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Ausgabe 127 (<strong>01</strong>/20<strong>24</strong>)<br />
€ 7,50 (DE) • € 8,00 (EU)<br />
ISSN 1619-9421<br />
www.blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />
Das Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz<br />
präsentiert in Übereinkunft mit<br />
CAMERON MACKINTOSH<br />
eine neue Produktion von<br />
BOUBLIL und SCHÖNBERGS<br />
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Die Übertragung des Aufführungsrechtes erfolgte in Übereinkunft mit<br />
MUSIC THEATRE INTERNATIONAL und CAMERON MACKINTOSH LTD.<br />
Bühnenvertrieb: MUSIK UND BÜHNE Verlagsgesellschaft mbH, Wiesbaden
DEUTSCH<br />
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Musik & Gesangstexte von<br />
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Deutsch von<br />
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22. MÄRZ BIS<br />
21. APRIL 20<strong>24</strong><br />
STADTTHEATER GMUNDEN
Ausgabe 127 (<strong>01</strong>/20<strong>24</strong>)<br />
€ 7,50 (DE) • € 8,00 (EU)<br />
ISSN 1619-9421<br />
www.blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />
Kasimir & Karoline<br />
Uraufführung an der Staatsoper Hannover<br />
Chicago Berlin<br />
Cinderella Wuppertal<br />
Lasst uns die Welt vergessen Wien<br />
Les Misérables St. Gallen<br />
Sunset Boulevard London<br />
Notre Dame de Paris Paris
Inhalt<br />
Inhalt<br />
Ausgabe 127, Nr. <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
… kurz vorweg<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
liebe Abonnentinnen und Abonnenten,<br />
der Januar hat neben dem neuen<br />
Jahr auch andere Neuerungen mit<br />
sich gebracht. Nach vielen Jahren als<br />
Herausgeber hat Oliver Wünsch entschieden,<br />
etwas kürzer zu treten, und<br />
das tägliche Geschäft an mich übergeben,<br />
so dass diese Zeitschrift nun in<br />
einem neuen Verlag publiziert wird.<br />
Ich freue mich sehr, dass alle Mitarbeiter<br />
diesen Weg mitgehen, so dass sich<br />
für Sie als Leser nichts ändern und die<br />
mittlerweile bewährte Qualität weitergeführt<br />
wird.<br />
Worüber ich mich ebenfalls besonders<br />
freue, sind die beiden neuen Rubriken,<br />
die wir nun regelmäßig mit aufnehmen<br />
werden: In »Was war anno …« wollen<br />
wir zurückblicken, was vor sechs,<br />
fünf, vier, drei, zwei und einem Jahrzehnt(en)<br />
Relevantes in der Welt der<br />
Musicals geschehen ist.<br />
Die andere neue Rubrik ist eine Herzensangelegenheit<br />
meinerseits. In<br />
»Abgeschminkt« werden wir Menschen,<br />
die sonst hinter oder auf den<br />
Brettern, die die Welt bedeuten, zu<br />
Hause sind, hier die Bühne geben, um<br />
sich und die sozialen Engagements<br />
vorzustellen, die sie unterstützen. Da<br />
gibt es ganz wunderbare Projekte, von<br />
denen man viel zu wenig erfährt – dies<br />
zu ändern und die Möglichkeiten der<br />
Mithilfe aufzuzeigen, ist uns ein großes<br />
Bedürfnis. Wir freuen uns sehr,<br />
dass Barbara Obermeier mit nestwärme<br />
e.V. den Auftakt dieser neuen Serie<br />
macht!<br />
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen<br />
viel Freude beim Lesen unserer neuesten<br />
Ausgabe,<br />
Herzliche Grüße,<br />
Sabine Haydn<br />
Chefredaktion der blickpunkt musical<br />
Topthema<br />
4 UA Kasimir und Karoline Staatsoper Hannover<br />
Musicals in Deutschland<br />
14 UA BVG Musical – Tarifzone Liebe<br />
Admiralspalast Berlin<br />
<strong>24</strong> Chicago Komische Oper Berlin<br />
12 UA Chormusical Bethlehem<br />
PSD Bank Dome Düsseldorf<br />
26 Cinderella Oper Wuppertal<br />
20 Der Graf von Monte Christo Theater Lüneburg<br />
28 Follies Hessisches Staatstheater Wiesbaden<br />
23 Jekyll & Hyde Staatstheater Darmstadt<br />
8 Sweeney Todd Staatsoperette Dresden<br />
18 Tanz der Vampire Operettenhaus Hamburg<br />
16 The Addams Family Grenzlandtheater Aachen<br />
11 The Last Five Years Friedrichsbau Varieté Stuttgart<br />
22 Tuck Everlasting Audimax TU Dortmund<br />
Musicals in Österreich<br />
36 UA Lass uns die Welt vergessen Volksoper Wien<br />
40 Singin' in the Rain Salzburger Landestheater<br />
42 Sunset Boulevard Tiroler Landestheater Innsbruck<br />
38 ÖEA Tootsie Landestheater Linz<br />
44 Working MuK Wien<br />
Musicals in Europa<br />
46 Les Misérables Theater St. Gallen<br />
50 Notre Dame de Paris Palais des Congrès Paris<br />
Musicals in Großbritannien<br />
67 UA Red Riding Hood and The Big Bad Pig<br />
JW3 London<br />
68 Sunset Boulevard Savoy Theatre London<br />
Musicals in den USA<br />
70 UA Buena Vista Social Club<br />
Atlantic Theatre New York<br />
Einblick<br />
30 Hercules – Das heldenhafte Musical<br />
Vorankündigung Hamburg<br />
32 Ausstellung »Re:Imagining Musicals« im<br />
Victoria and Albert Museum London<br />
Konzerte & Entertainment<br />
56 Ich bin was ich bin – Uwe Kröger im Theater<br />
Akzent Wien<br />
57 Die Zeitreisende – Ute Lemper im<br />
Vindobona Wien<br />
Filme & Serien<br />
63 »Leo« auf Netflix<br />
58 »Mean Girls: Der Girls Club« im Kino<br />
60 »Wonka« im Kino<br />
77 Neues<br />
Rubriken<br />
64 Abgeschminkt – Barbara Obermeier über ihr<br />
Engagement im Verein nestwärme Österreich<br />
72 Was war anno … 1964<br />
54 Einspielungen<br />
78 Impressum & Ausblick<br />
75 Abonnenten-Infos<br />
Abb. von oben:<br />
1. »Bethlehem« Dortmund<br />
Foto: Stephan Drewianka<br />
2. »Jekyll & Hyde« Darmstadt<br />
Foto: Martin Sigmund<br />
3. »Tootsie« Linz<br />
Foto: Herwig Prammer<br />
4. »Les Misérables« St. Gallen<br />
Foto: Edyta Dufaj<br />
Titelfoto:<br />
»Kasimir und Karoline« Hannover<br />
Foto: Tim Müller<br />
12<br />
23<br />
38<br />
46<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
3
Musicals Topthema in Deutschland<br />
Glamouröser Partyrausch und Existenzängste<br />
Uraufführung von »Kasimir und Karoline« in der Staatsoper Hannover<br />
Abb. oben:<br />
Ein Haus voller Menschen (Ensemble),<br />
Träume, Hoffnungen und<br />
Zukunftsängste<br />
Foto: Tim Müller<br />
In den letzten Zügen des Jahres 2023 kam es zu einer<br />
besonderen Uraufführung am Staatstheater Hannover.<br />
Das zahlreich erschienene Publikum des Opernhauses<br />
erlebte, wie aus einem Theater-Klassiker ein<br />
Musical wurde. Das 1932 uraufgeführte Theaterstück<br />
»Kasimir und Karoline« von Ödön von Horváth wurde<br />
von Martin Mutschler dramaturgisch bearbeitet, von<br />
Martin G. Berger, der auch die Inszenierung übernahm<br />
und eine bekannte Größe in der Musicalszene<br />
ist, mit Liedtexten versehen und erhielt von Jherek<br />
Bischoff passende Musik für ihre Vision des Stücks. Es<br />
handelt sich um ein Auftragswerk der Staatsoper Hannover.<br />
Unter der musikalischen Leitung von Maxim<br />
Böckelmann fügen sich hier in der Inszenierung das<br />
Niedersächsische Staatsorchester Hannover unter Einsatz<br />
von elektronischen Beats sowie Chor und Statisterie<br />
der Staatsoper Hannover mit den Gastsänger:innen<br />
alle zu einem rauschenden Fest und Abbild eines pulsierenden<br />
Nachtlebens zusammen. Ist es in der Vorlage<br />
noch ein Oktoberfest, so feiert hier das »Volk« eine<br />
Party nach dem Vorbild einer heutigen Clubnacht,<br />
was auch optisch deutlich wird mit Kostümen, die<br />
von legerer Alltagskleidung über Partydress bis zu den<br />
ausgefallenen Drag-Outfits von Juanita reichen. Die<br />
Handlung von Horváth wird damit in die Gegenwart<br />
geholt, verständlicher gemacht und auf heutige Liebesbeziehungen<br />
und Gesellschaftsprobleme bezogen.<br />
Das Stück handelt vom Paar Kasimir und Karoline,<br />
das sich im Laufe eines Abends vom glücklichen, verliebten<br />
Pärchen zu zwei entfremdeten, sich trennenden<br />
Liebenden entwickelt:<br />
Kasimir verliert seine Arbeit und ihm droht die<br />
Abschiebung. Er ist sich sicher, dass seine Beziehung<br />
zu Karoline dadurch Schaden nimmt und sie sich von<br />
ihm trennen wird, denn der herrschende Kapitalismus<br />
zerstöre die menschlichen Beziehungen zueinander.<br />
Karoline glaubt ihm zuerst nicht und möchte mit<br />
Kasimir einen schönen Abend verbringen und feiern<br />
gehen. Der missmutige Kasimir kann sich jedoch mit<br />
nichts anderem als seiner bedrohten Existenz beschäftigen<br />
und schließlich fällt auch Karoline ihren eigenen<br />
Gedanken und Überlegungen für ein besseres Leben<br />
zum Opfer: Passen sie zueinander oder zieht der eine<br />
den anderen mit sich in den Abgrund? Karoline lernt<br />
in der Partynacht den schüchternen Studenten Eugen<br />
Schürzinger kennen, lässt Kasimir nach einem Streit<br />
stehen und fährt mit Eugen Achterbahn. Auch Kasimir<br />
lernt in dieser Nacht eine neue Liebelei kennen: Erna<br />
ist ein Opfer ihres gewalttätigen Freundes, des Merkl<br />
Franz. Sie spendet Kasimir mit ihren Worten Trost<br />
und entdeckt, dass sie Gemeinsamkeiten mit ihm hat.<br />
Sie kommen sich näher. Karoline hingegen sucht sich<br />
auf der Party jemanden, der Geld hat und ihr zu Erfolg<br />
verhilft. Sie lässt sich auf Rauch ein, einen wichtigen<br />
Sponsor der Hochschule. In dieser Partynacht scheint<br />
alles möglich, ein Zeppelin fliegt vorbei und Juanita,<br />
die Hüterin der Schatten, versucht, unsichtbare Fäden<br />
zwischen den Liebenden zu spinnen, doch am Ende<br />
reichen die Liebe und Ernas Traum von einer gesellschaftlichen<br />
Revolution nicht, der Egoismus und das<br />
Geld regieren …<br />
Das Bühnenbild von Sarah-Katharina Karl im<br />
Opernhaus Hannover wird im ersten Akt von einem<br />
modernen, schnörkellosen eckigen Gebäude mit einigen<br />
Fenstern und Ausgängen sowie Balkons dominiert.<br />
Das Gebäudekonstrukt klotzt auch mit über die ganze<br />
Fläche verteilten Lämpchen, die zum stimmungsvollen<br />
Lichtbild (Licht: Fabian Grohmann) der Aufführung<br />
beitragen. Das Gebäude ist drehbar, so können<br />
verschiedene Ecken bespielt und andere Ausschnitte<br />
4<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals Topthema in Deutschland<br />
gezeigt werden. Die Charaktere und Statisten bespielen<br />
auch das Innere des Gebäudes, wobei der Clou und<br />
damit das symbolische Tor zum Inneren des Gebäudes<br />
eine Leinwand ist, auf der mit einer Kamera gefilmte<br />
Aufnahmen zeitgleich zu sehen sind (Live-Video:<br />
Anna-Sophia Leist). Auf diese Weise sowie durch die<br />
bewegliche Gebäudeansicht und die schnittartigen<br />
Szenen wirkt die Aufführung filmisch und episodenhaft.<br />
Man schaut mal hier und mal da rein, bevor sich<br />
dann der Fokus auf bestimmte Charaktere lenkt und<br />
die Filmleinwand verschwindet. Das Gebäude wirkt<br />
durch seine feiernden Partygäste vom Innern aus<br />
lebendig und bietet einen flexiblen Schauplatz für die<br />
Ensembleszenen sowie eine beeindruckende Kulisse<br />
für das Finale des ersten Akts mit allen Darstellern.<br />
Zum Bühnenbild des zweiten Akts gehört ein Teddybär,<br />
der im ersten Akt von Kasimir für Karoline<br />
auf dem Rummel gewonnen und im späteren Verlauf<br />
achtlos abgelegt wird. Auf einer seitlichen Treppe<br />
zeigt Juanita-Darsteller Drew Sarich mit nacktem<br />
Oberkörper und glitzerbesetzter Hose eine Art privaten<br />
Moment, wenn alle Masken des Tages fallen, und<br />
erzählt von Juanitas (Johanns) persönlicher Reise.<br />
Den eigentlichen Schauplatz in diesem Akt bildet<br />
neben einer Fahrstation ein angedeutetes Karussell,<br />
das typisch für Volksfeste und Rummel ist und<br />
gleichzeitig auch sinnbildlich ständige (Fort-)Bewegung,<br />
aber auch Wiederkehren von Abläufen und<br />
Mustern symbolisiert. Karolines Achterbahnfahrt –<br />
so wie das Stück eine Gefühlsachterbahn ist – wird<br />
von einer anderen Ecke der Bühne aus gefilmt, ein<br />
Stangenkonstrukt dient als Requisite.<br />
Der Zeppelin, der sich im Stück gelegentlich sehen<br />
lässt und von den Charakteren bewundert und auch<br />
etwas gefürchtet wird, ist natürlich rein imaginativ.<br />
Das Sehnsuchtssymbol, das Träume, Hoffnung,<br />
Zukunft, ein besseres Morgen, aber auch Absturz und<br />
Tod symbolisieren kann, ist auch eine Art Begrifflichkeit<br />
für etwas Nahes und doch so Fernes – wie das<br />
Paar, das sich an diesem Abend erst so nahesteht und<br />
sich durch Vorstellungen und Existenzängste immer<br />
weiter voneinander entfernt. Eine Kommunikation<br />
scheint unmöglich, obgleich die Probleme der Kommunikatonsunfähigkeit<br />
für den Zuschauer sichtbar<br />
werden. Die Probleme liegen offen auf der Hand, aber<br />
der Mensch macht lieber Party und versteckt seine<br />
Gefühle. Die Lieder sagen und drücken hier aus, was<br />
die Charaktere fühlen und denken, einander jedoch<br />
nicht sagen können. Juanita, deren Weg es ist, das<br />
Leben mit Humor zu nehmen, kommt zu dem Schluss:<br />
»Menschen ohne Gefühle haben’s leichter.« Es ist eine<br />
Art Aufforderung, in dieser düsteren Welt, in der jeder<br />
schreit und gehört werden will und die wichtigen<br />
Themen dennoch nicht kommuniziert, zu versuchen,<br />
einander anzunehmen, einander zuzuhören und aufeinander<br />
zuzugehen.<br />
Esther Bialas hat für die Uraufführung von »Kasimir<br />
und Karoline« ein Kostümkonzept entworfen,<br />
das viele Facetten zum Ausdruck bringt: Von Kapuzenpulli,<br />
smart-casual bis hin zu ausgefalleneren und<br />
Kasimir und Karoline<br />
Jherek Bischoff / Martin G. Berger /<br />
Martin Mutschler<br />
nach dem gleichnamigen Theaterstück<br />
von Ödön von Horváth<br />
Staatsoper Hannover<br />
Uraufführung: 8. Dezember 2023<br />
Regie ....................... Martin G. Berger<br />
Musik. Leitung .... Maxim Böckelmann<br />
Choreinstudierung ..... Lorenzo Da Rio<br />
Bühnenbild ......... Sarah-Katharina Karl<br />
Kostüme .......................... Esther Bialas<br />
Licht ....................... Fabian Grohmann<br />
Live-Video .............. Anna-Sophia Leist<br />
Ton .......................... Christoph Schütz<br />
Juanita ............................ Drew Sarich<br />
Kasimir ........................... Dejan Bućin<br />
Karoline ................. Sophia Euskirchen<br />
Erwin Schürzinger ...... Philipp Kapeller<br />
Erna .................... Ketevan Chuntishvili<br />
Der Merkl Franz ........ Yannick Spanier<br />
Rauch ...................... Frank Schneiders<br />
Speer ............................. Daniel Eggert<br />
Elli .......... Barbara Carta / Başak Ceber<br />
Maria ....... Tamar Sharon Hufschmidt /<br />
Clarissa Reif<br />
Chor & Statisterie<br />
der Staatsoper Hannover<br />
Abb. von links oben:<br />
1. Kasimir (Dejan Bućin, Hintergrund:<br />
Drew Sarich) lässt seine Wut<br />
auf Karoline und das Leben am<br />
Teddybären aus<br />
2. Juanita/Johann (Drew Sarich, oben)<br />
beobachtet aus der Ferne die große<br />
Träumerin Erna (Ketevan Chuntishvili,<br />
vorne)<br />
3. Gibt es noch Hoffnung für die<br />
Liebe von Kasimir (Dejan Bućin, r.)<br />
und Karoline (Sophia Euskirchen, l.)?<br />
4. Juanita (Drew Sarich, l.) beäugt,<br />
wie Rauch (Frank Schneiders, 2.v.r.,<br />
zwei Frauen mit Geld willig macht<br />
Fotos (4): Tim Müller<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
5
Musicals Topthema in Deutschland<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Die Bewohner des Hauses erleben<br />
eine ereignisreiche Nacht<br />
2. Juanita (Drew Sarich, l.) betrachtet<br />
hoffnungsvoll Kasimir (Dejan Bućin, r.)<br />
und Karoline (Sophia Euskirchen, 2.v.r.)<br />
3. Kasimir (Dejan Bućin, r., mit Drew<br />
Sarich) verzweifelt an der eigenen<br />
Existenzangst<br />
4. Juanita (Drew Sarich) besingt<br />
augenzwinkernd die paarungstollen<br />
»Hirsche« Speer und Rauch<br />
Fotos (4): Tim Müller<br />
glamourösen Partyoutfits ist alles dabei. Doch am<br />
meisten zieht eine großgewachsene Dragqueen nicht<br />
nur aufgrund der Kostüme alle Blicke auf sich. Mal<br />
cool mit Lackmantel, mal in reich verziertem, langem<br />
Abendkleid und eleganter Haarpracht, mit passendem<br />
Drag-Make-up, ist Drew Sarich als Juanita zugleich<br />
Clubgast, Dragqueen und Erzählerin, die das Publikum<br />
und die Charaktere mit ihrem humorvollen<br />
Blick auf die Dinge und ihrem hoffnungsvoll über das<br />
Geschehen wachenden Auge durch die Nacht geleitet.<br />
Die Rolle der Juanita wurde für die Musical-Fassung<br />
des Theaterstücks verändert, stark erweitert und<br />
zur dritten Hauptrolle befördert, stellt sie im Original<br />
doch eine behaarte Gorilladame dar und hat nur einen<br />
kurzen Auftritt im ganzen Stück. Für die Darstellung<br />
konnte Drew Sarich gewonnen werden, der dieser<br />
wichtigen Figur eine große Stimme, Eleganz, Stil und<br />
neckischen Humor verleiht, am wichtigsten aber: eine<br />
menschliche, verletzliche Seele mit viel Einfühlungsvermögen.<br />
Seine Dragqueen - Auftritte sind bombastisch,<br />
aber nicht over the top. Sein Gesangsanteil ist beträchtlich<br />
und diese Momente gehören zu den Highlights der<br />
Show. Sie bergen zudem jede Menge eingängige Melodien,<br />
die sich mitsamt Stimme in den Gehörgang einbrennen.<br />
Dejan Bućin und Sophia Euskirchen ziehen<br />
das Publikum mit ihrem natürlichen Spiel und einigen<br />
wenigen eigenen Liedern, aber oft auch durch schwerwiegende<br />
Dialoge in den Bann. Beide überzeugen<br />
gesanglich mit gefühlvollen, eindrücklichen Stimmen<br />
und sind die passende Besetzung für ein Paar, das im<br />
Laufe des Abends so gar nicht mehr zueinander passt.<br />
Ketevan Chuntishvili hat als Erna einen wunderschönen<br />
Song mit dem ›Großen Bären‹, den sie Kasimir am<br />
Himmel zeigen will und der dank ihrer emotionalen<br />
Stimme Gänsehaut erzeugt. Yannick Spanier spielt<br />
Ernas eher unruhigen und anstiftenden Freund (Der<br />
Merkl Franz) überzeugend. Philipp Kapeller legt seine<br />
Rolle Erwin Schürzinger sympathisch-schüchtern an<br />
und manipuliert nur im Stillen. Er schmettert mehrere<br />
Songs scheinbar locker. Die Staatsopernensemblemitglieder<br />
Frank Schneiders und Daniel Eggert<br />
stellen die zwielichtigen, egoistischen und schmierigen<br />
»Geschäftspartner« dar. Die Statisterie der Staatsoper<br />
sorgt für ein von Menschen belebtes Nachtleben, der<br />
von Lorenzo Da Rio einstudierte Chor der Staatsoper<br />
unterstützt in den Ensemblenummern tatkräftig und<br />
bildet teilweise mitsamt Staatsorchester und elektronischen<br />
Musikeinsätzen eine Art moderne Oper mit<br />
pulsierendem Beat, wie einer rauschenden Partynacht<br />
entnommen, ein Tanz am Abgrund der eigenen Existenz.<br />
Glamourös und mit einem Funken Hoffnung<br />
geht der Mensch zugrunde.<br />
Mit der Uraufführung von »Kasimir und Karoline«<br />
hat das Komponisten- und Kreativteam einen schwer<br />
verdaulichen Klassiker erfolgreich vergegenwärtigt<br />
und leicht zugänglich gemacht.<br />
Rosalie Rosenbusch<br />
6<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
CAMERON MACKINTOSHS<br />
SPEKTAKULÄRE NEUPRODUKTION<br />
VON<br />
ANDREW LLOYD WEBBERS<br />
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PHANTOM.MUSICALVIENNA.AT
Musicals in Deutschland<br />
Tödlich ...?! Köstlich ...?!<br />
»Sweeney Todd« an der Staatsoperette Dresden<br />
Abb. oben:<br />
Mrs Lovett (Silke Richter) berichtet<br />
Sweeney Todd (Hinrich Horn)<br />
vom Schicksal seiner seiner<br />
Ehefrau und Tochter<br />
Foto: Pawel Sosnowski<br />
Der Titelzusatz »The Demon Barber of Fleet Street«<br />
(übersetzt: »Der dämonische Herren-Friseur aus<br />
der Fleet Street«) lässt durchklingen, warum Stephen<br />
Sondheim sein Musical als »tiefschwarze Operette«<br />
bezeichnet haben soll. Für »Sweeney Todd« arbeitete<br />
der Komponist und Texter, der hier für Musik und<br />
Lyrics verantwortlich zeichnet, mit Hugh Wheeler<br />
(Buch) zusammen. Ihr rabenschwarzes Bühnenstück<br />
mit seinen vielfältigen makabren humoristischen Nuancen<br />
feierte 1979 in New York Uraufführung und gewann<br />
insgesamt 8 Tony Awards. In der Übersetzung von<br />
Wilfried Steiner kam es sechs Jahre später in Freiburg<br />
zur deutschsprachigen Erstaufführung. Wenngleich<br />
das Musical bereits Erfolge verbuchen konnte, so<br />
wurde es mit der Tim-Burton-Verfilmung (2007) mit<br />
Johnny Depp (Sweeney Todd) und Helena Bonham<br />
Carter (Mrs Lovett) in den Hauptrollen, die 2008 in<br />
Deutschland in die Kinos kam, weltbekannt. Seit dem<br />
21. Oktober 2023 ist das Stück an der Staatsoperette in<br />
Dresden zu sehen.<br />
Dichter Nebel wabert träge aus einem Londoner<br />
Erdloch. Schlammbesudelte Geschöpfe bahnen sich<br />
einen Weg an die Oberfläche, die die Geschichte vom<br />
Barbier aus der Fleet Street erzählen. Die unterste<br />
Schicht der menschlichen Gesellschaft – gebrochen,<br />
und doch wagen sie die Rebellion. Unter den abfälligen<br />
Blicken der Reichen scheitern sie kläglich. Der Dunst<br />
löst sich auf, als der ehemalige Barbier Benjamin<br />
Barker (Hinrich Horn), der sich von nun an Sweeney<br />
Todd nennt, wieder heimatlichen Boden betritt.<br />
15 Jahre sind vergangen, seit er zu Unrecht in die Verbannung<br />
geschickt wurde. Dem jungenhaften Matrosen<br />
Anthony Hope (Gero Wendorff) hat er es zu verdanken,<br />
dass er nach all der Zeit in der Lage ist, seine<br />
alte, in der Fleet Street gelegene Wirkungsstätte aufzusuchen.<br />
Unter dieser befindet sich der übel laufende<br />
Laden der Pastetenbäckerin Mrs Lovett (Silke Richter),<br />
die Todd wiedererkennt. Sie erzählt ihm vom Schicksal<br />
seiner Gattin Lucy, die nach der rechtswidrigen Verurteilung<br />
ihres Gatten durch Richter Turpin (Elmar<br />
Andree) durch eben jenen massiv bedrängt wurde und<br />
keinen anderen Ausweg mehr sah, als Gift zu sich zu<br />
nehmen. Der hinterlistige Jurist nahm daraufhin die<br />
gemeinsame Tochter des Ehepaares, Johanna (Julie<br />
Sekinger), als Mündel bei sich auf. Die bereits damals<br />
bestehende Zuneigung von Mrs Lovett zu dem Barbier<br />
ließ sie seine Rasiermesser bis heute aufbewahren. Als er<br />
es in den Händen haltend die Ode >Mein Freund< singt,<br />
beschließt Todd, sein altes Handwerk wieder aufzunehmen,<br />
und schwört Rache an seinen Widersachern. Unterdessen<br />
sehnt sich Johanna, wie ›Grünfink und Nachtigall‹<br />
im Käfig gefangen, nach Freiheit. Als Anthony ihrer<br />
bei einem Spaziergang gewahr wird, verliebt er sich<br />
augenblicklich in sie. Von Turpin verjagt macht er<br />
sich auf den Weg in die Fleet Street, auf Hilfe für eine<br />
Rettungsaktion der holden Maid hoffend. Auf dem<br />
Marktplatz wird derweil ein neues Werbevideo zu<br />
›Pirellis Aqua-Capillare‹, einem angeblichen Wunder-<br />
Haarwuchs-Mittel, gedreht. Der sich selbst als »König<br />
der Barbiere« bezeichnende Adolfo Pirelli (Václav<br />
Vallon) kann dabei auf das technische Geschick seines<br />
knabenhaften Gehilfen Tobias (in der bes. Vorstellung<br />
gespielt und gesprochen von Michelle Lippe, gesungen<br />
von Timo Schabel) zählen. Die Menge mag er damit<br />
8<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Deutschland<br />
täuschen können, doch Sweeney Todd hält es für eine<br />
Masche, um die Arbeiter um ihr hart erarbeitetes Geld zu<br />
bringen, und fordert den anderen zum Wettrasieren heraus,<br />
welches er gewinnt. Dadurch in seiner Zunft wieder<br />
Fuß fassend lädt er Büttel Bamford (Dietrich Seydlitz),<br />
der als Schiedsrichter agierte, zu einer kostenlosen Rasur<br />
ein, um seinen Rachefeldzug zu beginnen. Jedoch macht<br />
ihm zunächst Pirelli einen Strich durch die Rechnung,<br />
da dieser in dem Konkurrenten Benjamin Barker erkannt<br />
hat und droht, alles auffliegen zu lassen. Diese Erpressung<br />
bringt ihm den Tod. Mrs Lovett kann Tobias weismachen,<br />
dass er von seinem Meister verlassen wurde. Bei<br />
ihr findet er fortan ein neues Zuhause.<br />
Richter Turpin beabsichtigt, Johanna zu heiraten,<br />
um damit die Annäherungen fremder junger Männer zu<br />
unterbinden. Diese ist nicht begeistert davon und plant<br />
gemeinsam mit Anthony ihre Flucht. Der Jurist begibt<br />
sich auf Anraten von Büttel Bamford für eine Rasur zu<br />
Sweeney Todd. Durch das Hereinplatzen des jungen<br />
Seefahrers werden nicht nur die Rachepläne des Barbiers<br />
zunichtegemacht, sondern ebenfalls das Durchbrennen<br />
des verliebten Paares, da Turpin wutentbrannt davoneilt<br />
und sein Mündel für den Moment unerreichbar versteckt.<br />
Mrs Lovett unterbricht mit der Frage über die Zukunft<br />
der Leiche von Pirelli die ausufernden Gewaltfantasien<br />
von Todd. Pragmatisch, wie sie ist, und aufgrund der<br />
teuren Fleischpreise, kommt ihr eine makabere Idee:<br />
Der Tote wird kurzerhand zu Pasteten verarbeitet. Der<br />
Verkauf läuft hervorragend, sodass Sweeney weiter für<br />
Nachschub sorgt, wobei er Vorsicht bei der Wahl seiner<br />
»Zulieferer« walten lässt. Gleichwohl verfolgt er darüber<br />
hinaus die Vergeltungspläne gegen den Richter und die<br />
Anstrengungen zur Befreiung seiner Tochter. Der finale<br />
Showdown birgt manche Überraschungen und zeigt in<br />
besonderem Maß das moralische Dilemma der Selbstjustiz<br />
auf.<br />
Martin G. Berger hat mit »Follies« bereits ein von<br />
Erfolg gekröntes Sondheim-Musical an der Staatsoperette<br />
Dresden inszeniert. Mit »Sweeney Todd« gelingt<br />
ihm ein ebenso erfolgreicher Coup. Er schafft es, die im<br />
19. Jahrhundert angesiedelte Geschichte, unter Beibehaltung<br />
charakteristischer zeitgenössischer Elemente, in die<br />
Gegenwart zu transferieren. Damit baut er eine Brücke<br />
zwischen den Zeiten und interpretiert die teils immens<br />
düstere und skurrile Handlung auf eine eigene Art und<br />
Weise, die das Musical auch für Kenner neu erlebbar<br />
macht. Das Bühnenbild von Sarah-Katharina Karl ist<br />
teilweise minimalistisch, gleichzeitig in hohem Maße<br />
beeindruckend. Mit wenigen Komponenten wird auf der<br />
Bühne selbst agiert. Gleichwohl ist der Orchestergraben<br />
ein elementarer Teil der Konstruktion. In diesen ist die<br />
Grube, aus der sowohl Menschen gekrochen kommen als<br />
auch hineinfallen, integriert, ebenso wie er über fahrbare<br />
Gitter nach Belieben bis an den Rand des Loches abgedeckt<br />
werden kann und damit diverse Szenen in ihrer<br />
Dynamik unterstrichen werden. Als aus dem Boden die<br />
Unterwelt himmelwärts steigt, stellt dies auf eindrucksvolle<br />
Weise das Irrenhaus dar – Gänsehaut garantiert.<br />
Dazu kommt das stimmige Zusammenspiel mit dem<br />
Videodesign (Lukas Marian). Die Leinwand, die die<br />
Gesellschaftsschichten trennt, wird teilweise mit bunten<br />
Bildern bespielt, die den überbordenden Kommerz<br />
gelungen widerspiegeln. Der dem Musical-Thriller innewohnende<br />
Humor wird unter anderem durch das Drehen<br />
von Werbevideos, die an Influencer mit ihren YouTube-<br />
Videos erinnern, widergespiegelt. Im brutalen Gegensatz<br />
dazu steht die Handkameraführung, die den Übergriff<br />
auf Lucy durch den Richter im Großformat wiedergibt<br />
und für deutliche Beklemmung sorgt. Nicht umsonst ist<br />
die Altersempfehlung für das Musical auf der Internetseite<br />
der Staatsoperette mit 14 Jahren angeben. Ebenso ist<br />
eine entsprechende Triggerwarnung zu finden.<br />
Sweeney Todd – The Demon<br />
Barber of Fleet Street<br />
Stephen Sondheim / Hugh Wheeler<br />
Deutsch von Wilfried Steiner und<br />
Roman Hinze<br />
Staatsoperette Dresden<br />
Premiere: 21. Oktober 2023<br />
Regie ....................... Martin G. Berger<br />
Musik. Leitung .... Peter Christian Feigel<br />
Chorleitung .................. Thomas Runge<br />
Bühnenbild ......... Sarah-Katharina Karl<br />
Kostüme ..... Alexander Djurkov Hotter<br />
Masken & Frisuren ...... Thorsten Fietze<br />
Licht ............................ Uwe Münnich<br />
Videodesign ................... Lukas Marian<br />
Ton ......................... Pawel Leskiewicz<br />
Sweeney Todd ............. Hinrich Horn /<br />
Uwe Schenker-Primus<br />
Mrs Lovett ..................... Silke Richter /<br />
Stefanie Dietrich<br />
Anthony Hope .......... Gero Wendorff /<br />
Jan-Philipp Rekeszus<br />
Johanna Barker ............ Julie Sekinger /<br />
Charlotte Watzlawik<br />
Tobias Ragg (Toby) .... Riccardo Romeo /<br />
Timo Schabel<br />
Richter Turpin ................ Elmar Andree<br />
Büttel Bamford .......... Dietrich Seydlitz<br />
Bettlerin ..................... Dimitra Kalaitzi<br />
Adolfo Pirelli ............... Václav Vallon /<br />
Timo Schabel<br />
Mr Fogg ....................... Michael Kuhn,<br />
Friedemann Condé<br />
Chor & Statisterie der<br />
Staatsoperette Dresden<br />
Abb. von links oben:<br />
1. Tobias Ragg (Riccardo Romeo, i.d.bes.<br />
Vorst. Michelle Lippe, vorne Mitte &<br />
Leinwand) dreht das neueste Werbevideo<br />
zum Wundermittel von Adolfo<br />
Pirelli (Václav Vallon, hinten Mitte)<br />
2. Anthony Hope (Gero Wendorff) und<br />
Johanna Barker (Julie Sekinger) können<br />
endlich zusammen sein, nachdem sie<br />
den Horror der vergangenen Monate<br />
überlebt haben<br />
3. Die Bettlerin (Dimitra Kalaitzi)<br />
bedrängt Sweeney Todd (Hinrich Horn)<br />
4. Sweeney Todd (Hinrich Horn) hat<br />
sich zum erfolgreichen Geschäftsmann<br />
entwickelt, von dessen Glück jeder<br />
(Chor) etwas abhaben möchte<br />
Fotos (4): Pawel Sosnowski<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
9
Musicals in Deutschland<br />
Abb. unten von links oben:<br />
1. ›Schmeckt das gut‹ – Mrs Lovett<br />
(Silke Richter) feiert mit ihren<br />
Gästen (Chor) den Erfolg ihrer<br />
Pastetenbäckerei<br />
2. Richter Turpin (Elmar Andree)<br />
macht der geschockten Johanna<br />
(Julie Sekinger) deutlich, dass er sie<br />
heiraten wird<br />
3. ›Die schlimmsten Pasteten‹ – Mrs<br />
Lovett (Silke Richter) bietet Sweeney<br />
Todd (Hinrich Horn) ihre (un-)<br />
schmackhaften Gebäckstücke an<br />
4. ›Mein Freund‹– Sweeney Todd<br />
(Hinrich Horn) hat sein altes<br />
Handwerkszeug wieder<br />
Fotos (4): Pawel Sosnowski<br />
Alexander Djurkov Hotter zeichnet für die Kostüme<br />
verantwortlich, die das Gesamtbild weiter komplettieren.<br />
Die ausgebeutete Arbeiterschicht erscheint<br />
grau und trist, mit von Schlamm bedeckter Kleidung.<br />
Die Oberschicht darf sich im goldenen Schein sonnen,<br />
während die Maschinerie der Karrieristen, zu der<br />
neben Pirelli auch Mrs Lovett gehören, in knalligem<br />
Pink daherkommt. Durch das Herunterbrechen auf<br />
diese Grundelemente mit ihren Abstufungen innerhalb<br />
einer Schicht wird dem Minimalismus Rechnung<br />
getragen, gleichzeitig aber die Wirkung der jeweiligen<br />
Akteure und deren Stellung inmitten des Gesamtgefüges<br />
unterstrichen.<br />
Da der Orchestergraben Teil des Bühnenbildes ist,<br />
spielt jenes unter der musikalischen Leitung von Peter<br />
Christian Feigel direkt auf der Bühne. Hinter der Leinwand,<br />
umgeben von einem auf einer Seite offenen Bühnensteg,<br />
ist es ein integraler Bestandteil des Stückes.<br />
Dadurch wird die Musik noch eindringlicher in den<br />
Zuschauerraum getragen, wobei die anspruchsvolle<br />
Partitur von Sondheim klar und mühelos erklingt. Die<br />
Tonabmischung (Pawel Leskiewicz) sorgt für einen<br />
harmonischen Hörgenuss, da der Gesang jederzeit<br />
deutlich vernehmbar ist.<br />
Von Beginn an holt Hinrich Horn mit seiner<br />
Interpretation des Sweeney Todd die Zuschauer ab.<br />
Eindrucksvoll überzeugt er mit seiner Stimme und<br />
Schauspielkunst, ohne seine Kollegen in den Schatten<br />
zu stellen. Besonders im Zusammenspiel mit Silke<br />
Richter (Mrs Lovett) entstehen oftmals witzige Darbietungen,<br />
die den eigenwilligen Humor des Musicals<br />
geglückt einfangen. Der Darsteller des Tobias Ragg,<br />
Riccardo Romeo, konnte in der besuchten Vorstellung<br />
aufgrund von Krankheit nicht spielen. Als Ersatz ist<br />
allen Beteiligten ein überzeugender Coup gelungen,<br />
in dem die Regie-Assistentin Michelle Lippe den<br />
Charakter gespielt und gesprochen hat, während<br />
der Ensemble-Tenor Timo Schabel aus dem Chor<br />
heraus die Gesangsparts übernahm. Lediglich durch<br />
die unterschiedliche Stimmfarbe ist diese Doppelbesetzung<br />
aufgefallen. Besonders der darstellerischen<br />
Leistung von Michelle Lippe und deren synchronen<br />
Lippenbewegungen beim Gesang ist in hohem Maß<br />
Respekt zu zollen. Allumfassend weiß ebenso Gero<br />
Wendorff als Anthony Hope zu überzeugen. Seine<br />
Darbietung von ›Johanna‹ ist Romantik pur, ohne<br />
dabei kitschig zu wirken. Julie Sekinger (Johanna<br />
Barker) bringt mit ihrer ausdrucksstarken und klaren<br />
Stimme nicht nur die Sehnsucht nach Freiheit<br />
zum Ausdruck, sondern auch in ergreifender Art die<br />
Verzweiflung durch ihren Aufenthalt im Irrenhaus.<br />
Als Richter Turpin stellt Elmar Andree den wohl<br />
unbeliebtesten Charakter des Stückes dar. Diese<br />
Herausforderung meistert er erstklassig und vor allen<br />
Dingen bei der Selbstgeißelung ist die Zerrissenheit<br />
seiner Figur deutlich fühlbar und erzeugt Gänsehaut.<br />
Martin G. Berger schafft mit seiner Inszenierung<br />
von »Sweeney Todd« eine düstere, aber auch nachdenkliche<br />
Atmosphäre, die dennoch nichts vom rabenschwarzen<br />
Humor des Musical-Thrillers vermissen<br />
lässt. Ohne belehrend zu wirken regen die geschaffenen<br />
Parallelen zum Grübeln an, sodass der Abend musikalisch<br />
und mental lange in einem nachklingt.<br />
Eva Baldauf<br />
10<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Deutschland<br />
Viele Emotionen charismatisch dargestellt<br />
»The Last Five Years« im Friedrichsbau Varieté Stuttgart<br />
Cathy! Da sitzt sie nun alleine, verlassen, einsam,<br />
verbittert, traurig. So viele Träume hatte sie. Vor<br />
5 Jahren lernte sie Jamie kennen und sie verliebten<br />
sich. Sie waren jung und voller Zuversicht für ihre<br />
gemeinsame Zukunft. Cathy träumte von einer großen<br />
Karriere als Musicalsängerin und dem großen<br />
Glück zusammen mit Jamie. Doch nichts davon<br />
wurde wahr, und so blickt sie verbittert zurück auf<br />
die letzten 5 Jahre, voller erfolgloser Bewerbungen,<br />
voller Frustration, an deren Ende Jamie sie betrügt<br />
und verlässt.<br />
Jamie! Er ist jung und verliebt in Cathy, die er<br />
gerade kennengelernt hat. Er möchte Schriftsteller<br />
werden, feiert erste Erfolge. Und er ist so glücklich:<br />
Cathy und er nehmen zusammen eine Wohnung und<br />
sie heiraten. Die Zukunft liegt vor ihnen und sie sind<br />
überzeugt, dass sie wunderschön wird. Doch im Lauf<br />
der nächsten 5 Jahre muss er feststellen, dass Cathy<br />
immer mehr verbittert aufgrund ihrer beruflichen<br />
Misserfolge. Sie begleitet ihn nicht zu wichtigen Terminen<br />
und er fühlt sich allein gelassen. Aus der glücklichen<br />
Zeit werden Verzweiflung und Frustration – bis<br />
Jamie am Ende der 5 Jahre mit einer anderen Frau ins<br />
Bett geht.<br />
Das spannende an dem Stück ist, dass es in zwei<br />
unterschiedlichen, gegenläufigen Zeitlinien spielt.<br />
Während Cathy auf die letzten 5 Jahre zurückblickt,<br />
schaut Jamie vom Beginn ihrer Bekanntschaft nach<br />
vorne. Das einzige Treffen der beiden Geschichten<br />
findet anlässlich ihrer Hochzeit statt.<br />
»The Last Five Years« ist ein Kammermusical, in<br />
dem überwiegend gesungen und wenig gesprochen<br />
wird. Das besondere an der Produktion, mit der Maximilian<br />
Mann sein Debüt als Regisseur gibt, ist, dass<br />
die 14 Lieder in Englisch gesungen werden, aber die<br />
wenigen gesprochenen Texte in Deutsch sind. Eines<br />
der besonders schönen Lieder ist die Weihnachtsgeschichte,<br />
die Jamie Cathy erzählt: die Geschichte vom<br />
Schneider Schmuel, besonders niedlich hier erzählt<br />
durch eine Handpuppe.<br />
Maximilian Mann ist dem Stuttgarter Publikum<br />
besonders durch seine Rollen in »Der Glöckner von<br />
Notre Dame« und »Aladdin«, wo er der beliebte<br />
Dschinni war, bekannt. Er engagiert sich zusätzlich<br />
auch sehr für krebskranke Kinder.<br />
Für die Rolle der Cathy hat er sich Martina<br />
Lechner geholt, die derzeit in Stuttgart im Musical<br />
»Tina« zu sehen ist. Ihr Gegenüber in der Rolle des<br />
Jamie ist Daniele Spampinato, auch er aus der Stuttgarter<br />
»Tina«-Besetzung. Beide spielen ihre Rollen<br />
ausdrucksstark und voller Emotionen und man kann<br />
schon fast ein bisschen Mitleid mit Cathy und Jamie<br />
haben.<br />
Wunderbar begleitet werden die Beiden durch eine<br />
sechsköpfige Band, in der besonders zwei Celli auffallen,<br />
unter der einfühlsamen musikalischen Leitung<br />
von Daniel Weis.<br />
Das Stück bedarf keines großen Bühnenbilds. Die<br />
Bühne wird hauptsächlich durch eine große Couch<br />
dominiert. Untermalt und verdeutlicht werden die<br />
zeitlichen Wechsel in der Erzählung durch das Anund<br />
Ausziehen verschiedener Kleidungsstücke.<br />
»The Last Five Years« feierte 20<strong>01</strong> in Chicago<br />
seine Uraufführung, wurde 2002 am Off-Broadway<br />
in New York aufgeführt und kam 2005 zum ersten<br />
Mal nach Deutschland, und zwar in Wuppertal.<br />
Unter der Regie von Christoph Drewitz und Daniel<br />
Witzke spielten damals Patrick Stanke und Charlotte<br />
Heinke die Hauptrollen in der deutschsprachigen<br />
Erstaufführung.<br />
Inzwischen wird das Musical »Die letzten fünf Jahre«<br />
auch in Deutschland häufiger gespielt. Leider gab es in<br />
Stuttgart von dieser Produktion nur zwei Vorstellungen.<br />
Ingrid Kernbach<br />
Abb. oben:<br />
›The Schmuel Song‹, hinreißend<br />
von Jamie (Daniele Spampinato)<br />
für seine Cathy (Martina Lechner)<br />
vorgetragen<br />
Abb. unten:<br />
Cathy (Martina Lechner) nimmt<br />
glücklich den Heiratsantrag von<br />
Jamie (Daniele Spampinato) an<br />
Fotos (2): Ingrid Kernbach<br />
The Last Five Years<br />
Jason Robert Brown<br />
Songs in englischer Sprache<br />
Deutsche Dialoge von Wolfgang Adenberg<br />
Friedrichsbau Varieté Stuttgart<br />
Premiere: 9. Januar 20<strong>24</strong><br />
Regie ...................... Maximilian Mann<br />
Musikalische Leitung ........ Daniel Weis<br />
Technische Regie....... Anna Matthiesen<br />
Cathy......................... Martina Lechner<br />
Jamie .................. Daniele Spampinato<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
11
Musicals in Deutschland<br />
Der lange Weg nach Bethlehem<br />
Uraufführung des Chormusicals »Bethlehem« in Düsseldorf<br />
Abb. oben:<br />
Der eigentliche Star des Abends ist<br />
natürlich der gigantische Chor<br />
Foto: Stephan Drewianka<br />
Chormusical Bethlehem<br />
Dieter Falk / Paul Falk / Michael Kunze<br />
Stiftung Creative Kirche<br />
PSD Bank Dome Düsseldorf<br />
Uraufführung: 16. Dezember 2023<br />
Regie .............................. Gil Mehmert<br />
Leitung Chor .........................................<br />
................ Danny Sebastian Neumann &<br />
Miriam Schäfer<br />
Choreographie ................. Yara Hassan<br />
Ausstattung ...................... Britta Tönne<br />
Lichtdesign ............. Michael Grundner<br />
Sound Engineering .... Carsten Kümmel<br />
Josef ............................. Benjamin Oeser<br />
Maria ................... Alina Ju Tchin Simon<br />
Engel ............................ Bonita Niessen<br />
Herodes ........................... Mischa Mang<br />
Erzählerin 1 .......................... Julia Lißel<br />
Mamba / Erzählerin 2 .... Karolin Konert<br />
Melchior ..................... Sebastian Wurth<br />
Balthasar .................... Florian Minnerop<br />
Caspar ..................... Marlon Wehmeier<br />
In weiteren Rollen:<br />
Veronika Rivó, Stefan Stara<br />
Dieter Falk ist ein Musikproduzent, der neben der<br />
Zusammenarbeit mit vielen internationalen Weltstars<br />
auch mit der Gruppe PUR das Album »Abenteuerland«<br />
produziert hat, und Vollblutmusiker, der mit<br />
seinen Söhnen Paul und Max unter dem Namen »Falk<br />
& Sons« zwei Jazz-Alben mit modernen Bach-Arrangements<br />
herausgebracht hat. In Kooperation mit der<br />
Stiftung Creative Kirche schrieb er mit Texter Michael<br />
Kunze 2009 das Pop-Oratorium »Die 10 Gebote« für die<br />
Kulturhauptstadt Dortmund als reines Chorstück, das<br />
er 2<strong>01</strong>3 für das Theater St. Gallen mit Solo-Künstlern<br />
zum echten Chormusical »Moses« erweiterte. 2<strong>01</strong>7 hatte<br />
das Pop-Oratorium »Luther – das Projekt der 1.000<br />
Stimmen« zum 500-Jahre-Reformationsjubiläum Weltpremiere<br />
in der Dortmunder Westfalenhalle – mit einem<br />
3.000 Stimmen starken Chor, 40-köpfigem Symphonieorchester,<br />
einer Rockband und 12 Musicaldarstellern das<br />
bisher größte Projekt des Autoren-Teams Falk/Kunze.<br />
Nach einem Kick-Off Ende 2<strong>01</strong>9 zum neuesten Musicalprojekt<br />
»Bethlehem« sollte das dritte Chormusical von<br />
Dieter Falk eigentlich Ende 2020 Weltpremiere feiern,<br />
doch die Corona-Pandemie sorgte dafür, dass die Premiere<br />
in den Folgejahren gleich zweimal abgesagt werden<br />
musste. Beim Entstehungsprozess des Musicals wurden<br />
von Dieter Falk, Mitkomponist Sohn Paul und Librettist<br />
Michael Kunze zunächst Handlung und Charaktere<br />
umrissen. Danach legten die beiden Komponisten vor<br />
und produzierten die Songs im Studio, bei denen Dieter<br />
Falk einen Fantasietext über die späteren Textzeilen<br />
sang und dieses Demo dann an Michael Kunze schickte,<br />
der charakterspezifisch passgenaue Texte verfasste und<br />
diese von Hamburg zurück nach Düsseldorf schickte,<br />
bis das finale Werk vollendet war. Falk komponierte<br />
eine Mischung aus Gospel und Pop, zitierte aber auch<br />
Weihnachtslieder wie ›Freue dich Welt‹, ›Adeste Fideles‹<br />
oder ›Maria durch ein Dornwald ging‹ und verwendete<br />
Bach- und Händel-Zitate. Beim dritten Chormusical<br />
gibt es außerdem mehr Up-Tempo-Nummern mit<br />
»Gospelwippen«, die bei Sängern und Zuschauern sehr<br />
gut ankommen. Mehr Reprisen sollen zudem den Ohrwurmcharakter<br />
prägen und die Zuschauer animieren, die<br />
auf Monitorwänden eingeblendeten Texte mitzusingen.<br />
Das Altersspektrum der teilnehmenden Chormitglieder<br />
reicht von 7 bis 93 Jahren. Die neun professionellen<br />
Musicaldarsteller als Solisten treten diesmal enger mit<br />
dem Chor in Interaktion, wobei die Solisten wie beim<br />
Gospel Textzeilen vorgeben, die der Chor anschließend<br />
als Echo zurückwirft.<br />
Die CD-Aufnahme mit einem Chor aus 100 Chorleitern<br />
und Chorleiterinnen konnte im März 2020 gerade<br />
noch rechtzeitig eingespielt werden, bevor das Verbreiten<br />
von Aerosolen in großen Menschenmengen verboten<br />
wurde. Während der Corona-Zeit gab es von Dieter und<br />
Paul Falk organisierte Online-Musikproben »Singen<br />
zuhause«, die zunächst nur für den damals 2.500-Stimmen-Chor<br />
gedacht waren, zu denen sich aber jeden<br />
Dienstagabend live bis zu 30.000 Menschen zuschalteten,<br />
um gemeinsam die Partitur von »Bethlehem« zu singen.<br />
Der daraus resultierende 3.000-Stimmen-Chor, der<br />
am 10. Dezember 2023 in der Grugahalle zur Hauptprobe<br />
antrat, war durch 3 Jahre Online-Proben also<br />
bestens auf die Aufgabe vorbereitet. Wer Chormitglied<br />
werden wollte, musste kein Casting bestehen, sondern<br />
sich einfach nur <strong>online</strong> registrieren.<br />
Der erste Song ›Bethlehem‹ zeigt das jetzige Bethlehem<br />
mit Stacheldrahtzäunen, wo gleich drei große Weltreligionen<br />
nicht immer friedlich aufeinandertreffen, bevor wir<br />
in den Brunnen der Zeit treten und im Jahre 1 unserer<br />
12<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Deutschland<br />
modernen Zeitrechnung landen. Der zweite Song ›Menschen<br />
in Not‹ ist momentan leider durch zwei Kriege<br />
aktueller denn je. »Bethlehem« ist kein politisches<br />
Stück, doch haben viele Texte ganz aktuell einen Bezug<br />
erhalten, den sie bei ihrer Entstehung vor über 3 Jahren<br />
noch nicht hatten. Es geht natürlich um das Wunder der<br />
Geburt Jesu, das in der Textzeile mündet: »Das Leben<br />
gewinnt mit jedem Kind«.<br />
Josef kommt mit seiner hochschwangeren Maria in<br />
Bethlehem an, wo sie als Fremde gemieden werden, doch<br />
sie finden Unterschlupf in einem Stall. Drei Astrologen<br />
beobachten als Könige der Wissenschaft einen Kometen,<br />
dem sie folgen und so an den Hof von Herodes gelangen,<br />
wo sie behaupten, dass der Komet die Ankunft eines<br />
neuen Königs verspricht, was Herrscher Herodes gar<br />
nicht gutheißt und mit seiner engsten Beraterin Mamba<br />
zu verhindern gedenkt. Ein Engel verkündet Josef und<br />
später auch den Hirten, dass Maria Gottes Sohn gebären<br />
wird. Als die drei Gaben der Astrologen zur Geburt Jesu<br />
neben Gold und Weihrauch auch die bittere Myrrhe enthalten,<br />
sieht Maria darin ein böses Omen und flieht mit<br />
Josef nach Ägypten. Zu Recht, denn Herodes befiehlt<br />
Mamba, zur Sicherung seiner Macht alle Neugeborenen<br />
in Bethlehem zu töten, doch Mamba entscheidet sich für<br />
eine andere Lösung.<br />
Viel Handlung gibt es für Regisseur Gil Mehmert<br />
nicht umzusetzen, der sich bei seiner Inszenierung auch<br />
auf wenige Requisiten wie die leuchtenden Buchstaben<br />
des Wortes Bethlehem, einen Einkaufswagen mit Marias<br />
und Josefs Habseligkeiten und moderne Kostüme von<br />
Bettina Tönne vorrangig in Schwarz mit Jeans und<br />
Leder verlässt. Star der beeindruckenden Show ist der<br />
gigantische Chor auf den Rängen des PSD Bank Domes<br />
in Düsseldorf, atmosphärisch illuminiert im passenden<br />
Lichtdesign von Michael Grundner und dirigiert an<br />
zwei Seiten von Danny Sebastian Neumann und Miriam<br />
Schäfer. 14 Musiker und Musikerinnen sorgen für die<br />
instrumentale Begleitung, die vom Sound Engineering<br />
von Carsten Kümmel auch mit den Solo-Darstellern<br />
perfekt verständlich abgemischt wird, während sie in der<br />
Choreographie von Yara Hassan an passender Stelle auch<br />
mal einige Tanzschritte aufführen dürfen.<br />
Als Maria überzeugt Alina Ju Tchin Simon mit einer<br />
kristallklaren Stimme bei ›Du wirst stets mein Kind<br />
sein‹, Benjamin Oeser darf als Josef bei ›Wenn Gott<br />
ein Mensch ist‹ zweifeln, wie Jesus seinen Platz in der<br />
Geschichte einnimmt. Bonita Niessen verkündet als<br />
Engel mit starker Gospel-Röhre und beeindruckender<br />
Robe Jesu Geburt gleich mehrfach, während Mischa<br />
Mang als Herodes seine ›Macht‹ mit allen Mitteln behalten<br />
will. Sein bestens gestimmtes Instrument ist Mamba,<br />
die mit Karolin Konert fantastisch ihren ›Nachtwein‹<br />
darreicht. Die drei weisen Astrologen sind mit Sebastian<br />
Wurth (Melchior), Florian Minnerop (Balthasar) und<br />
Marlon Wehmeier (Caspar) harmonisch aufgestellt und<br />
mit M, B, C auf den Baseball-Kappen immer gut auseinanderzuhalten.<br />
Julia Lißel führt als Erzählerin durch die<br />
biblische Geschichte. Stefan Stara und Veronika Rivó<br />
kamen als Cover in den beiden Vorstellungen am 16.<br />
Dezember 2023 nicht zum Einsatz.<br />
»Bethlehem« ist auch ohne viele Kulissen ein<br />
beeindruckendes Spektakel mit biblischen Ausmaßen<br />
und weiß durch schmissige Gospel-Rhythmen gut zu<br />
unterhalten. Die Show wird in den nächsten Jahren zur<br />
Adventszeit gleich in mehreren Städten auf Tournee<br />
gehen, und interessierte Sänger und Sängerinnen können<br />
sich schon bald <strong>online</strong> als Chormitglieder registrieren.<br />
Stephan Drewianka<br />
Abb. oben:<br />
Julia Lißel übernimmt als Erzählerin<br />
auch die Rolle eines Schäfers<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Maria (Alina Ju Tchin Simon, r.)<br />
und Josef (Benjamin Oeser, 2.v.r)<br />
kommen nach Bethlehem, wo sie<br />
nicht willkommen sind<br />
2. Die Heiligen Drei Könige als<br />
Astronomen – (v.l.): Balthasar<br />
(Florian Minnerop), Caspar<br />
(Marlon Wehmeier) und Melchior<br />
(Sebastian Wurth)<br />
3. Mamba (Karoline Konert)<br />
hält einen Nachttrank für König<br />
Herodes (Mischa Mang. l.) parat<br />
4. Bonita Niessen als Engel der<br />
Verkündung<br />
Fotos (5): Stephan Drewianka<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
13
Musicals in Deutschland<br />
Ein Stück über Liebe – und Berlin<br />
BVG-Musical »Tarifzone Liebe« feiert Uraufführung in Berlin<br />
Abb. oben: Die BVG steht still und<br />
niemand (Ensemble) weiß mehr, wie<br />
er jetzt an sein Ziel kommen soll<br />
Foto: Fabian Frühling<br />
Tarifzone Liebe –<br />
Das BVG-Musical<br />
»Not A Machine« / Tom van Hasselt<br />
BVG Berlin<br />
Admiralspalast<br />
Uraufführung: 4. Dezember 2023<br />
Regie ..................... Christoph Drewitz<br />
Musikalische Leitung ..... Hauke Wendt<br />
Choreographie ............. Jonathan Huor<br />
Ausstattung ........................ Adam Nee<br />
Lichtdesign .... Fridthjofur Thorsteinsson<br />
Tramara ........ Jeannine Michèle Wacker<br />
Alexander....................... Jendrik Sigwart<br />
Bus-Tav .............................. Gino Emnes<br />
U-Laf ................................... Nico Went<br />
Fahraus-Weise .................... Steffi Irmen<br />
Fahrgast / Gebiss ......... Ilias Sidi-Yacoub<br />
Hilde / Eifelturm ......... Anastasia Troska<br />
Fahrgast / Peitsche ....... Safiyah Galvani<br />
Omi ....................... Alina Antje Niehaus<br />
Heiner / Kontrolleur ..... Dominik Müller<br />
In weiteren Rollen<br />
Daniel Brennecke, Ulrike Brühan,<br />
Emilia Eschelbach, Kevin Flemming,<br />
Fitim Qenaj, Zoé Wendel<br />
Berliner Verkehrsbetriebe sind schon seit<br />
Dvielen Jahren dafür bekannt, dass sie immer<br />
wieder mit großen Werbeaktionen zumindest für<br />
den einen oder anderen Aufmerksamkeitsschmunzler<br />
sorgen. Die Werbeagentur hinter den erfolgreichen<br />
Kampagnen ist auch an der jetzigen beteiligt:<br />
Plötzlich und unerwartet war Berlin im November<br />
mit Plakaten zugepflastert, die für das Musical<br />
»Tarifzone Liebe« wenige Wochen später mit nur<br />
zwei Shows im Admiralspalast warben. Was kurz<br />
wie ein Witz wirkte, stellte sich dann schnell als<br />
echtes Stück heraus, und binnen <strong>24</strong> Stunden waren<br />
alle Tickets für die beiden Abende ausverkauft.<br />
Die Geschichte ist, bedingt durch die kurze<br />
Dauer des Stückes, einfach gestrickt: Tramara<br />
möchte mehr als einfach nur eine Tram sein, die<br />
ihre Fahrgäste von A nach B befördert – nein, sie<br />
möchte möglichst alle Fahrgäste glücklich machen.<br />
Nachdem sie mitbekommen hat, dass zwei Fahrgäste<br />
aus Versehen getrennt wurden, sorgt sie<br />
zum Beispiel durch einen plötzlichen Stopp dafür,<br />
dass sie wieder zusammen finden. Da dieses mitfühlende<br />
Verhalten immer wieder für Verspätungen<br />
im Verkehrsbetrieb sorgte, ist gerade dieses<br />
außerplanmäßige Halten der Auslöser dafür, dass<br />
sie von der Leitstellenleitung von ihrer üblichen<br />
Strecke abgezogen wird. Für einen kurzen Stopp<br />
zum Reinigen kommt sie ins Lager. Gemeinsam<br />
mit einigen Fundstücken besingt sie dort ihren<br />
Stammfahrgast Alexander, in den sie sich verliebt<br />
und von dem sie das Portemonnaie hat, nachdem<br />
er es bei einer Fahrt mit ihr verlor. Dieser ist bereits<br />
in der Beschwerdestelle auf der Suche nach Hilfe,<br />
rund um ihn vor allem erboste Menschen, die sich<br />
über die Unzulänglichkeit der BVG beschweren<br />
wollen. Tramara versucht, Alexander über die<br />
Anzeigetafeln darüber zu informieren, dass sie<br />
das Fundstück hat, allerdings nicht mehr auf ihrer<br />
üblichen Stammstrecke fahren darf. Dieser versteht<br />
die kryptische Nachricht erstaunlicherweise sofort<br />
und macht sich auf den Weg zum Alexanderplatz.<br />
Allerdings wird Alexander von der Fahrkartenkontrolle<br />
angehalten – das Fahrticket liegt allerdings<br />
in seinem Portemonnaie in Tramara, die er durch<br />
die Kontrolle verpasst. Tramara, die ihn gesehen,<br />
aber die Situation missgedeutet hat, entschließt<br />
sich, ihren Liebeskummer zum Anlass zu nehmen,<br />
um aus dem Schienennetz Berlins auszubrechen<br />
und nach Paris, der Stadt der Liebe, aufzubrechen.<br />
Dieser Ausstieg sorgt für Chaos im Fahrplan und<br />
auf einmal steht alles still – was dazu führt, dass<br />
die Fahrgäste, die zuvor noch so erbost über all<br />
die Verspätungen waren, bemerken, wie wichtig<br />
die BVG für ihre Tagesabläufe ist. Mit »Die Stadt<br />
steht still, denn sie will, sie will ein bisschen Liebe«<br />
singen sie eine Hymne auf das, was in den letzten<br />
Jahren zunehmend fehlte – Liebe und Verständnis<br />
unter- und füreinander. Auch Alexander stellt fest,<br />
dass Berlin nicht seinen Traumvorstellungen entspricht<br />
und wie einsam er in Wahrheit ist. Tramara<br />
und er begegnen sich an einer Tramhaltestelle und<br />
die Weisheit, dass man manchmal einfach zuhören<br />
muss, um den anderen zu verstehen, führt dazu,<br />
dass sie miteinander reden können, obwohl sie eine<br />
Tram und er ein Mensch ist. Sie erzählt ihm von<br />
ihrem Paris-Traum, den sie kurz hatte, und dass<br />
sie für ihn zurückgekehrt ist. Mit ›Einzelfahrt ins<br />
Liebesglück‹ besingen beide die schönen Seiten, die<br />
14<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Deutschland<br />
Berlin und das Leben bieten, ebenso wie ihre Liebe.<br />
Als Tramara sich bei der Leitstelle stellt und zugibt,<br />
dass sie an dem Chaos in der Stadt Schuld ist, kommen<br />
ihr alle Gäste zur Hilfe und erzählen, wie toll<br />
sie Tramara finden und wie schön es ist, wenn man<br />
auch als Einzelfahrgast mal wahrgenommen wird.<br />
Mit ›Tarifzone Liebe‹, eine Hymne an die BVG, das<br />
Miteinander und die Stadt, endet dann das knapp<br />
einstündige Erlebnis.<br />
Dass hier echte Profis am Werk sind, sieht man<br />
schnell: Regisseur Christoph Drewitz führt mit<br />
schnellem Takt durch das Stück. Die oft grenzwertigen<br />
Witze zwischen flach und genial funktionieren<br />
überwiegend, gerade weil er die Inszenierung des<br />
Tempos beherrscht. Das Buch stammt von Tom van<br />
Hasselt, dies merkt man auch, denn er hat mit seiner<br />
Art der Texte seit vielen Jahren eine ganz eigene<br />
Handschrift. Diese mag man oder auch nicht, sie ist<br />
aber auf jeden Fall massentauglich. Für die Musik<br />
verantwortlich zeichnet »Not A Machine«. Entstanden<br />
sind neun Songs, die sich in kurzen Fragmenten<br />
an Techno und Rap bedienen, aber vor allem den<br />
klassischen Musicalklang bieten. Die Darsteller<br />
auf der Bühne haben alle Rang und Namen in der<br />
Musicalwelt. Neben den beiden Hauptdarstellern<br />
Jeannine Michèle Wacker, die mit viel Herzblut die<br />
liebenswerte Tram Tramara darstellt, und Jendrik<br />
Sigwart als der leicht vertrottelte, mit dem Herzen<br />
am rechten Fleck ausgestattete Alexander, hat sich<br />
insbesondere Steffi Irmen als Fahraus-Weise hervorgehoben.<br />
Diese Weisheiten liegen alle auf dem<br />
Niveau von »Gut Ding will Weiche haben« oder<br />
»Lieber Eile mit Weile als Busfahrt ohne Bremse«,<br />
aber da sich weder die BVG noch der ganze Abend<br />
ernst nehmen wollen, kann man darüber auch<br />
irgendwann hinwegsehen und es schmälert nichts<br />
an der von Irmen dargestellten Liebenswürdigkeit<br />
des Charakters. Auch Gino Emnes als Bus-Tav und<br />
Nico Went als U-Laf haben ihre bemerkenswerten<br />
Momente auf der Bühne.<br />
Die musikalische Leitung hat Hauke Wendt<br />
inne, die durchaus immer wieder gelungenen Choreographien<br />
stammen von Jonathan Huor. Auch<br />
das Bühnenbild und die Kostüme von Adam Nee<br />
sind – gemessen an der sehr kurzen Spielserie –<br />
erstaunlich vielfältig und gut gelungen. Hervorgehoben<br />
gehört hier auch noch das Lichtdesign von<br />
Fridthjofur Thorsteinsson, welches die doch große<br />
Bühne immer wieder gut unterteilt und für viel<br />
Lebendigkeit sorgt.<br />
Letztendlich war es ein kurzweiliger Abend, das<br />
gesponserte Popcorn auf jedem Sitz ließ schon zu<br />
Beginn vermuten, dass man sich hier des amerikanischen<br />
Popcornmovie-Genres bedienen und eine<br />
Stunde einfacher Unterhaltung schaffen wollte.<br />
Dass diese Werbeaktion aber deutschlandweite<br />
Beachtung gefunden hat und auch alle großen Zeitungen<br />
über diese Premiere berichtet haben, ist ein<br />
absolut beachtenswerter Erfolg für die BVG.<br />
Für alle, die das Stück gerne gesehen hätten, aber<br />
keine Tickets bekommen haben: Es wurde schon<br />
mit der Premiere auf dem YouTube-Kanal der BVG<br />
als Livestream veröffentlicht und kann dort nach<br />
wie vor angesehen werden.<br />
Sabine Haydn<br />
Abb. oben:<br />
Gemeinsam besingen Tramara<br />
(Jeannine Michèle Wacker) und<br />
Alexander (Jendrik Sigwart) die<br />
Schönheit des Lebens<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Fahraus-Weise (Steffi Irmen,<br />
Mitte, mit Ensemble) hat für die<br />
Fahrgäste immer eine Weisheit parat<br />
2. Tramara (Jeannine Michèle<br />
Wacker, 2.v.l.) gesteht Alexander<br />
(Jendrik Sigwart, l.) ihre Liebe<br />
3. Alle (Ensemble) verteidigen<br />
Tramara (Jeannine Michèle Wacker,<br />
Mitte) vor der Leitstellenleitung für<br />
ihr Handeln<br />
4. Endlich funktioniert der Verkehr<br />
wieder: (v.l.) Bus-Tav (Gino Emnes),<br />
Fahraus-Weise (Steffi Irmen), U-Laf<br />
(Nico Went) und auch Tramara<br />
(Jeannine Michèle Wacker) sind<br />
erleichtert<br />
Fotos (5): Fabian Frühling<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
15
Musicals in Deutschland<br />
Was ist schon normal?<br />
»The Addams Family« im Grenzlandtheater Aachen<br />
Abb. oben:<br />
›Du bist ein Addams‹ – Gomez<br />
(Christian Bindert, vorne) stellt die<br />
Familienwerte vor<br />
Foto: Dominik Fröls<br />
The Addams Family<br />
Andrew Lippa / Marshall Brickman /<br />
Rick Alice<br />
Deutsch von Anja Hauptmann<br />
Grenzlandtheater Aachen<br />
Premiere: 10. Dezember 2023<br />
Regie ................ Thomas Helmut Heep<br />
Musikalische Leitung ..... Stephan Ohm<br />
Choreographie ................... Kati Farkas<br />
Ausstattung ..................... Steven Koop<br />
Gomez Addams .......... Christian Bindert<br />
Morticia Addams ......... Stephanie Theiß<br />
Wednesday Addams ..............................<br />
............................. Lucille-Mareen Mayr<br />
Pugsley Addams ............ Lasarah Sattler<br />
Onkel Fester ................. Michael Kargus<br />
Grandma ........................... Aimée Covo<br />
Lurch .................................. Lukas Thier<br />
Mal Beineke ..................... Fehmi Göklü<br />
Alice Beineke ........... Verena Bonnkirch<br />
Lucas Beineke .............. Michael Berres<br />
Lust auf ein kleines Musik-Quiz? An welche Filmbzw.<br />
Fernsehserie müssen Sie unmittelbar denken,<br />
wenn Sie folgendes lesen: »Tadadada, snip snip, tadadada,<br />
snip snip, tadadada tadadada tadadada, snip<br />
snip« … Richtig! Willkommen in der düster-schaurigen<br />
Welt von Amerikas wohl schrägster Familie, der<br />
»Addams Family«!<br />
Basierend auf den Charakteren eines 1938 erstmals<br />
im Magazin »The New Yorker« erschienenen Cartoons<br />
des Zeichners Charles Adams, in dem er durch die<br />
Schaffung verschiedenster Figuren mit umgekehrtem<br />
Ästhetikempfinden das Ideal einer amerikanischen<br />
Musterfamilie karikierte, nahmen Familienoberhaupt<br />
Gomez Addams, seine Ehefrau Morticia, die Sprösslinge<br />
Wednesday und Pugsley sowie die Nebenfiguren<br />
Onkel Fester, Grandma und Lurch erst durch die<br />
zahlreichen Film- und Serienadaptionen immer mehr<br />
Gestalt an.<br />
Aus einem Cartoon (mit bis dato namenlosen<br />
Figuren in Einzelbild-Gags) wurde so nach und nach<br />
eine Kultfamilie geschaffen, die spätestens seit der<br />
2022 erschienenen Netflix-Serie um Töchterchen<br />
Wednesday so ziemlich jedes (ältere) Kind kennt.<br />
Das 2009 in Chicago uraufgeführte Stück mit<br />
Musik und Texten von Andrew Lippa (Buch: Marshall<br />
Brickman und Rick Alice) ist dabei ganz bewusst<br />
kein musikalischer Abklatsch bereits vorhandener<br />
»Addams Family«-Geschichten, sondern überrascht<br />
mit ganz eigener Story:<br />
Wednesday – mittlerweile zu einer jungen Frau<br />
herangewachsenen – zeigt plötzlich ganz neue Verhaltensweisen:<br />
Sie lächelt! Und auch sonst tritt bei<br />
der von Tod und Folter faszinierten Addams-Tochter<br />
zunehmend eine bis dato unterdrückte, weiche Seite<br />
zum Vorschein. In einer Familie, in der sich Bruder<br />
Pugsley gerne mit Stromschlägen und Messern drangsalieren<br />
lässt, die 102-jährige Grandma auf berauschende<br />
Mittel und jüngere Männer steht, der Onkel<br />
eine düstere Affinität zum Mond hat, der Butler ein<br />
Zombie ist und ohnehin alle nur schwarz tragen und<br />
am liebsten den ganzen Tag von Tod, Verwesung und<br />
Dunkelheit sprechen, ist Wednesdays neues Verhalten<br />
nicht nur ungewöhnlich – es ist eine absolute Katastrophe!<br />
Erst recht, wenn der Grund die frisch<br />
erblühte Liebe zu einem Jüngling aus völlig spießigem<br />
Haus ist. Da sich die beiden bereits heimlich verlobt<br />
haben, drängt Wednesday darauf, dass die Familien<br />
sich endlich kennenlernen. Vorher jedoch ringt sie<br />
ihrem durchgeknallten Clan die Bitte ab, sich ihr<br />
zuliebe ›Nur für eine Nacht‹ wie stinknormale Leute<br />
zu verhalten, nicht ahnend, dass ihr Liebster Lukas<br />
zur gleichen Zeit dieselbe Bitte an seine scheinbar<br />
mustergültigen Eltern richtet … doch mal ganz ehrlich:<br />
Was ist schon »normal«?<br />
Eine Frage, die sich der Zuschauer im Laufe des<br />
Abends gerne des Öfteren stellen darf. Oder, um es<br />
mit Morticia Addams’ treffsicheren Worten zu sagen:<br />
»Normal ist eine Illusion. Was für die Spinne normal<br />
ist, ist für die Fliege eine Katastrophe.« Kein Wunder<br />
also, dass selbst eigene Antworten darauf, was normal<br />
ist oder nicht, im Verlauf des Stücks zunehmend in<br />
Frage gestellt werden.<br />
Denn (auch) in der Inszenierung von Thomas Helmut<br />
Heep sind die oftmals bewusst überzeichneten Figuren<br />
der Addams-Familie so überdreht durchgeknallt, dass<br />
sie schon wieder absolut liebenswert sind, während die<br />
vermeintliche Idealfamilie Beineke – insbesondere die<br />
völlig angepassten Eltern Mal und Alice – anfangs eher<br />
unsympathisch daherkommt.<br />
Als jedoch der Nachwuchs von einem Tag auf<br />
den anderen aus dem familiären Raster fällt und<br />
beschließt, eigene Wege zu gehen, sind die Probleme<br />
auf beiden Seiten mit einem Schlag so ziemlich die<br />
gleichen.<br />
Aber die Addams wären schließlich nicht die<br />
Addams, hätten sie nicht ein »eiskaltes Händchen« in<br />
16<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Deutschland<br />
jeder Lebenslage! Und so zeigen die düster-makabren<br />
Exzentriker den Normalos, worauf es in der Familie<br />
am Ende ankommt: Zusammenhalt, Loyalität, gegebenenfalls<br />
auch mal Nachsicht und vor allem – ganz<br />
viel Liebe …<br />
Bei aller gerade nur angekratzten Tiefsinnigkeit,<br />
die noch viele weitere Eigeninterpretationsmöglichkeiten<br />
zulässt, ist »The Addams Family« gleichzeitig<br />
eine generationsübergreifende, gut gemachte Familienunterhaltung<br />
(Empfehlung des Theaters: ab ca. 12<br />
Jahren), die Spaß macht und ein paar unbeschwerte<br />
Stunden beschert. In der Inszenierung des Aachener<br />
Grenzlandtheaters ist dies besonders einem bestens<br />
aufgelegten Ensemble zu verdanken, das zu Recht am<br />
Ende einen nicht enden wollenden Applaus bekam<br />
und zum eigenen Erstaunen wiederholt auf die Bühne<br />
(zurück-)gerufen wurde. Vom eher wortkargen Butler<br />
Lurch (Lukas Thier) in einer Nebenrolle bis zur<br />
Hauptrolle Wednesday (Lucille-Mareen Mayr) waren<br />
die verschiedenen Charaktere durch die Bank bestens<br />
besetzt und wurden von den exzellenten Darstellern<br />
mit viel Spielfreude, ausgezeichneten Gesangsstimmen<br />
und auch jeder Menge tänzerischem Können<br />
(in den Ensemblenummern sei hier besonders Aimée<br />
Covo als Grandma genannt) bis in die letzte Fingerspitze<br />
ausgefüllt.<br />
Apropos Finger: Selbstverständlich gibt es auch<br />
bei der Musicalfassung von »The Addams Family«<br />
ein Wiedersehen mit dem »eiskalten Händchen«,<br />
das Onkel Fester (Michael Kargus) aus darstellerisch<br />
offensichtlichen Gründen nicht von der Seite<br />
weicht. Offensichtlich, aber dennoch bemerkenswert:<br />
Michael Kargus gelingt es durch gekonnte (Hand-)<br />
Bewegungen, dem skurrilen »Haustier« der Addams-<br />
Familie nicht nur Leben einzuhauchen, sondern hier<br />
auch einen eigenen Charakter mit eigenen Emotionen<br />
und eigener Kommunikation zu formen. Seine Darstellung<br />
als Onkel Fester gehört jedoch ebenso zu den<br />
Highlights des Abends, sein Pas de deux mit seiner<br />
großen Liebe, dem Mond (Luna), ›Sagt der Mond, ich<br />
liebe dich‹, sorgt für reichlich Gänsehaut.<br />
Dies ist sicherlich nicht zuletzt der bestens ausgeklügelten<br />
Choreographie von Kati Farkas zu verdanken,<br />
der es gelingt, eindrucksvolle Schrittkombinationen<br />
auf kleinstem Raum zu kreieren, so auch<br />
beim durch Stephanie Theiß und Christian Bindert<br />
gekonnt umgesetzten ›Tango d’Amor‹ von Gomez<br />
und Morticia. Nicht nur choreographisch beweist<br />
das für »The Addams Family« zusammengestellte<br />
Kreativteam um Regisseur Thomas Helmut Heep<br />
eindrucksvoll, dass auf der doch recht kleinen Bühne<br />
des Aachener Grenzlandtheaters viel mehr möglich<br />
ist, als es auf dem ersten Blick scheint. Dies zeigt sich<br />
auch im Bühnenbild von Steven Koop: Schauplatz<br />
des Abends ist – abweichend von der Familienvilla<br />
im überwiegenden Teil anderer Musicalinszenierungen<br />
von »The Addams Family« – ein ausschließlich<br />
in den Farben Schwarz und Weiß gestaltetes<br />
Krematorium, dessen Leichenfächer (größtenteils<br />
Schubladen) auch mal als Stauraum, Sitzgelegenheit,<br />
Schlafplatz oder – im oberen Bereich – als Fenster<br />
genutzt werden können.<br />
Wer Spaß an Interpretationsmöglichkeiten hat,<br />
kommt hier vollends auf seine Kosten, wer eine in sich<br />
stimmige, von (unnötigen) Umbauten befreite Show<br />
voller versteckter Überraschungen erwartet, ebenfalls.<br />
Fazit des Abends: Bei der Aachener Inszenierung<br />
von »The Addams Family« dürfte für jeden Geschmack<br />
und Anspruch etwas dabei sein. Auf jeden Fall ist es<br />
für ein paar Stunden eine gute und unterhaltsame<br />
Auszeit von der alltäglichen Normalität. Obwohl:<br />
Was ist schon normal?<br />
Susanne Baum<br />
Abb. oben:<br />
Alice (Verena Bonnkirch) lässt die<br />
Maske und alle Hemmungen fallen,<br />
Lurch (Lukas Thier) bleibt unbeirrt<br />
Abb. von links oben:<br />
1. Wednesday (Lucille-Mareen<br />
Mayr, r.) wünscht sich ›Nur für eine<br />
Nacht‹ eine »normale« Familie<br />
2. ›Tauch hinab ins Dunkel‹ – Onkel<br />
Fester (Michael Kargus) verlässt die<br />
irdische Welt, um endlich mit seiner<br />
großen Liebe, Mond »Luna«, vereint<br />
zu sein<br />
3. Gomez (Christian Bindert) und<br />
Morticia (Stephanie Theiß) tanzen<br />
den ›Tango d‘Amor‹<br />
4. ›Sag die Wahrheit‹ – Onkel Fester<br />
(Michael Kargus, Mitte) und seine<br />
Familie fordern die Gäste zu einem<br />
Spiel heraus<br />
Fotos (5): Dominik Fröls<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
17
Musicals in Deutschland<br />
Ein technischer Blutrausch<br />
»Tanz der Vampire« im Operettenhaus in Hamburg<br />
Abb. oben:<br />
›Totale Finsternis‹ – Graf von<br />
Krolock (Rob Fowler) wird mit dem<br />
todbringenden Biss für Sarah (Kristin<br />
Backes) warten bis zum Ball<br />
Foto: Morris Mac Matzen<br />
Seit über 26 Jahren spuken nun schon die Untoten<br />
über die Bühnen dieser Welt und ziehen auch, zur<br />
dritten Hamburger Spielzeit, ins Operettenhaus ein.<br />
Das tut der Produktion insgesamt sehr gut, denn das<br />
etwas kleinere und intimere Operettenhaus lässt die<br />
Szenen, bei denen die Darsteller direkt zwischen den<br />
Zuschauern agieren, wie damals schon bei »Cats« viel<br />
stärker und näher wirken und fängt die Zuschauer so<br />
direkt ein.<br />
»Tanz der Vampire« basiert auf dem gleichnamigen<br />
Film von Roman Polanski aus dem Jahr 1967. Die<br />
Idee, das Werk in ein Musical umzuwandeln, entstand<br />
durch den österreichischen Produzenten Rudi<br />
Klausnitzer zusammen mit dem Komponisten Jim<br />
Steinman. Gemeinsam mit Michael Kunze, der die<br />
Liedtexte schrieb, entwickelte Steinman das Musical.<br />
Die Uraufführung fand am 4. Oktober 1997 am Raimund<br />
Theater in Wien statt und die Rolle des Grafen<br />
wurde vom großartigen Steve Barton gesungen, der<br />
dafür 1998 den International Musical Award IMAGE<br />
erhielt. Zum 10-jährigen Bühnenjubiläum folgten<br />
weitere große Stimmen wie zum Beispiel Thomas Borchert,<br />
Kevin Tarte, Ian Jon Bourg oder Jan Ammann.<br />
Neben den starken Bari-Tenören wurden aber auch<br />
immer wieder Rock-Tenöre für die große, das Stück<br />
tragende Partie des Grafen gecastet.<br />
Die jetzige Cast wurde sehr international besetzt<br />
und soll, laut Aussage von Associate Director Cornelius<br />
Baltus, eine kraftvolle Neuinterpretation der tanzenden<br />
Vampire servieren. In der besuchten Vorstellung<br />
konnte man viele schöne und auch gute neue Momente<br />
entdecken, z.B. das neue Logo auf dem Gazevorhang,<br />
die schaurige Tonkulisse mit Wolfsgeheul vor Beginn<br />
der Vorstellung und in der Pause, oder großartig<br />
schimmernde Neon-Stoffe in den Vampirmänteln<br />
(Kostüme: Reto Tuchschmid). Das wahrgenommene<br />
Gesamterlebnis blieb jedoch etwas hinter der großen<br />
Ankündigung und im Vergleich mit vorherigen<br />
Besetzungen zurück, insbesondere auch bezüglich der<br />
Textverständlichkeit. So fühlt man sich doch stark in<br />
die 80er Jahre zurückkatapultiert, als in Deutschland<br />
erste Musicalschmieden eröffneten, um Nachwuchs<br />
für die großen Bühnen zu produzieren, und es hierzulande<br />
einfach noch zu wenig Darstellernachwuchs<br />
gab. Damals klang dann ein ›G.E.K.U.P.P.E.L.T‹ aus<br />
»Starlight Express« eher wie ein Wort aus fremden Galaxien<br />
– das ist nun aber eigentlich nicht mehr nötig und<br />
hier muss deshalb einmal für unsere deutschsprachigen<br />
Darstellerinnen und Darsteller eine Lanze gebrochen<br />
werden: Sie können diese Partien singen und sie sollten<br />
auch deshalb unbedingt besetzt werden, damit die<br />
Zuschauer die guten Texte von Michael Kunze auch<br />
verstehen können und die Szenen nicht unfreiwillig<br />
komisch wirken, weil die Akteure nicht wissen, was sie<br />
da gerade von sich geben.<br />
Wenn man z.B. nach Berlin und zum »Ku’damm 56«-<br />
Musical zurückschaut, konnte dort hautnah erlebt werden,<br />
wie Musical besonders über die Dialogregie perfekt funktionieren<br />
kann – und das wäre bei einem Klassiker wie den<br />
»Vampiren« ebenfalls sehr wünschenswert gewesen.<br />
Vampirjäger Professor Abronsius (Till Jochheim)<br />
ist sehr gut zu verstehen und holt komödiantisch über<br />
den Text alles aus der Rolle heraus, was geht. Seinem<br />
Assistenten Alfred (Vincent Van Gorp, überengagiert<br />
und mit holländischem Akzent) fällt das schon deutlich<br />
schwerer. Sie reisen zusammen in ein abgelegenes<br />
transsilvanisches Dorf, um den Ursprung mysteriöser<br />
Vampiraktivitäten zu untersuchen.<br />
18<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Deutschland<br />
Im Dorf angekommen lernen die beiden die<br />
Dorfbewohner und ihre Gastgeber Chagal (kaum zu<br />
verstehen: Oleg Krasovitskii) und seine Frau Rebecca<br />
(liebevoll gespielt und gesungen von Carina Nopp)<br />
sowie die Magd Magda (Demi Hubers mit starker<br />
Stimme) kennen.<br />
Beim Bezug ihres Zimmers und dem Gang zum<br />
Bad überrascht Alfred Sarah (Kristin Backes), die<br />
gerade ein Bad nimmt. Es ist für Alfred Liebe auf den<br />
ersten Blick, aber Sarah (in der jetzigen Version stark<br />
emanzipiert angelegt) erwidert dieses Gefühl nicht.<br />
Sie hat nur Augen für die Geschenke und die Einladung<br />
von Graf von Krolock (Rob Fowler), der nur<br />
zu gerne seine Zähne in die schöne Sarah schlagen<br />
möchte. Zum Schloss gelockt wird sie von Koukol,<br />
der rechten Hand des Grafen. Die Rolle des buckligen<br />
Gehilfen wurde fantastisch auf den Punkt gespielt von<br />
Alexander Ruttig. Das Orchester unter der Leitung von<br />
Martin Gallery spielt voll klingend und druckvoll auf<br />
und die Gesamtgeschwindigkeit macht großen Spaß!<br />
Den ersten Showstopper des Abends kreiert Magda<br />
(Demi Hubers) mit ›Tot zu sein ist komisch!‹, nachdem<br />
Chagal von den Vampiren gebissen wurde.<br />
Die einmaligen Choreographien von Dennis Callahan<br />
tragen auch diesmal wieder zu beeindruckenden<br />
Momenten bei, wie zum Beispiel in der Traumszene,<br />
wo eine Tänzerin und ein Tänzer in die Rollen von<br />
Sarah und Alfred schlüpfen und die Story tänzerisch<br />
erzählen und so vorantreiben.<br />
Kurz vor dem Finale des ersten Teils lernt Alfred<br />
im Schloss noch den homosexuellen Sohn des Grafen<br />
kennen (herrlich schwul angelegt von Jonas Steppe).<br />
Alfred bekommt es in der Gruft nicht hin, die Herzen<br />
der Vampire mit einem Pflock zu durchstoßen, und<br />
so leben die Untoten weiter und Rob Fowler singt den<br />
Gänsehautsong ›Die unstillbare Gier‹. Fowlers Graf<br />
wirkt durchweg bedrohlich und stimmlich kraftvoll<br />
und nimmt auch die Höhen der Partie leicht. Er zeigt,<br />
dass er noch höher und weiter springen will als seine<br />
Kollegen zuvor, aber anders als erlebte Grafen finden in<br />
seiner Rollenanlage kaum Brüche und zarte Momente<br />
statt. Die wenigen weichen Momente in der Partie<br />
kann man diesmal nicht entdecken und dadurch wirkt<br />
es wie ein technisch perfektionierter Blutrausch, aber<br />
irgendwie plastisch kühl. Im weiteren Verlauf verliert<br />
Alfred schließlich seine angehimmelte Sarah an den<br />
Grafen und auch er selbst wird von ihr gebissen und<br />
zum »Ablecken« des Blutes aufgefordert. Der Professor<br />
feiert »Van Helsings Theorien« und sich selbst und<br />
alle tanzen auf einem fulminanten Ball im bekannten<br />
Schloss mit Wendeltreppe und Deckenleuchtern<br />
(Technische Leitung: Steffen Riese), der schließlich<br />
alle zum großen Finale vereint.<br />
Die 3. Auflage der Vampire in Hamburg macht<br />
trotz kritischer Wahrnehmung der sprachlichen<br />
Umsetzung unglaublichen Spaß, denn die Musik von<br />
Jim Steinman ist nicht nur weltbekannt, sie geht auch<br />
eindringlich ins Ohr. »Viele Neurosen sind heilbar<br />
durch Stoßen« singt der Professor – leider nahmen es<br />
diesmal auch zwei überambitionierte Musicalfans zum<br />
Anlass, bei sämtlichen Nummern mizusingen und<br />
-zutanzen oder mit zur Faust geballten Armen die<br />
Choreos nachzumachen, ungeachtet dessen, dass Leute<br />
hinter ihnen sitzen, die teure Karten erworben haben<br />
und die lieber die Show ohne ihre Zwangseinlagen<br />
genossen hätten.<br />
Der Blutrausch im Operettenhaus läuft geschmeidig<br />
und perfektioniert und die spitzen Beißerchen<br />
werden sicher noch eine Weile ausgepackt. Eine Reise<br />
nach Transsilvanien und nach Hamburg lohnt also<br />
gleichermaßen.<br />
Stefan Schön<br />
Tanz der Vampire<br />
Jim Steinman / Michael Kunze<br />
Stage Entertainment<br />
Operettenhaus Hamburg<br />
Premiere: 12. November 2023<br />
Regie ......................... Roman Polanski<br />
Associate Regie ......... Cornelius Baltus<br />
Musikalische Leitung ... Martin Gallery<br />
Arrangements &<br />
Musical Supervision ...... Michael Reed<br />
Choreographie .......... Dennis Callahan<br />
Associate Kostümdesign ......................<br />
..................................Reto Tuchschmid<br />
Graf von Krolock ................ Rob Fowler<br />
Professor Abronsius .......... Till Jochheim<br />
Sarah .............................. Kristin Backes<br />
Alfred ....................... Vincent Van Gorp<br />
Chagal ....................... Oleg Krasovitskii<br />
Magda ...... Demi Hubers / Anja Backus<br />
Rebecca ........................... Carina Nopp<br />
Herbert ............................. Jonas Steppe<br />
Koukol ....................... Alexander Ruttig<br />
In weiteren Rollen:<br />
Christoph Apfelbeck, Rachel Bahler,<br />
Sandra Bitterli, Nicolas Boris Christahl,<br />
Kezia Coulson, Lorenzo Di Girolamo,<br />
Carina Fitzi, Alice Giammarioli,<br />
Andrea Gioia, Chloe Lee Hill,<br />
Anne Hoth, Nicole Klünsner,<br />
Ynze Julian Lanser, Tycho Lemmen,<br />
Simon Loughton, James-Paul McAllister,<br />
Luna Maria Muller,<br />
Keny Oslen Ceballo Romero,<br />
Rosie Porter, Artem Salastelny,<br />
Ginevra Serra Cassano,<br />
Frederik Stuhllemmer, Paolo Valenti,<br />
Valeria Vegezzi, Andres Vercoutere,<br />
Jessie Vos, Ian Vrolijk<br />
Abb. von links:<br />
1. Graf von Krolock (Rob Fowler)<br />
wird seine Gäste nicht ohne Grund<br />
in sein Schloss bitten<br />
2. Die Vampire (Ensemble) beklagen<br />
›Die Ewigkeit‹<br />
Foto 1: Morris Mac Matzen<br />
Foto 2: Brinkhoff / Mögenburg<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
19
Musicals in Deutschland<br />
Zwischen Rache und Liebe<br />
»Der Graf von Monte Christo« am Theater Lüneburg<br />
Duell auf Leben und Tod – Fernand Mondego (Gerd Achilles, 2.v.r.) und Edmond Dantès (Thomas Borchert, r.)<br />
kämpfen in Gegenwart von (links v.l.): Valentine de Villefort (Pia Naegeli), Albert von Morcerf (Anton Frederik<br />
von Mansberg) und Mercédès (Navina Heyne)<br />
Foto: Andreas Tamme<br />
Der Graf von Monte Christo<br />
Frank Wildhorn / Jack Murphy<br />
Deutsch von Kevin Schroeder<br />
Theater Lüneburg – Großes Haus<br />
Premiere: 11. November 2023<br />
Regie ..................... Wolfgang Berthold<br />
Musikalische Leitung ..... Gaudens Bieri<br />
Chorleitung ................ Elsine Haugstad<br />
Choreographie ............... Olaf Schmidt<br />
Kampf-Choreographie .... Axel Hambach<br />
Ausstattung ................. Cornelia Brunn<br />
Edmond Dantès .......... Thomas Borchert<br />
Mercédès ....................... Navina Heyne<br />
Abbé Faria ......................... Sascha Littig<br />
Fernand Mondego ........... Gerd Achilles<br />
Gérard von Villefort ....... Steffen Neutze<br />
Baron Danglars .............. Oliver Hennes<br />
Luisa Vampa ................ Franziska Ringe<br />
Jacopo ....................... Andrea Marchetti<br />
Albert von Morcerf ................................<br />
Anton Frederik von Mansberg<br />
Valentine ............................ Pia Naegeli<br />
Morrel .................................. Eric Keller<br />
Kommissar ................... Falk Steingräber<br />
Opernchor- und Extrachor des<br />
Theater Lüneburg<br />
Wie schon 2009 in St. Gallen schlüpft Thomas<br />
Borchert in die ihm von Frank Wildhorn förmlich<br />
auf den Stimmkörper gezimmerte Parade-Rolle<br />
des Edmond Dantès und elektrisiert die Lüneburger<br />
Zuschauer vom ersten Moment der Premiere an – seine<br />
Stimmfarbe hat einen sehr hohen Erkennungswert<br />
und geht unter die Haut. Die Zuschauer kennen den<br />
erfolgreichen Musicaldarsteller aus Produktionen wie<br />
»Buddy Holly« und »Tanz der Vampire« in Hamburg.<br />
Der Ton bei dieser ausverkauften Premiere ist leider<br />
nicht optimal ausgesteuert, so dass das große und fulminante<br />
Orchester anfänglich sehr scheppernd klingt<br />
und die Stimmen des Chors und der Solisten dahinter<br />
zurückbleiben, das gibt sich aber im weiteren Verlauf<br />
der Vorstellung etwas.<br />
Das wäre dann aber auch der einzige Wermutstropfen,<br />
neben den bekanntermaßen viel zu engen Sitzen des<br />
Theaters, denn die Produktion läuft geschmeidig und<br />
flüssig durch und die Regie von Wolfgang Berthold<br />
schafft einen stimmigen roten Faden.<br />
Die Show spielt im Frankreich des 19. Jahrhunderts:<br />
Napoleon Bonaparte befindet sich auf der Insel<br />
Elba und Ludwig XVIII. regiert. Gerade zum Kapitän<br />
der »Pharao« ernannt, träumt der junge Seemann<br />
Edmond Dantès (Thomas Borchert) aus Marseille<br />
von einer glücklichen Zukunft. Da wird er während<br />
seiner Verlobungsfeier mit der schönen Katalanin<br />
Mercédès (schön gesungen: Navina Heyne) verhaftet<br />
und im Bewusstsein seiner Unschuld lebenslänglich<br />
im Château d’If eingekerkert. Fast wahnsinnig vor<br />
Schmerz trifft er auf den Mitgefangenen Abbé Faria<br />
(sehr unterhaltsam: Sascha Littig), einen italienischen<br />
Geistlichen, der seinen Fluchttunnel falsch berechnet<br />
hat und deshalb in Dantès’ Zelle landet anstatt an der<br />
Burgmauer.<br />
Während der gemeinsamen Arbeit am Weg in die<br />
Freiheit lernt Dantès’ von seinem weisen Freund alles,<br />
was dieser über Sprachen, Wissenschaft und politische<br />
Macht weiß – dazu auch noch, wie ein Herr mit dem<br />
Degen umgeht. Der Abbé lehrt den jungen Gefangenen<br />
auch Gedankenexperimente, die Dantès anwendet,<br />
um herauszufinden, wer einen Grund hatte, ihn<br />
aus dem Weg zu räumen. Wer konnte den anonymen<br />
Brief an die Staatsanwaltschaft geschrieben haben, der<br />
ihn als Bonapartisten anklagte? Gérard von Villefort<br />
(Steffen Neutze) musste um seine Ehre und Stellung<br />
fürchten, wenn sein eigener Vater als Anhänger Napoleons<br />
entlarvt worden wäre. Dantès, das Opfer, entwickelt<br />
aufgrund dieses neuen Wissens, zum Entsetzen<br />
seines Mentors, einen fanatischen Hass gegen die Personen,<br />
die ihn in diese ausweglose Situation gebracht<br />
haben. Als der weise Freund stirbt, entkommt Dantès<br />
dem Gefängnis und wird von einer Bande Piraten aus<br />
dem Wasser gezogen. Ihre Anführerin ist Luisa Vampa<br />
(Franziska Ringe), die an Bord ein strenges Regiment<br />
führt und Gefallen an dem kenntnisreichen Seemann<br />
findet. Sie befiehlt einen Messerkampf gegen Jacopo<br />
(Andrea Marchetti, attraktiv, leider schwer zu verstehen)<br />
auf Leben und Tod. Als Dantès gewinnt, schenkt<br />
er seinem Gegner das Leben und erwirbt sich damit<br />
einen treuen Freund und Vertrauten. Auf der Insel<br />
Monte Christo findet Dantès tatsächlich den sagenhaften<br />
Schatz, von dem ihm sein alter Freund Abbé Faria<br />
Kenntnis gab. Dantès verfügt jetzt über ausreichend<br />
Kapital und nennt sich fortan Graf von Monte Christo.<br />
Sein sagenhafter Reichtum öffnet dem Grafen<br />
alle Türen. Jeder will Gast auf seinem Ball sein. Die<br />
Einzige, die ihn erkennt, ist Mercédès, die inzwischen<br />
20<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Deutschland<br />
seinen schlimmsten Feind, Fernand Mondego (herrlich<br />
böse angelegt: Gerd Achilles), geheiratet hat.<br />
Zunächst tut Monte Christo Gutes: Er bewahrt den<br />
Reeder Morrel (Eric Keller), der ihm und seinem<br />
Vater ein guter Freund gewesen war, vor Ruin und<br />
Selbstmord. Danach beginnt sein Rachefeldzug gegen<br />
die drei Männer, die ihn in den Kerker gebracht<br />
haben: Danglars (Oliver Hennes), der es zum Bankier<br />
gebracht hat, Mondego, der in den Adelsstand eines<br />
Grafen erhoben wurde, und Villefort, der Generalstaatsanwalt<br />
von Paris geworden ist. Ihrer aller Gier<br />
nach Geld nutzt er, um sie zu einer unheilvollen<br />
Börsenspekulation zu überreden, wodurch ihnen das<br />
Geld buchstäblich zwischen den Fingern zerrinnt.<br />
Der Graf von Monte Christo vollendet seine Rache<br />
und steht mit einem Mal Mercédès’ Sohn Albert<br />
(stark gespielt von Anton Frederik von Mansberg)<br />
gegenüber, der ihn zur Ehrenrettung seines guten<br />
Namens zum Duell fordert.<br />
Dem Flehen der Mutter gegenüber zeigt der Graf<br />
sich unbarmherzig, doch er zögert, Albert zu erschießen,<br />
als Valentine (Pia Naegeli), Alberts junge Verlobte<br />
und Tochter Villeforts, sich zwischen ihn und<br />
Albert stellt. Da erkennt Edmond Dantès in Albert<br />
und Valentine das Paar, das er und Mercédès’ einst<br />
waren, und schießt in die Luft. Doch am Ende steht<br />
ein Duell auf Leben und Tod an zwischen Edmond<br />
Dantès und Fernand Mondego – zugleich ein Kampf<br />
um die Liebe seines Lebens.<br />
Das Bühnenbild kommt minimalistisch und<br />
sehr dunkel daher, sodass der Zuschauer sich auf die<br />
Handlungsstränge und die Personen konzentrieren<br />
kann, spricht dennoch mit großartigen Videoprojektionen<br />
in einem großen Kreis an, wo zum Beispiel der<br />
Tunnel aus dem Gefängnis, mit dahinterliegendem<br />
Wasser, oder ein wunderschöner Himmel gezeigt<br />
werden. Einzelne Umbauten hätten etwas mehr Fluss<br />
haben können. Die Kostüme, die wie das Bühnenbild<br />
die Handschrift von Cornelia Brunn tragen, sind gut<br />
ausgewählt und unterstützen die Darsteller in ihrem<br />
Tun. Es war sicher eine Herausforderung, eine so<br />
große Cast auszustatten.<br />
Wie oft am Stadttheater merkt man dem Ensemble<br />
den starken klassischen Hintergrund an. Hier hätte<br />
man sich als Zuschauer eine stärker über den Text<br />
erarbeitete Interpretation der Nebenrollen gewünscht<br />
statt Plattitüden und übertriebener Gestik.<br />
Choreograph Olaf Schmidt versucht alles unter<br />
ein Dach zu bekommen, die Handbewegungen in<br />
der Piratenszene wirken auch, es gibt jedoch kaum<br />
solistische und wirklich spannende Momente in der<br />
Choreographie, die das Stück weitertragen.<br />
Gaudens Bieri (Musikalische Leitung) hat ein<br />
gutes Gefühl für das Tempo und die großen Bögen<br />
einer Wildhorn-Partitur und schafft es, mit den Lüneburger<br />
Symphonikern wirkliche Gänsehautmomente<br />
zu zaubern.<br />
Mit den Hauptdarstellern tut sich das Haus einen<br />
wirklichen Gefallen und holt großes Kino nach Lüneburg<br />
– bleibt zu hoffen, dass die Zuschauer dies auch<br />
würdigen und sich diese Investition in die Darsteller<br />
auch an der Theaterkasse bezahlt macht.<br />
In Lüneburg mit dem Grafen in See zu stechen<br />
lohnt sich allemal und bereitet einem frenetisch<br />
applaudierenden Premierenpublikum, abgesehen von<br />
den kleinen Kritikpunkten, einen phänomenalen<br />
Theaterabend.<br />
Stefan Schön<br />
Abb. oben:<br />
Valentine de Villefort (Pia Naegeli)<br />
liebt Albert von Morcerf (Anton<br />
Frederik von Mansberg)<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Liebe, Heimtücke, Macht, wer<br />
dominiert hier wen? – Fernand<br />
Mondego (Gerd Achilles) und<br />
Mercédès (Navina Heyne)<br />
2. Edmond Dantès (Thomas<br />
Borchert, r.) gewinnt den Kampf<br />
gegen Fernand Mondego (Gerd<br />
Achilles) – zugleich ein Kampf um<br />
die Liebe seines Lebens, Mercédès<br />
(Navina Heyne, l.)<br />
3. Luisa Vampa (Franziska Ringe)<br />
befiehlt Dantès (Thomas Borchert, r.)<br />
einen Messerkampf gegen Jacopo<br />
(Andrea Marchetti, Mitte)<br />
4. Edmond Dantès (Thomas Borchert)<br />
und sein Freund Abbé Faria<br />
(Sascha Littig) brechen aus dem<br />
Kerker aus. Spannendes Bühnenbildelement<br />
in Form eines großen<br />
Tunnels, in den verschiedene Bilder<br />
hineinprojiziert werden<br />
Fotos (5): Andreas Tamme<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
21
Musicals in Deutschland<br />
Forever Young<br />
»Tuck Everlasting« von Mask & Music an der TU Dortmund<br />
Abb. oben von links:<br />
1. Nach langer Zeit trifft sich Familie<br />
Tuck wieder vollständig (v.l.):<br />
Mae (Katrin Stoffeln), Angus (David<br />
Maponya), Miles (Tim Jahnke), Jesse<br />
(Lucas Prats Gonzales)<br />
2. Winnie Foster (Madita Meyer)<br />
wird von der Familie Tuck auf eine<br />
harte Probe gestellt, weil sie ihr das<br />
ewige Leben (mit allen Vor- und<br />
Nachteilen) anbieten<br />
Fotos (2): Stephan Drewianka<br />
Tuck Everlasting<br />
Chris Miller / Nathan Tysen /<br />
Claudia Shear / Tim Federle<br />
Deutsch von Timothy Roller<br />
Hausfassung von Katharina Priestley &<br />
Salome Graf<br />
Mask & Music<br />
Audimax TU Dortmund<br />
Premiere: 11. November 2023<br />
Regie ..................... Katharina Priestley<br />
Musik. Leitung ............ Jonathan Büker<br />
Leitung Chor ...................... Jonas West<br />
Choreographie .... Natalie Schieferstein<br />
Kostüme ........................ Astrid Iggesen<br />
Winnie Foster .............. Madita Meyer /<br />
Lilli Stoffeln<br />
Jesse Tuck ......... Lucas Prats González /<br />
Anton Staudt<br />
Miles Tuck .......................... Tim Jahnke<br />
Frau in Gelb ............ Johanna Stoffeln /<br />
Elisa Jeske<br />
Mae Tuck ...................... Katrin Stoffeln<br />
Angus Tuck ............... David Maponya /<br />
Christopher Sondermann<br />
Betsy Foster ............... Marilena Friese /<br />
Kira Hellwig<br />
Nana ............................ Tabea Hörder /<br />
Nadine Wippich<br />
Hugo........................ Ioannis Georgiou<br />
Wachtmeister Joe ..... Richard von Pikarski /<br />
Jan Albrecht<br />
Backstage-Chor & Tänzer:innen:<br />
Mitglieder von Masc & Music<br />
Die Laien-Musicalgruppe »Mask & Music«, ein<br />
gewachsener Verein aus Studierenden der Dortmunder<br />
Universität, präsentiert seit 2<strong>01</strong>0 unterschiedliche,<br />
hochwertige Projekte von »Atlantis« über »The<br />
Addams Family« bis »Shrek« und stellte dabei sogar das<br />
selbstkomponierte Stück »Eleor« auf die Beine. Vom 11.<br />
November 2023 bis Februar 20<strong>24</strong> ist das Musical »Tuck<br />
Everlasting« in deutscher Fassung von Timothy Roller<br />
in insgesamt 8 Vorstellungen in der ungewöhnlichen<br />
Spielstätte des Audimax der TU Dortmund zu sehen.<br />
Die Familie Tuck lebt zurückgezogen im Wald<br />
in der Nähe einer geheimnisvollen Quelle, die ihnen<br />
Unsterblichkeit beschert hat. Als Jesse Tuck (Lucas Prats<br />
González, alternierend Anton Staudt), der seit über 100<br />
Jahren ein 17-jähiger Teenager ist, auf die 11-jährige<br />
Winnie Foster (Madita Meyer / Lilli Stoffeln) trifft,<br />
möchte er sie überreden, in einigen Jahren ebenfalls<br />
von der Quelle zu trinken, damit sie dann gemeinsam<br />
die Welt erkunden können. Doch Jesses Bruder Miles<br />
(Tim Jahnke) ist nicht davon überzeugt, dass ewiges<br />
Leben erstrebenswert ist, wenn man sich von geliebten<br />
Personen verabschieden und im Verborgenen leben<br />
muss, damit das Geheimnis der Familie über die Jahrhunderte<br />
gewahrt bleibt. Denn eine mysteriöse Frau im<br />
gelben Anzug (Johanna Stoffeln / Elisa Jeske) möchte<br />
den Quell ewigen Lebens finanziell ausnutzen und ist<br />
den Tucks auf den Fersen, während das gesamte Dorf<br />
die verschwundene Winnie sucht. Wird sich Winnie<br />
am Ende für das ewige Leben entscheiden?<br />
Der berühmte Kinderroman von Natalie Babbitt<br />
wurde bereits mehrfach verfilmt, u. a. 2002 von Disney<br />
als inhaltlich modifizierte Liebes-Romanze unter dem<br />
deutschen Titel »Bis in alle Ewigkeit« mit Ben Kingsley,<br />
Sissy Spacek, Amy Irwing, Victor Garber und William<br />
Hurt. Der Musical-Fassung von Chris Miller war am<br />
Broadway 2<strong>01</strong>6 nur eine sehr kurze Spielzeit von 39<br />
regulären Aufführungen nach 28 Previews vergönnt.<br />
Eigentlich wollte »Mask & Music« die deutsche Erstaufführung<br />
als Europa-Premiere präsentieren, doch<br />
war die Musikschule »Hans und Alice« in Enger etwas<br />
schneller und brachte das Stück bereits am 2. September<br />
2023 auf die Bühne.<br />
Es lohnt sich aber auch so ein Besuch im Hörsaal<br />
in Dortmund, denn die rund 70 Mitwirkenden hauchen<br />
der Geschichte um Momente, Zeit und Ewigkeit<br />
in der Regie von Katharina Priestley glaubhaftes und<br />
tiefgründiges Leben ein. Alle Laien-Darsteller der<br />
Hauptcharaktere agieren auf zufriedenstellendem<br />
gesanglichen und schauspielerischen Niveau, auch<br />
wenn der Ton in einem Hörsaal nicht auf allen Plätzen<br />
optimal ausgesteuert werden kann. Für die aufwändige<br />
Choreographie von Natalie Schieferstein ist auf der<br />
relativ schmalen Bühne bei den Massenszenen auf dem<br />
Jahrmarkt kaum genug Platz, aber das rein getanzte<br />
10-minütige Finale ›Die Geschichte von Winnie Foster‹<br />
ist wunderbar erzählt und rührt fast zu Tränen.<br />
Die Kostüme von Astrid Iggesen entführen uns in<br />
das ländliche Flair von Treegap in New Hampshire<br />
im letzten Jahrhundert. Das 32-köpfige Orchester<br />
unter der musikalischen Leitung von Jonathan Büker<br />
ist omnipräsent direkt vor der Bühne platziert, da es<br />
keinen abgesenkten Orchestergraben im Audimax<br />
gibt. Musikalisch hat das Stück 17 Songs mit einigen<br />
Reprisen zu bieten, die durchaus hörenswert sind, auch<br />
wenn sie nicht ewig im Ohr bleiben.<br />
»Tuck Everlasting« regt an, über die Vergänglichkeit<br />
und den Wert des Lebens nachzudenken. Für interessierte<br />
Musicalfans ist die Produktion auf jeden Fall<br />
sehenswert, zumal der Eintritt frei ist und nur um eine<br />
Spende gebeten wird. Der Verein »Mask & Music«<br />
wird durch diese Produktion sicherlich neue Fans<br />
generieren, die sich bereits auf die kommende Musical-<br />
Produktion Ende 20<strong>24</strong> in Dortmund freuen können.<br />
Stephan Drewianka<br />
22<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Deutschland<br />
Wie trennt man das Böse vom Guten?<br />
»Jekyll & Hyde« am Staatstheater Darmstadtt<br />
Dr. Henry Jekyll (Alexander Klaws, i.d.bes. Vorst. Florian Minnerop, r.)<br />
mit seiner Verlobten Lisa Carew (Barbara Obermeier)<br />
Foto: Martin Sigmund<br />
Dr. Henry Jekyll (Alexander Klaws, i.d.bes. Vorst. Florian Minnerop)<br />
macht Selbstversuche mit seinem Elixier und wird zu Mr Hyde<br />
Foto: Martin Sigmund<br />
Das Musical »Jekyll & Hyde« erzählt die Geschichte<br />
des Arztes Dr. Henry Jekyll, der es sich zur Aufgabe<br />
gemacht hat, ein Serum zu entwickeln, das das Böse in den<br />
Menschen von ihrem guten Teil trennt. Das Musical, das<br />
auf dem Buch »Der seltsame Fall des Dr. Jekyll« von Robert<br />
Louis Stevenson basiert, feierte 1990 im Alley Theater Houston<br />
/ Texas seine Uraufführung, bevor es am 28. April 1997<br />
am Broadway Premiere hatte. Im Februar 1999 fand unter<br />
der musikalischen Leitung von Koen Schoots am Bremer<br />
Theater die Deutschlandpremiere statt, bevor es nach vielen<br />
weiteren Stationen und Produktionen am 3. November<br />
2023 im Staatstheater Darmstadt ankam.<br />
Leider wurde Alexander Klaws, der die Doppelrolle des<br />
Dr. Jekyll / Mr Hyde übernehmen sollte, nach der Premiere<br />
krank. Für ihn übernahm ein Mitglied des Ensembles, Florian<br />
Minnerop, die Hauptrolle. Man muss Respekt vor der<br />
Leistung von Florian Minnerop haben, der sich in die Rolle<br />
in kürzester Zeit hineingearbeitet hat. Auch wenn er gesanglich<br />
und schauspielerisch manchmal an seine Grenzen stieß,<br />
besonders bei der Verwandlung in den boshaften Mr Hyde,<br />
war es doch in Anbetracht der Umstände eine durchaus<br />
bemerkenswerte Leistung.<br />
Die Geschichte beginnt im Krankenhaus, in dem Dr.<br />
Henry Jekyll beim Vorstand um Unterstützung für seine<br />
Forschungen bittet. Dies wird jedoch von allen Anwesenden<br />
außer seinem Freund Gabriel John Utterson (Livio Cecini)<br />
und dem Vater seiner Verlobten Lisa, Sir Danvers Carew<br />
(Volker Metzger), abgelehnt.<br />
In seiner Verzweiflung, dass er die Forschung nicht voran<br />
bringen kann, injiziert sich Henry sein Serum selbst, was<br />
katastrophale Folgen für ihn hat. Denn er verwandelt sich<br />
phasenweise in Mr Hyde, ein durch und durch böses Wesen,<br />
das nachts die Straßen von London unsicher macht. Über<br />
seinen Forschungen vergisst Henry alles, sogar seine eigene<br />
Verlobung. Zusammen mit seinem Freund landet er in einer<br />
Kneipe, wo er die Prostituierte Lucy kennenlernt und ihr<br />
seine Hilfe anbietet. Doch schon bald hat Lucy einen neuen<br />
Kunden, den brutalen Mr Hyde. Und Henry muss mit Entsetzen<br />
feststellen, dass Hyde immer mehr die Gewalt über<br />
ihn gewinnt. Nicht das Gute siegt, sondern das Böse.<br />
Die Inszenierung des Staatstheaters Darmstadt unter der<br />
Regie von Gil Mehmert (eine Übernahme aus Dortmund) ist<br />
ein fesselndes, spannendes Musical geworden. Dabei kommt<br />
die fantastische Drehbühne, die sich auch noch absenken<br />
lässt, perfekt zur Geltung. Während sich durch Drehen die<br />
Räume verändern und aus dem Wohnzimmer des Dr. Jekyll<br />
mal die Kneipe, mal ein Ballsaal oder eine finstere Gasse<br />
wird, taucht das Labor von Dr. Jekyll aus dem Keller auf.<br />
Auch Hydes Killerszenen sind richtig gruselig inszeniert. So<br />
stöhnt das ganze Publikum entsetzt auf, wenn Hyde mit lautem<br />
Knacks Lady Beaconsfield den Hals umdreht. Auch der<br />
Kniff, Hydes Stimme per Tontechnik teuflisch zu verzerren,<br />
macht das ganze noch ein bisschen gruseliger.<br />
Eines der Highlights dieses Musicals ist sicher die ›Konfrontation‹.<br />
In diesem Lied versucht Jekyll vor einem Spiegel,<br />
in dem Hydes Gesicht zu sehen ist, gegen ihn anzukämpfen.<br />
Besonders cool der Einfall, dieses Gesicht in Neongrün und<br />
ganz groß zu machen. Dies allerdings ist dann der Punkt,<br />
wo ein erfahrener Darsteller sicher besser gewesen wäre.<br />
Insgesamt hat das Ensemble wirklich großartig gespielt.<br />
Besonders schön auch die Choreographien von Simon<br />
Eichenberger und die zeitgemäßen Kostüme von Falk Bauer.<br />
Mit Barbara Obermeier als Lisa erlebt man eine tolle<br />
Darstellerin, die ihre Rolle gesanglich und schauspielerisch<br />
gut ausfüllt. Leider kämpfte Nadja Scheiwiller, die die<br />
Lucy spielte, an diesem Abend krankheitsbedingt heftig<br />
darum, der Rolle gesanglich gerecht zu werden – sie sagte<br />
die nächste Show dann auch ab. Es ist ein bisschen schade,<br />
wenn die Qualität einer Vorstellung durch Krankheitsfälle<br />
geschmälert wird. Auf der anderen Seite ist es für das Publikum<br />
immer noch schöner, als wenn die Vorstellung ausfällt.<br />
Deshalb vielen Dank an alle Darstellerinnen und Darsteller<br />
für einen schönen Abend und eine großartige Show.<br />
Ingrid Kernbach<br />
Jekyll & Hyde<br />
Frank Wildhorn / Leslie Bricusse<br />
Deutsch von Susanne Dengler &<br />
Eberhard Storz<br />
Staatstheater Darmstadt<br />
Großes Haus<br />
Premiere: 3. November 2023<br />
Regie .............................. Gil Mehmert<br />
Associate Regie ........ Till Kleine-Möller<br />
Musik. Leitung ........ Nicolas Kierdorf /<br />
Michael Nündel<br />
Orchestrierung ........... Kim Scharnberg<br />
Arrangements .............. Jason Howland<br />
Einstudierung Chor ... Alice Meregaglia<br />
Choreographie ..... Simon Eichenberger<br />
Associate Choreographie ......................<br />
.................................. Nicole Eckenigk<br />
Bühnenbild ......................... Jens Kilian<br />
Kostüme .............................. Falk Bauer<br />
Licht .............................. Benedikt Vogt<br />
Sounddesign............... Jörg Grünsfelder<br />
Henry Jekyll / Edward Hyde .................<br />
.............................. Florian Minnerop /<br />
Alexander Klaws<br />
Gabriel John Utterson....... Livio Cecini<br />
Lisa Carew............. Barbara Obermeier<br />
Lucy Harris.............. Nadja Scheiwiller<br />
Sir Danvers Carew....... Volker Metzger<br />
Bischof von Basingstoke .......................<br />
.................................... Daniel Ewald /<br />
Khvicha Khozrevanidze<br />
Simon Stride / Polizist .... Benjamin Werth<br />
Lady Beaconsfield..................................<br />
........................... Ingrid Katzengruber /<br />
Gundula Schulte<br />
Lord Savage .............. Thomas Mehnert<br />
General Lord Glossop. ............................<br />
.............................. Marco Mondragón<br />
Nellie / Lady ................ Stefanie Köhm<br />
Sir Archibald Proops .... Stefan Grunwald<br />
Spider / Priester ............. Yannik Blauert<br />
Poole / Bisset ........ Adrian Hochstrasser<br />
Zeitungsjunge / Lady / Girl. ..................<br />
................................ Lisa Maria Wehle<br />
Girl / Dance Captain .... Nicole Eckenigk<br />
Girl ............................ Sarah Steinemer<br />
Girl .................................. Maja Sikora<br />
On Stage Cover ........... Yannic Blauert /<br />
Annika Netthorn<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
23
Musicals in Deutschland<br />
Glamourös und eine Story wert<br />
»Chicago« in der Komischen Oper Berlin<br />
Velma Kelly (Ruth Brauer-Kvam) weiß sich stilvoll zu inszenieren<br />
Foto: Jan Windszus Photography<br />
Chicago<br />
John Kander / Fred Ebb / Bob Fosse<br />
Deutsch von Erika Gesell &<br />
Helmut Baumann<br />
Komische Oper Berlin<br />
Schillertheater – Großer Saal<br />
Premiere: 28. Oktober 2023<br />
Regie ............................... Barry Kosky<br />
Musikalische Leitung ..... Adam Benzwi<br />
Choreographie ................. Otto Pichler<br />
Leitung Chöre ......................................<br />
Jean-Christophe Charron<br />
Bühnenbild ................. Michael Levine<br />
Kostüme .......................... Victoria Behr<br />
Licht .................................. Olaf Freese<br />
Roxie Hart .............. Katharine Mehrling<br />
Velma Kelly ............. Ruth Brauer-Kvam<br />
Billy Flynn ...................... Jörn-Felix Alt /<br />
Nicky Wuchinger<br />
Mama Morton ....... Andreja Schneider /<br />
Sigalit Feig<br />
Amos Hart ......................... Ivan Turšić /<br />
Philipp Meierhöfer<br />
Mary Sunshine ............. Nils Wanderer /<br />
Hagen Matzeit<br />
Kitty ............................... Petra Ilse Dam<br />
Liz ................................ Mariana Souza<br />
June .... Lauren Mayer / Martina Borroni<br />
Annie ......................... Paulina Plucinski<br />
Mona .......................... Danielle Bezaire<br />
Hunyak .... Lindsay Dunn / Lauren Mayer<br />
Fogarty ........................ Matthias Spenke<br />
Aaron .............................. Sascha Borris<br />
Fred ............................ Nikolaus Bender<br />
Tänzer:<br />
Michele Anastasi, Shane Dickson,<br />
Ivan Dubinin, Michael Fernandez,<br />
Benjamin Gericke, Lorenzo Soragni,<br />
Andrii Zubchevskyi<br />
Komparserie<br />
Dem großen amerikanischen Musical mit den gegebenen<br />
Fähigkeiten Rechnung zu tragen ist ein<br />
Anliegen von Barry Kosky, langjähriger Intendant und<br />
Regisseur der Komischen Oper. Die nächste Musicalproduktion<br />
begeisterte ihn selbst bereits mit 14 Jahren.<br />
Mit »Chicago« brachte Barrie Kosky in Co-Regie mit<br />
Otto Pichler (auch Choreographie) erneut eins der großen,<br />
bekannten und beliebten amerikanischen Musicals<br />
nach Berlin, genauer gesagt in das Schillertheater,<br />
das der Komischen Oper seit Sanierungsbeginn im<br />
Sommer 2023 als Spielstätte dient. Die Geschichte von<br />
zwei Mörderinnen aus der amerikanischen Geschichte<br />
der 1920er Jahre ist ein spannendes Gesellschaftstableau,<br />
das auch heutzutage aktuell ist, wahrscheinlich<br />
sogar aktueller denn je in Zeiten von Social Media,<br />
Posts, Reels, Marketing und Influencern: Was ist eine<br />
Story wert, und vor allem: Was ist eine gute Story? In<br />
»Chicago« ist alles eine Frage der Perspektive und der<br />
Inszenierung.<br />
Chicago in den 1920ern: Roxie Hart betrügt<br />
ihren Ehemann Amos Hart. Doch als ihr Geliebter<br />
Fred Casely Schluss mit ihr macht, knallt sie durch<br />
und erschießt ihn. Sie kann Amos zunächst dazu<br />
überreden, bei der Polizei zu ihren Gunsten falsch<br />
auszusagen, aber als ihr Treuebruch ans Tageslicht<br />
kommt, will er sie nicht mehr decken. Roxie kommt<br />
ins Frauengefängnis Cook County, wo sie auf ihr Idol<br />
Velma Kelly trifft. Roxie lernt die Gepflogenheiten<br />
im Gefängnis kennen, passt sich an und Velma muss<br />
bald erkennen, dass sie hier nicht mehr die Nummer<br />
Eins und Roxie eine gewiefte Konkurrentin ist. Roxie<br />
stiehlt ihr die Aufmerksamkeit der Gefängniswärterin<br />
Mama Morton, die sich für spezielle Dienste bezahlen<br />
lässt, heckt mit Staranwalt Billy Flynn große Gerichtsauftritte<br />
aus und erheischt so die Aufmerksamkeit der<br />
Journalisten, allen voran der Klatschreporterin Mary<br />
Sunshine. Roxie spielt Amos die liebende Ehefrau vor,<br />
um Flynn zu finanzieren. Der Anwalt zieht die Fäden<br />
und sorgt dafür, dass, obwohl Amos die Scheidung<br />
einreichen will, es dennoch eine Versöhnungsszene bei<br />
Gericht gibt. Roxie gaukelt der Welt eine Schwangerschaft<br />
vor, inszeniert mit bei Velma gestohlenen Tricks<br />
rührende Szenen und plädiert mit ihren Aussagen<br />
für Notwehr: das gefundene Fressen für die Presse –<br />
jedoch nur kurzzeitig. Am Tag ihres Freispruchs ereignet<br />
sich ein sensationeller Mord und Roxie ist plötzlich<br />
keine Story mehr wert. Das Ende vom Lied: Die beiden<br />
Mörderinnen raufen sich zusammen, singen und tanzen<br />
gemeinsam in einer Show, um des Ruhms und des<br />
Erfolgs willen.<br />
Das Musical des erfolgreichen Autoren-Duos John<br />
Kander (Musik) & Fred Ebb (Buch mit Bob Fosse<br />
und Songtexte) nach einem Theaterstück von Maurine<br />
Dallas Watkins passt in die heutige Zeit und die Inszenierung<br />
holt das Stück auch visuell in die Gegenwart,<br />
und das besonders glamourös und extravagant. Dazu<br />
gehören ein großes Orchester, eine große Besetzung<br />
und das opulente Bühnenbild (Michael Levine). Das<br />
Bühnenbild-Konzept sieht mehrere Rahmenteile<br />
mit zahlreichen Lämpchen vor, die beleuchtet ein<br />
Glamour-Showflair vom Feinsten bieten. Die einzelnen<br />
Rahmenteile sind schrägstell- und separierbar.<br />
Diese Einrahmung verdeutlicht charmant, dass in<br />
diesem Stück jeder seine eigene Show darbietet, um<br />
Aufmerksamkeit oder eben diesen oder jenen Wunsch<br />
erfüllt zu bekommen. Mit weiteren mit Lämpchen<br />
versehenen und beleuchteten Flächen wird hier nicht<br />
gekleckert, sondern geklotzt. Auf einem Herz fährt<br />
Anwalt Billy Flynn (Jörn-Felix Alt) auf die Bühne, um<br />
seinen Standpunkt auch visuell klar zu machen: ›Bin<br />
nur für die Liebe da‹. Überdimensionale Buchstaben<br />
leuchten in den Worten »Roxie« (bei den Tagträumen<br />
<strong>24</strong><br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Deutschland<br />
von einer eigenen Show) und »Murder« (»Mord« beim<br />
›Zellenblocktango‹). Zudem wird eine runde Drehbühne<br />
eingesetzt, um eine Schaufläche bei Roxies<br />
Verteidigungsrede im Gericht vor den Journalisten zu<br />
bilden. Diese ist am Rand mit Leuchtmitteln versehen<br />
und wird später hochgeklappt, um im Dunkeln<br />
Leuchtakzente zu setzen. Der Gefängnisbereich wird<br />
außerdem mit einem aufwändigen Gitterkonstrukt<br />
einschließlich Zellen dargestellt. Die Anlehnung Koskys<br />
an die Originalinszenierung von 1975 ist ebenfalls<br />
an den Choreographien zu erkennen und die berühmtberüchtigten<br />
Federflauschfächer kommen ebenfalls<br />
zum Einsatz – etwas, worauf man schon wartet, wenn<br />
man das Wort »Chicago« hört.<br />
Auf visueller Ebene bieten auch die Kostüme (Victoria<br />
Behr) schöne Reize für die Augen. Das Ensemble<br />
erscheint passend zu den Szenen mal in Abendkleidung,<br />
Pailletten-Frack, sexy Nachtgarderobe oder im<br />
Anzug-Style. Für die Rollen der Gefängnisinsassinnen<br />
wurden orangefarbene Knastkleider entworfen, die die<br />
Figur der Mörderinnen betonen. Glamouröse Kleider<br />
mit Glitter, Flausch, Quaste oder alltäglichere Kleider –<br />
Roxie und Velma haben jede Menge zur Auswahl. Die<br />
Tänzeroutfits nehmen teilweise die Outfits der Hauptrollen<br />
auf, etwa ein silbernes glänzendes Kleid, dessen<br />
Stoff und Muster als Vorlage für die Hosenbekleidung<br />
der Tänzer dient. Mary Sunshine wird unter anderem<br />
in einen gelben Zweiteiler mit Pelzbesatz gekleidet,<br />
inklusive Turbantuch und passender Handtasche.<br />
Anwalt Billy Flynn tritt in verschiedenen Anzügen auf,<br />
die verschiedene Stoffe und Farben zeigen, jeder auf<br />
seine Weise elegant. Für Mamma Morton gibt es eine<br />
weibliche Version von Mafioso-typischen Anzügen.<br />
›Mr Cellophan‹ Amos Hart trägt bei seiner »Mitleidsnummer«<br />
eine pantomimenhafte Kleidung mit Zylinder,<br />
Frack und Hose. Während der Szene schminkt<br />
und zieht sich Darsteller Ivan Turšić auf der Bühne<br />
um und vollzieht so die Transformation für seinen<br />
Auftritt. Weitere witzige und für sich selbst sprechende<br />
Einfälle der Produktion sind überdimensionale Münder<br />
auf den Gesichtern des Geschworenen-Ensembles<br />
und große übergezogene Gesichter und Blitzkameras<br />
der sensationslüsternen Reporter.<br />
Unter der musikalischen Leitung von Adam Benzwi<br />
sind das groß besetzte Orchester (mit den Original-<br />
Arrangements von 1970) und der von Jean-Christophe<br />
Charron geleitete Chor ein Genuss.<br />
Die deutsche Übersetzung von Erika Gesell und<br />
Helmut Baumann ist sicher nicht so gewohnt und<br />
auch nicht ganz so einprägsam wie die Originaltexte,<br />
aber sie ist verständlich und bringt gekonnt schwarzen<br />
Humor, Ironie, beißende Kommentare und Stimmung<br />
rüber.<br />
Die Besetzung dieses »Chicago« made in Berlin<br />
ist gekonnt. Katharine Mehrling begeistert als Roxie<br />
Hart, die es faustdick hinter den Ohren hat, schauspielerisch<br />
und gesanglich. Ihr Gegenpart Velma Kelly<br />
wird von Ruth Brauer-Kvam dargestellt, die ebenfalls<br />
eine großartige gesangliche und mimische Leistung<br />
darbietet als die plötzliche Nummer 2. Äußerst charmant<br />
als Billy Flynn zieht Jörn-Felix Alt die Zuschauer<br />
in den Bann und Andreja Schneider gibt eine sexy<br />
geschäftige Mama Morton mit Mafiosi-Einschlag à la<br />
»Orange is the New Black«. Ivan Turšić sammelt als<br />
Mr Cellophan Amos Hart Sympathiepunkte und Nils<br />
Wanderers Mary Sunshine ist entzückend weltentrückt<br />
und stimmlich große Klasse. Die weiteren Rollen werden<br />
authentisch dargestellt und das Tanzensemble<br />
sorgt für zusätzlichen Glamour in dieser Produktion,<br />
die auf jeden Fall einen Besuch wert ist.<br />
Rosalie Rosenbusch<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Können nicht beide Nummer 1 sein:<br />
Roxie Hart (Katharine Mehrling, l.) und<br />
Velma Kelly (Ruth Brauer-Kvam, r.)<br />
2. Dieser Staranwalt kann sich<br />
bestens verkaufen: Billy Flynn<br />
(Jörn-Felix Alt) überzeugt mit seinen<br />
Inszenierungen alle<br />
3. Roxie Hart (Katharine Mehrling)<br />
spielt den Geschworenen (Ensemble)<br />
und der Presse in der Gerichtsverhandlung<br />
eine herzerwärmende<br />
Berufung auf Notwehr vor<br />
Foto 1: Barbara Braun<br />
Fotos 2 + 3: Jan Windszus Photography<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
25
Musicals in Deutschland<br />
Plötzlich Prinzessin<br />
Premiere von Rodgers’ und Hammersteins »Cinderella« in Wuppertal<br />
Finale Anprobe durch Prinz Christopher (Jonas Hein, vorne r.) und der Schuh passt Ella (Susann Ketley, Mitte)<br />
Foto: Björn Hickmann<br />
Cinderella<br />
Richard Rodgers / Oscar Hammerstein II. /<br />
David Chase / Bruce Pomahac /<br />
Douglas Carter Beane<br />
Deutsch von Jens Luckwaldt<br />
Wuppertaler Bühnen<br />
Opernhaus<br />
Premiere: 9. Dezember 2023<br />
Regie & Bühnenbild .............................<br />
Christian Thausing<br />
Musikalische Leitung ..... Johannes Witt<br />
Musikalische Einrichtung &<br />
Arrangements ..................David Chase<br />
Choreinstudierung ..... Ulrich Zippelius<br />
Einstudierung Jugendchor .... Eva Caspari<br />
Orchestrierung ................ Danny Troob<br />
Choreographie ........... Evamaria Mayer<br />
Bühnenbild ................. Hana Ramujkic<br />
Kostüme .............................. Devi Saha<br />
Lichtdesign ........................ Florian Kerl<br />
Ella ................................. Susann Ketley<br />
Christopher .......................... Jonas Hein<br />
Madame .................... Stefanie Smailes /<br />
Tamara Peters<br />
Sebastian ........... Mark Bowman-Hester<br />
Marie, gute Fee ............. Gundula Hintz<br />
Gabrielle ............................ Gioia Heid<br />
Charlotte ...................... Edith Grossman<br />
Jean-Michel ................. Dustin Smailes /<br />
Nils Karsten<br />
Graf Dingelstein .................... Jason Lee<br />
Tänzer:innen,<br />
Opern- & Jugendchor der<br />
Oper Wuppertal<br />
Es war einmal vor gar nicht langer Zeit, da lebte<br />
in Wuppertal die junge Ella, die von ihrer Stiefmutter<br />
Madame zur Hausarbeit angehalten und<br />
von ihren Stiefschwestern Gabrielle und Charlotte<br />
gemobbt wurde, und nur die alte, verrückte Marie<br />
war freundlich zu ihr. Die einsame Ella zieht sich<br />
in ihrem Zimmer von der realen Welt zurück und<br />
träumt sich in ihr Märchen mit dem Drachen tötenden<br />
Prinzen Christopher, der als angehender Regent<br />
die Hose allerdings gestrichen voll hat, Regierungsangelegenheiten<br />
seinem korrupten Verwalter Sebastian<br />
überlässt und vor den Problemen seiner Untertanen<br />
die Augen verschließt. Gegen diese Ignoranz<br />
demonstriert der junge Rebell Jean-Michel. Von dem<br />
Aufruhr möchte Sebastian durch einen rauschenden<br />
Ball ablenken, bei dem Prinz Christopher seine Braut<br />
aus den Gästen wählen soll. Madame möchte ihre<br />
Tochter Gabrielle gerne mit dem Prinzen verkuppeln.<br />
Für Ella ist auf dem Ball natürlich kein Platz<br />
und Madame zerreißt Ellas Eintrittskarte. Doch<br />
die verrückte Marie entpuppt sich als gute Fee, die<br />
Ella nicht nur ein schickes Make-over als Traum-<br />
Prinzessin verpasst, sondern mit der Belebung<br />
zweier Plüschtiere auch eine exotische Dienerschaft<br />
erschafft, die Ella bis Mitternacht in einem coolen<br />
Gefährt auf den Ball begleiten, wo sie durch ihre<br />
Freundlichkeit die Gunst des Prinzen gewinnt. Aber<br />
um 12 Uhr droht der Zauber zu schwinden und Ella<br />
verliert bei ihrer Flucht einen gläsernen Schuh, den<br />
sie wieder an sich nimmt.<br />
Der Prinz veranstaltet ein Festmahl, um seine<br />
geheimnisvolle und geflohene potenzielle Braut<br />
wiederzufinden. Gabrielle freundet sich mit Ella an,<br />
gesteht ihr, dass sie in Jean-Michel verliebt ist, und<br />
stellt sich krank, damit Ella in ihrem Kleid zum Festmahl<br />
gehen kann. Doch Madame zerreißt das Kleid<br />
und Ella muss erneut auf den Zauber von Marie vertrauen.<br />
Beim Festmahl überzeugt Ella Christopher<br />
davon, seinem Volk zuzuhören und Sebastian nicht<br />
weiter blind zu vertrauen. Doch auch diesmal kommt<br />
Mitternacht viel zu früh, und Ella hinterlässt jetzt<br />
absichtlich ihren gläsernen Slipper. Mit diesem Indiz<br />
sucht Christopher im ganzen Land, doch keiner<br />
Dame scheint der Schuh zu passen, bis Christopher<br />
endlich seinem Aschenputtel in einfacher Kleidung<br />
begegnet…<br />
Die Oper Wuppertal präsentiert »Cinderella«<br />
seit dem 9. Dezember 2023 in der Inszenierung von<br />
Christian Thausing mit der ungewöhnlichen Rahmenhandlung,<br />
die sich mit dem Bühnenbild eines<br />
Kinderzimmers von Hana Ramujkic konsequent<br />
an den Realitätsbezug klammert. Wenn Ella in<br />
ihrem Hochbett während der ›Ouvertüre‹ einschläft,<br />
erwacht das Märchen mit der eigentlichen Fassung<br />
von Rodgers’ und Hammersteins Musicaladaption<br />
auf der Bühne zum Leben und die Charaktere<br />
betreten wie in Narnia durch Schränke die Bühne<br />
und nutzen die Möblierung des Kinderzimmers als<br />
Requisiten der Handlung. Wer als Zuschauer »nur«<br />
ein fantastisches Märchenspiel in entsprechender<br />
Kulisse erwartet hat, könnte von diesem Regieeinfall<br />
enttäuscht sein.<br />
Von der Ursprungsfassung des als Fernsehproduktion<br />
1957 entstandenen Musicals mit der jungen<br />
Julie Andrews in der Titelrolle ist in der späteren<br />
Bühnen-Adaption von Douglas Carter Beane für<br />
das Broadway-Revival 2<strong>01</strong>3 nicht viel geblieben,<br />
denn die Modernisierung umfasste nicht nur die<br />
26<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Deutschland<br />
grundlegende Überarbeitung und Neuimplementierung<br />
von Charakteren, sondern auch bisher nicht<br />
verwendete Songs aus dem Repertoire des Autorenteams<br />
u. a. mit einem gestrichenen Lied aus »South<br />
Pacific«. Nach der Europapremiere 2<strong>01</strong>8 im Münchener<br />
Prinzregententheater und einer Fassung 2020<br />
in Dresden zeigt Wuppertal die deutsche Übersetzung<br />
von Jens Luckwaldt erst als dritte Produktion<br />
in Deutschland.<br />
Als royales Paar präsentieren sich die Folkwang-<br />
Absolventen Jonas Hein als stimmstarker, schüchterner<br />
Prinz Christopher, körperlich stark, aber<br />
in Staats- und Herzensangelegenheiten zunächst<br />
hilflos überfordert, und die bezaubernde Susann<br />
Ketley, die erst im Sommer 2023 ihren Hochschulabschluss<br />
absolviert hat, als emanzipierte Ella, die<br />
zwar ihre realen Probleme mit in ihre Traumwelt<br />
nimmt, sie dort aber souverän-sympathisch löst<br />
und den Zuschauer hoffen lässt, dass ihr diese<br />
positive Energie auch nach ihrem Erwachen in<br />
der realen Welt erhalten bleibt. Stefanie Smailes<br />
(alternierend Tamara Peters) ist eine herrlich böse<br />
Stiefmutter Madame, die an eine Mischung aus<br />
Disneys Cruella De Vil und Miranda Priestly aus<br />
»Der Teufel trägt Prada« erinnert. Edith Grossman<br />
als Tochter Charlotte ist ein reiner Comedy-<br />
Charakter und bleibt im Schatten ihrer Schwester<br />
Gioia Heid als Gabrielle, die sich vom mobbenden<br />
Terrorbiest in Ellas Verbündete verwandeln darf.<br />
Ein weiterer düsterer Charakter ist Mark Bowman-<br />
Hester als Verwalter Sebastian, der Dustin Smailes<br />
(alternierend Nils Karsten) als Jean-Michel das<br />
Leben als Reformer des Reiches schwer macht. Jason<br />
Lee präsentiert als Graf Dingelstein alle wichtigen<br />
Ankündigungen des Landes zwar akzentbelastet,<br />
dafür aber mit trockenem Humor. Das achtköpfige<br />
Tanzensemble in der Choreographie von Evamaria<br />
Mayer schafft gemeinsam mit dem Jugendclub<br />
immer wieder neue und abwechslungsreiche Bilder.<br />
Gundula Hintz präsentiert als gute Fee Marie ihre<br />
Songs mit klassischer Stimme, die mit dem Opernchor<br />
der Wuppertaler Bühnen gut harmoniert. Das<br />
Sinfonieorchester unter der musikalischen Leitung<br />
von Johannes Witt lässt die vielleicht etwas angestaubten<br />
Klassiker, die sich erst nach mehrmaligem<br />
Hören als Ohrwürmer entpuppen, in ihrem alten<br />
Glanz erstrahlen. Die Kostüme von Devi Saha sind<br />
verspielt bunt, wie es dem Traum einer Teenagerin<br />
gebührt, und die Verwandlung von Marie von der<br />
Verrückten zur Fee und insbesondere von Ellas<br />
Schlabberlook in eine elegante Abendgarderobe sind<br />
sehenswerte Theatermagie.<br />
Es mag sein, dass »Cinderella« für moderne<br />
Musicalfans etwas altbacken daherkommt und<br />
musikalisch nicht so abwechslungsreich wie<br />
modernere Musicals ist. Wer sich aber neben<br />
all den aktuellen Compilation-Shows auf echte<br />
Kompositionen eines alten Dream-Teams, aus<br />
deren Feder so zeitlose Musicals wie »The Sound<br />
of Music«, »Oklahoma!« und »The King and I«<br />
entsprungen sind, einlassen kann, wird von der<br />
Produktion in Wuppertal nicht enttäuscht sein.<br />
Stephan Drewianka<br />
Abb. oben:<br />
Alle Märchenfiguren betreten<br />
in Ellas Traum die Bühne über<br />
die Kinderzimmerschränke, hier<br />
Stiefmutter Madame (Stefanie<br />
Smailes) mit Tochter Charlotte (Edith<br />
Grossman)<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Staatsgeschäfte im Kinderzimmer,<br />
doch Prinz Christopher (Jonas Hein, r.)<br />
wird von Verwalter Sebastian (Mark<br />
Bowman-Hester, Mitte) schlecht<br />
beraten<br />
2. Getanzte Revolution und Aufstand<br />
im Märchentraum (Ensemble)<br />
3. Um Mitternacht »entfliegt«<br />
Cinderella dem Ball und der Prinz<br />
(Jonas Hein, Mitte mit Ensemble)<br />
sucht vergebens nach ihr<br />
4. Beim Ball kommen sich Ella<br />
(Susann Ketley) und Prinz Christopher<br />
(Jonas Hein) näher<br />
Fotos (5): Björn Hickmann<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
27
Musicals in Deutschland<br />
Letzte Party vor dem Abriss<br />
»Follies« am Hessischen Staatstheater Wiesbaden<br />
Abb. oben:<br />
Weisman (Albert Horne) dirigiert als<br />
Direktor das Ensemble sowie das<br />
Orchester<br />
Abb. unten:<br />
Ben und Sally (Thomas Maria Peters<br />
und Pia Douwes, oben) stehen den<br />
Erinnerungen an die junge Sally und<br />
dem jungen Ben (Kelly Panier und<br />
Johannes Summer, unten) gegenüber<br />
Fotos (2): Lena Obst<br />
Der Name »Follies« erinnert zunächst ein bisschen<br />
an die legendären »Ziegfeld Follies« und das<br />
ist auch gewollt, denn diese berühmte Broadwayshow<br />
war eine Revue mit vielen schönen Frauen, die<br />
leicht bekleidet synchron tanzten. Stars wie Barbara<br />
Stanwyck, Fanny Price (die im Film »Funny Girl«<br />
hinreißend von Barbra Streisand gespielt wurde),<br />
Sophie Tucker und Dorothee Dickson gingen aus den<br />
»Ziegfeld Follies« hervor. Selbst Josephine Baker trat<br />
in einer der Revuen auf.<br />
Und so erkennt man schnell die Parallele zum<br />
Musical »Follies«: Man schreibt das Jahr 1970. Das<br />
berühmte Weisman-Theater soll abgerissen werden.<br />
Impresario Weisman beschließt, seine Girls nach fast<br />
50 Jahren noch einmal zusammenzuholen, um eine<br />
große Abschiedsparty zu feiern.<br />
Die Show beginnt im Jahr 1920 mit wunderschön<br />
gekleideten Tänzerinnen und Tänzern in weißen Kostümen,<br />
zum Teil sogar von der Decke schwebend. Die<br />
Handlung des Musicals spielt in zwei verschiedenen<br />
Zeitzonen, was es dem Zuschauer nicht immer ganz<br />
leicht macht. Zu jedem älteren Showgirl gibt es ein junges<br />
Gegenstück, genau wie zu den vier Hauptpersonen,<br />
nämlich Sally (Pia Douwes), die mit Buddy (Dirk Weiler)<br />
verheiratet ist, und Phyllis (Jacqueline Macaulay)<br />
und ihrem Ben (Thomas Maria Peters).<br />
Doch zunächst betreten alle älteren Showgirls nach<br />
und nach die Bühne, die das Theater darstellt, und singen<br />
ein Solo. Schon hierbei wird klar: Die Ladies sind<br />
großartig, jede auf ihre Weise.<br />
Da ist zum Beispiel Carlotta (April Hailer), die<br />
ein bisschen wie eine Figur aus der TV-Serie »Dallas«<br />
aussieht, eine Karriere als Fernsehstar gemacht hat,<br />
aber jetzt keine Rollen mehr bekommt. Oder Solange<br />
(Annette Luig), die mit dem Entwickeln von Parfüms<br />
das große Geld gemacht hat, oder Heidi Schiller<br />
(Sharon Kempton), die das Publikum mit ihrem Sopran<br />
von den Stühlen reißt, während Emily und Theodore<br />
Whitman (Ines Behrendt und John Holyoke) eine<br />
hinreißende Tanznummer präsentieren und Hattie<br />
(Andrea Baker) mit ihrer souligen Stimme das passende<br />
Gegenstück zu Heidi ist.<br />
Doch eigentlich dreht sich die Handlung (gibt es<br />
eigentlich eine Handlung?) um Sally und Buddy sowie<br />
Phyllis und Ben. Eigentlich waren sie einmal befreundet,<br />
und eigentlich war Sally immer in Ben verliebt –<br />
und ist es noch. Aber geheiratet hat Sally nicht ihn,<br />
sondern Buddy. Während Ben als Politiker Karriere<br />
gemacht hat und mit Phyllis an seiner Seite eine würdige<br />
Partnerin hat, ist Buddy »nur« Vertreter und Sally<br />
mit ihrem Leben als Hausfrau und Mutter von zwei<br />
Söhnen nicht gerade glücklich.<br />
Es folgt ein kurzer Zeitsprung. Schon als sie noch<br />
jung waren, war Sally in Ben verliebt, doch der vergnügt<br />
sich in einem Cabrio mit Phyllis. Phyllis weiß,<br />
im Gegensatz zu Sally, was sie will, nämlich Ben.<br />
Auf der Feier hat Sally dann nur noch Augen für<br />
Ben, was Buddy so frustriert, dass er Sally erklärt, er<br />
habe schon lange eine Geliebte, bei der er sich viel<br />
mehr zu Hause fühle als bei ihr. Nach Aussage von<br />
Buddy ist Sally entweder betrunken oder geisteskrank.<br />
Nachdem Sally Ben ihre Liebe gesteht und ihn<br />
vom Fleck weg heiraten möchte (obwohl er ja noch<br />
mit Phyllis verheiratet ist), betrinkt sich Ben bis zur<br />
Ohnmacht. Phyllis, die ihn am Boden liegend findet,<br />
sagt ihm gründlich ihre Meinung, denn im Gegensatz<br />
zu ihm hat sie keine Zweifel, was sie will. Nun stellt<br />
sich auch heraus, dass Ben Sallys Gefühle nie erwidert<br />
28<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Deutschland<br />
hat. In einer großen Szene streiten alle miteinander,<br />
überlagernd sowohl jung als auch alt. Wie passend,<br />
dass das englische Wort für Torheit »Folly« ist, denn<br />
im zweiten Teil singen die vier Protagonist:innen des<br />
Stücks jede/r von seiner/ihrer eigenen Torheit.<br />
Und was bleibt am Ende als Erkenntnis? Vielleicht<br />
haben sie zwar den/die Falsche(n) geheiratet, doch<br />
nach all der gemeinsamen Zeit möchten sie sich auch<br />
nicht mehr trennen, und so endet das Stück damit,<br />
dass alle wieder ihrer Wege gehen. So war es für<br />
unsere Protagonisten trotz allem ein schöner Abend<br />
und ein mehr oder weniger fröhliches Wiedersehen.<br />
Bleibt eigentlich nur zu sagen, wie großartig alle<br />
Darsteller unter der Regie von Tom Gerber und der<br />
musikalischen Leitung von Albert Horne singen,<br />
tanzen, spielen und sogar steppen. Pia Douwes ist<br />
vielleicht noch nicht ganz wieder auf der Höhe ihres<br />
gesanglichen Könnens, sie fügt sich aber problemlos<br />
ein und auch wenn ihr Weg zurück zu der großen<br />
Diva noch Arbeit verlangt, wie sie selbst auch äußerte,<br />
ist ihr Können, insbesondere auch das darstellerische,<br />
klar ersichtlich. Ausgezeichnetes komödiantisches<br />
Timing und eine großartige Bühnenpräsenz sind<br />
die Schlagwörter, die einem zu der Darstellung von<br />
Jacqueline Macaulay als Phyllis einfallen und sie zum<br />
heimlichen Star des Abends gemacht haben. Sowohl<br />
›Dich verlassen‹ als auch ›Die Geschichte von Lexie<br />
und Nancy‹ sind echte Highlights. April Hailer als<br />
Carlotta überzeugt mit fantastischem Schauspiel und<br />
holt auch gesanglich alles aus der Nummer ›Bin noch<br />
hier‹ heraus. Dirk Weiler als Buddy zeigt in der ›Loveland‹<br />
Nummer sein ganzes Können. Als Ehemann von<br />
Phyllis, Ben, überzeugt auch Thomas Maria Peters<br />
insbesondere mit wunderschöner Sprechstimme und<br />
souveränem Auftreten.<br />
Besonders witzig ist es, dass Albert Horne selbst<br />
mitspielt. Im weißen Smoking, ein bisschen aussehend<br />
wie Mozart, mit breitem östlichen Akzent spielt<br />
er Weisman, den Inhaber des Theaters. Trotzdem<br />
schafft er es, das Hessische Staatsorchester sowie die<br />
dreiköpfige Band, die oben auf der Bühne des Weisman-Theaters<br />
spielt, gekonnt zu dirigieren.<br />
Die Musik von Stephen Sondheim besteht nicht<br />
immer nur aus Ohrwürmern, doch in »Follies« gibt es<br />
viele schöne Lieder und es klingt manchmal wirklich<br />
nach Revue.<br />
Wunderschön, teilweise sehr ausgefallen, sind die<br />
Kostüme von Jannik Kurz. Es wurde nicht gespart an<br />
Federn und Pailletten, ausgefallenem Kopfschmuck<br />
und überraschenden Ausschnitten, teilweise sehr<br />
offenherzig.<br />
Das Bühnenbild von Bettina Neuhaus entführt<br />
das Publikum in ein älteres Theater, das über mehrere<br />
Ebenen verteilt ist und wo es neben einer Bar auch<br />
einen Schminktisch, eine Ebene mit einer kleinen<br />
Band und einen Bühneneingang gibt.<br />
»Follies« ist mit seinem Mangel an Handlung ein<br />
Vertreter des Subgenres Konzeptmusical, bei dem<br />
weniger die Geschichte im Vordergrund steht, sondern<br />
eher ein Thema oder eine Botschaft vermittelt<br />
werden soll. Dem Publikum hat es gefallen und es gab<br />
zum Schlussapplaus großen Jubel für alle Beteiligten.<br />
Ingrid Kernbach<br />
Follies<br />
Stephen Sondheim / James Goldman<br />
Deutsch von Martin G. Berger<br />
Hessisches Staatstheater Wiesbaden<br />
Großes Haus<br />
Premiere: 21. Oktober 2023<br />
Regie ................................ Tom Gerber<br />
Musikalische Leitung ....... Albert Horne<br />
Orchestration ............. Jonathan Tunick<br />
Choreographie................ Myriam Lifka<br />
Bühnenbild ............... Bettina Neuhaus<br />
Kostüme ............................ Jannik Kurz<br />
Video ...................... Eduardo Mayorga<br />
Licht .................................. Oliver Porst<br />
Sally......... Pia Douwes / Frederike Haas<br />
Phyllis................... Jacqueline Macaulay<br />
Buddy ................................. Dirk Weiler<br />
Ben ....................... Thomas Maria Peters<br />
Junge Sally .......................... Kelly Panier<br />
Junge Phyllis .............. Larissa Hartmann<br />
Junger Buddy.................... Niklas Roling<br />
Junger Ben ................ Johannes Summer<br />
Carlotta ............................... April Hailer<br />
Solange ............................. Annette Luig<br />
Hattie / Stella ................... Andrea Baker<br />
Heidi Schiller .............. Sharon Kempton<br />
Junge Heidi ................. Elisa Birkenheier<br />
Weisman / Roscoe............. Albert Horne<br />
Emily Whitman ............... Ines Behrendt<br />
Theodore Whitman .......... John Holyoke<br />
Dee Dee West.................... Peter Urban<br />
Sandra Cane........................ Petra Heike<br />
Kevin / Dance Captain ..........................<br />
............................... Jasper H. Hanebuth<br />
Bobby Bennett .......... Jonathan Schmidt<br />
Victor Prince ..................... Joel Spinello<br />
Peter Jones ...................... Yannick Illmer<br />
Jeff Romley................ Leonhard Lechner<br />
Tom Richards ................ Samuel Meister<br />
Junge Solange / Engel ......... Carla Peters<br />
Junge Christine .... Mar Sánchez Cisneros<br />
Junge Sandra Cane ........... Tamara Kurti<br />
Junge Carlotta / Sally Karikatur...............<br />
.......................................... Josefine Rau<br />
Junge Dee Dee /<br />
Margie Karikatur ............ Nicoletta Luna<br />
Iparraguirre De las Casas<br />
Junge Emily .......... Cara Laureen Remke<br />
Junge Hattie / Stella .... Clarissa Anyamele<br />
In weiteren Rollen:<br />
Dwayne Gilbert Besier, Jan Diener<br />
Chor & Chorsolist:innen und Statisterie<br />
des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden<br />
Abb. links von oben links:<br />
1. Ben (Thomas Maria Peters, Mitte),<br />
umringt vom Ensemble, welches<br />
beeindruckende Tanzszenen liefert<br />
2. Carlotta (April Hailer) glänzt mit<br />
›Bin noch hier‹<br />
3. Auch Ben (Thomas Maria Peters,<br />
vorne l.) und Phyllis (Jacqueline<br />
Macaulay, vorne r.) sind den<br />
Erinnerungen an den jungen Ben<br />
(Johannes Summer, oben l.) und<br />
die junge Phyllis (Larissa Hartmann,<br />
oben r.) ausgesetzt<br />
4. Phyllis (Jacqueline Macaulay)<br />
weiß genau, was sie will<br />
Fotos (4): Lena Obst<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
29
Einblick<br />
Vorankündigung »Hercules – Das heldenhafte Musical«<br />
Abb. oben:<br />
Benét Monteiro mit Komponist<br />
Alan Menken<br />
Foto: Stage Entertainment / Arjen Mensinga<br />
n Zusammenarbeit mit Disney wird Stage Entertain-<br />
die Weltpremiere des neuesten Disney-Musi-<br />
Iment<br />
cals »Hercules« kreieren und den berühmten Olymp<br />
in Hamburg besteigen. Die zeitlosen Animationsfilme<br />
von Disney begeistern Generationen von Zuschauern,<br />
und unter diesen Klassikern befindet sich auch »Hercules«,<br />
der 1997 veröffentlicht wurde. Trotz der kreativen<br />
Brillanz von Disney, der mitreißenden Handlung<br />
sowie der großartigen Musik des Films (Alan Menken)<br />
erreichte »Hercules« nicht ganz den gleichen Erfolg wie<br />
einige seiner ikonischen Vorgänger. Das »Hercules«-<br />
Musical wird nun als Weltpremiere neuentstehen und<br />
soll an die Erfolge vorheriger Disneyproduktionen in<br />
der Hansestadt anknüpfen. 2<strong>01</strong>7 verkündete Menken,<br />
dass er an einer Musicalfassung arbeite, 2<strong>01</strong>9 gab es<br />
rund drei Wochen lange Tryouts der »Hercules«-Musicalversion<br />
auf einer Open-Air-Bühne in New York. Die<br />
Reaktionen führten zu einer weiteren Überarbeitung<br />
des Stücks. Diese wurde dann erneut für knapp vier<br />
Wochen als Tryout in Millburn (New Jersey) aufgeführt.<br />
Die Resonanz hieraus dürfte die Theatermacher<br />
rund um Thomas Schumacher (Chief Creative Officer<br />
der Disney Theatrical Group) dazu bewogen haben,<br />
mit der Uraufführung des Stücks nach Hamburg zu<br />
gehen – lt. Schumacher eine der Top 3 Musicalstädte<br />
weltweit, unmittelbar hinter New York und London.<br />
Die Titelrolle übernimmt Benét Monteiro, der dem<br />
Publikum bereits aus »Hamilton« und durch »Disney<br />
100 – Die große Jubiläumsshow« auf RTL bekannt ist.<br />
Auf der Pressekonferenz, in sozialen Medien und nach<br />
Veröffentlichung der Singleauskopplung stritten sich<br />
die Geister, ob diese Besetzung stimmlich wie auch von<br />
der Körperlichkeit her die richtige sein soll – diese Diskussion<br />
sollte man allerdings mit leichtem Schmunzeln<br />
unter dem oben aufgestellten Motto: »Jeder Held ist<br />
eben anders« verbuchen. Persönlich bleibt der Rezensent<br />
aber immer ein großer Fan von breit gefächerten<br />
Gänsehautstimmen, einer sehr klaren und prononcierten<br />
Aussprache auf der Bühne und Textverständlichkeit,<br />
und da wirkte gerade bei den Chören und Gospeleinsätzen<br />
das Gezeigte (in der Presse-Vorankündigung<br />
zu »Hercules«) noch nicht ganz rund.<br />
Das Team, welches am 4. Dezember 2023 als komplette<br />
Cast erstmalig zusammentraf, startet aber auch<br />
jetzt erst so richtig mit den Proben und hat noch Zeit,<br />
diese Weltpremiere als besonderes Ereignis entsprechend<br />
intensiv vorzubereiten.<br />
Zur Cast von Disneys »Hercules« in Hamburg<br />
gehört auch Mae Ann Jorolan, bekannt aus »Hamilton«<br />
und Disneys »Aladdin«. Sie spielt Meg, in die Hercules<br />
sich verliebt, die aber auch Dienerin von Hades<br />
ist. Der Herr der Unterwelt selbst wird gespielt von<br />
Detlef Leistenschneider, den das Publikum u. a. aus<br />
»Mamma Mia!« oder »Das Wunder von Bern« kennt.<br />
Hades’ übereifrige Helfer Karl und Heinz werden von<br />
André Haedicke und Mario Saccoccio verkörpert. Als<br />
Phil, Trainer von Hercules, wird Kristofer Weinstein-<br />
Storey zu sehen sein.<br />
In die Rollen der fünf Musen, die als Erzählerinnen<br />
musikalisch durchs Stück führen, schlüpfen Leslie<br />
Behann (Calliope), Chasity Crisp (Thalia), Venolia<br />
(Terpsichore), UZOH (Clio) und Shekinah Macfarlane<br />
(Melepomene). Und last but not least wird Hope<br />
Maine, der aktuell noch als Simba in Disneys »Der<br />
König der Löwen« auf der Bühne steht, die Rolle des<br />
Hercules alternierend übernehmen. Mit ihnen auf der<br />
Bühne stehen außerdem: Jessica Reese, Virginia Vass,<br />
Reginald Holden Hennings, Jack Butcher, Bathoni<br />
30<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Einblick<br />
Buenorkuor, Ginevra Campanella, Samuel Hoi Ming<br />
Chung, Marco Ciullo, Gianluca Conversano, Indy<br />
Luna Correa, Christopher Dederichs, Marta Di Gulio,<br />
Stefano Francabandiera, Salvo Maione, Flavio Marullo,<br />
Sophie Mefan, David Negletto, Ingrid Olivia, Teya<br />
Quarmyne, Julia van Kouwen, Pelé Yearwood, Guillermo<br />
Martinez Ayala, Salvatore Marchione, Talitha<br />
Dara, Swen Overman und Johnny Galeandro.<br />
Die Musik von Oscar-, Golden Globe- und<br />
Grammy-Gewinner Alan Menken und David Zippel<br />
enthält alle R&B- und Gospel-Hits, die man aus dem<br />
Film kennt. Für die Bühnenversion hat das Duo zudem<br />
einige neue Songs komponiert. Das Buch stammt vom<br />
für den Olivier Award nominierten Kwame Kwei-<br />
Armah und dem Tony-Award-Gewinner Robert Horn.<br />
Neben der Musik wird »Hercules« auch mit temporeichen<br />
Choreographien, einem fantasievollen Kostümbild<br />
und modernster Videotechnik begeistern. Das<br />
Bühnenbild und Videodesign wird von Dane Laffrey<br />
kreiert. Als Ebene hinter den physischen Bühnenelementen<br />
– wie beweglichen Säulen – helfen seine<br />
Videoprojektionen dabei, die Zuschauer in die Welt<br />
der griechischen Helden und Götter zu führen. Das<br />
Bühnenbild wird zurzeit in Werkstätten in Hamburg<br />
gebaut. Ab Ende Januar 20<strong>24</strong> hält es Einzug in das<br />
Stage Theater Neue Flora.<br />
Das Kostümbild soll dazu beitragen, die drei Welten<br />
– die Welt der Götter auf dem Olymp, die der<br />
Menschen auf der Erde und die Unterwelt von Hades –<br />
voneinander abzugrenzen. Die beiden preisgekrönten<br />
Kostümdesigner Greg Barnes und Sky Switser haben<br />
sich dabei vom alten Griechenland und von den Laufstegen<br />
der Welt inspirieren lassen.<br />
Regie und Choreographie dieser aufregenden neuen<br />
Produktion verantworten Tony-Preisträger Casey<br />
Nicholaw, der u. a. auch bei Disneys »Aladdin« Regie<br />
führte, und Co-Choreographin Tanisha Scott.<br />
Das Lichtdesign stammt von Jeff Croiter, das<br />
Sounddesign von Kai Harada. Zum Produktionsteam<br />
gehören der zusätzliche Videodesigner George Reeve,<br />
der Puppet-Designer James Oritz, für die Frisuren und<br />
Perücken Mia M. Neal, für Make-up Kirk Cambridge-<br />
Del Pesche und für die Spezialeffekte Jeremy Chernick.<br />
Das Musikteam wird von Music Supervisor und Arrangeur<br />
Michael Kosarin geleitet, die Orchestrierung<br />
stammt von Danny Troob und Joseph Joubert, die<br />
Tanzarrangements von David Chase.<br />
Zum Inhalt: Hercules, Sohn des Zeus, wird als<br />
Baby entführt und wächst unter Menschen auf. Eines<br />
Tages findet er heraus, dass er auf dem Olymp das<br />
Licht der Welt erblickt hat und sein Vater kein Geringerer<br />
als der mächtige Zeus ist. Um aber auf den Berg<br />
der Götter zurückkehren zu können, muss Hercules<br />
beweisen, dass er ein richtiger Held ist. Mit Hilfe seiner<br />
treuen Freunde lernt er, dass es nicht auf pure Kraft<br />
ankommt, sondern dass wahre Helden an der Stärke<br />
ihres Herzens gemessen werden. Ein großes Herz hat<br />
dieser Hercules.<br />
Stil und Ton unterscheiden sich stark von anderen<br />
Disney-Standardwerken. Der Film integriert Comedy-<br />
Elemente und popkulturelle Anspielungen, was für<br />
einige möglicherweise ungewohnt wirken kann. Daher<br />
darf man gespannt sein, was hier von der Filmfassung<br />
bestehen bleibt und was dem Zeit- und Musicalgeschmack<br />
angepasst werden wird.<br />
In der Welt der Animation der Disney-Filme ist<br />
Erfolg oft subjektiv und abhängig vom persönlichen<br />
Geschmack. »Hercules« mag zwar nicht den gleichen<br />
Ruhm wie einige andere Disney-Klassiker erlangt<br />
haben, aber seine Besonderheit und Originalität<br />
machen ihn zu einem faszinierenden Kapitel in der<br />
Geschichte der Disney-Animation. Möge allen Beteiligten<br />
jetzt gewünscht werden, auch den Musical-<br />
Olymp mit »Hercules« erfolgreich, kraftvoll, energiegeladen<br />
und vor allem klar verständlich zu besteigen.<br />
Stefan Schön<br />
Abb. oben:<br />
Mae Ann Jorolan wird Meg spielen,<br />
in die sich Hercules verliebt<br />
Foto: Stage Entertainment /<br />
Morris Mac Matzen<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Die beiden Hauptdarsteller Mae<br />
Ann Jorolan (Mitte) und Benét<br />
Monteiro (3.v.r.) mit Ensemble<br />
2. Einer der Bühnenbildentwürfe<br />
3. + 4. Kostümentwürfe<br />
Foto 1: Stage Entertainment /<br />
Morris Mac Matzen<br />
Fotos 2-4: Stage Entertainment<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
31
Einblick<br />
Spaziergang durch die Welt des Musicals<br />
Ausstellung »Re:Imagining Musicals« im Victoria and Albert Museum in London<br />
Ansicht der Ausstellung »Re:Imagining Musicals«<br />
Foto: Victoria and Albert Museum London<br />
Abb. unten:<br />
Schaukasten mit einer Szene,<br />
die an »The Drowsy Chaperone«<br />
erinnert<br />
Foto: Sabine Schereck<br />
Wenn man in das Museum reinkommt, gleich<br />
rechts, etwas in einer Nische versteckt und<br />
leicht zu übersehen: schwarze lederne Rollschuhe mit<br />
vier Rollen. Sie liegen in einem Glaskasten vor einer<br />
schwarzen Wand und stammen aus »Starlight Express«.<br />
Das Musical allein spricht Bände über die Entwicklung<br />
des Genres: Es stammt aus den 1980er Jahren,<br />
als Andrew Lloyd Webber die Musicalwelt mit seinen<br />
innovativen, manche würden fast sagen verrückten,<br />
Ideen revolutionierte und damit auch noch erfolgreich<br />
war. Wer kommt schon auf die Idee, ein Musical über<br />
Eisenbahnen zu machen? Oder Katzen?<br />
Die Rollschuhe sind Teil der Ausstellung »Re:Imagining<br />
Musicals« im Victoria and Albert Museum in London<br />
und tun genau das, was der Titel vorgibt: sich Musicals<br />
(neu) vorstellen. Dies bezieht sich darauf, wie Musicals<br />
oft vorhandene Geschichten neu interpretieren, neu<br />
erfinden und über ihr Design ein neues Bild schaffen.<br />
Die Rollschuhe werden von der Information<br />
begleitet, dass das Musical unter anderem von der Zeichentrickserie<br />
»Thomas the Tank Engine« (»Thomas,<br />
die kleine Lokomotive«) inspiriert wurde. Es war die<br />
Idee des Designers John Napier, die Schauspieler auf<br />
Rollschuhe zu stellen und damit die Eisenbahnen zu<br />
versinnbildlichen. Die ausgestellten Schuhe stammen<br />
von 2008, ein weiterer Verweis auf die Langlebigkeit<br />
des Musicals. Wer über die Rollschuhe hinaus recherchiert,<br />
erfährt, dass das Musical auch nicht in seiner<br />
1980er Jahre Produktion stecken geblieben ist, sondern<br />
von Andrew Lloyd Webber der Gegenwart, d.h. der<br />
sich wandelnden Gesellschaft, angepasst wurde.<br />
So sind aus einigen männlichen Figuren weibliche<br />
geworden. Gerade für die deutsche Produktion ist dies<br />
wichtig, wo »Starlight Express« seit seiner deutschsprachigen<br />
Erstaufführung 1988 in Bochum den Rekord<br />
hält für die längste Spielzeit eines Musicals an einem<br />
Ort.<br />
Der Wandel eines Stoffes ist in der wandgroßen<br />
Vitrine gegenüber den Rollschuhen am Beispiel »The<br />
Wizard of Oz« eindrücklich nachgezeichnet – die Erzählung<br />
kann auf eine über hundertjährige Geschichte<br />
zurückblicken. Das erste Ausstellungsstück setzt an<br />
der Gegenwart an mit dem eleganten Kostüm der<br />
Hexe Elphaba in »Wicked«. Es ist schon faszinierend,<br />
das mit zahlreichen schwarzen Stoffpartien aufwendig<br />
gemachte Kleid aus der Nähe begutachten zu können.<br />
Es wurde von der amerikanischen Kostümbildnerin<br />
Susan Hilferty entworfen. Das Modell hier stammt aus<br />
der Londoner Produktion von 2006, die dort auch noch<br />
läuft. Das Kostüm repräsentiert auch ein weiteres Anliegen<br />
der Ausstellung, nämlich die enorme handwerkliche<br />
Leistung der Musicalmacher ins Bewusstsein zu rücken.<br />
Neben dem Kleid reihen sich Objekte ein, die die<br />
verschiedenen Werke skizzieren, die aus der Erzählung<br />
von »The Wizard of Oz« hervorgegangen sind. Da ist<br />
zunächst die ursprüngliche Inspirationsquelle, das 1900<br />
von L. Frank Baum geschriebene Buch in einer Ausgabe<br />
von 1903, sowie ein Pressebuch zum Film von 1939 und<br />
Gregory Maguires ausgedachte Vorgeschichte »Wicked:<br />
The Life and Times of the Wicked Witch of the West« von<br />
1995. Eine Entdeckung sind allerdings die Plattencover<br />
zu »The Wiz«, genauer »The Super Soul Musical ›Wonderful<br />
Wizard of Oz‹«. Diese Musicalversion verlegt<br />
Baums Kindergeschichte in die afro-amerikanische<br />
Kultur, das heißt die der 1970er Jahre, als Charlie<br />
Smalls (Musik und Liedtexte) und William F. Brown<br />
(Buch) das Musical verfassten. 1975 war die Broadwaypremiere<br />
und die Besetzung bestand ausschließlich<br />
aus afro-amerikanischen Darstellern. Die Produktion<br />
gewann sieben Tony Awards, inklusive »Bestes Musical«.<br />
Diese Facette verdeutlicht, welche Kraft Musicals<br />
haben. Sie reflektieren nicht nur gesellschaftliche<br />
Veränderungen, sondern treiben sie auch voran. Im<br />
deutschsprachigen Raum war das Musical erstmals<br />
32<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Einblick<br />
2<strong>01</strong>3 in Linz zu sehen.<br />
Ein weiterer Abschnitt der Ausstellung greift auf,<br />
dass auch Filme und Songs Grundlage von Musicals<br />
sind. Da sind Filmposter von »Bend It Like Beckham«,<br />
»The Bodyguard« und »Hairspray« sowie Plattencover<br />
von »42nd Street«, »Copacabana«, »Tina: The Tina<br />
Turner Musical« und »Girl From the North Country«.<br />
Damit wird auf die Jukeboxmusicals verwiesen, die<br />
vorhandene Songs in eine Geschichte verweben. Letztere<br />
beiden Titel illustrieren, was die Ausstellung so<br />
faszinierend macht: Dass sie, neben dem Blick zurück,<br />
auch Musicals einbezieht, die gerade oder kürzlich<br />
noch im West End liefen. Die Ausstellung ist also<br />
»up-to-date« und bindet die Gegenwart eng ein. Das<br />
betrifft vor allem die Kostüme und verdankt sich der<br />
Tatsache, dass die Ausstellung erstmals Neuerwerbungen<br />
der Theatersammlung des Museums präsentiert.<br />
Für den Besucher ist es völlig ungewohnt, das, was<br />
gerade noch auf der Bühne zu sehen war, bereits in<br />
einem Museum wiederzufinden.<br />
Das in dem Abschnitt Film schillerndste Kostüm<br />
stammt aus »Moulin Rouge! The Musical« und wird<br />
von Satine getragen, wenn sie auf einem Trapez vom<br />
Theaterhimmel herunterschwebt. Das atemberaubende<br />
schwarze Glitzerkostüm wurde von Catherine Zuber<br />
entworfen.<br />
Nicht nur bereits existierendes Material bietet eine<br />
Spielwiese für Neuschöpfungen, sondern auch das<br />
Weltgeschehen ist ein Fundus für Geschichten, die<br />
auf der Bühne zum Leben erweckt werden können.<br />
Die Ausstellung setzt so ein Spotlight auf »Welcome to<br />
the Show, the Histo-remix«. Eingeleitet wird dies im<br />
nächsten Raum mit dem Blickfang des Leder-Nietenund-Pailletten-Kostüms<br />
von Catherine of Aragon<br />
aus »SIX the Musical«. Dieses Stück ist eine moderne<br />
Nacherzählung der Leben der sechs Frauen von Heinrich<br />
VIII. in Form eines Popkonzertes. Entsprechend<br />
sind Gabriella Slades Kostüme nicht historisch der<br />
Renaissance verhaftet, sondern den Bühnenoutfits<br />
von Popqueens wie Britney Spears und Beyoncé entlehnt.<br />
Dafür wurde sie mit dem Tony Award geehrt.<br />
Das Besondere an der Show – über das innovative und<br />
zeitgenössische Konzept hinaus – sind die Macher:<br />
Toby Marlow und Lucy Moss, die noch Studenten<br />
in Cambridge waren, als sie an dem Stück arbeiteten,<br />
das, nach einem einschlägigen Erfolg beim Edinburgh<br />
Fringe Festival, 2<strong>01</strong>9 ins West End zog.<br />
Entlang den Wänden wird über Plakate an Musicals<br />
erinnert, die Kriegserfahrungen verarbeiten, wie<br />
»Hair«, »Miss Saigon«, »South Pacific« und der aktuelle<br />
West-End-Hit »Operation Mincemeat«. Auch<br />
»Cabaret« reiht sich hier ein, das die Jahre zwischen<br />
den Kriegen spürbar macht.<br />
Keine Show ohne Star. So widmet sich ein Bereich<br />
über zwei Kostüme weiteren Meilensteinen der<br />
Musicalgeschichte: »A Chorus Line« von 1975 und<br />
»Everybody’s Talking About Jamie« von 2<strong>01</strong>7. Sie<br />
stehen für Musicals, die Biografien realer Personen<br />
auf die Bühne bringen, wie »Evita«, »Funny Girl« oder<br />
»Gypsy«. »A Chorus Line« ist insofern besonders, als<br />
dass es Tänzern eine Stimme gibt, die sonst namenlos<br />
eine Chorus Line füllen.<br />
Die Kombination beider Musicals erzählt auch<br />
ohne Worte von einem anderen Aspekt – der<br />
Abb. von oben links:<br />
1. Ausstellungsansicht zu »The<br />
Histo-Remix« mit dem Kostüm für<br />
Catherine of Aragon in »SIX the<br />
Musical« (Design: Gabriella Slades),<br />
2020<br />
2. Rollschuhe aus »Starlight<br />
Express«, 2008<br />
3. Ausstellungsansicht mit<br />
Kostümen aus »A Chorus Line«<br />
(Design: Theoni V. Aldredge) und<br />
»Everybody`s Talking About Jamie«<br />
(Design: Anna Fleischle)<br />
4. Eingangsbereich der Ausstellung<br />
»Re:Imagining Musicals«<br />
Fotos 1+2: Sabine Schereck<br />
Fotos 3+4: Victoria and Albert Museum<br />
London<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong> 33
Einblick<br />
Abb. von links:<br />
1: Kostüm für Elphaba in »Wicked«<br />
(Design: Susan Hilferty), Apollo<br />
Victoria Theatre, 2006<br />
2. Kostüm der Figur Satine in<br />
»Moulin Rouge! The Musical«,<br />
Design: Catherine Zuber<br />
3. Kostüm für Eliza Doolittle in »My<br />
Fair Lady« (Design: Cecil Beaton),<br />
getragen von Julie Andrews, Theatre<br />
Royal Drury Lane, 1958<br />
Foto 1: Sabine Schereck<br />
Fotos 2+3: Victoria and Albert Museum<br />
London<br />
gesellschaftlichen Entwicklung, die in den letzten 40<br />
Jahren stattgefunden hat. Von »A Chorus Line« ist<br />
das goldglitzernde Kostüm des Finales ausgestellt. Bei<br />
»Everybody’s Talking About Jamie« geht es um den<br />
Wunsch eines Jungen, zum Abschlussball der Schule<br />
ein glamouröses Kleid zu tragen. Es zeigt, wie hart<br />
der Kampf sein kann, seine innere, gefühlte Identität<br />
in der Gesellschaft zu zeigen und damit akzeptiert<br />
zu werden. Anna Fleischles Kostüm mit abgewetzter<br />
Jeanshose, aber mit Pailletten-besetzter Jeansjacke und<br />
roten High Heels markiert den Weg dorthin.<br />
Frauenfiguren stehen vielfach im Zentrum von<br />
Musicals; viele sind schon genannt worden. Die Ausstellung<br />
richtet dennoch klug die Aufmerksamkeit auf<br />
die Rolle der Frau in der Gesellschaft und wie sich ihr<br />
Bild gewandelt hat bzw. wie Frauenbilder neu interpretiert<br />
werden. Das erfolgt über ein Kostüm von »My<br />
Fair Lady«, das Julie Andrews 1958 in der Produktion<br />
im West End trug und das sie als feine junge Dame<br />
um 1900 präsentiert – der Zeit, in der das Stück spielt.<br />
Die Tatsache, dass das Stück immer wieder neu und<br />
den Zeiten angepasst inszeniert wird, beweist dessen<br />
Bedeutung. Dem gegenüber steht das schlichte, fast<br />
zeitlose rote Kleid aus der Neuinterpretation von Stephen<br />
Sondheims 1970 geschriebenen Musical »Company«.<br />
Die Regisseurin Marianne Elliott hat 2<strong>01</strong>8 aus<br />
der männlichen Hauptfigur eine weibliche gemacht.<br />
Im letzten Raum befindet sich eine Leinwand,<br />
auf der Ausschnitte zahlreicher Produktionen die<br />
Besucher am Musicalgeschehen der letzten 20 Jahren<br />
teilhaben lassen, primär des West Ends. Für begeisterte<br />
Musicalgänger ergeben sich daraus schöne Erinnerungen<br />
an Stücke, die selbst gesehen wurden, und es<br />
bietet Einblicke in die, die bei denen der Besuch nicht<br />
möglich war.<br />
Am Ende der Ausstellung befindet sich noch ein<br />
kleiner Schaukasten mit einer Wohnzimmerszene: Ein<br />
alter Mann sitzt in einem Sessel und hört bedächtig<br />
Musik, die von einem Plattenspieler kommt. Das Plattencover<br />
hält er liebevoll in den Händen. Die Szene<br />
erinnert an den Anfang von »The Drowsy Chaperone«,<br />
wo ein Musicalliebhaber gemütlich in seinem Sessel<br />
sitzt und sich über Aufnahmen von Musicals aus den<br />
1930er Jahren in deren glanzvolle Welt träumt. Das<br />
Besondere an dem Mann hier ist, dass er wie Stephen<br />
Sondheim aussieht. Eine Erläuterung zu dem Beitrag<br />
gibt es nicht, aber er ist ein vielsagender und gelungener<br />
Schluss: Er illustriert die Fähigkeit von Musicals,<br />
selige Momente zu zaubern – und das auch von zu<br />
Hause. In »The Drowsy Chaperone« erklärt der Mann<br />
im Sessel nämlich warmherzig: »Whenever I am feeling<br />
blue, I like to listen to my music.«<br />
Die gelungene Ausstellung wurde von Simon Sladen,<br />
Senior Curator for Modern and Contemporary<br />
Theatre and Performance, und Harriet Reed, Curator<br />
of Contemporary Performance, kuratiert und ist bis<br />
4. Februar 20<strong>24</strong> zu sehen.<br />
Sabine Schereck<br />
34<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Österreich<br />
Blick in den Spiegel der braunen Vergangenheit<br />
»Lass uns die Welt vergessen – Volksoper 1938« in Wien uraufgeführt<br />
Abb. oben:<br />
Zwei Ensemblemitglieder erscheinen<br />
in Nazi-Uniform zur Probe, was<br />
erste ernsthafte Diskussionen nach<br />
sich zieht (v.l.: Carsten Süss, Marco<br />
Di Sapia, Lukas Watzl, Johanna<br />
Arrouas, Jakob Semotan, Szymon<br />
Komasa, James Park, Kilian Berger)<br />
Abb. unten:<br />
Der Bühnenmeister (Gerhard<br />
Ernst) gibt Souffleur Ossip Rosental<br />
(Andreas Patton) den Tipp, mit<br />
einem Nazifähnchen sicher nach<br />
Hause zu kommen<br />
Fotos (2): Barbara Pálffy / Volksoper Wien<br />
Es sind zwei Welten, wie sie unterschiedlicher<br />
nicht sein könnten. Die Darsteller der Wiener<br />
Volksoper proben 1938 für die anstehende<br />
Premiere der heiteren Operette »Gruß und Kuss<br />
aus der Wachau«. Doch noch bevor sich der erste<br />
Vorhang hebt, holt sie die düstere Realität ein:<br />
Die Nazis haben die Macht im Land übernommen,<br />
mit dramatischen Folgen – für alle, selbst<br />
für jene, die sich eigentlich gar nicht für Politik<br />
interessieren. Das ist die Handlung von »Lass uns<br />
die Welt vergessen – Volksoper 1938«. In dem<br />
neuen »Stück mit Musik«, wie es im Programm<br />
heißt, arbeitet die Volksoper Wien auf beeindruckende<br />
Art und Weise ihre eigene Geschichte auf.<br />
Am 14. Dezember 2023 – genau 125 Jahre, nachdem<br />
das Haus als »Kaiserjubiläum-Stadttheater«<br />
eröffnet wurde – feierte es seine Uraufführung.<br />
Anfangs findet sich der Zuschauer in den<br />
Proben zu einer seichten Operette wieder, die in<br />
der Volksoper aufgeführt werden soll. Doch fast<br />
unmerklich gewinnt die Handlung an Dramatik.<br />
Es herrscht scheinbar normaler Probenbetrieb, die<br />
Zeit drängt, es sind nur noch wenige Wochen bis<br />
zur Premiere der neuen Operette. Mit farbenfrohen<br />
Kostümen will man eine heile Welt auf die Bühne<br />
bringen, doch schwarz-weiße Videoprojektionen<br />
der politischen Geschehnisse der damaligen Zeit,<br />
die parallel dazu auf die hintere Wand der Bühne<br />
projiziert werden, zeigen, was vor der Volksoper<br />
passiert: Die österreichische Politik des Austrofaschismus<br />
schafft es nicht mehr, sich gegen die Nazis<br />
im Nachbarland zu wehren, es kommt unter Adolf<br />
Hitler zum sogenannten »Anschluss« Österreichs<br />
ans Deutsche Reich.<br />
Auch der Theaterbetrieb bleibt davon nicht unberührt:<br />
Die ersten Darsteller der Operette erscheinen<br />
in der braunen Uniform der Nazis zur Probe, plötzlich<br />
werden jüdische Ensemblemitglieder durch vermeintlich<br />
arische Kollegen ausgetauscht. Einem jüdischen<br />
Mitarbeiter wird geraten, auf dem Heimweg<br />
eine kleine Hakenkreuz-Papierfahne zu schwenken,<br />
um vor möglichen Angriffen geschützt zu sein. Das<br />
heutige Publikum, das um den historischen Verlauf<br />
weiß, erkennt in den Dialogen, die teilweise auf historischen<br />
Überlieferungen beruhen, die Warnungen<br />
ganz deutlich. Die Figuren – meist nach realen Vorbildern<br />
gestaltet – verschließen die Augen vor dem<br />
Wandel oder stehen ihm machtlos gegenüber.<br />
Die verschiedenen Ebenen der neuen Operette,<br />
der Probenbetrieb in der Volksoper 1938 und<br />
die historischen Ereignisse, werden von Szene zu<br />
Szene miteinander verwoben. Das Bühnenbild<br />
ist klar strukturiert und trennt die verschiedenen<br />
Handlungsebenen, lässt es aber gleichzeitig zu, dass<br />
Verbindungen hergestellt werden, etwa wenn die<br />
Hauptdarstellerin der Operette während der Probe<br />
mit dem im Konzentrationslager inhaftierten ehemaligen<br />
Bühnenpartner ein Duett singt. Die einzige<br />
Konstante des Stücks ist der in schwarz gehaltene<br />
Regiebereich auf der linken Seite der Bühne,<br />
welcher durchgängig zu sehen ist. Die übrigen Elemente,<br />
etwa Bühnenbilder der Operette oder eine<br />
große zylinderförmige Drehbühnen-Konstruktion,<br />
die die privaten Bereiche einzelner Darsteller symbolisiert,<br />
werden abwechselnd eingesetzt.<br />
Mit welcher Geschwindigkeit sich die Handlung<br />
36<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Österreich<br />
entwickelt, ist enorm. In nur wenigen Monaten<br />
wandelt sich alles, und während das Publikum 1938<br />
die neue Operette mit Happy End feiert, bevölkern<br />
KZ-Insassen, darunter ehemalige Mitglieder des<br />
Ensembles, die Bühne. Während die einen die Welt<br />
vergessen wollen, wurden die anderen von der Welt<br />
vergessen.<br />
Die Handlung steht bei »Lass uns die Welt vergessen<br />
– Volksoper 1938« im Vordergrund – keine<br />
Figur nimmt eine zentrale Position ein. Fast scheint<br />
es, als wenn sie miteinander verschmelzen und so<br />
den optimalen Rahmen für die Erinnerung und<br />
Aufarbeitung bieten. Ebenso verschmelzen die<br />
Darsteller mit ihren Rollen, hier jemanden hervorzuheben<br />
wäre nicht dem Stück und der Darbietung<br />
angemesssen.<br />
Die Auswirkungen der historischen Ereignisse<br />
auf alle Gesellschaftsschichten sollen gezeigt werden.<br />
Spätestens wenn junge Frauen in weißer<br />
Sportkleidung auf der Bühne in Aktion treten<br />
und man sich unweigerlich an Leni Riefenstahls<br />
inszenierte Propagandafilme erinnert fühlt, ist auch<br />
hier die neue Realität eingezogen. Unausweichlich<br />
ist das Publikum nicht nur Zuschauer, sondern<br />
wird zum stummen Zeugen der Situation, wird<br />
gezwungen, Stellung zu beziehen. »Was würde ich<br />
tun?« ist die Frage, die sich aufdrängt, begleitet<br />
von einer Achterbahn der Gefühle. So wie sich die<br />
Handlungsstränge mischen, so mischen sich auch<br />
die Musikstile: Die fragmentarisch erhaltene Operettenmusik<br />
von Jara Beneš wurde mit Musik von<br />
Gustav Mahler, Viktor Ullmann, Arnold Schönberg<br />
und neu komponierter Musik von der aus<br />
Israel stammenden Komponistin (und Dirigentin<br />
des Abends) Keren Kagarlitsky gemischt.<br />
Etwas fürs Auge sind die beeindruckenden<br />
Choreographien von Florian Hurler: Ob im großen<br />
Ensemble in der Tabakfabrik in den mintgrünen<br />
Uniformen (Kostüme: Jorine van Beek) oder mit<br />
einigen wenigen Tänzerinnen beim Briefträger-<br />
Lied zu typischen Charleston-Schritten. Die hohe<br />
Qualität der Produktion spiegelt sich auch darin<br />
wider, dass eigens eine historische Beraterin (Marie-<br />
Theres Arnbom) hinzugezogen wurde. Dies kommt<br />
nicht nur den verwendeten Bild- und Tonaufnahmen<br />
(Video: Arjen Klerkx) zu Gute, sondern setzt<br />
das gesamte Werk in einen historisch korrekten<br />
Kontext.<br />
Die neue Leitung der Volksoper unter Lotte<br />
de Beer hat mit dem Auftragswerk Mut bewiesen<br />
und zeigt, welche heiklen Themen Musiktheater<br />
bearbeiten kann. Dieses scheinbare Wagnis wird<br />
belohnt. Das mediale Echo ist enorm. Nicht nur<br />
Wiener Blätter, sondern auch internationale Zeitungen<br />
feiern das mutige Projekt. Das Stück gebe<br />
den Sängerinnen und Sängern, die nicht mehr<br />
da sind, den Vertriebenen, den Toten eine Bühne<br />
und eine Stimme, resümiert etwa der Bayerische<br />
Rundfunk. Die Idee hinter der Inszenierung wird<br />
aus Sicht einiger Kritiker aber nicht konsequent<br />
umgesetzt. Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />
sind die Dialoge zu langatmig, die Zeitung<br />
hebt jedoch die Aktualität hervor und vernetzt die<br />
Inszenierung mit der politischen Lage in der Alpenrepublik,<br />
wo die rechtspopulistische FPÖ ein Jahr<br />
vor den Parlamentswahlen die Umfragen anführt:<br />
»Angesichts der drohenden Gefahr einer rechtsextremen<br />
Regierung in Österreich kommt dieser<br />
Produktion, die ungeschönt die katastrophalen<br />
Folgen des Rechtspopulismus zeigt, trotz einiger<br />
Defizite ein großer Verdienst zu.« Und so bleibt die<br />
Frage, ob wir aktuell in der Lage sind, im Sturm<br />
eines Nahost-Krieges, in Zeiten des wachsenden<br />
Antisemitismus und zunehmender Fremdenfeindlichkeit<br />
die Zeichen der Zeit richtig zu deuten.<br />
Mina Piston<br />
Lass uns die Welt vergessen –<br />
Volksoper 1938<br />
Jara Beneš / Arnold Schönberg /<br />
Viktor Ullmann / Gustav Mahler /<br />
Keren Kagarlitsky / Hugo Wiener /<br />
Kurt Breuer / Fritz Löhner-Beda /<br />
Theu Boermans<br />
Volksoper Wien<br />
Uraufführung: 14. Dezember 2023<br />
Regie .......................... Theu Boermans<br />
Musik. Leitung ......... Keren Kagarlitsky<br />
Choreographie .............. Florian Hurler<br />
Bühnenbild ............ Bernhard Hammer<br />
Kostüme ...................... Jorine van Beek<br />
Licht ..................................... Alex Brok<br />
Video ............................... Arjen Klerkx<br />
Sounddesign ............... Martin Lukesch<br />
Historische Beratung ...........................<br />
.......................... Marie-Theres Arnbom<br />
Alexander Kowalewski,<br />
Intendant .................... Marco Di Sapia<br />
Ossip Rosental,<br />
Souffleur ...................... Andreas Patton<br />
Hugo Wiener, Autor ..... Florian Carove<br />
Fritz Löhner-Beda, Librettist .................<br />
........................................ .Carsten Süss<br />
Kurt Herbert Adler,<br />
Dirigent .......................... . Lukas Watzl<br />
Kurt Hesky, Regisseur .... Jakob Semotan<br />
Leo Asch,<br />
Bühne und Kostüm ... Szymon Komasa<br />
Bühnenmeister .............. Gerhard Ernst<br />
Hulda Gerin .............. Johanna Arrouas<br />
Viktor Flemming .............. Ben Connor<br />
Fritz Imhoff .... Wolfgang Gratschmaier<br />
Trudl Möllnitz .................. Theresa Dax<br />
Olga Zelenka ................... Sofia Vinnik<br />
Kathy Treumann ................... Julia Koci<br />
Walter Schödel ............ Nicolaus Hagg<br />
Frida Hechy ................. Ulrike Steinsky<br />
Emil Kraus .......... Sebastian Reinthaller<br />
Franz Hammer ....................................<br />
..........................Johannes Deckenbach<br />
Kurt Breuel ............. Kurt Schreibmayer<br />
Johanna Kreuzberger /<br />
Mutter Wiener ................ Regula Rosin<br />
Horst Jodl ................... Robert Bartneck<br />
Fritz Köchl ......................... Axel Herrig<br />
Hans Frauendienst ..... Thomas Sigwald<br />
In weiteren Rollen:<br />
Kilian Berger, Victoria Demuth,<br />
Oliver Floris, Michael Konicek,<br />
Benjamin Oeser, James Park,<br />
Marina Petkov, Jennifer Pöll,<br />
Philip Ranson, Rebecca Soumagné,<br />
Anetta Szabo, Josefine Tyler<br />
Abb. links von links oben:<br />
1. Regisseur Kurt Hesky (Jakob<br />
Semotan, Mitte) gibt dem Ensemble<br />
Regieanweisungen während der Probe<br />
2. Die Nazis übernehmen das Ruder<br />
an der Volksoper: Fritz Köchl (Axel<br />
Herrig, Mitte r.) entlässt zum Entsetzen<br />
der Darsteller (Ensemble) den Großteil<br />
der jüdischen künstlerischen Leitung<br />
3. Das Leading Team und die Künstler<br />
in privater Atmosphäre (Ensemble)<br />
4. Historische Videoaufnahmen<br />
sind ein wichtiger Pfeiler dieser<br />
Inszenierung<br />
Fotos (4): Barbara Pálffy / Volksoper Wien<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
37
Musicals in Österreich<br />
»Du hast den Vogel abgeschissen«<br />
Österreichische Erstaufführung von »Tootsie« am Landestheater Linz<br />
Abb. oben:<br />
Dorothy (Gernot Romic) feiert Erfolg<br />
über Erfolg<br />
Foto: Herwig Prammer<br />
Tootsie<br />
David Yazbek / Robert Horn<br />
Deutsch von Roman Hinze<br />
Landestheater Linz<br />
Musiktheater am Volksgarten –<br />
Großes Haus<br />
Österreichische Erstaufführung:<br />
9. Dezember 2023<br />
Regie ........................... Ulrich Wiggers<br />
Musikalische Leitung ........ Juheon Han<br />
Choreographie .......... Kati Heidebrecht<br />
Bühnenbild .................. Leif-Erik Heine<br />
Kostüme ..................... Franz Blumauer<br />
Lichtdesign ............. Michael Grundner<br />
Michael Dorsey/<br />
Dorothy Michaels ......... Gernot Romic<br />
Julie Nichols ................. Sanne Mieloo<br />
Jeff Slater ...................... Karsten Kenzel<br />
Sandy Lester .......... Celina dos Santos /<br />
Valerie Luksch<br />
Ron Carlisle ................... Enrico Treuse<br />
Max Van Horne ....... Christian Fröhlich<br />
Rita Marshall ................... Daniela Dett<br />
Stan / Carl .................... Max Niemeyer<br />
Stuart ....................... Lukas Sandmann<br />
Suzie / Vokal-Trio 1 ..............................<br />
............. Alexandra-Yoana Alexandrova<br />
Vokal-Trio 2 ............... Valerie Luksch /<br />
Lynsey Thurgar<br />
Vokal-Trio 3 .................. Susanne Rietz<br />
In weiteren Rollen:<br />
Laura Araiza Inasaridse,<br />
Alexandra Frenkel, Christian Funk,<br />
Verena Nothegger, Kevin Reichmann,<br />
Stefan Schmitz, Davide Venier,<br />
Matteo Vigna<br />
Mittlerweile hat es sich eingebürgert, dass schon<br />
der Weg nach Linz mit Vorfreude gesegnet ist.<br />
Immer wieder schafft es das Landestheater, nicht nur<br />
mit der Stückauswahl zu überzeugen, nein, insbesondere<br />
begeistert es tatsächlich mit etwas anderem: den<br />
Darstellern, die zumeist alle aus dem Kern des Ensembles<br />
kommen und mit den immerhin fünf Musical-<br />
Premieren dieser Spielzeit je in so unterschiedliche<br />
Rollen schlüpfen, dass man als regelmäßiger Zuschauer<br />
immer wieder eine beeindruckende Präsentation des<br />
jeweiligen Könnens zu sehen bekommt.<br />
Die, die in dem einem Stück noch Hauptrollen<br />
haben, ordnen sich hier hervorragend im Ensemble<br />
ein, vermeintliche Ensemblemitglieder glänzen in der<br />
Hauptrolle – die Qualität der Darsteller ist durch die<br />
Bank so hoch, dass alle nicht nur absolut verlässlich,<br />
sondern auch immer wieder bis in die kleinste Rolle<br />
mit eben der charismatischen Energie glänzen, die man<br />
bei anderen Großproduktionen immer wieder finden<br />
wollen würde. Nun also David Yazbeks und Robert<br />
Horns »Tootsie«, die zweite Premiere 2023/20<strong>24</strong>.<br />
Das Stück kann zehn Tony-Award-Nominierungen<br />
vorweisen, zwei davon (»Bestes Buch« & »Bester<br />
Hauptdarsteller«) wurden letztendlich auch wirklich<br />
gewonnen. Dennoch war die Laufzeit am Broadway<br />
mit gerade einmal 318 Vorstellungen inklusive Previews<br />
nicht allzu lang. In Deutschland feierte es im<br />
Juli 2022, auch in der absolut gelungenen Übersetzung<br />
von Roman Hinze, im Staatstheater am Gärtnerplatz<br />
in München Premiere.<br />
Die Geschichte beginnt im Grunde mit dem vierzigsten<br />
Geburtstag von Michael Dorsey, der dank seines<br />
besten Freundes Jeff mit der bitteren Realität seines<br />
Lebens konfrontiert wird. Seine Eltern sagen noch<br />
immer nicht, dass er Schauspieler ist, ohne das Wort in<br />
Gänsefüßchen zu setzen. Er hat keine Beziehung, nur<br />
ein etwas eigenartiges Verhältnis zu seiner Exfreundin<br />
Sandy. Und da er als zu anstrengend verschrien ist und<br />
entweder keinen Job bekommt oder behält, muss er<br />
nach wie vor für seinen Lebensunterhalt kellnern. Als<br />
Sandy ihm von einer Audition für eine Neufassung von<br />
»Romeo und Julia« erzählt, beschließt er, dass er sich<br />
einfach als Amme bewirbt. Er wirft sich in Kleider,<br />
schminkt sich und liefert mit ›Ich bin für euch da‹ die<br />
perfekte Show ab, um die Produzentin ebenso wie die<br />
Autorin des Stückes von sich zu überzeugen. Nach und<br />
nach gewinnt er die Herzen aller Beteiligten – nur mit<br />
dem Regisseur klappt es nach wie vor nicht; jedoch<br />
hat er sich als Dorothy weit besser im Griff, so dass es<br />
ihn dieses Mal nicht den Job kostet. Allerdings endet<br />
alles im Chaos, denn nicht nur alle anderen verlieren<br />
ihre Herzen an ihn, nein, auch er verliert sein Herz: an<br />
Julie, die Julia auf der Bühne, mit der er eine Verbindung<br />
und gleichermaßen Freundschaft aufbaut, wie sie<br />
für ihn mit einer Frau völlig unbekannt war. »Ich war<br />
als Frau mit dir ein besserer Mann, als ich es jemals<br />
mit einer Frau als Mann war«, lautet die rührende<br />
Liebeserklärung. Ob sie reicht, damit Julie die Lügen<br />
verzeihen kann?<br />
Als Michael/Dorothy überzeugt mit erstaunlich<br />
weiblicher Eleganz Gernot Romic, dem es dennoch<br />
gelingt, in den Szenen, in denen er Mann ist, direkt<br />
wieder eine andere Gang-, eine andere Körperhaltung<br />
zu übernehmen. Stimmlich erinnert er stark an<br />
die deutsche Synchronstimme von Mrs Doubtfire,<br />
gesanglich merkt man, dass ihm die männlichen Songs<br />
einen Hauch leichter fallen, während die Lieder von<br />
Dorothy überraschenderweise mit mehr Emotionalität<br />
überzeugen. An seiner Seite mit wunderschönwarmer<br />
Stimme Sanne Mieloo. Ihr ›Und da war John‹<br />
fühlt sich zu kurz an, gerne hätte man da noch weit<br />
länger gelauscht. Auch schauspielerisch weiß sie die<br />
38<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Österreich<br />
Zuschauer in den Bann zu ziehen, egal, ob es in dem<br />
gemeinsamen Aufbau der Freundschaft zwischen<br />
Dorothy und ihr ist oder dann auch später, wenn<br />
sie ihr ihre Liebe gesteht – Emotionen kann Mieloo<br />
ohne Zweifel.<br />
Komödiantisches Highlight ist allen voran Christian<br />
Fröhlich als Max. Sein ›Was kann das sein?‹ war<br />
stark gesungen, aber wirklich beeindruckt er damit,<br />
wie sehr er die Lachmuskeln des Publikums herausfordert.<br />
Vom Herunterreißen des Oberhemds bis<br />
hin zu jeglichem Schnösel-Habitus – hier passt alles,<br />
von Betonung bis Timing, so dass sogar einfachster<br />
Humor á la »Du hast den Vogel abgeschissen« durch<br />
die Authentizität enorm lustig wird. Karsten Kenzel<br />
als Michaels bester Freund Jeff hat mit ›Jeff fasst<br />
zusammen‹ seinen großen gesanglichen Moment,<br />
wirklich stark ist er aber in den vielen kleinen Szenen<br />
dazwischen, wo er immer weit mehr als nur Stichwortgeber<br />
ist, sondern seinem Jeff einen starken Charakter<br />
verleiht, den man einfach mögen und gern beobachten<br />
muss. Celina dos Santos hat wenig Auftritte, die dafür<br />
aber immer überzeugend lustig sind, und dank der<br />
vielen musikalischen Zitate von ›Was passier´n wird‹ ist<br />
ihr Charakter auch irgendwann mit nur einem Takt im<br />
Gedächtnis des Zuschauers.<br />
Dass Regisseur Ulrich Wiggers intensiv mit den<br />
Darstellern gearbeitet hat, merkt man dem Zusammenspiel<br />
in den einzelnen Szenen an. Insbesondere<br />
die, bei denen nur zwei Darsteller miteinander spielen,<br />
haben trotz der großen Bühne fast schon Kammertheaterintimität.<br />
Choreographin Kati Heidebrecht<br />
kann hier mal wieder das Ensemble so richtig zum<br />
Tanzen bringen, fast legendär ist der Opener, bei dem<br />
auch sie textbedingt tänzerische Zitate von u. a. Bob<br />
Fosses Arbeit bringt. Wie vertraut das Publikum mit<br />
all den Zitaten ist, wird sehr schnell klar, denn schon<br />
da beginnt der Funke überzuspringen. Auch in den<br />
anderen Massenszenen wird einmal mehr klar, dass<br />
im Linzer Ensemble wirklich Alleskönner sind und<br />
die Tanzschritte fließend leicht von den Fußspitzen<br />
abgehen.<br />
Neben allem, was so auf der Bühne herumwirbelt,<br />
tanzt und singt, gibt es allerdings noch einen anderen<br />
Star des Abends: Prominent positioniert und bis auf<br />
ganz wenige Ausnahmen sichtbar spielt das Orchester<br />
unter der musikalischen Leitung von Juheon Han die<br />
zum Teil mit großen Big Band- / Broadway-Klängen<br />
versehene Musik Yazbeks perfekt akzentuiert und mit<br />
dem einen oder anderen Bläserhighlight versehen.<br />
Linz schafft es, sich mit dem Bühnenbild und den<br />
Kostümen von den Vorgängerproduktionen freizuschaufeln.<br />
Franz Blumauer hat nicht nur Dorothy<br />
immer wieder sehr hübsch und mit wunderschönglänzenden<br />
Brillen ausgestattet, auch alle anderen<br />
Darsteller haben sehr kleidsame Kostüme. Leif-Erik<br />
Heine hat eine Welt wie aus einem Kosmetikkoffer<br />
geschaffen. Fast alles, was sich auf der Bühne finden<br />
lässt, wurde kosmetisch inspiriert. Ist es die Garderobe<br />
von Julie, die aus einem Wattestäbchen-Ständer<br />
besteht, Dorothys Garderobe aus einer Haarspraydose,<br />
der Bühnenboden – einfach alles hat den Bezug zum<br />
Schminken und trägt den humorösen Markennamen<br />
»Maybehim«.<br />
Dazu kommt dann auch noch ein Österreich-Bezug:<br />
Wenn Dorothy nicht nur bei den bekannten amerikanischen<br />
Musicals in den Hauptrollen glänzt, sondern selbstverständlich<br />
auch als Kaiserin Elisabeth gefeiert wird,<br />
herrscht großes Lachen im Publikum. Überhaupt ist eben<br />
dieses ob der wirklich sehr runden Produktion immer<br />
wieder offen, herzhaft und laut zu lachen. »Tootsie« versteht<br />
es, die Leute zu unterhalten, berührt aber immer<br />
wieder das Herz und sorgt einfach für einen Abend voller<br />
kollektiver Glückseligkeit. Wunderbar, dies zu erleben –<br />
das Publikum dankt dafür mit langen Standing Ovations.<br />
Sabine Haydn<br />
Abb. oben:<br />
Michael sucht Hilfe bei Dorothy<br />
(Gernot Romic), die das Leben<br />
besser versteht als er<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Michael Dorsey (Gernot Romic,<br />
Mitte) versucht, sich ins Ensemble<br />
einzureihen<br />
2. Julie (Sanne Mieloo, l.) und<br />
Dorothy (Gernot Romic, r.)<br />
beginnen eine tiefe, vertrauensvolle<br />
Freundschaft<br />
3. Sandy (Celina dos Santos, Mitte)<br />
erklärt Jeff (Karsten Kenzel, l.) und<br />
Michael (Gernot Romic), ›Was<br />
passier´n wird‹<br />
4. Dorothy Michaels (Gernot<br />
Romic, Mitte) glänzt mit dem<br />
Ensemble in der Neuinszenierung<br />
von »Julias wahre Flamme«<br />
Fotos (5): Herwig Prammer<br />
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Musicals in Österreich<br />
Leise rieselt der Regen<br />
»Singin’ in the Rain« am Salzburger Landestheater<br />
Abb. oben:<br />
Große Ensemble-Nummern prägen die<br />
Choreographie von »Singin’ in the Rain«<br />
Abb. unten:<br />
Ein absoluter Klassiker der Musicalgeschichte:<br />
Don Lockwood (Ramesh Nair)<br />
mit ›Singin’ in the Rain‹<br />
Fotos (2): Tobias Witzgall<br />
Ein Mann im grauen Anzug, der beseelt durch den<br />
Regen steppt, von einem Laternenmast zum Nächsten:<br />
Die Szene aus »Singin’ in the Rain« ist nicht nur<br />
ein Kultlied, sondern stammt zugleich auch aus einem<br />
Kultmusicalfilm. Doppelter Kult also, der seit Dezember<br />
2023 auch im Salzburger Landestheater zu sehen<br />
ist. Unter der Regie von Simon Eichenberger und der<br />
musikalischen Leitung von Tobias Meichsner erwacht<br />
das Hollywood der frühen Dreißiger zu neuem Leben.<br />
Das Musical, das erst 1983 bühnentauglich gemacht<br />
wurde, zeigt den Übergang vom Stummfilm zur Variante<br />
mit Ton. Dreh- und Angelpunkt dafür bildet das Filmpaar<br />
Don Lockwood und Lina Lamont. Während sie auf<br />
der stummen Leinwand brillieren, birgt die Sache mit<br />
dem Klang so ihre Tücken. Linas Stimme ist alles, aber<br />
nicht schön, und spiegelt damit praktischerweise zugleich<br />
schon ihren Charakter. Dieser hat es nämlich genauso in<br />
sich, und als Don ganz ohne Dating-Apps Kathy Selden<br />
kennenlernt, brennen bei der Diva alle Sicherungen<br />
durch.<br />
Auch wenn der Film »Singin’ in the Rain« auf<br />
Technicolor setzt, bevorzugt Simon Eichenberger für<br />
die Bühnenfassung sanfte Sepiatöne. Diese tauchen<br />
das Musical in einen merkwürdig cremefarbenen<br />
Grundton – von den Kostümen über die Szenen bis<br />
zum Spiel der Darstellerinnen und Darsteller. Technicolor,<br />
ja, rein theoretisch, wenn da nicht dieses<br />
omnipräsente Beige wäre. In der Produktion liegt der<br />
Fokus neben der monochromen Farbwahl ohnehin auf<br />
dem Konzept des Tonfilms. Dieser wird deshalb auch<br />
umso gründlicher auf allen Ebenen zelebriert. Sei es,<br />
dass in den einen Szenen der Stummfilm humorvoll<br />
übersteigert wiedergegeben wird oder in anderen die<br />
Konstruiertheit durch die Prozesse dahinter sichtbar<br />
gemacht wird. So fährt die Kamera bei ›Beautiful Girl‹<br />
auf einem Podest zwischen Publikum und Tanzszene<br />
mit Gesang hin und her, immer auf der Jagd nach den<br />
perfekten Bildern. Sofort ist klar, hier gilt das Augenmerk<br />
weniger der aufwändigen Choreographie und<br />
dem von Alexander Hüttner wunderbar interpretierten<br />
Song, sondern der Entstehung eines Films. Dazu<br />
passt, dass immer wieder Bühnennebel geheimnisvoll<br />
über die Bühne wabert, der das Mysterium Tonfilm<br />
akzentuiert.<br />
Wunderbar enthusiastisch zaubert Don Lockwood<br />
aus der Kulisse das perfekte Setting, um Kathy näherzukommen.<br />
Das scheint ein gewichtiger Moment,<br />
denn genau diese überbordende Begeisterung und<br />
dieser grenzenlose Elan fehlen der Figur an anderen<br />
Stellen. Selbst der berühmte Song ›Singin’ in the Rain‹<br />
wirkt dadurch verhalten. Es wird getanzt, es wird<br />
gesteppt, es wird gesungen, und das alles auch im typischen<br />
grauen Anzug, allerdings fehlt das Salz in der<br />
Suppe – oder der Pfeffer im Hintern von Ramesh Nairs<br />
Don Lockwood. Die Verzückung des frisch Verliebten<br />
springt nicht über, und blass fällt der Sprühregen auf<br />
eine vernebelte graue Bühne.<br />
Die merkwürdig empathielose Note liegt definitiv<br />
nicht am Bühnenbild von Charles Quiggin, das an<br />
allen anderen Stellen herausragend gelungen ist und<br />
die Analogien des alten Hollywoods vorzüglich aufgreift,<br />
um sie mit Elementen aus den frühen Studios<br />
zu speisen. Diese akzentuieren in ihren kleinen Details<br />
die unterschiedlichen Szenen. Ein Highlight sind dabei<br />
die Sprachunterrichtsstunden der beiden Protagonisten.<br />
Während Lina Lamont (Niniane Everaert) sichtlich<br />
mit der Aussprache kämpft und sich schrill durch<br />
den Abend quietscht, wird Don Lockwoods Lektion<br />
zum Spaziergang, an dem auch Kumpel Cosmo Brown<br />
(Niklas Schurz) partizipiert. Gemeinsam schütteln sie<br />
40<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Österreich<br />
mal eben so den englischen Zungenbrecher aus dem<br />
Ärmel, der dann auch noch nahtlos in eine große<br />
Ensemble-Nummer übergeht: »Moses supposes his toeses<br />
are roses, but Moses supposes erroneously, Moses he<br />
knowses his toeses aren’t roses, as Moses supposes his<br />
toeses to be!« Große Ensemble-Nummern, das kann<br />
diese Produktion. Unter der Anleitung von Dominique<br />
Brooks-Daw entstanden fabelhafte Tanz- und Steppszenen,<br />
die vom Ballett und den Protagonistinnen und<br />
Protagonisten aufgegriffen werden.<br />
Fließende Choreographien vermengen sich mit fließenden<br />
Stoffen – und bisweilen wird dazu auch noch<br />
gesungen. »Singin’ in the Rain« verdankt seine Beliebtheit<br />
gerade der Tatsache, dass es die erste Musical Comedy<br />
war, bei der die Darstellerinnen und Darsteller sowohl<br />
singen als auch tanzen, steppen und spielen. Selbst wenn<br />
das an diesem Abend nicht bei allen funktioniert, steht<br />
Julia-Elena Heinrichs Interpretation der Kathy Selden<br />
paradigmatisch für diese Mehrspartenkunst. Egal in<br />
welcher Disziplin sie unterwegs ist, Heinrichs Kathy<br />
begeistert auf ganzer Linie. Besonders schön ist ihre<br />
Interpretation des bekannten Songs ›Good Morning‹,<br />
aber auch ihr gefühlvolles ›Lucky Star‹.<br />
Cosmo Brown (Niklas Schurz) ist ein gelungener<br />
Sidekick, der an Don Lockwoods Seite durch dick und<br />
dünn schreitet – oder sollte man besser sagen, springt?<br />
Entzückend ist die Nummer eingangs mit den beiden<br />
Kindern. Lennyn und Kiano Therrien als Junger Don<br />
und Junger Cosmo ergänzen sich perfekt und begeistern<br />
mit einer sportlich-tänzerischen Einlage. Der<br />
Apfel scheint tatsächlich sehr nah am Stamm zu fallen:<br />
Ihr Vater Daniel Therrien steht in der Rolle des Regisseurs<br />
Roscoe Dexter auf der Bühne, während Axel<br />
Meinhardt einen amüsant-abgebrühten R.F. Simpsons<br />
mimt. Dieser zieht auch mal eben so den Stecker und<br />
befördert damit Lina Lamont fast ins Jenseits, die mit<br />
dem Mikrofon verkabelt ist.<br />
Humorige Momente sitzen in dieser Inszenierung<br />
des Hollywood-Klassikers. Axel Meinhardt gibt den<br />
Produzenten herrlich trocken, der dann aber trotzdem<br />
wieder vor der Diva einknickt. Auch die Synchronisierung<br />
von Lina durch Kathy wird sehr nachdrücklich<br />
von Cosmo offengelegt. An dieser Stelle Hut ab vor<br />
Niniane Everaerts Lina Lamont. Die Stimmlage der<br />
Figur ist phänomenal grauenhaft, und Everaerts zieht<br />
sie die gesamte Spieldauer konsequent durch. Das mag<br />
in den einen oder anderen Momenten für Kopfschmerzen<br />
sorgen, aber ihr gebührt definitiv Respekt für diese<br />
akustische Selbstgeißelung – selbst wenn diese heillos<br />
übersteigerte und misogyne Frauenzeichnung inzwischen<br />
sehr diskutabel sein sollte. Das Autorenteam<br />
kann ohnehin nicht mehr dazu befragt werden. Deshalb<br />
lieber zurücklehnen und im Flair des alten Hollywoods<br />
schwelgen – mit dem Wissen, welche weiteren<br />
Innovationen folgen werden.<br />
Das Orchester unter der Leitung von Tobias Meichsner<br />
sorgt für großartige Begleitung und wird kurzerhand<br />
auch zum Geräuschemacher umdisponiert. Ganz<br />
in Manier der Stummfilme werden Schritte begleitet<br />
oder Livesynchronisierung der Schauspieler auf der<br />
Bühne betrieben, die vorgeben, Instrumente zu spielen.<br />
Die Liebe zum Film, die ist »Singin’ in the Rain« auch<br />
am Salzburger Landestheater deutlich anzumerken.<br />
Das alte Hollywood, es lebt, mit all seinen verliebten<br />
Pärchen, schrägen Stars, korrupten Produzenten<br />
und den schrulligen Figuren, die sich dort noch so<br />
tummeln. Stepptanz ist das Leitmedium, das durch<br />
den Abend führt und auch über die eine oder andere<br />
Unpässlichkeit hinweghilft.<br />
Veronika Zangl<br />
Singin´ in the Rain<br />
Nacio Herb Brown / Arthur Freed /<br />
Betty Comden / Adolph Green<br />
Songs in englischer Sprache<br />
Deutsche Dialoge von Roman Hinze<br />
Salzburger Landestheater<br />
Premiere: 2. Dezember 2023<br />
Regie ................... Simon Eichenberger<br />
Musik. Leitung ......... Tobias Meichsner<br />
Choreographie .... Dominique Brooks-Daw<br />
Bühnenbild ............... Charles Quiggin<br />
Kostüme ........................... Aleš Valášek<br />
Stummfilm ..... Andreas »Ivo« Ivancsics<br />
Don Lockwood ............... Ramesh Nair<br />
Kathy Selden ...... Julia-Elena Heinrich /<br />
Clara Mills-Karzel<br />
Cosmo Brown ............... Niklas Schurz<br />
Lina Lamont .............. Niniane Everaert<br />
Olga Mara /<br />
Hollywoodschauspielerin ....................<br />
............................. Lavinia Kastamoniti<br />
Zelda Zanders, »It-Girl« /<br />
Hollywoodschauspielerin ...................<br />
................................ Clara Mills-Karzel<br />
Bösewicht, Figur in den Filmen<br />
»Der königliche Halunke«,<br />
»Der streitbare Kavalier« .....................<br />
...................................... Nigel Watson<br />
Sid Phillips / Rod ............ Fabian Kaiser<br />
Dora Bailey / Miss Dinsmore ................<br />
............................................ Kay Heles<br />
R.F. Simpson,<br />
Produzent Monumental Pictures ..........<br />
................................... Axel Meinhardt<br />
Roscoe Dexter,<br />
Regisseur Monumental Pictures ...........<br />
.................................. Daniel Therrien<br />
Junger Don ............... Lennyn Therrien /<br />
Ciannyn Therrien<br />
Junger Cosmo ............. Kiano Therrien /<br />
Emilian Laabmayr<br />
Tenor Solo ›Beautiful Girl‹ ...................<br />
............................... Alexander Hüttner<br />
Chor & Ballettensemble des<br />
Salzburger Landestheaters<br />
Abb. von oben links:<br />
1. Don Lockwood (Ramesh Nair,<br />
2.v.r.) trifft auf dem Weg zu einer<br />
Hollywood-Party auf Kathy Selden<br />
(Julia-Elena Heinrich, Mitte)<br />
2. Drei Freunde und ein perfekter<br />
Plan (v.l.): Don (Ramesh Nair),<br />
Kathy (Julia-Elena Heinrich) und<br />
Cosmo (Niklas Schurz) hecken aus,<br />
wie sie ihren ersten Film doch noch<br />
retten können<br />
3. Sie sind das Traumpaar der<br />
Stummfilm-Ära: Lina Lamont<br />
(Niniane Everaert, r.) und Don<br />
Lockwood (Ramesh Nair, vorne<br />
2.v.r. mit Ensemble)<br />
4. Beim Sprechunterricht: Don<br />
(Ramesh Nair, l.) lernt, wie er richtig<br />
für den Film spricht. Sehr zum<br />
Amüsement von Cosmo Brown<br />
(Niklas Schurz, Mitte)<br />
Fotos (4): Tobias Witzgall<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
41
Musicals in Österreich<br />
Dämmerung auf dem Boulevard<br />
»Sunset Boulevard« im Tiroler Landestheater Innsbruck<br />
Abb. oben:<br />
Joe (Andrea De Majo, l.) »genießt«<br />
gemeinsam mit Max (Erwin<br />
Belakowitsch) und Norma (Maya<br />
Hakvoort) die Filme vergangener<br />
Zeiten<br />
Abb. unten:<br />
Norma (Maya Hakvoort) kehrt in die<br />
Paramount Studios zurück<br />
Fotos (2): Birgit Gufler<br />
Wenn man das mittlerweile gut bekannte Musical<br />
»Sunset Boulevard« von Andrew Lloyd Webber<br />
ein bisschen seziert, dann bleiben vor allem eine sehr<br />
starke Geschichte von Don Black und Christopher<br />
Hampton, die sich sehr getreu an dem Film von Billy<br />
Wilder orientieren, sowie die wirklich fast perfekt durchkomponierte<br />
Musik vom Meister selbst. Damals, als das<br />
Stück Uraufführung feierte und dann in eben dieser<br />
Inszenierung rund um den Globus gespielt wurde, galt<br />
es als nahezu ausgeschlossen, dass gerade dieses Musical,<br />
welches mit dem bis dahin teuersten Bühnenbild ausgestattet<br />
war, je anders erfolgreich sein könnte – im Gegenteil,<br />
das Bühnenbild war das, was damals fast noch größeren<br />
Ruhm erlangte als die Geschichte oder die Musik.<br />
Dass alle Skeptiker völlig daneben lagen, zeigten über die<br />
Jahre immer wieder größere und kleinere Produktionen,<br />
mit viel, mit wenig, jetzt in London sogar mit faktisch gar<br />
keinem Bühnenbild.<br />
Natürlich gibt es Momente, die vielleicht nicht so gut<br />
gealtert sind. Wenn heute Cecil B. DeMille über Charles<br />
Lindbergh spricht, merkt man dem Publikum an, dass<br />
der Witz mittlerweile eher ratlose Gesichter hinterlässt,<br />
als dass er für herzhafte Lacher sorgt. Auch die eine oder<br />
andere Referenz ans Hollywood der Stummfilm-Ära<br />
dürfte nicht mehr so ganz die jetzige Theatergeneration<br />
ansprechen. An der Brisanz der Grundgeschichte, dass ein<br />
ehemaliger Star mit dem Alt-Werden kämpft und ein junger<br />
Künstler mit der Arbeitslosigkeit, hat sich seit damals<br />
nichts verändert. Auch der Konflikt, in den sich Joe hinein<br />
katapultiert, indem er eine Dreiecksbeziehung geschehen<br />
lässt, ist nach wie vor vielen bekannt. D. h. die Zutaten,<br />
die es für ein begeistertes Publikum am Ende eines Abends<br />
braucht, funktionieren 1993 genauso wie 2023.<br />
Als große Diva stellt das Tiroler Landestheater, wie<br />
auch schon in Bozen, von wo aus diese Inszenierung<br />
übernommen wurde, Maya Hakvoort auf die Bühne.<br />
Sie hat diese Rolle auch schon in Baden bei Wien<br />
gespielt und man merkt vom ersten Ton an, dass sie<br />
diese spielerisch wie gesanglich ausfüllt. Mit der für<br />
Hakvoort typischen warmen Stimme schafft sie es, insbesondere<br />
mit ›Als hätten wir uns nie Goodbye gesagt‹<br />
zu begeistern, hier wäre tatsächlich die sprichwörtlich<br />
fallende Stecknadel im Auditorium zu hören gewesen.<br />
Ein Highlight für jemanden, der das Stück schon häufig<br />
gesehen hat, ist auch ihre sehr ruhige Intonierung<br />
am Ende, wenn sie Betty Schaefer anruft. Häufig ist<br />
dies eher hysterisch dargestellt, hier aber wirkt Norma<br />
gerade durch die Ruhe in den Worten sehr bedrohlich.<br />
An ihrer Seite überrascht der bis dahin im deutschsprachigen<br />
Raum eher unbekanntere Andrea De Majo<br />
mit schön ausgearbeitetem Schauspiel und ebenfalls<br />
überzeugender Stimme. Zurecht erhält er einen langanhaltenden<br />
Applaus nach ›Sunset Boulevard‹. Julia<br />
Taschler als Betty Schaefer bringt die gewohnte Naivität<br />
der Rolle gut zum Ausdruck, gesanglich ist die<br />
Partitur für sie problemlos und im Zusammenspiel mit<br />
De Majo bildet sie eine harmonische Einheit. Fremdkörper<br />
dieser Inszenierung – und der Hinweis mit der<br />
Inszenierung sei besonders erwähnt, weil dies an dieser<br />
Stelle tatsächlich keinerlei Kritik an den Schauspielsowie<br />
Gesangskünsten von Erwin Belakowitsch sein<br />
soll, der sicherlich beides gut beherrscht – ist Max von<br />
Mayerling. Während alle anderen Charaktere »normal«<br />
sein dürfen, ist Max hier, schon beginnend mit der<br />
Perücke, aber auch von der Intonierung her, eine Witzfigur.<br />
Die merkwürdige Sprechstimme kann er Gott sei<br />
42<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Österreich<br />
Dank gesanglich nicht durchgehend durchhalten, die<br />
merkwürdigen Bewegungen versucht er während der<br />
gesamten Zeit so gut wie möglich aufrecht, beziehungsweise<br />
fast gebückt hinkend, beizubehalten. Er hat völlig<br />
absurde Szenenmomente, in denen er mit Lenkrad wippend<br />
die Autofahrt darstellt, ebenso wie einen Auftritt<br />
in Norma Desmonds Kleid. Er hat gleichermaßen aber<br />
auch stückverändernde Momente – z. B. tanzt er mit<br />
Norma zusammen während ›Ein gutes Jahr‹, bringt ihr<br />
den Revolver in der Schlussszene und erschießt dann<br />
auch mit ihr gemeinsam Joe. Es mag durchaus sein, dass<br />
in einem stringenten, neu umgesetzten Regiekonzept<br />
all diese Veränderungen sinnvoll sein könnten, doch<br />
da der Rest des Stücks zwar immer wieder fragwürdig<br />
inszeniert wurde, aber dennoch dem eigentlichen Buch<br />
folgt, waren es so tatsächlich Fremdkörpermomente.<br />
Regisseur Rudolf Frey wollte offensichtlich viel aus dem<br />
Stück herausholen – manche Ideen waren gut, viele<br />
waren aus dem Publikum heraus schwierig zu verstehen.<br />
Zu den guten Ideen gehört zum Beispiel die Tanzszene<br />
zwischen Joe und Betty, die wunderschön die entstehende<br />
Verbindung der beiden hervorgehoben hat. An<br />
anderen Stellen waren die Tanzszenen hingegen oft eher<br />
verwirrend, bei der Autoverfolgungsjagd (die man nur<br />
erkennt, wenn man weiß, dass es eine gibt) wirken die<br />
Tänzer zum Beispiel fast wie Rehe, die vor das Auto laufen.<br />
Choreographisch hat Marcel Leemann gute Arbeit<br />
geleistet, es sind schöne Tanzmomente, die er da auf die<br />
Bühne gebracht hat, die sinnvollere Einarbeitung wäre<br />
dann Freys Arbeit gewesen. Eingearbeitet hat dieser zum<br />
Beispiel immer wieder kleinere Tableaus mit Nummerierungen<br />
für die Tatbeweise, die aber wild durcheinander<br />
laufen und deren Sinn sich erst sehr spät erschließt.<br />
Viele Szenen überlappen sich optisch, die nicht klare<br />
Abgrenzung nimmt viel von der Tiefe. Wenn während<br />
der Beerdigung des Affen bereits jemand von Schwabs<br />
Drugstore auf der Bühne steht, wirkt es merkwürdig<br />
deplatziert und des Moments nicht würdig. Auch dass<br />
Max von Mayerling in der Silvesterszene auf einmal Teil<br />
von Arties Feier wird, ist eigenartig. Noch schwieriger<br />
ist allerdings der Einsatz der Videoelemente von Aaron<br />
Kitzig. Diese haben immer eine Länge von drei bis vier<br />
Sekunden und wiederholen sich dann so lange, bis die<br />
Szene zu Ende ist – optisch haben sie aber nicht immer<br />
einen erkennbaren Zusammenhang mit dem, was in<br />
der Szene passiert. Da sie aber auf einen Gaze-Vorhang<br />
direkt vorn an der Bühne projiziert werden, nehmen sie<br />
unglaublich viel von dem Blick auf die Bühne, wenn der<br />
Vorhang dann mal oben ist, wirkt es fast so, als würde<br />
man endlich einmal scharf sehen. So eine Entscheidung<br />
sollte man nur treffen, wenn man mit den Videobildern<br />
auch etwas zu sagen hat. Das Bühnenbild von Luis Graninger<br />
kommt mit wenig aus, vieles bleibt der Fantasie<br />
des Publikums überlassen, was aber ja gerade ein großer<br />
Vorteil von Theater ist. Die Kostüme von Aleksandra<br />
Kica wechseln zwischen Moderne und Fünfziger Jahren,<br />
insbesondere, dass Norma durchgängig ihren Look<br />
verändert hat, inklusive Perücken, ist ein sehr schönes<br />
Unterstreichen ihrer doch durch und durch schwierigen<br />
Persönlichkeit. In dem Moment, in dem Joe erschossen<br />
in den Pool fällt, sich Norma aber dann doch zu<br />
ihm hinknien und ihn küssen kann, entsteht das letzte<br />
große Fragezeichen des Abends. Dass in der anschließenden<br />
Szene mit dem bekannten Zitat: »Und jetzt,<br />
Mr DeMille, bin ich bereit für meine Nahaufnahme«,<br />
lauthals im Publikum gelacht wird, lässt den Schluss zu,<br />
dass diese Umsetzung des Stücks nicht dem entspricht,<br />
was sowohl die starke Geschichte als auch die Musik<br />
zulassen würden.<br />
Die Musik, die wirklich wunderschön unter der Leitung<br />
von Hansjörg Sofka durch das Tiroler Symphonieorchester<br />
Innsbruck dargeboten wird, und die stimmlich<br />
sehr starken Leistungen der Darsteller sorgen dafür, den<br />
Abend dennoch als wertvoll im Gedächtnis zu behalten.<br />
Sabine Haydn<br />
Sunset Boulevard<br />
Andrew Lloyd Webber / Don Black /<br />
Christopher Hampton<br />
Deutsch von Michael Kunze<br />
Übernahme der Produktion der<br />
Vereinigten Bühnen Bozen<br />
Tiroler Landestheater Innsbruck –<br />
Großes Haus<br />
Premiere: 16. Dezember 2023<br />
Regie ................................ Rudolf Frey<br />
Musik. Leitung ............ Hansjörg Sofka<br />
Choreographie .......... Marcel Leemann<br />
Bühnenbild .................. Luis Graninger<br />
Kostüme ..................... Aleksandra Kica<br />
Video ................................ Aron Kitzig<br />
Norma Desmond ........ Maya Hakvoort<br />
Joe Gillis ................... Andrea De Majo<br />
Betty Schaefer ................. Julia Taschler<br />
Max von Mayerling ..............................<br />
............................. Erwin Belakowitsch<br />
Cecil B. DeMille ............ Jan Schreiber<br />
Artie Green ................ Leopold Lachnit<br />
Manfred ......................... Florian Peters<br />
Sheldrake ...................... Michael Gann<br />
In weiteren Rollen:<br />
Ana Akhmeteli,<br />
Ivan Yesid Benitez-Fernandez,<br />
William Blake, William Tyler Clark,<br />
Jannis Dervenis, Monika Duringer,<br />
Anna Fink, Wolfram Föppl,<br />
Abongile Fumba, Sarah Hartinger,<br />
Julien Horbatuk, Yejin Kang, Su-Jin Kim,<br />
Gregor Krammer, Sarah Merler,<br />
Doris Moser, Bernadette Müller,<br />
Esewu Nobela, Kathrin Schreier, Lukas<br />
Strasheim, Peter Thorn,<br />
Vanessa Weiskopf<br />
Chor des Tiroler Landestheaters<br />
Abb. von links oben:<br />
1. Max (Erwin Belakowitsch) als<br />
clowneske Darstellung<br />
2. Joe (Andrea De Majo) arbeitet mit<br />
Betty (Julia Taschler) gemeinsam an<br />
»Das blinde Fenster«<br />
3. Voller Zuversicht auf das kommende<br />
Jahr wird Silvester gefeiert<br />
4. Norma (Maya Hakvoort) schießt<br />
mehrfach auf Joe (Andrea De Majo)<br />
Fotos (4): Birgit Gufler<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
43
Musicals in Österreich<br />
Der ganz normale Wahnsinn<br />
»Working« an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien<br />
Finale: Alle acht Studierenden des dritten Jahrgangs geben nochmal alles (v.l.: Franziska Geprägs, Linda Seefried, Aeneas<br />
Hollweg, Felix Fügner, Anna Täuber, Jan Ungar, Sarah Weidinger, Timotheus Hollweg) Foto: Barbara Pálffy<br />
Working<br />
Craig Carnelia / James Taylor /<br />
Mary Rodgers / Micki Grant /<br />
Susan Birkenhead / Lin-Manuel Miranda /<br />
Stephen Schwartz / Nina Faso<br />
Deutsch von Martin Wessels-Behrens<br />
& Judith Behrens<br />
Revised Version 2<strong>01</strong>2<br />
Musik und Kunst<br />
Privatuniversität Wien<br />
MUK.theater<br />
Premiere: 14. Dezember 2023<br />
Regie ............................... Alex. Riener<br />
Musikalische Leitung ......... Lior Kretzer<br />
Choreographie ........ Christoph Riedl &<br />
Ana Milva Gomes<br />
Bühnenbild ....................... Petra Fibich<br />
Kostüme ......................... Sigrid Dreger<br />
Lichtdesign ................. Benjamin Maier<br />
Mike, Stahlbaumonteur /<br />
Freddy, Lieferdienst /<br />
Conrad, UPS-Fahrer /<br />
Eddie, Pressesprecher /<br />
Joe, Pensionist ..................Felix Fügner<br />
Rose, Lehrerin /<br />
Candy, Charity Lady /<br />
Maggie, Putzfrau .....Franziska Geprägs<br />
Büroangestellter / Raj,<br />
Service Hotline Mitarbeiter /<br />
Joe, Pensionist /<br />
Utkarsch, Altenpfleger /<br />
Charlie, Praktikant ..... Aeneas Hollweg<br />
Mike, Stahlbaumonteur /<br />
Frank, Trucker /<br />
Allen, Community Manager /<br />
Joe, Pensionist ..... . Timotheus Hollweg<br />
Büroangestellte /<br />
Sharon, Empfangsdame /<br />
Roberta, Prostituierte /<br />
Delores, Kellnerin /<br />
Maggie, Putzfrau ...........Linda Seefried<br />
Amanda, Projektmanagerin /<br />
Kate, Hausfrau /<br />
Maggie, Putzfrau .............. Anna Täuber<br />
Rex, Hedgefond-Manager /<br />
Anthony, Maurer /<br />
Joe, Pensionist /<br />
Ralf, Jungunternehmer ........ Jan Ungar<br />
Büroangestellte /<br />
Terry, Stewardess /<br />
Grace, Fließbandarbeiterin /<br />
Theresa, Kindermädchen .....................<br />
................................... Sarah Weidinger<br />
Tom / Zugführer, Feuerwehr .......... Alle<br />
Mit Eleganz und ihrem Charme ist sie für die<br />
Menschen da. Wenn Delores Dante mit viel<br />
Körpergefühl und Sexappeal auftritt, ist sie der<br />
Hingucker. Ihre Bühne ist ein Restaurant, in dem<br />
sie kellnert. Sie liebt ihren Job, findet Erfüllung in<br />
dem, was sie tut, und ist eine der berührendsten<br />
Figuren im Musical »Working« aus der Feder von<br />
Komponistenlegende Stephen Schwartz und seinen<br />
Kollegen Craig Carnelia, Micki Grant, Mary Rodgers<br />
und James Taylor. Die Inspiration fanden die<br />
Macher im Bestseller »Working: People Talk About<br />
What They Do All Day and How They Feel About<br />
What They Do«. So sperrig, wie der Titel klingt, so<br />
ist auch das Thema: Es werden Berufe vorgestellt.<br />
Doch schon das Buch von Radiomoderator Studs<br />
Terkel, das die Vorlage für das Stück bildete, war in<br />
den 70ern ein Bestseller, wurde selbst von Ex-Präsident<br />
Barack Obama kürzlich für eine Netflix-Doku<br />
neu aufgegriffen und auch die Musical-Studentinnen<br />
und -Studenten in Wien ließen sich bei ihrer Version<br />
der Musical-Adaption nicht abschrecken. Der dritte<br />
Jahrgang der Musik und Kunst Privatuniversität der<br />
Stadt hat sich unter der Regie von Alex. Riener des<br />
Stoffs angenommen.<br />
Ihre Bühnenversion über die Arbeit, die Facetten<br />
der normalen Menschen, Menschen wie du und ich,<br />
wird zur spannenden Alltagsanalyse, denn in jedem<br />
Normalo ist ein Star versteckt. Aus scheinbar banalen<br />
Begebenheiten schaffen sie es, spannende Geschichten<br />
entstehen zu lassen, so wie Jungdarsteller Jan<br />
Ungar als Maurer Anthony, der mit starker Stimme<br />
quasi eine Hymne auf sein Material ›Stein‹ singt. Ob<br />
Paketlieferant oder Stahlbauer – jeder hat spezielle<br />
Talente und Fähigkeiten. Das Leading Team findet<br />
die großen Gefühle in ihren Wünschen und kleinen<br />
zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Show zeigt<br />
die außergewöhnlichen Träume der gewöhnlichen<br />
Leute.<br />
Dabei liefern sie sich mit allem, was sie haben,<br />
dem Publikum aus. Von drei Seiten können die<br />
Zuschauer auf die rechteckige Spielfläche schauen.<br />
In bunten Buchstaben prangt das Wort »Working«<br />
hinter ihnen an der Rückseite der Bühne und erinnert<br />
nicht nur beständig mahnend an das Thema,<br />
sondern auch an die Vielfalt des Lebens. Ständig sind<br />
die jungen Darstellerinnen und Darsteller präsent,<br />
nur für kurze Kostümwechsel verschwinden sie aus<br />
dem Blickfeld der Zuschauer. Immer wieder schlüpfen<br />
sie in neue Berufe, wechseln mit den Kostümen<br />
im Handumdrehen die Rollen und zeigen so ihr vielseitiges<br />
Können, egal ob als Arbeiter am Fließband<br />
oder als Putztruppe in einer Trio-Performance von<br />
Anna Täuber, Franziska Geprägs und Linda Seefried,<br />
die mit Besen und viel Soul in der Stimme die Bühne<br />
rocken. So vielseitig sie auch sind, so unterschiedlich<br />
die Biographien auch sein mögen, allen Figuren ist<br />
doch das gleiche Schicksal vorherbestimmt: das Alter<br />
und schließlich der Tod. Und so verkörpern alle vier<br />
männlichen Darsteller auch den Rentner Joe. Der<br />
permanente Wechsel vom körperlich schon leicht<br />
gebrechlichen Pensionisten, der von seinem Tagesablauf<br />
erzählt, hin zum jugendlichen Joe, wenn er in<br />
Erinnerungen an früher schwelgt, ist ein Highlight<br />
des Abends. Dies wird noch verstärkt, weil sich die<br />
vier jungen Studenten die Rolle teilen und immer<br />
abwechselnd sprechen bzw. singen. Gefühlvoll, emotional<br />
und stimmgewaltig wird es bei den Duetten<br />
von Vater und Sohn (Timotheus Hollweg und Felix<br />
Fügner) wie auch beim Krankenpfleger-Kindermädchen-Song<br />
(Aeneas Hollweg und Sarah Weidinger).<br />
Die neue, überarbeitete Version von 2<strong>01</strong>2 enthält<br />
sowohl aktualisierte Liedtexte als auch zwei neue<br />
Lieder. Das bringt noch mehr Abwechslung in die<br />
Songs und Musikstile des Stückes. Die Show beginnt<br />
verhalten mit wenig Musik und vielen Monologen,<br />
steigert sich aber dann im Lauf des Abends immer<br />
weiter. Auch die Leistungen der acht Studierenden<br />
werden im Verlauf des Stücks immer besser. Alle<br />
konnten ihr Können zeigen, stimmlich und tänzerisch.<br />
Im Gedächtnis bleiben Franziska Geprägs als<br />
Lehrerin Rose, die kurzerhand das Publikum unterrichtet,<br />
und Anna Täuber als Hausfrau Kate. Nach<br />
ungefähr zwei Stunden wird mit einem glänzenden<br />
Finale die rasante, pausenlose Show mit viel Applaus<br />
bedacht.<br />
Mina Piston<br />
44<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
CALL<br />
AUDITION CALL<br />
Darsteller*innen (m/w/d) für unsere Familienmusicals<br />
5 Tourneeproduktionen - 450 Shows – 300.000 Zuschauer in 5 Ländern<br />
Die Schöne & das Biest<br />
- das Musical<br />
28.09.<strong>24</strong> - 13.04.25<br />
Basisort: Bochum/Hamburg<br />
Schneekönigin<br />
- das Musical<br />
19.10.<strong>24</strong> - 13.04.25<br />
Basisort: München<br />
Tarzan<br />
- das Musical<br />
02.11.<strong>24</strong> - 21.04.25<br />
Basisort: Stuttgart<br />
Aladin<br />
- das Musical<br />
16.11.<strong>24</strong> - 21.04.25<br />
Basisort: Frankfurt<br />
Dschungelbuch<br />
- das Musical<br />
30.11.<strong>24</strong> - 27.04.25<br />
Basisort: Leipzig<br />
Audition-Termine für 33 Vakanzen:<br />
10. / 11. März 20<strong>24</strong> in Wien • 17. / 18. / 19. März 20<strong>24</strong> in Bochum<br />
Mehr Infos: www.theater-liberi.de/jobs
Musicals in Europa<br />
Eine eindrucksstarke, tiefgehende Inszenierung<br />
»Les Misérables«-Neuproduktion am Theater St. Gallen<br />
Abb. oben:<br />
›Nacht der Angst‹ – Auf der<br />
Barrikade Jean Valjean (Armin Kahl,<br />
oben l.), Studenten (Ensemble) und<br />
Aufständische (Ensemble und Chor<br />
des Theaters St. Gallen)<br />
Foto: Ludwig Olah<br />
Das Musical »Les Misérables« von Claude-<br />
Michael Schönberg, Alain Boublil, Jean-Marc<br />
Natel, Herbert Kretzmer und James Fenton,<br />
basierend auf dem Roman »Die Elenden« von<br />
Victor Hugo, ist zurück in St. Gallen. An diesem<br />
Theater fand vor 16 Jahren, am 10. März 2007,<br />
die Schweizer Erstaufführung unter der Regie von<br />
Matthias Davids und der musikalischen Leitung<br />
von Koen Schoots statt. Dieser verantwortet ebenfalls<br />
die musikalische Leitung der Neuproduktion<br />
des Werks, eine Koproduktion des Theaters St. Gallen<br />
und des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München<br />
unter der Regie von Josef E. Köpplinger,<br />
Choreographie und Co-Regie von Ricarda Regina<br />
Ludigkeit.<br />
Beim Betreten des Saals des Theaters St. Gallen<br />
bei der Premiere am 9. Dezember 2023 entdeckt<br />
man auf der schwarzen Leinwand, die die Bühne<br />
verdeckt, ein Zitat von Voltaire: »Jeder Fanatismus<br />
endet in Fatalismus«. Dazu erläutert der Regisseur<br />
Josef E. Köpplinger im Interview für das Programmheft:<br />
»Denn im Stück geht es auch um ein<br />
falsches Heldentum. […] Die Erkenntnis aus der<br />
Geschichte besagt, dass es fatal ist, ein System mit<br />
Gewalt ändern zu wollen.«<br />
Auf der dunklen, in Nebel verhüllten Bühne<br />
beklagen zu düsterer, kraftvoller Musik mutlose<br />
Gefangene (Chor und Ensemble) bei der Verrichtung<br />
harter Arbeit ihr Schicksal. Dabei werden sie<br />
von Aufsehern bestraft. Jean Valjean wird 1815<br />
nach 19 Jahren Haft, die er aufgrund des Diebstahls<br />
eines Brotes und mehrerer vergeblicher Fluchtversuche<br />
verbüßte, vom höhnischen Aufseher Javert<br />
(Filippo Strocchi) auf Bewährung entlassen. Doch<br />
das Leben in Freiheit ist für Valjean (Armin Kahl)<br />
nicht leicht. Obwohl er versucht, als Tagelöhner<br />
bei Bauern seinen Unterhalt zu verdienen, verliert<br />
er den Job, da ihm als Ex-Häftling Misstrauen<br />
entgegenschlägt.<br />
Nur der Bischof von Digne (Jeremy Boulton)<br />
nimmt den Stigmatisierten auf. Auch wenn der<br />
Bischof Valjean menschenwürdig behandelt,<br />
bestiehlt dieser ihn. Der bestohlene Bischof rettet<br />
Valjean vor der erneuten Inhaftierung, indem er<br />
behauptet, Valjean das Silber geschenkt zu haben.<br />
Somit erhält der verblüffte Valjean die Chance,<br />
sich ein neues Leben aufzubauen.<br />
Im warmen, hellen Licht verbringen Arbeiterinnen<br />
ihre Pause im Hof der Fabrik, die dem Bürgermeister<br />
Monsieur Madelaine (alias Valjean) gehört.<br />
Der Vorarbeiter der Fabrik stellt vergebens der<br />
Arbeiterin Fantine (Wietske von Tongeren) nach,<br />
die eine uneheliche Tochter ernähren muss. Als die<br />
Arbeiterinnen ihr Geheimnis entdecken, entlässt<br />
der Vorarbeiter die junge Frau, die sich um ihre<br />
Tochter Cosette, die bei Pflegeeltern aufwächst,<br />
sorgt.<br />
Im Song ›Ich hab` geträumt vor langer Zeit‹<br />
erzählt Fantine von ihren Träumen, der unerfüllten<br />
Liebe zum Vater ihres Kindes. Wietske van Tongeren<br />
berührt mit ihrer einfühlsamen Interpretation<br />
des Songs das Publikum. Die Einsamkeit der verzweifelten<br />
Frau, die allein auf der Bühne steht, ist<br />
unmittelbar spürbar. Fantine verarmt, muss ihren<br />
Unterhalt als Prostituierte im Hafenviertel verdienen,<br />
wo auch junge Männer ihre Körper den Matrosen<br />
anbieten. Ein Freier beklagt sich bei Javert<br />
über Fantine, aber der Bürgermeister (Valjean)<br />
46<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Europa<br />
nimmt sich ihrer an und lässt sie in ein Krankenhaus<br />
bringen. Bei einem Unfall gerät ein Mann<br />
unter einen Lastenkarren. Nur der Bürgermeister<br />
vermag den Karren anzuheben, um den Mann zu<br />
befreien. So wird Javert, inzwischen zum Inspektor<br />
aufgestiegen, auf den Bürgermeister aufmerksam,<br />
da nur Valjean über diese Kräfte verfügte, aber<br />
Javert glaubt ihn schon gefasst zu haben. ›Wer bin<br />
ich‹: Glaubhaft hinterfragt in der eindrücklichen<br />
Szene Armin Kahl in der Rolle des Valjean seine<br />
Verantwortung als Bürgermeister sowie sich selbst<br />
und bekennt sich entschlossen zu seiner Vergangenheit<br />
als Sträfling, stellt sich Javert, damit kein<br />
Unschuldiger für ihn büßen muss, und flieht ins<br />
Krankenhaus. Hier verspricht er der sterbenden<br />
Fantine, sich um ihre Tochter Cosette zu kümmern.<br />
Doch Javert findet ihn im Krankenhaus.<br />
Selbstbewusst tritt Valjean Javert gegenüber, lässt<br />
sich von dem arroganten Inspektor nicht mehr<br />
demütigen. Zudem gelingt Valjean die Flucht. Er<br />
findet Cosette in einer armseligen Hütte, betreut<br />
von einer herzlosen Pflegemutter. In der schmutzigen<br />
Spelunke des Ehepaars Thénardier verkehren<br />
junge Männer, die sich mit Huren vergnügen,<br />
aber von den Thénardiers betrogen werden. Dagmar<br />
Hellberg und Jogi Kaiser zeigen mit ihrem<br />
komödiantischen Schauspiel gekonnt die Verschlagenheit<br />
der ordinären, raffgierigen Thénardiers,<br />
die vor Mord, Leichenfledderei und Verrat nicht<br />
zurückschrecken. Valjean erscheint und nimmt<br />
Cosette mit.<br />
In Paris 1832 planen Studenten einen Aufstand,<br />
um sich für die Rechte der Armen einzusetzen. Das<br />
wirkungsvolle Bühnenbild von Rainer Sinell lässt<br />
das Publikum eintauchen in die Straßenschluchten<br />
einer Stadt, die kaputten Häuser symbolisieren<br />
ein Elendsviertel, wie es viele auf der Welt gibt.<br />
Die bemerkenswerten Kostüme von Uta Meenen<br />
zeigen die Mode von 1832. Arme Leute betteln,<br />
Diebesbanden sind auf Beutezug, zu deren Opfern<br />
Valjean und Cosette (Kristine Emde) gehören,<br />
denen der Student Marius (Thomas Hohler) beisteht.<br />
Dabei verlieben sich die jungen Leute. Javert<br />
ist unerbittlich auf der Suche nach Valjean, der<br />
versucht, mit Cosette vor den Schatten seiner Vergangenheit<br />
aus der Stadt zu fliehen. Daran werden<br />
sie von den nächtlichen Vorbereitungen zum Aufstand<br />
gehindert. Studenten versuchen die Armen<br />
zu mobilisieren, Flugblätter werden verteilt, rote<br />
Fahnen werden geschwungen, Demonstrierende<br />
strecken wütend die Fäuste in die Luft (›Morgen<br />
schon‹). Diese bildgewaltige Szene erinnert einerseits<br />
an das Gemälde »Die Freiheit führt das Volk«<br />
von Eugène Delacroix, anderseits an die aktuellen<br />
Demonstrationen in verschiedenen Ländern. Die<br />
Lebendigkeit der Stadt, die rastlose Suche Javerts<br />
wird durch die Choreographien (Ricarda Regina<br />
Ludigkeit) der sich in ständiger Bewegung befindenden<br />
Darstellenden in den großartigen Ensemble-<br />
und Chorszenen gezeigt. Zudem werden die<br />
schnellen Szenenwechsel durch die Drehbühne<br />
ermöglicht. Ebenso bemerkenswert ist das meisterhaft<br />
musizierende Sinfonieorchester St. Gallen<br />
unter der musikalischen Leitung von Koen Schoots.<br />
Im Interview für das Programmheft äußert Schoots<br />
auf die Frage nach seiner heutigen Sichtweise auf<br />
das Stück: »Ich habe eine größere Ruhe gefunden<br />
und mehr Mut zum Ausspielen- und Aussingenlassen<br />
der Musik.«<br />
Zu Beginn des zweiten Aktes nimmt das Bühnenbild<br />
das Publikum mit hinter die Barrikade,<br />
die von Studenten und Frauen gebaut wird. Dabei<br />
hoffen die Studenten auf den Sieg der Revolution.<br />
Marius ist unter den Aufständischen, ebenso Javert,<br />
Les Misérables<br />
Claude-Michel Schönberg / Alain Boublil /<br />
Herbert Kretzmer / Jean-Marc Natel /<br />
James Fenton<br />
Deutsch von Heinz Rudolf Kunze<br />
Koproduktion mit dem Staatstheater<br />
am Gärtnerplatz München<br />
Theater St. Gallen – Großes Haus<br />
Premiere: 9. Dezember 2023<br />
Regie ...................... Josef E. Köpplinger<br />
Musik. Leitung .............. Koen Schoots /<br />
Stéphane Fromageot<br />
Choreinstudierung ....... Franz Obermair<br />
Orchestrierungen .... Stephen Metcalfe,<br />
Christopher Jahnke &<br />
Stephen Brooker<br />
Choreographie & Co-Regie ...................<br />
Ricarda Regina Ludigkeit<br />
Bühnenbild ....................... Rainer Sinell<br />
Kostüme ........................... Uta Meenen<br />
Licht ............................. Andreas Enzler<br />
Ton .......................... Marko Siegmeier /<br />
Nicolai Gütter-Graf<br />
Jean Valjean ....................... Armin Kahl /<br />
Filippo Strocchi<br />
Javert ........................... Filippo Strocchi /<br />
Daniel Gutmann<br />
Fantine ................ Wietske van Tongeren<br />
Thénardier ........................... Jogi Kaiser /<br />
Alexander Franzen<br />
Madame Thénardier .... Dagmar Hellberg /<br />
Carin Filipčić<br />
Cosette, Fantines Tochter ........................<br />
Kristine Emde /<br />
Julia Sturzlbaum<br />
Éponine, Thénardiers Tochter .................<br />
Barbara Obermeier /<br />
Katia Bischoff<br />
Marius ......................... Thomas Hohler /<br />
Matteo Ivan Rašić<br />
Enjolras ............................. Merlin Fargel<br />
Gavroche ......................... Kio Bruderer /<br />
Jamin Tobler / Elena Haag<br />
Kleine Cosette ............... Sofia Cecchini /<br />
Ella Rogdo / Josefine Rösch<br />
Kleine Ėponine ................. Niva Müller /<br />
Charlotte Auerbach / Ella Töpfer<br />
Bischof Myriel von Digne /<br />
Combeferre /<br />
Montparnasse u. a. ........ Jeremy Boulton<br />
Schwangere Bettlerin u. a.<br />
............................... .Anna Katharina Felke<br />
Huren-Lady u. a. ................... Evita Komp<br />
Claquesous / Lesgle u. a. ........................<br />
Jacob Romero Kressin<br />
Wirtsfrau u. a. / Dance Captain...............<br />
Katharina Lochmann<br />
Bamatabois / Jean Prouvaire /<br />
Babet u. a. .......................Peter Neustifter<br />
Fauchelevant / Grantaire /<br />
Brujon u. a. ............. .Christian Schleinzer<br />
In weiteren Rollen:<br />
Leoni Kristin Oeffinger,<br />
Florine Schnitzel, Thijs Snoek,<br />
Michael Souschek, Meren Verhaegh<br />
Chor des Theaters St. Gallen &<br />
Statisterie des Gärtnerplatztheaters<br />
München<br />
Abb. von links oben:<br />
1. ›Javerts Selbstmord‹ – Javert<br />
(Filippo Strocchi)<br />
2. Cosette (Kristine Emde, l.)<br />
und Marius (Thomas Hohler, r.)<br />
begegnen sich zufällig<br />
3. ›In der Kanalisation‹ – Thénardier<br />
(Jogi Kaiser) kennt den Fluchtweg<br />
und bestiehlt in der Kanalisation<br />
die Toten<br />
Fotos (3): Ludwig Olah<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
47
Musicals in Europa<br />
Abb. unten von links oben:<br />
1. Éponine (Barbara Obermeier,<br />
2.v.r.) stirbt in den Armen von<br />
Marius (Thomas Hohler, r.), Enjolras<br />
(Merlin Fargel, Mitte) und Aufständische<br />
(Ensemble)<br />
2. ›Leichte Mädels‹ – Fantine<br />
(Wietske van Tongeren, 6.v.r. mit<br />
Ensemble) ist gezwungen ihre<br />
Haare zu verkaufen<br />
3. ›Fantines Tod‹ – Fantine (Wietske<br />
van Tongeren, l.) bittet Jean Valjean<br />
(Armin Kahl, r.), sich um ihre<br />
Tochter Cosette zu kümmern<br />
4. Javert (Filippo Strocchi, l.) entlässt<br />
Jean Valjean (Armin Kahl, r.) auf<br />
Bewährung aus dem Gefängnis<br />
(Ensemble)<br />
5. ›Morgen schon‹ – Enjolras (Merlin<br />
Fargel, Mitte) und seine Freunde<br />
(Ensemble, Chor des Theaters St.<br />
Gallen) wissen um die Bedeutungsschwere<br />
des nächsten Tags<br />
Fotos (5): Ludwig Olah<br />
der von Gavroche als Verräter enttarnt wird. Die<br />
Kinderdarsteller Kio Bruderer (Gavroche), Sofia<br />
Cecchini (kleine Cosette), Niva Müller (kleine<br />
Éponine) beeindrucken mit ihrem Gesang und<br />
ihrer Bühnenpräsenz.<br />
Valjean kommt zu den kämpfenden Aufständischen,<br />
um Marius zu beschützen, da er von der<br />
Liebe von Cosette zu Marius erfahren hat. Die<br />
Studenten übergeben Valjean den gefangenen<br />
Javert, um ihn zu bestrafen. Doch Valjean lässt den<br />
fassungslosen Javert laufen, der später Selbstmord<br />
begeht, weil er nicht damit leben kann, sein Leben<br />
einem Kriminellen zu verdanken. Armin Kahl<br />
und Filippo Strocchi zeigen mit ihrem schauspielerischen<br />
und gesanglichen Können realistisch den<br />
unlösbaren Konflikt zwischen Valjean und Javert<br />
sowie die Entwicklung ihrer Figuren im Verlauf<br />
des Stückes.<br />
Valjean und Marius überleben den blutig niedergeschlagenen<br />
Aufstand. Valjean flieht mit dem<br />
verletzten Marius auf dem Rücken durch die Kanalisation.<br />
Das Bühnenbild nimmt das Publikum mit<br />
in die unheimliche Kanalisation, in der viele Tote<br />
liegen, die Thénardier ausplündert.<br />
Frauen in Trauerkleidern suchen in der Stadt<br />
nach ihren gefallenen Angehörigen, trauern um die<br />
jungen Gefallenen. Eine Szene mit sehr aktuellem<br />
Bezug!<br />
›Dunkles Schweigen an den Tischen‹: Marius<br />
trauert um seine toten Kameraden, die ihm im<br />
Traum als Gestalten im Nebel im finsteren Bühnenhintergrund<br />
erscheinen. Thomas Hohler zeigt<br />
authentisch einen von der Gewalt traumatisierten<br />
jungen Mann und bewirkt mit der gefühlvollen<br />
Interpretation des Songs Gänsehautmomente.<br />
Ebenso berührend ist die Sterbeszene von Valjean,<br />
in der Cosette die Wahrheit über ihre Vergangenheit<br />
erfährt, für einen kurzen Moment der<br />
Erscheinung ihrer Mutter Fantine gegenübersteht,<br />
die Valjean die nötige Ruhe zum Sterben gibt.<br />
Die eindrucksstarke, tiefgehende Inszenierung mit<br />
vielen aktuellen Bezügen von Josef E. Köpplinger, die<br />
gesanglich und schauspielerisch hervorragende Cast,<br />
der bemerkenswerte Chor des Theaters St. Gallen, das<br />
vortreffliche Sinfonieorchester St. Gallen veranlassen<br />
das begeisterte Publikum zu Bravorufen und Standing<br />
Ovations. Viele Rollen sind doppelt besetzt,<br />
daher empfiehlt es sich, vor dem Theaterbesuch in<br />
die Besetzungsliste zu schauen. Ab 22. März 20<strong>24</strong><br />
ist die Inszenierung dann im Staatstheater am<br />
Gärtnerplatz in München zu erleben.<br />
Martina Friedrich<br />
48<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Europa<br />
Die Zeit der Kathedralen<br />
25-Jahre-Jubiläumstour von »Notre Dame de Paris« im Palais des Congrès in Paris<br />
Abb. oben:<br />
Quasimodo (Angelo del Vecchio)<br />
besingt seine Glocken als seine<br />
einzigen Freunde<br />
Foto: Alessandro Dobici for<br />
Contents Production<br />
Von allen »Spectacles musicaux«, wie die französischen<br />
Musicals des Arenatyps genannt werden, ist<br />
»Notre Dame de Paris« der beiden kanadischen Autoren<br />
Luc Plamondon (Text) und Riccardo Cocciante (Musik)<br />
sicher nicht nur der erste große Hit, sondern bis heute<br />
auch das bekannteste und populärste. Das Stück feierte<br />
am 16. September 1998 im Pariser Palais des Congrès<br />
seine Uraufführung und war seitdem fast ohne Unterbrechung<br />
auf Tour in London, New York, Spanien, der<br />
Schweiz, Belgien, natürlich Kanada, Italien, Luxemburg,<br />
Polen, Russland, Albanien, der Türkei, China,<br />
Südkorea, Japan, Singapur, Taiwan und dem Libanon.<br />
Aufgrund der längeren Laufzeiten in diesen Ländern<br />
gibt es sowohl eine englische als auch eine italienische<br />
Fassung des Stücks (in beiden Sprachen liegen neben<br />
den zahlreichen französischen DVDs und CDs auch<br />
Aufnahmen vor), aber aus welchem Grund auch immer<br />
hat es das Stück nie nach Deutschland geschafft, nicht<br />
einmal als kurzes Gastspiel – was sehr schade ist, denn<br />
es ist ein tolles Stück mit großartiger Musik. Nun also<br />
ist es 25 Jahre nach seiner Uraufführung wieder an den<br />
damaligen Ort der Weltpremiere, das Palais des Congrès<br />
in Paris, zurückgekehrt, bevor es ab Ende Januar auf<br />
Tour durch Frankreich, Belgien und die Schweiz geht.<br />
Das Stück basiert auf derselben Vorlage wie die Disney-Show<br />
»Der Glöckner von Notre Dame«, nämlich<br />
dem Roman »Notre Dame de Paris« von Victor Hugo,<br />
der 1831 erschien und in Frankreich ein absoluter Klassiker<br />
ist. So ist es auch keine Überraschung, dass sich das<br />
Musical deutlich enger an die Vorlage hält als die Disney-Variante,<br />
was unter anderem darin zum Ausdruck<br />
kommt, dass die beiden Figuren Gringoire (der Erzähler)<br />
und Fleur-de-Lys (die Verlobte von Phoebus) hier<br />
als Hauptrollen vertreten sind, die bei Disney gar nicht<br />
vorkommen bzw. mit anderen Rollen verschmolzen<br />
wurden (Clopin bei Disney ist eine Mischung aus dem<br />
Clopin der Vorlage und dem Erzähler Gringoire). Da<br />
die Originalhandlung in Deutschland nicht so bekannt<br />
ist wie in Frankreich, hier ein kurzer Handlungsabriss:<br />
Der Dichter Gringoire beschreibt die Entstehung<br />
der Kathedralen im Mittelalter als Aufbruch in eine<br />
neue Zeit der Entwicklung der Menschheit. Wir befinden<br />
uns im Paris des Jahres 1492. Flüchtlinge, Sinti und<br />
Roma, Unterweltangehörige und weitere Personen mit<br />
unsicherem Status versammeln sich vor der Kathedrale<br />
Notre Dame. Sie stehen unter der Führung von Clopin<br />
(Jay) und besingen ihr Schicksal als Ausgestoßene der<br />
Gesellschaft (›Les sans-papiers‹). Der dazukommende<br />
Erzdiakon der Kathedrale, Frollo (Daniel Lavoie),<br />
lässt sie vertreiben. Phoebus (Damien Sargue), Hauptmann<br />
der Garde, kommt dem Befehl nach, lässt aber<br />
die schöne Esmeralda (Hiba Tawaji), deren Tanz ihm<br />
gefällt, unbehelligt laufen. Allein geblieben reflektiert<br />
Esmeralda über ihr Schicksal als Angehörige einer diskriminierten<br />
Minderheit (›Bohémienne‹). Clopin, der<br />
sie aufgezogen hat, warnt sie vor den Männern, jetzt, wo<br />
sie erwachsen und schön ist. Mittlerweile trifft Phoebus<br />
auf seine adlige Verlobte Fleur-de-Lys (Alyzée Lalande)<br />
und beide beteuern sich ihre Liebe. Vor der Kathedrale<br />
findet das Narrenfest statt, und der missgestaltete<br />
Glöckner Quasimodo (Angelo del Vecchio) wird zu<br />
seinem Papst gewählt. Alle verspotten ihn. Frollo gibt<br />
Quasimodo, den er als Waisenkind gefunden und aufgezogen<br />
hat und der ihm daher treu ergeben ist, den Auftrag,<br />
Esmeralda für ihn zu finden unter dem Vorwand,<br />
sie in der christlichen Religion unterrichten zu wollen.<br />
Quasimodo verfolgt Esmeralda in den Unterschlupf der<br />
Ausgestoßenen, wird dort aber von Phoebus verhaftet.<br />
50<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Europa<br />
Im ›Cour des miracles‹ treffen sich alle, die der Pariser<br />
Unterwelt angehören. Esmeralda rettet Gringoire, der<br />
sich dorthin verirrt hat, durch eine Scheinehe vor dem<br />
Tod, der den Unbefugten droht, die dorthin kommen.<br />
Sie befragt ihn über Phoebus, in den sie sich verliebt<br />
hat, und er erklärt ihr, dass Phoebus »Sonne« bedeutet.<br />
Sie träumt von dem Mann, der schön ist wie die Sonne<br />
(›Beau comme le soleil‹), ebenso wie es am anderen<br />
Ende von Paris Fleur-de-Lys tut. Phoebus bekennt sich<br />
mittlerweile dazu, beide Frauen attraktiv zu finden, und<br />
hätte nichts gegen eine Affäre mit Esmeralda einzuwenden<br />
(›Déchiré‹).<br />
Am nächsten Tag trifft Gringoire auf Frollo, der<br />
Informationen über Esmeralda will. Gringoire lenkt<br />
ihn ab mit der Frage nach einer Inschrift, »Ananké«, in<br />
Notre Dame (die es übrigens wirklich gibt), und Frollo<br />
erklärt ihm die Bedeutung: Schicksal oder Verhängnis.<br />
Mittlerweile wird Quasimodo von den Soldaten<br />
misshandelt. Nur Esmeralda hat Mitleid und gibt ihm<br />
Wasser. Quasimodo zeigt Esmeralda die Kathedrale und<br />
bietet ihr dort Zuflucht an. Esmeralda betet zu Maria.<br />
Frollo weiß, dass sein Begehren nach Esmeralda ihm<br />
als Priester gefährlich werden kann, folgt aber dennoch<br />
ihr und Phoebus, als sie sich zu einem Rendezvous treffen.<br />
Er versucht Phoebus zu töten, der schwer verletzt<br />
wird. Gringoire besingt die unausweichliche Macht des<br />
Schicksals.<br />
Am nächsten Morgen lässt Frollo wieder Gringoire<br />
rufen. Er befragt ihn nach den neuen Ideen der italienischen<br />
Renaissance (›Florence‹) und realisiert, dass die<br />
absolute Macht der Kirche zu Ende geht. Frollo lässt<br />
Esmeralda einsperren und will ihr den Mordversuch an<br />
Phoebus anhängen, aber Gringoire informiert Clopin.<br />
Ein Befreiungsversuch scheitert zunächst, und Clopin<br />
und seine Mitstreiter werden gefangengenommen. Frollo<br />
lässt Esmeralda foltern, um ein Geständnis zu erpressen.<br />
Phoebus, der sich erholt hat, kehrt zu seiner Verlobten<br />
zurück, die von ihm als Liebesbeweis fordert, Esmeralda<br />
hinrichten zu lassen. Frollo versucht, Esmeralda zu einer<br />
Liebesnacht im Austausch gegen ihr Leben zu überreden<br />
(›Un matin tu dansais‹), aber sie lehnt ab, da sie inzwischen<br />
weiß, dass Phoebus überlebt hat und sie nur ihn<br />
liebt. Quasimodo befreit Clopin und seine Leute und<br />
mit ihrer Hilfe auch Esmeralda, die er mit in die Kathedrale<br />
nimmt. Er beklagt die Ungerechtigkeit, dass sie<br />
ihn wegen seines Aussehens nie lieben wird (›Dieu que<br />
le monde est injuste‹). Frollo gibt Phoebus und seinen<br />
Soldaten den Auftrag, die Kathedrale zu stürmen und<br />
ihm Esmeralda auszuliefern, was dieser auch tut. Der<br />
Bitte Quasimodos für Esmeralda verweigert er sich und<br />
lässt sie durch Phoebus und seine Soldaten aufhängen.<br />
Außer sich vor Schmerz wirft Quasimodo Frollo die<br />
Treppe hinunter, wobei dieser stirbt, und verlangt die<br />
tote Esmeralda für sich. An ihrer Leiche beteuert er ein<br />
letztes Mal seine Liebe zu ihr (›Dance mon Esmeralda‹),<br />
bevor er mit ihr in seinen Armen stirbt.<br />
Das Palais des Congrès ist, wie der Name sagt, kein<br />
Theater, sondern eine Mehrzweckhalle mit fast 4000<br />
Plätzen. Die Show war und ist als Arenaproduktion<br />
konzipiert, das heißt, es gibt sehr wenig Bühnenbild<br />
(eine wandelbare Wand, einige Tonnen mit Feuer, ein<br />
paar aus dem Schnürboden herabhängende Seile und<br />
Elemente), stattdessen wird mit Licht und Projektionen<br />
gearbeitet. Das funktioniert heute wie vor 25 Jahren sehr<br />
gut (man spielt immer noch die Originalproduktion von<br />
Regisseur Gilles Maheu mit den Bühnenbildern von<br />
Christan Rätz, den Kostümen von Caroline Van Assche,<br />
dem Lichtdesign von Alain Lortie) und bringt sowohl<br />
Spannung als auch Klarheit in die Handlung, die komplett<br />
ohne Dialoge auskommt. Die Choreographie von<br />
Martino Müller ist einer der stärksten Punkte der Show:<br />
Da es eine strenge Trennung von Sängern, Tänzern und<br />
Akrobaten gibt, ist das tänzerische und vor allem das<br />
beeindruckende akrobatische Level (von Breakdance<br />
Notre Dame de Paris<br />
Riccardo Cocciante / Luc Plamondon<br />
Nicolas & Charles Talar und<br />
Adam Blanchay Productions<br />
Palais des Congrès Paris<br />
Premiere: 15. November 2023<br />
Regie ............................... Gilles Maheu<br />
Musikalische Einrichtung,<br />
Arrangements & Leitung .........................<br />
.................................. Richard Cocciante,<br />
Serge Perathoner,<br />
Jannick Top<br />
Choreographie ............. Martino Müller<br />
Bühnenbild ...................... Christan Rätz<br />
Kostüme .............. Caroline Van Assche<br />
Frisuren ..................... Sébastien Quinet<br />
Lichtdesign ......................... Alain Lortie<br />
Quasimodo ........... Angelo del Vecchio /<br />
Philippe Tremblay<br />
Esmeralda ...... Hiba Tawaji / Jaime Bono<br />
Frollo ..................... Daniel Lavoie / Solal<br />
Gringoire .............................. Eric Jetner /<br />
Gian Marco Schiaretti<br />
Phoebus ..... Damien Sargue / Eric Jetner<br />
Fleur-de-Lys ................. Alyzée Lalande /<br />
Jaime Bono<br />
Clopin .............................. Jay / Mike Lee<br />
Tänzer, Akrobaten & Breakdancer<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Frollo (Daniel Lavoie) kämpft<br />
mit seinen Gefühlen für Esmeralda,<br />
die für einen Priester gänzlich<br />
unangemessen sind<br />
2. Clopin (Jay, r.) warnt Esmeralda<br />
(Hiba Tawaji, l.) vor den Männern<br />
3. Für Quasimodo (Angelo del<br />
Vecchio) sind seine Glocken wie<br />
lebendige Freunde<br />
Fotos (3): Patrick Carpentier<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
51
Musicals in Europa<br />
Abb. unten von links oben:<br />
1. Gringoire (Gian Marco<br />
Schiaretti, i.d.bes.Vorst. Eric Jetner)<br />
besingt »Die Zeit der Kathedralen«<br />
2. Quasimodo (Angelo del Vecchio)<br />
wird von den Soldaten (Ensemble)<br />
gefoltert<br />
3. Quasimodo (Angelo del Vecchio,<br />
2.v.l.), Frollo (Daniel Lavoie, Mitte)<br />
und Phoebus (Damien Sargue,<br />
2.v.r.) besingen ihre jeweiligen<br />
Gefühle für die schöne Esmeralda<br />
(Hiba Tawaji, vorne)<br />
Foto 1: Alessandro Dobici for<br />
Contents Production<br />
Foto 2: Patrick Carpentier<br />
Foto 3: Alessandro Dobici<br />
auf höchstem Niveau bis zu veritabler Artistik ist alles<br />
dabei) unglaublich hoch. Gleichzeitig können sich die<br />
Solisten auf Schauspiel und Gesang konzentrieren, was<br />
zusammen mit der ausgezeichneten Besetzung zu vielen<br />
musikalischen Gänsehautmomenten führt. Angeführt<br />
wird die hervorragende Solistenriege von Angelo del<br />
Vecchio als Quasimodo, der diese schwere Partie (vor<br />
allem dadurch, dass man die Partie fast durchgehend<br />
mit rauer Stimme singen muss, sie aber trotzdem höllisch<br />
hoch ist) grandios meistert und einem mit seiner<br />
Darstellung wirklich unter die Haut geht. Vor allem<br />
sein ›Dance mon Esmeralda‹ am Ende sorgte für viele<br />
feuchte Augen im Publikum. Auf der anderen Seite<br />
steht das »Notre-Dame«-Urgestein Daniel Lavoie als<br />
Frollo, der in dieser Rolle schon vor 25 Jahren bei der<br />
Uraufführung dabei war und diese Rolle unvergleichlich<br />
verinnerlicht hat. Seine Stimme ist vielleicht inzwischen<br />
etwas rauer als damals, hat aber immer noch die sichere<br />
Höhe und große Eindringlichkeit, die einen fast mit seinem<br />
Charakter mitfühlen lässt, weil er eben nicht eindimensional<br />
böse ist. Jay als Clopin verfügt gleichermaßen<br />
über die sonore Tiefe für die Rolle, ein schönes Falsett<br />
und eine beeindruckende Bühnenpersönlichkeit, der<br />
man den Anführer sofort abnimmt. Damien Sargue als<br />
Phoebus machte seine Sache ausgezeichnet. Er kommt<br />
genau wie Hiba Tawaji als Esmeralda aus dem Popgeschäft.<br />
Beide sind aber schon länger in diesen Rollen<br />
dabei, wobei ausgerechnet die Esmeralda die Schwachstelle<br />
des Abends war: Sie war keineswegs schlecht,<br />
sang und tanzte ansprechend, aber ihr fehlte die Ausstrahlung,<br />
die deutlich machen würde, warum sich<br />
gleich vier Männer in sie verlieben, und in den Höhen<br />
beim Belten fehlte der Stimme einfach manchmal die<br />
Kraft, die die großen Musicalhymnen Cocciantes brauchen.<br />
Wie sich das idealerweise anhört, zeigten neben<br />
den bereits Genannten die beiden hauptberuflichen<br />
Musicaldarsteller Alyzée Lalande als buchbedingt eher<br />
unsympathische Fleur-de-Lys, von der man neben ›Il<br />
est beau‹ gerne noch eine andere schöne Ballade gehört<br />
hätte, und als einziges Cover des Abends Eric Jetner als<br />
Gringoire, der vor allem die große Hymne der Show ›Le<br />
temps des cathédrales‹, aber auch das anrührend melancholisch<br />
gesungene ›Lune‹ so wunderbar zum Leben<br />
erweckte, dass man die etatmäßige Erstbesetzung (der<br />
auch in Deutschland bekannte Gian Marco Schiaretti)<br />
in keinem Moment vermisste.<br />
Alles in allem war es eine würdige Jubiläumsproduktion,<br />
und es war faszinierend, die Show am Platz<br />
ihrer Uraufführung noch einmal zu erleben. Es ist<br />
ewig schade, dass sie nie ihren Weg nach Deutschland<br />
geschafft hat, wenigstens als Gastspiel. Die aktuelle Tour<br />
kommt unter anderem nach Straßburg und Genf, sie sei<br />
also den Süddeutschen und Schweizern ans Herz gelegt!<br />
Wie populär das Stück in Frankreich immer noch ist,<br />
merkt man bei der Zugabe, wenn das Publikum ›Le<br />
temps des cathédrales‹ geschlossen mitsingen kann.<br />
Mögen die Glocken von Notre Dame noch viele Jahre<br />
erklingen, und hoffentlich auch einmal hierzulande!<br />
Merit Murray<br />
52<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
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Einspielungen<br />
zusammengestellt von Mario Stork<br />
Foto: VBW / Deen van Meer<br />
Rock Me Amadeus – Das Falco Musical<br />
Original Wien Cast 2023<br />
Musik und Leben von Johann Hölzel alias Falco (1957 -<br />
1998) dienten schon mehrfach als Grundlage für Musicals.<br />
Im Oktober 2023 feierte nun, 25 Jahre nach Falcos<br />
Unfalltod, »Rock Me Amadeus« im Wiener Ronacher<br />
Premiere. Mit einem Buch von VBW-Intendant Christian<br />
Struppeck, vielen Falco-Hits und sogar vier neu<br />
geschriebenen Songs dürfte das Stück das ultimative<br />
Biographie-Musical des Exzentrikers darstellen.<br />
Hölzels Weg vom bei seiner Mutter in bescheidenen Verhältnissen<br />
aufwachsenden Hans, der schon früh davon<br />
träumt, Popstar zu werden, bis an die Spitze der internationalen<br />
Charts, inklusive aller Nebeneffekte des Ruhms,<br />
kann man nun auch zu Hause nachverfolgen. Knapp<br />
zweieinhalb Stunden lang erzählt die Live-Gesamtaufnahme<br />
Falcos Leben und Karriere. Die Dialoge sind<br />
dabei knapp und konzis gehalten, Songs und Underscorings<br />
sind eng mit den Sprechszenen verwoben, so dass zu<br />
keiner Zeit Längen beim Hören entstehen. Das ist besonders<br />
auch den Arrangeuren Roy Moore und Michael<br />
Reed zu verdanken, die all die bekannten Hits mit den<br />
Neukompositionen zu einer veritablen Theaterpartitur<br />
verwoben haben, bei der man Zeuge wird, wie spätere<br />
Welterfolge im Proberaum entstehen, einzelne Melodien<br />
oder Hooklines Hans über die ganze Handlung hinweg<br />
wie Leitmotive begleiten und aus den Popsongs dank<br />
effektvoller Orchestrierung (die 21 Musiker:innen unter<br />
Leitung von Michael Römer spielen auf den Punkt, dass<br />
es eine wahre Freude ist) und einfallsreicher Chorsätze<br />
waschechte Musicalnummern werden.<br />
Obwohl die Brüder Rob und Ferdi Bolland (»3 Musketiere«),<br />
von denen zahlreiche erfolgreiche Falco-Titel<br />
stammen, seit Jahren zerstritten sind, steuerten beide<br />
getrennt voneinander die neuen Lieder bei. Während das<br />
mehrfach wiederholte ›Leb deinen Traum‹ und das Duett<br />
›Du bist mein Zuhaus‹ ein wenig zu sehr in der Musical-<br />
Kitsch-Klischee-Schublade wühlen, entwickelt sich ›Ein<br />
weißes Blatt Papier‹ fesselnd von der Standard-Ballade<br />
zum düsteren inneren Drama. ›I am You‹, ein Duett zwischen<br />
Hans und seinem Alter Ego, könnte ein Outtake<br />
aus einem Original-Falco-Album sein.<br />
Das Album wurde bereits am Premierenabend und<br />
einem Termin drei Tage später aufgenommen. Der Cast<br />
performt entsprechend noch voller frischer Energie, von<br />
Nervosität ist nichts zu hören, das gesamte Ensemble liefert<br />
eine fulminante Leistung ab. Dreh- und Angelpunkt<br />
ist Moritz Mausser mit seiner herausragenden Darstellung<br />
des Hans. Er verkörpert den aufstrebenden, von seinem<br />
Talent mehr als überzeugten Musiker ebenso treffend wie<br />
den Egomanen auf dem Höhepunkt des Ruhms; beeindruckend<br />
auch seine Zerrissenheit, als ihm Erfolgsdruck,<br />
Drogen und Leben am Limit immer stärker zusetzen.<br />
Gesanglich liefert Mausser keine Kopie des Originals<br />
ab, eher eine Hommage, die dessen Tonfall trifft, aber<br />
auch noch Raum für eigene stimmliche Akzente lässt.<br />
Alex Melcher spielt als Alter Ego die Schattenseite der<br />
Künstlerpersönlichkeit; seine Nummern im zweiten Akt<br />
sind so stark, dass man gern mehr von ihm gehört hätte.<br />
Katharina Gorgi als Falcos Ehefrau Isabella oder Simon<br />
Stockinger als Billy überzeugen ebenfalls in ihren Solound<br />
Duettauftritten; die restliche Cast kommt primär<br />
in den Dialogen und den Chorpassagen zum Einsatz.<br />
Alle zusammen erzählen die mitreißende Geschichte<br />
einer schillernden, tragischen Künstlerpersönlichkeit, von<br />
den HitSquad-Experten satt und druckvoll produziert.<br />
Fazit: Das ultimative Falco-Musical mit fantastischer<br />
Besetzung – wärmste Empfehlung!<br />
34 Titel<br />
151 min<br />
Doppel-Jewel-CD-Case mit<br />
32-seitigem Booklet mit<br />
Credits, Inhaltsangabe und<br />
vielen Produktionsfotos<br />
Tanz der Vampire<br />
Hamburg Cast 2023 – Graf von Krolock-EP<br />
Gemessen am Erfolg und Kultstatus des Vampir-<br />
Musicals von Jim Steinman (Musik) und Michael<br />
Kunze (Buch und Texte) sind im Laufe der<br />
Jahre relativ wenig verschiedene Castaufnahmen<br />
erschienen. Nachschub für Fans kommt nun aus<br />
Hamburg: Rob Fowler, der aktuelle Krolock an der<br />
Elbe, hat die großen Songs des Grafen für eine Vier-<br />
Track-EP aufgenommen. So bekommt man einen<br />
akustischen Eindruck davon, wie er die Rolle anlegt:<br />
Sein Rocktenor klingt oft heller als bei vielen Rollenvorgängern,<br />
dadurch wirkt die Figur auch jünger<br />
und vielleicht eine Spur verletzlicher. Bei ›Sei bereit<br />
(Gott ist tot)‹ gibt er sich mystisch, die ›Einladung<br />
zum Ball‹ spricht er in einer Mischung aus lockendem<br />
Verführer und unterschwelliger Bedrohung<br />
aus. Im Duett ›Totale Finsternis‹ (mit einer jugendlich<br />
klar singenden Kristin Backes) trumpft Fowler<br />
gesanglich mächtig auf, und aus ›Die unstillbare<br />
Gier‹ kitzelt er mit wohldosierten eigenen Nuancen<br />
das richtige Maß an Dramatik heraus, ohne zu<br />
übertreiben. Gern hätte man ein komplettes Castalbum<br />
mit dieser Besetzung gehört, aber diese EP<br />
ist zumindest ein ansprechender Appetit-Happen.<br />
Fazit: Für Fans von Rob Fowler und/oder<br />
»Tanz der Vampire« ein Muss.<br />
4 Titel<br />
16 min<br />
Jewel-CD-Case mit 4-seitigem<br />
Booklet mit Credits und Foto<br />
Guys & Dolls<br />
Revival Cast London 2023<br />
Das 1950 am Broadway uraufgeführte Gangster-<br />
Musical nach mehreren Kurzgeschichten von<br />
Damon Runyon gehört zu den großen Klassikern<br />
des Genres. Entsprechend regelmäßig erlebt das<br />
Stück mit einem Buch von Jo Swerling und Abe<br />
Burrows sowie Musik und Songtexten von Frank<br />
Loesser Revivals. Das jüngste startete vergangenes<br />
Jahr in London, als immersives, modernes Theaterspektakel<br />
aufbereitet von Regisseur Nicholas Hytner<br />
(»Miss Saigon«) und Choreographin Arlene<br />
Phillips (»Starlight Express«). Das Castalbum zur<br />
Produktion lässt einen kaum glauben, dass Frank<br />
Loessers Partitur schon mehr als 70 Jahre alt ist.<br />
Dank Charlie Rosens neuer Orchestrierung (im<br />
Booklet beschreibt er, wie diverse Arrangeure im<br />
Lauf der Jahrzehnte dem Score ihren Stempel<br />
aufdrückten) klingen die Songs mitreißend und<br />
frisch. Schon die ersten Takte der ›Ouvertüre‹<br />
gehen direkt ins Tanzbein. Wer den klassischen<br />
Broadway-Sound mag, dürfte hier von Anfang an<br />
ein breites Lächeln auf dem Gesicht haben. Rosen<br />
kitzelt die Stilvielfalt zwischen Jazz, Swing, Blues,<br />
Latin und Heilsarmee-Märschen gekonnt heraus,<br />
54<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Einspielungen<br />
pustet den Staub aus den Noten und erfreut, gerade<br />
was die Bläsersätze angeht, mit vielen Details. Das<br />
vierzehnköpfige Orchester unter der Leitung von<br />
Tom Brady nutzt diese Steilvorlage und dreht<br />
ordentlich am Energieregler, so dass all den zahlreichen<br />
Hits der Show von ›Luck Be a Lady‹ über<br />
den Titelsong bis zu ›Sit Down You’re Rockin’ the<br />
Boat‹ eine erfolgreiche Frischzellenkur zuteil wird.<br />
Großen Anteil daran hat auch das blendend aufgelegte<br />
Ensemble, angeführt von Celinde Schoenmaker<br />
(Sarah Brown), Andrew Richardson (Sky<br />
Masterson), Cedric Neal (Nicely-Nicely Johnson),<br />
Daniel Mays (Nathan Detroit) und Marisha<br />
Wallace (Miss Adelaide). Letztere darf als Bonus-<br />
Track ›Luck Be a Lady‹ nochmal in einer speziellen<br />
Remix-Version zum Besten geben, die man mit<br />
ihrem Synth-Dance-Arrangement nicht unbedingt<br />
braucht. Aber man kann ja vorher ausschalten.<br />
Fazit: Ein Klassiker in frischem Gewand –<br />
reinhören!<br />
34 Titel<br />
88 min<br />
Digipack mit 16-seitigem<br />
Booklet mit Credits,<br />
Liner Notes und Fotos<br />
Wish<br />
Original Filmsoundtrack 2023 –<br />
Englische Version<br />
Mit dem neuen Disney-Film »Wish« waren angesichts<br />
des 100-jährigen Firmenjubiläums im vergangenen<br />
Jahr hohe Erwartungen verbunden. Glaubt<br />
man den Kritikern und Zuschauerstimmen, konnte<br />
der Streifen, vorsichtig formuliert, diese Ansprüche<br />
nicht durchweg erfüllen. Die Songs steuerten diesmal<br />
Julia Michaels und Benjamin Rice bei. Wer? Michaels<br />
ist eine Sängerin und Songwriterin, die neben<br />
ihren eigenen Veröffentlichungen für Künstler:innen<br />
wie Selena Gomez, Olivia Rodrigo, Shawn Mendes,<br />
Britney Spears oder Justin Bieber schrieb. So<br />
ungefähr darf man sich die Lieder auch vorstellen:<br />
Gefälliger, aber belangloser Einheits-Pop mit leichtem<br />
R’n’B-Einschlag, der an den Ohren vorbei<br />
plätschert, ohne dass irgendetwas hängen bliebe. Der<br />
kurze Opener ›Welcome to Rosas‹ wirkt noch wie ein<br />
müder »Encanto«-Aufguss; im Folgenden wechseln<br />
sich Balladen und groovige Titel ab, die nur in seltenen<br />
Fällen über das Prädikat »nett« hinauskommen.<br />
Am ehesten entfalten noch ›This Wish‹ oder der von<br />
Julia Michaels selbst gesungene End-Credits-Titel<br />
›A Wish Worth Making‹ die alte Disney-Magie.<br />
Vielleicht treffen die Kompositionen von Michaels<br />
und Rice ja genau den Geschmack und die Hörgewohnheiten<br />
der jungen Zielgruppe von heute. Wer<br />
aber mit Disney-Soundtracks aus der Feder von<br />
Altmeistern wie Alan Menken aufgewachsen ist,<br />
den dürfte »Wish« zumindest ratlos, wenn nicht enttäuscht<br />
zurücklassen. Daran ändern auch die Interpretationen<br />
von Ariana DeBose nichts, die mit ihrer<br />
Broadway-Expertise zumindest ein wenig Musical-<br />
Feeling beisteuert. Ach ja, und Chris Pine singt auch<br />
… und das gar nicht so schlecht. Das Soundtrack-<br />
Album enthält auf CD mit einer Laufzeit von knapp<br />
37 Minuten acht Songs (einer davon ist nur eine<br />
Reprise); vier dieser Titel gibt es nochmal zusätzlich<br />
als Instrumental-Versionen. Die Deluxe-Edition mit<br />
dem Score von Dave Metzger, Demos etc. ist nur<br />
digital erhältlich. Auch dies ist ein bisschen mager.<br />
Fazit: Im Vergleich zu klassischen Disney-<br />
Soundtracks eine Enttäuschung und durchaus<br />
verzichtbar<br />
12 Titel<br />
36 min<br />
Jewel-CD-Case, <strong>24</strong>-seitiges<br />
Booklet mit Songtexten,<br />
Credits und Filmfotos<br />
Bettina Meske: Paradise Is Now<br />
Soloalbum 2023<br />
Dass Bettina Meske nicht nur eine arrivierte<br />
Sängerin und Musicaldarstellerin ist, sondern<br />
auch als Songwriterin zu überzeugen weiß,<br />
ist spätestens seit ihrem 2<strong>01</strong>3er Soloalbum<br />
»Made in Berlin« kein Geheimnis mehr. Dass<br />
der Nachfolger »Paradise Is Now« zehn Jahre<br />
bis zur Veröffentlichung brauchte, lag an den<br />
»dunklen Jahren«, wie die Künstlerin die<br />
vergangene Zeit bezeichnet: Alle hier versammelten<br />
Songs wurden schon vor der Pandemie<br />
und verschiedenen privaten Schicksalsschlägen<br />
geschrieben, teilweise sind Gastmusiker<br />
auf den Tracks zu hören, die zwischenzeitlich<br />
verstorben sind, darunter Komponist und<br />
Arrangeur Peter Schirmann oder Flügelhorn-<br />
Virtuose Ack van Rooyen. Bettina Meske sieht<br />
den Zeitpunkt nun gekommen, diese Lieder<br />
herauszubringen und mit ihnen ein wenig<br />
Licht in dunkle Zeiten zu bringen. Und das<br />
gelingt ihr vorzüglich: 14 selbstgeschriebene<br />
Songs enthält das Album, die ihre Vorliebe für<br />
Jazz, Swing und Torch Ballads offenbaren, zwischendurch<br />
Ausflüge in Pop, Soul und frühen<br />
Rock’n’Roll unternehmen und gerade in ihrer<br />
Gesamtheit ein facettenreiches Panoptikum<br />
zwischenmenschlicher Befindlichkeiten und<br />
Emotionen auffächern. Meske gelingt dabei<br />
das Kunststück, dass ihre Kompositionen<br />
vertraut wirken, als hätten sie immer schon<br />
neben den Klassikern des »Great American<br />
Songbooks« existiert, ohne dabei wie Kopien<br />
zu klingen. Großes Kino! Darüber vergisst man<br />
fast zu erwähnen, dass sie natürlich auch fantastisch<br />
singt, sich ihre Melodien perfekt in die<br />
Kehle geschrieben hat und vom fragilen, fast<br />
brüchigen Flüstern bis zur großen Soulröhre<br />
die gesamte Bandbreite ihrer stimmlichen<br />
Möglichkeiten auslotet. Unterstützt wird sie<br />
dabei von einer vierköpfigen Kernband um den<br />
formidablen Pianisten Sebastian Weiss sowie<br />
von zahlreichen Gaststars. Die Auftritte der<br />
Thilo Wolf Big Band (›You and I‹, ›Airport‹ und<br />
›I Love You‹) zählen ebenso zu den Highlights<br />
wie das berührende Duett ›Moving Mountains‹<br />
mit Joana Zimmer oder das abschließende<br />
›Hold Me‹ mit Paul Hankinson. Hoffen wir,<br />
dass Bettina Meske bis zum nächsten Album<br />
nicht wieder zehn Jahre verstreichen lässt.<br />
Fazit: Das perfekte Album für die dunkle<br />
Jahreszeit!<br />
14 Titel<br />
50 min<br />
CD-Digipack mit Credits und<br />
Session-Fotos<br />
Druidenstein – Das Musical<br />
Studio Cast 2023<br />
Mit ihrem Fantasy-Musical »Schatten über<br />
Armaleth« machten Thorsten und Nadine<br />
Uebe-Emden erstmals als Komponisten und<br />
Autoren auf sich aufmerksam. Nun legen sie<br />
nach: In »Druidenstein« erzählen sie, basierend<br />
auf einer lokalen Sage, eine zu keltischer Zeit<br />
am gleichnamigen Basaltfelsen nahe der Stadt<br />
Kirchen an der Sieg spielende Geschichte: Als<br />
die Häuptlingstochter Herke vom Druiden des<br />
Stammes auserwählt wird, sich in den Dienst<br />
der Götter zu stellen, gerät die junge Frau in<br />
einen Zwiespalt zwischen der auferlegten Pflicht<br />
und ihrer Liebe zum Krieger Caradoc. Ein<br />
Konflikt mit tragischen Folgen… Thorsten und<br />
Nadine Uebe-Emden vertonen diese Legende<br />
mit einer gelungenen Mischung aus Folklore,<br />
Celtic- und Mittelalter-Rock, mystischen Klängen<br />
und musicaltypischen Balladen. Vor allem<br />
letztere bieten schöne Melodien (›Schlaflied‹,<br />
›Was mein Herz mir sagt‹), archaisch-rockige<br />
Sounds sorgen für Abwechslung (›Keltenherz‹),<br />
spezielle Instrumente wie keltische Flöten<br />
schaffen die passende klangliche Atmosphäre.<br />
Zu den liebevoll und detailliert produzierten<br />
Instrumentalplaybacks singt, wie schon beim<br />
Erstling des Autorenpaars, ein hochmotiviertes<br />
Ensemble aus Amateuren und Semi-<br />
Profis. Aus den durchweg guten Leistungen<br />
sticht Julia Fernholz als Herke mit ihrer schön<br />
gefärbten Stimme heraus. Insgesamt wecken<br />
die 10 Tracks die Neugier auf das komplette<br />
Musical, und man wünscht den Kreativen viel<br />
Erfolg für die weitere Entwicklung des Vorhabens.<br />
Wer auf physische Tonträger Wert legt,<br />
sollte sich beeilen: Die CD-Version ist limitiert.<br />
Fazit: Ein entdeckenswertes Liebhaber-<br />
Projekt!<br />
10 Titel<br />
36 min<br />
Digipack mit Inhaltsangabe<br />
und Credits<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
55
Konzerte & Entertainment<br />
Ein Ständchen zum Geburtstag<br />
»Ich bin, was ich bin« – Uwe Kröger im Theater Akzent in Wien<br />
Abb. oben:<br />
Ein eingespieltes Team – Uwe Kröger<br />
und sein Pianist Michael Falk kennen<br />
sich vom Theater in Hof<br />
Abb. unten:<br />
Von dramatisch bis lustig: Uwe Kröger<br />
zeigt ein breites Repertoire<br />
Fotos (2): Enes Daniskan<br />
Uwe Kröger wurde 59 Jahre alt und schenkte seinen<br />
Fans an seinem Geburtstag eine Gala. Dabei unternahm<br />
er am 4. Dezember 2023 im Wiener Theater Akzent<br />
mit seinem Publikum unter dem Titel »Ich bin, was ich bin<br />
– From Broadway to Hollywood« eine Zeitreise durch seine<br />
vergangenen Bühnenjahrzehnte – in eine Ära, in der man<br />
Musik noch mit dem Walkman hörte. Eine zweite Show<br />
gab es am Tag danach in St. Pölten.<br />
In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war<br />
Kröger ein Superstar des in Kontinentaleuropa noch jungen<br />
Genres Musical. Eine klassische Musical-Ausbildung<br />
hat der Darsteller in dem Sinne nicht, da diese zu dem<br />
Zeitpunkt so noch nicht in Deutschland etabliert war.<br />
Aber er studierte an der damaligen HdK (heute UdK) in<br />
Berlin Gesang, Schauspiel und Tanz. Nach der anfänglichen<br />
Ochsentour durch kleine Stadttheater avancierten er<br />
und seine Bühnenpartnerin Pia Douwes zum Traumpaar<br />
der Branche. Aber auch die Schattenseiten kennt Uwe<br />
Kröger zur Genüge: Der Streit mit seiner Managerin und<br />
die Trennung von Lebensgefährten wurden in der Presse<br />
genauso breitgetreten wie seine Insolvenz. Inzwischen<br />
wohnt der Sänger mit seinem Ehemann in Spanien. Nur ab<br />
und zu – aus Sicht seiner Fans zu selten – kommt er zurück<br />
nach Wien, wie für diesen besonderen Abend an seinem<br />
Geburtstag.<br />
Es sind Stunden für eingefleischte Musical-Liebhaber.<br />
Uwe Kröger lässt seine Karriere Revue passieren und wirft<br />
dabei – ohne weitere Erläuterungen – mit den Namen<br />
von Musicalfiguren und Regisseuren nur so um sich. Das<br />
Publikum kann spielend mithalten und ergänzt auf Zuruf<br />
sämtliche Stücke, die beispielsweise aus der Feder von Texter<br />
Michael Kunze stammen.<br />
Detailverliebt erinnert sich Kröger an die goldenen<br />
Musical-Jahre, als man noch extra Theaterhäuser für<br />
Stücke baute, die dann jahrelang erfolgreich die Massen<br />
begeisterten. Dabei geizt er auch nicht mit privaten Einblicken<br />
– den humorvollen Uwe Kröger erlebt man hier<br />
ganz persönlich und hautnah, wenn auch nicht jede Zahl<br />
stimmt. Ob das entsprechende Theaterhaus nun an der A1<br />
war oder an der A3 liegt – egal, Hauptsache, die Pointe<br />
sitzt. Selbst die strapaziöse Anreise aus Bayern nach Wien<br />
durch Schnee und Eis wird an diesem Abend zur heiteren<br />
Geschichte. Ein Zupfen am Jackett, ein Ziehen am Hosenbund,<br />
das kurze Richten der hellen Haare, so läuft er über<br />
die Bühne. Die Musik der Lieder, die er präsentiert, kommt<br />
mal vom Band, mal begleitet ihn Michael Falk am E-Piano.<br />
Am Ende des ersten Teils der zweistündigen Show, zu<br />
den Liedern aus »Sunset Boulevard« und »Die Schöne und<br />
das Biest«, ist Uwe Krögers Stimme geölt, auch wenn er<br />
nicht mehr ganz die Qualität der Glanzzeiten erreicht.<br />
Auch mit den Songtexten hat er ab und an Probleme.<br />
Den Ablauf hatte er sich vorher überlegt, hat dann aber<br />
hin und wieder Mühe, seine eigene Schrift zu entziffern<br />
oder sich zu erinnern, was er unter dem entsprechenden<br />
Stichwort erzählen wollte. Der Abend entsteht mehr<br />
oder weniger aus dem Stegreif, haben sich doch sein Pianist<br />
und er, nach einer kurzfristigen Absage, erst wenige<br />
Stunden vor dem Konzert zur Konzeption getroffen. Auf<br />
Bühnendekoration und Requisiten verzichtet Kröger. Für<br />
leichtes Chaos sorgte die Technik: Mikrofonsender und<br />
Handy folgen im Verlauf der Show der Schwerkraft und<br />
landen auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Auch<br />
das Mikrofon gibt schließlich im zweiten Teil ganz den<br />
Geist auf. Doch selbst diese Momente nutzt Kröger für<br />
sich und verwandelt sie in einen Lacher: Der Musical-Star<br />
ist ein erfahrenes Showpferd. Mit viel Selbstironie führt<br />
er durch den Abend, singt Klassiker auf Niederländisch,<br />
erzählt von Castings, nimmt die Zuschauer gedanklich<br />
mit hinter die Kulissen und berichtet von skurrilen Regie-<br />
Anweisungen. Doch auch ernste Töne finden Platz. So<br />
spricht er sich klar gegen die Gewalt im Nahen Osten aus<br />
und hält ein Plädoyer für Toleranz. Die Fans, Familienangehörigen<br />
und Wegbegleiter im Publikum bedanken<br />
sich nicht nur mit Standing Ovations und minutenlangem<br />
Applaus, sondern auch mit Blumen und einem Geburtstagsständchen<br />
– also dann: Happy Birthday, Uwe Kröger.<br />
Mina Piston<br />
56<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Konzerte & Entertainment<br />
60 Jahre in 90 Minuten<br />
60 Jahre in<br />
90 Minuten<br />
»Die Zeitreisende« Ute Lemper – Ein Abend im Vindobona Wien<br />
Am 29. November beehrte Ute Lemper das Vindobona<br />
in Wien. Der einzige Termin in Österreich,<br />
bei dem der Weltstar aus ihrer Biographie »Die Zeitreisende«<br />
las. Aber nicht nur das, sie sang ebenso einige<br />
Lieder und erzählte auch frei aus ihrem Leben. Besonders<br />
die Erinnerungen, die sie mit Wien verbinden,<br />
waren die besonderen Momente an diesem Abend.<br />
Man spürte, dass sie sich wohlfühlte, wieder einmal<br />
in dieser Stadt zu Gast zu sein. Mit einem Lächeln im<br />
Gesicht erinnerte sie sich gerne an kleine Episoden aus<br />
dem Alltag, den Kohleofen in der Wohnung damals<br />
in Wien und ihre gefühlte »Befreiung«, als sie schon<br />
früh 1983 ein Engagement bei der deutschsprachigen<br />
Erstaufführung von »Cats« bekam.<br />
Offen berichtete sie von ihrem Leben voller Höhen<br />
und Tiefen, sehr persönlichen Erlebnissen wie dem<br />
Tod ihrer Mutter oder dem Ausbruch der ersten<br />
AIDS-Epidemie, wo auch sie um viele Freunde trauern<br />
musste. Sie selbst versucht, ihr Leben als Mutter und<br />
weltreisender Bühnenstar, der seit 25 Jahren in New<br />
York lebt, zu meistern, was von ihr auf beiden Seiten<br />
viele Opfer fordert. Und gerade deshalb war es für sie<br />
erst eine Herausforderung und dann doch ein positives<br />
Erlebnis, die Biographie auf Deutsch zu schreiben.<br />
Sie beschrieb es mit: »Ein Buch in die Seele schreiben.«<br />
Sie erzählte, dass sie sich im Vindobona so wohlfühle,<br />
da das Theater so persönlich ist, und verriet auch,<br />
dass sie sich auf eine Rückkehr am 18. März 20<strong>24</strong><br />
freue – mit ihrer One-Woman-Show »Rendezvous<br />
mit Marlene«. Mit dieser ebenfalls aus Deutschland<br />
stammenden Künstlerin wird sie schon von jeher<br />
verglichen und hat ihr diesen eigenen Abend als<br />
Hommage kreiert, der auf einem Telefongespräch von<br />
Lemper mit der Dietrich basiert. So sind auch einige<br />
Seiten in Utes Lempers Biographie Marlene Dietrich<br />
und deren Geschichte gewidmet, es sind wirklich sehr<br />
persönliche Erzählungen und von Lemper erzählt<br />
noch mal besonders authentisch: Das erste Konzert<br />
nach dem 11. September 20<strong>01</strong> in New York oder<br />
Auftritte nach dem Mauerfall in Berlin. Besonders<br />
ergreifend waren die Erzählungen von Erlebnissen, die<br />
sie besonders berührt haben, und die Erzählungen von<br />
internationalen Konzerten, weil sie sich als Deutsche<br />
noch immer schämt und große Trauer und Scham<br />
empfindet, wenn sie etwa in Israel jährlich Konzerte<br />
gibt. Sie sang dann auch ›Shitler‹, ein israelisches Lied,<br />
auf jiddisch.<br />
Begleitet wurde sie an dem Abend von Michael<br />
Römer, dem musikalischen Leiter der VBW (Vereinigte<br />
Bühnen Wien), am Klavier. Die beiden haben sich<br />
am selben Tag für die Proben das erste Mal getroffen<br />
und sie dankte ihm mit dem Kompliment: »Michael,<br />
wo bist du mein ganzes Leben nur gewesen?« Sie<br />
sang neben einigen Liedern aus dem Repertoire von<br />
Marlene Dietrich ›Sag mir wo die Blumen sind‹, ›Die<br />
Antwort weiß ganz allein der Wind‹ und aus Bertolt<br />
Brechts/Kurt Weills ›Die sieben Todsünden‹ natürlich<br />
auch Musicallieder: Große Highlights waren<br />
selbstverständlich ihre Sally-Bowles-Nummer aus<br />
»Cabaret« und es gab einen Zwei-Minuten-Ausflug<br />
nach »Chicago«, wo ›All That Jazz‹ sich in ›All That<br />
Cortison‹ verwandelte. Ute Lemper erzählte dann von<br />
den vielen Medikamenten, Pflastern und dergleichen,<br />
die sie immer wieder nehmen musste, um jeden Abend<br />
auf der Bühne stehen zu können. Krank sein war nicht<br />
möglich.<br />
Im Anschluss an den Abend signierte sie noch die<br />
Biographie und CDs für die durchwegs begeisterten<br />
Zuschauer:innen.<br />
Es war schön, einen so bewegten und bewegenden<br />
Abend erleben zu dürfen.<br />
Steffen Wagner<br />
Abb. oben:<br />
»Die Zeitreisende« – Ute Lemper<br />
Foto: Guido Harari<br />
Abb. unten:<br />
Ute Lemper berichtet über ihr Leben<br />
voller Höhen und Tiefen<br />
Foto: Lucas Allen<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
57
Filme & Serien<br />
Zickenterror und große Gefühlsausbrüche<br />
»Mean Girls: Der Girls Club« im Kino<br />
Abb. oben:<br />
v.l. Karen (Avantika), Regina (Renée<br />
Rapp) und Gretchen (Bebe Wood)<br />
zeigen Cady (rechts, Angourie Rice)<br />
ihr Burn Book<br />
Foto: Paramount Pictures<br />
Mean Girls: Der Girls Glub<br />
Paramount Pictures<br />
USA 20<strong>24</strong><br />
Kinostart: 25. Januar 20<strong>24</strong><br />
FSK 6<br />
Länge: 112 min<br />
Regie . Samantha Jayne & Arturo Perez Jr<br />
Drehbuch ............................. Tina Fey<br />
Kamera ............................. Bill Kirstein<br />
Filmschnitt ................. Andrew Marcus<br />
Musik ............................ Jeff Richmond<br />
Songs ........................ Nell Benjamin &<br />
Renée Rapp<br />
Choreographie ............ Kyle Hanagami<br />
Produktionsdesign ...... Kelly McGehee<br />
Kostüme ........................ Tom Broecker<br />
Frisuren & Make-up ...... Dennis Bailey<br />
Produktion .......... Tina Fey, Erin David<br />
Cady ............................. Angourie Rice<br />
Regina ............................. Renée Rapp<br />
Janis ............................. Auli´i Cravalho<br />
Damian .......................... Jaquel Spivey<br />
Karen .................................... Avantika<br />
Gretchen ........................... Bebe Wood<br />
Aaron .................... Christopher Briney<br />
Ms Norbury .......................... Tina Fey<br />
Ansehen und Beliebtheit sind für die meisten<br />
Teenager und jungen Erwachsenen von großer<br />
Wichtigkeit. Nicht zuletzt durch die sozialen Medien<br />
werden das Verhalten und der Status geprägt, oberflächliche<br />
Ansichten und Meinungen inklusive. Bereits<br />
2004 thematisierte Tina Fey – Schauspielerin, Drehbuchautorin<br />
und Produzentin – die High-School-Zeit<br />
mit ihren Klischees im Drehbuch zur Komödie »Mean<br />
Girls«. 2<strong>01</strong>3 entstand aus der Filmidee ein Musical<br />
mit dem Buch von Fey, Lyrics von Nell Benjamin und<br />
Musik von Jeff Richmond. Mit einem abermals überarbeiteten<br />
Drehbuch von Fey bringen Samantha Jayne<br />
und Arturo Perez Jr die Musicalkomödie mit frischem<br />
Wind ab 25. Januar auf die Leinwand.<br />
Der Film beginnt mit einer Warnung von Janis<br />
(Auli’i Cravalho) und Damian (Jaquel Spivey), zwei<br />
Außenseitern der High School, an der sich die sonderbare<br />
Geschichte zweier rivalisierender Mädchen<br />
ereignet hat: ›A Cautionary Tale.‹<br />
Anschließend schwenkt die Kamera nach Kenia,<br />
wo die 16-jährige Cady (Angourie Rice) die letzten<br />
Jahre zusammen mit ihrer Mutter lebte, die dort<br />
ihren wissenschaftlichen Forschungen nachging und<br />
Homeschooling für ihre Tochter betrieb. Cady liebt<br />
ihr Leben in der Natur, und doch fragt sie sich immer,<br />
wie es wäre, woanders zu leben und ein ganz normaler<br />
Teenager zu sein: ›What Ifs‹. Als ihre Mutter in die<br />
USA versetzt wird, hofft Cady, genau jenes typische<br />
Teenagerleben an der North Shore High School zu finden.<br />
Doch der erste Tag stimmt sie wenig euphorisch:<br />
Niemand beachtet sie und wenn doch, dann wenden<br />
sich die Schüler von der Fremden ab. Cady fühlt sich<br />
dermaßen verunsichert, dass sie ihre Pause auf dem<br />
Mädchenklo verbringt, wo Janis und Damian sie aufspüren.<br />
Sie nehmen Cady unter ihre Fittiche.<br />
In der Mensa trifft Cady erstmals auf die selbsterklärte<br />
Schulkönigin Regina George (Renée Rapp),<br />
die nicht nur ihre Freundinnen Karen (Avantika) und<br />
Gretchen (Bebe Wood) im Griff hat, sondern scheinbar<br />
die gesamte Schülerschaft, die sie verehrt und<br />
gleichzeitig fürchtet (›Meet the Plastics‹). Als Cady<br />
von der angesagten Mädchenclique dazu eingeladen<br />
wird, an ihrem Tisch zu sitzen, ist sie erfreut. Trotz der<br />
Warnungen von Janis und Damian, dass Regina eine<br />
intrigante Bitch ist, nimmt Cady die Einladung an.<br />
Der Tag wird noch besser, als Cady im Mathekurs<br />
Aaron (Christopher Briney) kennenlernt und sich auf<br />
den ersten Blick in ihn verliebt: ›Stupid With Love‹.<br />
Als Cady das erste Mal von Regina zu sich nach<br />
Hause eingeladen wird, erfährt sie, dass Aaron deren<br />
Exfreund ist, und wird von Gretchen und Karen<br />
gewarnt, die Finger von ihm zu lassen. In einem<br />
Gespräch mit Gretchen erkennt Cady zudem, dass<br />
Regina selbst ihren angeblichen Freundinnen gegenüber<br />
übergriffig und ignorant ist. Gretchen leidet darunter,<br />
gibt sich aber selbst die Schuld: ›What’s Wrong With<br />
Me?‹. Ein Blick in das »Burn Book«, in dem die Clique<br />
alle Meinungen über ihre Klassenkamerad:innen festhält,<br />
erschreckt Cady und vermittelt ihr einen ersten<br />
Eindruck von Reginas berechnender Natur.<br />
Trotz der Warnungen findet Cady immer mehr<br />
Gefallen an Aaron und nimmt freudig seine Einladung<br />
zur Halloween-Party seines Freundes an. Karen nutzt<br />
die Party, um endlich einmal sein zu dürfen, wie sie<br />
sein will (›Sexy‹), und nicht die, zu der Regina sie stets<br />
macht. Das Zusammensein von Cady und Aaron ist<br />
Regina ein Dorn ins Auge. Sie tut alles dafür, um die<br />
Anziehung zwischen den Beiden im Keim zu ersticken:<br />
›Someone Gets Hurt‹. Sie selbst umschwärmt Aaron,<br />
um ihn zurückzuerobern. Als er tatsächlich auf ihre<br />
Verführung anspringt, wird Cady Zeugin dessen. Verletzt<br />
schließt sie sich Janis und Damian an, die eine<br />
Racheparty planen: ›Revenge Party‹.<br />
Cady dreht den Spieß um und beginnt selbst zu<br />
58<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Filme & Serien<br />
intrigieren. Mit Vortäuschung falscher Tatsachen wickelt<br />
sie Aaron um den Finger, der ihr bereitwillig Nachhilfe<br />
erteilt. Im vertraulichen Gespräch mit Karen und Gretchen<br />
gewinnt sie deren Zuneigung und erfährt dabei das<br />
eine oder andere Geheimnis von Regina, was sie nun auszunutzen<br />
weiß. Sie jubelt Regina, die auf ihre Figur achtet,<br />
Proteinriegel unter, deren Kaloriengehalt es in sich<br />
hat. Als sie zusammen bei der Talentshow als sexy Weihnachtsfrauen<br />
auftreten, kommt es zu einem unschönen<br />
Zwischenfall, durch den Regina zum Gespött der Schule<br />
wird. Cadys Ansehen steigt hingegen auf der Beliebtheitsskala<br />
und sie wird sogar zur Ballkönigin nominiert.<br />
Cady genießt die Aufmerksamkeit der Mitschüler und<br />
merkt dabei nicht, dass sie Regina immer ähnlicher<br />
wird. Erst als sich Aaron, Janis und Damian von ihr<br />
abwenden, erkennt sie ihre negative Veränderung. Dies<br />
nutzt Regina aus, um sich für ihren Fall zu rächen:<br />
›Burn World‹. Die gesamte Schülerschaft gerät zwischen<br />
die Fronten, was Janis nicht länger dulden kann<br />
(›I’d Rather Be Me‹). Mit ihren direkten Worten an die<br />
Schülerschaft kann sie endlich alle wachrütteln und<br />
sie dazu animieren, für sich selbst einzustehen, anstatt<br />
sich von anderen bewerten zu lassen. Cady bemüht<br />
sich, ihre Fehler wiedergutzumachen, und kann am<br />
Ende wirklich Sympathien gewinnen: ›I See Stars‹.<br />
Die Kernbotschaft des Musicals fasst der Song ›Not<br />
My Fault‹, den Regina-Darstellerin Renée Rapp selbst<br />
für den Film geschrieben hat, zusammen: Beliebtheit<br />
entsteht nicht durch echte Sympathien, sondern meist<br />
durch oberflächliche Belanglosigkeiten, die nicht hinterfragt<br />
werden.<br />
Der Großteil der Stücke, die Richmond und Benjamin<br />
bereits für das Broadway-Stück geschrieben<br />
und komponiert hatten, wurde komplett für die Leinwandadaption<br />
überarbeitet. Zudem wurden die beiden<br />
neuen Titel ›What Ifs‹ und ›Not My Fault‹ in Zusammenarbeit<br />
mit Reneé Rapp geschrieben. Mit Hilfe der<br />
Songs können die High-School-Mädchen ihre großen<br />
Gefühle entdecken und zugleich die Zuschauer in eine<br />
Fantasiewelt entführen. Choreograph Kyle Hamagami,<br />
der mit Musikgrößen wie Jennifer Lopez und<br />
Justin Bieber arbeitet, hat für die Plastics und ihre<br />
untergebenen Mitschüler einen Mix aus Tanzmoves<br />
zu poppigen Nummern, die an »High School Musical«<br />
erinnern, und nahezu ekstatischen Bewegungen kreiert,<br />
um jedem Charakter ein eigenes Bewegungsvokabular<br />
zu verleihen. Mit seinen ikonischen Dancemoves<br />
orientierte er sich an der Zielgruppe und den TikTok-<br />
Trends, in denen Tanzmomente mit vielen Menschen<br />
zum Hit werden.<br />
Mit der musicalischen Leinwandadaption von<br />
»Mean Girls: Der Girls Glub« reisen wir zurück in die<br />
Zeit als Teenager und erleben die Strukturen der High<br />
School, dominiert von der Beliebtheitsskala hin zur<br />
Rangordnung der Coolness. Unterhaltsam, erschreckend<br />
und mit einem Sound, der zum Mitwippen<br />
einlädt.<br />
Sandy Kolbuch<br />
Abb. unten von links oben:<br />
1. Die Plastics: Gretchen (Bebe<br />
Wood, hinten), Regina (Renée Rapp,<br />
Mitte) und Karen (Avantika)<br />
2. (v.l.) Karen (Avantika), Cady<br />
(Angourie Rice), Regina (Renée Rapp)<br />
und Gretchen (Bebe Wood) bei ihrem<br />
Auftritt bei der Talentshow<br />
3. Auf der Halloween-Party macht<br />
Regina (Renée Rapp) Aaron<br />
(Christopher Briney) schöne Augen<br />
4. Regina (Renée Rapp) ist die<br />
umschwärmte Königin der Schule:<br />
›Burn World‹<br />
Fotos (4): Paramount Pictures<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
59
Filme & Serien<br />
Finde deine Bestimmung<br />
»Wonka« seit dem 7. Dezember im Kino<br />
Abb. oben:<br />
Willy Wonka (Timothée Chalamet)<br />
hat den nächtlichen Schokoladendieb<br />
gefangen: Ein Oompa-Loompa<br />
(Hugh Grant)<br />
Foto: Warner Bros. Entertainment Inc.<br />
Wonka<br />
Warner Bros.<br />
USA 2023<br />
Kinostart: 7. Dezember 2023<br />
FSK 0<br />
Länge: 116 min<br />
Regie & Idee ........................ Paul King<br />
Drehbuch ........................ Paul King &<br />
Simon Farnaby<br />
Entwicklung der Charaktere .................<br />
Roald Dahl<br />
Kamera ................ Chung-hoon Chung<br />
Filmschnitt .................... Mark Everson<br />
Score ................................ Joby Talbot<br />
Songs ............................. Neil Hannon<br />
Music Supervision ...... James A. Taylor<br />
Choreographie ..... Christopher Gattelli<br />
Produktionsdesign .... Nathan Crowley<br />
Kostüme ..................... Lindy Hemming<br />
Hair & Make-up .......... Ivana Primorac<br />
Sounddesign ........... Glenn Freemantle<br />
Produktion ................. David Heyman,<br />
Alexandra Derbyshire,<br />
Luke Kelly<br />
Willy Wonka ........ Timothée Chalamet<br />
junger Willy Wonka ...... Colin O’Brien<br />
Bleacher ............................ Tom Davis<br />
Mrs Scrubitt ................. Olivia Colman<br />
Noodle ............................. Calah Lane<br />
Prodnose ........................... Matt Lucas<br />
Slugworth .................. Paterson Joseph<br />
Fickelgruber ............. Mathew Baynton<br />
Miss Bon Bon .................. Freya Parker<br />
Polizeichef ......... Keegan-Michael Key<br />
Abacus Crunch ................... Jim Carter<br />
Lottie Bell .................. Rakhee Thakrar<br />
Larry Chucklesworth ...... Rich Fulcher<br />
Willys Mutter ................ Sally Hawkins<br />
Oompa-Loompa .............. Hugh Grant<br />
Schon zweimal wurde die Geschichte von »Charlie<br />
und die Schokoladenfabrik«, welche auf dem<br />
Buch von Roald Dahl aus dem Jahr 1964 basiert,<br />
verfilmt: Mel Stuart brachte 1971 den Film mit Musik<br />
von Anthony Newley und Leslie Bricusse heraus. 2005<br />
adaptierte Tim Burton die Handlung mit Johnny<br />
Depp als Willy Wonka. Seit dem 7. Dezember kann<br />
man mit »Wonka« das Prequel im Kino erleben.<br />
Bereits als Kind entdeckte Willy Wonka (Colin<br />
O’ Brien) die Leidenschaft für und den Genuss von<br />
Schokolade, die ihm seine liebende Mutter (Sally<br />
Hawkins) zubereitete. Nach ihrem Tod verfolgte<br />
Wonka (jetzt gespielt von Timothée Chalamet) den<br />
einst gemeinsamen Traum, Schokolade zu fertigen und<br />
zu verkaufen, weiter. Nach Jahren auf See kehrt er dem<br />
Schiff, das über die Jahre sein Zuhause war, und dem<br />
Job als Koch den Rücken. Mit großen Visionen eines<br />
eigenen Ladens (›A Hatful of Dreams‹) geht Wonka in<br />
London an Land. In den Galleries Gourmet betrachtet<br />
er die Auslagen und entdeckt einen leerstehenden<br />
Laden, der seine Träume beflügelt. Doch die ansässige<br />
Polizei vertreibt ihn. Schneller als geahnt hat Wonka<br />
seine wenigen Geldstücke ausgegeben und ihm droht<br />
eine Nacht auf der kalten Straße. Doch ein freundlicher<br />
Fremder namens Bleacher (Tom Davis) nimmt<br />
sich seiner an. Er bringt ihn zu Mrs Scrubitt (Olivia<br />
Colman), die ihn nach Unterzeichnung eines Vertrags<br />
die erste Nacht umsonst in ihrer Pension übernachten<br />
lassen will. Obwohl ihn das im Haus lebende Waisenmädchen<br />
Noodle (Calah Lane) zu warnen versucht,<br />
ist Wonka zuversichtlich, dass er den Vertrag erfüllen<br />
kann und unterzeichnet, ohne das Kleingedruckte zu<br />
lesen.<br />
Am nächsten Morgen macht sich Wonka auf den<br />
Weg in die Galleries Gourmet, um der dort flanierenden<br />
Kundschaft seine Schokolade zu präsentieren:<br />
›You’ve Never Had Chocolate Like This‹. Die<br />
potenziellen Kunden kommen herbei und bestaunen<br />
seine Kreationen und genießen die ihnen angebotenen<br />
Probehäppchen. Das zieht auch die drei ansässigen<br />
Schokoladenfabrikanten Slugworth (Paterson Joseph),<br />
Prodnose (Matt Lucas) und Fickelgruber (Mathew<br />
Baynton) an, die sofort einen Konkurrenten in Wonka<br />
erkennen und ihn vom Polizeichef (Keegan-Michael<br />
Key) entfernen lassen. Ohne einen Taler Verdienst<br />
kehrt Wonka in die Pension zurück, wo er nun das<br />
Ausmaß des Vertrags zu spüren bekommt. Er wird in<br />
die Wäscherei im Keller verbannt, wo er seine Schulden<br />
für penibel aufgelistete Posten – wie etwa die<br />
Nutzung der Treppe – abarbeiten muss. Im Keller trifft<br />
er erneut auf Noodle, die ihm ihre Geschichte erzählt.<br />
Aber auch Miss Bon Bon (Freya Parker), Larry Chucklesworth<br />
(Rich Fulcher), Abacus Crunch (Jim Carter)<br />
und Lotti Bell (Rakhee Thakrar) wurden Opfer des<br />
Betrüger-Duos und arbeiten seit langer Zeit ihre Schulden<br />
ab: ›Scrub Scrub‹.<br />
Von seinen neuen Freunden erfährt Wonka, dass<br />
schon viele versucht haben, Schokolade zu verkaufen,<br />
aber von dem Kartell sofort in ihre Schranken<br />
gewiesen wurden und kurz darauf wie vom Erdboden<br />
verschwanden. Während er ihr seine Lebensgeschichte<br />
erzählt, kreiert Wonka für Noodle, die noch nie in<br />
ihrem Leben Schokolade probiert hat, eine Praline.<br />
Gemeinsam ersinnen sie einen Plan, wie Wonka die<br />
Wäscherei heimlich verlassen kann, um seine Schokolade<br />
zu verkaufen und mit dem Verdienst seine und<br />
Noodles Schulden zu begleichen. Zur gleichen Zeit<br />
trifft sich das Schokoladen-Kartell heimlich unter der<br />
Kirche, um den Polizeichef zu bestechen. Wenn es ihm<br />
gelingt, Wonka aus der Stadt zu vertreiben, wird er mit<br />
lebenslangen Schokoladevorräten versorgt. Er wehrt<br />
sich zunächst gegen die Bestechung, doch sein ›Sweet<br />
Tooth‹ verlangt nach der süßen Sünde.<br />
Am nächsten Morgen setzen Wonka und Noodle<br />
60<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Filme & Serien<br />
ihren Plan in die Tat um: ›Scrub Scrub‹. Heimlich<br />
bringt das Mädchen ihn, in einem Wäschewagen verborgen,<br />
nach draußen. Während sie die Wäsche ausliefert,<br />
versucht Wonka seine Schokolade auf der Straße<br />
zu verkaufen, bis er mit Noodle zurückkehrt. Um den<br />
Verkauf profitabler zu machen, weiht er die Freunde<br />
ein. Er entwirft eine Waschmaschine, die alleine die<br />
Arbeit verrichtet, während sie sich in der Stadt aufteilen.<br />
Der Plan geht auf.<br />
Um die feinste Schokolade herstellen zu können,<br />
benötigt Wonka spezielle Milch, für die er ein besonderes<br />
Tier melken muss. Noodle führt ihn in den Zoo,<br />
wo sie fündig werden: ›For a Moment‹. Die Geschäfte<br />
laufen immer besser und die Freunde können einen<br />
Gewinn verzeichnen, den sie sinnvoll anzulegen<br />
wissen.<br />
Doch in der kommenden Nacht erscheint ein<br />
Oompa-Loompa (Hugh Grant) von den Schokoladeninseln,<br />
der Wonkas Ernte zweier Kakaobohnen<br />
als Diebstahl wertet und nun diesen Verlust durch<br />
Schokolade, die er ihm nachts stiehlt, wieder eintreiben<br />
will: ›Oompa-Loompa‹. Wonka fängt das kleine<br />
Männlein und schließt mit ihm einen Deal, um seine<br />
Schulden zu begleichen.<br />
Die Freunde verwenden ihren Gewinn, um einen<br />
leerstehenden Laden zu renovieren und für eine<br />
Woche zu öffnen, um auf legale Weise Schokolade zu<br />
verkaufen: ›Pure Imagination‹. Das wahr gewordene<br />
Schlaraffenland lockt die Kunden in Scharen an und<br />
die Kasse klingelt. Als jedoch mehrere Kunden nach<br />
dem Verzehr der Schokolade über Unwohlsein klagen,<br />
stoppt Wonka den Verkauf. Das Sortiment wurde<br />
manipuliert, was das Schokoladen-Kartell freut. In<br />
einem Gespräch mit Wonka bieten sie ihm einen<br />
Ausweg aus der Misere an: Verlässt er die Stadt und<br />
verkauft keine Schokolade mehr, wird es für ihn keine<br />
Konsequenzen geben und die Schulden seiner Freunde<br />
werden beglichen. Wonka lässt sich darauf ein, um<br />
Noodle zu schützen, und verlässt schweren Herzens<br />
London: ›Sorry Noodle‹. Als ihm auf dem Schiff<br />
erneut der Oompa-Loompa begegnet, besinnt sich<br />
Wonka eines besseren und kehrt zurück. Gemeinsam<br />
mit seinen Freunden ersinnt er einen neuen Plan, um<br />
die dunklen Machenschaften des Kartells aufzudecken<br />
und ihnen das Handwerk zu legen. Endlich frei, ihren<br />
eigenen Weg zu gehen, widmen sich Wonka und seine<br />
Freunde ihrem nun florierenden Geschäft: ›A World of<br />
Your Own‹.<br />
Paul King, Autor und Regisseur der »Paddington«-<br />
Filme, erzählt die Vorgeschichte des unglaublichen<br />
Erfinders der Schokoladenfabrik Wonka als einen<br />
Mix aus Magie und Musik, Chaos und Emotionen.<br />
In schillernden Farben, mit traumhaften Tanzszenen<br />
und einem mitreißenden Soundtrack verschmelzen<br />
Fantasie und Realität zu einem märchenähnlichen<br />
Gesamtbild. Das Drehbuch von Simon Farnaby (»Paddington<br />
2«) und Paul King basiert auf den Figuren von<br />
Roald Dahl, liefert jedoch eine völlig neue Geschichte,<br />
die vor den Ereignissen aus »Charlie und die Schokoladenfabrik«<br />
spielt. Der Zuschauer lernt mit Willy<br />
Wonka einen jungen Mann kennen, der als Kind die<br />
Liebe zur Schokolade durch seine Mutter erfuhr, und<br />
diese Liebe verbindet ihn nach deren Tod noch weiter<br />
mit ihr. Liebe und Zuneigung, Freundschaft und<br />
Vertrauen sind die großen Themen des Films. So wie<br />
Wonka hat auch Noodle scheinbar niemanden mehr<br />
auf der Welt. Doch sie umgibt ein Geheimnis, das<br />
Wonka lösen kann, sodass es für das augenscheinliche<br />
Abb. unten von links oben:<br />
1. Mrs Scrubitt (Olivia Colman)<br />
versichert Willy Wonka (Timothée<br />
Chalamet), dass der Vertrag in<br />
Ordnung ist<br />
2. (v.l.): Fickelgruber (Mathew<br />
Baynton), Prodnose (Matt Lucas) und<br />
Slugworth (Paterson Joseph) wollen<br />
den Polizeichef (Keegan-Michael Key,<br />
vorne Mitte) bestechen: ›Sweet Tooth‹<br />
3. (v.l.): Abacus Crunch (Jim Carter),<br />
Piper (Natasha Rothwell), Larry<br />
Chucklesworth (Rich Fulcher) und<br />
Lottie Bell (Rakhee Thakrar) wurden<br />
ebenfalls übers Ohr gehauen<br />
Fotos (3): Warner Bros. Entertainment Inc.<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
61
Filme & Serien<br />
Abb. unten von links oben:<br />
1. Willy Wonka (Timothée Chalamet)<br />
träumt vom Erfolg: ›You’ve Never<br />
Had Chocolate Like This‹<br />
2. Noodle (Calah Lane) und Willy<br />
Wonka (Timothée Chalamet) verbindet<br />
Freundschaft: ›For a Moment‹<br />
3. Mrs Scrubitt (Olivia Colman) freut<br />
sich über den neuen Hausgast<br />
4. Willy Wonka (Timothée Chalamet)<br />
hat große Visionen<br />
5. Willy Wonka (Timothée Chalamet)<br />
eröffnet seinen Laden: ›Pure<br />
Imagination‹<br />
6. (vorne v.l.): Willy Wonka<br />
(Timothée Chalamet) bietet Fickelgruber<br />
(Mathew Baynton), Slugworth<br />
(Paterson Joseph) und Prodnose<br />
(Matt Lucas) seine Schokolade zum<br />
Probieren an<br />
Fotos (6): Warner Bros. Entertainment Inc.<br />
Waisenmädchen am Ende ein Happy End gibt, welches<br />
sich auch für Wonka durch die Erfüllung seines<br />
Traums einstellt.<br />
Die zauberhaften, verträumten Kulissen erwecken<br />
den Anschein eines historisch anmutenden<br />
Londons, das mit viktorianischen Bauten und<br />
Straßenzügen und unterirdischen Tunnelsystemen<br />
ebenso in seinen Bann zieht wie die heimelige<br />
Waschküche im Keller der Pension oder deren karge<br />
Zimmer, die Produktionsdesigner Nathan Crowley<br />
(»Tenet«) verantwortet. Die Kostüme von Kostümbildnerin<br />
Lindy Hemming (die »Paddington«-Filme)<br />
spiegeln ebenso die Handlungszeit um 1940 wieder.<br />
Allen voran Willy Wonka in seinem abgewetzten<br />
lila Mantel, den durchlöcherten Schuhen und dem<br />
zerschlissenen Zylinder wirkt wie eine Stilikone. Die<br />
schillernden Anzüge des Kartells und die schmucken<br />
Uniformen der Polizei bilden einen Kontrast zur<br />
abgetragenen Kleidung des Betrüger-Duos, welches<br />
in gedeckten Erdtönen nahezu unscheinbar wirkt<br />
und dadurch bewusst den Blick nicht auf sie lenkt.<br />
Getragen wird die Handlung von der Musik.<br />
Neil Hannon von der Band »The Divine Comedy«<br />
steuerte Originalsongs für den Film bei: ›A Hatful of<br />
Dreams‹, ›You’ve Never Had Chocolate Like This‹,<br />
›Scrub Scrub‹, ›Sweet Tooth‹, ›For a Moment‹ und<br />
›A World of Your Own‹. Lediglich den Song ›Pure<br />
Imagination‹, der für die Filmfassung von 1971 von<br />
Leslie Bricusse & Anthony Newley geschrieben und<br />
von Gene Wilder gesungen wurde, arrangierte Hannon<br />
für den Film neu. Die Songs erzählen mit ihren<br />
ikonischen Texten die Handlung in der Gegenwart<br />
des Films, schließen auch die Vergangenheit der<br />
Figuren mit ein und werfen einen Blick auf ihre<br />
Zukunft. Komponist Joby Talbot, Music Supervisor<br />
James A. Taylor und Musikproduzent Charlie Rosen<br />
haben mit Piano, Akkordeon, Banjo und Dulcimer<br />
einen klangvollen Raum im Stil der 1940er Jahre<br />
geschaffen, in den die Handlung eingebettet ist.<br />
Gefühlvoll, melancholisch, euphorisch, aber auch<br />
trotz aller Aussichtslosigkeit hoffnungsvoll erleben<br />
die Zuschauer ein Meisterwerk der Fantasie, das die<br />
Höhen und Tiefen des Lebens durch eine märchenhafte<br />
Brille bestaunt. »Glaube an deine Träume und<br />
kämpfe für deren Umsetzung« sind die Kernaussagen<br />
des Films, der die ganze Familie zu begeistern<br />
vermag.<br />
Sandy Kolbuch<br />
62<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Filme & Serien<br />
Musicalische Einblicke in das<br />
Leben einer Echse<br />
»Leo« auf Netflix<br />
Die Zeit rinnt dahin und schneller, als man denkt, sind<br />
Tage, Monate und sogar Jahre vorbei. Plötzlich erkennt<br />
man, was man verpasst hat, lernt aber auch zu schätzen, was<br />
man besitzt. Diese melancholische und zugleich erleuchtende<br />
Erkenntnis gewinnt die Echse namens Leo in dem gleichnamigen<br />
Netflix-Animationsfilm, der seit dem 21. November bei<br />
dem Streamingdienst zu erleben ist.<br />
Voller Vorfreude, aber auch mit Sorgen bereiten sich die<br />
Schüler der 5. Klasse auf ihr letztes Schuljahr an der Grundschule<br />
vor: ›Last Year.‹<br />
Auch die Klassentiere – Leo, die Echse, und Squirtle,<br />
die Schildkröte – blicken dem kommenden Schuljahr mit<br />
gemischten Gefühlen entgegen. Vor allem der 74-jährige<br />
Leo, der seit dem Jahr 1949 im gleichen Terrarium im immer<br />
gleichen Klassenzimmer lebt, beginnt über sein Dasein<br />
nachzudenken. Mit dem Wissen, seinem Lebensende näherzukommen,<br />
wünscht er sich, noch etwas zu erleben: ›Lizard’s<br />
Lament.‹<br />
Als die Klassenlehrerin Mrs Salinas ausfällt, übernimmt<br />
Ms Malkin als Vertretungslehrerin ihren Unterricht. Ihre<br />
Anordnung, dass die Klassentiere übers Wochenende mit nach<br />
Hause genommen werden müssen, versetzt Leo in Euphorie –<br />
endlich scheint die Chance zur Flucht aus der Gefangenschaft<br />
gekommen zu sein.<br />
In der Obhut von Summer und ihrer Familie wagt Leo<br />
seinen ersten Ausbruchsversuch. Als er von dem Mädchen<br />
ertappt wird und in seiner Verzweiflung mit ihr zu sprechen<br />
beginnt, klagt sie ihm ihr Leid: ›The Talking Song‹. Mit einem<br />
gutgemeinten Rat hilft er Summer dabei, sich ihren Klassenkameradinnen<br />
zu öffnen und sich mit ihnen anzufreunden.<br />
Als Eli, der von seinen Helikopter-Eltern stets überwacht<br />
wird, Leo am kommenden Wochenende mit nach Hause<br />
nimmt, wagt die Echse den nächsten Ausbruchsversuch.<br />
Erneut scheitert er. Er beschwert sich lautstark und wird dabei<br />
von dem Jungen entdeckt, der nun ebenfalls erfährt, dass Leo<br />
sprechen kann. In einem Gespräch mit ihm lernt Eli, wie er<br />
seinen Gefühlen Ausdruck verleihen kann, um endlich die<br />
Drohne, die ihn stets begleitet, loszuwerden: ›Dear Drone‹.<br />
Da sowohl Summer als auch Eli sich erneut um die Pflege<br />
Leos streiten, bietet Jayda an, ihn mitzunehmen. Schnell findet<br />
auch sie sein Geheimnis heraus. Dass Jayda stets phänomenal<br />
sein muss, um den Erwartungen ihrer Eltern gerecht<br />
zu werden, setzt sie unter Druck, was sie erst im Gespräch mit<br />
Leo erkennt: ›Extra Time (Not That Great)‹. Kurzerhand lädt<br />
sie alle Klassenkameraden zu einer Party ein und entdeckt<br />
Gemeinsamkeiten mit ihren Altersgenossen. Gemeinsam<br />
befreien die Kinder die Tiere des engagierten Zirkus’. Auch<br />
Leo ist seinem Ziel so nahe, doch fällt es ihm plötzlich schwer,<br />
die Kinder alleine zu lassen. Während sich die Kinder um Leo<br />
reißen, bleibt die Schildkröte unbeachtet, was Neid aufkommen<br />
lässt.<br />
Auch Mia, die den Verlust ihres Großvaters nur schwer<br />
verkraften kann, kann durch Leo Trost erfahren: ›Don’t Cry‹.<br />
Jedes Kind fühlt sich besonders, weil es mit Leo sprechen<br />
konnte. Doch als sie herausfinden, dass Leo mit ihnen allen<br />
gesprochen und sie alle gleichermaßen behandelt hat, werden<br />
sie sauer. Um einem Streit vorzubeugen, nimmt Ms Malkin<br />
Leo mit zu sich. Gemeinsam erinnern sie sich an die Zeit, als<br />
die Lehrerin selbst noch Schülerin war: ›Happy‹. Ms Malkin<br />
will die Kinder und Leo versöhnen, doch als die Kinder den<br />
Schulwettbewerb gewinnen, heimst sie das Lob der Schulleitung<br />
ein und entledigt sich der Echse in einem Naturpark. Die<br />
Kinder machen sich auf die Suche nach ihrem Klassentier, das<br />
sie nicht mehr missen wollen: ›When I Was Ten‹.<br />
In Zusammenarbeit mit Schauspieler und Comedian<br />
Adam Sandler entstand das Drehbuch zum Animationsfilm.<br />
Sandler, der im Original zusammen mit seiner Familie den<br />
Figuren seine Stimme leiht, setzte sich früh dafür ein, dass<br />
Musik eine große Rolle spielen sollte. Peppige Songs in<br />
unterschiedlichen Stilrichtungen aus der Feder von Robert<br />
Smigel, in Zusammenarbeit mit Produzent Dan Reitz und<br />
Songwriterin Tiffany Topol, verleihen der Story unterhaltsame<br />
Momente.<br />
»Leo« bringt die wichtigen Aspekte des Lebens auf den<br />
Punkt, untermalt mit stimmigen Songs, die trotz des leicht<br />
belehrenden Charakters gut unterhalten.<br />
Sandy Kolbuch<br />
Abb. oben:<br />
Summer ist überrascht, dass Leo<br />
sprechen kann<br />
Foto: 2023 Netflix<br />
Leo<br />
Netflix<br />
USA 2023<br />
Kinostart: 21. November 2023<br />
FSK 0<br />
Länge: 102 Minuten<br />
Regie ..................... Robert Marianetti,<br />
Robert Smigel,<br />
David Wachtenheim<br />
Drehbuch .................... Robert Smigel,<br />
Adam Sandler,<br />
Paul Sado<br />
Musik ................ Geoff Zanelli (Score),<br />
Robert Smigel (Song)<br />
Production Design ...... Simon Rodgers<br />
Produktion ....................Adam Sandler,<br />
Mireille Soria<br />
Leo ....... Adam Sandler/ Stefan Gossler<br />
Squirtle ..... Bill Burr / Bernd Vollbrecht<br />
Ms. Malkin ................... Cecily Strong /<br />
Denis Gorzelanny<br />
Jayda ............................ Sadie Sandler /<br />
Magdalena Montasser<br />
Summer ..................... Sunny Sandler /<br />
Valentina Bonalana<br />
Eli ......... Roey Smigel / Toni Wegewitz<br />
Mia ............... Reese Lores / Nele Zech<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
63
Abgeschminkt<br />
Es ist für mich keine Belastung, sondern<br />
eine Bereicherung<br />
Barbara Obermeier über ihr Engagement im Verein nestwärme Österreich<br />
auseinandergesetzt habe, hat mich die Frage<br />
meines mittlerweile sehr guten Freundes und<br />
Vertrauten Stefan Konrad sehr gerührt, ob ich<br />
den Verein mit ihm in Österreich leiten und<br />
aufbauen möchte.<br />
Seit Juni 2020 freue ich mich sehr über das mir<br />
gegebene Vertrauen, Vizepräsidentin und im<br />
Vorstand des Vereins zu sein und gemeinsam<br />
mit Stefan Konrad, unserem Präsidenten und<br />
Vorstand, viele schöne Projekte zu realisieren.<br />
<strong>blimu</strong>: Erklären Sie uns kurz, was genau der<br />
Verein eigentlich macht und unterstützt.<br />
Barbara Obermeier beim nestwärme Grätzlzeichenkurs<br />
Foto: nestwärme e.V.<br />
blickpunkt musical: Der Verein nestwärme ist<br />
mittlerweile ein länderübergreifender Verein,<br />
er ist in Deutschland, Luxemburg, der Schweiz<br />
und auch Dank Ihnen in Österreich vertreten.<br />
Wie kam es damals zu der Zusammenarbeit?<br />
Barbara Obermeier: In der Vergangenheit hatte<br />
ich bereits mehrere Charity-Konzerte mit Freunden<br />
und Kollegen organisiert, zum Beispiel für<br />
den Verein Ute Bock mit dem damaligen »Hair«-<br />
Ensemble unserer Produktion aus Amstetten.<br />
Das hatte mich damals sehr erfüllt und ich wollte<br />
das gerne wieder machen, verbunden mit dem<br />
Hintergrund, generell etwas mehr über soziales<br />
Engagement in unserer Gesellschaft zu lernen<br />
und eventuell auch selbst über die Grenzen eines<br />
Charity-Konzertes hinaus unsere Gesellschaft<br />
mitzugestalten. Einer der damaligen Kollegen<br />
war Stefan Konrad. So kam es, dass ich ihn im<br />
Herbst 2<strong>01</strong>9 zufällig auf der Straße in meinem<br />
Bezirk wiedergetroffen habe, da er in die Nachbarschaft<br />
gezogen war. Bei einer Melange hat<br />
er mir erzählt, dass er gerne wieder ein Konzert<br />
organisieren möchte, in diesem Fall für den<br />
Verein nestwärme. Ein mir damals noch unbekannter<br />
Begriff, aber seine Erzählungen über<br />
den Verein und dessen Wirken haben mich doch<br />
sehr beeindruckt und bewegt. Ein paar Wochen<br />
später waren wir bereits mitten in den Vorbereitungen<br />
für das Gründungs-Charity-Konzert, in<br />
der Anker Brotfabrik, des ersten österreichischen<br />
Standortes des Vereins nestwärme Österreich.<br />
Nachdem ich das Wirken des Vereins, dessen<br />
Geschichte in Deutschland und die Gründerinnen<br />
Petra Moske und Elisabeth Schuh immer<br />
intensiver kennengelernt und mich damit<br />
BO: Der Verein nestwärme Österreich nimmt<br />
sich jener Menschen an, die in und durch Krisensituationen<br />
im gesellschaftlichen Abseits<br />
stehen. Dabei sind es vor allem Alleinerziehende<br />
sowie Familien mit behinderten, chronisch<br />
kranken und schwerkranken Kindern,<br />
die unterstützt werden. Auf diese Weise wollen<br />
wir Gemeinschaft, Selbstwirksamkeit, Teilhabe<br />
und Herzensbildung fördern. Wichtig für uns<br />
ist, dass jeder Mensch in unserer Gesellschaft<br />
einen Platz hat und inkludiert wird. Gerade<br />
durch Corona haben wir alle erfahren, was<br />
Isolation für schreckliche Auswirkungen haben<br />
kann, Scham und Angst sind gerade bei unseren<br />
betreuten Familiensystemen ein großes<br />
Thema. Wir versuchen, durch unsere verschiedenen<br />
Projekte einen Ort des Austausches und<br />
der Gemeinschaft zu schaffen. Durch unsere<br />
Sonnenkinder-Camps zum Beispiel bietet<br />
nestwärme Österreich gemeinsam mit unseren<br />
Kooperationspartnern eine kostenfreie Kinderbetreuung<br />
an, in der Kinder österreichweit<br />
in anregender und liebevoller Umgebung gut<br />
versorgt, gut verköstigt und vor allem auch gut<br />
unterhalten werden! Wir möchten Familien in<br />
harten Zeiten landesweit unter die Arme greifen<br />
und deren Kindern eine kostenlose Teilnahme<br />
an den Camps ermöglichen. Kulturvergnügen<br />
ist in Tagen rund um Inflation und die Nachwehen<br />
der Corona-Zeit bedauerlicherweise<br />
für viele Menschen in Österreich ebenfalls<br />
keine Selbstverständlichkeit mehr. Obgleich<br />
der Anspruch auf Kultur, Spiel und Kunst als<br />
eigenständiges Recht im Kanon der UNICEF-<br />
Kinderrechte verankert ist, mangelt es an<br />
Möglichkeiten kostenloser Kulturangebote.<br />
Besonders trifft dies unsere betreuten Familien,<br />
die durch Krisensituationen sowieso im gesellschaftlichen<br />
Abseits stehen. Die Theatertanten<br />
sind eine Aktion unseres Vereins, die es Familien<br />
mit kranken, schwerkranken und behinderten<br />
Kindern/Angehörigen, Familien in finanzieller<br />
Not sowie Alleinerziehenden möglich<br />
64<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Abgeschminkt<br />
Bedürfnisse jedes Einzelnen ständig miteinander<br />
interagieren.<br />
Eine Kultur-Aktion für Familien<br />
<strong>blimu</strong>: Sie sind ja nicht nur einfach »helfende<br />
Hand«, sondern tatsächlich auch im Vorstand –<br />
und das alles neben den vielen Engagements auf<br />
der Bühne. Was an der Arbeit erfüllt Sie so sehr,<br />
dass es all den Stress, der durch die Doppelbelastung<br />
entsteht, wert ist?<br />
Kostenfreies Theatervergnügen für<br />
Kinder und deren Angehörige in Österreich<br />
Termine und Infos unter:<br />
www.nestwaerme-oesterreich.at<br />
macht, gemeinsam einen Theaterbesuch zu<br />
erleben – und das kostenlos! Parallel bieten wir<br />
Resilienz-Kurse und Workshops an, bei denen<br />
ein besonderes Augenmerk auf die Förderung<br />
der Selbstfürsorge unserer Teilnehmer:innen<br />
gelegt wird.<br />
Gut für sich selbst zu sorgen ist ein wichtiges<br />
Thema der Resilienz. Nur wenn wir ein<br />
Bewusstsein für unsere eigenen Bedürfnisse entwickeln,<br />
sind wir in der Lage, auch ein Verständnis<br />
für die Bedürfnisse von anderen Menschen<br />
zu entwickeln – und das ist wichtig, weil die<br />
BO: Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist, dass<br />
es für mich keine Belastung ist, sondern eine<br />
Bereicherung und ein Privileg. Natürlich gehört<br />
dazu an erster Stelle ein großartiges Team.<br />
Rund um Stefan Konrad und mich sind das<br />
Magdalena Hartl, Suzana Galic, Irene Hruska,<br />
Gernot Ottowitz sowie das nestwärme-Team aus<br />
Deutschland, die die gleichen Ziele verfolgen.<br />
Dadurch lässt sich meine Arbeit auf der Bühne<br />
und die Vereinsarbeit gut vereinbaren. Ich bin<br />
sehr dankbar und glücklich, dass uns dieses Vertrauen<br />
entgegengebracht wird und unser Verein<br />
in Österreich auch durch mein Darstellerinnen-<br />
Leben Sichtbarkeit erhält.<br />
Wir befinden uns gerade in der Planung für<br />
das Jahr 20<strong>24</strong> und ich freue mich sehr auf alle<br />
neuen Herausforderungen und Begegnungen.<br />
Ich persönlich empfinde es nicht als selbstverständlich,<br />
in einem Land zu leben, in dem zum<br />
Beispiel kein Krieg herrscht oder ich gesund<br />
und im Wohlstand leben darf. Die Möglichkeit,<br />
mein Umfeld mitzugestalten und gegebenenfalls<br />
etwas zu verbessern und ebenfalls auf<br />
Missstände aufmerksam zu machen, sind für<br />
mich Grundbausteine eines solidarischen und<br />
inklusiven Miteinanders. Ich lerne jeden Tag<br />
neue Dinge, sei es im administrativen Bereich,<br />
der Organisation gemeinsam mit unserem Team<br />
nestwärme Grätzlzeichenkurs<br />
Foto: nestwärme e.V.<br />
und natürlich auch mit den vielen Menschen,<br />
die ich ohne nestwärme nie kennengelernt hätte.<br />
Manchmal sind die Tage stressig, aber gerade<br />
durch die vielen Vernetzungen im Theaterleben<br />
öffnen sich so viele Türen, es gibt viele helfende<br />
Künstlerhände und Kooperationen, die die<br />
Arbeit im Verein erleichtern. Das ist für mich<br />
ein ganz großes Plus in der Vereinsarbeit.<br />
<strong>blimu</strong>: Können Sie sich erinnern, was in all den<br />
Jahren der berührendste Moment in Ihrer Tätigkeit<br />
war?<br />
BO: Es gab so viele Momente, die sehr<br />
berührend waren. Wir werden mit vielen<br />
Schicksalen konfrontiert, angefangen bei den<br />
nestwärme Grätzlzeichenkurs<br />
Foto: nestwärme e.V.<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong> 65
Abgeschminkt<br />
Stefan Konrad, Magdalena Hartl, Felix Martin,<br />
Barbara Obermeier bei der Klimmzug-Aktion<br />
Foto: nestwärme e.V.<br />
Sonnenkinder-Camps, einem Vater zum Beispiel,<br />
der seine Frau bei einem Autounfall verloren hat<br />
und mit seiner Tochter den Kontakt zu unserem<br />
Verein gesucht hat. Wir freuen uns, seitdem mit<br />
ihm bei unseren Aktionen im stetigen Austausch<br />
zu sein, er hilft uns immer bei anstehenden Aktionen,<br />
genauso wie eine Kollegin, die selbst einen<br />
schweren gesundheitlichen Schicksalsschlag<br />
erlitten hat, und auch sie kämpft sich beeindruckend<br />
ins Leben zurück und freut sich über jeden<br />
Moment in der nestwärme-Gemeinschaft. Es sind<br />
die kleinen Momente, die mich zutiefst berühren,<br />
die Gespräche mit einer älteren Frau zum Beispiel,<br />
die bei einem unserer Grätzlzeichenkurse<br />
vorbeiging und sofort von zuhause noch Papier<br />
und Stifte geholt hat, um sich zu uns zu setzen.<br />
Sie erzählte über ihre Einsamkeit im Alltag und<br />
wie schön für sie das gemeinsame Sitzen und<br />
Zeichnen sei. Ein kleines Wort und ein offenes<br />
Ohr können so viel bewirken, umso mehr schätze<br />
ich die große Unterstützung und Präsenz unserer<br />
vielen Musical-Kolleg:innen, die uns immer tatkräftig<br />
bei nestwärme Österreich unterstützen.<br />
Die vielen Stunden des gemeinsamen Gestaltens,<br />
Umsetzens und Erlebens sind für uns ganz<br />
besondere Momente.<br />
<strong>blimu</strong>: Wie können Ihnen Menschen, die jetzt<br />
darauf aufmerksam geworden sind und unterstützen<br />
möchten, am besten helfen?<br />
BO: Im sozialen Engagement gibt es viele<br />
Wege, um zu helfen. Wir sehen uns mit unseren<br />
Vereinsthemen weniger als Konkurrenzangebot<br />
zu vielen großartigen Vereinen in Österreich,<br />
sondern als Ergänzung.<br />
Häufig kommt es vor, dass Menschen, die<br />
bereits in einem Krankenhaus, Hospiz oder<br />
Verein betreut werden, zusätzlich zu dieser<br />
Einrichtung unsere Angebote annehmen, weil<br />
diese eher unterhaltsamer oder sozialer Natur<br />
sind. Wir freuen uns immer über aktive Mithelfer<br />
bei Aktionen, vor Ort oder auch über ein<br />
Sponsoring oder einer Kooperation bei unseren<br />
Angeboten im Bereich Sonnenkinder-Camps,<br />
Theatertanten oder Fundraising. Diesbezüglich<br />
kann man uns gerne über unsere E-Mail-<br />
Adresse office@nestwaerme.org erreichen.<br />
Da wir ein durch Spenden finanzierter Verein<br />
sind, freuen wir uns über jeden Euro, der uns<br />
erreicht. In der Vergangenheit wurde unser Verein<br />
durch Charity-Konzerte oder verschiedene<br />
Spendensammlungen von einzelnen Theatern,<br />
Ensembles oder auch Fanclubs unterstützt.<br />
Wenn man als Privatperson, Schule, Verein<br />
oder Unternehmen Lust hat, selbst aktiv zu<br />
werden und mit einer Aktion Spenden für<br />
nestwärme sammeln möchte, dann freuen wir<br />
uns sehr über ein Engagement und stehen gerne<br />
beratend zur Seite.<br />
Das Interview führte Sabine Haydn<br />
Barbara Obermeier beim Kultursommer auf der Strudelhofstiege<br />
Foto: nestwärme e.V.<br />
Barbara Obermeier spielt und spielte bereits<br />
zahlreiche Hauptrollen auf allen großen Bühnen<br />
im deutschsprachigen Raum, u. a. Sarah (»Tanz<br />
der Vampire«), Elle Woods (»Natürlich blond«),<br />
Maria Magdalena (»Jesus Christ Superstar«) und<br />
Grizabella (»Cats«), Lisa Carew (»Jekyll & Hyde«)<br />
sowie Éponine / Fantine (»Les Misérables«)<br />
Foto: Klara Leschanz<br />
Informationen nestwärme Österreich unter:<br />
www.nestwaerme-oesterreich.at<br />
Spenden:<br />
Hier können Sie uns finanziell unterstützen:<br />
ERSTE BANK<br />
IBAN: AT<strong>24</strong> 2<strong>01</strong>1 1841 9845 16<strong>01</strong><br />
BIC: GIBAATWWXXX<br />
Kontakt:<br />
So können Sie direkten Kontakt mit uns<br />
aufnehmen:<br />
E-Mail: office@nestwaerme.org<br />
nestwärme Österreich – das InklusionsNetzwerk<br />
für Familien<br />
Mölker Gasse 3/4 – AT-1080 Wien<br />
Tel 0043 660<strong>24</strong>00098<br />
Österreich<br />
VBW-Benefiz-Konzert »Gemeinsam für<br />
Kinder in Not« zu Gunsten von nestwärme<br />
im Januar 2023<br />
Foto: Katharina Schiffl<br />
66<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Großbritannien<br />
Unterwegs mit einem jüdischen Rotkäppchen<br />
»Red Riding Hood and The Big Bad Pig« am JW3 in London<br />
Wolf (Lauren Silver) und Red (Gemma Barnett) in der<br />
klassischen Pantomimeszene, in der sie im Wald dem<br />
Gespenst begegnen<br />
Zur Weihnachtszeit sind die meisten Theater in Großbritannien<br />
bis zum letzten Platz gefüllt, wenn »Pantomimes«,<br />
kurz Panto (siehe <strong>blimu</strong> 06/12), gezeigt werden. Es sind<br />
Familienshows, die klassische Märchen wie »Cinderella« oder<br />
»Schneewittchen« mit Musik, Tanz, Gags und Slapsticknummern<br />
jedes Jahr schwungvoll neu erzählen. Sie haben ihre<br />
Wurzeln in der italienischen Commedia dell’arte mit ihrem<br />
festen Satz Figurentypen. Dies gekreuzt mit einer Varietéshow<br />
der britischen Music Halls im 19. Jahrhundert bildet grob ein<br />
Pantomime. Es ist ein Genre für sich und für Kinder ist es dort<br />
oftmals das erste Theatererlebnis.<br />
Im Kulturzentrum JW3 in London ist nun dieses beliebte<br />
Stück Kultur ins jüdische Milieu eingebettet. Das Ergebnis ist<br />
eine grandiose, clevere und warmherzige Unterhaltung, bei<br />
der man sich wundert, warum nicht früher jemand auf diese<br />
Idee gekommen ist.<br />
Autor und Theatermacher Nick Cassenbaum verfasste<br />
»Red Riding Hood and the Big Bad Pig« (»Rotkäppchen<br />
und das große böse Schwein«). Das Lichterfest Chanukka<br />
steht an, aber die Feierlichkeiten sind wegen der gestiegenen<br />
Energiepreise in Gefahr. Zudem verschwinden auf mysteriöse<br />
Weise jüdische Großmütter. Rotkäppchen, hier Red (Gemma<br />
Barnett), möchte Wissenschaftlerin werden und macht sich<br />
auf die Suche nach Energiequellen, um Chanukka zu retten.<br />
Gleichzeitig sorgt sie sich um ihre Großmutter (Tiago<br />
Fonseca). Reds Mutter Mother Hoodman (Debbie Chazen)<br />
hat sich dagegen mit ihrer eigenen Mutter verkracht, was auch<br />
die Beziehung zu ihrer Tochter strapaziert.<br />
Bezüglich des Verbleibs der Großmütter: Ein Wolf (Lauren<br />
Silver) frisst sie, damit er genug Kraft für seine Puste hat. Diese<br />
liefert er an die Energiemaschine des großen, bösen Schweins<br />
(Josh Glanc), das ihn zum Untertan gemacht hat. Das Schwein<br />
verkauft dann die Energie an die Bewohner der Stadt.<br />
Neben dem Chanukka-Fest durchziehen jüdische Einflüsse<br />
die Show auf mehreren Ebenen. Da sind die Figuren:<br />
die emanzipierte, intelligente Tochter, die umsorgende Mutter<br />
und die patente Großmutter. Amüsant ist natürlich, ein<br />
Schwein als Bösewicht zu haben, da Schweinefleisch in der<br />
jüdischen Religion tabu ist.<br />
Das böse Schwein (Josh Glanc) und Mother Hoodman<br />
(Debbie Chazen) vor der Energiemaschine in<br />
seinem Haus<br />
Besonderen Spaß machen die Szenen mit der Großmutter,<br />
eine drahtige, fitte alte Dame, die den Wolf mit List und<br />
wenigen Handgriffen an den Stuhl fesselt, bevor sie sich auf<br />
den Weg macht, um dem Schwein ebenfalls das Handwerk<br />
zu legen. Die Großmutter von einem Mann spielen zu lassen,<br />
d. h. Geschlechterrollen zu tauschen, gehört fest zum Konzept<br />
eines Pantomimes.<br />
Bezeichnend ist auch die Szene, in der Red ihr Körbchen<br />
packt, um sicher durch den Wald zu kommen und nach ihrer<br />
Oma zu sehen. Eingepackt werden ein Chanukkaleuchter, um<br />
im dunklen Wald Licht zu haben, Latkes, also traditionelle<br />
jiddische Kartoffelpuffer, und etwas »Geld«, das zu Chanukka<br />
in Form von Schokoladentalern verschenkt wird. Alles kommt<br />
zur Nutzung, wobei die Latkes eine besondere Kraft haben.<br />
Eine magische Zutat der Oma lässt Kindheitserinnerungen an<br />
Chanukka wach werden, die fies gesinnten Figuren wieder ein<br />
warmherziges Gemüt verleihen.<br />
Zur gewitzten Handlung kommt die beschwingte Musik.<br />
Sie besteht teils aus live gespieltem flotten Klezmer (musikalische<br />
Leitung Josh Middleton) und teils aus bekannten Songs<br />
(natürlich jüdischer Künstler), denen mitunter neue Texte<br />
verpasst wurden. Ein Highlight ist Barbra Streisands ›Don’t<br />
Rain on My Parade‹, das Red singend hinausposaunt, als sie<br />
ihre Ambitionen als angehende Wissenschaftlerin zum Ausdruck<br />
bringt und ihre Mutter ihr einen Dämpfer verpasst, da<br />
sie als jüdische Mama ihre Tochter lieber mit einem Arzt oder<br />
Anwalt verheiratet sähe. Einen speziellen jüdischen Touch liefern<br />
der jiddische Klassiker ›Chiribim Chiribom‹ von 1965 der<br />
»The Barry Sisters« sowie traditionelle Chanukkalieder.<br />
Abi Andersons Inszenierung mit einer erstklassigen<br />
Besetzung bietet eine hervorragende Show, inklusive<br />
Lucie Pankhursts Choreographie und Becky-Dee Trevenens<br />
Ausstattung, die den typischen Panto-Stil mit einer<br />
Mischung aus Improvisation und Glamour aufgreift. Man<br />
ist schon gespannt aufs nächste Jahr und wünscht sich,<br />
dass das jüdische Pantomime nun auch zur Tradition wird.<br />
Sabine Schereck<br />
Red (Gemma Barnett) im Wald auf<br />
dem Weg zu ihrer Großmutter<br />
Fotos (3): Jane Hobson<br />
Red Riding Hood and<br />
The Big Bad Pig<br />
Diverse / Josh Middleton /<br />
Nick Cassenbaum<br />
Plotnek Productions<br />
JW3 London<br />
Uraufführung: 10. Dezember 2023<br />
Direction ....................... Abi Anderson<br />
Musical Direction ....... Josh Middleton<br />
Choreographie ........... Lucie Pankhurst<br />
Design ................ Becky-Dee Trevenen<br />
Red ................................ Gemma Barnett<br />
Mother Hoodman .......... Debbie Chazen<br />
Pig ......................................... Josh Glanc<br />
Wolf ................................... Lauren Silver<br />
Bubbah ............................. Tiago Fonseca<br />
The Bailiff ........................... Yael Elisheva<br />
Ratticus the Rat Cab Driver .....................<br />
........................................... Tracy Bargate<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
67
Musicals in Großbritannien<br />
Tatsächlich bereit für die Nahaufnahme<br />
»Sunset Boulevard« völlig neu inszeniert in Londons Savoy Theatre<br />
Norma (Nicole Scherzinger, Mitte) als Keil zwischen<br />
der jungen Liebe von Betty (Grace Hodgett<br />
Young, l.) und Joe (Tom Francis, r.)<br />
Foto: Marc Brenner<br />
Sunset Boulevard<br />
Andrew Llyod Webber / Don Black /<br />
Christopher Hampton<br />
Savoy Theatre London<br />
Premiere: 12. Oktober 2023<br />
Direction .......................... Jamie Lloyd<br />
Musical Direction &<br />
Music Supervision ....... .Alan Williams<br />
Choreography ................ Fabian Aloise<br />
Fight Direction ................. Kate Waters<br />
Set & Costume Design .... Soutra Gilmour<br />
Lighting Design .............. Jack Knowles<br />
Video Design .............. Nathan Amzi &<br />
Joe Ransom<br />
Sound Design ................. Adam Fisher<br />
Norma Desmond ... Nicole Scherzinger /<br />
Rachel Tucker<br />
Joe Gillis ............................. Tom Francis<br />
Betty Schaefer ..... Grace Hodgett Young<br />
Max von Mayerling ........ David Thaxton<br />
Lisa .......................... Georgia Bradshaw<br />
Young Norma ........................................<br />
...................... Hannah Yun Chamberlain<br />
Camera Operator ............... Jordan Cork<br />
Camera Operator ... Catherine Cornwall<br />
Sheldrake ............................. Tyler Davis<br />
Dorothy.................... Kamilla Fernandes<br />
Artie ............................. Ahmed Hamad<br />
Myron / Jones ........................... Carl Au<br />
Catherine ....................... Laura Harrison<br />
Joanna / Guard ........ Charlotte Jaconelli<br />
Nancy ..................... Olivia-Faith Kamau<br />
John .............................. Luke Latchman<br />
Mary / Heather ................. Emma Lloyd<br />
Jean ............................... Mireia Mambo<br />
Camera Operator .... Shayna McPherson<br />
Sammy ............................ Gregor Milne<br />
Finance Man / Frank ..... Kody Mortimer<br />
Finance Man / Cecil B. DeMille ............<br />
............................................. Jon Tsouras<br />
Morino / Hog-Eye ....... Charlie Waddell<br />
In weiteren Rollen:<br />
Lara Denning, Michael Lin,<br />
Jon Reynolds, Kirsty Anne Shaw,<br />
Harrison Wilde, Lillie-Pearl Wildman<br />
Keine große Treppe, keine Villa, keine prächtigen<br />
Kostüme – alle, die die originale Produktion lieben<br />
und genau das wieder erwartet haben, werden vermutlich<br />
enttäuscht sein. Alle, die aber bereit sind, sich auf<br />
eine moderne, mutige Neuinterpretation einzulassen,<br />
werden begeistert sein.<br />
»Sunset Boulevard« gilt allgemein nicht als das<br />
beste Stück von Andrew Lloyd Webber, aber wenn<br />
man es wirklich herunterbricht auf Musik und Text,<br />
wie es hier vom Regisseur Jamie Llyod gemacht wurde,<br />
merkt man, wie stark das Grundgerüst ist. Dieses ist<br />
angelehnt an eine griechische Tragödie, bei der es auch<br />
unausweichlich auf das tragische Ende hinausläuft –<br />
und in dieser Inszenierung wurde diese Unausweichlichkeit<br />
intensiviert. Ohne das Stück in die Jetztzeit zu<br />
transferieren hat der Regisseur es dennoch verjüngt und<br />
somit den Zuschauern angepasst. Ein Beispiel hierfür:<br />
Alle Charaktere, die auf damaligen Geschehnissen<br />
basieren, wie z. B. Charles Lindbergh, werden bis auf<br />
zwei Ausnahmen (Max von Mayerling und Cecil B.<br />
DeMille), nicht mehr erwähnt. Zudem wurden die<br />
Szenen ›Die Rechnung zahlt die Dame‹ sowie ›Ein bisschen<br />
Leiden‹ gestrichen. Interessanterweise vermisst<br />
man diese Szenen in dieser Inszenierung nicht. Es gibt<br />
auch nahezu keine Requisiten, viele Sachen basieren<br />
und passieren tatsächlich nur auf und in der Fantasie<br />
der Zuschauer. Für eingefleischte »Sunset«-Fans ist so<br />
eine Interpretation sehr spannend, für Menschen, die<br />
allerdings das Stück zum allerersten Mal sehen, kann<br />
das zu herausfordernd sein. Dies ist ein Kritikpunkt,<br />
der durchaus auch in den Fachmedien Englands<br />
immer wieder genannt wird und nachvollziehbar ist.<br />
Das neu inszenierte Finale lässt den Puls höherschlagen,<br />
hier gibt es eine markante Veränderung, wie sie<br />
auch vorab schon an vielen Textstellen erkennbar<br />
ist. Als Rolle verändert hat sich auch Betty Schaefer.<br />
Anders als es das klassische Frauenverständnis der<br />
50er Jahre hergibt, ist diese nun eine echt taffe junge<br />
Frau, die Joe mit großer Vehemenz begegnet und das<br />
klare Ziel ihres ersten eigenen Drehbuchs verfolgt.<br />
Gänzlich neu interpretiert wurde von Alan Williams<br />
auch das Underscoring. Dies ist ein absolutes Highlight<br />
für jeden, der die Musik mag, und man kann<br />
nur hoffen, dass es noch einmal eine CD-Aufnahme<br />
der kompletten Show geben wird, damit diese teils<br />
grandios neu interpretierten Songzitate auch zuhause<br />
genossen werden können.<br />
Zur Einzigartigkeit dieser Inszenierung trägt auch<br />
der Einsatz der Kameras bei. Die Bilder werden auf<br />
eine bühnengroße, bewegliche Leinwand projiziert,<br />
so dass echte Nahaufnahmen entstehen können. Die<br />
Kameraleute sind alles Ensemblemitglieder, so dass sie<br />
nie wie Fremdkörper wirken, sondern aus der Kombination<br />
von Bühnengeschehen und Projektionen ein<br />
einmaliges Seherlebnis entsteht. Die Kameraführung<br />
lässt auch einen gänzlich neu entstehenden Eindruck<br />
der Anfangsszene des zweiten Aktes zu: Joe befindet<br />
sich hier nicht auf der Bühne, sondern wird von den<br />
Kameraleuten noch in seiner Garderobe / auf dem<br />
Weg zur Bühne, auch durch die Garderobe von Norma<br />
gehend, gefilmt. Hierdurch bildet sich fast eine ganz<br />
neue Metaebene, in der Joe nicht einfach nur den Song<br />
singt, sondern weit mehr die Rolle eines Kommentators<br />
einnimmt. In dieser Szene werden dann auch<br />
Bezüge zu den »alten« Inszenierungen aufgebaut, hier<br />
sieht man einen Affen, den es hier vorher nie auf der<br />
Bühne gab, hier erwähnt Norma via Schreiben mit<br />
Lippenschrift »Mad about the boy«, selbst eine Pappfigur<br />
von Andrew Lloyd Webber kommt vor. Der Darsteller<br />
geht auch tatsächlich aus dem Theater hinaus,<br />
geht einmal um das Theater herum und kommt erst zu<br />
den letzten Takten des Songs wieder herein und singt<br />
tatsächlich nur noch die letzte Liedzeile auf der Bühne.<br />
Der stärkste Moment dieser Kamera ist allerdings ein<br />
68<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in Großbritannien<br />
anderer: Es gibt hier, wie schon in der letzten Version<br />
mit Glenn Close, auch eine junge Norma Desmond.<br />
Mit einem Kameratrick werden einmal die beiden<br />
Gesichter auf der Bühne überblendet, so dass aus der<br />
jungen Norma die alte Norma sowie umgekehrt wird.<br />
Dieser Moment ist ausgesprochen intensiv und bleibt<br />
noch lange im Gedächtnis.<br />
Jamie Lloyd hat die ganze Show mit Nicole Scherzinger<br />
im Hinterkopf inszeniert. Diese ist tatsächlich<br />
ein Star mit einem ausgeprägten Charisma und wenn<br />
so jemand die Rolle der Norma Desmond spielt, ist<br />
es noch mal ein ganz anderes Erlebnis. Sie hat eine<br />
bekanntermaßen fantastische Stimme mit wunderschöner<br />
Klangfarbe, den meisten dürfte aber bisher<br />
unbekannt sein, welch großes Schauspieltalent sie<br />
auch auf die Bühne mitbringt. In einem Interview<br />
erwähnt sie, dass Lloyd sie während der Probenzeit<br />
immer ermutigt hat, auch schauspielerisch noch mehr<br />
Selbstvertrauen zu haben, noch kompromissloser zu<br />
sein – am Ende des Abends kann man ganz klar das<br />
Fazit ziehen, dass sie dies getan hat und es sich absolut<br />
auszahlt. Persönliche Geschmackssache ist ihr übertriebenes<br />
Spiel mit der Kamera, was Rachel Tucker als<br />
Norma Desmond weniger auslebt. Während Scherzinger<br />
in typische Instagram-Posen geht, bleibt Tucker<br />
weit normaler. Tucker hat eine vermutlich noch stärkere<br />
Grundstimme als Scherzinger, dadurch gelingt<br />
ihr die Partitur fast noch spielerischer. Mit ihrem sehr<br />
überzeugenden Schauspiel als Bühnendarstellerin<br />
gleicht sie das vielleicht etwas fehlende Starappeal aus,<br />
welches Scherzinger als Weltstar mit sich bringt. Beide<br />
Besetzungen sprechen für sich und sind gleichermaßen<br />
lohnend.<br />
Tom Francis als Joe Gillis wirkt wie ein moderner<br />
junger Mann von heute, seine Stimmfarbe ist eher<br />
im Rock-/Popbereich beheimatet, passt aber sehr gut<br />
in diese Form der Inszenierung. David Thaxton als<br />
Max von Mayerling hat bereits eine lange West-End-<br />
Karriere mit namhaften Stücken in seinem Lebenslauf.<br />
Gesanglich liefert er eine super Show, sein Max hat<br />
auch keinen, wie sonst gern im angloamerikanischen<br />
Raum angelegt, übertriebenen deutschen Akzent.<br />
Insbesondere ›The Greatest Star of All‹ war ein echtes<br />
Highlight des Abends. Für Grace Hodgett Young ist<br />
Betty Schaefer die erste Rolle im West End, mit der sie<br />
es auch dank des Transfers verdient an den Broadway<br />
schaffen wird.<br />
Das Bühnenbild und die Kostüme von Soutra<br />
Gilmour sind sehr schlicht gehalten. Alles ist schwarzweiß<br />
und modern, durch das Lichtdesign von Jack<br />
Knowles wirkt es aber dennoch alles andere als einfach.<br />
Die Veränderungen der Szenen werden so tatsächlich<br />
meisterhaft gezeigt, das starke Zusammenspiel von<br />
Szene, Darstellern und Licht ist tatsächlich einzigartig.<br />
Es gibt in Summe sehr viel mehr Bewegungen auf<br />
der Bühne als in den anderen Inszenierungen, sehr<br />
moderne Bewegungsabläufe werden äußerst kraftvoll<br />
umgesetzt. Auch Norma tanzt tatsächlich beeindruckend.<br />
Fabian Aloise hat als Choreograph wirklich<br />
hoch ästhetische und ausdrucksstarke Arbeit geleistet,<br />
die sich nahtlos in das intensiv ausgearbeitete Gesamtkonzept<br />
einfügt.<br />
Zusammenfassend funktioniert diese Inszenierung<br />
sicherlich so gut, weil alle Gewerke so hervorragend<br />
miteinander kombiniert wurden und harmonieren.<br />
Dadurch entstehen Momente, in denen man wirklich<br />
im Publikum sitzt und nur noch »Wow« denken kann.<br />
Auch wenn es ganz sicherlich insbesondere für Kenner<br />
der Show ein überaus intensives Erlebnis ist, lässt sich<br />
doch für jeden sagen, dass das, was an diesem Abend<br />
im Theater passiert, in der Musicalwelt einzigartig ist.<br />
Henning Lang & Sabine Haydn<br />
Abb. oben:<br />
Ein wahrhafter Star – Norma<br />
Desmond (Nicole Scherzinger)<br />
kann auch, aber nicht nur mit ›Nur<br />
ein(em) Blick‹ überzeugen<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Im Ensemble ausgesprochen gut<br />
eingearbeitet sind die Kameramenschen,<br />
die mit der Technik eine<br />
einzigartige Atmosphäre schaffen<br />
2. Norma Desmond (Nicole<br />
Scherzinger, l.) verführt Joe (Tom<br />
Francis, r.) mit Geld und dem<br />
Glamour eines Stars<br />
3. Betty Schaefer (Grace Hodgett<br />
Young) und Joe (Tom Francis)<br />
kommen sich näher<br />
4. Im gelungenen Spiel mit den<br />
Nahaufnahmen stehen hier die<br />
Gefühlsregungen von Max von<br />
Mayerling (David Thaxton) im<br />
Mittelpunkt<br />
Fotos (5): Marc Brenner<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
69
Musicals in den USA<br />
Die Geschichte kultureller Authentizität<br />
Uraufführung von »Buena Vista Social Club« Off-Broadway<br />
Young Compay (Jared Machado) und Ensemble<br />
Foto: Ahron R. Foster<br />
Buena Vista Social Club<br />
»Buena Vista Social Club« /<br />
Marco Ramirez<br />
Atlantic Theatre New York<br />
Uraufführung: 13. Dezember 2023<br />
Direction .......................... Saheem Ali<br />
Music Direction ............ Marco Paguia<br />
Music Supervision ..... Dean Sharenow<br />
Music Team Led ............ David Yazbek<br />
Choreography ....... Patricia Delgado &<br />
Justin Peck<br />
Scenic Design ...... Arnulfo Maldonado<br />
Costume Design ............... Dede Ayite<br />
Wigs, Hair & Make-up .... J. Jared Janas<br />
Lighting Design ........... Tyler Micoleau<br />
Sound Design ............ Jonathan Deans<br />
Eliades ......................... Renesito Avich<br />
Omara ............ Natalie Venetia Belcon<br />
Young Omara .............. Kenya Browne<br />
Young Haydee ....... Danaya Esperanza<br />
Rubén González ....................................<br />
......................... Jainardo Batista Sterling<br />
Young Rubén ............ Leonardo Reyna<br />
Ibrahim Ferrer ..................... Mel Semé<br />
Young Ibrahim .............. Olly Sholotan<br />
Juan De Marcos ................... Luis Vega<br />
Compay Segundo ............ Julio Monge<br />
Young Compay ........... Jared Machado<br />
In weiteren Rollen<br />
Skizzo Arnedillo, Angélica Beliard,<br />
Carlos Falú, Francisco J. González,<br />
Héctor Juan Maisonet, Ilda Mason,<br />
Marielys Molina, Justin Showell,<br />
Nancy Ticotin<br />
Es gibt wenige Musikarten, die so emotional sind<br />
und zur Bewegung mitreißen wie kubanische<br />
Musik und Songs. Ihr euphorischer Effekt, der<br />
die Seele fliegen und den Körper sich bewegen<br />
lässt, wurde in dem neuen Musical »Buena Vista<br />
Social Club« wunderbar eingefangen. Dieses spielt<br />
am Off-Broadway im Atlantic Theatre im West-<br />
Chelsea-Bezirk von Manhattan. Basierend auf<br />
dem Hit-Album von 1997 mit demselben Titel<br />
und dem Dokumentarfilm von Wim Wenders<br />
(1999) über die älteren Musiker, die diese Musik<br />
spielten, ist die Show nicht nur eine musikalische<br />
Revue: Das Buch des kubanischen Amerikaners<br />
Marco Ramirez ist eine Geschichte von kultureller<br />
Authentizität und der Unüberwindlichkeit des<br />
kreativen Geistes.<br />
Ramirez konstruiert ein cleveres Spiel mit der<br />
Erinnerung, das zwischen den Aufnahmesitzungen<br />
von 1996 und 1956 hin und her springt, dem<br />
letzten Jahr des im Abstieg begriffenen Regimes<br />
von Fulgencio Batista und dem Beginn der kommunistischen<br />
Revolution unter Fidel Castro. Die<br />
Ereignisse werden im Wesentlichen durch die<br />
fiktionalisierten Erfahrungen einer der Originalsängerinnen<br />
des Albums, Omara Portuondo (herausragend:<br />
Natalie Venetia Belcon), erzählt. In den<br />
Szenen, die in den 1950er Jahren spielen, treten<br />
sie (die jüngere Omara wird von Kenya Browne<br />
dargestellt) und ihre Schwester Haydee (Danaya<br />
Esperanza) als lebensfrohes und talentiertes Duo<br />
mit kommerziellen Nummern im El Tropicana<br />
Hotel auf, das sich im Wesentlichen an amerikanische<br />
Touristen wendet. Omara ist unzufrieden<br />
mit den künstlerischen Beschränkungen, die ihr<br />
der Veranstalter auferlegt, und sucht sich Gleichgesinnte<br />
in einem anderen Stadtviertel im Buena<br />
Vista Club, wo Künstler aller Rassen auftreten:<br />
Ibrahim Ferrer (Mel Semé), Gitarrist und Sänger<br />
Compay Segundo (Julio Monge) und Pianist<br />
Rubén González (Jainardo Batista Sterling). Ihre<br />
jüngeren Ichs in den 50ern werden von Olly Sholotan,<br />
Jared Machado und Leonardo Reyna gespielt.<br />
Die älteren Bandmitglieder treffen 1996 wieder<br />
zusammen, um »music from the old days« (Musik<br />
aus den guten alten Zeiten) aufzunehmen – das<br />
resultierende Album wird allgemein dafür verantwortlich<br />
gemacht, dass die kubanische Musik<br />
endlich die ihr zustehende Anerkennung bekam.<br />
Durch die Jahrzehnte sah Omara Liebhaber<br />
kommen und gehen und Träume entstehen und<br />
vergehen. Die Beziehung zwischen ihr und ihrer<br />
Schwester Haydee wurde für immer zerstört.<br />
Omara, hart geworden durch persönliche Schicksalsschläge<br />
und künstlerische Krisen (und generell<br />
mit einem schwierigen künstlerischen Temperament<br />
ausgestattet) kommt nicht über die Entfremdung<br />
von ihrer Schwester hinweg, die nach der<br />
Machtergreifung Castros aus Kuba floh.<br />
Die Leidenschaften der kubanischen Musikstile<br />
Son, Boleros und Guajiras passen perfekt zur<br />
Handlung. Charaktere, Handlung, Musik und<br />
Tanz (darüber später mehr) werden ausbalanciert<br />
70<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Musicals in den USA<br />
von Regisseur Saheem Ali, der das ganze Projekt<br />
auch entwickelte. David Yazbek, der den Tony-<br />
Award-Gewinner »The Band’s Visit« inszenierte<br />
(was ebenfalls am Atlantic Theatre am Off-<br />
Broadway seine Uraufführung feierte), fungierte<br />
als künstlerischer Berater; die Ähnlichkeiten im<br />
künstlerischen Ansatz beider Produktionen sind<br />
offensichtlich.<br />
Ein Einheitsbühnenbild von Arnulfo Maldonado,<br />
dessen Ausstattung für die Produktion<br />
»Strange Loop« ebenfalls mit dem Tony Award<br />
ausgezeichnet wurde, ist inspiriert von einer verfallenden<br />
Fassade mit Balkonen im spanischen<br />
Kolonialstil; der Bühnenraum davor dient als<br />
Aufnahmestudio und als Buena Vista Club.<br />
Eine spektakuläre Band mit elf Mitgliedern (alle<br />
Latinos/as) spielen fünfzehn kubanische Songs,<br />
darunter einige aus dem berühmten Album von<br />
1997. Es gibt jede Menge Möglichkeiten für die<br />
Instrumentalsolisten, sich hervorzutun, was der<br />
Flötist Hery Paz am besten für sich nutzt (und die<br />
kontrollsüchtige Omara zu dem Stoßseufzer »Wer<br />
hat nur die Flöte in die kubanische Musik eingebaut?«<br />
veranlasst).<br />
Das überraschende Element in »Buena Vista<br />
Social Club« ist der Tanz, choreographiert von<br />
der kubanischen Amerikanerin Patricia Delgado,<br />
die Primaballerina am Miami City Ballet war, und<br />
ihrem Mann Justin Peck, der die Choreographie<br />
für Steven Spielbergs Remake-Film von »West<br />
Side Story« schuf und der einen Tony Award für<br />
seine Choreographie für das Revival von Rodgers’<br />
und Hammersteins »Carousel« (2<strong>01</strong>8) gewann.<br />
Die Choreographie, mit Elementen aus Ballett,<br />
Jazz, Calypso und Tango, wird atemberaubend<br />
von sechs Tänzern ausgeführt. Sie passt nicht nur<br />
hervorragend zu der Leidenschaft der kubanischen<br />
Musik, sondern ist auch erstaunlich athletisch,<br />
besonders in Anbetracht der relativ begrenzten<br />
Bühne des Atlantic Theatre.<br />
Omaras Leben ist voller Pathos; schlussendlich<br />
ist »Buena Vista Social Club« eine fröhliche Feier<br />
der universellen Kraft der Musik sowohl in der<br />
allgemein menschlichen Erfahrung als auch der<br />
kulturellen Identifikation. Hoffen wir, dass es an<br />
den Broadway kommt und dort ein größeres Publikum<br />
findet.<br />
Dan Dwyer<br />
Dt. v. Merit Murray<br />
Abb. unten von oben:<br />
1. Omara (Natalie Venetia Belcon,<br />
l.) und Compay Segundo (Julio<br />
Monge, r.)<br />
2. Omara (Natalie Veneta Belcon, l.)<br />
mit ihrem jüngeren Ich (Kenya<br />
Browne)<br />
3. (v.l.): Young Compay (Jared<br />
Machado), Young Omara (Kenya<br />
Browne) und Young Ibrahim (Olly<br />
Sholotan)<br />
4. Das Ensemble von »Buena Vista<br />
Social Club«<br />
Fotos (4): Ahron R. Foster<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
71
Anno... 1964<br />
Was war anno… 1964<br />
Wir schauen zurück in die Musicalgeschichte<br />
Düsseldorfer Schauspielhaus statt.<br />
Die Geschichte rund um die Heiratsvermittlerin<br />
Dolly Levi zählt bis heute zu den Musicals mit<br />
den meisten Produktionen weltweit.<br />
»Lady in Paris« – Paul Hörbiger und Zarah Leander<br />
Foto: brandstaetter images/Votava/Süddeutsche Zeitung Photo<br />
Die Geschichte des Musicals ist reichhaltig gefüllt,<br />
jedes Jahr hat seine ganz eigenen Stücke hervorgebracht<br />
und immer wieder ist man erstaunt, wenn<br />
man realisiert, wie lange die Uraufführung eines<br />
Musicals doch her ist. An dieser Stelle möchten wir<br />
in Zukunft Jahrzehnt für Jahrzehnt durchgehen.<br />
Da wir in jedem Jahr sechs Ausgaben herausbringen,<br />
blicken wir daher auf die letzten sechs Jahrzehnte<br />
zurück. Den Anfang in unserer <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />
macht das Jahr 1964.<br />
Hello, Dolly!<br />
16. Januar, St. James Theatre NY<br />
Jerry Herman (Songtexte und Musik) und<br />
Michael Stewart (Buch) haben nach der Vorlage<br />
von Thornton Wilders »The Matchmaker« ein<br />
Musical der Extraklasse geschaffen.<br />
Elf Tony-Award-Nominierungen führten zu<br />
zehn tatsächlich gewonnenen Awards, zusammen<br />
mit »South Pacific« war dies ein Rekord, der<br />
37 Jahre lang hielt, bis er von »The Producers«<br />
mit zwölf Tony Awards übertroffen wurde. Die<br />
Verfilmung des Musicals mit Barbra Streisand<br />
1969 wurde für sieben Oscars nominiert und<br />
gewann davon drei. Das Originalalbum stand<br />
sieben Wochen auf Nummer 1 der Billboard<br />
Pop Album Charts und wurde dort von Louis<br />
Armstrongs Album »Hello, Dolly!« abgelöst.<br />
Es war das Top-Album des Jahres 1964 und<br />
gewann auch einen Grammy Award als »Bestes<br />
Musical Theater Album«, Armstrong bekam<br />
zwei weitere für seine Version. Es gab inzwischen<br />
vier Broadway-Revivals, das letzte im Jahr 2<strong>01</strong>7<br />
mit Bette Midler wurde für zehn Tony Awards<br />
nominiert und konnte immerhin vier davon mit<br />
nach Hause nehmen.<br />
Die Show kam am 2. Dezember ans Drury Lane<br />
Theatre im Londonder West End und dort auf<br />
794 Vorstellungen (am Broadway waren es in<br />
der Originalversion 2.844). Die deutschsprachige<br />
Erstaufführung in der Übersetzung von<br />
Robert Gilbert fand am 26. November 1966 im<br />
Funny Girl<br />
26. März, Winter Garden Theatre NY<br />
Das Musical von Jule Styne (Musik), Bob Merrill<br />
(Texte) und Isobel Lennart (Buch) erzählt von der<br />
stürmischen Liebe der Komikerin Fanny Brice<br />
zu Nick Arnstein. Barbra Streisand feierte einen<br />
großen Erfolg in der Hauptrolle, obwohl der Weg<br />
des Stücks bis zur Premiere am Broadway durchaus<br />
schwierig war.<br />
Ray Stark, der Schwiegersohn von Fanny Brice,<br />
wollte unbedingt einen Film über Brice machen,<br />
lehnte aber die Drehbücher von elf Autoren ab,<br />
bevor Lennart ihres einreichte. Dieses wurde von<br />
Mary Martin gelesen, die damals als Muse von<br />
Rodgers & Hammerstein galt und vorschlug, statt<br />
eines Films ein Musical aus dem Stoff zu machen.<br />
Stark bot es Stephen Sondheim an, der aber wiederum<br />
Martin ablehnte, da sie keine Jüdin war.<br />
Sowohl Martin als auch Sondheim verloren dann<br />
das Interesse. Bob Fosse, zwischenzeitig als Regisseur<br />
mit an Bord, konnte ebenfalls nicht langfristig<br />
gehalten werden. Auf Fosse folgte Garson Kanin als<br />
Regisseur, doch zwischen ihm und Streisand kam<br />
es zum Zerwürfnis, nachdem er das Lied ›People‹<br />
aus der Show streichen wollte – dieses war allerdings<br />
schon als Single aufgenommen worden und<br />
äußerst erfolgreich, so dass auch der Produzent auf<br />
dem Verbleib im Stück beharrte. Durch die vielen<br />
Änderungen am Buch und die sehr verhaltenen<br />
Kritiken während der Tryouts wurde die Premiere<br />
am Broadway in Summe fünf Mal verschoben. Die<br />
Show brachte es dort dann aber doch auf respektable<br />
1.348 Vorstellungen, bekam acht Tony-Award-<br />
Nominierungen, gewann aber keinen. Streisand<br />
spielte bis zu ihrer Schwangerschaft die Rolle dann<br />
auch in London am West End.<br />
Im Jahr 2<strong>01</strong>5 kam ein Revival des Musicals wieder<br />
ans West End, allerdings in einer von Harvey Fierstein<br />
überarbeiteten Version. Die gesamte geplante<br />
Spielzeit in der Menier Chocolate Factory war<br />
innerhalb eines Tages ausverkauft und hält bis heute<br />
den Rekord für die am schnellsten ausverkaufte<br />
Show dort. 2022 kam es dann auch in dieser Version<br />
zu einem Broadway Revival. Die deutschsprachige<br />
Erstaufführung in der Übersetzung von Werner<br />
Schneyder (Liedtexte) und Liselotte Knob (Buch)<br />
fand 1972 am Theater der Stadt Essen statt. 1992<br />
gab es dann eine Überarbeitung der deutschen<br />
Texte von Heidi Zerning.<br />
Das Musical wurde erfolgreich<br />
verfilmt (ebenfalls<br />
mit Streisand); das Sequel<br />
»Funny Lady« konnte<br />
hingegen Zuschauer und<br />
Kritiker nicht überzeugen.<br />
72<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
Anno... 1964<br />
Zero Mostel 1964 in »Fiddler on the Roof«<br />
Foto: Graphic House, New York / gemeinfrei,<br />
via Wikimedia Commons<br />
Fiddler on the Roof<br />
22. September, Imperial Theatre NY<br />
Der große, noch immer ungebremste Siegeszug<br />
von »Fiddler on the Roof« (in Deutschland<br />
unter »Anatevka« bekannt geworden) begann<br />
offiziell 1964 am Broadway. Jerry Bock (Musik),<br />
Sheldon Harnick (Liedtexte) und Joseph Stein<br />
(Buch) schrieben das Musical, welches u. a. auf<br />
der Geschichte »Tevye and His Daughters« von<br />
Sholem Aleichem basiert. Sie hätten sich sicher<br />
niemals vorstellen können, dass die Geschichte des<br />
Milchmanns in der Stadt Anatevka auch 60 Jahre<br />
später noch überall und stetig gespielt wird.<br />
Es gewann neun Tony Awards und war am Broadway<br />
das erste Stück, welches mehr als 3.000 Shows<br />
am Stück spielte. Es hielt diesen Rekord für fast 10<br />
Jahre, bis es dann von »Grease« abgelöst wurde.<br />
Es gab bisher fünf Broadway Revivals, 1990 dann<br />
sogar noch einmal einen weiteren Tony Award.<br />
Noch bevor das Stück nach London kam, feierte<br />
es 1966 in den Niederlanden europäische Erstaufführung.<br />
Am 1. Februar 1968 setzte dann der<br />
Siegeszug auch im deutschsprachigen Raum<br />
ein – das Stück wurde von Rolf Merz und<br />
Gerhard Hagen übersetzt und im Hamburger<br />
Operettenhaus gespielt.<br />
Aufgrund des großen Erfolgs am Broadway wurde<br />
es dann 1971 verfilmt, Stein selbst adaptierte<br />
dafür das Buch. Der Film erhielt acht Oscar-<br />
Nominierungen, gewann drei davon und war der<br />
finanziell erfolgreichste Film 1971.<br />
2<strong>01</strong>9 folgte dann eine Dokumentation: »Fiddler:<br />
A Miracle of Miracles«.<br />
Weitere Broadwayshows aus dem Jahre 1964:<br />
What Makes Sammy Run?<br />
Ervin Drake (Musik und Liedtexte)<br />
Budd & Stuart Schulberg (Buch)<br />
basierend auf Budd Schulbergs gleichnamiger<br />
Novelle<br />
Uraufführung 15. Februar, 54th Street Theatre,<br />
540 gespielte Vorstellungen, eine Tony-Award-<br />
Nominierung<br />
Foxy<br />
Ian McLellan Hunter & Ring Lardner Jr (Buch)<br />
Johnny Mercer (Liedtexte)<br />
Robert Emmet Dolan (Musik)<br />
Uraufführung 16. Februar, Ziegfeld Theatre,<br />
72 gespielte Vorstellungen, zwei Tony-Award-<br />
Nominierungen sowie einen erhaltenen Tony<br />
Award.<br />
Anyone Can Whistle<br />
4. April, Majestic Theatre NY<br />
Stephen Sondheim (Musik und Texte) und Arthur<br />
Laurents (Buch) schrieben dieses Stück, welches<br />
wahrlich kein großer Erfolg wurde. Die Satire,<br />
die den Wahnsinn der Normalen beschreibt,<br />
wurde nach durchwachsenen Kritiken nach nur<br />
12 Vorpremieren und neun Vorstellungen wieder<br />
geschlossen, und dies, obwohl die damals bereits<br />
bekannte Angela Lansbury hiermit ihr Broadwaymusicaldebüt<br />
feierte.<br />
Die deutschsprachige Erstaufführung in der Übersetzung<br />
von Martin G. Berger fand am 10. Februar<br />
2<strong>01</strong>2 in der ufaFabrik in Berlin als Hörspiel/<br />
Lesung statt. Szenisch umgesetzt wurde es dann<br />
erstmalig vom Mecklenburgischen Staatstheater<br />
in Schwerin mit Premiere am 5. April 2022.<br />
High Spirits<br />
Hugh Martin & Timothy Gray (Buch, Liedtexte<br />
und Musik)<br />
baiserend auf dem Schauspiel »Blithe Spirit« von<br />
Noël Coward<br />
Uraufführung 7. April, Alvin Theatre, 375 gespielte<br />
Vorstellungen, acht Tony-Award-Nominierungen<br />
Fade Out – Fade In<br />
Betty Comden & Adolph Green (Buch und<br />
Liedtexte)<br />
Jule Styne (Musik)<br />
Uraufführung 26. Mai, Mark Hellinger Theatre,<br />
274 gespielte Vorstellungen, eine Tony-Award-<br />
Nominierung<br />
Golden Boy<br />
Clifford Odets & William Gibson (Buch)<br />
Lee Adams (Liedtexte)<br />
Charles Strouse (Musik)<br />
Uraufführung 20. Oktober, Majestic Theatre,<br />
568 gespielte Vorstellungen, vier Tony-Award-<br />
Nomierungen<br />
Ben Franklin in Paris<br />
Sidney Michaels (Buch und Liedtexte)<br />
Mark Sandrich Jr & Jerry Herman (Musik)<br />
Uraufführung 27. Oktober, Lunt-Fontanne<br />
Theatre, 215 gespielte Vorstellungen<br />
Something More!<br />
Sammy Fain (Musik)<br />
Marilyn & Alan Bergman (Liedtexte)<br />
Nate Monaster (Buch)<br />
basierend auf Gerald Greens Novelle »Portofino<br />
P.T.A.«<br />
Uraufführung 28. Oktober, Eugene O´Neill<br />
Theatre, 14 Previews und 15 gespielte Vorstellungen<br />
Bajour<br />
Ernest Kinoy (Buch)<br />
Walter Marks (Musik und Liedtexte)<br />
basierend auf Kurzgeschichten von Joseph<br />
Mitchell<br />
Uraufführung 23. November, Shubert Theatre mit<br />
Umzug ins Lunt-Fontanne Theatre, 232 gespielte<br />
Vorstellungen, zwei Tony-Award-Nominierungen<br />
I Had a Ball<br />
Jerome Chodorov (Buch)<br />
Jack Lawrence & Stan Freeman (Musik und<br />
Liedtexte)<br />
Premiere 15. Dezember, Martin Beck Theatre,<br />
199 gespielte Vorstellungen<br />
Nennenswerte Produktionen im Londoner<br />
West End:<br />
Instant Marriage<br />
Bob Grant (Text)<br />
Laurie Holloway (Musik)<br />
Uraufführung 1. August, Piccadilly Theatre,<br />
366 gespielte Vorstellungen<br />
Maggie May<br />
Alun Owen (Buch)<br />
Lionel Bart (Musik und Liedtexte)<br />
Uraufführung 22. September, Adelphi Theatre,<br />
5<strong>01</strong> gespielte Vorstellungen<br />
Robert and Elizabeth<br />
Ronald Millar (Buch und Liedtexte)<br />
Ron Grainer (Musik)<br />
Uraufführung 20. Oktober, Lyric Theatre, 948<br />
gespielte Vorstellungen<br />
Our Man Crichton<br />
Herbert Kretzmer (Buch und Liedtexte)<br />
David Lee (Musik)<br />
basierend auf J. M. Barries »The Admirable<br />
Crichton«<br />
Premiere 22. Dezember, Shaftesbury Theatre,<br />
208 gespielte Vorstellungen<br />
Uraufführungen im deutschsprachigen Raum:<br />
Lady aus Paris<br />
22. Oktober, Raimund Theater, Wien<br />
Peter Kreuder (Musik) und Karl Farkas (Texte und<br />
Buch) orientierten sich an Oscar Wildes »Lady<br />
Windermeres Fächer«, als sie dieses Musical schrieben.<br />
Bei der Uraufführung standen ausgesprochen<br />
namhafte Schauspieler:innen auf der Bühne: Paul<br />
Hörbiger und Zarah Leander, die in dem Stück<br />
auch ihre berühmten Lieder ›Die Liebe geht seltsame<br />
Wege‹ oder ›Ich bin eine Frau mit Vergangenheit‹<br />
sang. Die Wiener Inszenierung kam als<br />
Gastspiel 1965 an das Theater des Westens, Berlin.<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong> 73
Anno... 1964<br />
Während die Musicallandschaft im Westen<br />
Deutschlands noch sehr verhalten war, produzierte<br />
der Osten eine beachtliche Menge an Musical-<br />
Uraufführungen, wenngleich die wenigsten davon<br />
heutzutage noch einen Bekanntheitsgrad haben:<br />
Seitensprünge<br />
10. Januar, Landestheater Eisenach<br />
Rolf Weber-Harnisch (Musik)<br />
Manfred Hüttner (Pseudonym) (Text)<br />
Rendezvous am Schwarzen Meer<br />
26. Januar, Städtische Bühnen Magdeburg<br />
Joachim Widlak (Musik)<br />
Günter Kurth (Text)<br />
Kennen Sie Felix?<br />
16. Februar, Elbe-Elster-Theater Wittenberg<br />
Fred Walde (Musik)<br />
Renate Oeser (Text)<br />
nach dem Roman »Tür zu, es zieht« von Rudolf<br />
Bartsch<br />
Klug war die Lisa<br />
28. Februar, Theater der Stadt Cottbus<br />
Rolf Kuhl (Musik)<br />
Andreas Bauer & Laszlo Nadasi (Text)<br />
Küssen verboten<br />
14. März, Volkstheater Rostock<br />
Manfred Nitschke (Musik)<br />
Heinz Hall & Hans Peter (Text)<br />
Die Nacht ist mein Tag<br />
15. März, Kleist-Theater Frankfurt an der Oder<br />
Miloš Vacek (Musik)<br />
Ivo Havlu & Josef Pavec (Texte)<br />
Deutsche Übersetzung von Edi Weeber-Fried<br />
Geschichten meiner Frau<br />
28. März, Landestheater Parchim<br />
Hans Henkels (Musik)<br />
Ralph Wiener (Buch)<br />
Hans Peter (Liedtexte)<br />
Der Diener zweier Herren<br />
7. Juni, Theater der Altmark Stendal<br />
Sven Bokownew (Musik)<br />
Christian Bleyhoeffer (Buch)<br />
Piet Drescher (Liedtexte)<br />
Casanova geht baden<br />
2. Juli, Landestheater Eisenach<br />
Rolf Weber-Harnisch (Musik)<br />
Holger Eckert (Text)<br />
Mein Freund Bunbury<br />
2. Oktober, Metropol-Theater Berlin<br />
Das Musical von Gerd Natschinksi (Musik),<br />
Jürgen Degenhardt (Liedtexte und Buch) und<br />
Helmut Bez (Buch) orientiert sich an der Komödie<br />
»The Importance of Being Earnest« von Oscar<br />
Wilde. Das Musical wurde 1967 in Kaiserslautern<br />
zum ersten Mal auch in Westdeutschland gespielt.<br />
Das erfolgreiche Musical, welches während der<br />
wilden 1920er Jahre in London spielt, wurde<br />
1970 sogar mit Rex Gildo verfilmt und wird noch<br />
heute immer wieder in deutschsprachigen Theatern<br />
gespielt. Die Originalaufnahme ist heutzutage<br />
(mittlerweile auf CD) noch erhältlich.<br />
Der Mann, der Dr. Watson war<br />
6. Oktober, Friedrichstadt-Palast Berlin<br />
Gerhard Kneifel (Musik)<br />
Helmut Bez & Jürgen Degenhardt (Texte)<br />
Musical kam 1964 auch äußert prominent<br />
im Kino vor – mit zwei Meilensteinen der<br />
Filmgeschichte:<br />
Mary Poppins<br />
Walt Disney Productions<br />
27. August 1964<br />
Bill Walsh & Don DaGradi (Buch)<br />
Richard M. & Robert B. Sherman (Musik &<br />
Liedtexte)<br />
basierend auf den Büchern »Mary Poppins« von<br />
P. L. Travers<br />
»Mary Poppins« ist einer der erfolgreichsten Disney-Filme,<br />
er schaffte es, 13 Oscar-Nominierungen<br />
zu bekommen (erhalten hat er dann fünf) und hält<br />
damit den Rekord der meisten Nominierungen aus<br />
dem Hause Disney. Zudem ist es der einzige Film<br />
zu Lebzeiten von Walt Disney, der als »Bester<br />
Film« nominiert wurde. Als kulturell, historisch<br />
und ästhetisch wichtig wurde er viele Jahre später<br />
in die »Library of Congress« aufgenommen.<br />
2<strong>01</strong>3 wurde mit »Saving Mr. Banks« verfilmt,<br />
wie schwierig der Weg von Walt Disney hin zu<br />
dem Film war. 2<strong>01</strong>8 erschien dann mit »Mary<br />
Poppins Returns« der zweite Teil, in dem Dick<br />
Van Dyke sowie auch Karen Dotrice noch einmal<br />
zu sehen sind.<br />
Julie Andrews, die das eigenwillige Kindermädchen<br />
spielt, war zuerst enttäuscht, weil sie<br />
eigentlich mit der Rolle der Eliza Doolittle bei<br />
der Verfilmung von »My Fair Lady« gerechnet<br />
hatte, welche sie zuvor jahrelang mit Rex Harrison<br />
an ihrer Seite am Broadway gespielt hatte.<br />
Eine gewisse Genugtuung dürfte sie dann wohl<br />
verspürt haben, als Audrey Hepburn bei den<br />
Oscars nicht einmal eine Nominierung erhielt,<br />
Andrews hingegen die Auszeichnung mit nach<br />
Hause nehmen durfte. Walt Disney war von<br />
ihr so überzeugt, dass er den Drehstart sogar<br />
Screenshot aus »Mary Poppins«<br />
Foto: Disney / gemeinfrei via Wikimedia Commons<br />
verschob, nachdem Andrews bei der Vertragsunterzeichnung<br />
im dritten Monat schwanger war.<br />
P. L. Travers war mit der Art, wie Walt Disney<br />
den Film gestaltete, so unzufrieden, dass<br />
Cameron Mackintosh bei den Verhandlungen<br />
rund um das Musical zusichern musste, dass<br />
nur Autoren aus Großbritannien an dem Werk<br />
arbeiten würden und niemand aus der Filmproduktion<br />
direkt involviert sein würde.<br />
Audrey Hepburn mit Kameramann Harry<br />
Stradling während der Dreharbeiten zu »My<br />
Fair Lady« (Warner Bros.)<br />
Foto: gemeinfrei via Wikimedia Commons<br />
My Fair Lady<br />
Warner Bros. Production<br />
21. Oktober 1964<br />
Alan Jay Lerner (Buch)<br />
Frederick Loewe (Musik)<br />
basierend auf dem gleichnamigen Musical<br />
»My Fair Lady« wurde am 15. März 1956 im Mark<br />
Hellinger Theatre am Broadway uraufgeführt, Julie<br />
Andrews spielte Eliza Doolittle, Rex Harrison war als<br />
Henry Higgins an ihrer Seite. Das Musical, welches<br />
Lerner und Loewe basierend auf George Bernard<br />
Shaws Schauspiel »Pygmalion« geschrieben hatten,<br />
war so erfolgreich, dass die Warner Bros. Studios die<br />
Rechte dafür erwarben. Jack Warner wollte zuerst<br />
Cary Grant für die Rolle des Higgins, dieser lehnte es<br />
allerdings ab, für ihn gäbe es nur einen Higgins und<br />
das sei Harrison. Bei der Besetzung der Eliza blieb<br />
Warner allerdings stur – statt auf den Broadway-Star<br />
Andrews zu vertrauen, setzte er lieber auf Audrey<br />
Hepburn. Sie spielte die Rolle sehr süß, es stellte sich<br />
allerdings heraus, dass ihre gesanglichen Künste bei<br />
weitem nicht ausreichten, so dass nahezu jeder ihrer<br />
Songs (mit Ausnahme von ›Just You Wait‹) von Marni<br />
Nixon gedubbt wurden. Auch Jeremy Bretts (Freddy)<br />
Lieder wurden von Bill Shirley gedubbt.<br />
Einen technischen Fortschritt löste Harrison aus – da<br />
er sich weigerte, die Lieder vorab einzusingen, war es<br />
der erste Film, in dem ein Darsteller mit einem kabellosen<br />
Mikrofon ausgestattet wurde. Hierfür wurde<br />
die Sound Abteilung anschließend mit einem Oscar<br />
ausgezeichnet.<br />
Als Gegenspieler zu Disneys »Mary Poppins« ging der<br />
Film mit zwölf Oscar-Nominierungen ins Rennen,<br />
von denen er acht gewann. Fünf Jahre nach »Mary<br />
Poppins« wurde auch er als kulturell, historisch und<br />
ästhetisch wertvoll in die »Library of Congress«<br />
aufgenommen.<br />
Sabine Haydn<br />
Quellen: musicallexikon.eu / wikipedia.com / broadway.com /<br />
playbill.com / SZ.de<br />
74<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
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75
News<br />
02/20<strong>24</strong> – 03/20<strong>24</strong><br />
Fotos: Dennis Mundkowski<br />
Die Jubiläumsgala – 8 Jahre First Stage<br />
Mit einer atemberaubenden Show rocken über 40<br />
begabte Nachwuchskünstler:innen die Bühne zum<br />
8-jährigen Jubiläum des First Stage Theaters. Dabei<br />
lässt es sich Stage School Chef Dennis Schulze nicht<br />
nehmen, persönlich Regie zu führen. Diese Gala ist<br />
ein Leckerbissen, von dem Musik- und Theaterfans<br />
träumen. Den Zuschauer erwartet ein unvergesslicher<br />
Abend mit hinreißenden Tanzszenen, großen<br />
Ensemblenummern und gefühlvollen Balladen - dargeboten<br />
von jungen Künstler:innen, von denen viele<br />
zum ersten Mal in ihrem Leben im Rampenlicht stehen.<br />
firststagehamburg.de<br />
SAVE THE DATE: Tag der Offenen Tür<br />
Am 6. April 20<strong>24</strong> öffnet die Stage School Hamburg die Türen zum Unterricht.<br />
Wer schon immer einmal wissen wollte, wie das anspruchsvolle Trainings- und Ausbildungsprogramm<br />
der rund 200 Schülerinnen und Schüler in der 4000 qm großen<br />
Bühnenfachschule abläuft, sollte sich diesen Termin nicht entgehen lassen. Vor allem<br />
junge Talente, die sich ernsthaft mit dem Gedanken an eine Profiausbildung beschäftigen,<br />
erhalten hier einen wirklichkeitsgetreuen Blick hinter die Kulissen. Auftritte auf der<br />
hauseigenen Probenbühne vervollständigen das Programm. Als besonderes Highlight<br />
gibt es aktive „Mitmach-Klassen“. Die Besucher können Gespräche mit den Lehrenden<br />
führen, sich mit den Schüler:innen austauschen und der Schulleitung und den<br />
Mitarbeiter:innen Fragen stellen. Kurzum –der Stage School mal so richtig auf den<br />
Zahn fühlen! Details und Infos: stageschool.de<br />
Camera Acting mit<br />
Herbert Trattnigg<br />
Er hat unzählige „Stagies“ im Bereich Schauspiel auf<br />
ihre Bühnenkarriere vorbereitet und viele Jahre selbst<br />
auf der Bühne und vor der Kamera gestanden. Darüber<br />
hinaus begleitet er als Acting-Coach die Dreharbeiten<br />
beim Tatort. Als Schauspieldozent der Stage<br />
School gibt Herbert Trattnigg sein Wissen nicht nur im<br />
regulären Unterricht weiter, sondern auch in einem Camera-Acting<br />
Grundlagenkurs. Neben den ersten Schritten im Spiel vor der Kamera<br />
bereitet die Masterclass intensiv auf die Anforderungen des E-Castings vor. Am Ende<br />
entwickeln und drehen die Schüler:innen eigene Showreel-Szenen, die auch als Demoband<br />
bei Bewerbungen genutzt werden können.<br />
20<strong>24</strong><br />
Im März startet die Stage School mit<br />
9 Terminen in 7 Städten in Deutschland,<br />
Österreich und der Schweiz mit<br />
der Casting Tour. Nach dem großen<br />
Erfolg der letzten Jahre freut sich<br />
Casting-Direktorin Anja Launhardt mit<br />
ihrem Team erneut darauf, mit zahlreichen Talenten in einem intensiven Einzeltraining<br />
zu arbeiten und die Aufnahmeprüfung abzunehmen.<br />
Alle Infos und Anmeldung unter stageschool.de/ausbildung/casting-tour<br />
Foto: Dennis Mundkowski<br />
Intensiv<br />
Workshops<br />
Die Workshop-Saison 20<strong>24</strong><br />
ist wieder angelaufen. Mit den<br />
bundes weit stattfindenden Intensiv-<br />
Workshops kann die Aufnahmeprüfung<br />
für die Profiausbildung ersetzt<br />
werden. Besonders begabte<br />
Teilnehmer:innen haben die Möglichkeit,<br />
über die Workshops zur<br />
Stipendiumsprüfung an die Stage<br />
School eingeladen zu werden.<br />
Infos und Anmeldung unter<br />
stageschool.de oder<br />
+49 40 355 407-43/-87<br />
Weiterbildung: Masterclass-Highlights<br />
Fitness & Ernährung mit Tobias Rosenthal<br />
Ein zusätzliches Highlight der Profiausbildung<br />
sind die Fitness-Unterrichtsstunden für alle Schüler:innen<br />
im On Stage Trainingscenter, welches<br />
im Gebäude der Stage School ansässig ist. Darüber<br />
hinaus sorgt Dozent und Diplom-Sportwissenschaftler<br />
Tobias Rosenthal im Rahmen einer<br />
Masterclass mit einem Bodyweight- und Konditionstraining<br />
für ordentlich Muskelkater. Der theoretische<br />
Teil ist nicht minder hochkarätig und beinhaltet<br />
trainingswissenschaftliche Grundlagen,<br />
Ernährung, Prophylaxe und stärkende Routinen für<br />
den anspruchsvollen Schulalltag. Zum Abschluss<br />
können alle bei einer Deep-Rest-Meditation mit<br />
Atemübungen für die Tiefenentspannung wieder<br />
Kraft tanken.<br />
Foto: Dennis Mundkowski<br />
26.02. bis 16.03.<br />
Die große Jubiläumsgala<br />
26.<strong>01</strong>. bis 17.04.<br />
China Girl
Mit Unterstützung von sound of music<br />
Neues<br />
Neues<br />
zusammengestellt von Sandy Kolbuch, Sound of Music<br />
• »The Greatest Night in Pop« skizziert<br />
musikalischen Meilenstein<br />
»The Greatest Night in Pop«<br />
Foto: Netflix 20<strong>24</strong><br />
Zugunsten der afrikanischen Hungerhilfe<br />
trafen sich am 25. Januar 1985 Dutzende der<br />
größten Namen der Musikszene in einem<br />
Studio in Los Angeles, um gemeinsam einen<br />
Song aufzunehmen: ›We Are the World‹. Der<br />
Song schrieb Geschichte und veränderte die<br />
Popkultur weltweit. Der Dokumentarfilm »The<br />
Greatest Night in Pop« bebildert das enorme<br />
Unterfangen, die imposanteste Supergruppe<br />
der damaligen Zeit in einer Welt zusammenzubringen,<br />
die noch keine Handys und E-Mails<br />
kannte. Bisher unveröffentlichtes Filmmaterial<br />
zeigt die frühen Planungsphasen, einschließlich<br />
der Sessions zum Verfassen des Songtextes<br />
mit Lionel Richie und Michael Jackson, sowie<br />
Einblicke hinter die Kulissen der berühmten<br />
Henson Studios. Zu sehen sind Richie, Bruce<br />
Springsteen, Smokey Robinson, Cyndi Lauper,<br />
Kenny Loggins, Dionne Warwick und Huey<br />
Lewis. Die Produktion der Doku verantworten<br />
Regisseur Bao Nguyen und Produzentin Julia<br />
Nottingham, die schon gemeinsam bei der<br />
Bruce-Lee-Dokumentation »Be Water« gearbeitet<br />
haben. Netflix veröffentlicht die Doku<br />
am 29. Januar 20<strong>24</strong>.<br />
• Hommage an Bob Marley<br />
Am 15. Februar 20<strong>24</strong> bringt Paramount<br />
Pictures mit dem Biopic »Bob Marley: One<br />
Love« das Werk und Leben des weltbekannten<br />
jamaikanischen Musikers, der zur Ikone wurde,<br />
auf die Leinwand. Der Film, der u. a. von Marleys<br />
Sohn Ziggy produziert wird, gewährt einen<br />
tiefen Einblick in das Leben des Reggae-Sängers.<br />
Die Zuschauer erleben Marleys Karriere in den<br />
1970er Jahren vor dem Hintergrund seines in<br />
sich zerrissenen Heimatlandes und begeben sich<br />
auf die Spuren seiner Kindheit und Jugend in<br />
Jamaika. Marleys Erfahrungen spiegelten sich<br />
stets in seiner Musik wider, wenn er von Befreiung,<br />
Liebe und Einigkeit sang.<br />
• Kommende Neuererscheinungen<br />
CD Tammy Grimes – Tammy Grimes<br />
31. Januar 20<strong>24</strong><br />
CD Mein Freund Bunbury – Studio Cast Berlin<br />
1964<br />
31. Januar 20<strong>24</strong><br />
Waitress – The Musical (Alle Regionen) (DVD /<br />
Blu-ray)<br />
6. Februar 20<strong>24</strong><br />
CD Melissa Errico – Sondheim In The City<br />
16. Februar 20<strong>24</strong><br />
CD The Color Purple – Original Filmsoundtrack<br />
Musicalverfilmung 2023<br />
23. Februar 20<strong>24</strong><br />
CD Mean Girls – Original Filmsoundtrack<br />
20<strong>24</strong><br />
23. Februar 20<strong>24</strong><br />
CD Rod Stewart – Swing Fever<br />
23. Februar 20<strong>24</strong><br />
The Prince Of Egypt – Original London Cast<br />
(DVD / Blu-ray)<br />
26. Februar 20<strong>24</strong><br />
LP Sweeney Todd – Broadway Revival Cast<br />
2023<br />
1. März 20<strong>24</strong><br />
16-köpfiges<br />
Live-<br />
Orchester<br />
Kingsley Ben-Adir als Bob Marley in »Bob<br />
Marley: One Love«<br />
Foto: Paramount Pictures<br />
WELTURAUFFÜHRUNG April 20<strong>24</strong><br />
Petersberg bei FULDA<br />
Text & Idee: Steffen Dargatz<br />
Musik: Steffen Dargatz & Max Möller<br />
Arrangement: Winfried Möller<br />
Produktion: Virtuoso – DIE MUSICALFABRIK<br />
folgt uns auf<br />
TICKETS SICHERN!<br />
scAN Me<br />
blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong> 77
Ausblick blickpunkt musical Ausgabe 128<br />
Auch die kommende Ausgabe wird wieder prall gefüllt sein. Unter<br />
anderem freuen sich unsere Redakteure in Deutschland auf den<br />
Start der großen »SIX The Musical« Tournee in Berlin, ebenso<br />
wie auf »China Girl« und »Bittersüße Zitronen« in Hamburg und<br />
»Hanf. Ein berauschender Abend« in Schwedt.<br />
Österreich hat auch einige Großpremieren zu bieten – die Uraufführung<br />
von »Die Königinnen« wird in Linz stattfinden, in Wien<br />
kommt mit »Luziwuzi« ebenfalls ein ganz neues Stück auf die<br />
Bühne und in Baden bei Wien kann man ab Februar die »Titanic«<br />
wieder sinken sehen.<br />
Natürlich schauen wir auch in die Schweiz, wo in St. Gallen »Rent«<br />
aufgeführt wird.<br />
Wir möchten Sie hier aber auch noch einmal auf unsere Webseite<br />
www.blickpunktmusical.<strong>online</strong> aufmerksam machen, wo<br />
zusätzlich zu Ticker-News, Kalender und Kurz-Kritiken auch<br />
immer wieder längere Artikel erscheinen, zum Beispiel über kleinere<br />
Konzerte oder Tournee-Produktionen, die nicht das erste Mal<br />
gespielt werden, aber doch eine Erwähnung wert sind.<br />
Impressum<br />
JS Hauptstädter Wortspiele UG<br />
Graacher Straße 12<br />
12<strong>24</strong>7 Berlin<br />
Abonnements<br />
Tel. +49 (0)176 816 787 68<br />
abo@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />
Herausgeber und Verlag<br />
JS Hauptstädter Wortspiele UG<br />
info@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />
Redaktion<br />
blickpunkt musical<br />
Graacher Straße 12<br />
12<strong>24</strong>7 Berlin<br />
redaktion@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />
Chefredaktion<br />
Sabine Haydn<br />
sabine.haydn@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />
Bildredaktion<br />
Birgit Bernds<br />
birgit.bernds@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />
bildredaktion@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />
Mitarbeiterinnen<br />
Birgit Bernds<br />
Dr. Merit Murray<br />
Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe<br />
Eva Baldauf<br />
Susanne Baum<br />
Birgit Bernds<br />
Dr. Stephan Drewianka<br />
Dan Dwyer<br />
Sabine Haydn<br />
Martina Friedrich<br />
Ingrid Kernbach<br />
Sandy Kolbuch<br />
Henning Lange<br />
Dr. Merit Murray<br />
Mina Piston<br />
Rosalie Rosenbusch<br />
Sabine Schereck<br />
Stefan Schön<br />
Mario Stork<br />
Steffen Wagner<br />
Veronika Zangl<br />
Übersetzungen<br />
Dr. Merit Murray<br />
Layout<br />
Jürgen Kretten, Wien<br />
Marketing/Anzeigen<br />
Oliver Wünsch<br />
oliver.wuensch@umverlag.de<br />
Tel. +49 (0)30 50 59 69 59<br />
oder<br />
sabine.haydn@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />
Tel. +49 (0)176 816 787 68<br />
Es gilt unsere Anzeigenpreisliste<br />
Nr. 27 vom 1. Januar 20<strong>24</strong><br />
Abonnements-Bedingungen<br />
Preis der Zeitschrift im freien Verkauf:<br />
€ 7,50; Jahresabo: € 37,90. Abonnements können jederzeit<br />
zum Ablauf des jeweils laufenden Abonnementjahres<br />
gekündigt werden. Wird nicht zwei Monate vor Ablauf gekündigt,<br />
verlängert sich das Abonnement jeweils um ein<br />
weiteres Jahr.<br />
Urheber- und Nutzungsrechte<br />
Alle Rechte vorbehalten. Reproduktion, Übersetzung in<br />
fremde Sprachen, Mikroverfilmung und elektronische Verarbeitung<br />
sowie jede andere Art der Wiedergabe nur mit<br />
schriftlicher Genehmigung des Verlags. Eine Verwertung<br />
ohne ausdrückliche Genehmigung ist strafbar. Namentlich<br />
gekennzeichnete Artikel stellen nicht in jedem Fall die<br />
Meinung der Redaktion dar. Für unverlangt eingesandte<br />
Manuskripte und Fotos wird keine Haftung übernommen.<br />
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blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>
„FULMINANT, RASANT UND MITREISSEND“ Süddeutsche Zeitung<br />
JETZT AUF TOUR<br />
ZÜRICH, FRANKFURT, BERLIN und LINZ<br />
In Kooperation mit BB Promotion · Tickets nur unter eventim.de<br />
NEUINSZENIERUNG: GIL MEHMERT<br />
nach dem Weltbestseller von Donna W. Cross<br />
31. MAI - 28. JULI 20<strong>24</strong> SCHLOSSTHEATER FULDA<br />
DEUTSCHLANDS GRÖSSTES OPEN-AIR-MUSICAL<br />
MIT GROSSER CATERING-WELT, PERFEKT AUCH FÜR FIRMENEVENTS<br />
22. - 31. AUGUST 20<strong>24</strong> DOMPLATZ FULDA<br />
Tickets: 0661 2500 8090 www.spotlight-musicals.de
Generalintendant<br />
Alfons Haider<br />
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www.seefestspiele.at<br />
Anna Rosa<br />
DÖLLER<br />
––––<br />
Mark<br />
SeIbErt<br />
DAS MUSICAL<br />
11. Juli bis 17. August 20<strong>24</strong><br />
Nach BERNHARD SHAWS „Pygmalion“ I Musik von FREDERICK LOEWE
BARRIKADE<br />
HIT<br />
PARADE<br />
LES MISÉRABLES<br />
MÜNCHNER ERSTAUFFÜHRUNG 22. MÄRZ 20<strong>24</strong><br />
<strong>24</strong>. / 27. / 28. / 30. / 31. MÄRZ<br />
11. / 12. / 25. / 27. APRIL<br />
3. / 4. / 8. / 9. / 16. / 17. / 25. / 26. MAI<br />
5. / 6. / 13. / 14. JUNI<br />
HIER BUCHEN<br />
GAERTNERPLATZTHEATER.DE | O89 2185 196O