sterbenden ihre Liebe. Somit ist die Fee gezwungen,<br />
den Bann von den Verzauberten zu nehmen. Glücklich<br />
kann der entzauberte und gerettete Prinz seine Bella in<br />
die Arme schließen.<br />
Die vom Premierenpublikum begeistert aufgenommene<br />
Inszenierung von Stanislav Moša lebt von den<br />
wechselnden romantischen, lustigen und dramatischen<br />
Momenten des Märchens, die vom spielfreudigen Cast<br />
meisterhaft präsentiert werden.<br />
Martina Friedrich<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Die Fee (Pia Lustenberger, vorne)<br />
zeigt Bella (Eveline Suter, l.) den Weg ins<br />
Schloss<br />
2. Das Biest (István Csiszár) gesteht Bella<br />
(Eveline Suter) seine Liebe<br />
3. Das Biest (István Csiszár) gestattet<br />
Bella (Eveline Suter), für kurze Zeit ihre<br />
Familie zu besuchen<br />
4. Wilhelm (Hans Neblung, Mitte) wird<br />
vom Biest (István Csiszár, l.) und dessen<br />
verzaubertem Gefolge (Ensemble) im<br />
Schloss festgehalten<br />
Fotos (4): Andy Mettler / Swiss-Image.ch<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
59
<strong>Musical</strong>s in der Schweiz<br />
Neues aus der Schweiz<br />
zusammengestellt von Martina Friedrich und Barbara Kern<br />
»Ich war noch niemals in New York« 2019<br />
bei den Thunerseespielen<br />
Das <strong>Musical</strong> mit den Songs von Udo Jürgens wird<br />
die erste Produktion unter der neuen Leitung von<br />
Freddy Burger Management. Angelo Stamera<br />
wird ab 1. Januar 2019 der neue Geschäftsführer<br />
der Thunerseespiele. Am 2. Dezember 2007 wurde<br />
»Ich war noch niemals in New York« (Dialoge<br />
von Gabriel Barylli und Christian Struppeck) im<br />
TUI-Operettenhaus in Hamburg in der Inszenierung<br />
von Glenn Casale und Christian Struppeck sowie<br />
der Choreographie von Kim Duddy uraufgeführt.<br />
»Die Geschichte der beiden Rentner, die mit<br />
dem Ziel New York aus dem Altenwohnheim<br />
ausbrechen und damit das Leben ihrer Kinder<br />
durcheinanderwirbeln, wird in Thun erstmals<br />
Open-Air inszeniert. Es ist ein großes Privileg, dieses<br />
Vertrauen von den Lizenzgebern zu erhalten.<br />
Außerdem ist es für uns eine Ehre, die Lieder von<br />
Udo Jürgens hier in Thun präsentieren zu dürfen.<br />
Wir sind überzeugt: ›Ich war noch niemals in New<br />
York‹ bietet wieder alles, was das Publikum von<br />
einem tollen <strong>Musical</strong>-Abend am Thunersee erwartet«,<br />
äußert sich Markus Dinhobel, ausführender<br />
Produzent der Thunerseespiele, zur Inszenierung<br />
2019 in Thun. Werner Bauer wird Regie führen.<br />
Die Choreographien erarbeitet Kati Heidebrecht,<br />
Marlen von Heydenaber das Bühnenbild, Mareike<br />
Delaquis Porschka die Kostüme. Der Cast wird<br />
später bekanntgegeben.<br />
Das <strong>Musical</strong> mit den bekannten Songs wie<br />
›Aber bitte mit Sahne‹, ›Mit 66 Jahren‹ und ›Vielen<br />
Dank für die Blumen‹ wird vom 10. Juli bis<br />
zum 24. August 2019 auf der Seebühne in Thun<br />
zu sehen sein.<br />
Mehr auf: www.thunerseespiele.ch<br />
Uraufführung von »Spuk in der Villa Stern«<br />
und »La Cage aux Folles« am Theater Basel<br />
20<strong>18</strong> / 2019<br />
Am 26. Januar 2019 feiert »Spuk in der Villa<br />
Stern – Eine Nacht in 16 Verkleidungen« mit<br />
der Musik und Liedtexten von Friedrich Hollaender<br />
sowie neuen Dialogtexten von David<br />
Gieselmann seine Uraufführung. In der Inszenierung<br />
von Christian Brey verantwortet Kai Tietje<br />
die musikalische Leitung und die Arrangements<br />
und Anette Hachmann die Ausstattung.<br />
Gemeinsam mit dem »Geister-Kollektiv« gestalten<br />
die Opernsängerin Noëmi Nadelmann,<br />
der Chansonnier Michael von der Heide und<br />
der Tenor Karl-Heinz Brandt die vielen Rollen.<br />
Der Komponist und Liedtexter Friedrich Hollaender<br />
nimmt in seiner 1931 im Berliner Tingel-<br />
Tangel-Theater im Keller des Theater des Westens<br />
uraufgeführten, ebenso bösen wie komischen<br />
»Revue« das Bürgertum aufs Korn. In diesem seit<br />
der Uraufführung nicht mehr aufgeführten Stück<br />
Ensemble des <strong>Musical</strong>s »Ich war noch niemals in New York« Tour 2016/17<br />
Foto: Birgit Bernds<br />
spielt Hollaender auf den aufkommenden Nationalsozialismus<br />
in Deutschland an. Aufgrund seiner<br />
jüdischen Herkunft musste der Autor selbst<br />
1933 Deutschland verlassen. Da »Spuk in der<br />
Villa« nur in Teilen überliefert ist, verfasst Autor<br />
David Gieselmann eine neue Textfassung. Im<br />
Mittelpunkt des Stückes steht die Familie Stern,<br />
die in ihrer Villa einen Kostümball gibt. Die Familie<br />
ist mit Spießers verwandt und zugleich mit<br />
Neureichs verschwägert. Neben den zahlreichen<br />
Gästen erscheint ein »echter Einbrecher«, den die<br />
Gastgeber für einen guten Freund in ausgezeichneter<br />
Maske halten. Deshalb bittet ihn der Hausherr,<br />
den Geldschrank zu knacken. Friedrich<br />
Hollaender komponierte für »Spuk in der Villa<br />
Stern« seine erfolgreichsten Lieder, darunter ›Die<br />
Kleptomanin‹, ›An allem sind die Juden schuld‹<br />
sowie ›Münchhausen‹.<br />
Martin G. Berger wird am Theater Basel »La<br />
Cage aux Folles – Ein Käfig voller Narren« (Musik<br />
und Liedtexte von Jerry Herman, Buch von<br />
Harvey Fierstein) inszenieren. Die musikalische<br />
Leitung übernimmt Thomas Wise, die Choreographien<br />
kreiert Marguerite Donlon, das Bühnenbild<br />
Sarah-Katharina Karl und die Kostüme<br />
Marysol del Castillo. In den Hauptrollen sind<br />
Stefan Kurt als Albin/Zaza und Roland Koch<br />
als Georges zu erleben. Die Premiere findet am<br />
14. Dezember 20<strong>18</strong> statt.<br />
Mehr auf: www.theater-basel.ch<br />
»Adam Schaf hat Angst« im Oktober am<br />
Konzert Theater Bern<br />
Georg Kreislers <strong>Musical</strong> in zwei Akten für einen<br />
Schauspieler feiert am 6. Oktober 20<strong>18</strong> am<br />
Konzert Theater Bern Premiere.<br />
Der gealterte Schauspieler Adam Schaf zieht ein<br />
Lebensresümee und singt sich etwas Freude an,<br />
während er auf seinen winzigen Auftritt wartet.<br />
Er hatte es nicht leicht im Leben. Aufgewachsen<br />
im Nachkriegsdeutschland, war er von den Eltern<br />
in die Juralaufbahn gedrängt worden, obwohl<br />
er Schauspieler werden wollte. Als er es dann<br />
doch wurde, ließen die Erfolge zunächst auf sich<br />
warten … aber dann: hatte er sogar einen eigenen<br />
Sekretär! Doch er hat auch vieles versäumt<br />
im Leben.<br />
Kreislers herrlich böser Humor legt die Wunden<br />
(nicht nur) der deutschen Gesellschaft frei und entlässt<br />
einen nachdenklich, aber heiter.<br />
Regie führt Alexander Kreuselberg, die musikalische<br />
Leitung hat Hans Christoph Bünger, das<br />
Bühnenbild gestaltet Selina Howald und die dramaturgische<br />
Betreuung hat Katharina Schellenberg.<br />
Mehr auf: www.konzerttheaterbern.ch<br />
Martin G. Berger<br />
Foto: hierLeben / Sarah Karl<br />
60 blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
Premierenblick<br />
Premieren August & September 20<strong>18</strong><br />
Diese Premierenübersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Alle Angaben ohne Gewähr. Weitere Informationen finden Sie auf www.unitedmusicals.de<br />
3 Musketiere<br />
Rob & Ferdi Bolland / Paul Bogaev / Gerard Cox /<br />
Jan-Simon Minkema / Petra van der Eerden /<br />
André Breedland<br />
Deutsch von Wolfgang Adenberg & Ruth Deny<br />
Junges Staatsmusical<br />
Hessisches Staatstheater Wiesbaden – Kleines Haus<br />
Premiere: 28. September 20<strong>18</strong><br />
www.staatstheater-wiesbaden.de<br />
Bare<br />
Damon Intrabartolo / Jon Hartmere<br />
Deutsch von Hartmut H. Forche & Georg Graefe<br />
Die Künstlerwerkstatt<br />
Bürgersaal Stegaurach<br />
Deutschsprachige Erstaufführung:<br />
29. September 20<strong>18</strong><br />
www.die-kw.de<br />
Beat It!<br />
Michael Jackson / »Jackson 5« / Papilio Entertainment<br />
COFO Entertainment Group<br />
Theater am Potsdamer Platz Berlin<br />
Uraufführung: 29. August 20<strong>18</strong><br />
www.beat-it-musical.com<br />
Blues Brothers<br />
Dan Aykroyd / John Landis / Dietmar Horcicka<br />
Meininger Staatstheater – Großes Haus<br />
Uraufführung: 7. September 20<strong>18</strong><br />
www.meininger-staatstheater.de<br />
Bodyguard<br />
Diverse Komponisten / Alexander Dinelaris<br />
Deutsch von Tobias Rohe<br />
Vereinigte Bühnen Wien<br />
Ronacher<br />
Österreichische Erstaufführung: 27. September 20<strong>18</strong><br />
www.musicalvienna.at<br />
Cabaret<br />
John Kander / Fred Ebb / Joe Masteroff<br />
Deutsch von Robert Gilbert<br />
Theater & Philharmonie Thüringen<br />
Großes Haus Gera<br />
Premiere: 28. September 20<strong>18</strong><br />
www.tpthueringen.de<br />
Chess<br />
Benny Andersson / Björn Ulvaeus / Tim Rice<br />
Annie<br />
Deutsch von Kevin Schroeder<br />
Charles Strouse / Martin Charnin / Thomas Meehan<br />
Theater Koblenz<br />
Deutsch von Holger Hauer & Jürgen Hartmann<br />
Festung Ehrenbreitstein<br />
Stuttgarter Off Broadway Theater Company<br />
Premiere: <strong>18</strong>. August 20<strong>18</strong><br />
Im Wizemann Stuttgart<br />
Drew Sarich<br />
www.theater-koblenz.de<br />
Premiere: 20. September 20<strong>18</strong><br />
hat seinen Vertrag der Titelrolle von »Rocky« in Hamburg<br />
bis Mai 2014 verlängert und wird im Oktober 2013 Das Wunder von Luzern<br />
www.annie-das-musical.de<br />
in der konzertanten, deutschsprachigen Erstaufführung<br />
Lorenz Ulrich / Frank Sikora<br />
Auf Terrasse von »Love jibt's Never nur Dies« Kännchen in Wien auf der Bühne stehen.<br />
Geboren in St. Louis, Missouri (USA), absolvierte Koproduktion er<br />
MachArt <strong>Musical</strong>s &<br />
Matthias S. Raupach<br />
seine Ausbildung in Musik, Schauspiel und Tanz am Boys Choir Lucerne<br />
Musiktheater Boston Conservatory Brandenburg und stand in New York erstmals Le Théâtre, im Gersag – Emmen<br />
Film-Theater im <strong>Musical</strong> Bad Freienwalde<br />
auf der Bühne, u. a. in »Joseph and the Uraufführung: 8. September 20<strong>18</strong><br />
Uraufführung: Amazing 2. Technicolour August 20<strong>18</strong>Dreamcoat«, »Tony n‘ Tina‘s<br />
Wedding« und »Jesus Christ Superstar«. Die Rolle www.wundervonluzern.ch<br />
www.musiktheater-brandenburg.de<br />
des Quasimodo in »Der Glöckner von Notre Dame«<br />
führte ihn 1999 nach Berlin. Zu seinen Haupt- und Ti-Ditelrollen – Der in Deutschland, Rebell Österreich und der Schweiz<br />
Brücken am Fluss<br />
Bach<br />
Jason Robert Brown / Marsha Norman<br />
Marko Formanek<br />
gehören Berger<br />
/ Oskar<br />
in<br />
Maywald<br />
»Hair«, »Boss in »Fever«, die Titelrolle<br />
in »Hedwig and the Angry Inch«, Cousin Kevin in<br />
Deutsch von Wolfgang Adenberg<br />
Grossstadt »The Who‘s Entertainment Tommy«, die Titelrolle in »Jekyll & Hyde«, Theater für Niedersachsen<br />
»Jesus Theater Christ Arnstadt Superstar«, »Dracula«, »Rudolf – Affaire Stadttheater Hildesheim<br />
Theater Mayerling«, im Schlossgarten Che in »Evita«, Curtis Jackson in »Sister Premiere: 8. September 20<strong>18</strong><br />
Uraufführung: Act« und 21. Graf September von Krolock 20<strong>18</strong> in »Tanz der Vampire«.<br />
www.tfn-online.de<br />
Bei Aufenthalten in New York spielte er Hauptrollen in<br />
www.theater-arnstadt.de<br />
»Lestat«, »Jaques Brel is Alive ...« und »Les Misérables«<br />
am Broadway.<br />
Die Rache der Fledermaus<br />
Johann Strauß / Karl Haffner / Richard Genée<br />
Bearbeitung von Kai Tietje & Stefan Huber<br />
Casinotheater Winterthur<br />
Uraufführung: 30. August 20<strong>18</strong><br />
www.casinotheater.ch<br />
Die Schatzinsel<br />
Dennis Martin / Christoph Jilo / Wolfgang Adenberg<br />
<strong>Musical</strong>sommer Fulda<br />
Schlosstheater<br />
Premiere: <strong>18</strong>. August 20<strong>18</strong><br />
www.spotlight-musicals.de<br />
Die Supermarkt Ladies –<br />
Das <strong>Musical</strong> zum Mitbestimmen (Tour)<br />
Roman Riklin / Dominik Flaschka<br />
Migros<br />
Tour im Zelt<br />
Püntwiese Uster<br />
Uraufführung: 28. September 20<strong>18</strong><br />
www.supermarkt-ladies.ch<br />
Doktor Schiwago<br />
Lucy Simon / Michael Korie / Amy Powers /<br />
Michael Weller<br />
Deutsch von Sabine Ruflair & Jürgen Hartmann<br />
Theater Pforzheim – Großes Haus<br />
Premiere: 28. September 20<strong>18</strong><br />
www.theater-pforzheim.de<br />
Do Laachs Do Dich Kapott<br />
Diverse Komponisten / Ralf Hubertus Borgartz<br />
Scala Theater Köln<br />
Uraufführung: 20. September 20<strong>18</strong><br />
www.scala.koeln<br />
Eis, Eis Baby<br />
Diverse Komponisten / Martin Riemann /<br />
Christian Kühn<br />
Packhaus Theater im Schnoor Bremen<br />
Premiere: 16. August 20<strong>18</strong><br />
www.packhaustheater-im-schnoor.de<br />
Elisabeth – Die Legende einer Heiligen<br />
Dennis Martin / Peter Scholz<br />
Main<strong>Musical</strong><br />
Gotthardsruine Amorbach/Weilbach<br />
Premiere: 3. August 20<strong>18</strong><br />
www.mainmusical.com<br />
Evita<br />
Andrew Lloyd Webber / Tim Rice<br />
Deutsch von Michael Kunze<br />
Musikschule Seevetal<br />
The <strong>Musical</strong> Company<br />
Helbachhaus Meckelfeld<br />
Premiere: 8. September 20<strong>18</strong><br />
www.themusicalcompany.de<br />
Evita<br />
Andrew Lloyd Webber / Tim Rice<br />
Deutsch von Michael Kunze<br />
Capitol Mannheim<br />
Premiere: 13. September 20<strong>18</strong><br />
www.capitol-mannheim.de<br />
Flashdance (Tour)<br />
Robbie Roth / Robert Cary / Tom Hedley<br />
Deutsch von Anja Hauptmann<br />
2Entertain Germany<br />
Theater am Großmarkt Hamburg<br />
Premiere: 20. September 20<strong>18</strong><br />
www.2entertain.com<br />
Hair<br />
Galt MacDermot / Gerome Ragnie / James Rado<br />
Deutsch von Frank Thannhäuser & Nico Rabenald<br />
Bad Hersfelder Festspiele<br />
Stiftsruine<br />
Premiere: 3. August 20<strong>18</strong><br />
www.bad-hersfelder-festspiele.de<br />
In der Bar zum Krokodil –<br />
Ab in die wilden 20er Jahre<br />
Heiko Lippmann / Christian Doll<br />
Freilichtspiele Schwäbisch Hall<br />
Große Treppe vor St. Michael<br />
Uraufführung: 4. August 20<strong>18</strong><br />
www.freilichtspiele-hall.de<br />
62<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong> Juli – September 20<strong>18</strong>
Premierenblick<br />
Premieren August & September 20<strong>18</strong><br />
Diese Premierenübersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Alle Angaben ohne Gewähr. Weitere Informationen finden Sie auf www.unitedmusicals.de<br />
Lazarus<br />
David Bowie / Enda Walsh<br />
Songs in englischer Sprache<br />
Deutsche Dialoge von Peter Torberg<br />
Landestheater Linz<br />
Musiktheater – Großer Saal<br />
Premiere: 27. September 20<strong>18</strong><br />
www.landestheater-linz.at<br />
Love Life<br />
Kurt Weill / Alan Jay Lerner<br />
Deutsch von Rüdiger Bering<br />
Koproduktion Konzert Theater Bern mit<br />
Theater Freiburg<br />
Stadttheater Bern<br />
Schweizer Erstaufführung: 31. August 20<strong>18</strong><br />
www.konzerttheaterbern.ch<br />
Love Me Tender<br />
Elvis Presley / Stephen Oremus / Joe DiPietro<br />
Songs in englischer Sprache<br />
Deutsche Dialoge von Benjamin Baumann<br />
Theater Plauen / Zwickau<br />
Parktheater Plauen<br />
Premiere: 17. August 20<strong>18</strong><br />
www.theater-plauen-zwickau.de<br />
Männer<br />
Franz Wittenbrink<br />
Theater in der Grünen Zitadelle Magdeburg<br />
Premiere: 15. September 20<strong>18</strong><br />
www.theater-zitadelle.com<br />
My Fair Lady<br />
Frederick Loewe / Alan Jay Lerner<br />
Deutsch von Robert Gilbert<br />
Theater Bielefeld<br />
Theater am Alten Markt<br />
Premiere: 16. September 20<strong>18</strong><br />
www.theater-bielefeld.de<br />
Oh, Alpenglühn!<br />
Diverse Komponisten / Mirko Bott<br />
Comödie Dresden<br />
Hotel Elbflorenz<br />
Premiere: 3. August 20<strong>18</strong><br />
www.comoedie-dresden.de<br />
Sarg Niemals Nie<br />
Christoph Reuter / Cristin Claas / Dominik Wagner /<br />
Jörn-Felix Alt<br />
TalTon Theater Wuppertal<br />
Premiere: 28. September 20<strong>18</strong><br />
www.taltontheater.de<br />
Saturday Night Fever<br />
»The Bee Gees« / Nan Knighton / Arlene Phillips /<br />
Paul Nicholas / Robert Stigwood / Billy Oaks<br />
In einer neuen Version von Ryan McBryde<br />
Songs in englischer Sprache<br />
Deutsche Dialoge von Anja Hauptmann<br />
<strong>Musical</strong> Güssing<br />
Kulturzentrum Güssing<br />
Premiere: 22. September 20<strong>18</strong><br />
www.musicalguessing.com<br />
Schwarzes Gold<br />
Kai Dorenkamp / Tobias Stöttner<br />
Quasi So Theater<br />
Schauburg Ibbenbühren<br />
Uraufführung: 19. September 20<strong>18</strong><br />
www.quasiso.de<br />
Singin' in the Rain<br />
Nacio Herb Brown / Arthur Freed / Betty Comden /<br />
Adolph Green<br />
Songs in englischer Sprache<br />
Deutsche Dialoge von Roman Hinze<br />
Schleswig-Holsteinische Landestheater &<br />
Sinfonieorchester<br />
Stadttheater Flensburg<br />
Premiere: 29. September 20<strong>18</strong><br />
www.sh-landestheater.de<br />
The Producers<br />
Mel Brooks / Thomas Meehan<br />
Deutsch von Nina Schneider<br />
<strong>Musical</strong> Projekt Neunkirchen<br />
Neue Gebläsehalle Neunkirchen<br />
Premiere: 3. August 20<strong>18</strong><br />
www.musicalprojekt-neunkirchen.de<br />
tick, tick… BOOM!<br />
Jonathan Larson / David Auburn<br />
Deutsch von Bernd Julius Arends<br />
<strong>Musical</strong> Company Steinfurt<br />
Kino Steinfurt<br />
Premiere: 14. September 20<strong>18</strong><br />
www.musical-steinfurt.de<br />
Total verunsichert<br />
Diverse Komponisten / Benedikt Karasek<br />
Theater in der Innenstadt Linz<br />
Premiere: 13. September 20<strong>18</strong><br />
www.theater-innenstadt.at<br />
Vom Fischer und seiner Frau –<br />
Das <strong>Musical</strong><br />
Marc Schubring / Kevin Schroeder<br />
Brüder Grimm Festspiele Hanau<br />
Deutsches Theater München<br />
Premiere: 2. August 20<strong>18</strong><br />
www.deutsches-theater.de<br />
Wally:Emilie<br />
Babsea / Julia Marie Wagner<br />
Brick-5 Wien<br />
Uraufführung: 26. September 20<strong>18</strong><br />
www.wally-emilie.com<br />
Wie es euch gefällt<br />
Heiner Lürig / Heinz Rudolf Kunze<br />
Hannover Concerts<br />
Theater am Aegi Hannover<br />
Uraufführung: 2. August 20<strong>18</strong><br />
www.hannover-concerts.de<br />
Wir sind mal kurz weg<br />
Diverse Komponisten / Bärbel Arenz /<br />
Tilmann von Blomberg<br />
Kammertheater Karlsruhe<br />
Premiere: 21. September 20<strong>18</strong><br />
www.kammertheater-karlsruhe.de<br />
Hinweis der Redaktion<br />
Der Premierenblick basiert auf Informationen, die wir<br />
von den Theatern in Deutschland, Österreich und der<br />
Schweiz erhalten. Leider erreichen uns nicht alle Termine<br />
und Informationen rechtzeitig oder diese sind bei<br />
Redaktionsschluss noch nicht veröffentlicht. Premieren,<br />
die bei Redaktionsschluss nicht oder mit zu wenig<br />
Informationen vorliegen, können leider nicht berücksichtigt<br />
werden.<br />
Diese Premierenübersicht erhebt keinen Anspruch auf<br />
Vollständigkeit, jedoch bitten wir alle Theater, uns frühestmöglich<br />
mit Informationen zu den bevorstehenden<br />
Premieren zu versorgen. Damit wir Ihre Premieren im<br />
Oktober und November in der kommenden <strong>Ausgabe</strong><br />
berücksichtigen können, bitten wir Sie um Zusendung<br />
der Termine sowie Angaben zu Autoren, Komponisten<br />
und Übersetzung bis zum 20. August 20<strong>18</strong> an<br />
redaktion@blickpunktmusical.de.<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
63
Mit Unterstützung von sound of music<br />
Einspielungen<br />
Einspielungen<br />
zusammengestellt von Martina Friedrich, Barbara Kern,<br />
Matterhorn – Das <strong>Musical</strong><br />
Live-Aufnahme zur Uraufführung im Theater St. Gallen<br />
CD 1: 17 Titel, 47 min 24 sec<br />
CD 2: 16 Titel, 52 min 22 sec<br />
Doppel-Jewel-CD-Case mit<br />
32-seitigem Booklet mit allen<br />
Mitwirkenden, allen Liedtexten,<br />
Stückinhalt, Produktionsfotos<br />
ur Uraufführung am Theater St. Gallen vom Fe-<br />
20<strong>18</strong> ist jetzt ein Gesamt-Live-Mitschnitt<br />
Zbruar<br />
erschienen. Die Kompositionen von Albert Hammond<br />
sind eine Mischung aus Pop- und Rockmusik,<br />
Hip-Hop, Volksmusik sowie Klassik und wurden<br />
von Koen Schoots arrangiert. Die Handlung<br />
des <strong>Musical</strong>s lässt sich durch die aussagekräftigen<br />
Texte von Michael Kunze sehr gut nachvollziehen:<br />
Im Sommer <strong>18</strong>65 stand Edward Whymper als erster<br />
Mensch auf dem Matterhorn. In den instrumentalen<br />
Titeln versteht es Albert Hammond ausgezeichnet,<br />
die Dramatik der Erstbesteigung widerzuspiegeln<br />
(allen voran ›Unterwegs zum Gipfel‹). Zudem verdeutlicht<br />
er in den emotionalen Songs die inneren<br />
Konflikte der Hauptfiguren E. Whymper (›Unheilbar<br />
verliebt‹), Olivia Buckingham (›Ich fühle keine Liebe‹)<br />
und des Berggeists Orka (›Unberührt‹). Deren<br />
vielfältige Gefühle und Lebensziele bieten Oedo<br />
Kuipers, Lisa Antoni, Sabrina Weckerlin mit ihren wandelbaren Stimmen überzeugend<br />
dar. Zugleich werden in den Nebenhandlungen der Aufstieg Zermatts zum<br />
bekannten Touristenort sowie die Auswirkungen des Tourismus auf die Natur verdeutlicht.<br />
Dabei wird Orka zur globalen Hüterin der bedrohten Natur.<br />
Rulantica<br />
Original Studio-Cast Aufnahme Rust 20<strong>18</strong><br />
14 Titel<br />
46 min 17 sec<br />
Digipack mit Angabe aller Beteiligten,<br />
Handlung und Fotos des<br />
Orchesters<br />
Piano Impact<br />
Soloalbum von Dr. Konstantinos Kalogeropoulos<br />
12 Titel<br />
1 Bonus Titel<br />
47 min 28 sec<br />
Digipack mit Nennung und<br />
Fotos aller Beteiligten, Kurz-<br />
Biographie von Arrangeur Frank<br />
Nimsgern, Dankesworte von<br />
Kalogeropoulos<br />
uf nach Rulantica! Das neue <strong>Musical</strong> aus dem<br />
AEuropa-Park Rust wird auf dieser Aufnahme gekonnt<br />
als eindrucksvolles Hörerlebnis in Szene beziehungsweise<br />
Ton gesetzt. Es erzählt die Geschichte<br />
von Fin, der als Schiffsjunge auf der Tre Kronor unter<br />
dem macht-, geld- und ruhmgierigen Kapitän Tord Johansen<br />
in See sticht. Das Ziel: Rulantica und deren<br />
heilende Quelle des Lebens. Diese und die Menschheit<br />
muss Fin im spannenden ›Finale‹ gemeinsam<br />
mit der Meerjungfrau Kailani retten. Das akustische<br />
See-Abenteuer besticht mit einem klaren Sound, einem<br />
spannenden Soundtrack und einer die Fantasie<br />
anregenden Geräuschkulisse sowie der betörenden<br />
Stimme von Ornella De Santis als Kailani. Schon<br />
im ›Opener‹ schwappen dem Hörer die Seeluft, die<br />
rauhe Kapitänsstimme (Ulrich Grawunder) und harmonisch<br />
klingender Piratengesang entgegen. Nicolas<br />
Boris Christahl als Fin träumt mit verzückter Stimme davon, ›Ein Held auf dem Meer‹<br />
zu sein. Es fehlen natürlich Teile der Handlung und visuelle Eindrücke der Show, die<br />
jedoch den Hörgenuss nicht mindern, sondern neugierig auf einen Besuch im Europa-<br />
Park machen beziehungsweise Besucher in Erinnerungen schwelgen lassen.<br />
r. Konstantinos Kalogeropoulos, der griechische<br />
DPianist und musikalische Leiter von »Ludwig²«<br />
in Füssen, veröffentlicht mit »Piano Impact« sein<br />
erstes Soloalbum. Die positiv überraschende Tracklist<br />
beinhaltet Musik aus <strong>Musical</strong>, aber auch aus<br />
Film, Popmusik und klassischem Liedgut. Ein Highlight<br />
ist bereits der Eröffnungstitel ›Le Feu De l'Eau‹<br />
aus »Elements«, ein weiteres das Stück »Frank's<br />
Bach« von Johann Sebastian Bach mit einem sich<br />
imposant von Piano- und Gitarrenklängen zu einem<br />
treibenden Streicherwerk mit Chor aufschwingenden<br />
Arrangement von Frank Nimsgern. Auch sehr<br />
kraftvoll kommt ›Nie mehr geschlagen‹ aus »Der<br />
Ring« mit Sänger Chris Murray daher. Weitere Titel<br />
aus »Elements«, »Chess«, »Herr der Ringe« über Falco<br />
bis Michael Jackson machen diese Aufnahme zu<br />
einem künstlerischen Kleinod.<br />
Foto: Hendrik Nix<br />
Dornröschen – Das <strong>Musical</strong><br />
Die Lieder aus dem <strong>Musical</strong> – Live-Mitschnitt<br />
Zeitnah zur Uraufführung des <strong>Musical</strong>s »Dornröschen« bei den Brüder<br />
Grimm Festspielen erschien die CD mit der Musik von Marian Lux<br />
und Liedtexten von Wolfgang Adenberg als Live-Mitschnitt. Marian Lux'<br />
temporeiche Kompositionen tragen die nicht weniger wortreichen Liedtexte<br />
von Wolfgang Adenberg. Die Arrangements von Markus Syperek helfen<br />
den Sängern auch mal über eloquente Wortkonstrukte hinweg, begonnen<br />
mit der 4-minütigen, schwungvollen Eröffnungsnummer ›Wo bin ich?‹,<br />
in der auch elegische Zwischentöne erklingen. Schnelle Sprechgesangsteile<br />
hört man im gesungenen Dialog zwischen dem rotzfrechen, liebenswerten<br />
Teenager Dornröschen, den Sophia Euskirchen mit ihrer ausdrucksstarken<br />
Stimme interpretiert, und der schrägen, guten Fee Aurora (Joana Fee Würz).<br />
Dissonanzen prägen den düster-rockigen Song der traurig-bösen Fee Selena<br />
in ›Mondlose Nacht‹; Kerstin Ibald mit beeindruckendem Stimmumfang.<br />
In das hymnische Schlaflied von ›Segen und Flüche‹ eingebettet sind die<br />
funkig souligen Töne der segnenden Feen (Mirjam Wolf, Lisa Katharina<br />
Toh). Einen gesungenen Schlagabtausch liefern sich Sascha Oliver Bauers<br />
(König Albrecht) und Lisa-Marie Sumners (Königin Gloria) in ›Deine<br />
Schuld‹. ›Auf keinen Fall‹ ist ein herrlicher Wechselgesang der Klischees –<br />
arroganter Machoprinz und verwöhnte Mode-Prinzessin – zwischen Dornröschen<br />
und Prinz Alexander (Kurosch Abbasi). ›Es kann so schnell gehen‹<br />
zeigt, wie schnell Liebe entstehen und durch Selenas Fluch »die Welt in<br />
Trümmer« fallen kann. Bauer zeigt seine stimmliche Bandbreite in der etwas<br />
dahinplätschernden Ballade ›Soll das vorbei<br />
sein?‹. ›Ich bin es leid‹ ist Dornröschens<br />
nachfühlbarer Protest-Song. ›Was passiert ist‹<br />
erzählt das stimmstarke Ensemble. Einen der<br />
wohl schönsten Titel bildet das emotionale<br />
Duett ›Ich gebe alles auf für dich‹, in dem Abbasi<br />
und Euskirchen klangvoll harmonieren.<br />
Zu den Highlights gehört auch das Frauentrio<br />
›Verrat‹ mit den starken Stimmen von Sumner,<br />
Ibald und Würz. Die Live-Band kommt<br />
im Instrumental-Stück ›Der Kampf‹ zu ihrem<br />
Recht, bevor das ›Finale‹ das fulminante ›Finale<br />
Erster Akt‹ wieder aufnimmt und zum Schlusspunkt<br />
führt.<br />
19 Titel<br />
68 min 23 sec<br />
CD-Case mit 4-seitigem Einleger<br />
mit allen Mitwirkenden, kleinen<br />
Castfotos und Inhaltsangabe. Link<br />
zum Download der Songtexte auf<br />
der Seite von Wolfgang Adenberg<br />
64<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
Einspielungen<br />
Mit Unterstützung von sound of music<br />
Sandy Kolbuch, Rosalie Rosenbusch und Veronika Zangl<br />
Foto: Reinhard Winkler<br />
Betty Blue Eyes<br />
Live Recording zur deutschsprachigen Erstaufführung in Linz<br />
In Linz ist man auf das Schwein gekommen: Deshalb folgt auf den großen<br />
Erfolg von »Betty Blue Eyes« prompt das Album-Release der deutschsprachigen<br />
Erstaufführung mit der Musik von George Stiles und deutschen<br />
Liedtexten von Roman Hinze. Damit setzt das Haus seinem blauäugigen<br />
Lieblingstier ein gut gelauntes Denkmal. Das kommt trotz Sozialmusical-<br />
Charakter mit reichlich Dosenfleisch, Lebensmittelrationierung und Klassenkampf<br />
im Nachkriegs-England erstaunlich leichtfüßig daher. Vielleicht<br />
liegt das am stringenten Arrangement der ausgewählten Songs, die auf das<br />
Livealbum wanderten, und ihren vorangestellten Dialogelementen. Die<br />
punkten nicht nur mit britischem Witz, sondern erklären auf unaufdringliche<br />
Weise die Geschichte rund um das rosarote Borstentier. Das soll eigentlich<br />
bei einem Bankett von den Reichen der Stadt zu Ehren der königlichen<br />
Vermählung von Prinzessin Elizabeth und Prinz Philip geschlachtet werden.<br />
Allerdings gibt es da zwei Probleme: den zu allem bereiten Fleischinspektor<br />
Mr Wormold, auf der Jagd nach illegalem Fleisch, und Fußpfleger Gilbert<br />
Chivers, der Betty stiehlt, es dann aber nicht übers Herz bringt, ihr auch<br />
den Garaus zu machen. Die Story ist zwar amüsant, das alleine wäre aber<br />
noch kein Garant für den CD-Erfolg. Beim Livealbum von »Betty Blue<br />
Eyes« baute man vor: Die geballte Stimmkraft des Ensembles verleiht der<br />
<strong>Musical</strong>-Komödie ihre ganz eigene Note und damit auch eine großartige<br />
Strahlkraft. Vor allem Rob Pelzer und Kristin Hölck als biederes Ehepaar<br />
Chivers treiben die Handlung stimmkräftig<br />
klar voran – egal ob mit einem emotional<br />
sanften ›Zauberhände‹ oder einem amüsanten<br />
›Schwein, kein Schwein‹. Riccardo Greco<br />
sorgt als verbissen-schriller Fleischinspektor<br />
Mr Wormold für Schmunzeln und Gänsehautmomente<br />
– und bedient dabei das volle<br />
Repertoire. Musikalisch wird das Setting<br />
durch die »Black Beauty and Friends«-Band<br />
unter der Leitung von Tom Bitterlich abgerundet.<br />
Diese trägt die Swing-Melodien mit<br />
großartigem Schwung in die Welt hinaus<br />
und lässt den (Über-)Lebenswillen der Fünfziger<br />
Jahre wieder auferstehen.<br />
19 Titel<br />
77 min 35 sec<br />
Jewel-CD-Case mit 36-seitigem<br />
Booklet mit allen Beteiligten,<br />
Songliste, Handlung unter<br />
Einbindung der Liedtitel, alle<br />
Songtexte, Produktionsfotos<br />
Frozen: The Broadway <strong>Musical</strong><br />
Original Broadway Cast Recording<br />
ngelehnt an Hans Christian Andersens bekann-<br />
Märchen »Die Eiskönigin«, entstand 2013<br />
Atem<br />
der Animationsfilm »Die Eiskönigin – Völlig unverfroren«<br />
(»Frozen«) von Walt Disney. Die tragische<br />
Geschichte von Elsa, die durch ihre magischen Fähigkeiten<br />
von ihrer Schwester Anna getrennt wird, begeisterte<br />
nicht nur durch die starken Charaktere, sondern<br />
auch mit wunderschönen Songs, welche auch<br />
die samische Welt des hohen Nordens widerspiegeln<br />
(›Vuelie‹). Die Musik und Texte von Kristen Anderson-Lopez<br />
und dem Oscar- und Tony-Gewinner Robert<br />
Lopez finden mit der CD »Frozen: The Broadway<br />
<strong>Musical</strong>« ihre Entsprechung. Neben den bekanntesten<br />
Songs ›Do You Want to Build a Snowman‹ (Mattea<br />
Conforti, Ayla Schwartz, Patti Murin, Caissie Levy)<br />
und ›Let It Go‹, gesungen von Caissie Levy, finden<br />
sich zudem 20 andere mitreißende Songs auf der CD.<br />
John Riddle präsentiert die Welt von ›Hans of the<br />
Southern Isles‹ mit kraftvoller Stimme, die auch im<br />
Duett mit Patti Murin bei ›Love Is an Open Door‹ zu<br />
21 Titel, 1 Bonus Titel<br />
70 min 59 sec<br />
Jewel-CD-Case mit 28-seitigem<br />
Booklet mit allen Beteiligten,<br />
Songliste mit Angabe der Rollen,<br />
Synopsis unter Einbindung<br />
der Liedtitel, Randnotizen des<br />
Produzenten und der Songwriter,<br />
alle Songtexte, Produktionsfotos<br />
vernehmen ist. Ebenfalls eindrucksvoll und mit Einsatz von Glocken geradezu majestätisch<br />
wirkt der Song ›Queen Anointed‹, interpretiert vom Original Broadway Cast.<br />
Prince of Broadway<br />
Original Broadway Cast Recording<br />
iese Zusammenstellung von Songs aus <strong>Musical</strong>s,<br />
Ddie Harold Prince in seiner bisherigen eindrucksvollen<br />
Karriere inszeniert und produziert hat, bietet<br />
auch ohne die dazugehörigen Shows einiges und<br />
gibt einen guten Überblick über die Produktionen.<br />
Zudem freut sich das <strong>Musical</strong>-Herz beim Hören von<br />
hierzulande weitreichend bekannten Songs wie ›Cabaret‹<br />
und ›So what?‹ aus »Cabaret«, ›If I Were a Rich<br />
Man‹ des »Fiddler on the Roof« oder ›Don't Cry For<br />
Me Argentina‹ aus »Evita«. Sowohl eingefleischten<br />
Fans als auch Neulingen oder auch speziell Freunden<br />
des amerikanischen Musiktheaters werden Stücke<br />
aus »Company«, »Show Boat«,»Follies« oder »West<br />
Side Story« präsentiert. Bereits die ›Overture‹ als<br />
Medley aus verschiedenen <strong>Musical</strong>-Songs macht klar,<br />
dass auch »The Phantom of the Opera« hier nicht<br />
fehlen darf. Anspieltipps sind ›Ol' Man River‹ (»Show<br />
Boat«), mit Gefühl von Chuck Cooper (auch fröhlichbeschwingt<br />
in ›If I Were a Rich Man‹) gesungen, und<br />
›Tonight at Eight‹ mit Brandon Uranowitz. Unter den<br />
Frauenstimmen sticht insbesondere Emily Skinner mit<br />
ihrer kraftvollen Stimme hervor. Ein toller Abschluss:<br />
Die Finalnummer ›Do the Work‹.<br />
My Fair Lady<br />
20<strong>18</strong> Broadway Cast Recording<br />
Broadway hat den beliebten Klassiker mit<br />
Dder Musik von Frederick Loewe und den<br />
Liedtexten von Alan Jay Lerner wiederentdeckt<br />
und in bestechender Soundqualität eingespielt.<br />
Eliza wird von der jungen Lauren Ambrose erfrischend<br />
selbstbewusst gesungen, die sich im Laufe<br />
des Stückes zu einer extrem emanzipierten Frau entwickelt.<br />
Harry Hadden-Paton (»Downton Abbey«) ist<br />
als Prof. Henry Higgins zu hören. Was ihm an scharfer<br />
Ironie und Stakkato-Sprechgesang fehlt, ersetzt er<br />
durch klangvollen Gesang und Emotionen. In ›The<br />
Rain in Spain‹ jubelt er wie ein Freund Elizas über<br />
ihren Fortschritt. Norbert Leo Butz verbindet gelungen<br />
stimmliche Kapriolen mit ausdrucksvollem Spiel<br />
in der Rolle des alten Doolittle. Ein großes Plus: Mit<br />
vollem Orchester wurde hier die Originalpartitur<br />
komplett neu eingespielt.<br />
22 Titel<br />
74 min 52 sec<br />
Jewel-CD-Case mit 16-seitigem<br />
Booklet mit allen Beteiligten,<br />
Songliste mit Angabe der<br />
Sänger, Anmerkungen von David<br />
Thompson und Hal Prince,<br />
Produktionsfotos<br />
19 Titel<br />
65 min 31 sec<br />
Jewel-CD-Case mit 32-seitigem<br />
Booklet mit Mitwirkenden, allen<br />
Songtexten, Synopsis unter Einbindung<br />
der Liedtitel, Vorworten<br />
von Douglas McGrath und Ted<br />
Sperling, Produktionsfotos<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
65
Konzerte & Entertainment<br />
Männerfreundschaft im <strong>Musical</strong>business<br />
»Ziemlich gute Freunde ...« in Wien<br />
Abb. oben:<br />
›Strangers Like Me‹ – Gleich zu Beginn<br />
heizen Mark Seibert und Lukas Perman<br />
dem Publikum mit tollen Rhythmen ein<br />
Foto: Madeleine Weiss<br />
Abb. unten:<br />
›Gold von den Sternen‹ – Stargast Ana<br />
Milva Gomes performt ihren Paradesong<br />
aus »Mozart!«<br />
Foto: Madeleine Weiss<br />
Lukas Perman und Mark Seibert sind nicht nur zwei<br />
<strong>Musical</strong>-Stars, sondern auch privat seit ihrer Ausbildung<br />
eng befreundet. Umso überraschender, dass sie<br />
noch nie ein Konzert zusammen gegeben haben. Das<br />
haben die zwei Sonnyboys nun nachgeholt. Am 4. Juni<br />
20<strong>18</strong> fand ihr erster gemeinsamer Abend unter dem Titel<br />
»Ziemlich gute Freunde ...« im ausverkauften Wiener<br />
Raimund Theater statt, bei dem die beiden nicht nur<br />
als Künstler auf der Bühne standen, sondern auch als<br />
Produzenten fungierten.<br />
Im Mittelpunkt stand natürlich die Männerfreundschaft.<br />
Zu Beginn heizten sie dem Publikum mit den<br />
rhythmischen Disney-Songs ›Strangers Like Me‹ aus<br />
»Tarzan« und dem King-Louie-Lied ›I Wanna Be Like<br />
You‹ aus »Das Dschungelbuch« ein. <strong>Musical</strong>songs aus<br />
ihren zahlreichen Engagements mischten sich unter<br />
Pop- und Swing-Nummern. Zwischen den Songs erzählten<br />
die beiden Freunde immer wieder Anekdoten<br />
aus ihrer gemeinsamen Zeit. »Eine enge Freundschaft<br />
unter Künstlern ist gar nicht so einfach«, betonten die<br />
<strong>Musical</strong>größen und dass sie froh seien, dass sich ihre<br />
Wege doch immer wieder auch beruflich kreuzten.<br />
2001 haben sich die beiden beim Studium am Wiener<br />
Konservatorium kennen und schätzen gelernt. Nach<br />
den Auditions zum <strong>Musical</strong> »Romeo & Julia«, welches<br />
schließlich von 2005 bis 2006 in Wien zu sehen war,<br />
trauten sich beide nicht, sich gegenseitig von der eigenen<br />
Zusage zu berichten – zu groß war die Befürchtung,<br />
der andere könne es nicht geschafft haben. Dieses erste<br />
gemeinsame Engagement am Raimund Theater hat die<br />
zwei Sänger enger zusammengeschweißt und für Lukas<br />
war die Inszenierung gleich ein doppelter Glücksgriff,<br />
denn er lernte dort seine Bühnen-Partnerin Marjan<br />
Shaki erst kennen und schließlich auch lieben.<br />
Mit Babybauch im engen Glitzerkleid kam die werdende<br />
Mutter, mit der Perman bereits eine Tochter hat,<br />
beim Konzert von Lukas und Mark auf die Bühne und<br />
erntete für den »Romeo & Julia«-Song ›Liebe‹ großen<br />
Applaus. Nach diesem Gänsehautmoment plauderte<br />
auch das Liebespaar aus dem Nähkästchen. »In unserem<br />
ersten gemeinsamen Urlaub während der Sommerpause<br />
war Marjan morgens immer schwermütig«, erzählt Lukas.<br />
Marjan ergänzt nachdenklich: »Das war genau die<br />
Uhrzeit, zu der ich in Wien abends immer als Julia gestorben<br />
bin.« Immer wieder gab es aber auch lustige Momente<br />
und das Ehepaar steckte mit seiner Lebensfreude<br />
an. Mark Seibert teilt diesen Humor. Nachdem Perman<br />
sich bei der Dauer ihrer Freundschaft um zwei Jahre<br />
vertan hatte, entwickelte es sich während des Abends<br />
spontan zu einem Running Gag, die Jahreszahlen absichtlich<br />
zu vertauschen. Beim Song ›Totale Finsternis‹,<br />
welchen alle drei performten, biss Mark Marjan dann<br />
klassisch in den Hals, Lukas hingegen doch lieber in<br />
den Bauch seiner Frau. Im Sommer soll das zweite Kind<br />
kommen. Die erste Tochter des <strong>Musical</strong>paares kam am<br />
9. April 2015 zur Welt, am Geburtstag von Mark Seibert.<br />
Auch bei der Babyplanung war Mark nicht weit.<br />
Auf der Kreuzfahrt in Richtung Nordkap, als es passiert<br />
sein soll, lag er in der Nachbarkajüte, berichtet Mark<br />
Seibert nach ›Eye of the Tiger‹ aus »Rocky«.<br />
Neben zu erwartenden Klassikern, wie ›Die Schatten<br />
werden länger‹ aus »Elisabeth«, in dem die beiden ebenfalls<br />
zusammen auf der Bühne standen, und ›Die unstillbare<br />
Gier‹ aus »Tanz der Vampire«, in dem sie getrennt<br />
voneinander Hauptrollen gesungen haben, gab es auch<br />
einige Überraschungen. Mark sang zum Beispiel den<br />
66<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
Konzerte & Entertainment<br />
Dean-Martin-Swing-Song ›Sway‹ und Lukas gab mit<br />
dem Lied ›Mein Mädel ist nur eine Verkäuferin‹ eine<br />
Kostprobe auf sein nächstes Engagement an der Wiener<br />
Volksoper in der Ralph-Benatzky-Operette »Meine<br />
Schwester und ich«. Hierzu wurde zum Vergnügen des<br />
Publikums spontan die Zuschauerin Barbara auf die<br />
Bühne geholt, damit Lukas auch ein Mädel zum Ansingen<br />
hatte.<br />
Nach der Pause sorgten Überraschungs-Gäste für<br />
Stimmung im Publikum: Ana Milva Gomes performte<br />
mit Seibert den Song ›Sind die Sterne gegen uns‹ aus<br />
dem <strong>Musical</strong> »Aida« von Elton John und Tim Rice sowie<br />
ihren Paradesong ›Gold von den Sternen‹ aus »Mozart!«.<br />
Im »Elisabeth«-Block trat Roberta Valentini als<br />
Sisi stimmgewaltig in Erscheinung und bekam für ›Ich<br />
gehör' nur mir‹ verdiente Standing Ovations. Stimmlich<br />
unterstützten Alexandra-Yoana Alexandrova, Enny de<br />
Alba und Florian Sebastian Fitz als Backings die Protagonisten.<br />
Unter dem Motto »was sich liebt, das neckt<br />
sich« gab es zwischendurch immer kleine Sticheleien<br />
zwischen den Männern, die in ihren schmucken Anzügen<br />
in den Trendfarben Petrol und Pflaume auch farblich<br />
aufeinander abgestimmt waren. Sie geizten nicht<br />
mit Sprüchen und Kommentaren, zeigten witzige Fotos<br />
und erzählten von lustigen und peinlichen Bühnenmomenten.<br />
Perman hatte sich von Seibert Tipps geholt, als<br />
er 2002 im ORF bei »Dancing Stars« dabei war. Perfektionist<br />
Mark Seibert wird nicht gerne an seine frühere<br />
Zeit als Profiturniertänzer erinnert, da er inzwischen die<br />
Affektiertheit des Sports übertrieben findet, lässt sich<br />
aber doch überzeugen, mit seinem Kumpel einen Walzer<br />
aufs Parkett zu legen. Ganz der Profi ist Mark Seibert<br />
Gentleman und kann fehlerfrei auch den Part der Frau<br />
übernehmen.<br />
Beide standen aber auch zu Niederlagen in der Vergangenheit<br />
und berichteten, welche Rollen sie nicht bekommen<br />
haben. Bei den Auditions für »Les Misérables«<br />
im Londoner West End kam Mark Seibert, wie er sich<br />
erinnert, Runde für Runde bis zum sogenannten Final<br />
Callback. Doch dann kam Produzent Cameron Macintosh<br />
und hatte die Rolle des Jean Valjean schon einem<br />
anderen versprochen, sodass keiner der drei Finalisten<br />
die Rolle bekam. Trotzdem haben es einige »Les Mis«-<br />
Songs ins Programm geschafft. Auch Lukas Perman hatte<br />
eine solche Geschichte auf Lager. Was nur wenige wussten:<br />
Fast hätte er die Rolle des Bert in der Wiener »Mary<br />
Poppins«-Produktion bekommen, die aber schließlich<br />
an David Boyd ging. Doch traurig sind die beiden heute<br />
darüber nicht und wer weiß, ob Lukas Perman sonst<br />
den Erfolg als Josi Edler in der aktuellen Raimund-Theater-Produktion<br />
von »I Am From Austria« gefeiert hätte.<br />
Der Titel-Song durfte beim Freundschafts-Konzert nicht<br />
fehlen. Mark Seibert textete sich, weil er selbst nicht aus<br />
der Alpenrepublik stammt, eine eigene Strophe, die augenzwinkernd<br />
mit der Zeile »weil I da Piefke bin« endet, dem<br />
österreichischen Spottnamen für Deutsche.<br />
Passend zum Freundschaftsthema singen alle fünf,<br />
die zwei <strong>Musical</strong>männer und ihre weiblichen Gaststars,<br />
als Zugabe ›You've Got a Friend‹ von Carole King. Den<br />
ganzen Abend über lieferte eine achtköpfige Band einen<br />
hervorragenden Sound (Piano: Christian Frank, Keyboard:<br />
Dominik Oberenzer, Schlagzeug: Benjamin Figl,<br />
Bass: Ulrich Permanschlager, Gitarre: Manfred Wechselnder,<br />
Posaune: Martin Grünzweig, Reeds: Alwin<br />
Miller und Trompete / Arrangements: Robert Kerschbaumer).<br />
Als Schmankerl für den Nachhauseweg gab es<br />
zu guter Letzt von Mark und Lukas ›Imagine‹ von »The<br />
Beatles«, einzig mit Klavierbegleitung des Musikalischen<br />
Leiters Christian Frank. Mit dem Programm »Ziemlich<br />
gute Freunde ... « ist Mark Seibert und Lukas Perman<br />
auch ein starkes Debüt als Produzenten gelungen. Noch<br />
witzelten sie, ob sie Perman und Seibert- oder Mark und<br />
Lukas-Productions heißen möchten. Das Wiener Publikum<br />
belohnte die Show mit langanhaltendem Applaus.<br />
Manuel Sommerfeld<br />
Abb. unten von links:<br />
1. ›Liebe‹: Lukas Perman und Marjan<br />
Shaki zeigen beim Song aus »Romeo &<br />
Julia« viel Gefühl<br />
2. Mark Seibert und Lukas Perman<br />
tanzen einen Walzer<br />
3. ›Wenn ich tanzen will‹ von Mark<br />
Seibert und Roberta Valentini – ein<br />
starkes Duett<br />
4. Ziemlich beste Freunde – die Harmonie<br />
zwischen Lukas Perman und Mark<br />
Seibert ist deutlich spürbar<br />
Fotos (4): Madeleine Weiss<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
67
Konzerte & Entertainment<br />
Große Stimmen im Rampenlicht<br />
»Faces of <strong>Musical</strong> 20<strong>18</strong>« in Hennef<br />
Abb. oben:<br />
›You'll Never Walk Alone‹ – Jesper Tydén,<br />
John Vooijs, Wilma Harth und Brigitte<br />
Oelke verabschieden gemeinsam mit<br />
dem Chor der <strong>Musical</strong> Voices S.I.E.G. das<br />
begeisterte Publikum<br />
Foto: Sandra Reichel<br />
Abb. unten:<br />
Im Rampenlicht besingt Brigitte Oelke<br />
›Limelight‹ aus »Gambler«<br />
Foto: Sandra Reichel<br />
Bereits zum siebten Mal lud der rund 150 Mitglieder<br />
zählende Konzertchor <strong>Musical</strong> Voices S.I.E.G. am<br />
9. und 10. Juni unter Leitung von Chordirektor Wolfgang<br />
Harth zum ganz besonderen <strong>Musical</strong>konzert nach<br />
Hennef. Erneut waren Größen der <strong>Musical</strong>szene dem<br />
Ruf gefolgt und nahmen sichtlich begeistert die Gelegenheit<br />
wahr, mit einem ganz speziellen Gesangspartner<br />
und mit seiner Unterstützung im Background zu arbeiten.<br />
Im Rampenlicht standen diesmal in internationaler<br />
Besetzung die gebürtige Schweizerin Brigitte Oelke<br />
(»We Will Rock You«, »Chicago«), der Niederländer<br />
John Vooijs (»Tarzan«, »We Will Rock You«) und der<br />
Schwede Jesper Tydén (»Elisabeth«, »West Side Story«),<br />
welcher dem musikalischen Projekt von Anfang an seine<br />
Stimme gab. Mit dabei war wie immer auch die lyrische<br />
Sopranistin Wilma Harth, die als Vocalcoach auch<br />
für die exzellente Intonation und Verständlichkeit des<br />
Chors verantwortlich zeichnet und ihn als Mitglied unterstützt.<br />
Die hervorragende musikalische Begleitung<br />
übernahm erneut die Stuttgarter Band »Apollo 7« mit<br />
eigenen Arrangements, die Bandleader und musikalischer<br />
Leiter Bernd Steixner (Musikalischer Leiter bei<br />
Stage Entertainment, den Vereinigten Bühnen Wien<br />
und am Theater St. Gallen) gemeinsam mit Wolfgang<br />
Harth verfasste. Beide verbindet die Leidenschaft für<br />
Live-Musik.<br />
›Limelight/Rampenlicht‹ – dieser Titel aus dem Gesangsblock,<br />
der das Eric Woolfson-<strong>Musical</strong> »Gambler«<br />
wiederbelebte, hätte als Motto über dem Abend stehen<br />
können, der mit einem wahrhaft magischen Lichtdesign<br />
aufwartete und das nicht nur, weil Marcus Krömer seit<br />
2014 die Show der »Ehrlich Brothers« designt. Krömer<br />
hängte noch ein paar weitere Lampen auf und genoss<br />
es, mal etwas Neues auszuprobieren. Damit setzte er<br />
nicht nur die Solisten ins denkbar beste Licht und spielte<br />
mit Farbkombinationen, sondern auch die für jeden<br />
Block liebevoll gestalteten Kostüme der Chormitglieder<br />
traten gleich noch schöner hervor: Ob die ›Chimney‹-<br />
Schornsteinfeger, bei denen sich ein paar Feuerwehruniformen<br />
einreihten, und die Damen in Kleidern im<br />
englischen Stil, mit denen sie um die Jahrtausendwende<br />
durchaus den Kirschbaumweg 17 hätten entlangflanieren<br />
können, oder die stilechten Rocker und Rockerbräute<br />
aus dem »We Will Rock You«-Block. Wilma Harth<br />
wurde bei ihrem zauberhaft gespielten und sehr schön<br />
gesungenen Auftritt als Arielle (›Ein Mensch zu sein‹)<br />
in wahres Meeresleuchten getaucht. Für Brigitte Oelke,<br />
die der leidenschaftlichen Affenmutter Kala ebenso wie<br />
der arabischen Prinzessin Jasmin – im starken Duett mit<br />
Jesper Tydén – mit ihrer variablen Stimme neue, reizvolle<br />
Facetten verlieh, wurde das Grün des Dschungels<br />
und danach der magische Sternenhimmel beschworen.<br />
Seit dem ersten »Faces of <strong>Musical</strong>«-Konzert werden<br />
die gesanglichen Darbietungen immer wieder durch<br />
kleine Interviews mit den Stargästen unterbrochen,<br />
um diese dem Publikum vorzustellen. Doch dieses Mal<br />
hatten sich Moderatorin Nicola Reyk und Schauspielerin<br />
sowie Sprecherin Sabine Berg (beides selbst leidenschaftliche<br />
Chorsängerinnen) überlegt, doch auch mal<br />
die Arbeit ihres Vocalcoaches Wilma Harth und des<br />
Chordirektors Wolfgang Harth zu kommentieren: Da<br />
erfuhr man von der liebevoll akribischen Arbeit und<br />
sehr späten Änderungen in der Partitur, wobei einfach<br />
»16 Takte rausgeworfen« wurden. Anhand einer ausgebreiteten<br />
Bahn von aneinandergehängten Notenseiten<br />
demonstriert, führte dieser unterhaltsame Einblick in<br />
die Arbeit nicht nur auf Seiten der Insider zu zahlreichen<br />
Lachern. Angesichts des unglaublichen Textpensums<br />
des Konzertprogramms bekam man allerdings<br />
auch etwas Mitleid mit den Chorsängern. Den Vogel<br />
schoss eindeutig ›Supercalifragilistischexpialigetisch‹ ab,<br />
bei dem Wilma Harth als Motivatorin des Chors – vom<br />
Hut bis zum Papageienschirm ganz Mary Poppins – als<br />
gestrenge Chorleiterin die Silben wiederholen ließ und<br />
den Kindern einen »Löffel voll Zucker« kredenzte. LED-<br />
Buchstaben auf den Lichttürmen hinter dem Chor begleiteten<br />
das Zungenbrecher-Medley aus dem Disney-<br />
<strong>Musical</strong>.<br />
Wie immer brachten die Solisten eigene Favoriten<br />
mit: Brigitte Oelke mag Songs, die bei aller Dramatik<br />
68<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
Konzerte & Entertainment<br />
eine »Hoffnung« vermitteln, und interpretierte deshalb<br />
›There You'll Be‹ aus dem Film »Pearl Harbour«. Jesper<br />
Tydén übernahm mit kraftvoller Stimme die Rolle des<br />
von Leidenschaft überwältigten Frollo in ›Das Feuer der<br />
Hölle‹ aus »Der Glöckner von Notre Dame«, umrahmt<br />
von Skelettrosetten, die an den Lichttürmen rankten.<br />
John Vooijs steuerte in der Reihe der »Faces-Songs« eine<br />
eigene melancholisch-rockige Ballade bei und begleitete<br />
sich selbst an der Gitarre: Ein Mann, der seine abendliche<br />
Bekanntschaft nicht mit zu sich genommen hat,<br />
stellt beim Aufwachen fest, dass er sich verliebt hat: »I'm<br />
falling for you, hey stranger!«<br />
Wenn zwei »We Will Rock You«-Interpreten auf der<br />
Bühne stehen, was liegt da näher, als einen Block mit<br />
dem »Queen«-<strong>Musical</strong> zu gestalten? John Vooijs rockte<br />
mit ›I Want to Break Free‹ die Bühne und Killer Queen<br />
Brigitte Oelke suchte ›Somebody to Love‹. Doch den<br />
Höhepunkt bildete beider gesanglich herausragender,<br />
hochemotionaler Gänsehaut-Vortrag von ›Who Wants<br />
to Live Forever‹. Pyrotechnik heizte Sängern und Publikum<br />
hierbei zusätzlich ein.<br />
Der zweite Teil begann mit einem nur noch selten<br />
gespielten <strong>Musical</strong> von Eric Woolfson bzw. »The Alan<br />
Parsons Project«: »Gambler« basiert auf Dostojewskis<br />
Roman »Der Spieler« und feierte 1996 Uraufführung in<br />
Mönchengladbach, versank danach im deutschsprachigen<br />
Raum aber in der Versenkung, während es in Japan<br />
und Korea gespielt wurde. Wilma Harth brachte ihren<br />
lyrischen Sopran als Showgirl in ›Far Away‹ zum Strahlen,<br />
John Vooijs beschwor mit Jesper Tydén als Casiono<br />
Boss den vom Spieler ersehnten ›Golden Key‹ zum Ort<br />
der Träume und Brigitte Oelke brillierte mit einem glasklaren<br />
›Limelight‹, umfasst von Fingern aus Licht. Den<br />
Abschluss machte ›Eye in the Sky‹, das John Vooijs im<br />
Dialog mit dem Chor interpretierte. Er genoss das gemeinsame<br />
Singen sichtlich: »I can read your mind«, und<br />
war sich im anschließenden Interview mit allen Mitwirkenden<br />
einig: »Ohne Musik geht gar nichts«.<br />
Der Abend klang passend zur bevorstehenden<br />
Fußball-WM mit einem Block »Music(al) goes Sport«<br />
aus, zu dem Wolfgang Harth den musikalischen Leiter<br />
Bernd Steixner zunächst überreden musste. Nach der<br />
Arbeit an großen Hymnen wie ›One Day in Your Life‹,<br />
bei der Brigitte Oelke mit ihrer Rock-Röhre Anastacia<br />
in nichts nachstand, oder ›One Moment in Time‹<br />
(Brigitte Oelke und der Chor ließen die Halle beben)<br />
habe er ihn allerdings gefragt: »Wann machen wir eine<br />
Stadiontour?« Im Arrangement von Bernd Steixner wurde<br />
sogar der Xavier Naidoo-Titel ›Dieser Weg‹ zu einer<br />
bluesigen Rock-Nummer, die Jesper Tydén ganz eigen<br />
interpretierte. Bei Christina Stürmers ›Fieber‹ wurde der<br />
Vortrag des Chors wiederum durch Bühnenfeuer angeheizt<br />
und mit einer letzten Zusammenarbeit mit John<br />
Vooijs klang das musikalische und optische Feuerwerk<br />
in der Halle Meiersheide in Hennef mit ›We Are the<br />
Champions‹ aus.<br />
Barbara Kern<br />
Abb. unten von links:<br />
1. ›Ein Mensch zu sein‹ ist der sehnlichste<br />
Wunsch von Arielle, gesungen von<br />
Wilma Harth<br />
2. Von Wilma Harth alias Mary Poppins<br />
lernen die Chormitglieder, dass »ein<br />
Löffelchen voll Zucker« Wunder bewirkt<br />
und wie man einen Zungenbrecher<br />
buchstabiert<br />
3. ›Das Feuer der Hölle‹ fürchtet Jesper<br />
Tydén als Frollo, Erzdiakon von Notre<br />
Dame<br />
4. Vor einem alles sehenden ›Eye in the<br />
Sky‹ (»Gambler«) warnt John Vooijs<br />
Fotos (4): Sandra Reichel<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
69
Im Blick<br />
Schöne Tradition am Pfingstmontag!<br />
»<strong>Musical</strong> Meets Pop« eröffnet auch 20<strong>18</strong> die Freilichtspiele in Tecklenburg<br />
Die Solisten (v.l.): Frank Winkels, Sascha Krebs, Pia Douwes, Milica Jovanović, Patrick Stanke, David Jakobs, Dominik Hees, Kevin Tarte und Gino Emnes heizten dem<br />
Publikum mit ›Always Look on the Bright Side of Life‹ aus »Monty Python's Spamalot« ein<br />
›Endlich sehe ich das Licht‹ aus »Rapunzel« – Milica Jovanović und Dominik Hees<br />
›The Prayer‹ aus »Das magische Schwert« – Pia Douwes und Kevin Tarte<br />
›Trag mich in dein Herz‹ aus »Kinky Boots« – Gino Emnes<br />
70<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
Im Blick<br />
›Here I Go Again‹ von Whitesnake – Patrick Stanke zeigt, was er kann<br />
Sascha Krebs in der Ensemblenummer ›Always Look on the Bright Side of<br />
Life‹ aus »Monty Python's Spamalot«<br />
Pia Douwes und Sascha Krebs als<br />
Beyoncé und Ed Sheeran in ›Perfect‹<br />
David Jakobs begleitete sich selbst<br />
auf der Gitarre zu dem Lied von<br />
Gregor Meyle: ›Dann bin ich<br />
zuhaus'‹<br />
Milica Jovanović beschwerte sich wie einst Trude Herr:<br />
›Ich will keine Schokolade‹<br />
Die Backvocals (v.L.): Mathias Meffert, Esther-Larissa Lach, Florian Albers<br />
und Alexandra Hoffmann begleiteten stimmgewaltig die Solisten der<br />
»Pfingstgala«<br />
›Zieh' die Schuh' aus‹ von Roger Cicero, dargebracht von Frank Winkels<br />
Fotos (11): Sandra Reichel<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
71
Vis-à-Vis<br />
Das Wichtigste ist für mich die Leidenschaft<br />
Hannah Leser über ihre Rolle als Alex Owens in »Flashdance«<br />
Hannah Leser spielte direkt nach Abschluss der<br />
Stage School in Hamburg die Titelrolle in »Mary<br />
Poppins« und wird ab 20. September 20<strong>18</strong> als<br />
Alex Owens in der Tour-Produktion von »Flashdance«<br />
von 2Entertain Germany auf der Bühne<br />
zu erleben sein.<br />
blickpunkt musical: Ist es eine Ehre für Sie, die<br />
Hauptrolle in »Flashdance – Das <strong>Musical</strong>« zu<br />
spielen?<br />
Hannah Leser: Ja, eine Ehre und Verantwortung.<br />
(lacht)<br />
blimu: Kannten Sie den Film?<br />
HL: Natürlich kannte ich den Film! Als crazy<br />
Tanzbegeisterte habe ich sämtliche Tanzfilme<br />
verschlungen und finde die Alten viel besser als<br />
die Aktuellen, denn es gibt ja heute nur noch<br />
»Hip-Hop-Kram« und ich stehe viel mehr auf die<br />
Klassiker wie »Flashdance«, »Dirty Dancing« und<br />
»Strictly Ballroom«. Als dann die Zusage für die<br />
Rolle kam, wusste ich, dass ich mal schleunigst<br />
trainieren sollte.<br />
blimu: Haben Sie das <strong>Musical</strong> schon gesehen?<br />
HL: Es lief ja bisher in Deutschland noch nicht<br />
so oft. Witzigerweise lief es in Darmstadt, wo<br />
ich zwar als Teenager gewohnt habe, aber nicht<br />
zu dieser Zeit. Es hat sich leider nie ergeben, das<br />
<strong>Musical</strong> zu sehen. Ich habe nach der Zusage recherchiert,<br />
aber jede Inszenierung ist anders und<br />
auch die schwedische Produktion, die auf Tour<br />
durch Deutschland und Österreich geht, hat<br />
noch einmal einen draufgelegt. Gerade bei den<br />
Tanzszenen wurde extrem an den Choreographien<br />
gefeilt und technisch einiges investiert. Die Darstellerin,<br />
die in Schweden die Alex Owens gespielt<br />
hat und witzigerweise auch Hannah heißt,<br />
ist eine unglaublich gute Tänzerin, die jede Szene<br />
großartig umgesetzt hat. Da trete ich in sehr<br />
große Fußstapfen.<br />
blimu: Was verbinden Sie mit dem <strong>Musical</strong><br />
»Flashdance«?<br />
HL: Das Wichtigste ist für mich die Leidenschaft.<br />
Alex hat nie gelernt, professionell zu tanzen, aber<br />
sie besitzt diese Leidenschaft und lebt sie einfach<br />
aus. Sie braucht das Tanzen. Es ist ihr Ventil, bei<br />
dem sie alles rauslassen kann, und man spürt ihre<br />
Leidenschaft von Anfang bis Ende. Das steckt<br />
alle an, reißt mit und darauf freue ich mich ganz<br />
besonders.<br />
Foto: 2Entertain Germany<br />
blimu: Haben Sie einen persönlichen Bezug zu<br />
»Flashdance« oder zu der Geschichte des Films?<br />
HL: Als Darstellerin, als Performer oder Tänzer<br />
versucht jeder, der im Showbusiness arbeitet,<br />
einen Durchbruch zu erreichen und das zu machen,<br />
wovon man träumt und was man liebt. Das<br />
ist die zentrale Story und jeder kann sich damit<br />
identifizieren, wie hart es ist, sich durchzubeißen.<br />
Ich kenne das ganz genau, auch wenn ich<br />
es nicht so schwer hatte wie sie. Wenn man an<br />
sich zweifelt und denkt, man sei zu schlecht, und<br />
dann kommt der Moment, wenn jemand mit dir<br />
arbeitet, dich aufbaut und du es schaffst, das ist<br />
unglaublich!<br />
Ich persönlich hatte das Glück, dass es mir<br />
privat und familiär immer gut ging – im Gegensatz<br />
zu Alex. Sie hatte eine schwere Kindheit, einen<br />
Vater, der nie an sie geglaubt und sich nicht<br />
um sie gekümmert hat. Selbst als sie ihren Traum<br />
verfolgen wollte, zog er sie runter und wollte ihren<br />
Traum zunichtemachen. Bei mir war das ganz<br />
anders: Meine Familie war immer mein größter<br />
Support, sie hat viel für mich getan, mich immer<br />
gestärkt und unterstützt. Trotzdem kenne ich den<br />
inneren Kampf und die Bedeutung der Entscheidung.<br />
Es sagen dir viele, es sei eine fixe Idee. Sie<br />
fragen: »Bist du sicher, dass du das durchziehen<br />
willst? Am Ende stehst du alleine da und hast<br />
nichts.« Da entsteht schon mal das Gefühl, man<br />
sei der einzige Mensch, der daran glaubt, und<br />
deswegen kann ich mich tatsächlich sehr gut mit<br />
der Rolle identifizieren.<br />
blimu: Die Geschichte ist bereits 30 Jahre alt.<br />
Sehen Sie einen aktuellen Bezug? Gerade in der<br />
Stahlindustrie werden heute viele Leute entlassen.<br />
HL: Das war schon damals ein großes Thema,<br />
weswegen es im Film auch thematisiert wird. Bei<br />
»Billy Elliot« zum Beispiel wurde auch die industrielle<br />
Krise in der Geschichte thematisiert. Oder<br />
in »The Full Monty«, einem meiner Lieblingsfilme,<br />
geht es ebenfalls um das Thema. Und auch<br />
wenn ich mich da nicht wirklich auskenne, was<br />
das Business angeht, weiß ich doch Bescheid, wie<br />
das läuft.<br />
Darum geht es ja auch in »Flashdance«. Dort<br />
wird die männliche Hauptrolle Nick in die Stahlfabrik<br />
geholt, um das Unternehmen zu modernisieren,<br />
sich um Outsourcing zu kümmern,<br />
aufzuräumen und zu rationalisieren. Und er ist<br />
dann ausgerechnet derjenige, der sich um die Arbeiter<br />
kümmern will. Das existiert heute in sehr<br />
vielen Bereichen. Konzerne kündigen Mitarbeitern,<br />
um Geld zu sparen. Das zieht sich durch<br />
viele Bereiche, selbst das Theater bleibt davon<br />
nicht unberührt. Auch wenn ich erst ein Jahr in<br />
dem Business arbeite, habe ich schon viel gelernt<br />
und möchte auch erreichen, dass unser Beruf als<br />
Künstler sicher ist und das, was man macht, sich<br />
auch lohnt.<br />
blimu: Sie haben gerade gesagt, Sie arbeiten erst<br />
seit einem Jahr in dem Business. Letztes Jahr haben<br />
Sie die Stage School beendet und sind direkt<br />
für die Titelrolle von »Mary Poppins« engagiert<br />
worden – als Cover.<br />
HL: Ich covere die Rolle nicht, sondern wurde<br />
72 blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
Vis-à-Vis<br />
alternierend für Mary Poppins besetzt. Ich spiele<br />
keine andere Rolle, sondern bin nur da, um die<br />
Hauptdarstellerin zu entlasten, mit zwei festen<br />
Shows die Woche, und ansonsten bin ich immer<br />
auf Stand-by, auf Reserve sozusagen. Die Mary<br />
Poppins ist natürlich eine Wahnsinnsrolle und<br />
ich bin dankbar, dass man so ein Vertrauen in<br />
mich hatte, mich direkt von der Schule in diese<br />
Produktion zu holen. Dann steht man auf einmal<br />
mit Leuten auf der Bühne, die man ein paar Wochen<br />
vorher noch im Internet »gestalkt« hat und<br />
bei denen man sich immer vorgestellt hat, wie es<br />
ist, mit ihnen mal auf der Bühne zu stehen. Das<br />
ist echt crazy.<br />
blimu: Haben Sie Cameron Mackintosh persönlich<br />
kennengelernt?<br />
HL: Ja. Das war das absurdeste Erlebnis überhaupt.<br />
Er war total entspannt, ist mit easyJet<br />
geflogen, also ganz anders, als man sich so einen<br />
erfolgreichen Menschen vorstellt. Ein Mann mit<br />
diesem Einfluss und so einer Autorität steht dann<br />
vor einem und ist total zugänglich. Ich habe mich<br />
ihm dann kurz vorgestellt und ihm die Hand<br />
geschüttelt. Das war ein aufregendes Gefühl. Er<br />
fragte mich dann, wie es mir gefällt, wie es sich<br />
anfühlt, zu fliegen, und ich konnte eigentlich nur<br />
lächeln und »Ja« sagen. Mehr ging nicht. (lacht)<br />
blimu: Mit 23 Jahren ist das beeindruckend.<br />
Sie sind zum Interview in einem schwarzen Outfit<br />
erschienen. Ist das selbst geschneidert? Ich hörte,<br />
das ist eine Leidenschaft von Ihnen.<br />
HL: Nein, das ist vom Flohmarkt. (lacht)<br />
blimu: Haben Sie schon mal für eine Produktion<br />
Kleider genäht oder daran gedacht, sich im Kostümbereich<br />
auszuprobieren?<br />
HL: Nein. Ich schneidere eigentlich nur für mich<br />
oder für gute Freunde, wenn sie etwas haben wollen,<br />
was sie aber nicht finden. Aber eine ganze<br />
Produktion auszustatten, kann ich mir, ehrlich<br />
gesagt, nicht vorstellen. Ich weiß auch gar nicht,<br />
ob ich das wollen würde. Unter Zeitdruck etwas<br />
abliefern und noch dazu nach genauen Vorgaben –<br />
ich glaube, das wäre nicht mein Ding. Auf der<br />
Bühne ist das etwas anderes. Ich habe schon mal<br />
in der Schule ein Kostüm für jemanden gemacht:<br />
Ein Mädchen sollte einen Diven-Song singen<br />
und dazu ein lilafarbenes Ballkleid tragen. Das<br />
brachte die Regisseurin auf die Idee, dass sie eine<br />
5 Meter lange Schleppe braucht, die von zwei Lakaien<br />
getragen wird. Damit kam sie dann zu mir<br />
und ich entwarf eine entsprechende Schleppe, die<br />
über die ganze Bühne ging. Solche Mini-Aufträge<br />
sind sehr schön. Und ich werde das Nähen auf<br />
Tour schon vermissen, denn meine Nähmaschine<br />
muss wohl zu Hause bleiben. Mehr als ein Koffer<br />
geht sicher nicht.<br />
blimu: Sie haben lange Zeit in den USA verbracht<br />
und erfahren, wie die Ausbildung dort abläuft.<br />
Haben Sie eine High School besucht?<br />
HL: Tatsächlich war ich nicht auf einer typischen<br />
High School, denn wenn du in den USA einen<br />
High School Abschluss machst, darfst du in<br />
Deutschland nicht studieren. Deswegen besuchte<br />
ich eine der internationalen Schulen, die ein etwas<br />
anderes System haben. Das ist zwar ähnlich,<br />
aber wir waren Leute aus aller Welt, das war toll.<br />
Aus China, Brasilien, Afrika bis nach Asien habe<br />
ich Menschen kennengelernt und konnte dort<br />
mein internationales Abitur machen, mit dem<br />
ich in Deutschland studieren konnte.<br />
blimu: Von der Vorschule bis zur High School<br />
und weiter gehört das Thema <strong>Musical</strong> in den<br />
USA fest zum Unterricht, während es in Deutschland<br />
meistens nur Arbeitsgemeinschaften an den<br />
Schulen gibt. Wir haben hier in Berlin Spandau<br />
auch ein Gymnasium, das sehr gut und engagiert<br />
Sachen in diesem Bereich auf die Beine stellt.<br />
Doch Sie haben das aus den USA zum Glück<br />
mitnehmen können.<br />
HL: Der Standard der Schulen in den USA ist<br />
extrem hoch. Hier war ich zwar in einer Theater-<br />
AG, doch diese lief nur einmal in der Woche und<br />
wir konnten so nur wenig erarbeiten. Das bringt<br />
nichts. In den USA war ich auf einem Internat,<br />
auch für Externe, das alle Schüler den ganzen Tag<br />
beschäftigt. Du musst dir eine Nachmittagstätigkeit<br />
aussuchen und bist dann auch zwei bis drei<br />
Nachmittage die Woche für drei Stunden in deiner<br />
Gruppe, in der man viel mehr machen kann.<br />
Wir haben tatsächlich zwei Schauspielstücke und<br />
ein <strong>Musical</strong> pro Jahr erarbeitet. Wir hatten viel<br />
Zeit zum Proben, zum Einstudieren, da lernt<br />
man auch etwas. Ich hatte lieber Theater statt<br />
Kunst als Fach und habe so viel über Techniken<br />
und Theatergeschichte gelernt. Und die Shows,<br />
die wir als Amateure auf die Beine gestellt haben,<br />
waren wirklich cool.<br />
blimu: Wie würden Sie <strong>Musical</strong> charakterisieren?<br />
Was bedeutet es Ihnen?<br />
HL: <strong>Musical</strong> ist für mich das Erzählen einer Geschichte,<br />
indem man die drei künstlerischen<br />
Tätigkeiten Schauspiel, Gesang und Tanz dazu<br />
nutzt, ein emotionales Gesamtbild zu schaffen.<br />
Wenn sich die Story nicht gut erzählen lässt,<br />
kannst du noch soviel investieren in Set, Kostüme<br />
und Künstler – ohne den zündenden Funken<br />
bringt dir das ganze Drumherum auch nichts<br />
mehr. Tolle Geschichten fesseln die Zuschauer<br />
und wir geben nur unser bestes handwerkliches<br />
Können dazu. Im <strong>Musical</strong> kommt natürlich noch<br />
der Showeffekt dazu, worüber man sich streiten<br />
kann – wenn hier noch Pyroeffekte dazu kommen<br />
oder ein extrem aufwendiges Kostüm. Ich<br />
persönlich liebe es, in kleine Theater zu gehen,<br />
in denen die Darsteller aus wenig eine Stimmung<br />
zaubern, die mich fesselt, die mich abholt und bei<br />
mir etwas bewirkt. Wenn ich jemanden kennenlerne,<br />
der keine <strong>Musical</strong>s mag oder noch nie eins<br />
gesehen hat, ist das wie eine Art Missionsauftrag<br />
für mich, denn ich muss diesem Menschen dann<br />
das Genre näherbringen und ihm zeigen, wie gut<br />
es sein kann.<br />
<strong>Musical</strong> ist so etwas Tolles und Abwechslungsreiches.<br />
Leider denken viele immer noch, dass es<br />
seichte Unterhaltung und Entertainment ist, aber<br />
es steckt soviel mehr dahinter, es gibt für jeden<br />
Geschmack etwas. Heute kann niemand sagen:<br />
»Ich mag keine <strong>Musical</strong>s, weil mich die Musik<br />
stört!«, denn wirklich jede Musikrichtung ist<br />
vertreten, man muss eben nur die richtige Show<br />
für sich selbst finden. Wenn jemand sagt, er mag<br />
Oper nicht, das kann ich nachvollziehen, aber<br />
<strong>Musical</strong> ist so vielfältig, dass eigentlich jeder das<br />
findet, was ihm gefällt.<br />
blimu: Was sagt Ihnen der Satz: »Ich bin so<br />
unmusikalisch«?<br />
HL: (lacht) Oh, mein Gott, das war der erste<br />
Song, mit dem ich auf die Bühne durfte. Ich glaube,<br />
das war im zweiten Jahr, als die Stage School<br />
das F1rst Stage Theater ausgebaut hat. Das war<br />
eine tolle Zeit, weil ich schon während der Ausbildung<br />
direkt auf der Bühne Erfahrungen habe<br />
sammeln können. Man lernt auch die Kaltblütigkeit,<br />
die man auf der Bühne braucht, damit<br />
man sagen kann: »Jetzt gehe ich raus und lege<br />
los«, auch wenn man sich nicht so sicher fühlt.<br />
Und dieses Chanson war mein Prüfungslied aus<br />
dem ersten Jahr: ein unglaublich schwerer Song,<br />
weil du auf einen C-Dur-Akkord ein Cis singen<br />
musst, und das habe ich auf der Bühne als Solo<br />
singen dürfen. Mein erstes Solo im F1rst Stage<br />
Theater wird für immer ein besonderer Moment<br />
für mich bleiben.<br />
blimu: Vielen Dank, Hannah Leser, und eine<br />
tolle Zeit bei »Flashdance«.<br />
Das Interview führte Oliver Wünsch<br />
Hannah Leser in ihrer Rolle als Alex Owens<br />
Foto: 2Entertain Germany<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
73
Vis-à-Vis<br />
»Regie ist für mich ein lebenslanger Prozess des<br />
Lernens« Eine neue Generation <strong>Musical</strong>regisseure: Erik Petersen im Interview<br />
Erik Petersen ist gebürtiger Magdeburger, stand<br />
in frühen Jahren bereits auf der Bühne, hospitierte<br />
später im Regiefach und gehört heute zu der<br />
Generation neuer Regisseure im musikalischen<br />
Unterhaltungstheater.<br />
blickpunkt musical: Wie kamen Sie zum Theater<br />
und wie zur Regie?<br />
Erik Petersen: Ich habe am Magdeburger Theater<br />
früh als Statist, später als Kleindarsteller auf<br />
der Bühne gestanden. Die Schauspielschulen,<br />
an denen ich mich beworben habe, sahen mich<br />
aber nicht als großen Schauspieler. (lacht) Dennoch<br />
hat Nico Rabenald mich in Magdeburg in<br />
zahlreichen Operetten und <strong>Musical</strong>s, u. a. auch<br />
in »Titanic« besetzt. Damals habe ich fallen lassen,<br />
dass ich gerne hospitieren würde. 2010 rief<br />
er mich an und bot mir eine Hospitanz bei dem<br />
neuen <strong>Musical</strong> »Carmen – Ein deutsches <strong>Musical</strong>«<br />
in Bad Hersfeld an. Eine Woche später fiel<br />
sein Regieassistent aus und ich erhielt die Möglichkeit,<br />
ins kalte Wasser zu springen und zu lernen.<br />
Die Arbeit mit Rabenald war der erste große<br />
Glücksfall. Der zweite war, dass ich im zweiten<br />
Jahr Gil Mehmert in Hersfeld kennenlernte.<br />
Die praktische Erfahrung hat mir den Weg<br />
geebnet. Regieassistenz meint zu 70% Logistik<br />
und nur zu 30% wirkliche Regiearbeit. Das ist im<br />
<strong>Musical</strong> noch extremer als in anderen Bereichen<br />
des Theaters, weil der Assistent versuchen muss,<br />
alles zu kombinieren: Umzüge, Umbauten, am<br />
Opernhaus den Chor, Gäste, die am Haus sind – es<br />
ist ein großer organisatorischer Aufwand. Doch<br />
wenn man Lust hat, diesen Weg in die Regie zu<br />
gehen, und gut arbeitet, wird das irgendwann<br />
auch anerkannt.<br />
blimu: Bei »The Full Monty« in Dortmund haben<br />
Sie auch gespielt.<br />
EP: Das stimmt, neben der Regieassistenz konnte<br />
ich eine kleine Rolle spielen. Dass ich überhaupt<br />
dort assistieren durfte, verdanke ich Gil Mehmert<br />
und dass mich der stellvertretende Intendant<br />
und Dramaturg Hans-Peter Frings aus Magdeburg<br />
kannte. Denn Dortmund gehört zu den<br />
Häusern, die damals nur studierte Leute, ob in<br />
Theaterwissenschaften oder Regie, eingestellt haben.<br />
Da man mir das Vertrauen entgegenbrachte,<br />
durfte ich dort 2 Jahre lang daran teilhaben, dass<br />
Dortmund zu dem Theater wurde, das es heute<br />
ist. Nicht nur »Hairspray« kam überzeugend auf<br />
die Bühne, sondern man wagte sich auch an ein<br />
Stück wie »next to normal«.<br />
blimu: Zwischen der Zeit des Spielens auf der<br />
Foto: Jan-Philipp Behr<br />
Bühne und Ihrer Regiearbeit haben Sie eine Ausbildung<br />
an einer Bibliothek gemacht. War dies<br />
von Vorteil?<br />
EP: Ich war damals fürs Theater noch zu jung,<br />
nachdem ich mit 16 die Schule mit dem erweiterten<br />
Realschulabschluss beendet hatte. Ich wollte<br />
etwas mit Medien und Bildung machen und habe<br />
schon immer gerne gelesen. Daher habe ich eine<br />
Ausbildung als Fachangestellter für Medieninformationsdienste<br />
– in der Fachrichtung Bibliothek<br />
gemacht. Es ist mir bei der Regiearbeit wichtig,<br />
mich weiterzubilden, und dabei nutze ich das<br />
Handwerk, das ich damals erworben habe. Im<br />
<strong>Musical</strong> gibt es allerdings weniger Literatur zu<br />
dem Thema als bei der Oper, da das <strong>Musical</strong> noch<br />
jung ist. Wenn man sich anschaut, wie etwas<br />
komponiert wurde, erfährt man manchmal, dass<br />
die Sängerin mit dem Komponisten zusammen<br />
war und deshalb die Arie so geschrieben wurde.<br />
Im <strong>Musical</strong> ist es zum Beispiel wichtig, zu verstehen,<br />
warum jetzt ein Falsett gesungen wird. Regie<br />
ist für mich ein lebenslanger Prozess des Lernens.<br />
blimu: War das <strong>Musical</strong> eine Art Zufallsprodukt,<br />
weil es <strong>Musical</strong>regisseure waren, die Ihnen die<br />
Tore öffneten, oder wollten Sie gerne in diese<br />
Richtung?<br />
EP: In der Regie gibt es viele talentierte junge<br />
Leute, die aber erst ab Mitte 30 überhaupt Karriere<br />
machen dürfen. Ich war nie der Freund vom<br />
Regietheater auf deutschen Opernbühnen und<br />
finde, dass jahrelang am Publikum vorbeiinszeniert<br />
wurde. Auch an den Auslastungszahlen der<br />
Häuser wird deutlich, wie schwierig es für ein<br />
jüngeres Publikum geworden ist, ins Theater zu<br />
gehen. Diese Entwicklung hat mir nicht gefallen.<br />
Mir schwebte der Bereich Unterhaltung vor. Ich<br />
habe mich immer schon für <strong>Musical</strong> interessiert<br />
und mir war die Nähe zum Publikum wichtig.<br />
Natürlich gibt es auch in unserer Branche<br />
schlechte Unterhaltung, in der man meint, nur<br />
weil <strong>Musical</strong> drunter steht, muss dies und jenes<br />
erzeugt werden. Dann ist das Ergebnis platt und<br />
unemotional.<br />
Heute bin ich in der gesamten Sparte des Musiktheaters<br />
unterwegs, inszeniere <strong>Musical</strong>, Oper<br />
und Operette, aber auf meine Art und Weise. Für<br />
mich ist die Bühne ein fantastischer Raum und<br />
ich wünsche mir, dass die Leute auch mal wieder<br />
zwei Stunden ins Theater gehen und abschalten<br />
können. Dass sie einfach genießen und Stücke erleben,<br />
die emotional über die Rampe gehen. Gil,<br />
Matthias (Davids) und Stephan (Huber) haben<br />
Großes für das Genre geleistet und den Weg für<br />
den Nachwuchs geebnet. Dafür bin ich ihnen<br />
sehr dankbar. Ob es nun der Umgang mit den<br />
Schauspielern ist oder wie wichtig die Psychologie<br />
der Szenen ist – hier habe ich viel von Stephan<br />
gelernt. Die drei Genannten unterscheiden sich<br />
sehr in ihrem Konzept – von der Ästhetik bis zum<br />
Szenenaufbau.<br />
Inzwischen freuen sich die Theater über Spezialisten,<br />
die Lust haben, <strong>Musical</strong> gut zu inszenieren.<br />
Denn es gibt auch diejenigen, die <strong>Musical</strong><br />
inszenieren, aber gar keine Lust darauf haben. Sie<br />
meinen, das Stück, weil es <strong>Musical</strong> ist, zerstören<br />
zu müssen, um es neu zusammensetzen zu können.<br />
Das finde ich traurig. Dann sollen sie etwas<br />
74 blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
Vis-à-Vis<br />
anderes inszenieren. Natürlich kann man bei der<br />
Regie an der Dramaturgie etwas ändern. Sie haben<br />
ja auch »Footloose« von mir in Darmstadt<br />
gesehen. Da haben wir uns getraut, am etwas<br />
schwachen Buch zu arbeiten. Wir haben versucht,<br />
eine weitere Qualitätsebene reinzubringen und zu<br />
zeigen, dass es wirklich ein gutes Buch sein kann.<br />
Das ist für mich auch in der Oper und Operette<br />
der Weg. Alles andere ist für mich unverständlich.<br />
Meine größte Angst ist, dass an einer Inszenierung<br />
von mir kritisiert wird, ich hätte keine Liebe<br />
hineingesteckt. Das ist glücklicherweise noch nie<br />
passiert.<br />
blimu: Wie gehen Sie an ein Stück heran?<br />
EP: Entscheidend ist ein gutes Bauchgefühl.<br />
Meist habe ich bei der Nennung des Titels schon<br />
eine Situation oder ein Bild vor Augen. Wenn<br />
das Bauchgefühl noch nicht gut ist, suche ich<br />
noch mal das Gespräch mit dem Intendanten<br />
oder überlege, was ich mit dem Stück machen<br />
kann. Nach der Zusage höre ich mir die Musik<br />
des Stückes über ein Jahr lang immer wieder an.<br />
Im <strong>Musical</strong> ist es meistens so, dass es eine erste<br />
Version gibt und noch eine überarbeitete Fassung,<br />
ich schaue mir beide an. Dann studiere<br />
ich die Dialoge und – was einige Kollegen nicht<br />
machen – auch, wie das Stück aufgeführt worden<br />
ist, wie andere es gemacht haben. Für mich ist<br />
das Fortbildung. Ich kann in meiner Generation<br />
ein Stück nicht neu erfinden. Würde ich das tun,<br />
spielt »My Fair Lady« in Kapstadt und das Ganze<br />
hätte nichts mehr mit dem Stück zu tun. Ich<br />
kann kombinieren und daraus eine neue Ästhetik<br />
schaffen. Deshalb ist mir der Dialog mit meinen<br />
Dramaturgen sehr wichtig, sodass wir über das<br />
entwickelte Konzept reden.<br />
Vor allem ist es mir wichtig, für das Publikum<br />
zu inszenieren. Ich habe mich während meiner<br />
Karriere schon immer für die Reaktionen des Publikums<br />
in Vorstellungen interessiert und beobachte<br />
unheimlich gern Zuschauer während einer<br />
Inszenierung – auch meiner eigenen. Wenn ich<br />
sehe: Aha, weil es diesen Song noch gibt, steigen<br />
sie aus und überlegen, ob sie den Bus noch bekommen,<br />
dann weiß ich, dass es das nicht geben<br />
darf. Ich halte es für ein hohes Gut, einen Zuschauer<br />
in einer Vorstellung so zu packen, dass<br />
er, wenn nach einer Stunde Pause ist, denkt: Oh,<br />
jetzt ist schon Pause. Eine meiner emotionalsten<br />
Inszenierungen war hier »Hair« auf dem Domplatz<br />
in Magdeburg.<br />
blimu: Mir fehlte bisher in allen Inszenierungen<br />
dieses Stückes der rote Faden.<br />
EP: Die Herausforderung ist, den Figuren eine<br />
Geschichte zu geben, damit sie nicht als ein paar<br />
langhaarige Idioten vorne sitzen, sondern der Zuschauer<br />
versteht, warum sie so handeln. Sonst ist<br />
es ein Konzert, alle singen und dann ziehen plötzlich<br />
Berger oder Claude in den Krieg.<br />
Es bedeutet eine intensive Vorbereitung, damit<br />
die Zuschauer schon vor dem Finale aufstehen<br />
wollen und emotional gepackt sind. Das Thema<br />
ist traurigerweise immer noch aktuell. Gerade<br />
deshalb kann das Stück eine große Kraft entfalten,<br />
wenn man das Publikum erreicht.<br />
blimu: Was ist Ihnen persönlich besonders wichtig<br />
bei Ihren Inszenierungen?<br />
EP: Meine vorrangige Aufgabe ist es, die Stücke<br />
auf der Bühne mit Leuten meiner Generation zu<br />
kreieren. Dazu gehören auch Rollendebüts, wie<br />
wir sie bei »Jesus Christ Superstar« in Oldenburg<br />
mit Oedo Kuipers und Rupert Markthaler hatten.<br />
Es war unglaublich schwer, einen Jesus und einen Judas<br />
aus der neuen Generation zu finden – auch weil<br />
die Stimmen dafür überhaupt nicht mehr ausgebildet<br />
sind. Und natürlich muss dann jemand<br />
mit den jungen Leuten arbeiten. Wir haben sehr<br />
viele unterschiedliche Typen von tollen Sängern<br />
in Deutschland, aber unsere Arbeit besteht darin,<br />
hier vor allem hinsichtlich Schauspiel einiges<br />
herauszukitzeln.<br />
Das macht die Castings manchmal anstrengend.<br />
Das gilt auch für »Footloose« in Darmstadt.<br />
Diese Show verlangt den Darstellern unheimlich<br />
viel ab, was bedeutet, junge Leute finden zu müssen,<br />
die alle drei Disziplinen sehr gut beherrschen<br />
und dann auch noch in authentischer Art und<br />
Weise auf der Bühne stehen. Deshalb bin ich<br />
viel unterwegs, gehe zu Intendantenvorsingen<br />
und schaue mir Absolventenshows an. Das kostet<br />
Zeit, ist aber entscheidend, um eine Entwicklung<br />
zu erkennen, damit ich nicht einfach besetze, weil<br />
»<strong>Musical</strong>darsteller« drunter steht, sondern Leute<br />
finde, die sehr gut spielen können und zu meinen<br />
Produktionen passen.<br />
Ich finde es besonders schön, wenn man in ein<br />
Stück gehen kann, ohne sich vorher zu belesen.<br />
Ich schaue immer, wie ich an den Zuschauer herankomme<br />
– auch mit einer gewissen Entscheidung<br />
innerhalb des Ensembles –, damit er mit<br />
»Evita« etwas anfangen kann, selbst wenn sie die<br />
Böse ist, die immer herumschreit, weil sie überfordert<br />
ist. Wie bekomme ich es hin, dass das Publikum<br />
mitfühlen kann? Das ist jeweils ein langer<br />
Prozess, bei dem die Atmosphäre und die Dichte<br />
der Szenen stimmen müssen, damit die Zuschauer<br />
dranbleiben. Man erarbeitet sich im Laufe der<br />
Zeit eine Handschrift, an die man sich bei jeder<br />
neuen Inszenierung idealerweise zurückerinnert,<br />
wie etwas funktioniert. Auslöser kann ein Satz<br />
sein wie bei »Frau Luna« jetzt in Dortmund, wo<br />
es hieß, dass es in den 20er Jahren ein großes<br />
Luftballett gab. Daraus entstehen dann Ideen:<br />
Ich schaue immer bei den Komponisten oder<br />
Autoren, was sie sich dabei gedacht haben, und<br />
versuche, das mit den Gedanken meiner Generation<br />
in unsere Zeit umzusetzen. Bei der Findung<br />
rede ich natürlich viel mit dem Kreativteam, den<br />
Choreographen.<br />
Bei meinen zukünftigen Projekten versuche<br />
ich, auch hinsichtlich der Entscheidung in der<br />
Besetzung, ein Publikum zu gewinnen, das sich<br />
sonst kein Ticket für Stücke wie »Anatevka« (Mai<br />
2019, Magdeburg) oder »Kiss Me, Kate« (Februar<br />
2019, Darmstadt) kaufen würde. Dieses darf sich<br />
auf einige namhafte Darsteller freuen. (Da wegen<br />
der Sommerpause noch keine Verträge endgültig<br />
unterschrieben sind, können hier leider keine Namen<br />
genannt werden, Anm. d. Red.). Als weitere<br />
Arbeiten sind für das nächste Jahr »West Side<br />
Story«, »Im weißen Rössl«, »Young Frankenstein«<br />
und »Victor/Victoria« in Planung.<br />
blimu: Sie haben gesagt, dass Sie direkt für die<br />
große Bühne arbeiten durften und sich danach<br />
sehnen, ein 2-Personenstück zu inszenieren. <strong>Musical</strong><br />
gilt als Ausstattungstheater – wie wichtig ist Ihnen<br />
der Rahmen?<br />
EP: Das Bühnenbild wird immer mehr und mehr<br />
durch Projektionen ersetzt. »Finding Neverland«<br />
ist beispielsweise nur noch eine reine LED-Wand-<br />
Produktion. Das ist finanziell sicher die beste<br />
Lösung, weil man keine großen Bühnenbauten<br />
braucht, aber für mich ist der Theaterraum immer<br />
noch entscheidend. Bei »Footloose« habe ich dem<br />
Bühnenbildner gesagt, ich hätte Lust auf ein richtiges<br />
Bühnenbild, weil in der Recherche immer<br />
nur von Kastenräumen oder Stangen die Rede<br />
war. Immer wieder wurde der Ort an der gleichen<br />
Stelle, nur mit anderen Requisiten, definiert. Das<br />
fand ich langweilig. Ich habe dann auch Feedback<br />
von dem Komponisten Tom Snow und Liedtexter<br />
Dean Pitchford bekommen, die Bilder von<br />
Darmstadt gesehen hatten und beeindruckt waren,<br />
welche Ausstattung ein solches Stück haben<br />
kann. Mir ist auch wichtig, zu präsentieren, was<br />
ein Theater zu leisten vermag.<br />
Bei »Anatevka« ist mir aufgefallen, dass manche<br />
Zuschauer aussteigen, weil sie das Gefühl<br />
haben, das Geschehen sei zu weit weg. Daher<br />
sind wir hier gerade an der Entscheidung dran,<br />
das Orchester mit auf die Bühne zu nehmen, damit<br />
wir mehr an die Rampe spielen können und<br />
die Zuschauer mitnehmen. Das ist das Konzept<br />
Erik Petersen während der Proben<br />
Foto: Jan-Philipp Behr<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
75
Vis-à-Vis<br />
vom Broadway und Londoner West End, wo es<br />
selten Shows mit einem Orchestergraben als Abtrennung<br />
gibt. Ein Großteil des Erfolges liegt an<br />
dieser Nähe zum Publikum. Bei uns bildet der<br />
Orchestergraben manchmal eine Barriere.<br />
blimu: Welches sind Stücke, die Ihnen persönlich<br />
besonders gut gefallen?<br />
EP: Für mich besteht das hohe Gut des <strong>Musical</strong>s<br />
im Zusammenkommen von Tanz, Gesang und<br />
Schauspiel – es ist das, was zählt. Daher ist für<br />
mich der Energiepol in den Stücken entscheidend<br />
dafür, wie kraftvoll eine Message herübergebracht<br />
wird. »Kinky Boots« beispielsweise ist so etwas<br />
wie das »La Cage aux Folles« der heutigen Zeit.<br />
Die Botschaft dahinter, ohne dass man mit dem<br />
Schuhlöffel draufschlägt, ist einfach enorm – wenn<br />
man sie als Zuschauer zulässt. Ich habe auch erlebt,<br />
dass Ehegatten ganz konsterniert darin sitzen,<br />
wenn Lola das erste Mal auftritt. Da ist erst<br />
einmal Schubladendenken am Werk. Doch dann<br />
schafft die Show es, den Menschen hinter dem<br />
Äußeren zu zeigen. Das ist eine Stärke des <strong>Musical</strong>s<br />
und gilt auch für Stücke wie »Anatevka«,<br />
»Hair«, »Evita« oder auch »Jesus Christ Superstar«.<br />
Stücke, bei denen die Aussage sehr groß ist<br />
und bei denen man als Regisseur die Chance hat,<br />
diese Message zum Publikum hin zu inszenieren.<br />
Das finde ich teilweise selbst sehr berührend.<br />
blimu: Wie sehen Sie, als jemand von der neuen<br />
Generation, die Zukunft des <strong>Musical</strong>s?<br />
EP: Mein größter Wunsch wäre, dass es mehr<br />
Intendanten gibt, die den Stellenwert des Unterhaltungstheaters<br />
höher bewerten. Möglicherweise<br />
muss dafür auch eine neue Generation an Intendanten<br />
kommen, weil viele in unserem Bereich<br />
ein »Nicht-Wissen« haben. Sicher werden wir,<br />
auch Kollegen wie Martin G. Berger, Felix Seiler<br />
und Stephan Sebastian Ritschel, gebucht, weil<br />
wir es mitbringen, aber ich denke, man könnte<br />
an jedem Haus drei <strong>Musical</strong>s spielen. Auf manchen<br />
Spielplänen stehen schon fünf <strong>Musical</strong>s parallel<br />
im Repertoire. Das ist für Deutschland eine<br />
enorme Entwicklung des Unterhaltungstheaters.<br />
Hierbei ist das Publikum wesentlich bestimmend,<br />
das in die Stadttheater geht und <strong>Musical</strong> verlangt.<br />
Ansonsten würde ich mir wünschen, dass sowohl<br />
die Entwicklung der Stücke als auch die Stückauswahl<br />
einen noch besseren Stand beim Zuschauer<br />
bekommen. Dass auch Stücke wie beispielsweise<br />
»Pippin«, die zunächst keinen großen Anklang<br />
haben, ihr Publikum finden.<br />
Wir haben glücklicherweise stellenweise eine<br />
Off-Broadway-Szene, in der sich einiges tut, aber<br />
bei den Stadttheatern ist das noch nicht so angekommen.<br />
Doch es gibt Häuser, die federführend<br />
sind im Unterhaltungstheater, und ich finde, dass<br />
man den Leuten nicht nur »Evita«, »West Side<br />
Story« und »Anatevka« vorsetzen muss. Ich fände<br />
es toll, wenn man in der Zukunft auch neue<br />
Wege bestreiten würde – egal, ob es deutsche<br />
Stücke sind, die eigens geschrieben werden, oder<br />
Stücke vom West End oder Broadway, die dort<br />
bereits erfolgreich sind. »next to normal« ist so<br />
ein Stück, das eine beispielhafte Entwicklung am<br />
deutschsprachigen Stadttheater erlebt hat. Man<br />
hat erkannt, dass das Thema viele Menschen angeht.<br />
Es wäre schön, wenn die Verlage sich mehr<br />
trauen würden und wir endlich große Titel an<br />
Stadttheatern spielen dürfen, die sonst nur von<br />
großen Firmen in Anspruch genommen werden.<br />
Das hätte eine ganz andere Dimension – auch<br />
musikalisch, da man Stücke wie »Der Glöckner<br />
von Notre Dame« natürlich mit einem Hauschor<br />
bestreiten könnte.<br />
blimu: Unsere Theaterlandschaft ist schon einzigartig.<br />
EP: So einzigartig, wie ich kürzlich gelesen habe,<br />
dass es einen Antrag gibt, das Konzept der Theaterlandschaft<br />
in Deutschland mit ihrer ganzen<br />
Organisation ins immaterielle Weltkulturerbe<br />
aufzunehmen. Das würde bedeuten, dass kein<br />
Haus mehr geschlossen werden darf. In einer<br />
aktuellen Statistik wurde veröffentlicht, dass in<br />
Deutschland 7000 Vorstellungen pro Jahr gespielt<br />
werden, gefolgt von Russland mit 1000<br />
Vorstellungen. Daran sieht man, welch wichtiger<br />
Beitrag zur Kultur hier gelegt wird. Ich bin<br />
ohnehin der Meinung, dass das Theater bei der<br />
Entwicklung der Gesellschaft eine entscheidende<br />
Rolle spielt – auch was die Verarbeitung negativer<br />
Themen in der Weltpolitik betrifft.<br />
blimu: Was würden Sie gerne ändern, um die<br />
Stellung des <strong>Musical</strong>s aufzuwerten?<br />
EP: Es gibt in Deutschland einen Theaterpreis,<br />
den »Faust«, in dem das Unterhaltungstheater<br />
0,0 Prozent gewürdigt wird. Es gibt nicht einmal<br />
eine Kategorie dafür. Immer noch nimmt eine<br />
Großzahl an Intendanten die Unterhaltungsbranche<br />
nicht ernst. Natürlich ist die Deutsche<br />
<strong>Musical</strong> Akademie in Berlin ein Wahnsinnsschritt<br />
für Deutschland, aber es geht dort nur<br />
um die neuen Stücke. Das ist zweifellos ein<br />
guter Ansatz für die Zukunft. Dennoch müssen<br />
auch die laufenden Produktionen gesehen<br />
werden. In Österreich schaffen sie es mit ihrem<br />
Musiktheaterpreis, alle Kategorien zu bedenken.<br />
Ich finde es faszinierend, dass in Deutschland<br />
Stücke, die erfolgreich sind und die Auslastungszahlen<br />
an den Theatern nach oben treiben,<br />
überhaupt nicht bedacht werden. Deshalb finde<br />
ich es wichtig, dass es so eine Figur wie Barrie<br />
Kosky gibt. Auch wenn man über seine Inszenierungen<br />
geteilter Meinung sein kann, es ist<br />
ihm gelungen, Aufmerksamkeit für das Genre<br />
zu wecken. Ich kämpfe um die Anerkennung<br />
des Unterhaltungsfaches und hoffe einfach, dass<br />
die Wertschätzung von Unterhaltung sowohl im<br />
deutschen Bühnenverein als auch bei den Intendanten<br />
in den nächsten Jahren noch mehr steigt.<br />
blimu: Vielen Dank für diese Einblicke in Ihren<br />
Werdegang und Ihr Engagement. Alles Gute für<br />
die kommenden Projekte.<br />
Das Interview führte Barbara Kern<br />
Erik Petersen während der Proben mit Oedo Kuipers, l.<br />
Foto: Jan-Philipp Behr<br />
Erik Petersen<br />
Theater- und Regieerfahrungen sammelte der Magdeburger<br />
u. a. als Regieassistent und Abendspielleiter bei<br />
den Bad Hersfelder Festspielen und an der Oper Dortmund,<br />
wo er mit Regisseuren wie Matthias Davids, Stefan<br />
Huber, Jens-Daniel Herzog und Mariame Clément<br />
zusammengearbeitet hat. Eine enge Zusammenarbeit<br />
verbindet ihn mit Gil Mehmert, dem er bei »Coco Schumann«<br />
an den Hamburger Kammerspielen, bei »Sunset<br />
Boulevard« bei den Bad Hersfelder Festspielen und bei<br />
»Jesus Christ Superstar« an der Oper Bonn assistierte.<br />
Bei den Magdeburger Domfestspielen war er als Co-Regisseur<br />
für »Les Misérables« engagiert und bei den Bad<br />
Hersfelder Festspielen für »Cabaret«.<br />
Inzwischen arbeitet er als freier Regisseur in allen Bereichen<br />
des Musiktheaters (<strong>Musical</strong>, Oper und Operette).<br />
Zu seinen <strong>Musical</strong>inszenierungen gehören »Evita« (Oldenburg<br />
und Darmstadt), »Crazy For You« (Magdeburg),<br />
»Der kleine Horrorladen« (Bonn), »Hair« (Domfestspiele<br />
Magdeburg), »My Fair Lady« (Theaterplatz Chemnitz),<br />
»Footloose« (Darmstadt) und »Jesus Christ Superstar«<br />
(Oldenburg).<br />
76 blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
Film & Fernsehen<br />
Märchenhafte <strong>Musical</strong>-Komödie<br />
»Prinz Charming« kommt ins Kino<br />
Schneewittchen (Avril Lavigne), Aschenputtel (Ashley Tisdale) und Dornröschen (G.E.M)<br />
Foto: splendid film<br />
Jeder kennt die Märchen von Aschenputtel, Schneewittchen<br />
und Dornröschen. Vanguard Animation<br />
und John H. Williams (Produzent der »Shrek«-Reihe)<br />
erzählen in der animierten <strong>Musical</strong>-Komödie »Prinz<br />
Charming« nun die Geschichten der Prinzessinnen aus<br />
der Sicht des Prinzen. Untermalt wird das amüsante<br />
Ganze mit einem Score von Tom Howe und Rock-Pop-<br />
Songs der australischen Sängerin und Songwriterin Sia<br />
sowie von Patrick Stump.<br />
Als Baby wurde Prinz Charming von der bösen Nenemy<br />
verflucht: Jede Frau, die ihm in die Augen blickt,<br />
verliebt sich unsterblich in ihn! Im Laufe der Jahre sind<br />
dem Prinzen zahlreiche Frauen verfallen. Um den Fluch<br />
endlich zu brechen, stellt König Charming seinem Sohn<br />
ein Ultimatum: Findet er vor seinem 21. Geburtstag<br />
nicht die einzig wahre Liebe und hebt damit den Fluch<br />
auf, verliert er seinen Anspruch auf den Thron! Prinz<br />
Charming reagiert zunächst gelassen, da er bereits mit<br />
Aschenputtel, Dornröschen und Schneewittchen verlobt<br />
ist. Doch dann erkennt er, dass die drei Auserwählten<br />
vermutlich nur seinem Charme erlegen sind. Während<br />
die drei Prinzessinnen sich sicher sind, ihren ›Trophy<br />
Boy‹ gefunden zu haben, streift die selbstbewusste und<br />
schlagkräftige Lenore allein durchs Land. Als sie auf den<br />
Prinzen trifft, kann dessen Charme ihr nichts anhaben.<br />
Sie bleibt sich treu: ›Not Changin'‹ (interpretiert von<br />
Catherine »Cat« Missal). Lediglich an dem königlichen<br />
Vermögen interessiert, ersinnt sie einen Plan. Als der<br />
Prinz zu einer Reise der Selbstfindung und zur Bestätigung<br />
seiner Männlichkeit aufbricht, bietet sich Lenore<br />
in Verkleidung des freundlichen Lenny als Wegbegleiter<br />
an. Gemeinsam entdecken sie und der Prinz das Dorf<br />
der Riesinnen. Während einer fröhlichen Party zu den<br />
Klängen von ›Charmin Anthem‹ (Text und Gesang von<br />
Steve Aoki) lernen sie das Halb-Orakel namens Matilija<br />
kennen. Diese gibt ihnen einen Ratschlag: ›Balladino‹<br />
(Text und Gesang von Sia). Da das Halb-Orakel jedoch<br />
auf einem Auge blind ist, stimmt nur die Hälfte ihrer<br />
Voraussagen. Und so stolpert das Duo von einem Abenteuer<br />
in das nächste. Doch erstaunlicherweise schlägt<br />
sich der Prinz während seines Kampfes mit einem steinernen<br />
Monster so gut, das Lenore einen Blick hinter<br />
seine strahlende Fassade erhascht. Je größer die Hürden<br />
werden, desto häufiger müssen sie und er als Team zusammenarbeiten.<br />
Als Lenore wieder als sie selbst auf den<br />
Prinzen trifft, ist plötzlich alles ›Magical‹, wie sie beide<br />
in dem Song von Sia (Furler) und Christopher Braide<br />
erkennen. Doch die böse Nenemy setzt alles daran, die<br />
Liebenden wieder zu trennen. Fast scheint ihr düsterer<br />
Plan aufzugehen, bis der Prinz sich freiwillig für sein<br />
Volk opfert und in der letzten Sekunde durch die wahre<br />
Liebe gerettet wird.<br />
Der Animationsfilm spielt mit den bekannten Märchenelementen,<br />
setzt diese neu und amüsant zusammen.<br />
Die Figuren präsentieren ihre Stimmen durch die<br />
schwungvollen Songs: Aus der Feder von Sia stammen<br />
die Songs ›Magical‹ und ›Balladino‹, die von Demi Lovato<br />
bzw. ihr selbst interpretiert werden. »Fall Out Boy«-<br />
Frontman Patrick Stump hat den Song ›Trophy Boy‹ beigesteuert,<br />
der von den drei Prinzessinnen – im Original<br />
interpretiert von Avril Lavigne, Ashley Tisdale und G.E.M.<br />
– gesungen wird. In der deutschen Fassung leiht der »musical.ly«-Star<br />
Selina Mour (›Hold Me‹) Schneewittchen<br />
die Stimme. Auch die im Hintergrund gespielten Songs<br />
›Avalanche‹ (Nick Jonas & Demi Lovato) und ›Somebody<br />
to You‹ (»The Vamps« &<br />
Demi Lovato) untermalen die<br />
Gefühlswelt der Figuren wirkungsvoll.<br />
Abgerundet wird<br />
der Film mit einem Abspann,<br />
der mit ›Charming‹ die Höhen<br />
und Tiefen der wahren Liebe<br />
zusammenfasst.<br />
Sandy Kolbuch<br />
Prinz Charming<br />
3QU Media & Vanguard Animation<br />
splendid film<br />
Deutscher Kinostart: 2. August 20<strong>18</strong><br />
Länge: 85 Minuten<br />
Regie & Drehbuch ......... Ross Venokur<br />
Filmschnitt ........................... Rob Neal<br />
Score ................................. Tom Howe<br />
Songs ..... Sia (Furler), Christopher Braide,<br />
Patrick Stump, Manny Streetz Guevara,<br />
David Kater, Nicolas Jerry Jonas, Jason<br />
Dean, Joe Kirkland, TJ Routon, Michel<br />
Heyaca, Carl Anthony Falk, Savan<br />
Kotecha, Kristian Lundin<br />
Musik. Leitung ........ Christophe Braide<br />
Orchestrierung ............... Tom Howe &<br />
David Krysal<br />
Chor........................ »The Bach Choir«<br />
Produktionsdesign ......... Michel Breton<br />
Lighting Supervision .... Matthew Clubb<br />
Visual Effects Supervision ............. Alex<br />
Parkinson<br />
Sounddesign ................ Olivier Calvert<br />
Dialogbuch &<br />
Dialogregie ............ Heiko Obermöller<br />
Synchronstudio ...... Splendid Synchron<br />
Soundtrack .... Harry Gregson-Williams<br />
Produzenten ......... John H. Williams &<br />
Patrick Worlock<br />
Lenore / Lenny .............. Demi Lovato /<br />
Mayke Dähn<br />
Prinz Charming .... Wilmer Valderrama /<br />
Christian Wunderlich<br />
Halb-Orakel ..... Sia / Daniela Bette-Koch<br />
Schneewittchen ............. Avril Lavigne /<br />
Selina Mour<br />
Aschenputtel ............... Ashley Tisdale /<br />
Fabienne Hesse<br />
Dornröschen .... G.E.M / Jana Julie Kilka<br />
Nemeny ...... Nia Vardalos / Ilya Welter<br />
Die gute Fee /<br />
Henker .... John Gleese / Gerd Kilbinger<br />
König Charming.......... Jim Cummings /<br />
Volker Wolf<br />
Abb. unten:<br />
Lenore (Demi Lovato) und Prinz Philippe<br />
Charming (Wilmer Valderrama)<br />
Foto: splendid film<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong> 77
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
Neues aus den USA<br />
zusammengestellt von Richard C. Norton<br />
Tony Awards<br />
Die Broadway-Saison 2017/<strong>18</strong> schließt mit der<br />
jährlichen Verleihung der Tony Awards, bei denen<br />
der Kritiker-Favorit »The Band's Visit« (vgl.<br />
blimu 06/17) 10 Preise abräumt: »Best <strong>Musical</strong>«,<br />
»Best Book of a <strong>Musical</strong>« (Itamar Moses), »Best<br />
Original Score« (David Yazbek), »Best Director<br />
of a <strong>Musical</strong>« (David Cromer), »Best Actor« und<br />
»Best Actress in a <strong>Musical</strong>« (Tony Shalhoub und<br />
Katrina Lenk), »Best Featured Actor in a <strong>Musical</strong>«<br />
(Ari'el Stachel) und »Best Lighting«, »Best<br />
Sound«, »Best Orchestrations in a <strong>Musical</strong>«.<br />
Als »Best Revival« wird »Once on This Island«<br />
(vg. blimu 01/<strong>18</strong>) ausgezeichnet, das »My Fair<br />
Lady« und »Carousel« hinter sich lässt.<br />
»Carousel« (diese <strong>Ausgabe</strong>) wird ausgezeichnet<br />
für »Best Choreography« (Justin Peck), »SpongeBob<br />
SquarePants« (vgl. blimu 01/<strong>18</strong>) für<br />
»Best Scenic Design« (David Zinn) und »My<br />
Fair Lady« (diese <strong>Ausgabe</strong>) für »Best Costume<br />
Design« (Catherine Zuber).<br />
Samantha Barks als<br />
»Pretty Woman«<br />
Foto: Andrew Eccles<br />
»The Band's Visit« am Broadway 2017<br />
Foto: Matthew Murphy<br />
Vorhang zu und Vorhang auf<br />
In Kürze schließen »Hello, Dolly!« (vgl. blimu<br />
<strong>04</strong>/17), wobei Bette Midler die letzten Wochen<br />
noch einmal die Titelrolle spielt, und<br />
»Escape to Margaritaville« (vgl. blimu<br />
03/<strong>18</strong>).<br />
Dafür starten drei neue <strong>Musical</strong>s im<br />
Sommer:<br />
»Head Over Heels« (Previews ab 23. Juni,<br />
Premiere am 26. Juli 20<strong>18</strong> im Hudson Theatre)<br />
lebt von der Musik der Frauen-Rockband<br />
»The Go-Go's«. Die Schöpfer der 1980er Hits<br />
›We Got the Beat‹ und ›Our Lips Are Sealed‹ liefern<br />
die Partitur der berauschenden, turbulenten<br />
Komödie, die von Sir Philip Sidneys Prosa-Poem<br />
»Arcadia« aus dem 16. Jahrhundert inspiriert ist.<br />
»Head Over Heels« schreibt Geschichte durch die<br />
Besetzung von Peppermint, der Zweitplatzierten<br />
der 9. Staffel der Reality-Show »RuPaul's Drag<br />
Race« (eine US-amerikanische Reality-Show, die<br />
»Amerikas nächsten Drag-Superstar« sucht). Sie<br />
wird die erste Darstellerin sein, die sich öffentlich<br />
zum Leben als transsexuelle Frau bekennt und<br />
eine Hauptrolle am Broadway kreiert.<br />
»Gettin' the Band Back Together« (Previews<br />
ab 19. Juli, Premiere am 13. August<br />
20<strong>18</strong> im Belasco Theatre) erzählt von dem<br />
40-jährigen Mitch Papadopoulos (gespielt<br />
von Mitchell Jarvis), der durch<br />
die Finanzkrise von jetzt auf gleich<br />
seinen Job an der Wall Street verliert<br />
und wieder bei seiner Mutter<br />
(Marilu Henner spielt Sharon Papadopoulos)<br />
einziehen muss. Als<br />
sein Highschool-Erzfeind sein<br />
Haus zwangsversteigern lässt, gewinnt Mitch<br />
seine früheren Bandkollegen dafür, sich wiederzuvereinigen,<br />
um ein letztes Mal das lokale<br />
Band-Battle zu bestreiten und sein Haus zurückzubekommen.<br />
John Rando (»Urinetown«) führt<br />
Regie bei dem <strong>Musical</strong>, das von Produzent Ken<br />
Davenport (»Once on This Island«-Revival) und<br />
den Entwicklern von »The Grundleshotz« auf die<br />
Beine gestellt wird. Mark Allen schrieb die Musik,<br />
mit Unterstützung von Sarah Saltzberg.<br />
»Pretty Woman: The <strong>Musical</strong>« (Previews<br />
ab 20. Juli, Premiere am 16. August 20<strong>18</strong> im<br />
Nederlander Theatre) basiert auf der gleichnamigen<br />
romantischen Filmkomödie, in der Julia Roberts<br />
und Richard Gere die Hauptrollen spielten.<br />
Garry Marshall (Regisseur des Films) und Drehbuchautor<br />
J.F. Lawton schrieben gemeinsam das<br />
Buch, die Musik kommt von Grammy-Gewinner<br />
Bryan Adams sowie Jim Vallance. Der Tonynominierte<br />
und Oliver-Award-Gewinner Andy<br />
Karl (»Groundhog Day« und »Rocky«) wird den<br />
reichen Geschäftsmann Edward Lewis spielen,<br />
dessen Leben Samantha Barks als Vivian auf den<br />
Kopf stellt. Kit wird von Orfeh (Karls Frau im<br />
wahren Leben) gespielt und in weiteren Rollen<br />
sind Eric Anderson (Mr Thompson), Kingsley<br />
Leggs (James Morse) und Jason Danieley (Philip<br />
Stuckey) zu sehen. Jerry Mitchell (»Kinky Boots«)<br />
wird inszenieren und choreographieren.<br />
»King Kong« (Previews ab 5. Oktober, Premiere<br />
am 8. November im Broadway Theatre)<br />
wurde seit der Weltpremiere 2013 in Melbourne<br />
komplett überarbeitet. Es spielen Christiani Pitts<br />
(Ann Darrow) und Eric William Morris (Filmregisseur<br />
Carl Denham). Der sechs Meter große<br />
78<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
Gorilla King Kong ist eine hochtechnisierte Animatronik-Figur,<br />
die von einer Gruppe von Puppenspielern<br />
und Luftakrobaten auf der Bühne<br />
zum Leben erweckt wird. Das Buch schrieb Jack<br />
Thorne (»Harry Potter and the Cursed Child«),<br />
die Musik Marius de Vries (»La La Land«,<br />
»Moulin Rouge«) und die Songs Eddie Perfect<br />
(»Beetlejuice«-<strong>Musical</strong>).<br />
»The Prom« (Previews ab 23. Oktober, Premiere<br />
am 15. November 20<strong>18</strong> am Longacre Theatre)<br />
ist eine Original-<strong>Musical</strong>-Komödie von Bob<br />
Martin, Chad Beguelin sowie Matthew Sklar und<br />
erzählt die Geschichte einer Gruppe exzentrischer<br />
Fachleute vom Broadway, die in eine kleine Stadt<br />
in Indiana fahren, um einer Highschool-Schülerin<br />
zu helfen, die vom Abschlussball ausgeschlossen<br />
wurde, weil sie ihre Liebste mitbringen wollte.<br />
Der Cast besteht aus verschiedenen beliebten<br />
<strong>Musical</strong>darstellern: Beth Leavel, Christopher Sieber<br />
und Brooks Ashmanskas. Inszeniert und choreographiert<br />
ist es von Casey Nicholaw (»Mean<br />
Girls«, »The Book of Mormon«).<br />
»The Cher Show« (Previews ab 1. November,<br />
Premiere am 13. Dezember 20<strong>18</strong> im Neil Simon<br />
Theatre) verbindet die Biographie mit den großen<br />
Hits von ›Gypsies, Tramps and Thieves‹ bis<br />
›If I Could Turn Back Time‹ und dem Duett mit<br />
Sonny Bono: ›I Got You Babe‹. Es benötigt drei<br />
Darstellerinnen, um einen Star wie Cher zu porträtieren.<br />
Tony-Award-Sieger Rick Elice (»Jersey<br />
Boys«) hat das Leben des Popstars in drei Bereiche<br />
geteilt: Babe, Star und Lady – dargestellt von<br />
Micaela Diamond, Teal Wicks und Stephanie J.<br />
Block. Jarrod Spector (»Beautiful«) spielt Sonny<br />
Bono. Der legendäre Kostümdesigner Bob Mackie,<br />
der in Zusammenarbeit mit Cher über die<br />
Jahre unzählige Looks der Pop-Ikone kreiert hat,<br />
ist ebenfalls Teil des Kreativteams.<br />
Das Gesicht von King Kong<br />
Foto: James Morgan<br />
Tryouts und im Kommen<br />
Um seine Anwartschaft auf den Broadway zu<br />
bekräftigen, gibt »Moulin Rouge!« im Bostoner<br />
historischen Emerson Colonial Theatre ein<br />
Sommer-Tryout. Aaron Tveit (»Catch Me If You<br />
Can«) und Karen Olivo (»In the Heights«) verkörpern<br />
die Hauptrollen unter Regie von Alex<br />
Timbers (»Rocky«).<br />
»Hadestown«, Anaïs Mitchells gepriesene<br />
Folk Opera, die 2016 im New York Theatre<br />
Workshop ihr Debüt gegeben hat, plant nach einer<br />
Vorstellungsserie im Londoner National Theatre<br />
den Transfer an den Broadway. Regisseur Rachel<br />
Chavkin (»Natasha, Pierre & Great Comet<br />
of <strong>18</strong>12«) inszeniert die Show, die dem Mythos<br />
von Orpheus folgt, der verlangt, den Hades betreten<br />
zu dürfen, um seine wahre Liebe Eurydike<br />
wiederzugewinnen. Musikalisch ist das Stück von<br />
den Traditionen klassischer amerikanischer Folkmusik<br />
und hervorragendem New Orleans Jazz inspiriert.<br />
Die leitenden Produzenten Mara Isaacs,<br />
Dale Franzen, Hunter Arnold und Tom Kirdahy<br />
planen, das <strong>Musical</strong> 2019 an den Broadway zu<br />
bringen.<br />
der in Person der weiblichen Dorothy Michaels<br />
ein Engagement erhält. David Yazbek komponierte<br />
die Musik, das Buch schrieb Robert Horn und<br />
Regie führt Scott Ellis.<br />
»Dave« basiert auf der Oscar-nominierten<br />
Filmkomödie mit Kevin Kline und ist vom 13.<br />
Juli bis 19. August 20<strong>18</strong> im Arena Stage's Kreeger<br />
Theater in Washington, D.C. zu sehen. Drew<br />
Gehling (»Waitress«) verkörpert sowohl den Präsidenten<br />
Bill Mitchell als auch die Titelrolle. Das<br />
Buch für das neue <strong>Musical</strong> schrieben der dreifache<br />
Tony-Gewinner Thomas Meehan (»Annie«,<br />
»Hairspray«, »The Producers«) und Nell Benjamin<br />
(»Mean Girls«, »Legally Blonde«), welche auch die<br />
Liedtexte verfasste. Die Musik komponierte der<br />
Pulitzer Preis- und zweifache Tony-Gewinner Tom<br />
Kitt (»next to normal«, »If/Then«). Regie führt<br />
Tina Landau (»SpongeBob SquarePants«).<br />
»Tootsie: The <strong>Musical</strong>« ist eine Adaption des<br />
Dustin-Hoffman-Films. Das <strong>Musical</strong> wird am<br />
11. September Weltpremiere am Chicagoer Cadillac<br />
Palace Theatre feiern, mit Option auf den<br />
Broadway im Frühjahr 2019. Santino Fontana<br />
(»Hello, Dolly!«, »Cinderella«) wird die Hauptrolle<br />
des kämpferischen Michael Dorsey spielen,<br />
Dan Dwyer<br />
dt. von Leonie Löffler &<br />
Beate Luszeit<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
79
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
Eine Schande für die »Discoqueen«<br />
»Summer: The Donna Summer <strong>Musical</strong>« am Broadway<br />
Summer:<br />
Das Donna Summer <strong>Musical</strong><br />
Diverse Komponisten / Donna Summer /<br />
Colman Domingo / Robert Cary /<br />
Des McAnuff<br />
La Jolla Playhouse<br />
Tommy Mottola, »The Dodgers«,<br />
Lauren Mitchell<br />
Lunt-Fontanne Theatre New York<br />
Broadway-Premiere: 23. April 20<strong>18</strong><br />
Direction ....................... Des McAnuff<br />
Music Direction ....... Victoria Theodore<br />
Music Supervision &<br />
Arrangements .................. Ron Melrose<br />
Orchestrations .................. Bill Brendle<br />
Choreography ............... Sergio Trujillo<br />
Fight Direction ................ Steve Rankin<br />
Scenic Design ................... Robert Brill<br />
Costume Design ............. Paul Tazewell<br />
Wig Design .......... Charles G. LaPointe<br />
Lighting Design ........... Howell Binkley<br />
Projection Design .... Sean Nieuwenhuis<br />
Sound Design ............... Gareth Owen<br />
Diva Donna / Mary Gaines .... LaChanze<br />
Disco Donna ............... Ariana DeBose<br />
Duckling Donna / Mimi .... Storm Lever<br />
Neil Bogart / Gunther ...... Aaron Krohn<br />
Andrew Gaines ............ Ken Robinson<br />
Bruce Sudano .................... Jared Zirilli<br />
David Geffen .............. Mackenzie Bell<br />
Giorgio Moroder ......... Kaleigh Cronin<br />
Bob .............................. Rebecca Riker<br />
Joyce Bogart ..................... Jessica Rush<br />
Adult Mary Ellen ............... Anissa Felix<br />
Young Mary Ellen /<br />
Brooklyn ............... Wonu Ogunfowora<br />
Adult Dara .... Christina Acosta Robinson<br />
Young Dara /<br />
Amanda ................. Kimberley Dodson<br />
Brian / Helmuth Sommer /<br />
Fight Captain ..... Drew Wildman Foster<br />
Michael / Maid / ›To Turn the Stone‹<br />
Solo ................................... Afra Hines<br />
Norman Brokaw /<br />
Dance Captain .............. Jenny Laroche<br />
Pete Bellote /<br />
Don Engel .................. Kaye Tuckerman<br />
Pastor ......................... Harris M. Turner<br />
In weiteren Rollen:<br />
Angelica Beliard, Aurelia Michael,<br />
Jody Reynard, Kim Steele<br />
Die drei Donnas im Finale mit Ensemble<br />
Foto: Matthew Murphy<br />
Trotz seines enormen Potentials ist »Summer: The<br />
Donna Summer <strong>Musical</strong>« nicht nur eine Schande<br />
für das Genre des Jukebox-<strong>Musical</strong>s, sondern es rückt<br />
auch das Leben der »Discoqueen« in ein ausgesprochen<br />
fades Licht. Zu groß ist die Bedeutung dieser Frau für<br />
die amerikanische Popkultur, als dass die Show ihr gerecht<br />
werden könnte. Das Trio höchst talentierter Darstellerinnen,<br />
die mit beeindruckender Stimmgewalt und<br />
Autorität Summer zu den verschiedenen Zeitpunkten<br />
ihres Lebens verkörpern, kann nicht das trostlose Buch<br />
kompensieren, welches in Kooperation von Colman<br />
Domingo, Robert Cary und Des McAnuff entstand.<br />
Letzterer führt außerdem Regie. Es ist schade und zugleich<br />
Ironie vom Feinsten, dass gerade McAnuff auch<br />
bei der Tony- und Olivier-ausgezeichneten Show »Jersey<br />
Boys« Regie führte – der Show, welche sich als Jukebox-<br />
<strong>Musical</strong> einen Namen im Bereich des »seriösen« <strong>Musical</strong>theaters<br />
machte.<br />
Diva Donna (LaChanze), die älteste der drei Donnas,<br />
erzählt mehr oder weniger chronologisch, jedoch<br />
mit einigen Zeitsprüngen ihre eigene Geschichte. Geboren<br />
als LaDonna Adrian Gaines, wächst sie in einem<br />
afrikanischen, streng adventistisch-episkopalen Haushalt<br />
auf, der vom autoritären und lieblosen Vater dominiert<br />
wird. Beste Voraussetzungen für ein Leben voller<br />
Schwierigkeiten. Inspiriert durch ihr Debüt als Solistin<br />
im Kirchenchor, von dessen Leiter sie missbraucht wird,<br />
entflieht LaDonna der High School, um in Manhattan<br />
bei einer Audition vorzusingen. Dort wird sie für eine<br />
deutsche Produktion von »Hair« engagiert. Das Leben<br />
in München bringt einen deutschen Ehemann, den<br />
Nachnamen Sommer (ein Schreibfehler auf ihrem ersten<br />
Album machte daraus »Summer«, wobei sie dann<br />
blieb), und – bis zu ihrer Aufnahme von ›Love to Love<br />
You Baby‹ für den italienischen Produzenten Giorgio<br />
Moroder (Kaleigh Cronin) – lediglich moderaten Erfolg<br />
mit sich. Amerikanische Unterstützer bringen die Aufnahme<br />
mit der Schwulen-Disko-Szene in Verbindung,<br />
welche in den Großstädten boomt. Summer protestiert<br />
schwach, dass sie nicht als Discoqueen abgetan werden<br />
möchte, aber der Erfolg holt sie ein – der Rest ist Geschichte.<br />
Weiteres Thema in »Summer« ist die Ausnutzung<br />
von Donna durch die Plattenindustrie und nicht<br />
zuletzt durch Männer im Allgemeinen – bis sie ihren<br />
zweiten und letzten Ehemann Bruce Sudano (Jared Zirilli)<br />
kennenlernt, sich mit ihm niederlässt, Zeit in ihre<br />
Familie investiert und die positiven Wurzeln des Christentums<br />
für sich entdeckt. Letzten Endes erliegt sie<br />
einem Krebsleiden. Ihr größtes Vermächtnis sind ihre<br />
ihr treu ergebenen Töchter: Summers öffentliche Rolle<br />
als Diva tritt angesichts ihrer Mutterschaft in den Hintergrund.<br />
Was ihre Existenz als »Schwulenikone« (im<br />
Original: gay diva) angeht, bringt diese Show Licht ins<br />
Dunkel: Die homosexuelle Kultur, in der Summer aufblühte,<br />
ist – frei nach Lord Alfred Douglas, welcher dies<br />
über seine Gefühle für Oscar Wilde schrieb – ein Phänomen,<br />
das nicht wagt, beim Namen genannt zu werden<br />
(Originalzitat: »The love that dare not speak its name«).<br />
Mit raffiniertem, dramaturgischem Geschick hat<br />
McAnuff 23 Musikstücke in das Buch integriert, welche<br />
original von Donna Summer aufgenommen und in<br />
vielen Fällen auch von ihr mitgeschrieben wurden. Bei<br />
den meisten handelt es sich um ihre sofort erkennbaren<br />
Paradehits, wobei aber der Eindruck entsteht, dass diese<br />
nichts mit der explodierenden Schwulenkultur zu tun<br />
haben, aus welcher sie hervorgegangen sind. Falls es je<br />
80<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
ein <strong>Musical</strong> gab, das geradezu nach einem männlichen –<br />
wenn nicht sogar schwulen (als Homosexueller darf ich<br />
das sagen) – Ensemble schreit, dann ist es »Summer«.<br />
Das Tanzensemble ist aber ausnahmslos weiblich.<br />
Thema des Stückes hätte sein sollen, wie Summers<br />
Discomusik der Schwulenkultur den Aufschwung zum<br />
Mainstream ermöglicht hat – genauso wie »Dreamgirls«<br />
thematisiert, wie die Symbiose aus Diana Ross und »The<br />
Supremes« der Black Music half, als Mainstream-Pop<br />
anerkannt zu werden. Stattdessen kreierten McAnuff<br />
und Co. eine Parabel auf die Befreiung der Frauen sowie<br />
die spirituelle Loslösung von Objektivierung und<br />
Kommerzialisierung. Wie konnte ein nettes, christliches<br />
Mädchen aus Boston (keines der »Bad Girls«, von welchen<br />
sie singt) unfreiwillig zur Ikone der internationalen<br />
Schwulenszene werden? Hatte denn keiner, der an dieser<br />
Produktion beteiligt war, auch nur IRGENDEINEN<br />
Sinn für Humor?<br />
Die Show buhlt von Beginn an mit ›I Feel Love‹ und<br />
Summers erstem Erfolgshit ›Love to Love You Baby‹ um<br />
unsere Aufmerksamkeit. Regie und Orchestrierung erwecken<br />
auf clevere Art und Weise und mit notwendiger<br />
Übersteuerung (es ist schließlich Disco!) Erinnerungen<br />
an den Sound von Summers Musik, so wie man sie zum<br />
allerersten Mal aus dem Walkman, in der Disco oder<br />
im Radio gehört hat: eine euphorisch synthetische, packende<br />
Mischung aus ohrenbetäubendem Schlagzeug,<br />
begnadeten Streichern, pointiert eingesetzten Bläsern<br />
und primitiver Elektronik. Summers kehlige Altstimme<br />
passt perfekt dazu: teils süß, teils zornig und gleichzeitig<br />
sowohl loyal gegenüber dem Kirchenchor als auch rebellisch<br />
– wie alle großartigen afroamerikanischen Diven<br />
der Popmusik.<br />
Tatsächlich sind die Stimmen der drei Donnas –<br />
Storm Lever (Duckling/Küken Donna), Ariana DeBose<br />
(Disco Donna) und LaChanze (Diva Donna) – die<br />
Stars der Show. Die junge Broadway-Newcomerin Lever<br />
verdient für ›On My Honor‹ jeden Respekt – eine<br />
gefühlvolle Ballade, in der es darum geht, wie einem<br />
braven Mädchen Leid angetan wird. DeBose (die ihre<br />
Beine sehr hoch bekommt, wenn sie sich in das Tanzensemble<br />
eingliedert) gibt gegen Mitte der Show bei<br />
›She Works Hard for the Money‹ Vollgas. Jede Diva hat<br />
ihren großen Auftritt, bei dem sie einen unglaublichen<br />
Stimmumfang unter Beweis stellen kann. Dies gilt vor<br />
allem für DeBose und LaChanze mit dem ergreifenden<br />
Gospelstück ›I Believe in Jesus‹. LaChanze (Tony<br />
Award für »The Color Purple« 2006) übertrifft sich mit<br />
›Unconditional Love‹ nochmal selbst, wenn die private<br />
Donna im fortgeschrittenen Alter mit ihrer eigenen Familiengeschichte<br />
abschließt und sich um ihre Töchter<br />
kümmert. LaChanze brilliert zudem in ihrem Schauspiel<br />
bei der eigennützigen Entschuldigung Summers<br />
für ihre verunglimpfenden und homophoben Kommentare<br />
über Schwule und AIDS: irgendwie gelingt es La-<br />
Chanze, Summer dennoch als sympathischen Charakter<br />
darzustellen.<br />
Die Choreographien von Sergio Trujillo (ebenfalls<br />
»Jersey Boys«) enthalten ab und zu ein paar zeitgemäße<br />
Discomoves, gleiten aber doch größtenteils<br />
in 08/15-Broadway-Popdance ab, der an modernes<br />
Kreuzfahrtentertainment erinnert. Das Bühnenbild<br />
besteht aus einem offenen, kühlen und sterilen weißen<br />
Hintergrund, auf welchem Projektionen einzelne Kulissenelemente<br />
ergänzen. In diesen Projektionen ist soviel<br />
Storm Lever als Duckling Donna<br />
Ariana DeBose als Disco Donna<br />
Fotos (3): Matthew Murphy<br />
Bewegung enthalten, wie es Songs im gesamten Stück<br />
gibt. Zum Ende der eindreiviertel Stunden andauernden,<br />
pausenlosen Show kommt der Doppelschlag von<br />
Summers zwei größten Discohits zum Finale und zum<br />
Schlussapplaus: ›Hot Stuff‹ und (Überraschung!) ›Last<br />
Dance‹. Schließlich werden Discokugeln herabgelassen,<br />
es kommt zur emotionalen Wiedervereinigung der drei<br />
Donnas und das Publikum ist – genau wie beim Finale<br />
von »Mamma Mia!« – auf den Füßen. Es gibt ein, zwei<br />
lustige Momente im Stück, aber von Nervenkitzel ist<br />
keine Spur. In der Disco wird es leise. Und die Musik<br />
geht aus.<br />
LaChanze als Diva Donna<br />
Dan Dwyer<br />
dt. von Veronika Arenz &<br />
Beate Luszeit<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
81
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
Mehr Show, weniger Shaw<br />
»My Fair Lady« Revival am Broadway<br />
›The Rain in Spain‹ – Henry Higgins (Harry Hadden-Paton), Eliza (Lauren Ambrose) und Colonel Pickering (Allan Corduner)<br />
Foto: Joan Marcus<br />
My Fair Lady<br />
Frederick Loewe / Alan Jay Lerner<br />
Lincoln Center Theater New York<br />
The Vivian Beaumont Theater<br />
Premiere: 19. April 20<strong>18</strong><br />
Direction ......................... Bartlett Sher<br />
Music Direction ............... Ted Sperling<br />
<strong>Musical</strong> Arrangements .... Robert Russell<br />
Bennett & Philip J. Lang<br />
Dance Arrangements ....Trude Rittmann<br />
Choreography ...... Christopher Gattelli<br />
Set Design ................. Michael Yeargan<br />
Costume Design ........ Catherine Zuber<br />
Hair & Wig Design ........... Tom Watson<br />
Lighting Design ........... Donald Holder<br />
Sound Design ............... Marc Salzberg<br />
Eliza Doolittle ........... Lauren Ambrose<br />
Henry Higgins ..... Harry Hadden-Paton<br />
Alfred P. Doolittle ..... Norbert Leo Butz<br />
Mrs Higgins ...................... Diana Rigg<br />
Colonel Pickering ........ Allan Corduner<br />
Freddy Eynsford-Hill .... Jordan Donica<br />
Mrs Pearce ................ Linda Mugleston<br />
Zoltan Karpathy ............ Clarke Thorell<br />
In weiteren Rollen:<br />
Cameron Adams, Shereen Ahmed,<br />
Kerstin Anderson, Heather Botts,<br />
Rebecca Eichenberger, SuEllen Estey,<br />
Christopher Faison, Steven Trumon<br />
Gray, Adam Grupper, Michael Halling,<br />
Joe Hart, Todd A. Horman, Sasha<br />
Hutchings, Kate Marilley, Liz<br />
McCartney, Justin Lee Miller, Rommel<br />
Pierre O'Choa, Keven Quillon, JoAnna<br />
Rhinehart, Tony Roach, Lance Roberts,<br />
Blair Ross, Christine Cornish Smith,<br />
Paul Slade Smith, Samantha Sturm,<br />
Matt Wall, Michael Williams, Minami<br />
Yusui, Lee Zarrett<br />
In einem überdimensionierten Revival von »My Fair<br />
Lady« am Vivian Beaumont Theater im New Yorker<br />
Lincoln Center wird Shaw von viel Show verdrängt.<br />
Doch trotz allem behalten Frederick Loewes wunderbare<br />
Musik und Alan Jay Lerners alterslose Texte die<br />
Oberhand in diesem heiß geliebten, auf George Bernard<br />
Shaws Theaterstück »Pygmalion« basierenden <strong>Musical</strong><br />
über das gewöhnliche, Cockney-Slang sprechende Blumenmädchen<br />
aus Londons Arbeiterviertel East End,<br />
Eliza Doolittle, und den elitären Phonetik-Professor<br />
Henry Higgins. Einmal mehr versucht der Regisseur<br />
Bartlett Sher, im Lincoln Center eine sowohl bombastische<br />
Inszenierung als auch völlig neuartige, einfühlsame<br />
Version dieses <strong>Musical</strong>-Klassikers zu kreieren. Dieser<br />
Ansatz funktionierte großartig bei »South Pacific«<br />
(2008), jedoch weniger erfolgreich bei »The King and I«<br />
(2015). »My Fair Lady« landet mit einigem Abstand auf<br />
dem dritten Platz.<br />
Shers bisherige <strong>Musical</strong>-Revivals am Vivian Beaumont<br />
Theater spielten an weitläufigen Pazifikstränden<br />
oder in großartigen asiatischen Palästen und passten damit<br />
auf diese Bühne, die Größte am Broadway (in ganz<br />
Manhattan sind nur die Bühnen der Radio City Music<br />
Hall und der Metropolitan Opera noch größer). Aber<br />
mal abgesehen von den berühmten Ensemble-Szenen in<br />
»My Fair Lady« – Covent Garden, das Rennen in Ascot,<br />
Elizas Ball-Debüt – spielt die Geschichte überwiegend<br />
in privaten Räumen, vor allem in Higgins' Bibliothek.<br />
Dafür konstruierte der Bühnenbildner Michael Yeargan<br />
eine riesige, zweistöckige Bibliothek auf einer beweglichen<br />
Bühne, die mehrfach von hinten nach vorne und<br />
wieder zurück gezogen wird. Das Hin und Her dieses<br />
Giganten ist ablenkend und seine Ausmaße unpassend<br />
für den intimen Machtkampf, der sich nach und nach<br />
zwischen Eliza und Higgins entwickelt. Das soll nicht<br />
heißen, dass »My Fair Lady« ein Kammermusical wäre,<br />
aber es ist eher eine Erzählung, die sich in »Kammern«<br />
abspielt. Am Vivian Beaumont Theater schwebt vieles<br />
davon im freien Raum.<br />
Die dekorativen Elemente in Higgins' Wirkungsstätte<br />
sind eigentümlich. Die Bibliothek wird an einem<br />
Ende dominiert durch ein riesiges, über zwei Etagen<br />
reichendes Fenster im Stil des Palladianismus (klassizistisch<br />
geprägter Baustil, Anm. d. Red.), das eher in eine<br />
heutige, neureiche Vorort-Siedlung passen würde als in<br />
einen ordentlichen viktorianischen Haushalt. Eine weitere<br />
Skurrilität ist, dass die Wände der Bibliothek mit<br />
abstrakter Malerei geschmückt sind, ausgerechnet auch<br />
noch im Stil des abstrakten Expressionismus aus der<br />
Mitte des Jahrhunderts – vielleicht als Hinweis gedacht,<br />
dass Higgins ein »moderner Mann« sein soll, ganz nach<br />
Shaws Vorbild.<br />
Aber in Shers Inszenierung ist Henry Higgins nicht<br />
sonderlich kompliziert. Jonathan Pryce dagegen spielte<br />
Higgins in der West End-Produktion von 2002 als<br />
Freud'schen Neurotiker. Shaws Higgins kann ausgesprochen<br />
gemein, sexistisch und grob sein. Hier hingegen,<br />
gespielt vom freundlichen, jungenhaften und gutaussehenden<br />
West-End-Liebling Harry Hadden-Paton<br />
(»Downton Abbey«), ist Higgins teils Muttersöhnchen,<br />
teils Peter Pan mit »Ich will nicht erwachsen werden«-<br />
Einstellung. Diesem Higgins mangelt es an Biss: Als sein<br />
Bühnenpartner, Colonel Pickering, sich fragt, was wohl<br />
aus Eliza werden soll, falls Higgins' Umerziehungsversuche<br />
scheitern, klingt dessen scharfe Erwiderung, er würde<br />
sie wieder »in die Gosse« zurückwerfen, bei Hadden-<br />
82<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
Paton wie eine unwichtige Nebenbemerkung.<br />
Lauren Ambrose ist ausgezeichnet als Eliza. Ihre Gesangsstimme<br />
ist zwar für das Vivian Beaumont Theater<br />
recht klein, aber doch wandlungsfähig und gut in<br />
der Lage, die Veränderungen in Elizas Ausdrucksweise<br />
und Emotionen zu transportieren: von einem wehmütignaiven,<br />
in Cockney-Slang gesungenen ›Wouldn't It Be<br />
Loverly?‹ in der Eröffnungsszene am Covent Garden<br />
bis hin zum wütend-hochkultivierten ›Without You‹<br />
in Queen's English kurz vor Ende des <strong>Musical</strong>s. In den<br />
Dialogen klingt ihr Cockney-Akzent absolut fehlerfrei,<br />
doch leider sind einige ihrer Textzeilen unverständlich<br />
und ihr fehlt das passende Timing bei Elizas berühmtem<br />
Ausruf: »Move your bloomin' arse / Lauf schneller, oder<br />
ich streu dir Pfeffer in den Arsch!« beim Ascot-Rennen.<br />
Norbert Leo Butz als Elizas Vater Alfred P. Doolittle<br />
trägt bei ›A Little Bit of Luck‹ zu dick auf, stiehlt dann<br />
aber den anderen die Show mit dem Showstopper ›Get<br />
Me to the Church on Time‹ im 2. Akt. Die Tanzszenen<br />
sind eigentlich durchweg sehr schön – so auch in<br />
›The Rain in Spain‹ mit Eliza, Higgins und Pickering<br />
– in der Szene ›Get Me to the Church on Time‹ aber<br />
zieht Choreograph Gatelli sämtliche Register mit einem<br />
mitreißenden, herrlichen, aber auch schlüpfrigen<br />
Ensemble aus Doolittles Saufkumpanen, Flittchen und<br />
Dragqueens. In Gatellis Ensemble-Choreographie, während<br />
›Church‹ immer intensiver und lauter wird – fast<br />
drei Dutzend Darsteller schließen sich zu einer einzigen<br />
Tanzreihe zusammen, allen voran Butz, von der Mitte<br />
der Bühne rechts diagonal bis vorne links –, erreicht<br />
»My Fair Lady« für einen euphorischen, berauschenden<br />
Moment die mitreißende Magie, die das Musiktheater<br />
ausmacht.<br />
Zu den anderen Nebenrollen: Alan Corduner spielt<br />
Colonel Pickering ziemlich unauffällig, es fehlt Pickerings<br />
Zuneigung der verwandten Seele für Eliza. Altstar<br />
Diana Rigg spielt Higgins' Mutter so ziemlich als Diana<br />
Rigg. Jordan Donica als Freddy, der Aristokrat, der Eliza<br />
einen Heiratsantrag macht, bringt das berühmte ›On<br />
the Street Where You Live‹ mit seinem gefälligen Tenor.<br />
Catherine Zubers Kostüme zeigen viele Details, speziell<br />
die schrecklich vornehme Garderobe in der Ascot-<br />
Szene, wobei diese Kostüme, ganz nebenbei gesagt,<br />
erstaunliche Ähnlichkeit mit Cecil Beatons unglaublichem<br />
Kostümbild für die Filmversion von 1963 zeigen.<br />
Für Elizas gesellschaftliches Debüt beim Ball in der Botschaft<br />
kleidet sie Ambrose ganz gewagt in ein hautfarbenes<br />
Abendkleid im Art Deco-Stil.<br />
Neben ›Get Me … on Time‹ ist die andere spektakuläre<br />
Nummer ›The Embassy Waltz‹ als Eröffnung des<br />
2. Aktes, wenn das gesamte Orchester auf der Bühne<br />
spielt. Dickes Lob an den Sound Designer, Marc Salzberg,<br />
der ein separates Soundsystem dafür einplante,<br />
außerhalb des Orchestergrabens. Doch Yeargans Bühnenkonstruktion<br />
ist zum Kopfschütteln. Obwohl die<br />
Handlung 1913 spielt, steht das Orchester in drei Reihen<br />
auf der linken Bühnenseite, mit einem stabil wirkenden<br />
Notenständer vor jedem Musiker, was eher wie<br />
eine Nachtclub-Tanzband aus einem Astaire-Rogers-<br />
Film der 1930er wirkt, nicht wie ein Orchester in einem<br />
Ballsaal der viktorianischen Zeit.<br />
Alles in allem gelingt es der »My Fair Lady« im Lincoln<br />
Center immer wieder, zu beeindrucken, wenn auch<br />
die einzelnen Szenen nicht zusammen zu passen scheinen.<br />
Unter der musikalischen Leitung von Ted Sperling<br />
müssen Loewes Melodien einfach die Erwartungen er-<br />
Abb. oben:<br />
›On the Street Where You Live‹ – Freddy<br />
Eynsford-Hill (Jordan Donica)<br />
Abb. unten von links:<br />
1. ›Get Me to the Church on Time‹ –<br />
Alfred P. Doolittle (Norbert Lee Butz) und<br />
Ensemble<br />
2. Eliza (Lauren Ambrose, vorne mit<br />
Ensemble) beim Pferderennen in Ascot<br />
3. Eliza (Lauren Ambrose) als einfaches<br />
Blumenmädchen<br />
4. Henry Higgins (Harry Hadden-Paton)<br />
amüsiert sich über Eliza (Lauren Ambrose),<br />
die sich von ihm schlecht behandelt<br />
fühlt<br />
Fotos (5): Joan Marcus<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
83
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Alfred P. Doolittle (Norbert Lee Butz)<br />
erscheint bei Higgins, um Geld zu<br />
schnorren<br />
2. Henry Higgins (Harry Hadden-Paton)<br />
vermisst Eliza<br />
3. Eliza (Lauren Ambrose) hat sich nach<br />
der Demütigung durch Henry zu Mrs<br />
Higgins (Diana Rigg) geflüchtet<br />
Fotos (3): Joan Marcus<br />
füllen: Sie erwecken süße Erinnerungen an eine Langspielplatte<br />
mit der Originalbesetzung, die in vielen<br />
amerikanischen Haushalten in den späten 1<strong>95</strong>0ern und<br />
1960ern immer wieder auf der Stereoanlage gespielt<br />
wurde.<br />
Aber im Grunde schafft es diese »My Fair Lady«-<br />
Inszenierung nicht, Mitgefühl für Higgins oder Eliza<br />
zu erwecken. Dies ist DAS Möchtegern-Liebespaar des<br />
Musiktheaters, ein merkwürdiges Pärchen, zwei Exzentriker<br />
von verschiedenen Enden des sozialen Spektrums,<br />
denen es vielleicht vom Schicksal bestimmt ist, einen<br />
ewigen Geschlechterkrieg zu führen, aber hier gibt es<br />
nicht viel authentisches Konfliktpotential, das den Zuschauer<br />
bewegen könnte. In der berühmten Schluss-<br />
Szene, wenn Higgins Eliza fragt: »Where the devil are<br />
my slippers / Wo zum Teufel sind meine Hausschuhe?«,<br />
reißt Shers Eliza eine Seite aus dem Textbuch zu Ibsens<br />
»Nora«. Diese Eliza hat sich zu einer Person mit großer<br />
emotionaler Raffinesse entwickelt, was jedoch dieser<br />
Higgins nicht bemerkt hat: Eliza ist mehr eine Frau als<br />
Higgins ein Mann. Shers »My Fair Lady« macht einen<br />
großen, modernen Schritt vorwärts und verkehrt Higgins'<br />
Worte »Why can't a woman be more like a man /<br />
Warum kann eine Frau nicht sein wie ein Mann?« in ihr<br />
Gegenteil, wodurch er den Klassiker überraschend mit<br />
einem Ansatz heutiger Werte überlagert.<br />
Das ist alles schön und gut, doch das leidenschaftliche<br />
Anschwellen der letzten Takte von ›I Could Have<br />
Danced All Night‹ zum Schlussapplaus scheint nicht so<br />
ganz dazu zu passen. Es ist bittersüß, sicherlich, aber<br />
Shaws Doppelsinnigkeit ist doch romantischer.<br />
Dan Dwyer<br />
dt. von Beate Luszeit<br />
84<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
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<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
Insgesamt wenig erinnerungswürdig<br />
Revival von »Carousel« am Imperial Theatre New York<br />
Carousel<br />
Richard Rodgers / Oscar Hammerstein II.<br />
Imperial Theatre New York<br />
Premiere: 12. April 20<strong>18</strong><br />
Direction ........................ Jack O'Brien<br />
Music Direction &<br />
Supervision .................... Andy Einhorn<br />
Orchestration ............. Jonathan Tunick<br />
Dance Arrangements ....... David Chase<br />
Choreography .................... Justin Peck<br />
Fight Direction ................ Steve Rankin<br />
Scenic Design ............. Santo Loquasto<br />
Costume Design ................... Ann Roth<br />
Hair, Wigs &<br />
Makeup Design ......... Campbell Young<br />
Associates<br />
Lighting Design ......... Brian MacDevitt<br />
Sound Design .................. Scott Lehrer<br />
Billy Bigelow ..................... Joshua Henry<br />
Julie Jordan ........................ Jessie Mueller<br />
Nettie Fowler .................. Renée Fleming<br />
Carrie Pipperidge ......... Lindsay Mendez<br />
Enoch Snow ................ Corey John Snide<br />
(in bes. Vorst.) / Alexander Gemignani<br />
Mrs Mullin ...................... Margaret Colin<br />
The Starkeeper ... John Douglas Thompson<br />
Jigger Craigin ................... Amar Ramasar<br />
Louise ............................. Brittany Pollack<br />
1st Policeman ............... Antoine L. Smith<br />
Policeman /<br />
Heavenly Friend .......... Nicholas Belton /<br />
Ahmad Simmons<br />
Fairground Boy ................ Andrei Chagas<br />
Enoch Snow Jr. ................... Garett Hawe<br />
School Principal ........... Rosena M. Hill<br />
Jackson<br />
In weiteren Rollen:<br />
Colin Anderson, Yesenia Ayala, Colin<br />
Bradbury, Leigh-Ann Esty, Laura Feig,<br />
David Michael Garry, Amy Justman,<br />
Jess LeProtto, Skye Mattox, Kelly Mc-<br />
Cormick, Anna Noble, Adriana Pierce,<br />
Rebecca Pitcher, David Prottas, Amy<br />
Ruggiero, Craig Salstein, Corey John<br />
Snide (Dance Captain), Erica Spyres,<br />
Ryan Steele, Sam Strasfeld (Fight<br />
Captain), Halli Toland, Ricky Ubeda,<br />
Scarlett Walker, Jacob Keith Watson,<br />
William Youmans<br />
›If I Loved You‹ – Julie (Jessie Mueller) und Billy (Joshua Henry)<br />
Foto: Julieta Cervantes<br />
Trotz einer glorreichen Partitur und einer hervorragend,<br />
fast schon bahnbrechend gesungenen Performance<br />
in der männlichen Hauptrolle ist diese neueste<br />
Wiederaufnahme von »Carousel« leider nicht sonderlich<br />
erinnerungswürdig. Dennoch entpuppt sich die Liebestragödie<br />
des rastlosen Marktschreiers »Bad Boy« Billy<br />
Bigelow (Joshua Henry, zuletzt in »Violet« und »The<br />
Scottsboro Boys«) und der einzelgängerischen Fabrikarbeiterin<br />
Julie Jordon (Jessie Mueller, Tony für »Beautiful«)<br />
als allseits beliebte, lebensbejahende Geschichte<br />
von Schuld, Erlösung und der grundlegenden menschlichen<br />
Güte vor der Kulisse der Küste von Maine um die<br />
Wende zum 20. Jahrhundert.<br />
Als Nachfolger des Riesenerfolges »Oklahoma!« von<br />
Rodgers und Hammerstein II. feierte »Carousel« 1945<br />
seine Uraufführung. Das <strong>Musical</strong> basiert auf dem deutschen<br />
Theaterstück »Lilliom«, welches in den Vereinigten<br />
Staaten 1921 zum ersten Mal auf Englisch zu sehen war.<br />
Billy ist nicht wirklich für das Familienleben gemacht,<br />
aber als Julie ihm offenbart, dass sie sein Kind<br />
erwartet, entscheidet er sich, sein Leben auf Vordermann<br />
zu bringen, damit sein ungeborener Sohn »Billy<br />
Junior« nicht als solch ein »Taugenichts« wie er selbst<br />
endet. Nachdem sein finsterer Verbrecherkumpan Jigger<br />
ihn doch wieder auf einen zwielichtigen Pfad führt, geht<br />
ein Überfall auf Kosten Billys fürchterlich schief, und er<br />
hinterlässt die schwangere Julie als Witwe.<br />
Nach Jahren im Jenseits darf Billy, begleitet von The<br />
Starkeeper (»Sternenhüter«), zurück auf die Erde – nicht<br />
um sein Schicksal zu ändern, sondern vielmehr um seine<br />
Tochter (kein Sohn!) zu besuchen, sie auf die richtige<br />
Bahn zu bringen und somit seinen eigenen Frieden zu<br />
finden.<br />
Das Buch, geschrieben von Oscar Hammerstein II.,<br />
leidet unter dem Wandel der Zeit, als Julie offenbart,<br />
dass sie von Billy geschlagen wird. Im Licht der hochaktuellen<br />
»#MeToo-Bewegung« hinterlassen die Reaktionen<br />
der beiden – ihre Vergebung und seine Verteidigung:<br />
»ich habe sie nicht misshandelt, ich habe sie nur<br />
einmal geschlagen« – sowohl einen schalen Geschmack<br />
als auch die Erinnerung, dass sich vieles verändert, aber<br />
eben auch vieles einfach nicht.<br />
Die ersten zwanzig Minuten, von dem sofort verzaubernden<br />
›Carousel Waltz‹ über das fesselnde Duett<br />
›If I Loved You‹, enthalten so ziemlich die am besten<br />
musikalisch unterlegten Szenen in der anerkannten<br />
amerikanischen <strong>Musical</strong> Szene und gehören zu den<br />
Höhepunkten dieser Wiederaufnahme. Die Vorstellung<br />
der Charaktere Billy und Julie sowie ihres unerwarteten<br />
Zueinanderfindens fühlen sich harmonisch an – schön<br />
im Kontrast zu Julies bester Freundin Carrie und deren<br />
konservativen Erwartungen an ihren Mr Snow. Allerdings<br />
hält dieser gute Eindruck nicht lange an. Die<br />
Besetzung ruiniert den Zauber: Während Joshua Henry,<br />
der erste Afroamerikaner, der die Rolle des Bigelow<br />
bekleidet, die Rolle noch mit seiner körperlichen und<br />
stimmlichen Stärke erfüllt, vermisst man bei Jessie Mueller<br />
jegliche Sinnlichkeit Julies, obgleich sie eine herausragende<br />
stimmliche Leistung erbringt. Das Paar ist alles,<br />
außer leidenschaftlich oder gar sexy.<br />
Das Ergebnis des Castings für die Nebenrollen ist<br />
auch sehr durchwachsen. Lindsay Mendez bringt Carrie<br />
mit viel »Giggelei« und warmherzigem Humor zum<br />
Sprühen: Ihr Solo ›Mr Snow‹ ist allerliebst und der Erinnerung<br />
würdig. Margaret Colin lässt mit ihrer derben<br />
Energie keinen Zweifel daran, dass Billy das Bett der<br />
86<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
Karussell-Besitzerin Mrs Mullin nicht hat kalt werden<br />
lassen, sobald die Lichter auf dem Karnevalsplatz erloschen<br />
waren. Der Rolle von The Starkeeper verleiht<br />
John Douglas Thompson mit seinem kraftvollen Auftreten<br />
die gebührende Würde.<br />
Unglücklicherweise verwandelt die Sopranistin und<br />
Opernsängerin Renée Fleming in der Rolle der Nettie<br />
die Hymne ›You'll Never Walk Alone‹ mit ihrer hölzernen<br />
Darstellung in eine Art Jeanette MacDonald-Solo im<br />
Stil der MGM-Operetten der frühen 1930er, anstatt die<br />
ältere und weisere Cousine Julies, wie wahrscheinlich mit<br />
dieser Besetzung gewollt, im Opernglanz erstrahlen zu<br />
lassen. Zudem hat dieser Klassiker es nicht nötig, wie eine<br />
Arie geschmettert zu werden, um die Taschentücher zum<br />
Vorschein zu bringen. Flemings Steifheit sticht vor allem<br />
aus dem mitreißenden Ensemble in der Eröffnungsnummer<br />
des zweiten Aktes, ›A Real Nice Clambake‹, hervor.<br />
Ganz annehmbar performt sie dafür im Duett mit Mueller<br />
den Titel ›What's the Use of Wonderin'?‹.<br />
Das Ballett, welches seit der Urproduktion des Stückes<br />
mit Agnes de Milles Choreographie grundlegender<br />
Bestandteil des Stückes ist, bekommt hier einen neuen<br />
Anstrich mit Tänzen von Justin Peck, Hauschoreograph<br />
des New York City Ballets. Das Ergebnis ist eindeutig<br />
Ballett und der Einfluss Pecks offensichtlich, allerdings<br />
nicht von bahnbrechender Wirkung. Seine eher athletischen<br />
Choreographien funktionieren am besten mit<br />
dem männlichen Ballettensemble in ›Blow High, Blow<br />
Low‹, angeführt von Amar Ramasar in der Rolle des<br />
Jigger, ebenfalls vom New York City Ballet. Ramasars<br />
Athletik im Tanz ist beeindruckend kraftvoll, allerdings<br />
zeigt er in den Sprechteilen nur einen Modus: taff. Sein<br />
Jigger überzeugt nicht als ernsthafte Bedrohung.<br />
Jack O'Brien, mehrfacher Tony-Gewinner, führt<br />
mit erfahrener, aber unausgewogener Hand Regie, und<br />
erlaubt leider dem Ensemble nach dem »Gießkannenprinzip«<br />
undisziplinierte Versuche am tieföstlichen<br />
(Maine)-Akzent. New England Akzente sind schon eine<br />
Herausforderung an sich, auch mit Dialekt Coaching<br />
(Kate Wilson). Joshua Henry bedient sich an afroamerikanischen<br />
und John Douglas Thomas an Theaterdialekten,<br />
welche beide in ihren Rollen ganz passabel<br />
funktionieren. Corey John Snide brilliert als exzellenter<br />
Ersatz in der Rolle des Enoch Snow in perfektem altertümlichen<br />
Maine-Dialekt sowohl im Dialog als auch im<br />
Gesang – im Gegensatz dazu klingt der Rest der Besetzung,<br />
als kämen sie irgendwo aus Brooklyn. Beim simplen<br />
Bühnenamerikanisch zu bleiben wäre eine bessere<br />
Entscheidung für O'Briens Cast gewesen.<br />
Ann Roths zeitgenössische Kostüme sind farbenfroh<br />
und schön. Santo Loquastos Bühnenbild erinnert eher<br />
an das altertümliche Set Design vergangener Produktionen<br />
als an die eigentliche Epoche des Stückes. Unglücklicherweise<br />
wirkt die Enthüllung des Karussells, welches<br />
sich während des Auftakts zu ›The Carousel Waltz‹ wie<br />
ein Regenschirm öffnet, wie ein trauriger Abklatsch einer<br />
Interpretation von Bob Crowleys spektakulärem,<br />
atemberaubendem Karussell-Design für die National<br />
Theatre Produktion, welche 1994 im Lincoln Center zu<br />
sehen und bis dato als Wiederaufnahme von »Carousel«<br />
unvergleichbar war.<br />
Dennoch: die Musik des hervorragenden Richard<br />
Rodgers – wohl sein bestes Werk in Zusammenwirken<br />
mit Liedtext-Partner Oscar Hammerstein II. – ist mit<br />
der ungekünstelten Orchestrierung Jonathan Tunicks<br />
und der sensiblen musikalischen Leitung Andy Einhorns<br />
in guten Händen. Mit einem heutzutage selten<br />
am Broadway gesehenen voll besetzten Orchester erhebt<br />
sich Rodgers' Musik auf einen Höhenflug zwischen<br />
Treue zur ursprünglichen Partitur und neuer Frische<br />
und Lebendigkeit. Bigelows ›Soliloquy‹, das den ersten<br />
Akt beschließt, ist und bleibt eines der besten Soli des<br />
amerikanischen <strong>Musical</strong>s und Joshua Henrys fesselnde<br />
Interpretation nimmt auf jeden Fall einen Platz unter<br />
den Besten ein.<br />
Dan Dwyer<br />
dt. von Viktoria Arenz<br />
Abb. unten von links:<br />
›1. Nettie (Renée Fleming, l.) tröstet Julie<br />
Jordon (Jessie Mueller, r.) in ›What's the<br />
Use of Wonderin'‹<br />
2. Billy Bigelow (Joshua Henry) in<br />
›Soliloquy‹<br />
3. ›A Real Nice Clambake‹ – Tanzensemble<br />
4. Jigger (Amar Ramasar) führt das Herrenensemble<br />
an in ›Blow High, Blow Low‹<br />
Fotos (4): Julieta Cervantes<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
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<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />
Alte Zeiten<br />
»The Rink« am Southwark Playhouse in London<br />
Abb. oben:<br />
Angel (Gemma Sutton, vorne l.) und ihre<br />
Mutter (Caroline O'Connor, vorne r.)<br />
umgeben von Freunden der Familie<br />
(Elander Moore, l.; Ross Dawes, r.)<br />
Foto: Darren Bell<br />
The Rink<br />
John Kander / Fred Ebb /<br />
Terrence McNally<br />
Southwark Playhouse London<br />
Premiere: 29. Mai 20<strong>18</strong><br />
Direction ....................... Adam Lenson<br />
<strong>Musical</strong> Direction .............. Joe Bunker<br />
Orchestration ........... Greg Arrowsmith<br />
Choreography ................ Fabian Aloise<br />
Set Design ................ Bec Chippendale<br />
Costume Design ................. Libby Todd<br />
Lighting Design..................... Matt Daw<br />
Sound Design ........... Mike Thacker for<br />
Orbital Sound<br />
Anna ..................... Caroline O'Connor<br />
Angel .......................... Gemma Sutton<br />
Dino ............................ Stewart Clarke<br />
Lino ................................. Ross Dawes<br />
Lucky ............................... Michael Lin<br />
Benny .......................... Elander Moore<br />
Lenny ............................... Ben Redfern<br />
Tony ............................... Jason Winter<br />
Angels Tochter Amelia .......... Ioannou /<br />
Millie Samuels Lee<br />
Angel (Gemma Sutton) kommt zurück nach Hause<br />
und ist entsetzt. Arbeiter sind drauf und dran, ihr<br />
Elternhaus auseinander zu nehmen. Sie war jahrelang<br />
weg und ihr »Zuhause«, eine Rollschuhbahn, die ihr Vater<br />
ihr vermacht hatte, ist längst zerfallen und ihre Mutter<br />
Anna (Caroline O'Connor) hat den Rest verkauft.<br />
Das verbessert nicht gerade die seit jeher angespannte<br />
Beziehung zwischen den beiden. Durch Rückblicke, in<br />
die man unversehens hineingleitet, erfährt man allmählich,<br />
was zu diesen Spannungen führte.<br />
Autor Terrence McNally widmet sich wie bei »Masterclass«<br />
über Maria Callas starken Frauen und seziert<br />
fein einen Mutter-Tochter-Konflikt. John Kander und<br />
Fred Ebb liefern kraftvolle Musik, die sich der Gegenwart<br />
nähert. Das Stück umfasst die 1<strong>95</strong>0er bis 70er Jahre<br />
und wurde 1984 am Broadway uraufgeführt. 1988<br />
kam die Show auch ins West End, dort bereits dabei<br />
Caroline O'Connor, die damals in Zweitbesetzung die<br />
Rolle der Angel spielte.<br />
Der Putz bröckelt, die Farben sind verschmutzt. Der<br />
Glanz alter Zeiten ist längst vergangen am Säulengang,<br />
der zur Rollschuhbahn führt. Bec Chippendales Bühne<br />
erzählt Bände und schafft die richtige Atmosphäre. Bunte<br />
Lichterketten über der Bahn bringen den verlorenen<br />
Glanz zeitweilig zurück.<br />
Anna hat mit Dino (Stewart Clarke) damals den<br />
besten Mann bekommen, sie liebt ihn. Aber arbeiten<br />
ist nicht so seine Sache, so schuftet sie doppelt, um das<br />
Geschäft der Rollschuhbahn am Laufen zu halten und<br />
ihr Kind großzuziehen. ›Chief Cook and Bottle Washer‹<br />
erklärt O'Connor kraftvoll, was ihr viel Applaus einbringt.<br />
Für sie birgt der noch nicht entsorgte Hausrat,<br />
wie beispielsweise die blauen Kristallgläser, schmerzliche<br />
Erinnerungen. Für Angel hingegen sind sie eine<br />
pure Kostbarkeit, ihre Erinnerungen daran als Kind sind<br />
glückliche. Mit dem wehmütigen ›Blue Crystal‹ dreht<br />
sich die Zeit zurück. Wir begegnen Dino als jungem<br />
Mann, wie er seiner Frau diese Kostbarkeit mitbringt.<br />
»I've been to the moon«, erzählt er ihr. Wo genau er<br />
sie herhat, bleibt unklar. Nichtsdestotrotz bedeuten<br />
diese vertrauten Gegenstände für Angel auch bessere<br />
Zeiten: ›Under the Roller Coaster‹. Als sie die fehlende<br />
Discokugel bemerkt, wird es kritisch: Diese war ein<br />
Geschenk ihres Vaters zu ihrem 5. Geburtstag. Während<br />
die schimmernde Kugel den Raum verzaubert, tun sich<br />
mit ›Not Enough Magic‹ jedoch die Abgründe der Vergangenheit<br />
auf: Dino kommt spät und betrunken mit<br />
seinen Freunden nach Hause. Angels Geburtstagsfeier<br />
ist eine Gratwanderung. Von seiner Frau möchte Dino<br />
nichts mehr wissen, die Laune kippt und die Freunde<br />
gehen. Der Korea-Krieg hat ihn in Mitleidenschaft gezogen,<br />
schließlich verlässt er die Familie. Anna muss<br />
mit allem alleine fertig werden und eine Tochter, die<br />
nicht ihren Vorstellungen entspricht, macht es ihr noch<br />
schwerer. Die Spannungen lassen Angel ihr Glück lieber<br />
in der Ferne suchen. Als Hippie, wie ihre Mutter es<br />
abfällig sieht – von heutigem Standpunkt aber auch als<br />
moderne und selbstbewusste Frau. Angels Wanderjahre<br />
bringen auch besinnliche Momente, wie diesen, wenn<br />
sie auf einer Sanddüne am Meer sitzt, eigentlich glücklich<br />
sein könnte und doch das Gefühl hat, dass etwas<br />
fehlt: ›Coloured Lights‹. Ein einnehmender Song, deren<br />
Gitarrenlänge das entspannte und unbeschwerte Gefühl<br />
Kaliforniens einfängt, dann aber in einen schweren Walzer<br />
übergeht, in dem im »Humpapa«-Rhythmus an die<br />
Rollschuhbahn erinnert wird. Sieben Jahre später sehnt<br />
sie sich nach der Heimat, die sie sich nicht nehmen lassen<br />
möchte. Sie will alles daran setzen, das Gebäude vor<br />
88<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />
dem Abriss zu bewahren und es wieder strahlen zu lassen,<br />
voller Vorfreude singt sie bereits ›Angel's Rink and<br />
Social Center‹. Was sie jedoch nicht einkalkuliert hat:<br />
Auch »zu Hause« ist die Zeit vorangeschritten. Teenager<br />
mit Gettoblastern haben Einzug gehalten und aus der<br />
Idylle eine Hölle gemacht, bei der auch vor Gewalt kein<br />
Halt mehr gemacht wird, wie Anna am eigenen Leib<br />
spüren muss. ›What Happened to the Good Old Days‹,<br />
zeigt Anna im Liegestuhl am Strand mit zwei Freundinnen,<br />
den Sonnenuntergang genießend. Es ist eine<br />
herrliche Nummer mit viel Humor, der noch dadurch<br />
verstärkt wird, dass die »Freundinnen« von zwei Vertretern<br />
aus dem Männerensemble gespielt werden. Einer<br />
der Höhepunkte! Der Abend endet damit, dass Anna<br />
sich schwer verletzt nach Hause schleppt. Das Einzige,<br />
was ihr bleibt, ist Lenny (Ben Redfern), der ihr schon<br />
seit Jahren den Hof macht. So hat sie die Rollschuhbahn<br />
aufgegeben und als Angel mit Sack und Pack nach<br />
Hause kommt, sitzt Anna bereits auf gepackten Koffern,<br />
um mit Lenny nach Florida zu ziehen. Es gibt allerdings<br />
noch eine Überraschung, die der Mutter-Tochter-Beziehung<br />
am Ende noch einen besonderen Kniff verleiht,<br />
aber dieser wird hier nicht preisgegeben.<br />
Regisseur Adam Lenson hat einen packenden Abend<br />
geschaffen mit komplexen Familienbeziehungen und<br />
unvorstellbaren Leistungen: Caroline O'Connor und<br />
Gemma Sutton sind ein großartiges Duo. O'Connor<br />
spielt Anna als starke, resolute Frau, die hart gearbeitet<br />
und viel geopfert hat und nun ein Leben haben möchte;<br />
Suttons Angel muss sich im Leben erst zurecht finden,<br />
bevor sie nun fest auf dem Boden steht. Beide liefern<br />
sich rücksichtslose Wortgefechte, bis eine Versöhnung<br />
und Verständnis füreinander in Sicht sind. »I was too<br />
angry about my life to worry about you«, erklärt Anna<br />
später. Libby Todds Kostüme machen die Polarisierung<br />
von Mutter und Tochter auch visuell deutlich. Trägt<br />
Anna ein rotes figurbetontes Kleid der 50er Jahre, so<br />
behauptet sich Angel in grünen Schlaghosen, weißer<br />
Blümchenbluse und gelbem Pullunder – dazu trägt sie<br />
lange, glatte rote Haare. Die Kostüme der Männer sind<br />
ebenso gut gewählt, sie erlauben sowohl die Darstellung<br />
der bunt zusammengewürfelten Arbeiter als auch der<br />
Freunde der Familie, als diese sie doubeln. Selbst wenn<br />
die Männer dramaturgisch nur das »Drumherum« bilden,<br />
tänzerisch verdienen sie einen Tony bzw. Olivier<br />
Award. Wer sie in Fabian Aloises Choreographie zu ›The<br />
Rink‹ nicht nur kunstvoll mit Rollschuhen über die<br />
Bühne sausen und tanzen sieht, sondern auch steppen,<br />
dem bleibt der Atem weg und man hofft, dass sie alle<br />
wohlbehalten durch die Nummer kommen. Es ist ein<br />
sehenswertes Ereignis!<br />
Dank sei dem Southwark Playhouse dafür, dass es so<br />
selten gespielte Stücke präsentiert und wie bereits zuvor<br />
mit »The Life« andere Facetten von Kanders und Ebbs<br />
Arbeit zeigt. Die Musik war auch erstklassig.<br />
Hier werden also nicht nur lange verschüttete und<br />
bewusst vergrabene Emotionen zutage gefördert, deren<br />
Auseinandersetzung den Protagonisten letztendlich<br />
Frieden und Hoffnung bringt, sondern auch Stücke<br />
wiederentdeckt, denn eine lange Laufzeit war dem <strong>Musical</strong><br />
damals nicht vergönnt. Damit einher geht auch<br />
die Kunst zu lernen, die Vergangenheit loszulassen und<br />
nach vorne zu schauen.<br />
Sabine Schereck<br />
Abb. oben:<br />
Mutter (Caroline O'Connor) erzählt von<br />
der Vergangenheit. Im Hintergrund ihre<br />
Tochter (Gemma Sutton), vor ihr Dino<br />
(Stewart Clarke)<br />
Foto: Darren Bell<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Selbst nach langer Abwesenheit bestehen<br />
die Spannungen zwischen Mutter<br />
(Caroline O'Connor, r.) und Tochter<br />
(Gemma Sutton, l.)<br />
2. Das Männerteam, das zum Abriss<br />
gekommen ist, erinnert an die goldenen<br />
Zeiten der Rollschuhbahn (vorne v.l.:<br />
Jason Winter, Michael Lin, Ross Dawes<br />
und Ensemble)<br />
Fotos (2): Darren Bell<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
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<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />
Erste Leinwandhelden<br />
»The Biograph Girl« London Revival am Finborough Theatre<br />
Abb. oben von links:<br />
1. Im Kino bewundern die Zuschauer<br />
(oben v.l.: Lauren Chinery, Nova Skipp,<br />
Emily Langham, Joshua C. Jackson;<br />
unten v.l.: Matthew Cavendish, Charlie<br />
Ryall, Jason Morell) die Handlung auf<br />
der Leinwand<br />
2. Mary Pickford (Sophie Linder-Lee,<br />
Mitte) mit dem Produzenten Adolph<br />
Zukor (Jason Morell, r.). Im Hintergrund<br />
Momma Gish (Nova Skipp)<br />
Fotos: Lidia Crisafulli<br />
The Biograph Girl<br />
David Heneker / Warner Brown<br />
Finborough Theatre London<br />
Premiere: 24. Mai 20<strong>18</strong><br />
Direction ........................ Jenny Eastop<br />
Music Direction ..... Harry Haden-Brown<br />
Choreography ................ Holly Hughes<br />
Design ................................ Anna Yates<br />
Lighting Design ................... Ali Hunter<br />
Lillian Gish ................. Emily Langham<br />
Dorothy Gish .............. Lauren Chinery<br />
Momma Gish .................... Nova Skipp<br />
Mary Pickford ......... Sophie Linder-Lee<br />
D. W. Griffith ....... Jonathan Leinmuller<br />
Epping /<br />
Man of the South ..... Joshua C. Jackson<br />
Rose ................................ Charlie Ryall<br />
Bitzer / Zukor ................... Jason Morell<br />
Mack Sennett ....... Matthew Cavendish<br />
Spec .................... Harry Haden-Brown<br />
Gebannt blicken die Zuschauer vor allem auf eine<br />
Leinwand, wo flackernde Bilder Emotionen erzeugen.<br />
Aufregende Stummfilmmusik lässt ahnen, was<br />
da vorgeht. Begeistert singt das Ensemble ›The Moving<br />
Picture Show‹.<br />
Ein gelungener Auftakt, der uns in die Welt des<br />
Kintopps, in das New York des frühen 20. Jahrhunderts,<br />
versetzt, wo Warner Browns »The Biograph<br />
Girl« beginnt. Gemeinsam mit David Heneker, der<br />
die Musik komponierte, schrieb Brown auch die<br />
Liedtexte. Das Stück war 1980 erstmalig in Brighton<br />
und London zu erleben und wurde für die Produktion<br />
am Finborough Theatre vom Autor noch mal<br />
leicht überarbeitet.<br />
Die Gish-Schwestern Lillian (Emily Langham) und<br />
Dorothy (Lauren Chinery) entdecken ihre Freundin<br />
Gladys (Sophie Linder-Lee) auf der Leinwand und machen<br />
sich auf ins Atelier, um sie vor der Schande der<br />
Arbeit beim Film zu bewahren. Aber als Mary Pickford<br />
(so ihr Künstlername) macht Gladys viel Geld und ist<br />
glücklich, was man ihr auch in ihrem beherzten ›Workin'<br />
in Flickers‹ abnimmt. Im Atelier befindet sich auch<br />
der Regisseur D. W. Griffith (Jonathan Leinmuller), der<br />
in Lillian das Gesicht erkennt, das er für seinen nächsten<br />
Film sucht. Mit Leidenschaft beschreibt er seine Vision<br />
›The Moment I Close My Eyes‹, in der Film zur Kunst<br />
wird. Bald darauf geht's nach Hollywood mit dem Versprechen<br />
auf bessere Zeiten: ›Diggin' Gold Dust‹. Auf<br />
bessere Zeiten blickt auch Mary Pickford – als ein Ass<br />
in Verhandlungen schlägt sie bei Adolph Zukor (Jason<br />
Morell) $500 pro Woche heraus. Es ist erfrischend, eine<br />
solch selbstbewusste Frau zu sehen. Später muss sie dafür<br />
auch weiterhin das American Sweetheart spielen,<br />
das nicht erwachsen werden darf. Lillians Weg ist ein<br />
anderer. Sie spielt zwar in Griffith' Klassiker »Birth of<br />
a Nation«, bleibt aber ohne Namen. Es bedeutet ihr<br />
mehr, Einsicht in Griffith' Arbeit zu haben. Sie sind<br />
sich beruflich nahe, aber was Griffith an ihr hat, erkennt<br />
er nicht. Im Gegenteil, er sagt ihr sogar, sie solle sich<br />
mehr um sich selbst kümmern, als er ihr den Laufpass<br />
gibt. Seine Projekte sind stets ambitioniert, verschlingen<br />
astronomische Summen, sodass er irgendwann am<br />
Ende ist. Er wird Teil eines anderen Geschäftsmodells:<br />
Als Geschäftsfrau hat sich Mary Pickford inzwischen<br />
von Zukor losgesagt und Mitte der Zwanziger Jahre<br />
die »United Artists« gegründet. Dieser Filmgesellschaft<br />
gehört bald auch Griffith an. Bis dahin gilt es jedoch<br />
noch, einige Hürden zu überwinden, wie zum Beispiel,<br />
dass »Birth of a Nation« bei der schwarzen Bevölkerung<br />
nicht gut ankommt und der Blues ›Rivers of Blood‹ bedrohlich<br />
darauf hinweist, welche Macht Filme haben<br />
können: ein Song, der aus der damaligen Londoner Produktion<br />
herausgenommen wurde, dem Stück aber mehr<br />
Tiefe verleiht. Auffallend ist auch ›The Industry‹, ein<br />
vom Ensemble vorgetragener Tango, der zeigt, dass der<br />
Film seinen Kinderschuhen entwachsen ist und Holly<br />
Hughes auch auf kleiner Bühne einfallsreiche Choreographien<br />
schaffen kann. David Henekers Musik bleibt<br />
der Zeit mit Ragtime, Jazz, Charleston und typischen<br />
Stummfilmmelodien treu, was dem Stück eine schöne<br />
Leichtigkeit verleiht. Auch die Liedtexte sind charmant.<br />
Die Besetzung ist hervorragend: Vor allem Sophie<br />
Linder-Lee als Mary Pickford und Emily Langham als<br />
Lillian Gish verkörpern die Schauspielerinnen wunderbar.<br />
Erstere als ein raffiniertes Energiebündel, eine Frohnatur,<br />
Letztere als die Nachdenkliche und Zurückhaltende.<br />
Auch wenn man allen bei ihren Vortragskünsten<br />
gerne zusieht, fehlt doch ein wenig das Leben in den Figuren,<br />
das einen mitfühlen lassen würde. Aus der komplizierten<br />
Beziehung zwischen Lillian Gish und D. W.<br />
Griffith wäre sicher mehr herauszuholen, wie der Song<br />
›More Than a Man‹ andeutet.<br />
Auch Anna Yates' Ausstattung steht man zwiespältig<br />
gegenüber. Einerseits bewundert man die Sparsamkeit,<br />
mit der New York, Hollywood oder ein Hollywood-Palazzo<br />
durch ein Rollobild markiert werden, das zuweilen<br />
den Blick aus dem Fenster freigibt, andererseits wirkt<br />
die kleine, in schlichtem Weiß gehaltene Bühne sehr steril<br />
und ohne Atmosphäre. Die Zeit wird lediglich durch<br />
die Kostüme angedeutet.<br />
Nichtsdestotrotz hat Regisseurin Jenny Eastop eine<br />
beachtliche Produktion geschaffen, die unterhält und<br />
liebevoll einen interessanten Einblick in die frühe Zeit<br />
des Films gewährt. Ein lohnenswertes Revival.<br />
Sabine Schereck<br />
90<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong>
<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />
Neues aus Großbritannien<br />
zusammengestellt von Barbara Kern und Sabine Schereck<br />
Uraufführungen<br />
Das Upstairs at the Gatehouse lässt mit »Give My<br />
Regards to Broadway« den Broadway grüßen –<br />
eine neue <strong>Musical</strong>revue, die New Yorks Bühnenmelodien<br />
der Jahre 1902 bis 1942 feiert. Die musikalische<br />
Reise findet unter der Leitung von Harry<br />
Blumenau vom 17. Juli bis 5. August 20<strong>18</strong> statt.<br />
Das Arts Theatre feiert vom 30. August bis 23.<br />
September die Londoner Premiere des neuen britischen<br />
<strong>Musical</strong>s »Six«, geschrieben von Toby Marlow<br />
und Lucy Moss. Darin geht es um die sechs<br />
Frauen von Heinrich VIII., die nun ihre Sicht der<br />
und auf die Geschichte zum Besten geben. Das<br />
<strong>Musical</strong> wird von Lucy Moss und Jamie Armitage<br />
inszeniert. Begleitet werden die Mitwirkenden von<br />
einer Frauenband.<br />
Arinzé Kenes »Misty« ist vom 8. September bis<br />
20. Oktober bei den Trafalgar Studios zu sehen. Die<br />
Produktion des Bush Theatres mit der Mischung<br />
aus Musik (Shiloh Coke & Adrian McLeod), Poesie<br />
und Drama erkundet kreative Freiheit innerhalb des<br />
heutigen Londons. Regie führt Omar Elerian.<br />
»Come From Away« am Broadway 2017<br />
Foto: Matthew Murphy<br />
Vom Broadway nach London<br />
»Come From Away«, das im März 2017 am<br />
Broadway zu sehen war, kommt ab 30. Januar<br />
2019 ins Londoner Phoenix Theatre. Das <strong>Musical</strong><br />
(Buch, Musik, Liedtexte) stammt von Irene<br />
Sankoff und David Hein und erzählt von den 38<br />
Flügen, die aufgrund der Angriffe des 11. Septembers<br />
2001 in Neufundland notlanden mussten,<br />
und wie eine Kleinstadt die 7000 gestrandeten<br />
Reisenden ernährte und unterbrachte.<br />
Sommer und kubanische Rhythmen sind in<br />
Gloria und Emilio Estefans <strong>Musical</strong> »On Your<br />
Feet« zu erwarten, das vom Broadway aus vom<br />
14. Juni bis 31. August 2019 ins Londoner Coliseum<br />
kommt. Es erzählt die wahre Liebesgeschichte<br />
der Estefans und ihres musikalischen<br />
Aufstiegs von Kuba über Miami zu internationalen<br />
Popstars. Das Buch wurde von Alexander Dinelaris<br />
verfasst, wobei Jerry Mitchell Regie führt und<br />
Sergio Trujillo die Choreographie übernimmt.<br />
London <strong>Musical</strong> Theatre Orchestra-Revivals<br />
Das London <strong>Musical</strong> Theatre Orchestra lässt selten<br />
Gespieltes in konzertanten Aufführungen wieder<br />
aufleben. Am 6. Oktober gibt es am London Palladium<br />
Lerners und Loewes »Camelot«, das seit<br />
über 30 Jahren nicht im West End zu hören war,<br />
zu erleben. Am 2. und 3. November folgt Howard<br />
Goodalls »Girlfriends« am Bishopsgate Institute.<br />
Darin geht es um die Rekrutierung der Women's<br />
Auxiliary Air Force (WAAF) während des 2. Weltkrieges.<br />
Die letzte Vorstellung ist eine Wiederaufnahme<br />
von Alan Menkens, Lynn Ahrens' und<br />
Mike Ockrents <strong>Musical</strong>fassung von Charles Dickens'<br />
»A Christmas Carol« am Lyceum Theatre.<br />
Auf Reisen<br />
Sonne und Spaß verspricht das Sommermusical<br />
»Club Tropicana«, das ab 24. Januar 2019 von<br />
Bromley aus auf Tournee geht und bis 13. Juli u. a. in<br />
Manchester, Liverpool, Edinburgh, London und<br />
Brighton zu sehen sein wird. Das <strong>Musical</strong> wurde<br />
von Michael Gyngell geschrieben und lässt die<br />
1980er Jahre aufleben. Es wird von Samuel Holmes<br />
und Nick Winston inszeniert, wobei Winston<br />
auch choreographiert.<br />
Die Produktion von Mel Brooks' »Young<br />
Frankenstein« segnet am Garrick Theatre bereits<br />
am 25. August 20<strong>18</strong> das Zeitliche, nachdem ursprünglich<br />
Tickets bis Ende September angeboten<br />
wurden. Wer die Produktion danach sehen möchte,<br />
muss dieses auf einer ihrer Tourstationen tun.<br />
Ab September ist sie unterwegs.<br />
Am 12. Januar 2019 laufen die letzten Stiefel<br />
vom Band, wenn bei »Kinky Boots« am Adelphi<br />
Theatre die Pforten geschlossen werden. Aber ab<br />
19. September geht das Stück auch auf Tournee,<br />
Start ist in Royal und Derngate in Northampton.<br />
Auch für die »Dreamgirls« hat es sich am 12.<br />
Januar 2019 in London ausgeträumt. Auf ihrer folgenden<br />
UK-Tour darf aber weiter geträumt werden.<br />
<strong>Musical</strong> auf der Leinwand<br />
Andrew Lloyd Webbers »Cats« kommt auf die<br />
Leinwand. Es wird von Tom Hooper adaptiert<br />
und im November beginnen in London die Dreharbeiten.<br />
Dafür arbeitet Lloyd Webber an neuem<br />
Material, inklusive eines neuen Songs für Victoria,<br />
Wayne McGregor, vom Royal Ballet choreographiert.<br />
In Memoriam<br />
An dieser Stelle gilt es, Original-Choreographin<br />
Gillian Lynne zu gedenken, die kürzlich im stolzen<br />
Alter von 92 Jahren verstarb. Geboren am 20.<br />
Februar 1926 in Kent, begann die Britin eine Karriere<br />
als Ballerina. Mit gerade 20 Jahren erhielt sie<br />
ihr erstes Hauptsolo als Dornröschen am Royal<br />
Opera House. Nachdem sie sich in der Ballettwelt<br />
einen Namen gemacht hatte, arbeitete sie für<br />
Ballettkompanien in Österreich, Russland und<br />
Australien, bevor sie 1965 erstmals am Broadway<br />
die Komödie »The Roar of the Greasepaint – The<br />
Smell of the Crowd« und »Pickwick« choreographierte.<br />
Ihre Choreographie für Andrew Lloyd Webbers<br />
»Cats« galt 1981 als Meilenstein im Tanz<br />
und eroberte ihr einen Platz im <strong>Musical</strong>genre. Für<br />
Lloyd Webber arbeitete sie noch an »The Phantom<br />
of the Opera« (auch die Filmfassung von<br />
20<strong>04</strong>) und »Aspects of Love«. Ihre letzte Arbeit<br />
am Broadway war »Chitty Chitty Bang Bang« im<br />
Jahr 2005. Lynne inszenierte 60 Produktionen im<br />
West End und am Broadway, arbeitete für Film<br />
und Fernsehen.<br />
blickpunkt musical <strong>04</strong>/<strong>18</strong>, Juli – September 20<strong>18</strong><br />
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Neu auf unitedmusicals.de<br />
Foto: Christian Spielmann Foto: Sandra Reichel<br />
Foto: Birgit Bernds<br />
»Titanic« – Bad Hersfelder Festspiele<br />
Rezension zur Wiederaufnahme mit veränderter Besetzung<br />
2017 war die Nachfrage des Publikums nach »Titanic« so groß, dass die Produktion bei den 69.<br />
Bad Hersfelder Festspielen am Freitag, den 13. Juli 20<strong>18</strong> Wiederaufnahme-Premiere feierte. Noch<br />
vor dem letzten Ton stand das Publikum auf der Tribüne der ausverkauften Stiftsruine und applaudierte<br />
zurecht dem 37-köpfigen Ensemble und insbesondere den 25 Musikern unter Leitung<br />
von Christoph Wohlleben – wo ist heute noch ein Live-Orchester dieser Größenordnung inklusive<br />
Becken, Fagott und Querflöte zu erleben. Der zweite Stapellauf der Bad Hersfelder »Titanic«<br />
verspricht eine erfolgreiche Überfahrt.<br />
»Die zertanzten Schuhe« – Kassel<br />
Rezension der Uraufführung beim Brüder Grimm Festival Kassel<br />
Die Brüder Grimm wurden nach dem Tod ihres Vaters von der Mutter zum Jura-Studium nach<br />
Kassel geschickt. Hier begannen sie auch, Märchen zu sammeln und niederzuschreiben.<br />
Darum ehrt die Stadt Kassel die Märchenerzähler mit dem Brüder Grimm Festival im Park<br />
Schönfeld. Hier schwimmt im Märchenteich eine Bühne, auf der 20<strong>18</strong> »Die zertanzten Schuhe«<br />
gezeigt wird, das <strong>18</strong>15 in den »Kinder- und Hausmärchen« erschien. Michael Fajgel adaptierte<br />
die Geschichte zu einem Jukebox-<strong>Musical</strong> mit bekannten Songs aus der Popgeschichte.<br />
Regie führt Rüdiger Canalis Wandel (Autor und Regie von »Linie 2 – Der Alptraum«). […] Die<br />
Wahl der Songs ist ebenfalls geglückt ebenso wie deren Übersetzung (Buch und deutsche<br />
Liedtexte: Michael Fajgel). Eine vierköpfige Band spielt die Musik live aus einem überdachten<br />
Nebenteil der Hauptbühne heraus.<br />
»Ich war noch niemals in New York – Der Film« – Köln<br />
Pressevorstellung<br />
»Ich war noch niemals in New York« (Musik : Udo Jürgens; Buch: Gabriel Barylli und Christian<br />
Struppeck) wird der erste in Deutschland produzierte <strong>Musical</strong>film: Regina Ziegler (Ziegler<br />
Film), Sebastian Werninger, Nico Hofmann (UFA Fiction) und Christoph Müller (Mythos Film)<br />
sowie die Co-Produzenten Klaus Graf (Graf Film), Freddy Burger und Universal Pictures Productions<br />
bringen das <strong>Musical</strong> auf die Leinwand. Das Drehbuch stammt von Alexander Dydyna<br />
und Drehbuch-Co-Autor Philipp Stölzl, der auch Regie führen wird. Des weiteren kommen<br />
die Musik von Christoph Israel, die Choreographien von Christopher Tölle, die Kostüme von<br />
Nora Bates, die Maske von Gerd Zeiss, der Ton von Max Thomas Meindl und der Schnitt von<br />
Sven Budelmann zum Tragen.<br />
Die Rollen spielen Heike Makatsch (Lisa), Moritz Bleibtreu (Axel), Katharina Thalbach (Maria),<br />
Mat Schuh (James), Michael Ostrowski (Fred) und Marlon Schramm (Florian)<br />
Die nächste <strong>Ausgabe</strong> der blickpunkt musical erscheint im September mit dem zweiten Teil der Sommerproduktionen.<br />
In Deutschland feiert ein <strong>Musical</strong> Uraufführung, in dem ein Mensch unter Tieren aufwächst, und Ritter<br />
suchen ihren König sowie einen Becher auf einer Burg.<br />
In Österreich feiert ein <strong>Musical</strong> Open-Air-Revival, in dem ein Mann gegen die Ausgrenzung durch die Gesellschaft<br />
kämpft und eine kleine französische Revolution überlebt. Indoor erlebt ein Stück über ein tragisches<br />
Gaunerpaar seine österreichische Erstaufführung und eine Show zelebriert erstmals Rock'n'Roll als Lebensphilosophie.<br />
Das in diesem Heft immer wieder angesprochene Gute-Laune-<strong>Musical</strong> macht ebenfalls Station.<br />
Bei unserem Schweizer Nachbarn erlebt ein Operettenthema eine musicalische Neubearbeitung.<br />
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02. – 14.10.<strong>18</strong> · Admiralspalast Berlin<br />
16. – 28.10.<strong>18</strong> · Deutsches Theater München<br />
www.carmen-la-cubana.de