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Ausgabe 127 (<strong>01</strong>/20<strong>24</strong>)<br />

€ 7,50 (DE) • € 8,00 (EU)<br />

ISSN 1619-9421<br />

www.blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />

Das Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz<br />

präsentiert in Übereinkunft mit<br />

CAMERON MACKINTOSH<br />

eine neue Produktion von<br />

BOUBLIL und SCHÖNBERGS<br />

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Die Übertragung des Aufführungsrechtes erfolgte in Übereinkunft mit<br />

MUSIC THEATRE INTERNATIONAL und CAMERON MACKINTOSH LTD.<br />

Bühnenvertrieb: MUSIK UND BÜHNE Verlagsgesellschaft mbH, Wiesbaden


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Musik & Gesangstexte von<br />

BENJ PASEK & JUSTIN PAUL<br />

Deutsch von<br />

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22. MÄRZ BIS<br />

21. APRIL 20<strong>24</strong><br />

STADTTHEATER GMUNDEN


Ausgabe 127 (<strong>01</strong>/20<strong>24</strong>)<br />

€ 7,50 (DE) • € 8,00 (EU)<br />

ISSN 1619-9421<br />

www.blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />

Kasimir & Karoline<br />

Uraufführung an der Staatsoper Hannover<br />

Chicago Berlin<br />

Cinderella Wuppertal<br />

Lasst uns die Welt vergessen Wien<br />

Les Misérables St. Gallen<br />

Sunset Boulevard London<br />

Notre Dame de Paris Paris


Inhalt<br />

Inhalt<br />

Ausgabe 127, Nr. <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

… kurz vorweg<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

liebe Abonnentinnen und Abonnenten,<br />

der Januar hat neben dem neuen<br />

Jahr auch andere Neuerungen mit<br />

sich gebracht. Nach vielen Jahren als<br />

Herausgeber hat Oliver Wünsch entschieden,<br />

etwas kürzer zu treten, und<br />

das tägliche Geschäft an mich übergeben,<br />

so dass diese Zeitschrift nun in<br />

einem neuen Verlag publiziert wird.<br />

Ich freue mich sehr, dass alle Mitarbeiter<br />

diesen Weg mitgehen, so dass sich<br />

für Sie als Leser nichts ändern und die<br />

mittlerweile bewährte Qualität weitergeführt<br />

wird.<br />

Worüber ich mich ebenfalls besonders<br />

freue, sind die beiden neuen Rubriken,<br />

die wir nun regelmäßig mit aufnehmen<br />

werden: In »Was war anno …« wollen<br />

wir zurückblicken, was vor sechs,<br />

fünf, vier, drei, zwei und einem Jahrzehnt(en)<br />

Relevantes in der Welt der<br />

Musicals geschehen ist.<br />

Die andere neue Rubrik ist eine Herzensangelegenheit<br />

meinerseits. In<br />

»Abgeschminkt« werden wir Menschen,<br />

die sonst hinter oder auf den<br />

Brettern, die die Welt bedeuten, zu<br />

Hause sind, hier die Bühne geben, um<br />

sich und die sozialen Engagements<br />

vorzustellen, die sie unterstützen. Da<br />

gibt es ganz wunderbare Projekte, von<br />

denen man viel zu wenig erfährt – dies<br />

zu ändern und die Möglichkeiten der<br />

Mithilfe aufzuzeigen, ist uns ein großes<br />

Bedürfnis. Wir freuen uns sehr,<br />

dass Barbara Obermeier mit nestwärme<br />

e.V. den Auftakt dieser neuen Serie<br />

macht!<br />

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen<br />

viel Freude beim Lesen unserer neuesten<br />

Ausgabe,<br />

Herzliche Grüße,<br />

Sabine Haydn<br />

Chefredaktion der blickpunkt musical<br />

Topthema<br />

4 UA Kasimir und Karoline Staatsoper Hannover<br />

Musicals in Deutschland<br />

14 UA BVG Musical – Tarifzone Liebe<br />

Admiralspalast Berlin<br />

<strong>24</strong> Chicago Komische Oper Berlin<br />

12 UA Chormusical Bethlehem<br />

PSD Bank Dome Düsseldorf<br />

26 Cinderella Oper Wuppertal<br />

20 Der Graf von Monte Christo Theater Lüneburg<br />

28 Follies Hessisches Staatstheater Wiesbaden<br />

23 Jekyll & Hyde Staatstheater Darmstadt<br />

8 Sweeney Todd Staatsoperette Dresden<br />

18 Tanz der Vampire Operettenhaus Hamburg<br />

16 The Addams Family Grenzlandtheater Aachen<br />

11 The Last Five Years Friedrichsbau Varieté Stuttgart<br />

22 Tuck Everlasting Audimax TU Dortmund<br />

Musicals in Österreich<br />

36 UA Lass uns die Welt vergessen Volksoper Wien<br />

40 Singin' in the Rain Salzburger Landestheater<br />

42 Sunset Boulevard Tiroler Landestheater Innsbruck<br />

38 ÖEA Tootsie Landestheater Linz<br />

44 Working MuK Wien<br />

Musicals in Europa<br />

46 Les Misérables Theater St. Gallen<br />

50 Notre Dame de Paris Palais des Congrès Paris<br />

Musicals in Großbritannien<br />

67 UA Red Riding Hood and The Big Bad Pig<br />

JW3 London<br />

68 Sunset Boulevard Savoy Theatre London<br />

Musicals in den USA<br />

70 UA Buena Vista Social Club<br />

Atlantic Theatre New York<br />

Einblick<br />

30 Hercules – Das heldenhafte Musical<br />

Vorankündigung Hamburg<br />

32 Ausstellung »Re:Imagining Musicals« im<br />

Victoria and Albert Museum London<br />

Konzerte & Entertainment<br />

56 Ich bin was ich bin – Uwe Kröger im Theater<br />

Akzent Wien<br />

57 Die Zeitreisende – Ute Lemper im<br />

Vindobona Wien<br />

Filme & Serien<br />

63 »Leo« auf Netflix<br />

58 »Mean Girls: Der Girls Club« im Kino<br />

60 »Wonka« im Kino<br />

77 Neues<br />

Rubriken<br />

64 Abgeschminkt – Barbara Obermeier über ihr<br />

Engagement im Verein nestwärme Österreich<br />

72 Was war anno … 1964<br />

54 Einspielungen<br />

78 Impressum & Ausblick<br />

75 Abonnenten-Infos<br />

Abb. von oben:<br />

1. »Bethlehem« Dortmund<br />

Foto: Stephan Drewianka<br />

2. »Jekyll & Hyde« Darmstadt<br />

Foto: Martin Sigmund<br />

3. »Tootsie« Linz<br />

Foto: Herwig Prammer<br />

4. »Les Misérables« St. Gallen<br />

Foto: Edyta Dufaj<br />

Titelfoto:<br />

»Kasimir und Karoline« Hannover<br />

Foto: Tim Müller<br />

12<br />

23<br />

38<br />

46<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

3


Musicals Topthema in Deutschland<br />

Glamouröser Partyrausch und Existenzängste<br />

Uraufführung von »Kasimir und Karoline« in der Staatsoper Hannover<br />

Abb. oben:<br />

Ein Haus voller Menschen (Ensemble),<br />

Träume, Hoffnungen und<br />

Zukunftsängste<br />

Foto: Tim Müller<br />

In den letzten Zügen des Jahres 2023 kam es zu einer<br />

besonderen Uraufführung am Staatstheater Hannover.<br />

Das zahlreich erschienene Publikum des Opernhauses<br />

erlebte, wie aus einem Theater-Klassiker ein<br />

Musical wurde. Das 1932 uraufgeführte Theaterstück<br />

»Kasimir und Karoline« von Ödön von Horváth wurde<br />

von Martin Mutschler dramaturgisch bearbeitet, von<br />

Martin G. Berger, der auch die Inszenierung übernahm<br />

und eine bekannte Größe in der Musicalszene<br />

ist, mit Liedtexten versehen und erhielt von Jherek<br />

Bischoff passende Musik für ihre Vision des Stücks. Es<br />

handelt sich um ein Auftragswerk der Staatsoper Hannover.<br />

Unter der musikalischen Leitung von Maxim<br />

Böckelmann fügen sich hier in der Inszenierung das<br />

Niedersächsische Staatsorchester Hannover unter Einsatz<br />

von elektronischen Beats sowie Chor und Statisterie<br />

der Staatsoper Hannover mit den Gastsänger:innen<br />

alle zu einem rauschenden Fest und Abbild eines pulsierenden<br />

Nachtlebens zusammen. Ist es in der Vorlage<br />

noch ein Oktoberfest, so feiert hier das »Volk« eine<br />

Party nach dem Vorbild einer heutigen Clubnacht,<br />

was auch optisch deutlich wird mit Kostümen, die<br />

von legerer Alltagskleidung über Partydress bis zu den<br />

ausgefallenen Drag-Outfits von Juanita reichen. Die<br />

Handlung von Horváth wird damit in die Gegenwart<br />

geholt, verständlicher gemacht und auf heutige Liebesbeziehungen<br />

und Gesellschaftsprobleme bezogen.<br />

Das Stück handelt vom Paar Kasimir und Karoline,<br />

das sich im Laufe eines Abends vom glücklichen, verliebten<br />

Pärchen zu zwei entfremdeten, sich trennenden<br />

Liebenden entwickelt:<br />

Kasimir verliert seine Arbeit und ihm droht die<br />

Abschiebung. Er ist sich sicher, dass seine Beziehung<br />

zu Karoline dadurch Schaden nimmt und sie sich von<br />

ihm trennen wird, denn der herrschende Kapitalismus<br />

zerstöre die menschlichen Beziehungen zueinander.<br />

Karoline glaubt ihm zuerst nicht und möchte mit<br />

Kasimir einen schönen Abend verbringen und feiern<br />

gehen. Der missmutige Kasimir kann sich jedoch mit<br />

nichts anderem als seiner bedrohten Existenz beschäftigen<br />

und schließlich fällt auch Karoline ihren eigenen<br />

Gedanken und Überlegungen für ein besseres Leben<br />

zum Opfer: Passen sie zueinander oder zieht der eine<br />

den anderen mit sich in den Abgrund? Karoline lernt<br />

in der Partynacht den schüchternen Studenten Eugen<br />

Schürzinger kennen, lässt Kasimir nach einem Streit<br />

stehen und fährt mit Eugen Achterbahn. Auch Kasimir<br />

lernt in dieser Nacht eine neue Liebelei kennen: Erna<br />

ist ein Opfer ihres gewalttätigen Freundes, des Merkl<br />

Franz. Sie spendet Kasimir mit ihren Worten Trost<br />

und entdeckt, dass sie Gemeinsamkeiten mit ihm hat.<br />

Sie kommen sich näher. Karoline hingegen sucht sich<br />

auf der Party jemanden, der Geld hat und ihr zu Erfolg<br />

verhilft. Sie lässt sich auf Rauch ein, einen wichtigen<br />

Sponsor der Hochschule. In dieser Partynacht scheint<br />

alles möglich, ein Zeppelin fliegt vorbei und Juanita,<br />

die Hüterin der Schatten, versucht, unsichtbare Fäden<br />

zwischen den Liebenden zu spinnen, doch am Ende<br />

reichen die Liebe und Ernas Traum von einer gesellschaftlichen<br />

Revolution nicht, der Egoismus und das<br />

Geld regieren …<br />

Das Bühnenbild von Sarah-Katharina Karl im<br />

Opernhaus Hannover wird im ersten Akt von einem<br />

modernen, schnörkellosen eckigen Gebäude mit einigen<br />

Fenstern und Ausgängen sowie Balkons dominiert.<br />

Das Gebäudekonstrukt klotzt auch mit über die ganze<br />

Fläche verteilten Lämpchen, die zum stimmungsvollen<br />

Lichtbild (Licht: Fabian Grohmann) der Aufführung<br />

beitragen. Das Gebäude ist drehbar, so können<br />

verschiedene Ecken bespielt und andere Ausschnitte<br />

4<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals Topthema in Deutschland<br />

gezeigt werden. Die Charaktere und Statisten bespielen<br />

auch das Innere des Gebäudes, wobei der Clou und<br />

damit das symbolische Tor zum Inneren des Gebäudes<br />

eine Leinwand ist, auf der mit einer Kamera gefilmte<br />

Aufnahmen zeitgleich zu sehen sind (Live-Video:<br />

Anna-Sophia Leist). Auf diese Weise sowie durch die<br />

bewegliche Gebäudeansicht und die schnittartigen<br />

Szenen wirkt die Aufführung filmisch und episodenhaft.<br />

Man schaut mal hier und mal da rein, bevor sich<br />

dann der Fokus auf bestimmte Charaktere lenkt und<br />

die Filmleinwand verschwindet. Das Gebäude wirkt<br />

durch seine feiernden Partygäste vom Innern aus<br />

lebendig und bietet einen flexiblen Schauplatz für die<br />

Ensembleszenen sowie eine beeindruckende Kulisse<br />

für das Finale des ersten Akts mit allen Darstellern.<br />

Zum Bühnenbild des zweiten Akts gehört ein Teddybär,<br />

der im ersten Akt von Kasimir für Karoline<br />

auf dem Rummel gewonnen und im späteren Verlauf<br />

achtlos abgelegt wird. Auf einer seitlichen Treppe<br />

zeigt Juanita-Darsteller Drew Sarich mit nacktem<br />

Oberkörper und glitzerbesetzter Hose eine Art privaten<br />

Moment, wenn alle Masken des Tages fallen, und<br />

erzählt von Juanitas (Johanns) persönlicher Reise.<br />

Den eigentlichen Schauplatz in diesem Akt bildet<br />

neben einer Fahrstation ein angedeutetes Karussell,<br />

das typisch für Volksfeste und Rummel ist und<br />

gleichzeitig auch sinnbildlich ständige (Fort-)Bewegung,<br />

aber auch Wiederkehren von Abläufen und<br />

Mustern symbolisiert. Karolines Achterbahnfahrt –<br />

so wie das Stück eine Gefühlsachterbahn ist – wird<br />

von einer anderen Ecke der Bühne aus gefilmt, ein<br />

Stangenkonstrukt dient als Requisite.<br />

Der Zeppelin, der sich im Stück gelegentlich sehen<br />

lässt und von den Charakteren bewundert und auch<br />

etwas gefürchtet wird, ist natürlich rein imaginativ.<br />

Das Sehnsuchtssymbol, das Träume, Hoffnung,<br />

Zukunft, ein besseres Morgen, aber auch Absturz und<br />

Tod symbolisieren kann, ist auch eine Art Begrifflichkeit<br />

für etwas Nahes und doch so Fernes – wie das<br />

Paar, das sich an diesem Abend erst so nahesteht und<br />

sich durch Vorstellungen und Existenzängste immer<br />

weiter voneinander entfernt. Eine Kommunikation<br />

scheint unmöglich, obgleich die Probleme der Kommunikatonsunfähigkeit<br />

für den Zuschauer sichtbar<br />

werden. Die Probleme liegen offen auf der Hand, aber<br />

der Mensch macht lieber Party und versteckt seine<br />

Gefühle. Die Lieder sagen und drücken hier aus, was<br />

die Charaktere fühlen und denken, einander jedoch<br />

nicht sagen können. Juanita, deren Weg es ist, das<br />

Leben mit Humor zu nehmen, kommt zu dem Schluss:<br />

»Menschen ohne Gefühle haben’s leichter.« Es ist eine<br />

Art Aufforderung, in dieser düsteren Welt, in der jeder<br />

schreit und gehört werden will und die wichtigen<br />

Themen dennoch nicht kommuniziert, zu versuchen,<br />

einander anzunehmen, einander zuzuhören und aufeinander<br />

zuzugehen.<br />

Esther Bialas hat für die Uraufführung von »Kasimir<br />

und Karoline« ein Kostümkonzept entworfen,<br />

das viele Facetten zum Ausdruck bringt: Von Kapuzenpulli,<br />

smart-casual bis hin zu ausgefalleneren und<br />

Kasimir und Karoline<br />

Jherek Bischoff / Martin G. Berger /<br />

Martin Mutschler<br />

nach dem gleichnamigen Theaterstück<br />

von Ödön von Horváth<br />

Staatsoper Hannover<br />

Uraufführung: 8. Dezember 2023<br />

Regie ....................... Martin G. Berger<br />

Musik. Leitung .... Maxim Böckelmann<br />

Choreinstudierung ..... Lorenzo Da Rio<br />

Bühnenbild ......... Sarah-Katharina Karl<br />

Kostüme .......................... Esther Bialas<br />

Licht ....................... Fabian Grohmann<br />

Live-Video .............. Anna-Sophia Leist<br />

Ton .......................... Christoph Schütz<br />

Juanita ............................ Drew Sarich<br />

Kasimir ........................... Dejan Bućin<br />

Karoline ................. Sophia Euskirchen<br />

Erwin Schürzinger ...... Philipp Kapeller<br />

Erna .................... Ketevan Chuntishvili<br />

Der Merkl Franz ........ Yannick Spanier<br />

Rauch ...................... Frank Schneiders<br />

Speer ............................. Daniel Eggert<br />

Elli .......... Barbara Carta / Başak Ceber<br />

Maria ....... Tamar Sharon Hufschmidt /<br />

Clarissa Reif<br />

Chor & Statisterie<br />

der Staatsoper Hannover<br />

Abb. von links oben:<br />

1. Kasimir (Dejan Bućin, Hintergrund:<br />

Drew Sarich) lässt seine Wut<br />

auf Karoline und das Leben am<br />

Teddybären aus<br />

2. Juanita/Johann (Drew Sarich, oben)<br />

beobachtet aus der Ferne die große<br />

Träumerin Erna (Ketevan Chuntishvili,<br />

vorne)<br />

3. Gibt es noch Hoffnung für die<br />

Liebe von Kasimir (Dejan Bućin, r.)<br />

und Karoline (Sophia Euskirchen, l.)?<br />

4. Juanita (Drew Sarich, l.) beäugt,<br />

wie Rauch (Frank Schneiders, 2.v.r.,<br />

zwei Frauen mit Geld willig macht<br />

Fotos (4): Tim Müller<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

5


Musicals Topthema in Deutschland<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Die Bewohner des Hauses erleben<br />

eine ereignisreiche Nacht<br />

2. Juanita (Drew Sarich, l.) betrachtet<br />

hoffnungsvoll Kasimir (Dejan Bućin, r.)<br />

und Karoline (Sophia Euskirchen, 2.v.r.)<br />

3. Kasimir (Dejan Bućin, r., mit Drew<br />

Sarich) verzweifelt an der eigenen<br />

Existenzangst<br />

4. Juanita (Drew Sarich) besingt<br />

augenzwinkernd die paarungstollen<br />

»Hirsche« Speer und Rauch<br />

Fotos (4): Tim Müller<br />

glamourösen Partyoutfits ist alles dabei. Doch am<br />

meisten zieht eine großgewachsene Dragqueen nicht<br />

nur aufgrund der Kostüme alle Blicke auf sich. Mal<br />

cool mit Lackmantel, mal in reich verziertem, langem<br />

Abendkleid und eleganter Haarpracht, mit passendem<br />

Drag-Make-up, ist Drew Sarich als Juanita zugleich<br />

Clubgast, Dragqueen und Erzählerin, die das Publikum<br />

und die Charaktere mit ihrem humorvollen<br />

Blick auf die Dinge und ihrem hoffnungsvoll über das<br />

Geschehen wachenden Auge durch die Nacht geleitet.<br />

Die Rolle der Juanita wurde für die Musical-Fassung<br />

des Theaterstücks verändert, stark erweitert und<br />

zur dritten Hauptrolle befördert, stellt sie im Original<br />

doch eine behaarte Gorilladame dar und hat nur einen<br />

kurzen Auftritt im ganzen Stück. Für die Darstellung<br />

konnte Drew Sarich gewonnen werden, der dieser<br />

wichtigen Figur eine große Stimme, Eleganz, Stil und<br />

neckischen Humor verleiht, am wichtigsten aber: eine<br />

menschliche, verletzliche Seele mit viel Einfühlungsvermögen.<br />

Seine Dragqueen - Auftritte sind bombastisch,<br />

aber nicht over the top. Sein Gesangsanteil ist beträchtlich<br />

und diese Momente gehören zu den Highlights der<br />

Show. Sie bergen zudem jede Menge eingängige Melodien,<br />

die sich mitsamt Stimme in den Gehörgang einbrennen.<br />

Dejan Bućin und Sophia Euskirchen ziehen<br />

das Publikum mit ihrem natürlichen Spiel und einigen<br />

wenigen eigenen Liedern, aber oft auch durch schwerwiegende<br />

Dialoge in den Bann. Beide überzeugen<br />

gesanglich mit gefühlvollen, eindrücklichen Stimmen<br />

und sind die passende Besetzung für ein Paar, das im<br />

Laufe des Abends so gar nicht mehr zueinander passt.<br />

Ketevan Chuntishvili hat als Erna einen wunderschönen<br />

Song mit dem ›Großen Bären‹, den sie Kasimir am<br />

Himmel zeigen will und der dank ihrer emotionalen<br />

Stimme Gänsehaut erzeugt. Yannick Spanier spielt<br />

Ernas eher unruhigen und anstiftenden Freund (Der<br />

Merkl Franz) überzeugend. Philipp Kapeller legt seine<br />

Rolle Erwin Schürzinger sympathisch-schüchtern an<br />

und manipuliert nur im Stillen. Er schmettert mehrere<br />

Songs scheinbar locker. Die Staatsopernensemblemitglieder<br />

Frank Schneiders und Daniel Eggert<br />

stellen die zwielichtigen, egoistischen und schmierigen<br />

»Geschäftspartner« dar. Die Statisterie der Staatsoper<br />

sorgt für ein von Menschen belebtes Nachtleben, der<br />

von Lorenzo Da Rio einstudierte Chor der Staatsoper<br />

unterstützt in den Ensemblenummern tatkräftig und<br />

bildet teilweise mitsamt Staatsorchester und elektronischen<br />

Musikeinsätzen eine Art moderne Oper mit<br />

pulsierendem Beat, wie einer rauschenden Partynacht<br />

entnommen, ein Tanz am Abgrund der eigenen Existenz.<br />

Glamourös und mit einem Funken Hoffnung<br />

geht der Mensch zugrunde.<br />

Mit der Uraufführung von »Kasimir und Karoline«<br />

hat das Komponisten- und Kreativteam einen schwer<br />

verdaulichen Klassiker erfolgreich vergegenwärtigt<br />

und leicht zugänglich gemacht.<br />

Rosalie Rosenbusch<br />

6<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


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Musicals in Deutschland<br />

Tödlich ...?! Köstlich ...?!<br />

»Sweeney Todd« an der Staatsoperette Dresden<br />

Abb. oben:<br />

Mrs Lovett (Silke Richter) berichtet<br />

Sweeney Todd (Hinrich Horn)<br />

vom Schicksal seiner seiner<br />

Ehefrau und Tochter<br />

Foto: Pawel Sosnowski<br />

Der Titelzusatz »The Demon Barber of Fleet Street«<br />

(übersetzt: »Der dämonische Herren-Friseur aus<br />

der Fleet Street«) lässt durchklingen, warum Stephen<br />

Sondheim sein Musical als »tiefschwarze Operette«<br />

bezeichnet haben soll. Für »Sweeney Todd« arbeitete<br />

der Komponist und Texter, der hier für Musik und<br />

Lyrics verantwortlich zeichnet, mit Hugh Wheeler<br />

(Buch) zusammen. Ihr rabenschwarzes Bühnenstück<br />

mit seinen vielfältigen makabren humoristischen Nuancen<br />

feierte 1979 in New York Uraufführung und gewann<br />

insgesamt 8 Tony Awards. In der Übersetzung von<br />

Wilfried Steiner kam es sechs Jahre später in Freiburg<br />

zur deutschsprachigen Erstaufführung. Wenngleich<br />

das Musical bereits Erfolge verbuchen konnte, so<br />

wurde es mit der Tim-Burton-Verfilmung (2007) mit<br />

Johnny Depp (Sweeney Todd) und Helena Bonham<br />

Carter (Mrs Lovett) in den Hauptrollen, die 2008 in<br />

Deutschland in die Kinos kam, weltbekannt. Seit dem<br />

21. Oktober 2023 ist das Stück an der Staatsoperette in<br />

Dresden zu sehen.<br />

Dichter Nebel wabert träge aus einem Londoner<br />

Erdloch. Schlammbesudelte Geschöpfe bahnen sich<br />

einen Weg an die Oberfläche, die die Geschichte vom<br />

Barbier aus der Fleet Street erzählen. Die unterste<br />

Schicht der menschlichen Gesellschaft – gebrochen,<br />

und doch wagen sie die Rebellion. Unter den abfälligen<br />

Blicken der Reichen scheitern sie kläglich. Der Dunst<br />

löst sich auf, als der ehemalige Barbier Benjamin<br />

Barker (Hinrich Horn), der sich von nun an Sweeney<br />

Todd nennt, wieder heimatlichen Boden betritt.<br />

15 Jahre sind vergangen, seit er zu Unrecht in die Verbannung<br />

geschickt wurde. Dem jungenhaften Matrosen<br />

Anthony Hope (Gero Wendorff) hat er es zu verdanken,<br />

dass er nach all der Zeit in der Lage ist, seine<br />

alte, in der Fleet Street gelegene Wirkungsstätte aufzusuchen.<br />

Unter dieser befindet sich der übel laufende<br />

Laden der Pastetenbäckerin Mrs Lovett (Silke Richter),<br />

die Todd wiedererkennt. Sie erzählt ihm vom Schicksal<br />

seiner Gattin Lucy, die nach der rechtswidrigen Verurteilung<br />

ihres Gatten durch Richter Turpin (Elmar<br />

Andree) durch eben jenen massiv bedrängt wurde und<br />

keinen anderen Ausweg mehr sah, als Gift zu sich zu<br />

nehmen. Der hinterlistige Jurist nahm daraufhin die<br />

gemeinsame Tochter des Ehepaares, Johanna (Julie<br />

Sekinger), als Mündel bei sich auf. Die bereits damals<br />

bestehende Zuneigung von Mrs Lovett zu dem Barbier<br />

ließ sie seine Rasiermesser bis heute aufbewahren. Als er<br />

es in den Händen haltend die Ode >Mein Freund< singt,<br />

beschließt Todd, sein altes Handwerk wieder aufzunehmen,<br />

und schwört Rache an seinen Widersachern. Unterdessen<br />

sehnt sich Johanna, wie ›Grünfink und Nachtigall‹<br />

im Käfig gefangen, nach Freiheit. Als Anthony ihrer<br />

bei einem Spaziergang gewahr wird, verliebt er sich<br />

augenblicklich in sie. Von Turpin verjagt macht er<br />

sich auf den Weg in die Fleet Street, auf Hilfe für eine<br />

Rettungsaktion der holden Maid hoffend. Auf dem<br />

Marktplatz wird derweil ein neues Werbevideo zu<br />

›Pirellis Aqua-Capillare‹, einem angeblichen Wunder-<br />

Haarwuchs-Mittel, gedreht. Der sich selbst als »König<br />

der Barbiere« bezeichnende Adolfo Pirelli (Václav<br />

Vallon) kann dabei auf das technische Geschick seines<br />

knabenhaften Gehilfen Tobias (in der bes. Vorstellung<br />

gespielt und gesprochen von Michelle Lippe, gesungen<br />

von Timo Schabel) zählen. Die Menge mag er damit<br />

8<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Deutschland<br />

täuschen können, doch Sweeney Todd hält es für eine<br />

Masche, um die Arbeiter um ihr hart erarbeitetes Geld zu<br />

bringen, und fordert den anderen zum Wettrasieren heraus,<br />

welches er gewinnt. Dadurch in seiner Zunft wieder<br />

Fuß fassend lädt er Büttel Bamford (Dietrich Seydlitz),<br />

der als Schiedsrichter agierte, zu einer kostenlosen Rasur<br />

ein, um seinen Rachefeldzug zu beginnen. Jedoch macht<br />

ihm zunächst Pirelli einen Strich durch die Rechnung,<br />

da dieser in dem Konkurrenten Benjamin Barker erkannt<br />

hat und droht, alles auffliegen zu lassen. Diese Erpressung<br />

bringt ihm den Tod. Mrs Lovett kann Tobias weismachen,<br />

dass er von seinem Meister verlassen wurde. Bei<br />

ihr findet er fortan ein neues Zuhause.<br />

Richter Turpin beabsichtigt, Johanna zu heiraten,<br />

um damit die Annäherungen fremder junger Männer zu<br />

unterbinden. Diese ist nicht begeistert davon und plant<br />

gemeinsam mit Anthony ihre Flucht. Der Jurist begibt<br />

sich auf Anraten von Büttel Bamford für eine Rasur zu<br />

Sweeney Todd. Durch das Hereinplatzen des jungen<br />

Seefahrers werden nicht nur die Rachepläne des Barbiers<br />

zunichtegemacht, sondern ebenfalls das Durchbrennen<br />

des verliebten Paares, da Turpin wutentbrannt davoneilt<br />

und sein Mündel für den Moment unerreichbar versteckt.<br />

Mrs Lovett unterbricht mit der Frage über die Zukunft<br />

der Leiche von Pirelli die ausufernden Gewaltfantasien<br />

von Todd. Pragmatisch, wie sie ist, und aufgrund der<br />

teuren Fleischpreise, kommt ihr eine makabere Idee:<br />

Der Tote wird kurzerhand zu Pasteten verarbeitet. Der<br />

Verkauf läuft hervorragend, sodass Sweeney weiter für<br />

Nachschub sorgt, wobei er Vorsicht bei der Wahl seiner<br />

»Zulieferer« walten lässt. Gleichwohl verfolgt er darüber<br />

hinaus die Vergeltungspläne gegen den Richter und die<br />

Anstrengungen zur Befreiung seiner Tochter. Der finale<br />

Showdown birgt manche Überraschungen und zeigt in<br />

besonderem Maß das moralische Dilemma der Selbstjustiz<br />

auf.<br />

Martin G. Berger hat mit »Follies« bereits ein von<br />

Erfolg gekröntes Sondheim-Musical an der Staatsoperette<br />

Dresden inszeniert. Mit »Sweeney Todd« gelingt<br />

ihm ein ebenso erfolgreicher Coup. Er schafft es, die im<br />

19. Jahrhundert angesiedelte Geschichte, unter Beibehaltung<br />

charakteristischer zeitgenössischer Elemente, in die<br />

Gegenwart zu transferieren. Damit baut er eine Brücke<br />

zwischen den Zeiten und interpretiert die teils immens<br />

düstere und skurrile Handlung auf eine eigene Art und<br />

Weise, die das Musical auch für Kenner neu erlebbar<br />

macht. Das Bühnenbild von Sarah-Katharina Karl ist<br />

teilweise minimalistisch, gleichzeitig in hohem Maße<br />

beeindruckend. Mit wenigen Komponenten wird auf der<br />

Bühne selbst agiert. Gleichwohl ist der Orchestergraben<br />

ein elementarer Teil der Konstruktion. In diesen ist die<br />

Grube, aus der sowohl Menschen gekrochen kommen als<br />

auch hineinfallen, integriert, ebenso wie er über fahrbare<br />

Gitter nach Belieben bis an den Rand des Loches abgedeckt<br />

werden kann und damit diverse Szenen in ihrer<br />

Dynamik unterstrichen werden. Als aus dem Boden die<br />

Unterwelt himmelwärts steigt, stellt dies auf eindrucksvolle<br />

Weise das Irrenhaus dar – Gänsehaut garantiert.<br />

Dazu kommt das stimmige Zusammenspiel mit dem<br />

Videodesign (Lukas Marian). Die Leinwand, die die<br />

Gesellschaftsschichten trennt, wird teilweise mit bunten<br />

Bildern bespielt, die den überbordenden Kommerz<br />

gelungen widerspiegeln. Der dem Musical-Thriller innewohnende<br />

Humor wird unter anderem durch das Drehen<br />

von Werbevideos, die an Influencer mit ihren YouTube-<br />

Videos erinnern, widergespiegelt. Im brutalen Gegensatz<br />

dazu steht die Handkameraführung, die den Übergriff<br />

auf Lucy durch den Richter im Großformat wiedergibt<br />

und für deutliche Beklemmung sorgt. Nicht umsonst ist<br />

die Altersempfehlung für das Musical auf der Internetseite<br />

der Staatsoperette mit 14 Jahren angeben. Ebenso ist<br />

eine entsprechende Triggerwarnung zu finden.<br />

Sweeney Todd – The Demon<br />

Barber of Fleet Street<br />

Stephen Sondheim / Hugh Wheeler<br />

Deutsch von Wilfried Steiner und<br />

Roman Hinze<br />

Staatsoperette Dresden<br />

Premiere: 21. Oktober 2023<br />

Regie ....................... Martin G. Berger<br />

Musik. Leitung .... Peter Christian Feigel<br />

Chorleitung .................. Thomas Runge<br />

Bühnenbild ......... Sarah-Katharina Karl<br />

Kostüme ..... Alexander Djurkov Hotter<br />

Masken & Frisuren ...... Thorsten Fietze<br />

Licht ............................ Uwe Münnich<br />

Videodesign ................... Lukas Marian<br />

Ton ......................... Pawel Leskiewicz<br />

Sweeney Todd ............. Hinrich Horn /<br />

Uwe Schenker-Primus<br />

Mrs Lovett ..................... Silke Richter /<br />

Stefanie Dietrich<br />

Anthony Hope .......... Gero Wendorff /<br />

Jan-Philipp Rekeszus<br />

Johanna Barker ............ Julie Sekinger /<br />

Charlotte Watzlawik<br />

Tobias Ragg (Toby) .... Riccardo Romeo /<br />

Timo Schabel<br />

Richter Turpin ................ Elmar Andree<br />

Büttel Bamford .......... Dietrich Seydlitz<br />

Bettlerin ..................... Dimitra Kalaitzi<br />

Adolfo Pirelli ............... Václav Vallon /<br />

Timo Schabel<br />

Mr Fogg ....................... Michael Kuhn,<br />

Friedemann Condé<br />

Chor & Statisterie der<br />

Staatsoperette Dresden<br />

Abb. von links oben:<br />

1. Tobias Ragg (Riccardo Romeo, i.d.bes.<br />

Vorst. Michelle Lippe, vorne Mitte &<br />

Leinwand) dreht das neueste Werbevideo<br />

zum Wundermittel von Adolfo<br />

Pirelli (Václav Vallon, hinten Mitte)<br />

2. Anthony Hope (Gero Wendorff) und<br />

Johanna Barker (Julie Sekinger) können<br />

endlich zusammen sein, nachdem sie<br />

den Horror der vergangenen Monate<br />

überlebt haben<br />

3. Die Bettlerin (Dimitra Kalaitzi)<br />

bedrängt Sweeney Todd (Hinrich Horn)<br />

4. Sweeney Todd (Hinrich Horn) hat<br />

sich zum erfolgreichen Geschäftsmann<br />

entwickelt, von dessen Glück jeder<br />

(Chor) etwas abhaben möchte<br />

Fotos (4): Pawel Sosnowski<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

9


Musicals in Deutschland<br />

Abb. unten von links oben:<br />

1. ›Schmeckt das gut‹ – Mrs Lovett<br />

(Silke Richter) feiert mit ihren<br />

Gästen (Chor) den Erfolg ihrer<br />

Pastetenbäckerei<br />

2. Richter Turpin (Elmar Andree)<br />

macht der geschockten Johanna<br />

(Julie Sekinger) deutlich, dass er sie<br />

heiraten wird<br />

3. ›Die schlimmsten Pasteten‹ – Mrs<br />

Lovett (Silke Richter) bietet Sweeney<br />

Todd (Hinrich Horn) ihre (un-)<br />

schmackhaften Gebäckstücke an<br />

4. ›Mein Freund‹– Sweeney Todd<br />

(Hinrich Horn) hat sein altes<br />

Handwerkszeug wieder<br />

Fotos (4): Pawel Sosnowski<br />

Alexander Djurkov Hotter zeichnet für die Kostüme<br />

verantwortlich, die das Gesamtbild weiter komplettieren.<br />

Die ausgebeutete Arbeiterschicht erscheint<br />

grau und trist, mit von Schlamm bedeckter Kleidung.<br />

Die Oberschicht darf sich im goldenen Schein sonnen,<br />

während die Maschinerie der Karrieristen, zu der<br />

neben Pirelli auch Mrs Lovett gehören, in knalligem<br />

Pink daherkommt. Durch das Herunterbrechen auf<br />

diese Grundelemente mit ihren Abstufungen innerhalb<br />

einer Schicht wird dem Minimalismus Rechnung<br />

getragen, gleichzeitig aber die Wirkung der jeweiligen<br />

Akteure und deren Stellung inmitten des Gesamtgefüges<br />

unterstrichen.<br />

Da der Orchestergraben Teil des Bühnenbildes ist,<br />

spielt jenes unter der musikalischen Leitung von Peter<br />

Christian Feigel direkt auf der Bühne. Hinter der Leinwand,<br />

umgeben von einem auf einer Seite offenen Bühnensteg,<br />

ist es ein integraler Bestandteil des Stückes.<br />

Dadurch wird die Musik noch eindringlicher in den<br />

Zuschauerraum getragen, wobei die anspruchsvolle<br />

Partitur von Sondheim klar und mühelos erklingt. Die<br />

Tonabmischung (Pawel Leskiewicz) sorgt für einen<br />

harmonischen Hörgenuss, da der Gesang jederzeit<br />

deutlich vernehmbar ist.<br />

Von Beginn an holt Hinrich Horn mit seiner<br />

Interpretation des Sweeney Todd die Zuschauer ab.<br />

Eindrucksvoll überzeugt er mit seiner Stimme und<br />

Schauspielkunst, ohne seine Kollegen in den Schatten<br />

zu stellen. Besonders im Zusammenspiel mit Silke<br />

Richter (Mrs Lovett) entstehen oftmals witzige Darbietungen,<br />

die den eigenwilligen Humor des Musicals<br />

geglückt einfangen. Der Darsteller des Tobias Ragg,<br />

Riccardo Romeo, konnte in der besuchten Vorstellung<br />

aufgrund von Krankheit nicht spielen. Als Ersatz ist<br />

allen Beteiligten ein überzeugender Coup gelungen,<br />

in dem die Regie-Assistentin Michelle Lippe den<br />

Charakter gespielt und gesprochen hat, während<br />

der Ensemble-Tenor Timo Schabel aus dem Chor<br />

heraus die Gesangsparts übernahm. Lediglich durch<br />

die unterschiedliche Stimmfarbe ist diese Doppelbesetzung<br />

aufgefallen. Besonders der darstellerischen<br />

Leistung von Michelle Lippe und deren synchronen<br />

Lippenbewegungen beim Gesang ist in hohem Maß<br />

Respekt zu zollen. Allumfassend weiß ebenso Gero<br />

Wendorff als Anthony Hope zu überzeugen. Seine<br />

Darbietung von ›Johanna‹ ist Romantik pur, ohne<br />

dabei kitschig zu wirken. Julie Sekinger (Johanna<br />

Barker) bringt mit ihrer ausdrucksstarken und klaren<br />

Stimme nicht nur die Sehnsucht nach Freiheit<br />

zum Ausdruck, sondern auch in ergreifender Art die<br />

Verzweiflung durch ihren Aufenthalt im Irrenhaus.<br />

Als Richter Turpin stellt Elmar Andree den wohl<br />

unbeliebtesten Charakter des Stückes dar. Diese<br />

Herausforderung meistert er erstklassig und vor allen<br />

Dingen bei der Selbstgeißelung ist die Zerrissenheit<br />

seiner Figur deutlich fühlbar und erzeugt Gänsehaut.<br />

Martin G. Berger schafft mit seiner Inszenierung<br />

von »Sweeney Todd« eine düstere, aber auch nachdenkliche<br />

Atmosphäre, die dennoch nichts vom rabenschwarzen<br />

Humor des Musical-Thrillers vermissen<br />

lässt. Ohne belehrend zu wirken regen die geschaffenen<br />

Parallelen zum Grübeln an, sodass der Abend musikalisch<br />

und mental lange in einem nachklingt.<br />

Eva Baldauf<br />

10<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Deutschland<br />

Viele Emotionen charismatisch dargestellt<br />

»The Last Five Years« im Friedrichsbau Varieté Stuttgart<br />

Cathy! Da sitzt sie nun alleine, verlassen, einsam,<br />

verbittert, traurig. So viele Träume hatte sie. Vor<br />

5 Jahren lernte sie Jamie kennen und sie verliebten<br />

sich. Sie waren jung und voller Zuversicht für ihre<br />

gemeinsame Zukunft. Cathy träumte von einer großen<br />

Karriere als Musicalsängerin und dem großen<br />

Glück zusammen mit Jamie. Doch nichts davon<br />

wurde wahr, und so blickt sie verbittert zurück auf<br />

die letzten 5 Jahre, voller erfolgloser Bewerbungen,<br />

voller Frustration, an deren Ende Jamie sie betrügt<br />

und verlässt.<br />

Jamie! Er ist jung und verliebt in Cathy, die er<br />

gerade kennengelernt hat. Er möchte Schriftsteller<br />

werden, feiert erste Erfolge. Und er ist so glücklich:<br />

Cathy und er nehmen zusammen eine Wohnung und<br />

sie heiraten. Die Zukunft liegt vor ihnen und sie sind<br />

überzeugt, dass sie wunderschön wird. Doch im Lauf<br />

der nächsten 5 Jahre muss er feststellen, dass Cathy<br />

immer mehr verbittert aufgrund ihrer beruflichen<br />

Misserfolge. Sie begleitet ihn nicht zu wichtigen Terminen<br />

und er fühlt sich allein gelassen. Aus der glücklichen<br />

Zeit werden Verzweiflung und Frustration – bis<br />

Jamie am Ende der 5 Jahre mit einer anderen Frau ins<br />

Bett geht.<br />

Das spannende an dem Stück ist, dass es in zwei<br />

unterschiedlichen, gegenläufigen Zeitlinien spielt.<br />

Während Cathy auf die letzten 5 Jahre zurückblickt,<br />

schaut Jamie vom Beginn ihrer Bekanntschaft nach<br />

vorne. Das einzige Treffen der beiden Geschichten<br />

findet anlässlich ihrer Hochzeit statt.<br />

»The Last Five Years« ist ein Kammermusical, in<br />

dem überwiegend gesungen und wenig gesprochen<br />

wird. Das besondere an der Produktion, mit der Maximilian<br />

Mann sein Debüt als Regisseur gibt, ist, dass<br />

die 14 Lieder in Englisch gesungen werden, aber die<br />

wenigen gesprochenen Texte in Deutsch sind. Eines<br />

der besonders schönen Lieder ist die Weihnachtsgeschichte,<br />

die Jamie Cathy erzählt: die Geschichte vom<br />

Schneider Schmuel, besonders niedlich hier erzählt<br />

durch eine Handpuppe.<br />

Maximilian Mann ist dem Stuttgarter Publikum<br />

besonders durch seine Rollen in »Der Glöckner von<br />

Notre Dame« und »Aladdin«, wo er der beliebte<br />

Dschinni war, bekannt. Er engagiert sich zusätzlich<br />

auch sehr für krebskranke Kinder.<br />

Für die Rolle der Cathy hat er sich Martina<br />

Lechner geholt, die derzeit in Stuttgart im Musical<br />

»Tina« zu sehen ist. Ihr Gegenüber in der Rolle des<br />

Jamie ist Daniele Spampinato, auch er aus der Stuttgarter<br />

»Tina«-Besetzung. Beide spielen ihre Rollen<br />

ausdrucksstark und voller Emotionen und man kann<br />

schon fast ein bisschen Mitleid mit Cathy und Jamie<br />

haben.<br />

Wunderbar begleitet werden die Beiden durch eine<br />

sechsköpfige Band, in der besonders zwei Celli auffallen,<br />

unter der einfühlsamen musikalischen Leitung<br />

von Daniel Weis.<br />

Das Stück bedarf keines großen Bühnenbilds. Die<br />

Bühne wird hauptsächlich durch eine große Couch<br />

dominiert. Untermalt und verdeutlicht werden die<br />

zeitlichen Wechsel in der Erzählung durch das Anund<br />

Ausziehen verschiedener Kleidungsstücke.<br />

»The Last Five Years« feierte 20<strong>01</strong> in Chicago<br />

seine Uraufführung, wurde 2002 am Off-Broadway<br />

in New York aufgeführt und kam 2005 zum ersten<br />

Mal nach Deutschland, und zwar in Wuppertal.<br />

Unter der Regie von Christoph Drewitz und Daniel<br />

Witzke spielten damals Patrick Stanke und Charlotte<br />

Heinke die Hauptrollen in der deutschsprachigen<br />

Erstaufführung.<br />

Inzwischen wird das Musical »Die letzten fünf Jahre«<br />

auch in Deutschland häufiger gespielt. Leider gab es in<br />

Stuttgart von dieser Produktion nur zwei Vorstellungen.<br />

Ingrid Kernbach<br />

Abb. oben:<br />

›The Schmuel Song‹, hinreißend<br />

von Jamie (Daniele Spampinato)<br />

für seine Cathy (Martina Lechner)<br />

vorgetragen<br />

Abb. unten:<br />

Cathy (Martina Lechner) nimmt<br />

glücklich den Heiratsantrag von<br />

Jamie (Daniele Spampinato) an<br />

Fotos (2): Ingrid Kernbach<br />

The Last Five Years<br />

Jason Robert Brown<br />

Songs in englischer Sprache<br />

Deutsche Dialoge von Wolfgang Adenberg<br />

Friedrichsbau Varieté Stuttgart<br />

Premiere: 9. Januar 20<strong>24</strong><br />

Regie ...................... Maximilian Mann<br />

Musikalische Leitung ........ Daniel Weis<br />

Technische Regie....... Anna Matthiesen<br />

Cathy......................... Martina Lechner<br />

Jamie .................. Daniele Spampinato<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

11


Musicals in Deutschland<br />

Der lange Weg nach Bethlehem<br />

Uraufführung des Chormusicals »Bethlehem« in Düsseldorf<br />

Abb. oben:<br />

Der eigentliche Star des Abends ist<br />

natürlich der gigantische Chor<br />

Foto: Stephan Drewianka<br />

Chormusical Bethlehem<br />

Dieter Falk / Paul Falk / Michael Kunze<br />

Stiftung Creative Kirche<br />

PSD Bank Dome Düsseldorf<br />

Uraufführung: 16. Dezember 2023<br />

Regie .............................. Gil Mehmert<br />

Leitung Chor .........................................<br />

................ Danny Sebastian Neumann &<br />

Miriam Schäfer<br />

Choreographie ................. Yara Hassan<br />

Ausstattung ...................... Britta Tönne<br />

Lichtdesign ............. Michael Grundner<br />

Sound Engineering .... Carsten Kümmel<br />

Josef ............................. Benjamin Oeser<br />

Maria ................... Alina Ju Tchin Simon<br />

Engel ............................ Bonita Niessen<br />

Herodes ........................... Mischa Mang<br />

Erzählerin 1 .......................... Julia Lißel<br />

Mamba / Erzählerin 2 .... Karolin Konert<br />

Melchior ..................... Sebastian Wurth<br />

Balthasar .................... Florian Minnerop<br />

Caspar ..................... Marlon Wehmeier<br />

In weiteren Rollen:<br />

Veronika Rivó, Stefan Stara<br />

Dieter Falk ist ein Musikproduzent, der neben der<br />

Zusammenarbeit mit vielen internationalen Weltstars<br />

auch mit der Gruppe PUR das Album »Abenteuerland«<br />

produziert hat, und Vollblutmusiker, der mit<br />

seinen Söhnen Paul und Max unter dem Namen »Falk<br />

& Sons« zwei Jazz-Alben mit modernen Bach-Arrangements<br />

herausgebracht hat. In Kooperation mit der<br />

Stiftung Creative Kirche schrieb er mit Texter Michael<br />

Kunze 2009 das Pop-Oratorium »Die 10 Gebote« für die<br />

Kulturhauptstadt Dortmund als reines Chorstück, das<br />

er 2<strong>01</strong>3 für das Theater St. Gallen mit Solo-Künstlern<br />

zum echten Chormusical »Moses« erweiterte. 2<strong>01</strong>7 hatte<br />

das Pop-Oratorium »Luther – das Projekt der 1.000<br />

Stimmen« zum 500-Jahre-Reformationsjubiläum Weltpremiere<br />

in der Dortmunder Westfalenhalle – mit einem<br />

3.000 Stimmen starken Chor, 40-köpfigem Symphonieorchester,<br />

einer Rockband und 12 Musicaldarstellern das<br />

bisher größte Projekt des Autoren-Teams Falk/Kunze.<br />

Nach einem Kick-Off Ende 2<strong>01</strong>9 zum neuesten Musicalprojekt<br />

»Bethlehem« sollte das dritte Chormusical von<br />

Dieter Falk eigentlich Ende 2020 Weltpremiere feiern,<br />

doch die Corona-Pandemie sorgte dafür, dass die Premiere<br />

in den Folgejahren gleich zweimal abgesagt werden<br />

musste. Beim Entstehungsprozess des Musicals wurden<br />

von Dieter Falk, Mitkomponist Sohn Paul und Librettist<br />

Michael Kunze zunächst Handlung und Charaktere<br />

umrissen. Danach legten die beiden Komponisten vor<br />

und produzierten die Songs im Studio, bei denen Dieter<br />

Falk einen Fantasietext über die späteren Textzeilen<br />

sang und dieses Demo dann an Michael Kunze schickte,<br />

der charakterspezifisch passgenaue Texte verfasste und<br />

diese von Hamburg zurück nach Düsseldorf schickte,<br />

bis das finale Werk vollendet war. Falk komponierte<br />

eine Mischung aus Gospel und Pop, zitierte aber auch<br />

Weihnachtslieder wie ›Freue dich Welt‹, ›Adeste Fideles‹<br />

oder ›Maria durch ein Dornwald ging‹ und verwendete<br />

Bach- und Händel-Zitate. Beim dritten Chormusical<br />

gibt es außerdem mehr Up-Tempo-Nummern mit<br />

»Gospelwippen«, die bei Sängern und Zuschauern sehr<br />

gut ankommen. Mehr Reprisen sollen zudem den Ohrwurmcharakter<br />

prägen und die Zuschauer animieren, die<br />

auf Monitorwänden eingeblendeten Texte mitzusingen.<br />

Das Altersspektrum der teilnehmenden Chormitglieder<br />

reicht von 7 bis 93 Jahren. Die neun professionellen<br />

Musicaldarsteller als Solisten treten diesmal enger mit<br />

dem Chor in Interaktion, wobei die Solisten wie beim<br />

Gospel Textzeilen vorgeben, die der Chor anschließend<br />

als Echo zurückwirft.<br />

Die CD-Aufnahme mit einem Chor aus 100 Chorleitern<br />

und Chorleiterinnen konnte im März 2020 gerade<br />

noch rechtzeitig eingespielt werden, bevor das Verbreiten<br />

von Aerosolen in großen Menschenmengen verboten<br />

wurde. Während der Corona-Zeit gab es von Dieter und<br />

Paul Falk organisierte Online-Musikproben »Singen<br />

zuhause«, die zunächst nur für den damals 2.500-Stimmen-Chor<br />

gedacht waren, zu denen sich aber jeden<br />

Dienstagabend live bis zu 30.000 Menschen zuschalteten,<br />

um gemeinsam die Partitur von »Bethlehem« zu singen.<br />

Der daraus resultierende 3.000-Stimmen-Chor, der<br />

am 10. Dezember 2023 in der Grugahalle zur Hauptprobe<br />

antrat, war durch 3 Jahre Online-Proben also<br />

bestens auf die Aufgabe vorbereitet. Wer Chormitglied<br />

werden wollte, musste kein Casting bestehen, sondern<br />

sich einfach nur <strong>online</strong> registrieren.<br />

Der erste Song ›Bethlehem‹ zeigt das jetzige Bethlehem<br />

mit Stacheldrahtzäunen, wo gleich drei große Weltreligionen<br />

nicht immer friedlich aufeinandertreffen, bevor wir<br />

in den Brunnen der Zeit treten und im Jahre 1 unserer<br />

12<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Deutschland<br />

modernen Zeitrechnung landen. Der zweite Song ›Menschen<br />

in Not‹ ist momentan leider durch zwei Kriege<br />

aktueller denn je. »Bethlehem« ist kein politisches<br />

Stück, doch haben viele Texte ganz aktuell einen Bezug<br />

erhalten, den sie bei ihrer Entstehung vor über 3 Jahren<br />

noch nicht hatten. Es geht natürlich um das Wunder der<br />

Geburt Jesu, das in der Textzeile mündet: »Das Leben<br />

gewinnt mit jedem Kind«.<br />

Josef kommt mit seiner hochschwangeren Maria in<br />

Bethlehem an, wo sie als Fremde gemieden werden, doch<br />

sie finden Unterschlupf in einem Stall. Drei Astrologen<br />

beobachten als Könige der Wissenschaft einen Kometen,<br />

dem sie folgen und so an den Hof von Herodes gelangen,<br />

wo sie behaupten, dass der Komet die Ankunft eines<br />

neuen Königs verspricht, was Herrscher Herodes gar<br />

nicht gutheißt und mit seiner engsten Beraterin Mamba<br />

zu verhindern gedenkt. Ein Engel verkündet Josef und<br />

später auch den Hirten, dass Maria Gottes Sohn gebären<br />

wird. Als die drei Gaben der Astrologen zur Geburt Jesu<br />

neben Gold und Weihrauch auch die bittere Myrrhe enthalten,<br />

sieht Maria darin ein böses Omen und flieht mit<br />

Josef nach Ägypten. Zu Recht, denn Herodes befiehlt<br />

Mamba, zur Sicherung seiner Macht alle Neugeborenen<br />

in Bethlehem zu töten, doch Mamba entscheidet sich für<br />

eine andere Lösung.<br />

Viel Handlung gibt es für Regisseur Gil Mehmert<br />

nicht umzusetzen, der sich bei seiner Inszenierung auch<br />

auf wenige Requisiten wie die leuchtenden Buchstaben<br />

des Wortes Bethlehem, einen Einkaufswagen mit Marias<br />

und Josefs Habseligkeiten und moderne Kostüme von<br />

Bettina Tönne vorrangig in Schwarz mit Jeans und<br />

Leder verlässt. Star der beeindruckenden Show ist der<br />

gigantische Chor auf den Rängen des PSD Bank Domes<br />

in Düsseldorf, atmosphärisch illuminiert im passenden<br />

Lichtdesign von Michael Grundner und dirigiert an<br />

zwei Seiten von Danny Sebastian Neumann und Miriam<br />

Schäfer. 14 Musiker und Musikerinnen sorgen für die<br />

instrumentale Begleitung, die vom Sound Engineering<br />

von Carsten Kümmel auch mit den Solo-Darstellern<br />

perfekt verständlich abgemischt wird, während sie in der<br />

Choreographie von Yara Hassan an passender Stelle auch<br />

mal einige Tanzschritte aufführen dürfen.<br />

Als Maria überzeugt Alina Ju Tchin Simon mit einer<br />

kristallklaren Stimme bei ›Du wirst stets mein Kind<br />

sein‹, Benjamin Oeser darf als Josef bei ›Wenn Gott<br />

ein Mensch ist‹ zweifeln, wie Jesus seinen Platz in der<br />

Geschichte einnimmt. Bonita Niessen verkündet als<br />

Engel mit starker Gospel-Röhre und beeindruckender<br />

Robe Jesu Geburt gleich mehrfach, während Mischa<br />

Mang als Herodes seine ›Macht‹ mit allen Mitteln behalten<br />

will. Sein bestens gestimmtes Instrument ist Mamba,<br />

die mit Karolin Konert fantastisch ihren ›Nachtwein‹<br />

darreicht. Die drei weisen Astrologen sind mit Sebastian<br />

Wurth (Melchior), Florian Minnerop (Balthasar) und<br />

Marlon Wehmeier (Caspar) harmonisch aufgestellt und<br />

mit M, B, C auf den Baseball-Kappen immer gut auseinanderzuhalten.<br />

Julia Lißel führt als Erzählerin durch die<br />

biblische Geschichte. Stefan Stara und Veronika Rivó<br />

kamen als Cover in den beiden Vorstellungen am 16.<br />

Dezember 2023 nicht zum Einsatz.<br />

»Bethlehem« ist auch ohne viele Kulissen ein<br />

beeindruckendes Spektakel mit biblischen Ausmaßen<br />

und weiß durch schmissige Gospel-Rhythmen gut zu<br />

unterhalten. Die Show wird in den nächsten Jahren zur<br />

Adventszeit gleich in mehreren Städten auf Tournee<br />

gehen, und interessierte Sänger und Sängerinnen können<br />

sich schon bald <strong>online</strong> als Chormitglieder registrieren.<br />

Stephan Drewianka<br />

Abb. oben:<br />

Julia Lißel übernimmt als Erzählerin<br />

auch die Rolle eines Schäfers<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Maria (Alina Ju Tchin Simon, r.)<br />

und Josef (Benjamin Oeser, 2.v.r)<br />

kommen nach Bethlehem, wo sie<br />

nicht willkommen sind<br />

2. Die Heiligen Drei Könige als<br />

Astronomen – (v.l.): Balthasar<br />

(Florian Minnerop), Caspar<br />

(Marlon Wehmeier) und Melchior<br />

(Sebastian Wurth)<br />

3. Mamba (Karoline Konert)<br />

hält einen Nachttrank für König<br />

Herodes (Mischa Mang. l.) parat<br />

4. Bonita Niessen als Engel der<br />

Verkündung<br />

Fotos (5): Stephan Drewianka<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

13


Musicals in Deutschland<br />

Ein Stück über Liebe – und Berlin<br />

BVG-Musical »Tarifzone Liebe« feiert Uraufführung in Berlin<br />

Abb. oben: Die BVG steht still und<br />

niemand (Ensemble) weiß mehr, wie<br />

er jetzt an sein Ziel kommen soll<br />

Foto: Fabian Frühling<br />

Tarifzone Liebe –<br />

Das BVG-Musical<br />

»Not A Machine« / Tom van Hasselt<br />

BVG Berlin<br />

Admiralspalast<br />

Uraufführung: 4. Dezember 2023<br />

Regie ..................... Christoph Drewitz<br />

Musikalische Leitung ..... Hauke Wendt<br />

Choreographie ............. Jonathan Huor<br />

Ausstattung ........................ Adam Nee<br />

Lichtdesign .... Fridthjofur Thorsteinsson<br />

Tramara ........ Jeannine Michèle Wacker<br />

Alexander....................... Jendrik Sigwart<br />

Bus-Tav .............................. Gino Emnes<br />

U-Laf ................................... Nico Went<br />

Fahraus-Weise .................... Steffi Irmen<br />

Fahrgast / Gebiss ......... Ilias Sidi-Yacoub<br />

Hilde / Eifelturm ......... Anastasia Troska<br />

Fahrgast / Peitsche ....... Safiyah Galvani<br />

Omi ....................... Alina Antje Niehaus<br />

Heiner / Kontrolleur ..... Dominik Müller<br />

In weiteren Rollen<br />

Daniel Brennecke, Ulrike Brühan,<br />

Emilia Eschelbach, Kevin Flemming,<br />

Fitim Qenaj, Zoé Wendel<br />

Berliner Verkehrsbetriebe sind schon seit<br />

Dvielen Jahren dafür bekannt, dass sie immer<br />

wieder mit großen Werbeaktionen zumindest für<br />

den einen oder anderen Aufmerksamkeitsschmunzler<br />

sorgen. Die Werbeagentur hinter den erfolgreichen<br />

Kampagnen ist auch an der jetzigen beteiligt:<br />

Plötzlich und unerwartet war Berlin im November<br />

mit Plakaten zugepflastert, die für das Musical<br />

»Tarifzone Liebe« wenige Wochen später mit nur<br />

zwei Shows im Admiralspalast warben. Was kurz<br />

wie ein Witz wirkte, stellte sich dann schnell als<br />

echtes Stück heraus, und binnen <strong>24</strong> Stunden waren<br />

alle Tickets für die beiden Abende ausverkauft.<br />

Die Geschichte ist, bedingt durch die kurze<br />

Dauer des Stückes, einfach gestrickt: Tramara<br />

möchte mehr als einfach nur eine Tram sein, die<br />

ihre Fahrgäste von A nach B befördert – nein, sie<br />

möchte möglichst alle Fahrgäste glücklich machen.<br />

Nachdem sie mitbekommen hat, dass zwei Fahrgäste<br />

aus Versehen getrennt wurden, sorgt sie<br />

zum Beispiel durch einen plötzlichen Stopp dafür,<br />

dass sie wieder zusammen finden. Da dieses mitfühlende<br />

Verhalten immer wieder für Verspätungen<br />

im Verkehrsbetrieb sorgte, ist gerade dieses<br />

außerplanmäßige Halten der Auslöser dafür, dass<br />

sie von der Leitstellenleitung von ihrer üblichen<br />

Strecke abgezogen wird. Für einen kurzen Stopp<br />

zum Reinigen kommt sie ins Lager. Gemeinsam<br />

mit einigen Fundstücken besingt sie dort ihren<br />

Stammfahrgast Alexander, in den sie sich verliebt<br />

und von dem sie das Portemonnaie hat, nachdem<br />

er es bei einer Fahrt mit ihr verlor. Dieser ist bereits<br />

in der Beschwerdestelle auf der Suche nach Hilfe,<br />

rund um ihn vor allem erboste Menschen, die sich<br />

über die Unzulänglichkeit der BVG beschweren<br />

wollen. Tramara versucht, Alexander über die<br />

Anzeigetafeln darüber zu informieren, dass sie<br />

das Fundstück hat, allerdings nicht mehr auf ihrer<br />

üblichen Stammstrecke fahren darf. Dieser versteht<br />

die kryptische Nachricht erstaunlicherweise sofort<br />

und macht sich auf den Weg zum Alexanderplatz.<br />

Allerdings wird Alexander von der Fahrkartenkontrolle<br />

angehalten – das Fahrticket liegt allerdings<br />

in seinem Portemonnaie in Tramara, die er durch<br />

die Kontrolle verpasst. Tramara, die ihn gesehen,<br />

aber die Situation missgedeutet hat, entschließt<br />

sich, ihren Liebeskummer zum Anlass zu nehmen,<br />

um aus dem Schienennetz Berlins auszubrechen<br />

und nach Paris, der Stadt der Liebe, aufzubrechen.<br />

Dieser Ausstieg sorgt für Chaos im Fahrplan und<br />

auf einmal steht alles still – was dazu führt, dass<br />

die Fahrgäste, die zuvor noch so erbost über all<br />

die Verspätungen waren, bemerken, wie wichtig<br />

die BVG für ihre Tagesabläufe ist. Mit »Die Stadt<br />

steht still, denn sie will, sie will ein bisschen Liebe«<br />

singen sie eine Hymne auf das, was in den letzten<br />

Jahren zunehmend fehlte – Liebe und Verständnis<br />

unter- und füreinander. Auch Alexander stellt fest,<br />

dass Berlin nicht seinen Traumvorstellungen entspricht<br />

und wie einsam er in Wahrheit ist. Tramara<br />

und er begegnen sich an einer Tramhaltestelle und<br />

die Weisheit, dass man manchmal einfach zuhören<br />

muss, um den anderen zu verstehen, führt dazu,<br />

dass sie miteinander reden können, obwohl sie eine<br />

Tram und er ein Mensch ist. Sie erzählt ihm von<br />

ihrem Paris-Traum, den sie kurz hatte, und dass<br />

sie für ihn zurückgekehrt ist. Mit ›Einzelfahrt ins<br />

Liebesglück‹ besingen beide die schönen Seiten, die<br />

14<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Deutschland<br />

Berlin und das Leben bieten, ebenso wie ihre Liebe.<br />

Als Tramara sich bei der Leitstelle stellt und zugibt,<br />

dass sie an dem Chaos in der Stadt Schuld ist, kommen<br />

ihr alle Gäste zur Hilfe und erzählen, wie toll<br />

sie Tramara finden und wie schön es ist, wenn man<br />

auch als Einzelfahrgast mal wahrgenommen wird.<br />

Mit ›Tarifzone Liebe‹, eine Hymne an die BVG, das<br />

Miteinander und die Stadt, endet dann das knapp<br />

einstündige Erlebnis.<br />

Dass hier echte Profis am Werk sind, sieht man<br />

schnell: Regisseur Christoph Drewitz führt mit<br />

schnellem Takt durch das Stück. Die oft grenzwertigen<br />

Witze zwischen flach und genial funktionieren<br />

überwiegend, gerade weil er die Inszenierung des<br />

Tempos beherrscht. Das Buch stammt von Tom van<br />

Hasselt, dies merkt man auch, denn er hat mit seiner<br />

Art der Texte seit vielen Jahren eine ganz eigene<br />

Handschrift. Diese mag man oder auch nicht, sie ist<br />

aber auf jeden Fall massentauglich. Für die Musik<br />

verantwortlich zeichnet »Not A Machine«. Entstanden<br />

sind neun Songs, die sich in kurzen Fragmenten<br />

an Techno und Rap bedienen, aber vor allem den<br />

klassischen Musicalklang bieten. Die Darsteller<br />

auf der Bühne haben alle Rang und Namen in der<br />

Musicalwelt. Neben den beiden Hauptdarstellern<br />

Jeannine Michèle Wacker, die mit viel Herzblut die<br />

liebenswerte Tram Tramara darstellt, und Jendrik<br />

Sigwart als der leicht vertrottelte, mit dem Herzen<br />

am rechten Fleck ausgestattete Alexander, hat sich<br />

insbesondere Steffi Irmen als Fahraus-Weise hervorgehoben.<br />

Diese Weisheiten liegen alle auf dem<br />

Niveau von »Gut Ding will Weiche haben« oder<br />

»Lieber Eile mit Weile als Busfahrt ohne Bremse«,<br />

aber da sich weder die BVG noch der ganze Abend<br />

ernst nehmen wollen, kann man darüber auch<br />

irgendwann hinwegsehen und es schmälert nichts<br />

an der von Irmen dargestellten Liebenswürdigkeit<br />

des Charakters. Auch Gino Emnes als Bus-Tav und<br />

Nico Went als U-Laf haben ihre bemerkenswerten<br />

Momente auf der Bühne.<br />

Die musikalische Leitung hat Hauke Wendt<br />

inne, die durchaus immer wieder gelungenen Choreographien<br />

stammen von Jonathan Huor. Auch<br />

das Bühnenbild und die Kostüme von Adam Nee<br />

sind – gemessen an der sehr kurzen Spielserie –<br />

erstaunlich vielfältig und gut gelungen. Hervorgehoben<br />

gehört hier auch noch das Lichtdesign von<br />

Fridthjofur Thorsteinsson, welches die doch große<br />

Bühne immer wieder gut unterteilt und für viel<br />

Lebendigkeit sorgt.<br />

Letztendlich war es ein kurzweiliger Abend, das<br />

gesponserte Popcorn auf jedem Sitz ließ schon zu<br />

Beginn vermuten, dass man sich hier des amerikanischen<br />

Popcornmovie-Genres bedienen und eine<br />

Stunde einfacher Unterhaltung schaffen wollte.<br />

Dass diese Werbeaktion aber deutschlandweite<br />

Beachtung gefunden hat und auch alle großen Zeitungen<br />

über diese Premiere berichtet haben, ist ein<br />

absolut beachtenswerter Erfolg für die BVG.<br />

Für alle, die das Stück gerne gesehen hätten, aber<br />

keine Tickets bekommen haben: Es wurde schon<br />

mit der Premiere auf dem YouTube-Kanal der BVG<br />

als Livestream veröffentlicht und kann dort nach<br />

wie vor angesehen werden.<br />

Sabine Haydn<br />

Abb. oben:<br />

Gemeinsam besingen Tramara<br />

(Jeannine Michèle Wacker) und<br />

Alexander (Jendrik Sigwart) die<br />

Schönheit des Lebens<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Fahraus-Weise (Steffi Irmen,<br />

Mitte, mit Ensemble) hat für die<br />

Fahrgäste immer eine Weisheit parat<br />

2. Tramara (Jeannine Michèle<br />

Wacker, 2.v.l.) gesteht Alexander<br />

(Jendrik Sigwart, l.) ihre Liebe<br />

3. Alle (Ensemble) verteidigen<br />

Tramara (Jeannine Michèle Wacker,<br />

Mitte) vor der Leitstellenleitung für<br />

ihr Handeln<br />

4. Endlich funktioniert der Verkehr<br />

wieder: (v.l.) Bus-Tav (Gino Emnes),<br />

Fahraus-Weise (Steffi Irmen), U-Laf<br />

(Nico Went) und auch Tramara<br />

(Jeannine Michèle Wacker) sind<br />

erleichtert<br />

Fotos (5): Fabian Frühling<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

15


Musicals in Deutschland<br />

Was ist schon normal?<br />

»The Addams Family« im Grenzlandtheater Aachen<br />

Abb. oben:<br />

›Du bist ein Addams‹ – Gomez<br />

(Christian Bindert, vorne) stellt die<br />

Familienwerte vor<br />

Foto: Dominik Fröls<br />

The Addams Family<br />

Andrew Lippa / Marshall Brickman /<br />

Rick Alice<br />

Deutsch von Anja Hauptmann<br />

Grenzlandtheater Aachen<br />

Premiere: 10. Dezember 2023<br />

Regie ................ Thomas Helmut Heep<br />

Musikalische Leitung ..... Stephan Ohm<br />

Choreographie ................... Kati Farkas<br />

Ausstattung ..................... Steven Koop<br />

Gomez Addams .......... Christian Bindert<br />

Morticia Addams ......... Stephanie Theiß<br />

Wednesday Addams ..............................<br />

............................. Lucille-Mareen Mayr<br />

Pugsley Addams ............ Lasarah Sattler<br />

Onkel Fester ................. Michael Kargus<br />

Grandma ........................... Aimée Covo<br />

Lurch .................................. Lukas Thier<br />

Mal Beineke ..................... Fehmi Göklü<br />

Alice Beineke ........... Verena Bonnkirch<br />

Lucas Beineke .............. Michael Berres<br />

Lust auf ein kleines Musik-Quiz? An welche Filmbzw.<br />

Fernsehserie müssen Sie unmittelbar denken,<br />

wenn Sie folgendes lesen: »Tadadada, snip snip, tadadada,<br />

snip snip, tadadada tadadada tadadada, snip<br />

snip« … Richtig! Willkommen in der düster-schaurigen<br />

Welt von Amerikas wohl schrägster Familie, der<br />

»Addams Family«!<br />

Basierend auf den Charakteren eines 1938 erstmals<br />

im Magazin »The New Yorker« erschienenen Cartoons<br />

des Zeichners Charles Adams, in dem er durch die<br />

Schaffung verschiedenster Figuren mit umgekehrtem<br />

Ästhetikempfinden das Ideal einer amerikanischen<br />

Musterfamilie karikierte, nahmen Familienoberhaupt<br />

Gomez Addams, seine Ehefrau Morticia, die Sprösslinge<br />

Wednesday und Pugsley sowie die Nebenfiguren<br />

Onkel Fester, Grandma und Lurch erst durch die<br />

zahlreichen Film- und Serienadaptionen immer mehr<br />

Gestalt an.<br />

Aus einem Cartoon (mit bis dato namenlosen<br />

Figuren in Einzelbild-Gags) wurde so nach und nach<br />

eine Kultfamilie geschaffen, die spätestens seit der<br />

2022 erschienenen Netflix-Serie um Töchterchen<br />

Wednesday so ziemlich jedes (ältere) Kind kennt.<br />

Das 2009 in Chicago uraufgeführte Stück mit<br />

Musik und Texten von Andrew Lippa (Buch: Marshall<br />

Brickman und Rick Alice) ist dabei ganz bewusst<br />

kein musikalischer Abklatsch bereits vorhandener<br />

»Addams Family«-Geschichten, sondern überrascht<br />

mit ganz eigener Story:<br />

Wednesday – mittlerweile zu einer jungen Frau<br />

herangewachsenen – zeigt plötzlich ganz neue Verhaltensweisen:<br />

Sie lächelt! Und auch sonst tritt bei<br />

der von Tod und Folter faszinierten Addams-Tochter<br />

zunehmend eine bis dato unterdrückte, weiche Seite<br />

zum Vorschein. In einer Familie, in der sich Bruder<br />

Pugsley gerne mit Stromschlägen und Messern drangsalieren<br />

lässt, die 102-jährige Grandma auf berauschende<br />

Mittel und jüngere Männer steht, der Onkel<br />

eine düstere Affinität zum Mond hat, der Butler ein<br />

Zombie ist und ohnehin alle nur schwarz tragen und<br />

am liebsten den ganzen Tag von Tod, Verwesung und<br />

Dunkelheit sprechen, ist Wednesdays neues Verhalten<br />

nicht nur ungewöhnlich – es ist eine absolute Katastrophe!<br />

Erst recht, wenn der Grund die frisch<br />

erblühte Liebe zu einem Jüngling aus völlig spießigem<br />

Haus ist. Da sich die beiden bereits heimlich verlobt<br />

haben, drängt Wednesday darauf, dass die Familien<br />

sich endlich kennenlernen. Vorher jedoch ringt sie<br />

ihrem durchgeknallten Clan die Bitte ab, sich ihr<br />

zuliebe ›Nur für eine Nacht‹ wie stinknormale Leute<br />

zu verhalten, nicht ahnend, dass ihr Liebster Lukas<br />

zur gleichen Zeit dieselbe Bitte an seine scheinbar<br />

mustergültigen Eltern richtet … doch mal ganz ehrlich:<br />

Was ist schon »normal«?<br />

Eine Frage, die sich der Zuschauer im Laufe des<br />

Abends gerne des Öfteren stellen darf. Oder, um es<br />

mit Morticia Addams’ treffsicheren Worten zu sagen:<br />

»Normal ist eine Illusion. Was für die Spinne normal<br />

ist, ist für die Fliege eine Katastrophe.« Kein Wunder<br />

also, dass selbst eigene Antworten darauf, was normal<br />

ist oder nicht, im Verlauf des Stücks zunehmend in<br />

Frage gestellt werden.<br />

Denn (auch) in der Inszenierung von Thomas Helmut<br />

Heep sind die oftmals bewusst überzeichneten Figuren<br />

der Addams-Familie so überdreht durchgeknallt, dass<br />

sie schon wieder absolut liebenswert sind, während die<br />

vermeintliche Idealfamilie Beineke – insbesondere die<br />

völlig angepassten Eltern Mal und Alice – anfangs eher<br />

unsympathisch daherkommt.<br />

Als jedoch der Nachwuchs von einem Tag auf<br />

den anderen aus dem familiären Raster fällt und<br />

beschließt, eigene Wege zu gehen, sind die Probleme<br />

auf beiden Seiten mit einem Schlag so ziemlich die<br />

gleichen.<br />

Aber die Addams wären schließlich nicht die<br />

Addams, hätten sie nicht ein »eiskaltes Händchen« in<br />

16<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Deutschland<br />

jeder Lebenslage! Und so zeigen die düster-makabren<br />

Exzentriker den Normalos, worauf es in der Familie<br />

am Ende ankommt: Zusammenhalt, Loyalität, gegebenenfalls<br />

auch mal Nachsicht und vor allem – ganz<br />

viel Liebe …<br />

Bei aller gerade nur angekratzten Tiefsinnigkeit,<br />

die noch viele weitere Eigeninterpretationsmöglichkeiten<br />

zulässt, ist »The Addams Family« gleichzeitig<br />

eine generationsübergreifende, gut gemachte Familienunterhaltung<br />

(Empfehlung des Theaters: ab ca. 12<br />

Jahren), die Spaß macht und ein paar unbeschwerte<br />

Stunden beschert. In der Inszenierung des Aachener<br />

Grenzlandtheaters ist dies besonders einem bestens<br />

aufgelegten Ensemble zu verdanken, das zu Recht am<br />

Ende einen nicht enden wollenden Applaus bekam<br />

und zum eigenen Erstaunen wiederholt auf die Bühne<br />

(zurück-)gerufen wurde. Vom eher wortkargen Butler<br />

Lurch (Lukas Thier) in einer Nebenrolle bis zur<br />

Hauptrolle Wednesday (Lucille-Mareen Mayr) waren<br />

die verschiedenen Charaktere durch die Bank bestens<br />

besetzt und wurden von den exzellenten Darstellern<br />

mit viel Spielfreude, ausgezeichneten Gesangsstimmen<br />

und auch jeder Menge tänzerischem Können<br />

(in den Ensemblenummern sei hier besonders Aimée<br />

Covo als Grandma genannt) bis in die letzte Fingerspitze<br />

ausgefüllt.<br />

Apropos Finger: Selbstverständlich gibt es auch<br />

bei der Musicalfassung von »The Addams Family«<br />

ein Wiedersehen mit dem »eiskalten Händchen«,<br />

das Onkel Fester (Michael Kargus) aus darstellerisch<br />

offensichtlichen Gründen nicht von der Seite<br />

weicht. Offensichtlich, aber dennoch bemerkenswert:<br />

Michael Kargus gelingt es durch gekonnte (Hand-)<br />

Bewegungen, dem skurrilen »Haustier« der Addams-<br />

Familie nicht nur Leben einzuhauchen, sondern hier<br />

auch einen eigenen Charakter mit eigenen Emotionen<br />

und eigener Kommunikation zu formen. Seine Darstellung<br />

als Onkel Fester gehört jedoch ebenso zu den<br />

Highlights des Abends, sein Pas de deux mit seiner<br />

großen Liebe, dem Mond (Luna), ›Sagt der Mond, ich<br />

liebe dich‹, sorgt für reichlich Gänsehaut.<br />

Dies ist sicherlich nicht zuletzt der bestens ausgeklügelten<br />

Choreographie von Kati Farkas zu verdanken,<br />

der es gelingt, eindrucksvolle Schrittkombinationen<br />

auf kleinstem Raum zu kreieren, so auch<br />

beim durch Stephanie Theiß und Christian Bindert<br />

gekonnt umgesetzten ›Tango d’Amor‹ von Gomez<br />

und Morticia. Nicht nur choreographisch beweist<br />

das für »The Addams Family« zusammengestellte<br />

Kreativteam um Regisseur Thomas Helmut Heep<br />

eindrucksvoll, dass auf der doch recht kleinen Bühne<br />

des Aachener Grenzlandtheaters viel mehr möglich<br />

ist, als es auf dem ersten Blick scheint. Dies zeigt sich<br />

auch im Bühnenbild von Steven Koop: Schauplatz<br />

des Abends ist – abweichend von der Familienvilla<br />

im überwiegenden Teil anderer Musicalinszenierungen<br />

von »The Addams Family« – ein ausschließlich<br />

in den Farben Schwarz und Weiß gestaltetes<br />

Krematorium, dessen Leichenfächer (größtenteils<br />

Schubladen) auch mal als Stauraum, Sitzgelegenheit,<br />

Schlafplatz oder – im oberen Bereich – als Fenster<br />

genutzt werden können.<br />

Wer Spaß an Interpretationsmöglichkeiten hat,<br />

kommt hier vollends auf seine Kosten, wer eine in sich<br />

stimmige, von (unnötigen) Umbauten befreite Show<br />

voller versteckter Überraschungen erwartet, ebenfalls.<br />

Fazit des Abends: Bei der Aachener Inszenierung<br />

von »The Addams Family« dürfte für jeden Geschmack<br />

und Anspruch etwas dabei sein. Auf jeden Fall ist es<br />

für ein paar Stunden eine gute und unterhaltsame<br />

Auszeit von der alltäglichen Normalität. Obwohl:<br />

Was ist schon normal?<br />

Susanne Baum<br />

Abb. oben:<br />

Alice (Verena Bonnkirch) lässt die<br />

Maske und alle Hemmungen fallen,<br />

Lurch (Lukas Thier) bleibt unbeirrt<br />

Abb. von links oben:<br />

1. Wednesday (Lucille-Mareen<br />

Mayr, r.) wünscht sich ›Nur für eine<br />

Nacht‹ eine »normale« Familie<br />

2. ›Tauch hinab ins Dunkel‹ – Onkel<br />

Fester (Michael Kargus) verlässt die<br />

irdische Welt, um endlich mit seiner<br />

großen Liebe, Mond »Luna«, vereint<br />

zu sein<br />

3. Gomez (Christian Bindert) und<br />

Morticia (Stephanie Theiß) tanzen<br />

den ›Tango d‘Amor‹<br />

4. ›Sag die Wahrheit‹ – Onkel Fester<br />

(Michael Kargus, Mitte) und seine<br />

Familie fordern die Gäste zu einem<br />

Spiel heraus<br />

Fotos (5): Dominik Fröls<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

17


Musicals in Deutschland<br />

Ein technischer Blutrausch<br />

»Tanz der Vampire« im Operettenhaus in Hamburg<br />

Abb. oben:<br />

›Totale Finsternis‹ – Graf von<br />

Krolock (Rob Fowler) wird mit dem<br />

todbringenden Biss für Sarah (Kristin<br />

Backes) warten bis zum Ball<br />

Foto: Morris Mac Matzen<br />

Seit über 26 Jahren spuken nun schon die Untoten<br />

über die Bühnen dieser Welt und ziehen auch, zur<br />

dritten Hamburger Spielzeit, ins Operettenhaus ein.<br />

Das tut der Produktion insgesamt sehr gut, denn das<br />

etwas kleinere und intimere Operettenhaus lässt die<br />

Szenen, bei denen die Darsteller direkt zwischen den<br />

Zuschauern agieren, wie damals schon bei »Cats« viel<br />

stärker und näher wirken und fängt die Zuschauer so<br />

direkt ein.<br />

»Tanz der Vampire« basiert auf dem gleichnamigen<br />

Film von Roman Polanski aus dem Jahr 1967. Die<br />

Idee, das Werk in ein Musical umzuwandeln, entstand<br />

durch den österreichischen Produzenten Rudi<br />

Klausnitzer zusammen mit dem Komponisten Jim<br />

Steinman. Gemeinsam mit Michael Kunze, der die<br />

Liedtexte schrieb, entwickelte Steinman das Musical.<br />

Die Uraufführung fand am 4. Oktober 1997 am Raimund<br />

Theater in Wien statt und die Rolle des Grafen<br />

wurde vom großartigen Steve Barton gesungen, der<br />

dafür 1998 den International Musical Award IMAGE<br />

erhielt. Zum 10-jährigen Bühnenjubiläum folgten<br />

weitere große Stimmen wie zum Beispiel Thomas Borchert,<br />

Kevin Tarte, Ian Jon Bourg oder Jan Ammann.<br />

Neben den starken Bari-Tenören wurden aber auch<br />

immer wieder Rock-Tenöre für die große, das Stück<br />

tragende Partie des Grafen gecastet.<br />

Die jetzige Cast wurde sehr international besetzt<br />

und soll, laut Aussage von Associate Director Cornelius<br />

Baltus, eine kraftvolle Neuinterpretation der tanzenden<br />

Vampire servieren. In der besuchten Vorstellung<br />

konnte man viele schöne und auch gute neue Momente<br />

entdecken, z.B. das neue Logo auf dem Gazevorhang,<br />

die schaurige Tonkulisse mit Wolfsgeheul vor Beginn<br />

der Vorstellung und in der Pause, oder großartig<br />

schimmernde Neon-Stoffe in den Vampirmänteln<br />

(Kostüme: Reto Tuchschmid). Das wahrgenommene<br />

Gesamterlebnis blieb jedoch etwas hinter der großen<br />

Ankündigung und im Vergleich mit vorherigen<br />

Besetzungen zurück, insbesondere auch bezüglich der<br />

Textverständlichkeit. So fühlt man sich doch stark in<br />

die 80er Jahre zurückkatapultiert, als in Deutschland<br />

erste Musicalschmieden eröffneten, um Nachwuchs<br />

für die großen Bühnen zu produzieren, und es hierzulande<br />

einfach noch zu wenig Darstellernachwuchs<br />

gab. Damals klang dann ein ›G.E.K.U.P.P.E.L.T‹ aus<br />

»Starlight Express« eher wie ein Wort aus fremden Galaxien<br />

– das ist nun aber eigentlich nicht mehr nötig und<br />

hier muss deshalb einmal für unsere deutschsprachigen<br />

Darstellerinnen und Darsteller eine Lanze gebrochen<br />

werden: Sie können diese Partien singen und sie sollten<br />

auch deshalb unbedingt besetzt werden, damit die<br />

Zuschauer die guten Texte von Michael Kunze auch<br />

verstehen können und die Szenen nicht unfreiwillig<br />

komisch wirken, weil die Akteure nicht wissen, was sie<br />

da gerade von sich geben.<br />

Wenn man z.B. nach Berlin und zum »Ku’damm 56«-<br />

Musical zurückschaut, konnte dort hautnah erlebt werden,<br />

wie Musical besonders über die Dialogregie perfekt funktionieren<br />

kann – und das wäre bei einem Klassiker wie den<br />

»Vampiren« ebenfalls sehr wünschenswert gewesen.<br />

Vampirjäger Professor Abronsius (Till Jochheim)<br />

ist sehr gut zu verstehen und holt komödiantisch über<br />

den Text alles aus der Rolle heraus, was geht. Seinem<br />

Assistenten Alfred (Vincent Van Gorp, überengagiert<br />

und mit holländischem Akzent) fällt das schon deutlich<br />

schwerer. Sie reisen zusammen in ein abgelegenes<br />

transsilvanisches Dorf, um den Ursprung mysteriöser<br />

Vampiraktivitäten zu untersuchen.<br />

18<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Deutschland<br />

Im Dorf angekommen lernen die beiden die<br />

Dorfbewohner und ihre Gastgeber Chagal (kaum zu<br />

verstehen: Oleg Krasovitskii) und seine Frau Rebecca<br />

(liebevoll gespielt und gesungen von Carina Nopp)<br />

sowie die Magd Magda (Demi Hubers mit starker<br />

Stimme) kennen.<br />

Beim Bezug ihres Zimmers und dem Gang zum<br />

Bad überrascht Alfred Sarah (Kristin Backes), die<br />

gerade ein Bad nimmt. Es ist für Alfred Liebe auf den<br />

ersten Blick, aber Sarah (in der jetzigen Version stark<br />

emanzipiert angelegt) erwidert dieses Gefühl nicht.<br />

Sie hat nur Augen für die Geschenke und die Einladung<br />

von Graf von Krolock (Rob Fowler), der nur<br />

zu gerne seine Zähne in die schöne Sarah schlagen<br />

möchte. Zum Schloss gelockt wird sie von Koukol,<br />

der rechten Hand des Grafen. Die Rolle des buckligen<br />

Gehilfen wurde fantastisch auf den Punkt gespielt von<br />

Alexander Ruttig. Das Orchester unter der Leitung von<br />

Martin Gallery spielt voll klingend und druckvoll auf<br />

und die Gesamtgeschwindigkeit macht großen Spaß!<br />

Den ersten Showstopper des Abends kreiert Magda<br />

(Demi Hubers) mit ›Tot zu sein ist komisch!‹, nachdem<br />

Chagal von den Vampiren gebissen wurde.<br />

Die einmaligen Choreographien von Dennis Callahan<br />

tragen auch diesmal wieder zu beeindruckenden<br />

Momenten bei, wie zum Beispiel in der Traumszene,<br />

wo eine Tänzerin und ein Tänzer in die Rollen von<br />

Sarah und Alfred schlüpfen und die Story tänzerisch<br />

erzählen und so vorantreiben.<br />

Kurz vor dem Finale des ersten Teils lernt Alfred<br />

im Schloss noch den homosexuellen Sohn des Grafen<br />

kennen (herrlich schwul angelegt von Jonas Steppe).<br />

Alfred bekommt es in der Gruft nicht hin, die Herzen<br />

der Vampire mit einem Pflock zu durchstoßen, und<br />

so leben die Untoten weiter und Rob Fowler singt den<br />

Gänsehautsong ›Die unstillbare Gier‹. Fowlers Graf<br />

wirkt durchweg bedrohlich und stimmlich kraftvoll<br />

und nimmt auch die Höhen der Partie leicht. Er zeigt,<br />

dass er noch höher und weiter springen will als seine<br />

Kollegen zuvor, aber anders als erlebte Grafen finden in<br />

seiner Rollenanlage kaum Brüche und zarte Momente<br />

statt. Die wenigen weichen Momente in der Partie<br />

kann man diesmal nicht entdecken und dadurch wirkt<br />

es wie ein technisch perfektionierter Blutrausch, aber<br />

irgendwie plastisch kühl. Im weiteren Verlauf verliert<br />

Alfred schließlich seine angehimmelte Sarah an den<br />

Grafen und auch er selbst wird von ihr gebissen und<br />

zum »Ablecken« des Blutes aufgefordert. Der Professor<br />

feiert »Van Helsings Theorien« und sich selbst und<br />

alle tanzen auf einem fulminanten Ball im bekannten<br />

Schloss mit Wendeltreppe und Deckenleuchtern<br />

(Technische Leitung: Steffen Riese), der schließlich<br />

alle zum großen Finale vereint.<br />

Die 3. Auflage der Vampire in Hamburg macht<br />

trotz kritischer Wahrnehmung der sprachlichen<br />

Umsetzung unglaublichen Spaß, denn die Musik von<br />

Jim Steinman ist nicht nur weltbekannt, sie geht auch<br />

eindringlich ins Ohr. »Viele Neurosen sind heilbar<br />

durch Stoßen« singt der Professor – leider nahmen es<br />

diesmal auch zwei überambitionierte Musicalfans zum<br />

Anlass, bei sämtlichen Nummern mizusingen und<br />

-zutanzen oder mit zur Faust geballten Armen die<br />

Choreos nachzumachen, ungeachtet dessen, dass Leute<br />

hinter ihnen sitzen, die teure Karten erworben haben<br />

und die lieber die Show ohne ihre Zwangseinlagen<br />

genossen hätten.<br />

Der Blutrausch im Operettenhaus läuft geschmeidig<br />

und perfektioniert und die spitzen Beißerchen<br />

werden sicher noch eine Weile ausgepackt. Eine Reise<br />

nach Transsilvanien und nach Hamburg lohnt also<br />

gleichermaßen.<br />

Stefan Schön<br />

Tanz der Vampire<br />

Jim Steinman / Michael Kunze<br />

Stage Entertainment<br />

Operettenhaus Hamburg<br />

Premiere: 12. November 2023<br />

Regie ......................... Roman Polanski<br />

Associate Regie ......... Cornelius Baltus<br />

Musikalische Leitung ... Martin Gallery<br />

Arrangements &<br />

Musical Supervision ...... Michael Reed<br />

Choreographie .......... Dennis Callahan<br />

Associate Kostümdesign ......................<br />

..................................Reto Tuchschmid<br />

Graf von Krolock ................ Rob Fowler<br />

Professor Abronsius .......... Till Jochheim<br />

Sarah .............................. Kristin Backes<br />

Alfred ....................... Vincent Van Gorp<br />

Chagal ....................... Oleg Krasovitskii<br />

Magda ...... Demi Hubers / Anja Backus<br />

Rebecca ........................... Carina Nopp<br />

Herbert ............................. Jonas Steppe<br />

Koukol ....................... Alexander Ruttig<br />

In weiteren Rollen:<br />

Christoph Apfelbeck, Rachel Bahler,<br />

Sandra Bitterli, Nicolas Boris Christahl,<br />

Kezia Coulson, Lorenzo Di Girolamo,<br />

Carina Fitzi, Alice Giammarioli,<br />

Andrea Gioia, Chloe Lee Hill,<br />

Anne Hoth, Nicole Klünsner,<br />

Ynze Julian Lanser, Tycho Lemmen,<br />

Simon Loughton, James-Paul McAllister,<br />

Luna Maria Muller,<br />

Keny Oslen Ceballo Romero,<br />

Rosie Porter, Artem Salastelny,<br />

Ginevra Serra Cassano,<br />

Frederik Stuhllemmer, Paolo Valenti,<br />

Valeria Vegezzi, Andres Vercoutere,<br />

Jessie Vos, Ian Vrolijk<br />

Abb. von links:<br />

1. Graf von Krolock (Rob Fowler)<br />

wird seine Gäste nicht ohne Grund<br />

in sein Schloss bitten<br />

2. Die Vampire (Ensemble) beklagen<br />

›Die Ewigkeit‹<br />

Foto 1: Morris Mac Matzen<br />

Foto 2: Brinkhoff / Mögenburg<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

19


Musicals in Deutschland<br />

Zwischen Rache und Liebe<br />

»Der Graf von Monte Christo« am Theater Lüneburg<br />

Duell auf Leben und Tod – Fernand Mondego (Gerd Achilles, 2.v.r.) und Edmond Dantès (Thomas Borchert, r.)<br />

kämpfen in Gegenwart von (links v.l.): Valentine de Villefort (Pia Naegeli), Albert von Morcerf (Anton Frederik<br />

von Mansberg) und Mercédès (Navina Heyne)<br />

Foto: Andreas Tamme<br />

Der Graf von Monte Christo<br />

Frank Wildhorn / Jack Murphy<br />

Deutsch von Kevin Schroeder<br />

Theater Lüneburg – Großes Haus<br />

Premiere: 11. November 2023<br />

Regie ..................... Wolfgang Berthold<br />

Musikalische Leitung ..... Gaudens Bieri<br />

Chorleitung ................ Elsine Haugstad<br />

Choreographie ............... Olaf Schmidt<br />

Kampf-Choreographie .... Axel Hambach<br />

Ausstattung ................. Cornelia Brunn<br />

Edmond Dantès .......... Thomas Borchert<br />

Mercédès ....................... Navina Heyne<br />

Abbé Faria ......................... Sascha Littig<br />

Fernand Mondego ........... Gerd Achilles<br />

Gérard von Villefort ....... Steffen Neutze<br />

Baron Danglars .............. Oliver Hennes<br />

Luisa Vampa ................ Franziska Ringe<br />

Jacopo ....................... Andrea Marchetti<br />

Albert von Morcerf ................................<br />

Anton Frederik von Mansberg<br />

Valentine ............................ Pia Naegeli<br />

Morrel .................................. Eric Keller<br />

Kommissar ................... Falk Steingräber<br />

Opernchor- und Extrachor des<br />

Theater Lüneburg<br />

Wie schon 2009 in St. Gallen schlüpft Thomas<br />

Borchert in die ihm von Frank Wildhorn förmlich<br />

auf den Stimmkörper gezimmerte Parade-Rolle<br />

des Edmond Dantès und elektrisiert die Lüneburger<br />

Zuschauer vom ersten Moment der Premiere an – seine<br />

Stimmfarbe hat einen sehr hohen Erkennungswert<br />

und geht unter die Haut. Die Zuschauer kennen den<br />

erfolgreichen Musicaldarsteller aus Produktionen wie<br />

»Buddy Holly« und »Tanz der Vampire« in Hamburg.<br />

Der Ton bei dieser ausverkauften Premiere ist leider<br />

nicht optimal ausgesteuert, so dass das große und fulminante<br />

Orchester anfänglich sehr scheppernd klingt<br />

und die Stimmen des Chors und der Solisten dahinter<br />

zurückbleiben, das gibt sich aber im weiteren Verlauf<br />

der Vorstellung etwas.<br />

Das wäre dann aber auch der einzige Wermutstropfen,<br />

neben den bekanntermaßen viel zu engen Sitzen des<br />

Theaters, denn die Produktion läuft geschmeidig und<br />

flüssig durch und die Regie von Wolfgang Berthold<br />

schafft einen stimmigen roten Faden.<br />

Die Show spielt im Frankreich des 19. Jahrhunderts:<br />

Napoleon Bonaparte befindet sich auf der Insel<br />

Elba und Ludwig XVIII. regiert. Gerade zum Kapitän<br />

der »Pharao« ernannt, träumt der junge Seemann<br />

Edmond Dantès (Thomas Borchert) aus Marseille<br />

von einer glücklichen Zukunft. Da wird er während<br />

seiner Verlobungsfeier mit der schönen Katalanin<br />

Mercédès (schön gesungen: Navina Heyne) verhaftet<br />

und im Bewusstsein seiner Unschuld lebenslänglich<br />

im Château d’If eingekerkert. Fast wahnsinnig vor<br />

Schmerz trifft er auf den Mitgefangenen Abbé Faria<br />

(sehr unterhaltsam: Sascha Littig), einen italienischen<br />

Geistlichen, der seinen Fluchttunnel falsch berechnet<br />

hat und deshalb in Dantès’ Zelle landet anstatt an der<br />

Burgmauer.<br />

Während der gemeinsamen Arbeit am Weg in die<br />

Freiheit lernt Dantès’ von seinem weisen Freund alles,<br />

was dieser über Sprachen, Wissenschaft und politische<br />

Macht weiß – dazu auch noch, wie ein Herr mit dem<br />

Degen umgeht. Der Abbé lehrt den jungen Gefangenen<br />

auch Gedankenexperimente, die Dantès anwendet,<br />

um herauszufinden, wer einen Grund hatte, ihn<br />

aus dem Weg zu räumen. Wer konnte den anonymen<br />

Brief an die Staatsanwaltschaft geschrieben haben, der<br />

ihn als Bonapartisten anklagte? Gérard von Villefort<br />

(Steffen Neutze) musste um seine Ehre und Stellung<br />

fürchten, wenn sein eigener Vater als Anhänger Napoleons<br />

entlarvt worden wäre. Dantès, das Opfer, entwickelt<br />

aufgrund dieses neuen Wissens, zum Entsetzen<br />

seines Mentors, einen fanatischen Hass gegen die Personen,<br />

die ihn in diese ausweglose Situation gebracht<br />

haben. Als der weise Freund stirbt, entkommt Dantès<br />

dem Gefängnis und wird von einer Bande Piraten aus<br />

dem Wasser gezogen. Ihre Anführerin ist Luisa Vampa<br />

(Franziska Ringe), die an Bord ein strenges Regiment<br />

führt und Gefallen an dem kenntnisreichen Seemann<br />

findet. Sie befiehlt einen Messerkampf gegen Jacopo<br />

(Andrea Marchetti, attraktiv, leider schwer zu verstehen)<br />

auf Leben und Tod. Als Dantès gewinnt, schenkt<br />

er seinem Gegner das Leben und erwirbt sich damit<br />

einen treuen Freund und Vertrauten. Auf der Insel<br />

Monte Christo findet Dantès tatsächlich den sagenhaften<br />

Schatz, von dem ihm sein alter Freund Abbé Faria<br />

Kenntnis gab. Dantès verfügt jetzt über ausreichend<br />

Kapital und nennt sich fortan Graf von Monte Christo.<br />

Sein sagenhafter Reichtum öffnet dem Grafen<br />

alle Türen. Jeder will Gast auf seinem Ball sein. Die<br />

Einzige, die ihn erkennt, ist Mercédès, die inzwischen<br />

20<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Deutschland<br />

seinen schlimmsten Feind, Fernand Mondego (herrlich<br />

böse angelegt: Gerd Achilles), geheiratet hat.<br />

Zunächst tut Monte Christo Gutes: Er bewahrt den<br />

Reeder Morrel (Eric Keller), der ihm und seinem<br />

Vater ein guter Freund gewesen war, vor Ruin und<br />

Selbstmord. Danach beginnt sein Rachefeldzug gegen<br />

die drei Männer, die ihn in den Kerker gebracht<br />

haben: Danglars (Oliver Hennes), der es zum Bankier<br />

gebracht hat, Mondego, der in den Adelsstand eines<br />

Grafen erhoben wurde, und Villefort, der Generalstaatsanwalt<br />

von Paris geworden ist. Ihrer aller Gier<br />

nach Geld nutzt er, um sie zu einer unheilvollen<br />

Börsenspekulation zu überreden, wodurch ihnen das<br />

Geld buchstäblich zwischen den Fingern zerrinnt.<br />

Der Graf von Monte Christo vollendet seine Rache<br />

und steht mit einem Mal Mercédès’ Sohn Albert<br />

(stark gespielt von Anton Frederik von Mansberg)<br />

gegenüber, der ihn zur Ehrenrettung seines guten<br />

Namens zum Duell fordert.<br />

Dem Flehen der Mutter gegenüber zeigt der Graf<br />

sich unbarmherzig, doch er zögert, Albert zu erschießen,<br />

als Valentine (Pia Naegeli), Alberts junge Verlobte<br />

und Tochter Villeforts, sich zwischen ihn und<br />

Albert stellt. Da erkennt Edmond Dantès in Albert<br />

und Valentine das Paar, das er und Mercédès’ einst<br />

waren, und schießt in die Luft. Doch am Ende steht<br />

ein Duell auf Leben und Tod an zwischen Edmond<br />

Dantès und Fernand Mondego – zugleich ein Kampf<br />

um die Liebe seines Lebens.<br />

Das Bühnenbild kommt minimalistisch und<br />

sehr dunkel daher, sodass der Zuschauer sich auf die<br />

Handlungsstränge und die Personen konzentrieren<br />

kann, spricht dennoch mit großartigen Videoprojektionen<br />

in einem großen Kreis an, wo zum Beispiel der<br />

Tunnel aus dem Gefängnis, mit dahinterliegendem<br />

Wasser, oder ein wunderschöner Himmel gezeigt<br />

werden. Einzelne Umbauten hätten etwas mehr Fluss<br />

haben können. Die Kostüme, die wie das Bühnenbild<br />

die Handschrift von Cornelia Brunn tragen, sind gut<br />

ausgewählt und unterstützen die Darsteller in ihrem<br />

Tun. Es war sicher eine Herausforderung, eine so<br />

große Cast auszustatten.<br />

Wie oft am Stadttheater merkt man dem Ensemble<br />

den starken klassischen Hintergrund an. Hier hätte<br />

man sich als Zuschauer eine stärker über den Text<br />

erarbeitete Interpretation der Nebenrollen gewünscht<br />

statt Plattitüden und übertriebener Gestik.<br />

Choreograph Olaf Schmidt versucht alles unter<br />

ein Dach zu bekommen, die Handbewegungen in<br />

der Piratenszene wirken auch, es gibt jedoch kaum<br />

solistische und wirklich spannende Momente in der<br />

Choreographie, die das Stück weitertragen.<br />

Gaudens Bieri (Musikalische Leitung) hat ein<br />

gutes Gefühl für das Tempo und die großen Bögen<br />

einer Wildhorn-Partitur und schafft es, mit den Lüneburger<br />

Symphonikern wirkliche Gänsehautmomente<br />

zu zaubern.<br />

Mit den Hauptdarstellern tut sich das Haus einen<br />

wirklichen Gefallen und holt großes Kino nach Lüneburg<br />

– bleibt zu hoffen, dass die Zuschauer dies auch<br />

würdigen und sich diese Investition in die Darsteller<br />

auch an der Theaterkasse bezahlt macht.<br />

In Lüneburg mit dem Grafen in See zu stechen<br />

lohnt sich allemal und bereitet einem frenetisch<br />

applaudierenden Premierenpublikum, abgesehen von<br />

den kleinen Kritikpunkten, einen phänomenalen<br />

Theaterabend.<br />

Stefan Schön<br />

Abb. oben:<br />

Valentine de Villefort (Pia Naegeli)<br />

liebt Albert von Morcerf (Anton<br />

Frederik von Mansberg)<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Liebe, Heimtücke, Macht, wer<br />

dominiert hier wen? – Fernand<br />

Mondego (Gerd Achilles) und<br />

Mercédès (Navina Heyne)<br />

2. Edmond Dantès (Thomas<br />

Borchert, r.) gewinnt den Kampf<br />

gegen Fernand Mondego (Gerd<br />

Achilles) – zugleich ein Kampf um<br />

die Liebe seines Lebens, Mercédès<br />

(Navina Heyne, l.)<br />

3. Luisa Vampa (Franziska Ringe)<br />

befiehlt Dantès (Thomas Borchert, r.)<br />

einen Messerkampf gegen Jacopo<br />

(Andrea Marchetti, Mitte)<br />

4. Edmond Dantès (Thomas Borchert)<br />

und sein Freund Abbé Faria<br />

(Sascha Littig) brechen aus dem<br />

Kerker aus. Spannendes Bühnenbildelement<br />

in Form eines großen<br />

Tunnels, in den verschiedene Bilder<br />

hineinprojiziert werden<br />

Fotos (5): Andreas Tamme<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

21


Musicals in Deutschland<br />

Forever Young<br />

»Tuck Everlasting« von Mask & Music an der TU Dortmund<br />

Abb. oben von links:<br />

1. Nach langer Zeit trifft sich Familie<br />

Tuck wieder vollständig (v.l.):<br />

Mae (Katrin Stoffeln), Angus (David<br />

Maponya), Miles (Tim Jahnke), Jesse<br />

(Lucas Prats Gonzales)<br />

2. Winnie Foster (Madita Meyer)<br />

wird von der Familie Tuck auf eine<br />

harte Probe gestellt, weil sie ihr das<br />

ewige Leben (mit allen Vor- und<br />

Nachteilen) anbieten<br />

Fotos (2): Stephan Drewianka<br />

Tuck Everlasting<br />

Chris Miller / Nathan Tysen /<br />

Claudia Shear / Tim Federle<br />

Deutsch von Timothy Roller<br />

Hausfassung von Katharina Priestley &<br />

Salome Graf<br />

Mask & Music<br />

Audimax TU Dortmund<br />

Premiere: 11. November 2023<br />

Regie ..................... Katharina Priestley<br />

Musik. Leitung ............ Jonathan Büker<br />

Leitung Chor ...................... Jonas West<br />

Choreographie .... Natalie Schieferstein<br />

Kostüme ........................ Astrid Iggesen<br />

Winnie Foster .............. Madita Meyer /<br />

Lilli Stoffeln<br />

Jesse Tuck ......... Lucas Prats González /<br />

Anton Staudt<br />

Miles Tuck .......................... Tim Jahnke<br />

Frau in Gelb ............ Johanna Stoffeln /<br />

Elisa Jeske<br />

Mae Tuck ...................... Katrin Stoffeln<br />

Angus Tuck ............... David Maponya /<br />

Christopher Sondermann<br />

Betsy Foster ............... Marilena Friese /<br />

Kira Hellwig<br />

Nana ............................ Tabea Hörder /<br />

Nadine Wippich<br />

Hugo........................ Ioannis Georgiou<br />

Wachtmeister Joe ..... Richard von Pikarski /<br />

Jan Albrecht<br />

Backstage-Chor & Tänzer:innen:<br />

Mitglieder von Masc & Music<br />

Die Laien-Musicalgruppe »Mask & Music«, ein<br />

gewachsener Verein aus Studierenden der Dortmunder<br />

Universität, präsentiert seit 2<strong>01</strong>0 unterschiedliche,<br />

hochwertige Projekte von »Atlantis« über »The<br />

Addams Family« bis »Shrek« und stellte dabei sogar das<br />

selbstkomponierte Stück »Eleor« auf die Beine. Vom 11.<br />

November 2023 bis Februar 20<strong>24</strong> ist das Musical »Tuck<br />

Everlasting« in deutscher Fassung von Timothy Roller<br />

in insgesamt 8 Vorstellungen in der ungewöhnlichen<br />

Spielstätte des Audimax der TU Dortmund zu sehen.<br />

Die Familie Tuck lebt zurückgezogen im Wald<br />

in der Nähe einer geheimnisvollen Quelle, die ihnen<br />

Unsterblichkeit beschert hat. Als Jesse Tuck (Lucas Prats<br />

González, alternierend Anton Staudt), der seit über 100<br />

Jahren ein 17-jähiger Teenager ist, auf die 11-jährige<br />

Winnie Foster (Madita Meyer / Lilli Stoffeln) trifft,<br />

möchte er sie überreden, in einigen Jahren ebenfalls<br />

von der Quelle zu trinken, damit sie dann gemeinsam<br />

die Welt erkunden können. Doch Jesses Bruder Miles<br />

(Tim Jahnke) ist nicht davon überzeugt, dass ewiges<br />

Leben erstrebenswert ist, wenn man sich von geliebten<br />

Personen verabschieden und im Verborgenen leben<br />

muss, damit das Geheimnis der Familie über die Jahrhunderte<br />

gewahrt bleibt. Denn eine mysteriöse Frau im<br />

gelben Anzug (Johanna Stoffeln / Elisa Jeske) möchte<br />

den Quell ewigen Lebens finanziell ausnutzen und ist<br />

den Tucks auf den Fersen, während das gesamte Dorf<br />

die verschwundene Winnie sucht. Wird sich Winnie<br />

am Ende für das ewige Leben entscheiden?<br />

Der berühmte Kinderroman von Natalie Babbitt<br />

wurde bereits mehrfach verfilmt, u. a. 2002 von Disney<br />

als inhaltlich modifizierte Liebes-Romanze unter dem<br />

deutschen Titel »Bis in alle Ewigkeit« mit Ben Kingsley,<br />

Sissy Spacek, Amy Irwing, Victor Garber und William<br />

Hurt. Der Musical-Fassung von Chris Miller war am<br />

Broadway 2<strong>01</strong>6 nur eine sehr kurze Spielzeit von 39<br />

regulären Aufführungen nach 28 Previews vergönnt.<br />

Eigentlich wollte »Mask & Music« die deutsche Erstaufführung<br />

als Europa-Premiere präsentieren, doch<br />

war die Musikschule »Hans und Alice« in Enger etwas<br />

schneller und brachte das Stück bereits am 2. September<br />

2023 auf die Bühne.<br />

Es lohnt sich aber auch so ein Besuch im Hörsaal<br />

in Dortmund, denn die rund 70 Mitwirkenden hauchen<br />

der Geschichte um Momente, Zeit und Ewigkeit<br />

in der Regie von Katharina Priestley glaubhaftes und<br />

tiefgründiges Leben ein. Alle Laien-Darsteller der<br />

Hauptcharaktere agieren auf zufriedenstellendem<br />

gesanglichen und schauspielerischen Niveau, auch<br />

wenn der Ton in einem Hörsaal nicht auf allen Plätzen<br />

optimal ausgesteuert werden kann. Für die aufwändige<br />

Choreographie von Natalie Schieferstein ist auf der<br />

relativ schmalen Bühne bei den Massenszenen auf dem<br />

Jahrmarkt kaum genug Platz, aber das rein getanzte<br />

10-minütige Finale ›Die Geschichte von Winnie Foster‹<br />

ist wunderbar erzählt und rührt fast zu Tränen.<br />

Die Kostüme von Astrid Iggesen entführen uns in<br />

das ländliche Flair von Treegap in New Hampshire<br />

im letzten Jahrhundert. Das 32-köpfige Orchester<br />

unter der musikalischen Leitung von Jonathan Büker<br />

ist omnipräsent direkt vor der Bühne platziert, da es<br />

keinen abgesenkten Orchestergraben im Audimax<br />

gibt. Musikalisch hat das Stück 17 Songs mit einigen<br />

Reprisen zu bieten, die durchaus hörenswert sind, auch<br />

wenn sie nicht ewig im Ohr bleiben.<br />

»Tuck Everlasting« regt an, über die Vergänglichkeit<br />

und den Wert des Lebens nachzudenken. Für interessierte<br />

Musicalfans ist die Produktion auf jeden Fall<br />

sehenswert, zumal der Eintritt frei ist und nur um eine<br />

Spende gebeten wird. Der Verein »Mask & Music«<br />

wird durch diese Produktion sicherlich neue Fans<br />

generieren, die sich bereits auf die kommende Musical-<br />

Produktion Ende 20<strong>24</strong> in Dortmund freuen können.<br />

Stephan Drewianka<br />

22<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Deutschland<br />

Wie trennt man das Böse vom Guten?<br />

»Jekyll & Hyde« am Staatstheater Darmstadtt<br />

Dr. Henry Jekyll (Alexander Klaws, i.d.bes. Vorst. Florian Minnerop, r.)<br />

mit seiner Verlobten Lisa Carew (Barbara Obermeier)<br />

Foto: Martin Sigmund<br />

Dr. Henry Jekyll (Alexander Klaws, i.d.bes. Vorst. Florian Minnerop)<br />

macht Selbstversuche mit seinem Elixier und wird zu Mr Hyde<br />

Foto: Martin Sigmund<br />

Das Musical »Jekyll & Hyde« erzählt die Geschichte<br />

des Arztes Dr. Henry Jekyll, der es sich zur Aufgabe<br />

gemacht hat, ein Serum zu entwickeln, das das Böse in den<br />

Menschen von ihrem guten Teil trennt. Das Musical, das<br />

auf dem Buch »Der seltsame Fall des Dr. Jekyll« von Robert<br />

Louis Stevenson basiert, feierte 1990 im Alley Theater Houston<br />

/ Texas seine Uraufführung, bevor es am 28. April 1997<br />

am Broadway Premiere hatte. Im Februar 1999 fand unter<br />

der musikalischen Leitung von Koen Schoots am Bremer<br />

Theater die Deutschlandpremiere statt, bevor es nach vielen<br />

weiteren Stationen und Produktionen am 3. November<br />

2023 im Staatstheater Darmstadt ankam.<br />

Leider wurde Alexander Klaws, der die Doppelrolle des<br />

Dr. Jekyll / Mr Hyde übernehmen sollte, nach der Premiere<br />

krank. Für ihn übernahm ein Mitglied des Ensembles, Florian<br />

Minnerop, die Hauptrolle. Man muss Respekt vor der<br />

Leistung von Florian Minnerop haben, der sich in die Rolle<br />

in kürzester Zeit hineingearbeitet hat. Auch wenn er gesanglich<br />

und schauspielerisch manchmal an seine Grenzen stieß,<br />

besonders bei der Verwandlung in den boshaften Mr Hyde,<br />

war es doch in Anbetracht der Umstände eine durchaus<br />

bemerkenswerte Leistung.<br />

Die Geschichte beginnt im Krankenhaus, in dem Dr.<br />

Henry Jekyll beim Vorstand um Unterstützung für seine<br />

Forschungen bittet. Dies wird jedoch von allen Anwesenden<br />

außer seinem Freund Gabriel John Utterson (Livio Cecini)<br />

und dem Vater seiner Verlobten Lisa, Sir Danvers Carew<br />

(Volker Metzger), abgelehnt.<br />

In seiner Verzweiflung, dass er die Forschung nicht voran<br />

bringen kann, injiziert sich Henry sein Serum selbst, was<br />

katastrophale Folgen für ihn hat. Denn er verwandelt sich<br />

phasenweise in Mr Hyde, ein durch und durch böses Wesen,<br />

das nachts die Straßen von London unsicher macht. Über<br />

seinen Forschungen vergisst Henry alles, sogar seine eigene<br />

Verlobung. Zusammen mit seinem Freund landet er in einer<br />

Kneipe, wo er die Prostituierte Lucy kennenlernt und ihr<br />

seine Hilfe anbietet. Doch schon bald hat Lucy einen neuen<br />

Kunden, den brutalen Mr Hyde. Und Henry muss mit Entsetzen<br />

feststellen, dass Hyde immer mehr die Gewalt über<br />

ihn gewinnt. Nicht das Gute siegt, sondern das Böse.<br />

Die Inszenierung des Staatstheaters Darmstadt unter der<br />

Regie von Gil Mehmert (eine Übernahme aus Dortmund) ist<br />

ein fesselndes, spannendes Musical geworden. Dabei kommt<br />

die fantastische Drehbühne, die sich auch noch absenken<br />

lässt, perfekt zur Geltung. Während sich durch Drehen die<br />

Räume verändern und aus dem Wohnzimmer des Dr. Jekyll<br />

mal die Kneipe, mal ein Ballsaal oder eine finstere Gasse<br />

wird, taucht das Labor von Dr. Jekyll aus dem Keller auf.<br />

Auch Hydes Killerszenen sind richtig gruselig inszeniert. So<br />

stöhnt das ganze Publikum entsetzt auf, wenn Hyde mit lautem<br />

Knacks Lady Beaconsfield den Hals umdreht. Auch der<br />

Kniff, Hydes Stimme per Tontechnik teuflisch zu verzerren,<br />

macht das ganze noch ein bisschen gruseliger.<br />

Eines der Highlights dieses Musicals ist sicher die ›Konfrontation‹.<br />

In diesem Lied versucht Jekyll vor einem Spiegel,<br />

in dem Hydes Gesicht zu sehen ist, gegen ihn anzukämpfen.<br />

Besonders cool der Einfall, dieses Gesicht in Neongrün und<br />

ganz groß zu machen. Dies allerdings ist dann der Punkt,<br />

wo ein erfahrener Darsteller sicher besser gewesen wäre.<br />

Insgesamt hat das Ensemble wirklich großartig gespielt.<br />

Besonders schön auch die Choreographien von Simon<br />

Eichenberger und die zeitgemäßen Kostüme von Falk Bauer.<br />

Mit Barbara Obermeier als Lisa erlebt man eine tolle<br />

Darstellerin, die ihre Rolle gesanglich und schauspielerisch<br />

gut ausfüllt. Leider kämpfte Nadja Scheiwiller, die die<br />

Lucy spielte, an diesem Abend krankheitsbedingt heftig<br />

darum, der Rolle gesanglich gerecht zu werden – sie sagte<br />

die nächste Show dann auch ab. Es ist ein bisschen schade,<br />

wenn die Qualität einer Vorstellung durch Krankheitsfälle<br />

geschmälert wird. Auf der anderen Seite ist es für das Publikum<br />

immer noch schöner, als wenn die Vorstellung ausfällt.<br />

Deshalb vielen Dank an alle Darstellerinnen und Darsteller<br />

für einen schönen Abend und eine großartige Show.<br />

Ingrid Kernbach<br />

Jekyll & Hyde<br />

Frank Wildhorn / Leslie Bricusse<br />

Deutsch von Susanne Dengler &<br />

Eberhard Storz<br />

Staatstheater Darmstadt<br />

Großes Haus<br />

Premiere: 3. November 2023<br />

Regie .............................. Gil Mehmert<br />

Associate Regie ........ Till Kleine-Möller<br />

Musik. Leitung ........ Nicolas Kierdorf /<br />

Michael Nündel<br />

Orchestrierung ........... Kim Scharnberg<br />

Arrangements .............. Jason Howland<br />

Einstudierung Chor ... Alice Meregaglia<br />

Choreographie ..... Simon Eichenberger<br />

Associate Choreographie ......................<br />

.................................. Nicole Eckenigk<br />

Bühnenbild ......................... Jens Kilian<br />

Kostüme .............................. Falk Bauer<br />

Licht .............................. Benedikt Vogt<br />

Sounddesign............... Jörg Grünsfelder<br />

Henry Jekyll / Edward Hyde .................<br />

.............................. Florian Minnerop /<br />

Alexander Klaws<br />

Gabriel John Utterson....... Livio Cecini<br />

Lisa Carew............. Barbara Obermeier<br />

Lucy Harris.............. Nadja Scheiwiller<br />

Sir Danvers Carew....... Volker Metzger<br />

Bischof von Basingstoke .......................<br />

.................................... Daniel Ewald /<br />

Khvicha Khozrevanidze<br />

Simon Stride / Polizist .... Benjamin Werth<br />

Lady Beaconsfield..................................<br />

........................... Ingrid Katzengruber /<br />

Gundula Schulte<br />

Lord Savage .............. Thomas Mehnert<br />

General Lord Glossop. ............................<br />

.............................. Marco Mondragón<br />

Nellie / Lady ................ Stefanie Köhm<br />

Sir Archibald Proops .... Stefan Grunwald<br />

Spider / Priester ............. Yannik Blauert<br />

Poole / Bisset ........ Adrian Hochstrasser<br />

Zeitungsjunge / Lady / Girl. ..................<br />

................................ Lisa Maria Wehle<br />

Girl / Dance Captain .... Nicole Eckenigk<br />

Girl ............................ Sarah Steinemer<br />

Girl .................................. Maja Sikora<br />

On Stage Cover ........... Yannic Blauert /<br />

Annika Netthorn<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

23


Musicals in Deutschland<br />

Glamourös und eine Story wert<br />

»Chicago« in der Komischen Oper Berlin<br />

Velma Kelly (Ruth Brauer-Kvam) weiß sich stilvoll zu inszenieren<br />

Foto: Jan Windszus Photography<br />

Chicago<br />

John Kander / Fred Ebb / Bob Fosse<br />

Deutsch von Erika Gesell &<br />

Helmut Baumann<br />

Komische Oper Berlin<br />

Schillertheater – Großer Saal<br />

Premiere: 28. Oktober 2023<br />

Regie ............................... Barry Kosky<br />

Musikalische Leitung ..... Adam Benzwi<br />

Choreographie ................. Otto Pichler<br />

Leitung Chöre ......................................<br />

Jean-Christophe Charron<br />

Bühnenbild ................. Michael Levine<br />

Kostüme .......................... Victoria Behr<br />

Licht .................................. Olaf Freese<br />

Roxie Hart .............. Katharine Mehrling<br />

Velma Kelly ............. Ruth Brauer-Kvam<br />

Billy Flynn ...................... Jörn-Felix Alt /<br />

Nicky Wuchinger<br />

Mama Morton ....... Andreja Schneider /<br />

Sigalit Feig<br />

Amos Hart ......................... Ivan Turšić /<br />

Philipp Meierhöfer<br />

Mary Sunshine ............. Nils Wanderer /<br />

Hagen Matzeit<br />

Kitty ............................... Petra Ilse Dam<br />

Liz ................................ Mariana Souza<br />

June .... Lauren Mayer / Martina Borroni<br />

Annie ......................... Paulina Plucinski<br />

Mona .......................... Danielle Bezaire<br />

Hunyak .... Lindsay Dunn / Lauren Mayer<br />

Fogarty ........................ Matthias Spenke<br />

Aaron .............................. Sascha Borris<br />

Fred ............................ Nikolaus Bender<br />

Tänzer:<br />

Michele Anastasi, Shane Dickson,<br />

Ivan Dubinin, Michael Fernandez,<br />

Benjamin Gericke, Lorenzo Soragni,<br />

Andrii Zubchevskyi<br />

Komparserie<br />

Dem großen amerikanischen Musical mit den gegebenen<br />

Fähigkeiten Rechnung zu tragen ist ein<br />

Anliegen von Barry Kosky, langjähriger Intendant und<br />

Regisseur der Komischen Oper. Die nächste Musicalproduktion<br />

begeisterte ihn selbst bereits mit 14 Jahren.<br />

Mit »Chicago« brachte Barrie Kosky in Co-Regie mit<br />

Otto Pichler (auch Choreographie) erneut eins der großen,<br />

bekannten und beliebten amerikanischen Musicals<br />

nach Berlin, genauer gesagt in das Schillertheater,<br />

das der Komischen Oper seit Sanierungsbeginn im<br />

Sommer 2023 als Spielstätte dient. Die Geschichte von<br />

zwei Mörderinnen aus der amerikanischen Geschichte<br />

der 1920er Jahre ist ein spannendes Gesellschaftstableau,<br />

das auch heutzutage aktuell ist, wahrscheinlich<br />

sogar aktueller denn je in Zeiten von Social Media,<br />

Posts, Reels, Marketing und Influencern: Was ist eine<br />

Story wert, und vor allem: Was ist eine gute Story? In<br />

»Chicago« ist alles eine Frage der Perspektive und der<br />

Inszenierung.<br />

Chicago in den 1920ern: Roxie Hart betrügt<br />

ihren Ehemann Amos Hart. Doch als ihr Geliebter<br />

Fred Casely Schluss mit ihr macht, knallt sie durch<br />

und erschießt ihn. Sie kann Amos zunächst dazu<br />

überreden, bei der Polizei zu ihren Gunsten falsch<br />

auszusagen, aber als ihr Treuebruch ans Tageslicht<br />

kommt, will er sie nicht mehr decken. Roxie kommt<br />

ins Frauengefängnis Cook County, wo sie auf ihr Idol<br />

Velma Kelly trifft. Roxie lernt die Gepflogenheiten<br />

im Gefängnis kennen, passt sich an und Velma muss<br />

bald erkennen, dass sie hier nicht mehr die Nummer<br />

Eins und Roxie eine gewiefte Konkurrentin ist. Roxie<br />

stiehlt ihr die Aufmerksamkeit der Gefängniswärterin<br />

Mama Morton, die sich für spezielle Dienste bezahlen<br />

lässt, heckt mit Staranwalt Billy Flynn große Gerichtsauftritte<br />

aus und erheischt so die Aufmerksamkeit der<br />

Journalisten, allen voran der Klatschreporterin Mary<br />

Sunshine. Roxie spielt Amos die liebende Ehefrau vor,<br />

um Flynn zu finanzieren. Der Anwalt zieht die Fäden<br />

und sorgt dafür, dass, obwohl Amos die Scheidung<br />

einreichen will, es dennoch eine Versöhnungsszene bei<br />

Gericht gibt. Roxie gaukelt der Welt eine Schwangerschaft<br />

vor, inszeniert mit bei Velma gestohlenen Tricks<br />

rührende Szenen und plädiert mit ihren Aussagen<br />

für Notwehr: das gefundene Fressen für die Presse –<br />

jedoch nur kurzzeitig. Am Tag ihres Freispruchs ereignet<br />

sich ein sensationeller Mord und Roxie ist plötzlich<br />

keine Story mehr wert. Das Ende vom Lied: Die beiden<br />

Mörderinnen raufen sich zusammen, singen und tanzen<br />

gemeinsam in einer Show, um des Ruhms und des<br />

Erfolgs willen.<br />

Das Musical des erfolgreichen Autoren-Duos John<br />

Kander (Musik) & Fred Ebb (Buch mit Bob Fosse<br />

und Songtexte) nach einem Theaterstück von Maurine<br />

Dallas Watkins passt in die heutige Zeit und die Inszenierung<br />

holt das Stück auch visuell in die Gegenwart,<br />

und das besonders glamourös und extravagant. Dazu<br />

gehören ein großes Orchester, eine große Besetzung<br />

und das opulente Bühnenbild (Michael Levine). Das<br />

Bühnenbild-Konzept sieht mehrere Rahmenteile<br />

mit zahlreichen Lämpchen vor, die beleuchtet ein<br />

Glamour-Showflair vom Feinsten bieten. Die einzelnen<br />

Rahmenteile sind schrägstell- und separierbar.<br />

Diese Einrahmung verdeutlicht charmant, dass in<br />

diesem Stück jeder seine eigene Show darbietet, um<br />

Aufmerksamkeit oder eben diesen oder jenen Wunsch<br />

erfüllt zu bekommen. Mit weiteren mit Lämpchen<br />

versehenen und beleuchteten Flächen wird hier nicht<br />

gekleckert, sondern geklotzt. Auf einem Herz fährt<br />

Anwalt Billy Flynn (Jörn-Felix Alt) auf die Bühne, um<br />

seinen Standpunkt auch visuell klar zu machen: ›Bin<br />

nur für die Liebe da‹. Überdimensionale Buchstaben<br />

leuchten in den Worten »Roxie« (bei den Tagträumen<br />

<strong>24</strong><br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Deutschland<br />

von einer eigenen Show) und »Murder« (»Mord« beim<br />

›Zellenblocktango‹). Zudem wird eine runde Drehbühne<br />

eingesetzt, um eine Schaufläche bei Roxies<br />

Verteidigungsrede im Gericht vor den Journalisten zu<br />

bilden. Diese ist am Rand mit Leuchtmitteln versehen<br />

und wird später hochgeklappt, um im Dunkeln<br />

Leuchtakzente zu setzen. Der Gefängnisbereich wird<br />

außerdem mit einem aufwändigen Gitterkonstrukt<br />

einschließlich Zellen dargestellt. Die Anlehnung Koskys<br />

an die Originalinszenierung von 1975 ist ebenfalls<br />

an den Choreographien zu erkennen und die berühmtberüchtigten<br />

Federflauschfächer kommen ebenfalls<br />

zum Einsatz – etwas, worauf man schon wartet, wenn<br />

man das Wort »Chicago« hört.<br />

Auf visueller Ebene bieten auch die Kostüme (Victoria<br />

Behr) schöne Reize für die Augen. Das Ensemble<br />

erscheint passend zu den Szenen mal in Abendkleidung,<br />

Pailletten-Frack, sexy Nachtgarderobe oder im<br />

Anzug-Style. Für die Rollen der Gefängnisinsassinnen<br />

wurden orangefarbene Knastkleider entworfen, die die<br />

Figur der Mörderinnen betonen. Glamouröse Kleider<br />

mit Glitter, Flausch, Quaste oder alltäglichere Kleider –<br />

Roxie und Velma haben jede Menge zur Auswahl. Die<br />

Tänzeroutfits nehmen teilweise die Outfits der Hauptrollen<br />

auf, etwa ein silbernes glänzendes Kleid, dessen<br />

Stoff und Muster als Vorlage für die Hosenbekleidung<br />

der Tänzer dient. Mary Sunshine wird unter anderem<br />

in einen gelben Zweiteiler mit Pelzbesatz gekleidet,<br />

inklusive Turbantuch und passender Handtasche.<br />

Anwalt Billy Flynn tritt in verschiedenen Anzügen auf,<br />

die verschiedene Stoffe und Farben zeigen, jeder auf<br />

seine Weise elegant. Für Mamma Morton gibt es eine<br />

weibliche Version von Mafioso-typischen Anzügen.<br />

›Mr Cellophan‹ Amos Hart trägt bei seiner »Mitleidsnummer«<br />

eine pantomimenhafte Kleidung mit Zylinder,<br />

Frack und Hose. Während der Szene schminkt<br />

und zieht sich Darsteller Ivan Turšić auf der Bühne<br />

um und vollzieht so die Transformation für seinen<br />

Auftritt. Weitere witzige und für sich selbst sprechende<br />

Einfälle der Produktion sind überdimensionale Münder<br />

auf den Gesichtern des Geschworenen-Ensembles<br />

und große übergezogene Gesichter und Blitzkameras<br />

der sensationslüsternen Reporter.<br />

Unter der musikalischen Leitung von Adam Benzwi<br />

sind das groß besetzte Orchester (mit den Original-<br />

Arrangements von 1970) und der von Jean-Christophe<br />

Charron geleitete Chor ein Genuss.<br />

Die deutsche Übersetzung von Erika Gesell und<br />

Helmut Baumann ist sicher nicht so gewohnt und<br />

auch nicht ganz so einprägsam wie die Originaltexte,<br />

aber sie ist verständlich und bringt gekonnt schwarzen<br />

Humor, Ironie, beißende Kommentare und Stimmung<br />

rüber.<br />

Die Besetzung dieses »Chicago« made in Berlin<br />

ist gekonnt. Katharine Mehrling begeistert als Roxie<br />

Hart, die es faustdick hinter den Ohren hat, schauspielerisch<br />

und gesanglich. Ihr Gegenpart Velma Kelly<br />

wird von Ruth Brauer-Kvam dargestellt, die ebenfalls<br />

eine großartige gesangliche und mimische Leistung<br />

darbietet als die plötzliche Nummer 2. Äußerst charmant<br />

als Billy Flynn zieht Jörn-Felix Alt die Zuschauer<br />

in den Bann und Andreja Schneider gibt eine sexy<br />

geschäftige Mama Morton mit Mafiosi-Einschlag à la<br />

»Orange is the New Black«. Ivan Turšić sammelt als<br />

Mr Cellophan Amos Hart Sympathiepunkte und Nils<br />

Wanderers Mary Sunshine ist entzückend weltentrückt<br />

und stimmlich große Klasse. Die weiteren Rollen werden<br />

authentisch dargestellt und das Tanzensemble<br />

sorgt für zusätzlichen Glamour in dieser Produktion,<br />

die auf jeden Fall einen Besuch wert ist.<br />

Rosalie Rosenbusch<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Können nicht beide Nummer 1 sein:<br />

Roxie Hart (Katharine Mehrling, l.) und<br />

Velma Kelly (Ruth Brauer-Kvam, r.)<br />

2. Dieser Staranwalt kann sich<br />

bestens verkaufen: Billy Flynn<br />

(Jörn-Felix Alt) überzeugt mit seinen<br />

Inszenierungen alle<br />

3. Roxie Hart (Katharine Mehrling)<br />

spielt den Geschworenen (Ensemble)<br />

und der Presse in der Gerichtsverhandlung<br />

eine herzerwärmende<br />

Berufung auf Notwehr vor<br />

Foto 1: Barbara Braun<br />

Fotos 2 + 3: Jan Windszus Photography<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

25


Musicals in Deutschland<br />

Plötzlich Prinzessin<br />

Premiere von Rodgers’ und Hammersteins »Cinderella« in Wuppertal<br />

Finale Anprobe durch Prinz Christopher (Jonas Hein, vorne r.) und der Schuh passt Ella (Susann Ketley, Mitte)<br />

Foto: Björn Hickmann<br />

Cinderella<br />

Richard Rodgers / Oscar Hammerstein II. /<br />

David Chase / Bruce Pomahac /<br />

Douglas Carter Beane<br />

Deutsch von Jens Luckwaldt<br />

Wuppertaler Bühnen<br />

Opernhaus<br />

Premiere: 9. Dezember 2023<br />

Regie & Bühnenbild .............................<br />

Christian Thausing<br />

Musikalische Leitung ..... Johannes Witt<br />

Musikalische Einrichtung &<br />

Arrangements ..................David Chase<br />

Choreinstudierung ..... Ulrich Zippelius<br />

Einstudierung Jugendchor .... Eva Caspari<br />

Orchestrierung ................ Danny Troob<br />

Choreographie ........... Evamaria Mayer<br />

Bühnenbild ................. Hana Ramujkic<br />

Kostüme .............................. Devi Saha<br />

Lichtdesign ........................ Florian Kerl<br />

Ella ................................. Susann Ketley<br />

Christopher .......................... Jonas Hein<br />

Madame .................... Stefanie Smailes /<br />

Tamara Peters<br />

Sebastian ........... Mark Bowman-Hester<br />

Marie, gute Fee ............. Gundula Hintz<br />

Gabrielle ............................ Gioia Heid<br />

Charlotte ...................... Edith Grossman<br />

Jean-Michel ................. Dustin Smailes /<br />

Nils Karsten<br />

Graf Dingelstein .................... Jason Lee<br />

Tänzer:innen,<br />

Opern- & Jugendchor der<br />

Oper Wuppertal<br />

Es war einmal vor gar nicht langer Zeit, da lebte<br />

in Wuppertal die junge Ella, die von ihrer Stiefmutter<br />

Madame zur Hausarbeit angehalten und<br />

von ihren Stiefschwestern Gabrielle und Charlotte<br />

gemobbt wurde, und nur die alte, verrückte Marie<br />

war freundlich zu ihr. Die einsame Ella zieht sich<br />

in ihrem Zimmer von der realen Welt zurück und<br />

träumt sich in ihr Märchen mit dem Drachen tötenden<br />

Prinzen Christopher, der als angehender Regent<br />

die Hose allerdings gestrichen voll hat, Regierungsangelegenheiten<br />

seinem korrupten Verwalter Sebastian<br />

überlässt und vor den Problemen seiner Untertanen<br />

die Augen verschließt. Gegen diese Ignoranz<br />

demonstriert der junge Rebell Jean-Michel. Von dem<br />

Aufruhr möchte Sebastian durch einen rauschenden<br />

Ball ablenken, bei dem Prinz Christopher seine Braut<br />

aus den Gästen wählen soll. Madame möchte ihre<br />

Tochter Gabrielle gerne mit dem Prinzen verkuppeln.<br />

Für Ella ist auf dem Ball natürlich kein Platz<br />

und Madame zerreißt Ellas Eintrittskarte. Doch<br />

die verrückte Marie entpuppt sich als gute Fee, die<br />

Ella nicht nur ein schickes Make-over als Traum-<br />

Prinzessin verpasst, sondern mit der Belebung<br />

zweier Plüschtiere auch eine exotische Dienerschaft<br />

erschafft, die Ella bis Mitternacht in einem coolen<br />

Gefährt auf den Ball begleiten, wo sie durch ihre<br />

Freundlichkeit die Gunst des Prinzen gewinnt. Aber<br />

um 12 Uhr droht der Zauber zu schwinden und Ella<br />

verliert bei ihrer Flucht einen gläsernen Schuh, den<br />

sie wieder an sich nimmt.<br />

Der Prinz veranstaltet ein Festmahl, um seine<br />

geheimnisvolle und geflohene potenzielle Braut<br />

wiederzufinden. Gabrielle freundet sich mit Ella an,<br />

gesteht ihr, dass sie in Jean-Michel verliebt ist, und<br />

stellt sich krank, damit Ella in ihrem Kleid zum Festmahl<br />

gehen kann. Doch Madame zerreißt das Kleid<br />

und Ella muss erneut auf den Zauber von Marie vertrauen.<br />

Beim Festmahl überzeugt Ella Christopher<br />

davon, seinem Volk zuzuhören und Sebastian nicht<br />

weiter blind zu vertrauen. Doch auch diesmal kommt<br />

Mitternacht viel zu früh, und Ella hinterlässt jetzt<br />

absichtlich ihren gläsernen Slipper. Mit diesem Indiz<br />

sucht Christopher im ganzen Land, doch keiner<br />

Dame scheint der Schuh zu passen, bis Christopher<br />

endlich seinem Aschenputtel in einfacher Kleidung<br />

begegnet…<br />

Die Oper Wuppertal präsentiert »Cinderella«<br />

seit dem 9. Dezember 2023 in der Inszenierung von<br />

Christian Thausing mit der ungewöhnlichen Rahmenhandlung,<br />

die sich mit dem Bühnenbild eines<br />

Kinderzimmers von Hana Ramujkic konsequent<br />

an den Realitätsbezug klammert. Wenn Ella in<br />

ihrem Hochbett während der ›Ouvertüre‹ einschläft,<br />

erwacht das Märchen mit der eigentlichen Fassung<br />

von Rodgers’ und Hammersteins Musicaladaption<br />

auf der Bühne zum Leben und die Charaktere<br />

betreten wie in Narnia durch Schränke die Bühne<br />

und nutzen die Möblierung des Kinderzimmers als<br />

Requisiten der Handlung. Wer als Zuschauer »nur«<br />

ein fantastisches Märchenspiel in entsprechender<br />

Kulisse erwartet hat, könnte von diesem Regieeinfall<br />

enttäuscht sein.<br />

Von der Ursprungsfassung des als Fernsehproduktion<br />

1957 entstandenen Musicals mit der jungen<br />

Julie Andrews in der Titelrolle ist in der späteren<br />

Bühnen-Adaption von Douglas Carter Beane für<br />

das Broadway-Revival 2<strong>01</strong>3 nicht viel geblieben,<br />

denn die Modernisierung umfasste nicht nur die<br />

26<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Deutschland<br />

grundlegende Überarbeitung und Neuimplementierung<br />

von Charakteren, sondern auch bisher nicht<br />

verwendete Songs aus dem Repertoire des Autorenteams<br />

u. a. mit einem gestrichenen Lied aus »South<br />

Pacific«. Nach der Europapremiere 2<strong>01</strong>8 im Münchener<br />

Prinzregententheater und einer Fassung 2020<br />

in Dresden zeigt Wuppertal die deutsche Übersetzung<br />

von Jens Luckwaldt erst als dritte Produktion<br />

in Deutschland.<br />

Als royales Paar präsentieren sich die Folkwang-<br />

Absolventen Jonas Hein als stimmstarker, schüchterner<br />

Prinz Christopher, körperlich stark, aber<br />

in Staats- und Herzensangelegenheiten zunächst<br />

hilflos überfordert, und die bezaubernde Susann<br />

Ketley, die erst im Sommer 2023 ihren Hochschulabschluss<br />

absolviert hat, als emanzipierte Ella, die<br />

zwar ihre realen Probleme mit in ihre Traumwelt<br />

nimmt, sie dort aber souverän-sympathisch löst<br />

und den Zuschauer hoffen lässt, dass ihr diese<br />

positive Energie auch nach ihrem Erwachen in<br />

der realen Welt erhalten bleibt. Stefanie Smailes<br />

(alternierend Tamara Peters) ist eine herrlich böse<br />

Stiefmutter Madame, die an eine Mischung aus<br />

Disneys Cruella De Vil und Miranda Priestly aus<br />

»Der Teufel trägt Prada« erinnert. Edith Grossman<br />

als Tochter Charlotte ist ein reiner Comedy-<br />

Charakter und bleibt im Schatten ihrer Schwester<br />

Gioia Heid als Gabrielle, die sich vom mobbenden<br />

Terrorbiest in Ellas Verbündete verwandeln darf.<br />

Ein weiterer düsterer Charakter ist Mark Bowman-<br />

Hester als Verwalter Sebastian, der Dustin Smailes<br />

(alternierend Nils Karsten) als Jean-Michel das<br />

Leben als Reformer des Reiches schwer macht. Jason<br />

Lee präsentiert als Graf Dingelstein alle wichtigen<br />

Ankündigungen des Landes zwar akzentbelastet,<br />

dafür aber mit trockenem Humor. Das achtköpfige<br />

Tanzensemble in der Choreographie von Evamaria<br />

Mayer schafft gemeinsam mit dem Jugendclub<br />

immer wieder neue und abwechslungsreiche Bilder.<br />

Gundula Hintz präsentiert als gute Fee Marie ihre<br />

Songs mit klassischer Stimme, die mit dem Opernchor<br />

der Wuppertaler Bühnen gut harmoniert. Das<br />

Sinfonieorchester unter der musikalischen Leitung<br />

von Johannes Witt lässt die vielleicht etwas angestaubten<br />

Klassiker, die sich erst nach mehrmaligem<br />

Hören als Ohrwürmer entpuppen, in ihrem alten<br />

Glanz erstrahlen. Die Kostüme von Devi Saha sind<br />

verspielt bunt, wie es dem Traum einer Teenagerin<br />

gebührt, und die Verwandlung von Marie von der<br />

Verrückten zur Fee und insbesondere von Ellas<br />

Schlabberlook in eine elegante Abendgarderobe sind<br />

sehenswerte Theatermagie.<br />

Es mag sein, dass »Cinderella« für moderne<br />

Musicalfans etwas altbacken daherkommt und<br />

musikalisch nicht so abwechslungsreich wie<br />

modernere Musicals ist. Wer sich aber neben<br />

all den aktuellen Compilation-Shows auf echte<br />

Kompositionen eines alten Dream-Teams, aus<br />

deren Feder so zeitlose Musicals wie »The Sound<br />

of Music«, »Oklahoma!« und »The King and I«<br />

entsprungen sind, einlassen kann, wird von der<br />

Produktion in Wuppertal nicht enttäuscht sein.<br />

Stephan Drewianka<br />

Abb. oben:<br />

Alle Märchenfiguren betreten<br />

in Ellas Traum die Bühne über<br />

die Kinderzimmerschränke, hier<br />

Stiefmutter Madame (Stefanie<br />

Smailes) mit Tochter Charlotte (Edith<br />

Grossman)<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Staatsgeschäfte im Kinderzimmer,<br />

doch Prinz Christopher (Jonas Hein, r.)<br />

wird von Verwalter Sebastian (Mark<br />

Bowman-Hester, Mitte) schlecht<br />

beraten<br />

2. Getanzte Revolution und Aufstand<br />

im Märchentraum (Ensemble)<br />

3. Um Mitternacht »entfliegt«<br />

Cinderella dem Ball und der Prinz<br />

(Jonas Hein, Mitte mit Ensemble)<br />

sucht vergebens nach ihr<br />

4. Beim Ball kommen sich Ella<br />

(Susann Ketley) und Prinz Christopher<br />

(Jonas Hein) näher<br />

Fotos (5): Björn Hickmann<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

27


Musicals in Deutschland<br />

Letzte Party vor dem Abriss<br />

»Follies« am Hessischen Staatstheater Wiesbaden<br />

Abb. oben:<br />

Weisman (Albert Horne) dirigiert als<br />

Direktor das Ensemble sowie das<br />

Orchester<br />

Abb. unten:<br />

Ben und Sally (Thomas Maria Peters<br />

und Pia Douwes, oben) stehen den<br />

Erinnerungen an die junge Sally und<br />

dem jungen Ben (Kelly Panier und<br />

Johannes Summer, unten) gegenüber<br />

Fotos (2): Lena Obst<br />

Der Name »Follies« erinnert zunächst ein bisschen<br />

an die legendären »Ziegfeld Follies« und das<br />

ist auch gewollt, denn diese berühmte Broadwayshow<br />

war eine Revue mit vielen schönen Frauen, die<br />

leicht bekleidet synchron tanzten. Stars wie Barbara<br />

Stanwyck, Fanny Price (die im Film »Funny Girl«<br />

hinreißend von Barbra Streisand gespielt wurde),<br />

Sophie Tucker und Dorothee Dickson gingen aus den<br />

»Ziegfeld Follies« hervor. Selbst Josephine Baker trat<br />

in einer der Revuen auf.<br />

Und so erkennt man schnell die Parallele zum<br />

Musical »Follies«: Man schreibt das Jahr 1970. Das<br />

berühmte Weisman-Theater soll abgerissen werden.<br />

Impresario Weisman beschließt, seine Girls nach fast<br />

50 Jahren noch einmal zusammenzuholen, um eine<br />

große Abschiedsparty zu feiern.<br />

Die Show beginnt im Jahr 1920 mit wunderschön<br />

gekleideten Tänzerinnen und Tänzern in weißen Kostümen,<br />

zum Teil sogar von der Decke schwebend. Die<br />

Handlung des Musicals spielt in zwei verschiedenen<br />

Zeitzonen, was es dem Zuschauer nicht immer ganz<br />

leicht macht. Zu jedem älteren Showgirl gibt es ein junges<br />

Gegenstück, genau wie zu den vier Hauptpersonen,<br />

nämlich Sally (Pia Douwes), die mit Buddy (Dirk Weiler)<br />

verheiratet ist, und Phyllis (Jacqueline Macaulay)<br />

und ihrem Ben (Thomas Maria Peters).<br />

Doch zunächst betreten alle älteren Showgirls nach<br />

und nach die Bühne, die das Theater darstellt, und singen<br />

ein Solo. Schon hierbei wird klar: Die Ladies sind<br />

großartig, jede auf ihre Weise.<br />

Da ist zum Beispiel Carlotta (April Hailer), die<br />

ein bisschen wie eine Figur aus der TV-Serie »Dallas«<br />

aussieht, eine Karriere als Fernsehstar gemacht hat,<br />

aber jetzt keine Rollen mehr bekommt. Oder Solange<br />

(Annette Luig), die mit dem Entwickeln von Parfüms<br />

das große Geld gemacht hat, oder Heidi Schiller<br />

(Sharon Kempton), die das Publikum mit ihrem Sopran<br />

von den Stühlen reißt, während Emily und Theodore<br />

Whitman (Ines Behrendt und John Holyoke) eine<br />

hinreißende Tanznummer präsentieren und Hattie<br />

(Andrea Baker) mit ihrer souligen Stimme das passende<br />

Gegenstück zu Heidi ist.<br />

Doch eigentlich dreht sich die Handlung (gibt es<br />

eigentlich eine Handlung?) um Sally und Buddy sowie<br />

Phyllis und Ben. Eigentlich waren sie einmal befreundet,<br />

und eigentlich war Sally immer in Ben verliebt –<br />

und ist es noch. Aber geheiratet hat Sally nicht ihn,<br />

sondern Buddy. Während Ben als Politiker Karriere<br />

gemacht hat und mit Phyllis an seiner Seite eine würdige<br />

Partnerin hat, ist Buddy »nur« Vertreter und Sally<br />

mit ihrem Leben als Hausfrau und Mutter von zwei<br />

Söhnen nicht gerade glücklich.<br />

Es folgt ein kurzer Zeitsprung. Schon als sie noch<br />

jung waren, war Sally in Ben verliebt, doch der vergnügt<br />

sich in einem Cabrio mit Phyllis. Phyllis weiß,<br />

im Gegensatz zu Sally, was sie will, nämlich Ben.<br />

Auf der Feier hat Sally dann nur noch Augen für<br />

Ben, was Buddy so frustriert, dass er Sally erklärt, er<br />

habe schon lange eine Geliebte, bei der er sich viel<br />

mehr zu Hause fühle als bei ihr. Nach Aussage von<br />

Buddy ist Sally entweder betrunken oder geisteskrank.<br />

Nachdem Sally Ben ihre Liebe gesteht und ihn<br />

vom Fleck weg heiraten möchte (obwohl er ja noch<br />

mit Phyllis verheiratet ist), betrinkt sich Ben bis zur<br />

Ohnmacht. Phyllis, die ihn am Boden liegend findet,<br />

sagt ihm gründlich ihre Meinung, denn im Gegensatz<br />

zu ihm hat sie keine Zweifel, was sie will. Nun stellt<br />

sich auch heraus, dass Ben Sallys Gefühle nie erwidert<br />

28<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Deutschland<br />

hat. In einer großen Szene streiten alle miteinander,<br />

überlagernd sowohl jung als auch alt. Wie passend,<br />

dass das englische Wort für Torheit »Folly« ist, denn<br />

im zweiten Teil singen die vier Protagonist:innen des<br />

Stücks jede/r von seiner/ihrer eigenen Torheit.<br />

Und was bleibt am Ende als Erkenntnis? Vielleicht<br />

haben sie zwar den/die Falsche(n) geheiratet, doch<br />

nach all der gemeinsamen Zeit möchten sie sich auch<br />

nicht mehr trennen, und so endet das Stück damit,<br />

dass alle wieder ihrer Wege gehen. So war es für<br />

unsere Protagonisten trotz allem ein schöner Abend<br />

und ein mehr oder weniger fröhliches Wiedersehen.<br />

Bleibt eigentlich nur zu sagen, wie großartig alle<br />

Darsteller unter der Regie von Tom Gerber und der<br />

musikalischen Leitung von Albert Horne singen,<br />

tanzen, spielen und sogar steppen. Pia Douwes ist<br />

vielleicht noch nicht ganz wieder auf der Höhe ihres<br />

gesanglichen Könnens, sie fügt sich aber problemlos<br />

ein und auch wenn ihr Weg zurück zu der großen<br />

Diva noch Arbeit verlangt, wie sie selbst auch äußerte,<br />

ist ihr Können, insbesondere auch das darstellerische,<br />

klar ersichtlich. Ausgezeichnetes komödiantisches<br />

Timing und eine großartige Bühnenpräsenz sind<br />

die Schlagwörter, die einem zu der Darstellung von<br />

Jacqueline Macaulay als Phyllis einfallen und sie zum<br />

heimlichen Star des Abends gemacht haben. Sowohl<br />

›Dich verlassen‹ als auch ›Die Geschichte von Lexie<br />

und Nancy‹ sind echte Highlights. April Hailer als<br />

Carlotta überzeugt mit fantastischem Schauspiel und<br />

holt auch gesanglich alles aus der Nummer ›Bin noch<br />

hier‹ heraus. Dirk Weiler als Buddy zeigt in der ›Loveland‹<br />

Nummer sein ganzes Können. Als Ehemann von<br />

Phyllis, Ben, überzeugt auch Thomas Maria Peters<br />

insbesondere mit wunderschöner Sprechstimme und<br />

souveränem Auftreten.<br />

Besonders witzig ist es, dass Albert Horne selbst<br />

mitspielt. Im weißen Smoking, ein bisschen aussehend<br />

wie Mozart, mit breitem östlichen Akzent spielt<br />

er Weisman, den Inhaber des Theaters. Trotzdem<br />

schafft er es, das Hessische Staatsorchester sowie die<br />

dreiköpfige Band, die oben auf der Bühne des Weisman-Theaters<br />

spielt, gekonnt zu dirigieren.<br />

Die Musik von Stephen Sondheim besteht nicht<br />

immer nur aus Ohrwürmern, doch in »Follies« gibt es<br />

viele schöne Lieder und es klingt manchmal wirklich<br />

nach Revue.<br />

Wunderschön, teilweise sehr ausgefallen, sind die<br />

Kostüme von Jannik Kurz. Es wurde nicht gespart an<br />

Federn und Pailletten, ausgefallenem Kopfschmuck<br />

und überraschenden Ausschnitten, teilweise sehr<br />

offenherzig.<br />

Das Bühnenbild von Bettina Neuhaus entführt<br />

das Publikum in ein älteres Theater, das über mehrere<br />

Ebenen verteilt ist und wo es neben einer Bar auch<br />

einen Schminktisch, eine Ebene mit einer kleinen<br />

Band und einen Bühneneingang gibt.<br />

»Follies« ist mit seinem Mangel an Handlung ein<br />

Vertreter des Subgenres Konzeptmusical, bei dem<br />

weniger die Geschichte im Vordergrund steht, sondern<br />

eher ein Thema oder eine Botschaft vermittelt<br />

werden soll. Dem Publikum hat es gefallen und es gab<br />

zum Schlussapplaus großen Jubel für alle Beteiligten.<br />

Ingrid Kernbach<br />

Follies<br />

Stephen Sondheim / James Goldman<br />

Deutsch von Martin G. Berger<br />

Hessisches Staatstheater Wiesbaden<br />

Großes Haus<br />

Premiere: 21. Oktober 2023<br />

Regie ................................ Tom Gerber<br />

Musikalische Leitung ....... Albert Horne<br />

Orchestration ............. Jonathan Tunick<br />

Choreographie................ Myriam Lifka<br />

Bühnenbild ............... Bettina Neuhaus<br />

Kostüme ............................ Jannik Kurz<br />

Video ...................... Eduardo Mayorga<br />

Licht .................................. Oliver Porst<br />

Sally......... Pia Douwes / Frederike Haas<br />

Phyllis................... Jacqueline Macaulay<br />

Buddy ................................. Dirk Weiler<br />

Ben ....................... Thomas Maria Peters<br />

Junge Sally .......................... Kelly Panier<br />

Junge Phyllis .............. Larissa Hartmann<br />

Junger Buddy.................... Niklas Roling<br />

Junger Ben ................ Johannes Summer<br />

Carlotta ............................... April Hailer<br />

Solange ............................. Annette Luig<br />

Hattie / Stella ................... Andrea Baker<br />

Heidi Schiller .............. Sharon Kempton<br />

Junge Heidi ................. Elisa Birkenheier<br />

Weisman / Roscoe............. Albert Horne<br />

Emily Whitman ............... Ines Behrendt<br />

Theodore Whitman .......... John Holyoke<br />

Dee Dee West.................... Peter Urban<br />

Sandra Cane........................ Petra Heike<br />

Kevin / Dance Captain ..........................<br />

............................... Jasper H. Hanebuth<br />

Bobby Bennett .......... Jonathan Schmidt<br />

Victor Prince ..................... Joel Spinello<br />

Peter Jones ...................... Yannick Illmer<br />

Jeff Romley................ Leonhard Lechner<br />

Tom Richards ................ Samuel Meister<br />

Junge Solange / Engel ......... Carla Peters<br />

Junge Christine .... Mar Sánchez Cisneros<br />

Junge Sandra Cane ........... Tamara Kurti<br />

Junge Carlotta / Sally Karikatur...............<br />

.......................................... Josefine Rau<br />

Junge Dee Dee /<br />

Margie Karikatur ............ Nicoletta Luna<br />

Iparraguirre De las Casas<br />

Junge Emily .......... Cara Laureen Remke<br />

Junge Hattie / Stella .... Clarissa Anyamele<br />

In weiteren Rollen:<br />

Dwayne Gilbert Besier, Jan Diener<br />

Chor & Chorsolist:innen und Statisterie<br />

des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden<br />

Abb. links von oben links:<br />

1. Ben (Thomas Maria Peters, Mitte),<br />

umringt vom Ensemble, welches<br />

beeindruckende Tanzszenen liefert<br />

2. Carlotta (April Hailer) glänzt mit<br />

›Bin noch hier‹<br />

3. Auch Ben (Thomas Maria Peters,<br />

vorne l.) und Phyllis (Jacqueline<br />

Macaulay, vorne r.) sind den<br />

Erinnerungen an den jungen Ben<br />

(Johannes Summer, oben l.) und<br />

die junge Phyllis (Larissa Hartmann,<br />

oben r.) ausgesetzt<br />

4. Phyllis (Jacqueline Macaulay)<br />

weiß genau, was sie will<br />

Fotos (4): Lena Obst<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

29


Einblick<br />

Vorankündigung »Hercules – Das heldenhafte Musical«<br />

Abb. oben:<br />

Benét Monteiro mit Komponist<br />

Alan Menken<br />

Foto: Stage Entertainment / Arjen Mensinga<br />

n Zusammenarbeit mit Disney wird Stage Entertain-<br />

die Weltpremiere des neuesten Disney-Musi-<br />

Iment<br />

cals »Hercules« kreieren und den berühmten Olymp<br />

in Hamburg besteigen. Die zeitlosen Animationsfilme<br />

von Disney begeistern Generationen von Zuschauern,<br />

und unter diesen Klassikern befindet sich auch »Hercules«,<br />

der 1997 veröffentlicht wurde. Trotz der kreativen<br />

Brillanz von Disney, der mitreißenden Handlung<br />

sowie der großartigen Musik des Films (Alan Menken)<br />

erreichte »Hercules« nicht ganz den gleichen Erfolg wie<br />

einige seiner ikonischen Vorgänger. Das »Hercules«-<br />

Musical wird nun als Weltpremiere neuentstehen und<br />

soll an die Erfolge vorheriger Disneyproduktionen in<br />

der Hansestadt anknüpfen. 2<strong>01</strong>7 verkündete Menken,<br />

dass er an einer Musicalfassung arbeite, 2<strong>01</strong>9 gab es<br />

rund drei Wochen lange Tryouts der »Hercules«-Musicalversion<br />

auf einer Open-Air-Bühne in New York. Die<br />

Reaktionen führten zu einer weiteren Überarbeitung<br />

des Stücks. Diese wurde dann erneut für knapp vier<br />

Wochen als Tryout in Millburn (New Jersey) aufgeführt.<br />

Die Resonanz hieraus dürfte die Theatermacher<br />

rund um Thomas Schumacher (Chief Creative Officer<br />

der Disney Theatrical Group) dazu bewogen haben,<br />

mit der Uraufführung des Stücks nach Hamburg zu<br />

gehen – lt. Schumacher eine der Top 3 Musicalstädte<br />

weltweit, unmittelbar hinter New York und London.<br />

Die Titelrolle übernimmt Benét Monteiro, der dem<br />

Publikum bereits aus »Hamilton« und durch »Disney<br />

100 – Die große Jubiläumsshow« auf RTL bekannt ist.<br />

Auf der Pressekonferenz, in sozialen Medien und nach<br />

Veröffentlichung der Singleauskopplung stritten sich<br />

die Geister, ob diese Besetzung stimmlich wie auch von<br />

der Körperlichkeit her die richtige sein soll – diese Diskussion<br />

sollte man allerdings mit leichtem Schmunzeln<br />

unter dem oben aufgestellten Motto: »Jeder Held ist<br />

eben anders« verbuchen. Persönlich bleibt der Rezensent<br />

aber immer ein großer Fan von breit gefächerten<br />

Gänsehautstimmen, einer sehr klaren und prononcierten<br />

Aussprache auf der Bühne und Textverständlichkeit,<br />

und da wirkte gerade bei den Chören und Gospeleinsätzen<br />

das Gezeigte (in der Presse-Vorankündigung<br />

zu »Hercules«) noch nicht ganz rund.<br />

Das Team, welches am 4. Dezember 2023 als komplette<br />

Cast erstmalig zusammentraf, startet aber auch<br />

jetzt erst so richtig mit den Proben und hat noch Zeit,<br />

diese Weltpremiere als besonderes Ereignis entsprechend<br />

intensiv vorzubereiten.<br />

Zur Cast von Disneys »Hercules« in Hamburg<br />

gehört auch Mae Ann Jorolan, bekannt aus »Hamilton«<br />

und Disneys »Aladdin«. Sie spielt Meg, in die Hercules<br />

sich verliebt, die aber auch Dienerin von Hades<br />

ist. Der Herr der Unterwelt selbst wird gespielt von<br />

Detlef Leistenschneider, den das Publikum u. a. aus<br />

»Mamma Mia!« oder »Das Wunder von Bern« kennt.<br />

Hades’ übereifrige Helfer Karl und Heinz werden von<br />

André Haedicke und Mario Saccoccio verkörpert. Als<br />

Phil, Trainer von Hercules, wird Kristofer Weinstein-<br />

Storey zu sehen sein.<br />

In die Rollen der fünf Musen, die als Erzählerinnen<br />

musikalisch durchs Stück führen, schlüpfen Leslie<br />

Behann (Calliope), Chasity Crisp (Thalia), Venolia<br />

(Terpsichore), UZOH (Clio) und Shekinah Macfarlane<br />

(Melepomene). Und last but not least wird Hope<br />

Maine, der aktuell noch als Simba in Disneys »Der<br />

König der Löwen« auf der Bühne steht, die Rolle des<br />

Hercules alternierend übernehmen. Mit ihnen auf der<br />

Bühne stehen außerdem: Jessica Reese, Virginia Vass,<br />

Reginald Holden Hennings, Jack Butcher, Bathoni<br />

30<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Einblick<br />

Buenorkuor, Ginevra Campanella, Samuel Hoi Ming<br />

Chung, Marco Ciullo, Gianluca Conversano, Indy<br />

Luna Correa, Christopher Dederichs, Marta Di Gulio,<br />

Stefano Francabandiera, Salvo Maione, Flavio Marullo,<br />

Sophie Mefan, David Negletto, Ingrid Olivia, Teya<br />

Quarmyne, Julia van Kouwen, Pelé Yearwood, Guillermo<br />

Martinez Ayala, Salvatore Marchione, Talitha<br />

Dara, Swen Overman und Johnny Galeandro.<br />

Die Musik von Oscar-, Golden Globe- und<br />

Grammy-Gewinner Alan Menken und David Zippel<br />

enthält alle R&B- und Gospel-Hits, die man aus dem<br />

Film kennt. Für die Bühnenversion hat das Duo zudem<br />

einige neue Songs komponiert. Das Buch stammt vom<br />

für den Olivier Award nominierten Kwame Kwei-<br />

Armah und dem Tony-Award-Gewinner Robert Horn.<br />

Neben der Musik wird »Hercules« auch mit temporeichen<br />

Choreographien, einem fantasievollen Kostümbild<br />

und modernster Videotechnik begeistern. Das<br />

Bühnenbild und Videodesign wird von Dane Laffrey<br />

kreiert. Als Ebene hinter den physischen Bühnenelementen<br />

– wie beweglichen Säulen – helfen seine<br />

Videoprojektionen dabei, die Zuschauer in die Welt<br />

der griechischen Helden und Götter zu führen. Das<br />

Bühnenbild wird zurzeit in Werkstätten in Hamburg<br />

gebaut. Ab Ende Januar 20<strong>24</strong> hält es Einzug in das<br />

Stage Theater Neue Flora.<br />

Das Kostümbild soll dazu beitragen, die drei Welten<br />

– die Welt der Götter auf dem Olymp, die der<br />

Menschen auf der Erde und die Unterwelt von Hades –<br />

voneinander abzugrenzen. Die beiden preisgekrönten<br />

Kostümdesigner Greg Barnes und Sky Switser haben<br />

sich dabei vom alten Griechenland und von den Laufstegen<br />

der Welt inspirieren lassen.<br />

Regie und Choreographie dieser aufregenden neuen<br />

Produktion verantworten Tony-Preisträger Casey<br />

Nicholaw, der u. a. auch bei Disneys »Aladdin« Regie<br />

führte, und Co-Choreographin Tanisha Scott.<br />

Das Lichtdesign stammt von Jeff Croiter, das<br />

Sounddesign von Kai Harada. Zum Produktionsteam<br />

gehören der zusätzliche Videodesigner George Reeve,<br />

der Puppet-Designer James Oritz, für die Frisuren und<br />

Perücken Mia M. Neal, für Make-up Kirk Cambridge-<br />

Del Pesche und für die Spezialeffekte Jeremy Chernick.<br />

Das Musikteam wird von Music Supervisor und Arrangeur<br />

Michael Kosarin geleitet, die Orchestrierung<br />

stammt von Danny Troob und Joseph Joubert, die<br />

Tanzarrangements von David Chase.<br />

Zum Inhalt: Hercules, Sohn des Zeus, wird als<br />

Baby entführt und wächst unter Menschen auf. Eines<br />

Tages findet er heraus, dass er auf dem Olymp das<br />

Licht der Welt erblickt hat und sein Vater kein Geringerer<br />

als der mächtige Zeus ist. Um aber auf den Berg<br />

der Götter zurückkehren zu können, muss Hercules<br />

beweisen, dass er ein richtiger Held ist. Mit Hilfe seiner<br />

treuen Freunde lernt er, dass es nicht auf pure Kraft<br />

ankommt, sondern dass wahre Helden an der Stärke<br />

ihres Herzens gemessen werden. Ein großes Herz hat<br />

dieser Hercules.<br />

Stil und Ton unterscheiden sich stark von anderen<br />

Disney-Standardwerken. Der Film integriert Comedy-<br />

Elemente und popkulturelle Anspielungen, was für<br />

einige möglicherweise ungewohnt wirken kann. Daher<br />

darf man gespannt sein, was hier von der Filmfassung<br />

bestehen bleibt und was dem Zeit- und Musicalgeschmack<br />

angepasst werden wird.<br />

In der Welt der Animation der Disney-Filme ist<br />

Erfolg oft subjektiv und abhängig vom persönlichen<br />

Geschmack. »Hercules« mag zwar nicht den gleichen<br />

Ruhm wie einige andere Disney-Klassiker erlangt<br />

haben, aber seine Besonderheit und Originalität<br />

machen ihn zu einem faszinierenden Kapitel in der<br />

Geschichte der Disney-Animation. Möge allen Beteiligten<br />

jetzt gewünscht werden, auch den Musical-<br />

Olymp mit »Hercules« erfolgreich, kraftvoll, energiegeladen<br />

und vor allem klar verständlich zu besteigen.<br />

Stefan Schön<br />

Abb. oben:<br />

Mae Ann Jorolan wird Meg spielen,<br />

in die sich Hercules verliebt<br />

Foto: Stage Entertainment /<br />

Morris Mac Matzen<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Die beiden Hauptdarsteller Mae<br />

Ann Jorolan (Mitte) und Benét<br />

Monteiro (3.v.r.) mit Ensemble<br />

2. Einer der Bühnenbildentwürfe<br />

3. + 4. Kostümentwürfe<br />

Foto 1: Stage Entertainment /<br />

Morris Mac Matzen<br />

Fotos 2-4: Stage Entertainment<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

31


Einblick<br />

Spaziergang durch die Welt des Musicals<br />

Ausstellung »Re:Imagining Musicals« im Victoria and Albert Museum in London<br />

Ansicht der Ausstellung »Re:Imagining Musicals«<br />

Foto: Victoria and Albert Museum London<br />

Abb. unten:<br />

Schaukasten mit einer Szene,<br />

die an »The Drowsy Chaperone«<br />

erinnert<br />

Foto: Sabine Schereck<br />

Wenn man in das Museum reinkommt, gleich<br />

rechts, etwas in einer Nische versteckt und<br />

leicht zu übersehen: schwarze lederne Rollschuhe mit<br />

vier Rollen. Sie liegen in einem Glaskasten vor einer<br />

schwarzen Wand und stammen aus »Starlight Express«.<br />

Das Musical allein spricht Bände über die Entwicklung<br />

des Genres: Es stammt aus den 1980er Jahren,<br />

als Andrew Lloyd Webber die Musicalwelt mit seinen<br />

innovativen, manche würden fast sagen verrückten,<br />

Ideen revolutionierte und damit auch noch erfolgreich<br />

war. Wer kommt schon auf die Idee, ein Musical über<br />

Eisenbahnen zu machen? Oder Katzen?<br />

Die Rollschuhe sind Teil der Ausstellung »Re:Imagining<br />

Musicals« im Victoria and Albert Museum in London<br />

und tun genau das, was der Titel vorgibt: sich Musicals<br />

(neu) vorstellen. Dies bezieht sich darauf, wie Musicals<br />

oft vorhandene Geschichten neu interpretieren, neu<br />

erfinden und über ihr Design ein neues Bild schaffen.<br />

Die Rollschuhe werden von der Information<br />

begleitet, dass das Musical unter anderem von der Zeichentrickserie<br />

»Thomas the Tank Engine« (»Thomas,<br />

die kleine Lokomotive«) inspiriert wurde. Es war die<br />

Idee des Designers John Napier, die Schauspieler auf<br />

Rollschuhe zu stellen und damit die Eisenbahnen zu<br />

versinnbildlichen. Die ausgestellten Schuhe stammen<br />

von 2008, ein weiterer Verweis auf die Langlebigkeit<br />

des Musicals. Wer über die Rollschuhe hinaus recherchiert,<br />

erfährt, dass das Musical auch nicht in seiner<br />

1980er Jahre Produktion stecken geblieben ist, sondern<br />

von Andrew Lloyd Webber der Gegenwart, d.h. der<br />

sich wandelnden Gesellschaft, angepasst wurde.<br />

So sind aus einigen männlichen Figuren weibliche<br />

geworden. Gerade für die deutsche Produktion ist dies<br />

wichtig, wo »Starlight Express« seit seiner deutschsprachigen<br />

Erstaufführung 1988 in Bochum den Rekord<br />

hält für die längste Spielzeit eines Musicals an einem<br />

Ort.<br />

Der Wandel eines Stoffes ist in der wandgroßen<br />

Vitrine gegenüber den Rollschuhen am Beispiel »The<br />

Wizard of Oz« eindrücklich nachgezeichnet – die Erzählung<br />

kann auf eine über hundertjährige Geschichte<br />

zurückblicken. Das erste Ausstellungsstück setzt an<br />

der Gegenwart an mit dem eleganten Kostüm der<br />

Hexe Elphaba in »Wicked«. Es ist schon faszinierend,<br />

das mit zahlreichen schwarzen Stoffpartien aufwendig<br />

gemachte Kleid aus der Nähe begutachten zu können.<br />

Es wurde von der amerikanischen Kostümbildnerin<br />

Susan Hilferty entworfen. Das Modell hier stammt aus<br />

der Londoner Produktion von 2006, die dort auch noch<br />

läuft. Das Kostüm repräsentiert auch ein weiteres Anliegen<br />

der Ausstellung, nämlich die enorme handwerkliche<br />

Leistung der Musicalmacher ins Bewusstsein zu rücken.<br />

Neben dem Kleid reihen sich Objekte ein, die die<br />

verschiedenen Werke skizzieren, die aus der Erzählung<br />

von »The Wizard of Oz« hervorgegangen sind. Da ist<br />

zunächst die ursprüngliche Inspirationsquelle, das 1900<br />

von L. Frank Baum geschriebene Buch in einer Ausgabe<br />

von 1903, sowie ein Pressebuch zum Film von 1939 und<br />

Gregory Maguires ausgedachte Vorgeschichte »Wicked:<br />

The Life and Times of the Wicked Witch of the West« von<br />

1995. Eine Entdeckung sind allerdings die Plattencover<br />

zu »The Wiz«, genauer »The Super Soul Musical ›Wonderful<br />

Wizard of Oz‹«. Diese Musicalversion verlegt<br />

Baums Kindergeschichte in die afro-amerikanische<br />

Kultur, das heißt die der 1970er Jahre, als Charlie<br />

Smalls (Musik und Liedtexte) und William F. Brown<br />

(Buch) das Musical verfassten. 1975 war die Broadwaypremiere<br />

und die Besetzung bestand ausschließlich<br />

aus afro-amerikanischen Darstellern. Die Produktion<br />

gewann sieben Tony Awards, inklusive »Bestes Musical«.<br />

Diese Facette verdeutlicht, welche Kraft Musicals<br />

haben. Sie reflektieren nicht nur gesellschaftliche<br />

Veränderungen, sondern treiben sie auch voran. Im<br />

deutschsprachigen Raum war das Musical erstmals<br />

32<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Einblick<br />

2<strong>01</strong>3 in Linz zu sehen.<br />

Ein weiterer Abschnitt der Ausstellung greift auf,<br />

dass auch Filme und Songs Grundlage von Musicals<br />

sind. Da sind Filmposter von »Bend It Like Beckham«,<br />

»The Bodyguard« und »Hairspray« sowie Plattencover<br />

von »42nd Street«, »Copacabana«, »Tina: The Tina<br />

Turner Musical« und »Girl From the North Country«.<br />

Damit wird auf die Jukeboxmusicals verwiesen, die<br />

vorhandene Songs in eine Geschichte verweben. Letztere<br />

beiden Titel illustrieren, was die Ausstellung so<br />

faszinierend macht: Dass sie, neben dem Blick zurück,<br />

auch Musicals einbezieht, die gerade oder kürzlich<br />

noch im West End liefen. Die Ausstellung ist also<br />

»up-to-date« und bindet die Gegenwart eng ein. Das<br />

betrifft vor allem die Kostüme und verdankt sich der<br />

Tatsache, dass die Ausstellung erstmals Neuerwerbungen<br />

der Theatersammlung des Museums präsentiert.<br />

Für den Besucher ist es völlig ungewohnt, das, was<br />

gerade noch auf der Bühne zu sehen war, bereits in<br />

einem Museum wiederzufinden.<br />

Das in dem Abschnitt Film schillerndste Kostüm<br />

stammt aus »Moulin Rouge! The Musical« und wird<br />

von Satine getragen, wenn sie auf einem Trapez vom<br />

Theaterhimmel herunterschwebt. Das atemberaubende<br />

schwarze Glitzerkostüm wurde von Catherine Zuber<br />

entworfen.<br />

Nicht nur bereits existierendes Material bietet eine<br />

Spielwiese für Neuschöpfungen, sondern auch das<br />

Weltgeschehen ist ein Fundus für Geschichten, die<br />

auf der Bühne zum Leben erweckt werden können.<br />

Die Ausstellung setzt so ein Spotlight auf »Welcome to<br />

the Show, the Histo-remix«. Eingeleitet wird dies im<br />

nächsten Raum mit dem Blickfang des Leder-Nietenund-Pailletten-Kostüms<br />

von Catherine of Aragon<br />

aus »SIX the Musical«. Dieses Stück ist eine moderne<br />

Nacherzählung der Leben der sechs Frauen von Heinrich<br />

VIII. in Form eines Popkonzertes. Entsprechend<br />

sind Gabriella Slades Kostüme nicht historisch der<br />

Renaissance verhaftet, sondern den Bühnenoutfits<br />

von Popqueens wie Britney Spears und Beyoncé entlehnt.<br />

Dafür wurde sie mit dem Tony Award geehrt.<br />

Das Besondere an der Show – über das innovative und<br />

zeitgenössische Konzept hinaus – sind die Macher:<br />

Toby Marlow und Lucy Moss, die noch Studenten<br />

in Cambridge waren, als sie an dem Stück arbeiteten,<br />

das, nach einem einschlägigen Erfolg beim Edinburgh<br />

Fringe Festival, 2<strong>01</strong>9 ins West End zog.<br />

Entlang den Wänden wird über Plakate an Musicals<br />

erinnert, die Kriegserfahrungen verarbeiten, wie<br />

»Hair«, »Miss Saigon«, »South Pacific« und der aktuelle<br />

West-End-Hit »Operation Mincemeat«. Auch<br />

»Cabaret« reiht sich hier ein, das die Jahre zwischen<br />

den Kriegen spürbar macht.<br />

Keine Show ohne Star. So widmet sich ein Bereich<br />

über zwei Kostüme weiteren Meilensteinen der<br />

Musicalgeschichte: »A Chorus Line« von 1975 und<br />

»Everybody’s Talking About Jamie« von 2<strong>01</strong>7. Sie<br />

stehen für Musicals, die Biografien realer Personen<br />

auf die Bühne bringen, wie »Evita«, »Funny Girl« oder<br />

»Gypsy«. »A Chorus Line« ist insofern besonders, als<br />

dass es Tänzern eine Stimme gibt, die sonst namenlos<br />

eine Chorus Line füllen.<br />

Die Kombination beider Musicals erzählt auch<br />

ohne Worte von einem anderen Aspekt – der<br />

Abb. von oben links:<br />

1. Ausstellungsansicht zu »The<br />

Histo-Remix« mit dem Kostüm für<br />

Catherine of Aragon in »SIX the<br />

Musical« (Design: Gabriella Slades),<br />

2020<br />

2. Rollschuhe aus »Starlight<br />

Express«, 2008<br />

3. Ausstellungsansicht mit<br />

Kostümen aus »A Chorus Line«<br />

(Design: Theoni V. Aldredge) und<br />

»Everybody`s Talking About Jamie«<br />

(Design: Anna Fleischle)<br />

4. Eingangsbereich der Ausstellung<br />

»Re:Imagining Musicals«<br />

Fotos 1+2: Sabine Schereck<br />

Fotos 3+4: Victoria and Albert Museum<br />

London<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong> 33


Einblick<br />

Abb. von links:<br />

1: Kostüm für Elphaba in »Wicked«<br />

(Design: Susan Hilferty), Apollo<br />

Victoria Theatre, 2006<br />

2. Kostüm der Figur Satine in<br />

»Moulin Rouge! The Musical«,<br />

Design: Catherine Zuber<br />

3. Kostüm für Eliza Doolittle in »My<br />

Fair Lady« (Design: Cecil Beaton),<br />

getragen von Julie Andrews, Theatre<br />

Royal Drury Lane, 1958<br />

Foto 1: Sabine Schereck<br />

Fotos 2+3: Victoria and Albert Museum<br />

London<br />

gesellschaftlichen Entwicklung, die in den letzten 40<br />

Jahren stattgefunden hat. Von »A Chorus Line« ist<br />

das goldglitzernde Kostüm des Finales ausgestellt. Bei<br />

»Everybody’s Talking About Jamie« geht es um den<br />

Wunsch eines Jungen, zum Abschlussball der Schule<br />

ein glamouröses Kleid zu tragen. Es zeigt, wie hart<br />

der Kampf sein kann, seine innere, gefühlte Identität<br />

in der Gesellschaft zu zeigen und damit akzeptiert<br />

zu werden. Anna Fleischles Kostüm mit abgewetzter<br />

Jeanshose, aber mit Pailletten-besetzter Jeansjacke und<br />

roten High Heels markiert den Weg dorthin.<br />

Frauenfiguren stehen vielfach im Zentrum von<br />

Musicals; viele sind schon genannt worden. Die Ausstellung<br />

richtet dennoch klug die Aufmerksamkeit auf<br />

die Rolle der Frau in der Gesellschaft und wie sich ihr<br />

Bild gewandelt hat bzw. wie Frauenbilder neu interpretiert<br />

werden. Das erfolgt über ein Kostüm von »My<br />

Fair Lady«, das Julie Andrews 1958 in der Produktion<br />

im West End trug und das sie als feine junge Dame<br />

um 1900 präsentiert – der Zeit, in der das Stück spielt.<br />

Die Tatsache, dass das Stück immer wieder neu und<br />

den Zeiten angepasst inszeniert wird, beweist dessen<br />

Bedeutung. Dem gegenüber steht das schlichte, fast<br />

zeitlose rote Kleid aus der Neuinterpretation von Stephen<br />

Sondheims 1970 geschriebenen Musical »Company«.<br />

Die Regisseurin Marianne Elliott hat 2<strong>01</strong>8 aus<br />

der männlichen Hauptfigur eine weibliche gemacht.<br />

Im letzten Raum befindet sich eine Leinwand,<br />

auf der Ausschnitte zahlreicher Produktionen die<br />

Besucher am Musicalgeschehen der letzten 20 Jahren<br />

teilhaben lassen, primär des West Ends. Für begeisterte<br />

Musicalgänger ergeben sich daraus schöne Erinnerungen<br />

an Stücke, die selbst gesehen wurden, und es<br />

bietet Einblicke in die, die bei denen der Besuch nicht<br />

möglich war.<br />

Am Ende der Ausstellung befindet sich noch ein<br />

kleiner Schaukasten mit einer Wohnzimmerszene: Ein<br />

alter Mann sitzt in einem Sessel und hört bedächtig<br />

Musik, die von einem Plattenspieler kommt. Das Plattencover<br />

hält er liebevoll in den Händen. Die Szene<br />

erinnert an den Anfang von »The Drowsy Chaperone«,<br />

wo ein Musicalliebhaber gemütlich in seinem Sessel<br />

sitzt und sich über Aufnahmen von Musicals aus den<br />

1930er Jahren in deren glanzvolle Welt träumt. Das<br />

Besondere an dem Mann hier ist, dass er wie Stephen<br />

Sondheim aussieht. Eine Erläuterung zu dem Beitrag<br />

gibt es nicht, aber er ist ein vielsagender und gelungener<br />

Schluss: Er illustriert die Fähigkeit von Musicals,<br />

selige Momente zu zaubern – und das auch von zu<br />

Hause. In »The Drowsy Chaperone« erklärt der Mann<br />

im Sessel nämlich warmherzig: »Whenever I am feeling<br />

blue, I like to listen to my music.«<br />

Die gelungene Ausstellung wurde von Simon Sladen,<br />

Senior Curator for Modern and Contemporary<br />

Theatre and Performance, und Harriet Reed, Curator<br />

of Contemporary Performance, kuratiert und ist bis<br />

4. Februar 20<strong>24</strong> zu sehen.<br />

Sabine Schereck<br />

34<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Österreich<br />

Blick in den Spiegel der braunen Vergangenheit<br />

»Lass uns die Welt vergessen – Volksoper 1938« in Wien uraufgeführt<br />

Abb. oben:<br />

Zwei Ensemblemitglieder erscheinen<br />

in Nazi-Uniform zur Probe, was<br />

erste ernsthafte Diskussionen nach<br />

sich zieht (v.l.: Carsten Süss, Marco<br />

Di Sapia, Lukas Watzl, Johanna<br />

Arrouas, Jakob Semotan, Szymon<br />

Komasa, James Park, Kilian Berger)<br />

Abb. unten:<br />

Der Bühnenmeister (Gerhard<br />

Ernst) gibt Souffleur Ossip Rosental<br />

(Andreas Patton) den Tipp, mit<br />

einem Nazifähnchen sicher nach<br />

Hause zu kommen<br />

Fotos (2): Barbara Pálffy / Volksoper Wien<br />

Es sind zwei Welten, wie sie unterschiedlicher<br />

nicht sein könnten. Die Darsteller der Wiener<br />

Volksoper proben 1938 für die anstehende<br />

Premiere der heiteren Operette »Gruß und Kuss<br />

aus der Wachau«. Doch noch bevor sich der erste<br />

Vorhang hebt, holt sie die düstere Realität ein:<br />

Die Nazis haben die Macht im Land übernommen,<br />

mit dramatischen Folgen – für alle, selbst<br />

für jene, die sich eigentlich gar nicht für Politik<br />

interessieren. Das ist die Handlung von »Lass uns<br />

die Welt vergessen – Volksoper 1938«. In dem<br />

neuen »Stück mit Musik«, wie es im Programm<br />

heißt, arbeitet die Volksoper Wien auf beeindruckende<br />

Art und Weise ihre eigene Geschichte auf.<br />

Am 14. Dezember 2023 – genau 125 Jahre, nachdem<br />

das Haus als »Kaiserjubiläum-Stadttheater«<br />

eröffnet wurde – feierte es seine Uraufführung.<br />

Anfangs findet sich der Zuschauer in den<br />

Proben zu einer seichten Operette wieder, die in<br />

der Volksoper aufgeführt werden soll. Doch fast<br />

unmerklich gewinnt die Handlung an Dramatik.<br />

Es herrscht scheinbar normaler Probenbetrieb, die<br />

Zeit drängt, es sind nur noch wenige Wochen bis<br />

zur Premiere der neuen Operette. Mit farbenfrohen<br />

Kostümen will man eine heile Welt auf die Bühne<br />

bringen, doch schwarz-weiße Videoprojektionen<br />

der politischen Geschehnisse der damaligen Zeit,<br />

die parallel dazu auf die hintere Wand der Bühne<br />

projiziert werden, zeigen, was vor der Volksoper<br />

passiert: Die österreichische Politik des Austrofaschismus<br />

schafft es nicht mehr, sich gegen die Nazis<br />

im Nachbarland zu wehren, es kommt unter Adolf<br />

Hitler zum sogenannten »Anschluss« Österreichs<br />

ans Deutsche Reich.<br />

Auch der Theaterbetrieb bleibt davon nicht unberührt:<br />

Die ersten Darsteller der Operette erscheinen<br />

in der braunen Uniform der Nazis zur Probe, plötzlich<br />

werden jüdische Ensemblemitglieder durch vermeintlich<br />

arische Kollegen ausgetauscht. Einem jüdischen<br />

Mitarbeiter wird geraten, auf dem Heimweg<br />

eine kleine Hakenkreuz-Papierfahne zu schwenken,<br />

um vor möglichen Angriffen geschützt zu sein. Das<br />

heutige Publikum, das um den historischen Verlauf<br />

weiß, erkennt in den Dialogen, die teilweise auf historischen<br />

Überlieferungen beruhen, die Warnungen<br />

ganz deutlich. Die Figuren – meist nach realen Vorbildern<br />

gestaltet – verschließen die Augen vor dem<br />

Wandel oder stehen ihm machtlos gegenüber.<br />

Die verschiedenen Ebenen der neuen Operette,<br />

der Probenbetrieb in der Volksoper 1938 und<br />

die historischen Ereignisse, werden von Szene zu<br />

Szene miteinander verwoben. Das Bühnenbild<br />

ist klar strukturiert und trennt die verschiedenen<br />

Handlungsebenen, lässt es aber gleichzeitig zu, dass<br />

Verbindungen hergestellt werden, etwa wenn die<br />

Hauptdarstellerin der Operette während der Probe<br />

mit dem im Konzentrationslager inhaftierten ehemaligen<br />

Bühnenpartner ein Duett singt. Die einzige<br />

Konstante des Stücks ist der in schwarz gehaltene<br />

Regiebereich auf der linken Seite der Bühne,<br />

welcher durchgängig zu sehen ist. Die übrigen Elemente,<br />

etwa Bühnenbilder der Operette oder eine<br />

große zylinderförmige Drehbühnen-Konstruktion,<br />

die die privaten Bereiche einzelner Darsteller symbolisiert,<br />

werden abwechselnd eingesetzt.<br />

Mit welcher Geschwindigkeit sich die Handlung<br />

36<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Österreich<br />

entwickelt, ist enorm. In nur wenigen Monaten<br />

wandelt sich alles, und während das Publikum 1938<br />

die neue Operette mit Happy End feiert, bevölkern<br />

KZ-Insassen, darunter ehemalige Mitglieder des<br />

Ensembles, die Bühne. Während die einen die Welt<br />

vergessen wollen, wurden die anderen von der Welt<br />

vergessen.<br />

Die Handlung steht bei »Lass uns die Welt vergessen<br />

– Volksoper 1938« im Vordergrund – keine<br />

Figur nimmt eine zentrale Position ein. Fast scheint<br />

es, als wenn sie miteinander verschmelzen und so<br />

den optimalen Rahmen für die Erinnerung und<br />

Aufarbeitung bieten. Ebenso verschmelzen die<br />

Darsteller mit ihren Rollen, hier jemanden hervorzuheben<br />

wäre nicht dem Stück und der Darbietung<br />

angemesssen.<br />

Die Auswirkungen der historischen Ereignisse<br />

auf alle Gesellschaftsschichten sollen gezeigt werden.<br />

Spätestens wenn junge Frauen in weißer<br />

Sportkleidung auf der Bühne in Aktion treten<br />

und man sich unweigerlich an Leni Riefenstahls<br />

inszenierte Propagandafilme erinnert fühlt, ist auch<br />

hier die neue Realität eingezogen. Unausweichlich<br />

ist das Publikum nicht nur Zuschauer, sondern<br />

wird zum stummen Zeugen der Situation, wird<br />

gezwungen, Stellung zu beziehen. »Was würde ich<br />

tun?« ist die Frage, die sich aufdrängt, begleitet<br />

von einer Achterbahn der Gefühle. So wie sich die<br />

Handlungsstränge mischen, so mischen sich auch<br />

die Musikstile: Die fragmentarisch erhaltene Operettenmusik<br />

von Jara Beneš wurde mit Musik von<br />

Gustav Mahler, Viktor Ullmann, Arnold Schönberg<br />

und neu komponierter Musik von der aus<br />

Israel stammenden Komponistin (und Dirigentin<br />

des Abends) Keren Kagarlitsky gemischt.<br />

Etwas fürs Auge sind die beeindruckenden<br />

Choreographien von Florian Hurler: Ob im großen<br />

Ensemble in der Tabakfabrik in den mintgrünen<br />

Uniformen (Kostüme: Jorine van Beek) oder mit<br />

einigen wenigen Tänzerinnen beim Briefträger-<br />

Lied zu typischen Charleston-Schritten. Die hohe<br />

Qualität der Produktion spiegelt sich auch darin<br />

wider, dass eigens eine historische Beraterin (Marie-<br />

Theres Arnbom) hinzugezogen wurde. Dies kommt<br />

nicht nur den verwendeten Bild- und Tonaufnahmen<br />

(Video: Arjen Klerkx) zu Gute, sondern setzt<br />

das gesamte Werk in einen historisch korrekten<br />

Kontext.<br />

Die neue Leitung der Volksoper unter Lotte<br />

de Beer hat mit dem Auftragswerk Mut bewiesen<br />

und zeigt, welche heiklen Themen Musiktheater<br />

bearbeiten kann. Dieses scheinbare Wagnis wird<br />

belohnt. Das mediale Echo ist enorm. Nicht nur<br />

Wiener Blätter, sondern auch internationale Zeitungen<br />

feiern das mutige Projekt. Das Stück gebe<br />

den Sängerinnen und Sängern, die nicht mehr<br />

da sind, den Vertriebenen, den Toten eine Bühne<br />

und eine Stimme, resümiert etwa der Bayerische<br />

Rundfunk. Die Idee hinter der Inszenierung wird<br />

aus Sicht einiger Kritiker aber nicht konsequent<br />

umgesetzt. Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />

sind die Dialoge zu langatmig, die Zeitung<br />

hebt jedoch die Aktualität hervor und vernetzt die<br />

Inszenierung mit der politischen Lage in der Alpenrepublik,<br />

wo die rechtspopulistische FPÖ ein Jahr<br />

vor den Parlamentswahlen die Umfragen anführt:<br />

»Angesichts der drohenden Gefahr einer rechtsextremen<br />

Regierung in Österreich kommt dieser<br />

Produktion, die ungeschönt die katastrophalen<br />

Folgen des Rechtspopulismus zeigt, trotz einiger<br />

Defizite ein großer Verdienst zu.« Und so bleibt die<br />

Frage, ob wir aktuell in der Lage sind, im Sturm<br />

eines Nahost-Krieges, in Zeiten des wachsenden<br />

Antisemitismus und zunehmender Fremdenfeindlichkeit<br />

die Zeichen der Zeit richtig zu deuten.<br />

Mina Piston<br />

Lass uns die Welt vergessen –<br />

Volksoper 1938<br />

Jara Beneš / Arnold Schönberg /<br />

Viktor Ullmann / Gustav Mahler /<br />

Keren Kagarlitsky / Hugo Wiener /<br />

Kurt Breuer / Fritz Löhner-Beda /<br />

Theu Boermans<br />

Volksoper Wien<br />

Uraufführung: 14. Dezember 2023<br />

Regie .......................... Theu Boermans<br />

Musik. Leitung ......... Keren Kagarlitsky<br />

Choreographie .............. Florian Hurler<br />

Bühnenbild ............ Bernhard Hammer<br />

Kostüme ...................... Jorine van Beek<br />

Licht ..................................... Alex Brok<br />

Video ............................... Arjen Klerkx<br />

Sounddesign ............... Martin Lukesch<br />

Historische Beratung ...........................<br />

.......................... Marie-Theres Arnbom<br />

Alexander Kowalewski,<br />

Intendant .................... Marco Di Sapia<br />

Ossip Rosental,<br />

Souffleur ...................... Andreas Patton<br />

Hugo Wiener, Autor ..... Florian Carove<br />

Fritz Löhner-Beda, Librettist .................<br />

........................................ .Carsten Süss<br />

Kurt Herbert Adler,<br />

Dirigent .......................... . Lukas Watzl<br />

Kurt Hesky, Regisseur .... Jakob Semotan<br />

Leo Asch,<br />

Bühne und Kostüm ... Szymon Komasa<br />

Bühnenmeister .............. Gerhard Ernst<br />

Hulda Gerin .............. Johanna Arrouas<br />

Viktor Flemming .............. Ben Connor<br />

Fritz Imhoff .... Wolfgang Gratschmaier<br />

Trudl Möllnitz .................. Theresa Dax<br />

Olga Zelenka ................... Sofia Vinnik<br />

Kathy Treumann ................... Julia Koci<br />

Walter Schödel ............ Nicolaus Hagg<br />

Frida Hechy ................. Ulrike Steinsky<br />

Emil Kraus .......... Sebastian Reinthaller<br />

Franz Hammer ....................................<br />

..........................Johannes Deckenbach<br />

Kurt Breuel ............. Kurt Schreibmayer<br />

Johanna Kreuzberger /<br />

Mutter Wiener ................ Regula Rosin<br />

Horst Jodl ................... Robert Bartneck<br />

Fritz Köchl ......................... Axel Herrig<br />

Hans Frauendienst ..... Thomas Sigwald<br />

In weiteren Rollen:<br />

Kilian Berger, Victoria Demuth,<br />

Oliver Floris, Michael Konicek,<br />

Benjamin Oeser, James Park,<br />

Marina Petkov, Jennifer Pöll,<br />

Philip Ranson, Rebecca Soumagné,<br />

Anetta Szabo, Josefine Tyler<br />

Abb. links von links oben:<br />

1. Regisseur Kurt Hesky (Jakob<br />

Semotan, Mitte) gibt dem Ensemble<br />

Regieanweisungen während der Probe<br />

2. Die Nazis übernehmen das Ruder<br />

an der Volksoper: Fritz Köchl (Axel<br />

Herrig, Mitte r.) entlässt zum Entsetzen<br />

der Darsteller (Ensemble) den Großteil<br />

der jüdischen künstlerischen Leitung<br />

3. Das Leading Team und die Künstler<br />

in privater Atmosphäre (Ensemble)<br />

4. Historische Videoaufnahmen<br />

sind ein wichtiger Pfeiler dieser<br />

Inszenierung<br />

Fotos (4): Barbara Pálffy / Volksoper Wien<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

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Musicals in Österreich<br />

»Du hast den Vogel abgeschissen«<br />

Österreichische Erstaufführung von »Tootsie« am Landestheater Linz<br />

Abb. oben:<br />

Dorothy (Gernot Romic) feiert Erfolg<br />

über Erfolg<br />

Foto: Herwig Prammer<br />

Tootsie<br />

David Yazbek / Robert Horn<br />

Deutsch von Roman Hinze<br />

Landestheater Linz<br />

Musiktheater am Volksgarten –<br />

Großes Haus<br />

Österreichische Erstaufführung:<br />

9. Dezember 2023<br />

Regie ........................... Ulrich Wiggers<br />

Musikalische Leitung ........ Juheon Han<br />

Choreographie .......... Kati Heidebrecht<br />

Bühnenbild .................. Leif-Erik Heine<br />

Kostüme ..................... Franz Blumauer<br />

Lichtdesign ............. Michael Grundner<br />

Michael Dorsey/<br />

Dorothy Michaels ......... Gernot Romic<br />

Julie Nichols ................. Sanne Mieloo<br />

Jeff Slater ...................... Karsten Kenzel<br />

Sandy Lester .......... Celina dos Santos /<br />

Valerie Luksch<br />

Ron Carlisle ................... Enrico Treuse<br />

Max Van Horne ....... Christian Fröhlich<br />

Rita Marshall ................... Daniela Dett<br />

Stan / Carl .................... Max Niemeyer<br />

Stuart ....................... Lukas Sandmann<br />

Suzie / Vokal-Trio 1 ..............................<br />

............. Alexandra-Yoana Alexandrova<br />

Vokal-Trio 2 ............... Valerie Luksch /<br />

Lynsey Thurgar<br />

Vokal-Trio 3 .................. Susanne Rietz<br />

In weiteren Rollen:<br />

Laura Araiza Inasaridse,<br />

Alexandra Frenkel, Christian Funk,<br />

Verena Nothegger, Kevin Reichmann,<br />

Stefan Schmitz, Davide Venier,<br />

Matteo Vigna<br />

Mittlerweile hat es sich eingebürgert, dass schon<br />

der Weg nach Linz mit Vorfreude gesegnet ist.<br />

Immer wieder schafft es das Landestheater, nicht nur<br />

mit der Stückauswahl zu überzeugen, nein, insbesondere<br />

begeistert es tatsächlich mit etwas anderem: den<br />

Darstellern, die zumeist alle aus dem Kern des Ensembles<br />

kommen und mit den immerhin fünf Musical-<br />

Premieren dieser Spielzeit je in so unterschiedliche<br />

Rollen schlüpfen, dass man als regelmäßiger Zuschauer<br />

immer wieder eine beeindruckende Präsentation des<br />

jeweiligen Könnens zu sehen bekommt.<br />

Die, die in dem einem Stück noch Hauptrollen<br />

haben, ordnen sich hier hervorragend im Ensemble<br />

ein, vermeintliche Ensemblemitglieder glänzen in der<br />

Hauptrolle – die Qualität der Darsteller ist durch die<br />

Bank so hoch, dass alle nicht nur absolut verlässlich,<br />

sondern auch immer wieder bis in die kleinste Rolle<br />

mit eben der charismatischen Energie glänzen, die man<br />

bei anderen Großproduktionen immer wieder finden<br />

wollen würde. Nun also David Yazbeks und Robert<br />

Horns »Tootsie«, die zweite Premiere 2023/20<strong>24</strong>.<br />

Das Stück kann zehn Tony-Award-Nominierungen<br />

vorweisen, zwei davon (»Bestes Buch« & »Bester<br />

Hauptdarsteller«) wurden letztendlich auch wirklich<br />

gewonnen. Dennoch war die Laufzeit am Broadway<br />

mit gerade einmal 318 Vorstellungen inklusive Previews<br />

nicht allzu lang. In Deutschland feierte es im<br />

Juli 2022, auch in der absolut gelungenen Übersetzung<br />

von Roman Hinze, im Staatstheater am Gärtnerplatz<br />

in München Premiere.<br />

Die Geschichte beginnt im Grunde mit dem vierzigsten<br />

Geburtstag von Michael Dorsey, der dank seines<br />

besten Freundes Jeff mit der bitteren Realität seines<br />

Lebens konfrontiert wird. Seine Eltern sagen noch<br />

immer nicht, dass er Schauspieler ist, ohne das Wort in<br />

Gänsefüßchen zu setzen. Er hat keine Beziehung, nur<br />

ein etwas eigenartiges Verhältnis zu seiner Exfreundin<br />

Sandy. Und da er als zu anstrengend verschrien ist und<br />

entweder keinen Job bekommt oder behält, muss er<br />

nach wie vor für seinen Lebensunterhalt kellnern. Als<br />

Sandy ihm von einer Audition für eine Neufassung von<br />

»Romeo und Julia« erzählt, beschließt er, dass er sich<br />

einfach als Amme bewirbt. Er wirft sich in Kleider,<br />

schminkt sich und liefert mit ›Ich bin für euch da‹ die<br />

perfekte Show ab, um die Produzentin ebenso wie die<br />

Autorin des Stückes von sich zu überzeugen. Nach und<br />

nach gewinnt er die Herzen aller Beteiligten – nur mit<br />

dem Regisseur klappt es nach wie vor nicht; jedoch<br />

hat er sich als Dorothy weit besser im Griff, so dass es<br />

ihn dieses Mal nicht den Job kostet. Allerdings endet<br />

alles im Chaos, denn nicht nur alle anderen verlieren<br />

ihre Herzen an ihn, nein, auch er verliert sein Herz: an<br />

Julie, die Julia auf der Bühne, mit der er eine Verbindung<br />

und gleichermaßen Freundschaft aufbaut, wie sie<br />

für ihn mit einer Frau völlig unbekannt war. »Ich war<br />

als Frau mit dir ein besserer Mann, als ich es jemals<br />

mit einer Frau als Mann war«, lautet die rührende<br />

Liebeserklärung. Ob sie reicht, damit Julie die Lügen<br />

verzeihen kann?<br />

Als Michael/Dorothy überzeugt mit erstaunlich<br />

weiblicher Eleganz Gernot Romic, dem es dennoch<br />

gelingt, in den Szenen, in denen er Mann ist, direkt<br />

wieder eine andere Gang-, eine andere Körperhaltung<br />

zu übernehmen. Stimmlich erinnert er stark an<br />

die deutsche Synchronstimme von Mrs Doubtfire,<br />

gesanglich merkt man, dass ihm die männlichen Songs<br />

einen Hauch leichter fallen, während die Lieder von<br />

Dorothy überraschenderweise mit mehr Emotionalität<br />

überzeugen. An seiner Seite mit wunderschönwarmer<br />

Stimme Sanne Mieloo. Ihr ›Und da war John‹<br />

fühlt sich zu kurz an, gerne hätte man da noch weit<br />

länger gelauscht. Auch schauspielerisch weiß sie die<br />

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Musicals in Österreich<br />

Zuschauer in den Bann zu ziehen, egal, ob es in dem<br />

gemeinsamen Aufbau der Freundschaft zwischen<br />

Dorothy und ihr ist oder dann auch später, wenn<br />

sie ihr ihre Liebe gesteht – Emotionen kann Mieloo<br />

ohne Zweifel.<br />

Komödiantisches Highlight ist allen voran Christian<br />

Fröhlich als Max. Sein ›Was kann das sein?‹ war<br />

stark gesungen, aber wirklich beeindruckt er damit,<br />

wie sehr er die Lachmuskeln des Publikums herausfordert.<br />

Vom Herunterreißen des Oberhemds bis<br />

hin zu jeglichem Schnösel-Habitus – hier passt alles,<br />

von Betonung bis Timing, so dass sogar einfachster<br />

Humor á la »Du hast den Vogel abgeschissen« durch<br />

die Authentizität enorm lustig wird. Karsten Kenzel<br />

als Michaels bester Freund Jeff hat mit ›Jeff fasst<br />

zusammen‹ seinen großen gesanglichen Moment,<br />

wirklich stark ist er aber in den vielen kleinen Szenen<br />

dazwischen, wo er immer weit mehr als nur Stichwortgeber<br />

ist, sondern seinem Jeff einen starken Charakter<br />

verleiht, den man einfach mögen und gern beobachten<br />

muss. Celina dos Santos hat wenig Auftritte, die dafür<br />

aber immer überzeugend lustig sind, und dank der<br />

vielen musikalischen Zitate von ›Was passier´n wird‹ ist<br />

ihr Charakter auch irgendwann mit nur einem Takt im<br />

Gedächtnis des Zuschauers.<br />

Dass Regisseur Ulrich Wiggers intensiv mit den<br />

Darstellern gearbeitet hat, merkt man dem Zusammenspiel<br />

in den einzelnen Szenen an. Insbesondere<br />

die, bei denen nur zwei Darsteller miteinander spielen,<br />

haben trotz der großen Bühne fast schon Kammertheaterintimität.<br />

Choreographin Kati Heidebrecht<br />

kann hier mal wieder das Ensemble so richtig zum<br />

Tanzen bringen, fast legendär ist der Opener, bei dem<br />

auch sie textbedingt tänzerische Zitate von u. a. Bob<br />

Fosses Arbeit bringt. Wie vertraut das Publikum mit<br />

all den Zitaten ist, wird sehr schnell klar, denn schon<br />

da beginnt der Funke überzuspringen. Auch in den<br />

anderen Massenszenen wird einmal mehr klar, dass<br />

im Linzer Ensemble wirklich Alleskönner sind und<br />

die Tanzschritte fließend leicht von den Fußspitzen<br />

abgehen.<br />

Neben allem, was so auf der Bühne herumwirbelt,<br />

tanzt und singt, gibt es allerdings noch einen anderen<br />

Star des Abends: Prominent positioniert und bis auf<br />

ganz wenige Ausnahmen sichtbar spielt das Orchester<br />

unter der musikalischen Leitung von Juheon Han die<br />

zum Teil mit großen Big Band- / Broadway-Klängen<br />

versehene Musik Yazbeks perfekt akzentuiert und mit<br />

dem einen oder anderen Bläserhighlight versehen.<br />

Linz schafft es, sich mit dem Bühnenbild und den<br />

Kostümen von den Vorgängerproduktionen freizuschaufeln.<br />

Franz Blumauer hat nicht nur Dorothy<br />

immer wieder sehr hübsch und mit wunderschönglänzenden<br />

Brillen ausgestattet, auch alle anderen<br />

Darsteller haben sehr kleidsame Kostüme. Leif-Erik<br />

Heine hat eine Welt wie aus einem Kosmetikkoffer<br />

geschaffen. Fast alles, was sich auf der Bühne finden<br />

lässt, wurde kosmetisch inspiriert. Ist es die Garderobe<br />

von Julie, die aus einem Wattestäbchen-Ständer<br />

besteht, Dorothys Garderobe aus einer Haarspraydose,<br />

der Bühnenboden – einfach alles hat den Bezug zum<br />

Schminken und trägt den humorösen Markennamen<br />

»Maybehim«.<br />

Dazu kommt dann auch noch ein Österreich-Bezug:<br />

Wenn Dorothy nicht nur bei den bekannten amerikanischen<br />

Musicals in den Hauptrollen glänzt, sondern selbstverständlich<br />

auch als Kaiserin Elisabeth gefeiert wird,<br />

herrscht großes Lachen im Publikum. Überhaupt ist eben<br />

dieses ob der wirklich sehr runden Produktion immer<br />

wieder offen, herzhaft und laut zu lachen. »Tootsie« versteht<br />

es, die Leute zu unterhalten, berührt aber immer<br />

wieder das Herz und sorgt einfach für einen Abend voller<br />

kollektiver Glückseligkeit. Wunderbar, dies zu erleben –<br />

das Publikum dankt dafür mit langen Standing Ovations.<br />

Sabine Haydn<br />

Abb. oben:<br />

Michael sucht Hilfe bei Dorothy<br />

(Gernot Romic), die das Leben<br />

besser versteht als er<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Michael Dorsey (Gernot Romic,<br />

Mitte) versucht, sich ins Ensemble<br />

einzureihen<br />

2. Julie (Sanne Mieloo, l.) und<br />

Dorothy (Gernot Romic, r.)<br />

beginnen eine tiefe, vertrauensvolle<br />

Freundschaft<br />

3. Sandy (Celina dos Santos, Mitte)<br />

erklärt Jeff (Karsten Kenzel, l.) und<br />

Michael (Gernot Romic), ›Was<br />

passier´n wird‹<br />

4. Dorothy Michaels (Gernot<br />

Romic, Mitte) glänzt mit dem<br />

Ensemble in der Neuinszenierung<br />

von »Julias wahre Flamme«<br />

Fotos (5): Herwig Prammer<br />

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Musicals in Österreich<br />

Leise rieselt der Regen<br />

»Singin’ in the Rain« am Salzburger Landestheater<br />

Abb. oben:<br />

Große Ensemble-Nummern prägen die<br />

Choreographie von »Singin’ in the Rain«<br />

Abb. unten:<br />

Ein absoluter Klassiker der Musicalgeschichte:<br />

Don Lockwood (Ramesh Nair)<br />

mit ›Singin’ in the Rain‹<br />

Fotos (2): Tobias Witzgall<br />

Ein Mann im grauen Anzug, der beseelt durch den<br />

Regen steppt, von einem Laternenmast zum Nächsten:<br />

Die Szene aus »Singin’ in the Rain« ist nicht nur<br />

ein Kultlied, sondern stammt zugleich auch aus einem<br />

Kultmusicalfilm. Doppelter Kult also, der seit Dezember<br />

2023 auch im Salzburger Landestheater zu sehen<br />

ist. Unter der Regie von Simon Eichenberger und der<br />

musikalischen Leitung von Tobias Meichsner erwacht<br />

das Hollywood der frühen Dreißiger zu neuem Leben.<br />

Das Musical, das erst 1983 bühnentauglich gemacht<br />

wurde, zeigt den Übergang vom Stummfilm zur Variante<br />

mit Ton. Dreh- und Angelpunkt dafür bildet das Filmpaar<br />

Don Lockwood und Lina Lamont. Während sie auf<br />

der stummen Leinwand brillieren, birgt die Sache mit<br />

dem Klang so ihre Tücken. Linas Stimme ist alles, aber<br />

nicht schön, und spiegelt damit praktischerweise zugleich<br />

schon ihren Charakter. Dieser hat es nämlich genauso in<br />

sich, und als Don ganz ohne Dating-Apps Kathy Selden<br />

kennenlernt, brennen bei der Diva alle Sicherungen<br />

durch.<br />

Auch wenn der Film »Singin’ in the Rain« auf<br />

Technicolor setzt, bevorzugt Simon Eichenberger für<br />

die Bühnenfassung sanfte Sepiatöne. Diese tauchen<br />

das Musical in einen merkwürdig cremefarbenen<br />

Grundton – von den Kostümen über die Szenen bis<br />

zum Spiel der Darstellerinnen und Darsteller. Technicolor,<br />

ja, rein theoretisch, wenn da nicht dieses<br />

omnipräsente Beige wäre. In der Produktion liegt der<br />

Fokus neben der monochromen Farbwahl ohnehin auf<br />

dem Konzept des Tonfilms. Dieser wird deshalb auch<br />

umso gründlicher auf allen Ebenen zelebriert. Sei es,<br />

dass in den einen Szenen der Stummfilm humorvoll<br />

übersteigert wiedergegeben wird oder in anderen die<br />

Konstruiertheit durch die Prozesse dahinter sichtbar<br />

gemacht wird. So fährt die Kamera bei ›Beautiful Girl‹<br />

auf einem Podest zwischen Publikum und Tanzszene<br />

mit Gesang hin und her, immer auf der Jagd nach den<br />

perfekten Bildern. Sofort ist klar, hier gilt das Augenmerk<br />

weniger der aufwändigen Choreographie und<br />

dem von Alexander Hüttner wunderbar interpretierten<br />

Song, sondern der Entstehung eines Films. Dazu<br />

passt, dass immer wieder Bühnennebel geheimnisvoll<br />

über die Bühne wabert, der das Mysterium Tonfilm<br />

akzentuiert.<br />

Wunderbar enthusiastisch zaubert Don Lockwood<br />

aus der Kulisse das perfekte Setting, um Kathy näherzukommen.<br />

Das scheint ein gewichtiger Moment,<br />

denn genau diese überbordende Begeisterung und<br />

dieser grenzenlose Elan fehlen der Figur an anderen<br />

Stellen. Selbst der berühmte Song ›Singin’ in the Rain‹<br />

wirkt dadurch verhalten. Es wird getanzt, es wird<br />

gesteppt, es wird gesungen, und das alles auch im typischen<br />

grauen Anzug, allerdings fehlt das Salz in der<br />

Suppe – oder der Pfeffer im Hintern von Ramesh Nairs<br />

Don Lockwood. Die Verzückung des frisch Verliebten<br />

springt nicht über, und blass fällt der Sprühregen auf<br />

eine vernebelte graue Bühne.<br />

Die merkwürdig empathielose Note liegt definitiv<br />

nicht am Bühnenbild von Charles Quiggin, das an<br />

allen anderen Stellen herausragend gelungen ist und<br />

die Analogien des alten Hollywoods vorzüglich aufgreift,<br />

um sie mit Elementen aus den frühen Studios<br />

zu speisen. Diese akzentuieren in ihren kleinen Details<br />

die unterschiedlichen Szenen. Ein Highlight sind dabei<br />

die Sprachunterrichtsstunden der beiden Protagonisten.<br />

Während Lina Lamont (Niniane Everaert) sichtlich<br />

mit der Aussprache kämpft und sich schrill durch<br />

den Abend quietscht, wird Don Lockwoods Lektion<br />

zum Spaziergang, an dem auch Kumpel Cosmo Brown<br />

(Niklas Schurz) partizipiert. Gemeinsam schütteln sie<br />

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blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Österreich<br />

mal eben so den englischen Zungenbrecher aus dem<br />

Ärmel, der dann auch noch nahtlos in eine große<br />

Ensemble-Nummer übergeht: »Moses supposes his toeses<br />

are roses, but Moses supposes erroneously, Moses he<br />

knowses his toeses aren’t roses, as Moses supposes his<br />

toeses to be!« Große Ensemble-Nummern, das kann<br />

diese Produktion. Unter der Anleitung von Dominique<br />

Brooks-Daw entstanden fabelhafte Tanz- und Steppszenen,<br />

die vom Ballett und den Protagonistinnen und<br />

Protagonisten aufgegriffen werden.<br />

Fließende Choreographien vermengen sich mit fließenden<br />

Stoffen – und bisweilen wird dazu auch noch<br />

gesungen. »Singin’ in the Rain« verdankt seine Beliebtheit<br />

gerade der Tatsache, dass es die erste Musical Comedy<br />

war, bei der die Darstellerinnen und Darsteller sowohl<br />

singen als auch tanzen, steppen und spielen. Selbst wenn<br />

das an diesem Abend nicht bei allen funktioniert, steht<br />

Julia-Elena Heinrichs Interpretation der Kathy Selden<br />

paradigmatisch für diese Mehrspartenkunst. Egal in<br />

welcher Disziplin sie unterwegs ist, Heinrichs Kathy<br />

begeistert auf ganzer Linie. Besonders schön ist ihre<br />

Interpretation des bekannten Songs ›Good Morning‹,<br />

aber auch ihr gefühlvolles ›Lucky Star‹.<br />

Cosmo Brown (Niklas Schurz) ist ein gelungener<br />

Sidekick, der an Don Lockwoods Seite durch dick und<br />

dünn schreitet – oder sollte man besser sagen, springt?<br />

Entzückend ist die Nummer eingangs mit den beiden<br />

Kindern. Lennyn und Kiano Therrien als Junger Don<br />

und Junger Cosmo ergänzen sich perfekt und begeistern<br />

mit einer sportlich-tänzerischen Einlage. Der<br />

Apfel scheint tatsächlich sehr nah am Stamm zu fallen:<br />

Ihr Vater Daniel Therrien steht in der Rolle des Regisseurs<br />

Roscoe Dexter auf der Bühne, während Axel<br />

Meinhardt einen amüsant-abgebrühten R.F. Simpsons<br />

mimt. Dieser zieht auch mal eben so den Stecker und<br />

befördert damit Lina Lamont fast ins Jenseits, die mit<br />

dem Mikrofon verkabelt ist.<br />

Humorige Momente sitzen in dieser Inszenierung<br />

des Hollywood-Klassikers. Axel Meinhardt gibt den<br />

Produzenten herrlich trocken, der dann aber trotzdem<br />

wieder vor der Diva einknickt. Auch die Synchronisierung<br />

von Lina durch Kathy wird sehr nachdrücklich<br />

von Cosmo offengelegt. An dieser Stelle Hut ab vor<br />

Niniane Everaerts Lina Lamont. Die Stimmlage der<br />

Figur ist phänomenal grauenhaft, und Everaerts zieht<br />

sie die gesamte Spieldauer konsequent durch. Das mag<br />

in den einen oder anderen Momenten für Kopfschmerzen<br />

sorgen, aber ihr gebührt definitiv Respekt für diese<br />

akustische Selbstgeißelung – selbst wenn diese heillos<br />

übersteigerte und misogyne Frauenzeichnung inzwischen<br />

sehr diskutabel sein sollte. Das Autorenteam<br />

kann ohnehin nicht mehr dazu befragt werden. Deshalb<br />

lieber zurücklehnen und im Flair des alten Hollywoods<br />

schwelgen – mit dem Wissen, welche weiteren<br />

Innovationen folgen werden.<br />

Das Orchester unter der Leitung von Tobias Meichsner<br />

sorgt für großartige Begleitung und wird kurzerhand<br />

auch zum Geräuschemacher umdisponiert. Ganz<br />

in Manier der Stummfilme werden Schritte begleitet<br />

oder Livesynchronisierung der Schauspieler auf der<br />

Bühne betrieben, die vorgeben, Instrumente zu spielen.<br />

Die Liebe zum Film, die ist »Singin’ in the Rain« auch<br />

am Salzburger Landestheater deutlich anzumerken.<br />

Das alte Hollywood, es lebt, mit all seinen verliebten<br />

Pärchen, schrägen Stars, korrupten Produzenten<br />

und den schrulligen Figuren, die sich dort noch so<br />

tummeln. Stepptanz ist das Leitmedium, das durch<br />

den Abend führt und auch über die eine oder andere<br />

Unpässlichkeit hinweghilft.<br />

Veronika Zangl<br />

Singin´ in the Rain<br />

Nacio Herb Brown / Arthur Freed /<br />

Betty Comden / Adolph Green<br />

Songs in englischer Sprache<br />

Deutsche Dialoge von Roman Hinze<br />

Salzburger Landestheater<br />

Premiere: 2. Dezember 2023<br />

Regie ................... Simon Eichenberger<br />

Musik. Leitung ......... Tobias Meichsner<br />

Choreographie .... Dominique Brooks-Daw<br />

Bühnenbild ............... Charles Quiggin<br />

Kostüme ........................... Aleš Valášek<br />

Stummfilm ..... Andreas »Ivo« Ivancsics<br />

Don Lockwood ............... Ramesh Nair<br />

Kathy Selden ...... Julia-Elena Heinrich /<br />

Clara Mills-Karzel<br />

Cosmo Brown ............... Niklas Schurz<br />

Lina Lamont .............. Niniane Everaert<br />

Olga Mara /<br />

Hollywoodschauspielerin ....................<br />

............................. Lavinia Kastamoniti<br />

Zelda Zanders, »It-Girl« /<br />

Hollywoodschauspielerin ...................<br />

................................ Clara Mills-Karzel<br />

Bösewicht, Figur in den Filmen<br />

»Der königliche Halunke«,<br />

»Der streitbare Kavalier« .....................<br />

...................................... Nigel Watson<br />

Sid Phillips / Rod ............ Fabian Kaiser<br />

Dora Bailey / Miss Dinsmore ................<br />

............................................ Kay Heles<br />

R.F. Simpson,<br />

Produzent Monumental Pictures ..........<br />

................................... Axel Meinhardt<br />

Roscoe Dexter,<br />

Regisseur Monumental Pictures ...........<br />

.................................. Daniel Therrien<br />

Junger Don ............... Lennyn Therrien /<br />

Ciannyn Therrien<br />

Junger Cosmo ............. Kiano Therrien /<br />

Emilian Laabmayr<br />

Tenor Solo ›Beautiful Girl‹ ...................<br />

............................... Alexander Hüttner<br />

Chor & Ballettensemble des<br />

Salzburger Landestheaters<br />

Abb. von oben links:<br />

1. Don Lockwood (Ramesh Nair,<br />

2.v.r.) trifft auf dem Weg zu einer<br />

Hollywood-Party auf Kathy Selden<br />

(Julia-Elena Heinrich, Mitte)<br />

2. Drei Freunde und ein perfekter<br />

Plan (v.l.): Don (Ramesh Nair),<br />

Kathy (Julia-Elena Heinrich) und<br />

Cosmo (Niklas Schurz) hecken aus,<br />

wie sie ihren ersten Film doch noch<br />

retten können<br />

3. Sie sind das Traumpaar der<br />

Stummfilm-Ära: Lina Lamont<br />

(Niniane Everaert, r.) und Don<br />

Lockwood (Ramesh Nair, vorne<br />

2.v.r. mit Ensemble)<br />

4. Beim Sprechunterricht: Don<br />

(Ramesh Nair, l.) lernt, wie er richtig<br />

für den Film spricht. Sehr zum<br />

Amüsement von Cosmo Brown<br />

(Niklas Schurz, Mitte)<br />

Fotos (4): Tobias Witzgall<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

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Musicals in Österreich<br />

Dämmerung auf dem Boulevard<br />

»Sunset Boulevard« im Tiroler Landestheater Innsbruck<br />

Abb. oben:<br />

Joe (Andrea De Majo, l.) »genießt«<br />

gemeinsam mit Max (Erwin<br />

Belakowitsch) und Norma (Maya<br />

Hakvoort) die Filme vergangener<br />

Zeiten<br />

Abb. unten:<br />

Norma (Maya Hakvoort) kehrt in die<br />

Paramount Studios zurück<br />

Fotos (2): Birgit Gufler<br />

Wenn man das mittlerweile gut bekannte Musical<br />

»Sunset Boulevard« von Andrew Lloyd Webber<br />

ein bisschen seziert, dann bleiben vor allem eine sehr<br />

starke Geschichte von Don Black und Christopher<br />

Hampton, die sich sehr getreu an dem Film von Billy<br />

Wilder orientieren, sowie die wirklich fast perfekt durchkomponierte<br />

Musik vom Meister selbst. Damals, als das<br />

Stück Uraufführung feierte und dann in eben dieser<br />

Inszenierung rund um den Globus gespielt wurde, galt<br />

es als nahezu ausgeschlossen, dass gerade dieses Musical,<br />

welches mit dem bis dahin teuersten Bühnenbild ausgestattet<br />

war, je anders erfolgreich sein könnte – im Gegenteil,<br />

das Bühnenbild war das, was damals fast noch größeren<br />

Ruhm erlangte als die Geschichte oder die Musik.<br />

Dass alle Skeptiker völlig daneben lagen, zeigten über die<br />

Jahre immer wieder größere und kleinere Produktionen,<br />

mit viel, mit wenig, jetzt in London sogar mit faktisch gar<br />

keinem Bühnenbild.<br />

Natürlich gibt es Momente, die vielleicht nicht so gut<br />

gealtert sind. Wenn heute Cecil B. DeMille über Charles<br />

Lindbergh spricht, merkt man dem Publikum an, dass<br />

der Witz mittlerweile eher ratlose Gesichter hinterlässt,<br />

als dass er für herzhafte Lacher sorgt. Auch die eine oder<br />

andere Referenz ans Hollywood der Stummfilm-Ära<br />

dürfte nicht mehr so ganz die jetzige Theatergeneration<br />

ansprechen. An der Brisanz der Grundgeschichte, dass ein<br />

ehemaliger Star mit dem Alt-Werden kämpft und ein junger<br />

Künstler mit der Arbeitslosigkeit, hat sich seit damals<br />

nichts verändert. Auch der Konflikt, in den sich Joe hinein<br />

katapultiert, indem er eine Dreiecksbeziehung geschehen<br />

lässt, ist nach wie vor vielen bekannt. D. h. die Zutaten,<br />

die es für ein begeistertes Publikum am Ende eines Abends<br />

braucht, funktionieren 1993 genauso wie 2023.<br />

Als große Diva stellt das Tiroler Landestheater, wie<br />

auch schon in Bozen, von wo aus diese Inszenierung<br />

übernommen wurde, Maya Hakvoort auf die Bühne.<br />

Sie hat diese Rolle auch schon in Baden bei Wien<br />

gespielt und man merkt vom ersten Ton an, dass sie<br />

diese spielerisch wie gesanglich ausfüllt. Mit der für<br />

Hakvoort typischen warmen Stimme schafft sie es, insbesondere<br />

mit ›Als hätten wir uns nie Goodbye gesagt‹<br />

zu begeistern, hier wäre tatsächlich die sprichwörtlich<br />

fallende Stecknadel im Auditorium zu hören gewesen.<br />

Ein Highlight für jemanden, der das Stück schon häufig<br />

gesehen hat, ist auch ihre sehr ruhige Intonierung<br />

am Ende, wenn sie Betty Schaefer anruft. Häufig ist<br />

dies eher hysterisch dargestellt, hier aber wirkt Norma<br />

gerade durch die Ruhe in den Worten sehr bedrohlich.<br />

An ihrer Seite überrascht der bis dahin im deutschsprachigen<br />

Raum eher unbekanntere Andrea De Majo<br />

mit schön ausgearbeitetem Schauspiel und ebenfalls<br />

überzeugender Stimme. Zurecht erhält er einen langanhaltenden<br />

Applaus nach ›Sunset Boulevard‹. Julia<br />

Taschler als Betty Schaefer bringt die gewohnte Naivität<br />

der Rolle gut zum Ausdruck, gesanglich ist die<br />

Partitur für sie problemlos und im Zusammenspiel mit<br />

De Majo bildet sie eine harmonische Einheit. Fremdkörper<br />

dieser Inszenierung – und der Hinweis mit der<br />

Inszenierung sei besonders erwähnt, weil dies an dieser<br />

Stelle tatsächlich keinerlei Kritik an den Schauspielsowie<br />

Gesangskünsten von Erwin Belakowitsch sein<br />

soll, der sicherlich beides gut beherrscht – ist Max von<br />

Mayerling. Während alle anderen Charaktere »normal«<br />

sein dürfen, ist Max hier, schon beginnend mit der<br />

Perücke, aber auch von der Intonierung her, eine Witzfigur.<br />

Die merkwürdige Sprechstimme kann er Gott sei<br />

42<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Österreich<br />

Dank gesanglich nicht durchgehend durchhalten, die<br />

merkwürdigen Bewegungen versucht er während der<br />

gesamten Zeit so gut wie möglich aufrecht, beziehungsweise<br />

fast gebückt hinkend, beizubehalten. Er hat völlig<br />

absurde Szenenmomente, in denen er mit Lenkrad wippend<br />

die Autofahrt darstellt, ebenso wie einen Auftritt<br />

in Norma Desmonds Kleid. Er hat gleichermaßen aber<br />

auch stückverändernde Momente – z. B. tanzt er mit<br />

Norma zusammen während ›Ein gutes Jahr‹, bringt ihr<br />

den Revolver in der Schlussszene und erschießt dann<br />

auch mit ihr gemeinsam Joe. Es mag durchaus sein, dass<br />

in einem stringenten, neu umgesetzten Regiekonzept<br />

all diese Veränderungen sinnvoll sein könnten, doch<br />

da der Rest des Stücks zwar immer wieder fragwürdig<br />

inszeniert wurde, aber dennoch dem eigentlichen Buch<br />

folgt, waren es so tatsächlich Fremdkörpermomente.<br />

Regisseur Rudolf Frey wollte offensichtlich viel aus dem<br />

Stück herausholen – manche Ideen waren gut, viele<br />

waren aus dem Publikum heraus schwierig zu verstehen.<br />

Zu den guten Ideen gehört zum Beispiel die Tanzszene<br />

zwischen Joe und Betty, die wunderschön die entstehende<br />

Verbindung der beiden hervorgehoben hat. An<br />

anderen Stellen waren die Tanzszenen hingegen oft eher<br />

verwirrend, bei der Autoverfolgungsjagd (die man nur<br />

erkennt, wenn man weiß, dass es eine gibt) wirken die<br />

Tänzer zum Beispiel fast wie Rehe, die vor das Auto laufen.<br />

Choreographisch hat Marcel Leemann gute Arbeit<br />

geleistet, es sind schöne Tanzmomente, die er da auf die<br />

Bühne gebracht hat, die sinnvollere Einarbeitung wäre<br />

dann Freys Arbeit gewesen. Eingearbeitet hat dieser zum<br />

Beispiel immer wieder kleinere Tableaus mit Nummerierungen<br />

für die Tatbeweise, die aber wild durcheinander<br />

laufen und deren Sinn sich erst sehr spät erschließt.<br />

Viele Szenen überlappen sich optisch, die nicht klare<br />

Abgrenzung nimmt viel von der Tiefe. Wenn während<br />

der Beerdigung des Affen bereits jemand von Schwabs<br />

Drugstore auf der Bühne steht, wirkt es merkwürdig<br />

deplatziert und des Moments nicht würdig. Auch dass<br />

Max von Mayerling in der Silvesterszene auf einmal Teil<br />

von Arties Feier wird, ist eigenartig. Noch schwieriger<br />

ist allerdings der Einsatz der Videoelemente von Aaron<br />

Kitzig. Diese haben immer eine Länge von drei bis vier<br />

Sekunden und wiederholen sich dann so lange, bis die<br />

Szene zu Ende ist – optisch haben sie aber nicht immer<br />

einen erkennbaren Zusammenhang mit dem, was in<br />

der Szene passiert. Da sie aber auf einen Gaze-Vorhang<br />

direkt vorn an der Bühne projiziert werden, nehmen sie<br />

unglaublich viel von dem Blick auf die Bühne, wenn der<br />

Vorhang dann mal oben ist, wirkt es fast so, als würde<br />

man endlich einmal scharf sehen. So eine Entscheidung<br />

sollte man nur treffen, wenn man mit den Videobildern<br />

auch etwas zu sagen hat. Das Bühnenbild von Luis Graninger<br />

kommt mit wenig aus, vieles bleibt der Fantasie<br />

des Publikums überlassen, was aber ja gerade ein großer<br />

Vorteil von Theater ist. Die Kostüme von Aleksandra<br />

Kica wechseln zwischen Moderne und Fünfziger Jahren,<br />

insbesondere, dass Norma durchgängig ihren Look<br />

verändert hat, inklusive Perücken, ist ein sehr schönes<br />

Unterstreichen ihrer doch durch und durch schwierigen<br />

Persönlichkeit. In dem Moment, in dem Joe erschossen<br />

in den Pool fällt, sich Norma aber dann doch zu<br />

ihm hinknien und ihn küssen kann, entsteht das letzte<br />

große Fragezeichen des Abends. Dass in der anschließenden<br />

Szene mit dem bekannten Zitat: »Und jetzt,<br />

Mr DeMille, bin ich bereit für meine Nahaufnahme«,<br />

lauthals im Publikum gelacht wird, lässt den Schluss zu,<br />

dass diese Umsetzung des Stücks nicht dem entspricht,<br />

was sowohl die starke Geschichte als auch die Musik<br />

zulassen würden.<br />

Die Musik, die wirklich wunderschön unter der Leitung<br />

von Hansjörg Sofka durch das Tiroler Symphonieorchester<br />

Innsbruck dargeboten wird, und die stimmlich<br />

sehr starken Leistungen der Darsteller sorgen dafür, den<br />

Abend dennoch als wertvoll im Gedächtnis zu behalten.<br />

Sabine Haydn<br />

Sunset Boulevard<br />

Andrew Lloyd Webber / Don Black /<br />

Christopher Hampton<br />

Deutsch von Michael Kunze<br />

Übernahme der Produktion der<br />

Vereinigten Bühnen Bozen<br />

Tiroler Landestheater Innsbruck –<br />

Großes Haus<br />

Premiere: 16. Dezember 2023<br />

Regie ................................ Rudolf Frey<br />

Musik. Leitung ............ Hansjörg Sofka<br />

Choreographie .......... Marcel Leemann<br />

Bühnenbild .................. Luis Graninger<br />

Kostüme ..................... Aleksandra Kica<br />

Video ................................ Aron Kitzig<br />

Norma Desmond ........ Maya Hakvoort<br />

Joe Gillis ................... Andrea De Majo<br />

Betty Schaefer ................. Julia Taschler<br />

Max von Mayerling ..............................<br />

............................. Erwin Belakowitsch<br />

Cecil B. DeMille ............ Jan Schreiber<br />

Artie Green ................ Leopold Lachnit<br />

Manfred ......................... Florian Peters<br />

Sheldrake ...................... Michael Gann<br />

In weiteren Rollen:<br />

Ana Akhmeteli,<br />

Ivan Yesid Benitez-Fernandez,<br />

William Blake, William Tyler Clark,<br />

Jannis Dervenis, Monika Duringer,<br />

Anna Fink, Wolfram Föppl,<br />

Abongile Fumba, Sarah Hartinger,<br />

Julien Horbatuk, Yejin Kang, Su-Jin Kim,<br />

Gregor Krammer, Sarah Merler,<br />

Doris Moser, Bernadette Müller,<br />

Esewu Nobela, Kathrin Schreier, Lukas<br />

Strasheim, Peter Thorn,<br />

Vanessa Weiskopf<br />

Chor des Tiroler Landestheaters<br />

Abb. von links oben:<br />

1. Max (Erwin Belakowitsch) als<br />

clowneske Darstellung<br />

2. Joe (Andrea De Majo) arbeitet mit<br />

Betty (Julia Taschler) gemeinsam an<br />

»Das blinde Fenster«<br />

3. Voller Zuversicht auf das kommende<br />

Jahr wird Silvester gefeiert<br />

4. Norma (Maya Hakvoort) schießt<br />

mehrfach auf Joe (Andrea De Majo)<br />

Fotos (4): Birgit Gufler<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

43


Musicals in Österreich<br />

Der ganz normale Wahnsinn<br />

»Working« an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien<br />

Finale: Alle acht Studierenden des dritten Jahrgangs geben nochmal alles (v.l.: Franziska Geprägs, Linda Seefried, Aeneas<br />

Hollweg, Felix Fügner, Anna Täuber, Jan Ungar, Sarah Weidinger, Timotheus Hollweg) Foto: Barbara Pálffy<br />

Working<br />

Craig Carnelia / James Taylor /<br />

Mary Rodgers / Micki Grant /<br />

Susan Birkenhead / Lin-Manuel Miranda /<br />

Stephen Schwartz / Nina Faso<br />

Deutsch von Martin Wessels-Behrens<br />

& Judith Behrens<br />

Revised Version 2<strong>01</strong>2<br />

Musik und Kunst<br />

Privatuniversität Wien<br />

MUK.theater<br />

Premiere: 14. Dezember 2023<br />

Regie ............................... Alex. Riener<br />

Musikalische Leitung ......... Lior Kretzer<br />

Choreographie ........ Christoph Riedl &<br />

Ana Milva Gomes<br />

Bühnenbild ....................... Petra Fibich<br />

Kostüme ......................... Sigrid Dreger<br />

Lichtdesign ................. Benjamin Maier<br />

Mike, Stahlbaumonteur /<br />

Freddy, Lieferdienst /<br />

Conrad, UPS-Fahrer /<br />

Eddie, Pressesprecher /<br />

Joe, Pensionist ..................Felix Fügner<br />

Rose, Lehrerin /<br />

Candy, Charity Lady /<br />

Maggie, Putzfrau .....Franziska Geprägs<br />

Büroangestellter / Raj,<br />

Service Hotline Mitarbeiter /<br />

Joe, Pensionist /<br />

Utkarsch, Altenpfleger /<br />

Charlie, Praktikant ..... Aeneas Hollweg<br />

Mike, Stahlbaumonteur /<br />

Frank, Trucker /<br />

Allen, Community Manager /<br />

Joe, Pensionist ..... . Timotheus Hollweg<br />

Büroangestellte /<br />

Sharon, Empfangsdame /<br />

Roberta, Prostituierte /<br />

Delores, Kellnerin /<br />

Maggie, Putzfrau ...........Linda Seefried<br />

Amanda, Projektmanagerin /<br />

Kate, Hausfrau /<br />

Maggie, Putzfrau .............. Anna Täuber<br />

Rex, Hedgefond-Manager /<br />

Anthony, Maurer /<br />

Joe, Pensionist /<br />

Ralf, Jungunternehmer ........ Jan Ungar<br />

Büroangestellte /<br />

Terry, Stewardess /<br />

Grace, Fließbandarbeiterin /<br />

Theresa, Kindermädchen .....................<br />

................................... Sarah Weidinger<br />

Tom / Zugführer, Feuerwehr .......... Alle<br />

Mit Eleganz und ihrem Charme ist sie für die<br />

Menschen da. Wenn Delores Dante mit viel<br />

Körpergefühl und Sexappeal auftritt, ist sie der<br />

Hingucker. Ihre Bühne ist ein Restaurant, in dem<br />

sie kellnert. Sie liebt ihren Job, findet Erfüllung in<br />

dem, was sie tut, und ist eine der berührendsten<br />

Figuren im Musical »Working« aus der Feder von<br />

Komponistenlegende Stephen Schwartz und seinen<br />

Kollegen Craig Carnelia, Micki Grant, Mary Rodgers<br />

und James Taylor. Die Inspiration fanden die<br />

Macher im Bestseller »Working: People Talk About<br />

What They Do All Day and How They Feel About<br />

What They Do«. So sperrig, wie der Titel klingt, so<br />

ist auch das Thema: Es werden Berufe vorgestellt.<br />

Doch schon das Buch von Radiomoderator Studs<br />

Terkel, das die Vorlage für das Stück bildete, war in<br />

den 70ern ein Bestseller, wurde selbst von Ex-Präsident<br />

Barack Obama kürzlich für eine Netflix-Doku<br />

neu aufgegriffen und auch die Musical-Studentinnen<br />

und -Studenten in Wien ließen sich bei ihrer Version<br />

der Musical-Adaption nicht abschrecken. Der dritte<br />

Jahrgang der Musik und Kunst Privatuniversität der<br />

Stadt hat sich unter der Regie von Alex. Riener des<br />

Stoffs angenommen.<br />

Ihre Bühnenversion über die Arbeit, die Facetten<br />

der normalen Menschen, Menschen wie du und ich,<br />

wird zur spannenden Alltagsanalyse, denn in jedem<br />

Normalo ist ein Star versteckt. Aus scheinbar banalen<br />

Begebenheiten schaffen sie es, spannende Geschichten<br />

entstehen zu lassen, so wie Jungdarsteller Jan<br />

Ungar als Maurer Anthony, der mit starker Stimme<br />

quasi eine Hymne auf sein Material ›Stein‹ singt. Ob<br />

Paketlieferant oder Stahlbauer – jeder hat spezielle<br />

Talente und Fähigkeiten. Das Leading Team findet<br />

die großen Gefühle in ihren Wünschen und kleinen<br />

zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Show zeigt<br />

die außergewöhnlichen Träume der gewöhnlichen<br />

Leute.<br />

Dabei liefern sie sich mit allem, was sie haben,<br />

dem Publikum aus. Von drei Seiten können die<br />

Zuschauer auf die rechteckige Spielfläche schauen.<br />

In bunten Buchstaben prangt das Wort »Working«<br />

hinter ihnen an der Rückseite der Bühne und erinnert<br />

nicht nur beständig mahnend an das Thema,<br />

sondern auch an die Vielfalt des Lebens. Ständig sind<br />

die jungen Darstellerinnen und Darsteller präsent,<br />

nur für kurze Kostümwechsel verschwinden sie aus<br />

dem Blickfeld der Zuschauer. Immer wieder schlüpfen<br />

sie in neue Berufe, wechseln mit den Kostümen<br />

im Handumdrehen die Rollen und zeigen so ihr vielseitiges<br />

Können, egal ob als Arbeiter am Fließband<br />

oder als Putztruppe in einer Trio-Performance von<br />

Anna Täuber, Franziska Geprägs und Linda Seefried,<br />

die mit Besen und viel Soul in der Stimme die Bühne<br />

rocken. So vielseitig sie auch sind, so unterschiedlich<br />

die Biographien auch sein mögen, allen Figuren ist<br />

doch das gleiche Schicksal vorherbestimmt: das Alter<br />

und schließlich der Tod. Und so verkörpern alle vier<br />

männlichen Darsteller auch den Rentner Joe. Der<br />

permanente Wechsel vom körperlich schon leicht<br />

gebrechlichen Pensionisten, der von seinem Tagesablauf<br />

erzählt, hin zum jugendlichen Joe, wenn er in<br />

Erinnerungen an früher schwelgt, ist ein Highlight<br />

des Abends. Dies wird noch verstärkt, weil sich die<br />

vier jungen Studenten die Rolle teilen und immer<br />

abwechselnd sprechen bzw. singen. Gefühlvoll, emotional<br />

und stimmgewaltig wird es bei den Duetten<br />

von Vater und Sohn (Timotheus Hollweg und Felix<br />

Fügner) wie auch beim Krankenpfleger-Kindermädchen-Song<br />

(Aeneas Hollweg und Sarah Weidinger).<br />

Die neue, überarbeitete Version von 2<strong>01</strong>2 enthält<br />

sowohl aktualisierte Liedtexte als auch zwei neue<br />

Lieder. Das bringt noch mehr Abwechslung in die<br />

Songs und Musikstile des Stückes. Die Show beginnt<br />

verhalten mit wenig Musik und vielen Monologen,<br />

steigert sich aber dann im Lauf des Abends immer<br />

weiter. Auch die Leistungen der acht Studierenden<br />

werden im Verlauf des Stücks immer besser. Alle<br />

konnten ihr Können zeigen, stimmlich und tänzerisch.<br />

Im Gedächtnis bleiben Franziska Geprägs als<br />

Lehrerin Rose, die kurzerhand das Publikum unterrichtet,<br />

und Anna Täuber als Hausfrau Kate. Nach<br />

ungefähr zwei Stunden wird mit einem glänzenden<br />

Finale die rasante, pausenlose Show mit viel Applaus<br />

bedacht.<br />

Mina Piston<br />

44<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


CALL<br />

AUDITION CALL<br />

Darsteller*innen (m/w/d) für unsere Familienmusicals<br />

5 Tourneeproduktionen - 450 Shows – 300.000 Zuschauer in 5 Ländern<br />

Die Schöne & das Biest<br />

- das Musical<br />

28.09.<strong>24</strong> - 13.04.25<br />

Basisort: Bochum/Hamburg<br />

Schneekönigin<br />

- das Musical<br />

19.10.<strong>24</strong> - 13.04.25<br />

Basisort: München<br />

Tarzan<br />

- das Musical<br />

02.11.<strong>24</strong> - 21.04.25<br />

Basisort: Stuttgart<br />

Aladin<br />

- das Musical<br />

16.11.<strong>24</strong> - 21.04.25<br />

Basisort: Frankfurt<br />

Dschungelbuch<br />

- das Musical<br />

30.11.<strong>24</strong> - 27.04.25<br />

Basisort: Leipzig<br />

Audition-Termine für 33 Vakanzen:<br />

10. / 11. März 20<strong>24</strong> in Wien • 17. / 18. / 19. März 20<strong>24</strong> in Bochum<br />

Mehr Infos: www.theater-liberi.de/jobs


Musicals in Europa<br />

Eine eindrucksstarke, tiefgehende Inszenierung<br />

»Les Misérables«-Neuproduktion am Theater St. Gallen<br />

Abb. oben:<br />

›Nacht der Angst‹ – Auf der<br />

Barrikade Jean Valjean (Armin Kahl,<br />

oben l.), Studenten (Ensemble) und<br />

Aufständische (Ensemble und Chor<br />

des Theaters St. Gallen)<br />

Foto: Ludwig Olah<br />

Das Musical »Les Misérables« von Claude-<br />

Michael Schönberg, Alain Boublil, Jean-Marc<br />

Natel, Herbert Kretzmer und James Fenton,<br />

basierend auf dem Roman »Die Elenden« von<br />

Victor Hugo, ist zurück in St. Gallen. An diesem<br />

Theater fand vor 16 Jahren, am 10. März 2007,<br />

die Schweizer Erstaufführung unter der Regie von<br />

Matthias Davids und der musikalischen Leitung<br />

von Koen Schoots statt. Dieser verantwortet ebenfalls<br />

die musikalische Leitung der Neuproduktion<br />

des Werks, eine Koproduktion des Theaters St. Gallen<br />

und des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München<br />

unter der Regie von Josef E. Köpplinger,<br />

Choreographie und Co-Regie von Ricarda Regina<br />

Ludigkeit.<br />

Beim Betreten des Saals des Theaters St. Gallen<br />

bei der Premiere am 9. Dezember 2023 entdeckt<br />

man auf der schwarzen Leinwand, die die Bühne<br />

verdeckt, ein Zitat von Voltaire: »Jeder Fanatismus<br />

endet in Fatalismus«. Dazu erläutert der Regisseur<br />

Josef E. Köpplinger im Interview für das Programmheft:<br />

»Denn im Stück geht es auch um ein<br />

falsches Heldentum. […] Die Erkenntnis aus der<br />

Geschichte besagt, dass es fatal ist, ein System mit<br />

Gewalt ändern zu wollen.«<br />

Auf der dunklen, in Nebel verhüllten Bühne<br />

beklagen zu düsterer, kraftvoller Musik mutlose<br />

Gefangene (Chor und Ensemble) bei der Verrichtung<br />

harter Arbeit ihr Schicksal. Dabei werden sie<br />

von Aufsehern bestraft. Jean Valjean wird 1815<br />

nach 19 Jahren Haft, die er aufgrund des Diebstahls<br />

eines Brotes und mehrerer vergeblicher Fluchtversuche<br />

verbüßte, vom höhnischen Aufseher Javert<br />

(Filippo Strocchi) auf Bewährung entlassen. Doch<br />

das Leben in Freiheit ist für Valjean (Armin Kahl)<br />

nicht leicht. Obwohl er versucht, als Tagelöhner<br />

bei Bauern seinen Unterhalt zu verdienen, verliert<br />

er den Job, da ihm als Ex-Häftling Misstrauen<br />

entgegenschlägt.<br />

Nur der Bischof von Digne (Jeremy Boulton)<br />

nimmt den Stigmatisierten auf. Auch wenn der<br />

Bischof Valjean menschenwürdig behandelt,<br />

bestiehlt dieser ihn. Der bestohlene Bischof rettet<br />

Valjean vor der erneuten Inhaftierung, indem er<br />

behauptet, Valjean das Silber geschenkt zu haben.<br />

Somit erhält der verblüffte Valjean die Chance,<br />

sich ein neues Leben aufzubauen.<br />

Im warmen, hellen Licht verbringen Arbeiterinnen<br />

ihre Pause im Hof der Fabrik, die dem Bürgermeister<br />

Monsieur Madelaine (alias Valjean) gehört.<br />

Der Vorarbeiter der Fabrik stellt vergebens der<br />

Arbeiterin Fantine (Wietske von Tongeren) nach,<br />

die eine uneheliche Tochter ernähren muss. Als die<br />

Arbeiterinnen ihr Geheimnis entdecken, entlässt<br />

der Vorarbeiter die junge Frau, die sich um ihre<br />

Tochter Cosette, die bei Pflegeeltern aufwächst,<br />

sorgt.<br />

Im Song ›Ich hab` geträumt vor langer Zeit‹<br />

erzählt Fantine von ihren Träumen, der unerfüllten<br />

Liebe zum Vater ihres Kindes. Wietske van Tongeren<br />

berührt mit ihrer einfühlsamen Interpretation<br />

des Songs das Publikum. Die Einsamkeit der verzweifelten<br />

Frau, die allein auf der Bühne steht, ist<br />

unmittelbar spürbar. Fantine verarmt, muss ihren<br />

Unterhalt als Prostituierte im Hafenviertel verdienen,<br />

wo auch junge Männer ihre Körper den Matrosen<br />

anbieten. Ein Freier beklagt sich bei Javert<br />

über Fantine, aber der Bürgermeister (Valjean)<br />

46<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Europa<br />

nimmt sich ihrer an und lässt sie in ein Krankenhaus<br />

bringen. Bei einem Unfall gerät ein Mann<br />

unter einen Lastenkarren. Nur der Bürgermeister<br />

vermag den Karren anzuheben, um den Mann zu<br />

befreien. So wird Javert, inzwischen zum Inspektor<br />

aufgestiegen, auf den Bürgermeister aufmerksam,<br />

da nur Valjean über diese Kräfte verfügte, aber<br />

Javert glaubt ihn schon gefasst zu haben. ›Wer bin<br />

ich‹: Glaubhaft hinterfragt in der eindrücklichen<br />

Szene Armin Kahl in der Rolle des Valjean seine<br />

Verantwortung als Bürgermeister sowie sich selbst<br />

und bekennt sich entschlossen zu seiner Vergangenheit<br />

als Sträfling, stellt sich Javert, damit kein<br />

Unschuldiger für ihn büßen muss, und flieht ins<br />

Krankenhaus. Hier verspricht er der sterbenden<br />

Fantine, sich um ihre Tochter Cosette zu kümmern.<br />

Doch Javert findet ihn im Krankenhaus.<br />

Selbstbewusst tritt Valjean Javert gegenüber, lässt<br />

sich von dem arroganten Inspektor nicht mehr<br />

demütigen. Zudem gelingt Valjean die Flucht. Er<br />

findet Cosette in einer armseligen Hütte, betreut<br />

von einer herzlosen Pflegemutter. In der schmutzigen<br />

Spelunke des Ehepaars Thénardier verkehren<br />

junge Männer, die sich mit Huren vergnügen,<br />

aber von den Thénardiers betrogen werden. Dagmar<br />

Hellberg und Jogi Kaiser zeigen mit ihrem<br />

komödiantischen Schauspiel gekonnt die Verschlagenheit<br />

der ordinären, raffgierigen Thénardiers,<br />

die vor Mord, Leichenfledderei und Verrat nicht<br />

zurückschrecken. Valjean erscheint und nimmt<br />

Cosette mit.<br />

In Paris 1832 planen Studenten einen Aufstand,<br />

um sich für die Rechte der Armen einzusetzen. Das<br />

wirkungsvolle Bühnenbild von Rainer Sinell lässt<br />

das Publikum eintauchen in die Straßenschluchten<br />

einer Stadt, die kaputten Häuser symbolisieren<br />

ein Elendsviertel, wie es viele auf der Welt gibt.<br />

Die bemerkenswerten Kostüme von Uta Meenen<br />

zeigen die Mode von 1832. Arme Leute betteln,<br />

Diebesbanden sind auf Beutezug, zu deren Opfern<br />

Valjean und Cosette (Kristine Emde) gehören,<br />

denen der Student Marius (Thomas Hohler) beisteht.<br />

Dabei verlieben sich die jungen Leute. Javert<br />

ist unerbittlich auf der Suche nach Valjean, der<br />

versucht, mit Cosette vor den Schatten seiner Vergangenheit<br />

aus der Stadt zu fliehen. Daran werden<br />

sie von den nächtlichen Vorbereitungen zum Aufstand<br />

gehindert. Studenten versuchen die Armen<br />

zu mobilisieren, Flugblätter werden verteilt, rote<br />

Fahnen werden geschwungen, Demonstrierende<br />

strecken wütend die Fäuste in die Luft (›Morgen<br />

schon‹). Diese bildgewaltige Szene erinnert einerseits<br />

an das Gemälde »Die Freiheit führt das Volk«<br />

von Eugène Delacroix, anderseits an die aktuellen<br />

Demonstrationen in verschiedenen Ländern. Die<br />

Lebendigkeit der Stadt, die rastlose Suche Javerts<br />

wird durch die Choreographien (Ricarda Regina<br />

Ludigkeit) der sich in ständiger Bewegung befindenden<br />

Darstellenden in den großartigen Ensemble-<br />

und Chorszenen gezeigt. Zudem werden die<br />

schnellen Szenenwechsel durch die Drehbühne<br />

ermöglicht. Ebenso bemerkenswert ist das meisterhaft<br />

musizierende Sinfonieorchester St. Gallen<br />

unter der musikalischen Leitung von Koen Schoots.<br />

Im Interview für das Programmheft äußert Schoots<br />

auf die Frage nach seiner heutigen Sichtweise auf<br />

das Stück: »Ich habe eine größere Ruhe gefunden<br />

und mehr Mut zum Ausspielen- und Aussingenlassen<br />

der Musik.«<br />

Zu Beginn des zweiten Aktes nimmt das Bühnenbild<br />

das Publikum mit hinter die Barrikade,<br />

die von Studenten und Frauen gebaut wird. Dabei<br />

hoffen die Studenten auf den Sieg der Revolution.<br />

Marius ist unter den Aufständischen, ebenso Javert,<br />

Les Misérables<br />

Claude-Michel Schönberg / Alain Boublil /<br />

Herbert Kretzmer / Jean-Marc Natel /<br />

James Fenton<br />

Deutsch von Heinz Rudolf Kunze<br />

Koproduktion mit dem Staatstheater<br />

am Gärtnerplatz München<br />

Theater St. Gallen – Großes Haus<br />

Premiere: 9. Dezember 2023<br />

Regie ...................... Josef E. Köpplinger<br />

Musik. Leitung .............. Koen Schoots /<br />

Stéphane Fromageot<br />

Choreinstudierung ....... Franz Obermair<br />

Orchestrierungen .... Stephen Metcalfe,<br />

Christopher Jahnke &<br />

Stephen Brooker<br />

Choreographie & Co-Regie ...................<br />

Ricarda Regina Ludigkeit<br />

Bühnenbild ....................... Rainer Sinell<br />

Kostüme ........................... Uta Meenen<br />

Licht ............................. Andreas Enzler<br />

Ton .......................... Marko Siegmeier /<br />

Nicolai Gütter-Graf<br />

Jean Valjean ....................... Armin Kahl /<br />

Filippo Strocchi<br />

Javert ........................... Filippo Strocchi /<br />

Daniel Gutmann<br />

Fantine ................ Wietske van Tongeren<br />

Thénardier ........................... Jogi Kaiser /<br />

Alexander Franzen<br />

Madame Thénardier .... Dagmar Hellberg /<br />

Carin Filipčić<br />

Cosette, Fantines Tochter ........................<br />

Kristine Emde /<br />

Julia Sturzlbaum<br />

Éponine, Thénardiers Tochter .................<br />

Barbara Obermeier /<br />

Katia Bischoff<br />

Marius ......................... Thomas Hohler /<br />

Matteo Ivan Rašić<br />

Enjolras ............................. Merlin Fargel<br />

Gavroche ......................... Kio Bruderer /<br />

Jamin Tobler / Elena Haag<br />

Kleine Cosette ............... Sofia Cecchini /<br />

Ella Rogdo / Josefine Rösch<br />

Kleine Ėponine ................. Niva Müller /<br />

Charlotte Auerbach / Ella Töpfer<br />

Bischof Myriel von Digne /<br />

Combeferre /<br />

Montparnasse u. a. ........ Jeremy Boulton<br />

Schwangere Bettlerin u. a.<br />

............................... .Anna Katharina Felke<br />

Huren-Lady u. a. ................... Evita Komp<br />

Claquesous / Lesgle u. a. ........................<br />

Jacob Romero Kressin<br />

Wirtsfrau u. a. / Dance Captain...............<br />

Katharina Lochmann<br />

Bamatabois / Jean Prouvaire /<br />

Babet u. a. .......................Peter Neustifter<br />

Fauchelevant / Grantaire /<br />

Brujon u. a. ............. .Christian Schleinzer<br />

In weiteren Rollen:<br />

Leoni Kristin Oeffinger,<br />

Florine Schnitzel, Thijs Snoek,<br />

Michael Souschek, Meren Verhaegh<br />

Chor des Theaters St. Gallen &<br />

Statisterie des Gärtnerplatztheaters<br />

München<br />

Abb. von links oben:<br />

1. ›Javerts Selbstmord‹ – Javert<br />

(Filippo Strocchi)<br />

2. Cosette (Kristine Emde, l.)<br />

und Marius (Thomas Hohler, r.)<br />

begegnen sich zufällig<br />

3. ›In der Kanalisation‹ – Thénardier<br />

(Jogi Kaiser) kennt den Fluchtweg<br />

und bestiehlt in der Kanalisation<br />

die Toten<br />

Fotos (3): Ludwig Olah<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

47


Musicals in Europa<br />

Abb. unten von links oben:<br />

1. Éponine (Barbara Obermeier,<br />

2.v.r.) stirbt in den Armen von<br />

Marius (Thomas Hohler, r.), Enjolras<br />

(Merlin Fargel, Mitte) und Aufständische<br />

(Ensemble)<br />

2. ›Leichte Mädels‹ – Fantine<br />

(Wietske van Tongeren, 6.v.r. mit<br />

Ensemble) ist gezwungen ihre<br />

Haare zu verkaufen<br />

3. ›Fantines Tod‹ – Fantine (Wietske<br />

van Tongeren, l.) bittet Jean Valjean<br />

(Armin Kahl, r.), sich um ihre<br />

Tochter Cosette zu kümmern<br />

4. Javert (Filippo Strocchi, l.) entlässt<br />

Jean Valjean (Armin Kahl, r.) auf<br />

Bewährung aus dem Gefängnis<br />

(Ensemble)<br />

5. ›Morgen schon‹ – Enjolras (Merlin<br />

Fargel, Mitte) und seine Freunde<br />

(Ensemble, Chor des Theaters St.<br />

Gallen) wissen um die Bedeutungsschwere<br />

des nächsten Tags<br />

Fotos (5): Ludwig Olah<br />

der von Gavroche als Verräter enttarnt wird. Die<br />

Kinderdarsteller Kio Bruderer (Gavroche), Sofia<br />

Cecchini (kleine Cosette), Niva Müller (kleine<br />

Éponine) beeindrucken mit ihrem Gesang und<br />

ihrer Bühnenpräsenz.<br />

Valjean kommt zu den kämpfenden Aufständischen,<br />

um Marius zu beschützen, da er von der<br />

Liebe von Cosette zu Marius erfahren hat. Die<br />

Studenten übergeben Valjean den gefangenen<br />

Javert, um ihn zu bestrafen. Doch Valjean lässt den<br />

fassungslosen Javert laufen, der später Selbstmord<br />

begeht, weil er nicht damit leben kann, sein Leben<br />

einem Kriminellen zu verdanken. Armin Kahl<br />

und Filippo Strocchi zeigen mit ihrem schauspielerischen<br />

und gesanglichen Können realistisch den<br />

unlösbaren Konflikt zwischen Valjean und Javert<br />

sowie die Entwicklung ihrer Figuren im Verlauf<br />

des Stückes.<br />

Valjean und Marius überleben den blutig niedergeschlagenen<br />

Aufstand. Valjean flieht mit dem<br />

verletzten Marius auf dem Rücken durch die Kanalisation.<br />

Das Bühnenbild nimmt das Publikum mit<br />

in die unheimliche Kanalisation, in der viele Tote<br />

liegen, die Thénardier ausplündert.<br />

Frauen in Trauerkleidern suchen in der Stadt<br />

nach ihren gefallenen Angehörigen, trauern um die<br />

jungen Gefallenen. Eine Szene mit sehr aktuellem<br />

Bezug!<br />

›Dunkles Schweigen an den Tischen‹: Marius<br />

trauert um seine toten Kameraden, die ihm im<br />

Traum als Gestalten im Nebel im finsteren Bühnenhintergrund<br />

erscheinen. Thomas Hohler zeigt<br />

authentisch einen von der Gewalt traumatisierten<br />

jungen Mann und bewirkt mit der gefühlvollen<br />

Interpretation des Songs Gänsehautmomente.<br />

Ebenso berührend ist die Sterbeszene von Valjean,<br />

in der Cosette die Wahrheit über ihre Vergangenheit<br />

erfährt, für einen kurzen Moment der<br />

Erscheinung ihrer Mutter Fantine gegenübersteht,<br />

die Valjean die nötige Ruhe zum Sterben gibt.<br />

Die eindrucksstarke, tiefgehende Inszenierung mit<br />

vielen aktuellen Bezügen von Josef E. Köpplinger, die<br />

gesanglich und schauspielerisch hervorragende Cast,<br />

der bemerkenswerte Chor des Theaters St. Gallen, das<br />

vortreffliche Sinfonieorchester St. Gallen veranlassen<br />

das begeisterte Publikum zu Bravorufen und Standing<br />

Ovations. Viele Rollen sind doppelt besetzt,<br />

daher empfiehlt es sich, vor dem Theaterbesuch in<br />

die Besetzungsliste zu schauen. Ab 22. März 20<strong>24</strong><br />

ist die Inszenierung dann im Staatstheater am<br />

Gärtnerplatz in München zu erleben.<br />

Martina Friedrich<br />

48<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Europa<br />

Die Zeit der Kathedralen<br />

25-Jahre-Jubiläumstour von »Notre Dame de Paris« im Palais des Congrès in Paris<br />

Abb. oben:<br />

Quasimodo (Angelo del Vecchio)<br />

besingt seine Glocken als seine<br />

einzigen Freunde<br />

Foto: Alessandro Dobici for<br />

Contents Production<br />

Von allen »Spectacles musicaux«, wie die französischen<br />

Musicals des Arenatyps genannt werden, ist<br />

»Notre Dame de Paris« der beiden kanadischen Autoren<br />

Luc Plamondon (Text) und Riccardo Cocciante (Musik)<br />

sicher nicht nur der erste große Hit, sondern bis heute<br />

auch das bekannteste und populärste. Das Stück feierte<br />

am 16. September 1998 im Pariser Palais des Congrès<br />

seine Uraufführung und war seitdem fast ohne Unterbrechung<br />

auf Tour in London, New York, Spanien, der<br />

Schweiz, Belgien, natürlich Kanada, Italien, Luxemburg,<br />

Polen, Russland, Albanien, der Türkei, China,<br />

Südkorea, Japan, Singapur, Taiwan und dem Libanon.<br />

Aufgrund der längeren Laufzeiten in diesen Ländern<br />

gibt es sowohl eine englische als auch eine italienische<br />

Fassung des Stücks (in beiden Sprachen liegen neben<br />

den zahlreichen französischen DVDs und CDs auch<br />

Aufnahmen vor), aber aus welchem Grund auch immer<br />

hat es das Stück nie nach Deutschland geschafft, nicht<br />

einmal als kurzes Gastspiel – was sehr schade ist, denn<br />

es ist ein tolles Stück mit großartiger Musik. Nun also<br />

ist es 25 Jahre nach seiner Uraufführung wieder an den<br />

damaligen Ort der Weltpremiere, das Palais des Congrès<br />

in Paris, zurückgekehrt, bevor es ab Ende Januar auf<br />

Tour durch Frankreich, Belgien und die Schweiz geht.<br />

Das Stück basiert auf derselben Vorlage wie die Disney-Show<br />

»Der Glöckner von Notre Dame«, nämlich<br />

dem Roman »Notre Dame de Paris« von Victor Hugo,<br />

der 1831 erschien und in Frankreich ein absoluter Klassiker<br />

ist. So ist es auch keine Überraschung, dass sich das<br />

Musical deutlich enger an die Vorlage hält als die Disney-Variante,<br />

was unter anderem darin zum Ausdruck<br />

kommt, dass die beiden Figuren Gringoire (der Erzähler)<br />

und Fleur-de-Lys (die Verlobte von Phoebus) hier<br />

als Hauptrollen vertreten sind, die bei Disney gar nicht<br />

vorkommen bzw. mit anderen Rollen verschmolzen<br />

wurden (Clopin bei Disney ist eine Mischung aus dem<br />

Clopin der Vorlage und dem Erzähler Gringoire). Da<br />

die Originalhandlung in Deutschland nicht so bekannt<br />

ist wie in Frankreich, hier ein kurzer Handlungsabriss:<br />

Der Dichter Gringoire beschreibt die Entstehung<br />

der Kathedralen im Mittelalter als Aufbruch in eine<br />

neue Zeit der Entwicklung der Menschheit. Wir befinden<br />

uns im Paris des Jahres 1492. Flüchtlinge, Sinti und<br />

Roma, Unterweltangehörige und weitere Personen mit<br />

unsicherem Status versammeln sich vor der Kathedrale<br />

Notre Dame. Sie stehen unter der Führung von Clopin<br />

(Jay) und besingen ihr Schicksal als Ausgestoßene der<br />

Gesellschaft (›Les sans-papiers‹). Der dazukommende<br />

Erzdiakon der Kathedrale, Frollo (Daniel Lavoie),<br />

lässt sie vertreiben. Phoebus (Damien Sargue), Hauptmann<br />

der Garde, kommt dem Befehl nach, lässt aber<br />

die schöne Esmeralda (Hiba Tawaji), deren Tanz ihm<br />

gefällt, unbehelligt laufen. Allein geblieben reflektiert<br />

Esmeralda über ihr Schicksal als Angehörige einer diskriminierten<br />

Minderheit (›Bohémienne‹). Clopin, der<br />

sie aufgezogen hat, warnt sie vor den Männern, jetzt, wo<br />

sie erwachsen und schön ist. Mittlerweile trifft Phoebus<br />

auf seine adlige Verlobte Fleur-de-Lys (Alyzée Lalande)<br />

und beide beteuern sich ihre Liebe. Vor der Kathedrale<br />

findet das Narrenfest statt, und der missgestaltete<br />

Glöckner Quasimodo (Angelo del Vecchio) wird zu<br />

seinem Papst gewählt. Alle verspotten ihn. Frollo gibt<br />

Quasimodo, den er als Waisenkind gefunden und aufgezogen<br />

hat und der ihm daher treu ergeben ist, den Auftrag,<br />

Esmeralda für ihn zu finden unter dem Vorwand,<br />

sie in der christlichen Religion unterrichten zu wollen.<br />

Quasimodo verfolgt Esmeralda in den Unterschlupf der<br />

Ausgestoßenen, wird dort aber von Phoebus verhaftet.<br />

50<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Europa<br />

Im ›Cour des miracles‹ treffen sich alle, die der Pariser<br />

Unterwelt angehören. Esmeralda rettet Gringoire, der<br />

sich dorthin verirrt hat, durch eine Scheinehe vor dem<br />

Tod, der den Unbefugten droht, die dorthin kommen.<br />

Sie befragt ihn über Phoebus, in den sie sich verliebt<br />

hat, und er erklärt ihr, dass Phoebus »Sonne« bedeutet.<br />

Sie träumt von dem Mann, der schön ist wie die Sonne<br />

(›Beau comme le soleil‹), ebenso wie es am anderen<br />

Ende von Paris Fleur-de-Lys tut. Phoebus bekennt sich<br />

mittlerweile dazu, beide Frauen attraktiv zu finden, und<br />

hätte nichts gegen eine Affäre mit Esmeralda einzuwenden<br />

(›Déchiré‹).<br />

Am nächsten Tag trifft Gringoire auf Frollo, der<br />

Informationen über Esmeralda will. Gringoire lenkt<br />

ihn ab mit der Frage nach einer Inschrift, »Ananké«, in<br />

Notre Dame (die es übrigens wirklich gibt), und Frollo<br />

erklärt ihm die Bedeutung: Schicksal oder Verhängnis.<br />

Mittlerweile wird Quasimodo von den Soldaten<br />

misshandelt. Nur Esmeralda hat Mitleid und gibt ihm<br />

Wasser. Quasimodo zeigt Esmeralda die Kathedrale und<br />

bietet ihr dort Zuflucht an. Esmeralda betet zu Maria.<br />

Frollo weiß, dass sein Begehren nach Esmeralda ihm<br />

als Priester gefährlich werden kann, folgt aber dennoch<br />

ihr und Phoebus, als sie sich zu einem Rendezvous treffen.<br />

Er versucht Phoebus zu töten, der schwer verletzt<br />

wird. Gringoire besingt die unausweichliche Macht des<br />

Schicksals.<br />

Am nächsten Morgen lässt Frollo wieder Gringoire<br />

rufen. Er befragt ihn nach den neuen Ideen der italienischen<br />

Renaissance (›Florence‹) und realisiert, dass die<br />

absolute Macht der Kirche zu Ende geht. Frollo lässt<br />

Esmeralda einsperren und will ihr den Mordversuch an<br />

Phoebus anhängen, aber Gringoire informiert Clopin.<br />

Ein Befreiungsversuch scheitert zunächst, und Clopin<br />

und seine Mitstreiter werden gefangengenommen. Frollo<br />

lässt Esmeralda foltern, um ein Geständnis zu erpressen.<br />

Phoebus, der sich erholt hat, kehrt zu seiner Verlobten<br />

zurück, die von ihm als Liebesbeweis fordert, Esmeralda<br />

hinrichten zu lassen. Frollo versucht, Esmeralda zu einer<br />

Liebesnacht im Austausch gegen ihr Leben zu überreden<br />

(›Un matin tu dansais‹), aber sie lehnt ab, da sie inzwischen<br />

weiß, dass Phoebus überlebt hat und sie nur ihn<br />

liebt. Quasimodo befreit Clopin und seine Leute und<br />

mit ihrer Hilfe auch Esmeralda, die er mit in die Kathedrale<br />

nimmt. Er beklagt die Ungerechtigkeit, dass sie<br />

ihn wegen seines Aussehens nie lieben wird (›Dieu que<br />

le monde est injuste‹). Frollo gibt Phoebus und seinen<br />

Soldaten den Auftrag, die Kathedrale zu stürmen und<br />

ihm Esmeralda auszuliefern, was dieser auch tut. Der<br />

Bitte Quasimodos für Esmeralda verweigert er sich und<br />

lässt sie durch Phoebus und seine Soldaten aufhängen.<br />

Außer sich vor Schmerz wirft Quasimodo Frollo die<br />

Treppe hinunter, wobei dieser stirbt, und verlangt die<br />

tote Esmeralda für sich. An ihrer Leiche beteuert er ein<br />

letztes Mal seine Liebe zu ihr (›Dance mon Esmeralda‹),<br />

bevor er mit ihr in seinen Armen stirbt.<br />

Das Palais des Congrès ist, wie der Name sagt, kein<br />

Theater, sondern eine Mehrzweckhalle mit fast 4000<br />

Plätzen. Die Show war und ist als Arenaproduktion<br />

konzipiert, das heißt, es gibt sehr wenig Bühnenbild<br />

(eine wandelbare Wand, einige Tonnen mit Feuer, ein<br />

paar aus dem Schnürboden herabhängende Seile und<br />

Elemente), stattdessen wird mit Licht und Projektionen<br />

gearbeitet. Das funktioniert heute wie vor 25 Jahren sehr<br />

gut (man spielt immer noch die Originalproduktion von<br />

Regisseur Gilles Maheu mit den Bühnenbildern von<br />

Christan Rätz, den Kostümen von Caroline Van Assche,<br />

dem Lichtdesign von Alain Lortie) und bringt sowohl<br />

Spannung als auch Klarheit in die Handlung, die komplett<br />

ohne Dialoge auskommt. Die Choreographie von<br />

Martino Müller ist einer der stärksten Punkte der Show:<br />

Da es eine strenge Trennung von Sängern, Tänzern und<br />

Akrobaten gibt, ist das tänzerische und vor allem das<br />

beeindruckende akrobatische Level (von Breakdance<br />

Notre Dame de Paris<br />

Riccardo Cocciante / Luc Plamondon<br />

Nicolas & Charles Talar und<br />

Adam Blanchay Productions<br />

Palais des Congrès Paris<br />

Premiere: 15. November 2023<br />

Regie ............................... Gilles Maheu<br />

Musikalische Einrichtung,<br />

Arrangements & Leitung .........................<br />

.................................. Richard Cocciante,<br />

Serge Perathoner,<br />

Jannick Top<br />

Choreographie ............. Martino Müller<br />

Bühnenbild ...................... Christan Rätz<br />

Kostüme .............. Caroline Van Assche<br />

Frisuren ..................... Sébastien Quinet<br />

Lichtdesign ......................... Alain Lortie<br />

Quasimodo ........... Angelo del Vecchio /<br />

Philippe Tremblay<br />

Esmeralda ...... Hiba Tawaji / Jaime Bono<br />

Frollo ..................... Daniel Lavoie / Solal<br />

Gringoire .............................. Eric Jetner /<br />

Gian Marco Schiaretti<br />

Phoebus ..... Damien Sargue / Eric Jetner<br />

Fleur-de-Lys ................. Alyzée Lalande /<br />

Jaime Bono<br />

Clopin .............................. Jay / Mike Lee<br />

Tänzer, Akrobaten & Breakdancer<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Frollo (Daniel Lavoie) kämpft<br />

mit seinen Gefühlen für Esmeralda,<br />

die für einen Priester gänzlich<br />

unangemessen sind<br />

2. Clopin (Jay, r.) warnt Esmeralda<br />

(Hiba Tawaji, l.) vor den Männern<br />

3. Für Quasimodo (Angelo del<br />

Vecchio) sind seine Glocken wie<br />

lebendige Freunde<br />

Fotos (3): Patrick Carpentier<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

51


Musicals in Europa<br />

Abb. unten von links oben:<br />

1. Gringoire (Gian Marco<br />

Schiaretti, i.d.bes.Vorst. Eric Jetner)<br />

besingt »Die Zeit der Kathedralen«<br />

2. Quasimodo (Angelo del Vecchio)<br />

wird von den Soldaten (Ensemble)<br />

gefoltert<br />

3. Quasimodo (Angelo del Vecchio,<br />

2.v.l.), Frollo (Daniel Lavoie, Mitte)<br />

und Phoebus (Damien Sargue,<br />

2.v.r.) besingen ihre jeweiligen<br />

Gefühle für die schöne Esmeralda<br />

(Hiba Tawaji, vorne)<br />

Foto 1: Alessandro Dobici for<br />

Contents Production<br />

Foto 2: Patrick Carpentier<br />

Foto 3: Alessandro Dobici<br />

auf höchstem Niveau bis zu veritabler Artistik ist alles<br />

dabei) unglaublich hoch. Gleichzeitig können sich die<br />

Solisten auf Schauspiel und Gesang konzentrieren, was<br />

zusammen mit der ausgezeichneten Besetzung zu vielen<br />

musikalischen Gänsehautmomenten führt. Angeführt<br />

wird die hervorragende Solistenriege von Angelo del<br />

Vecchio als Quasimodo, der diese schwere Partie (vor<br />

allem dadurch, dass man die Partie fast durchgehend<br />

mit rauer Stimme singen muss, sie aber trotzdem höllisch<br />

hoch ist) grandios meistert und einem mit seiner<br />

Darstellung wirklich unter die Haut geht. Vor allem<br />

sein ›Dance mon Esmeralda‹ am Ende sorgte für viele<br />

feuchte Augen im Publikum. Auf der anderen Seite<br />

steht das »Notre-Dame«-Urgestein Daniel Lavoie als<br />

Frollo, der in dieser Rolle schon vor 25 Jahren bei der<br />

Uraufführung dabei war und diese Rolle unvergleichlich<br />

verinnerlicht hat. Seine Stimme ist vielleicht inzwischen<br />

etwas rauer als damals, hat aber immer noch die sichere<br />

Höhe und große Eindringlichkeit, die einen fast mit seinem<br />

Charakter mitfühlen lässt, weil er eben nicht eindimensional<br />

böse ist. Jay als Clopin verfügt gleichermaßen<br />

über die sonore Tiefe für die Rolle, ein schönes Falsett<br />

und eine beeindruckende Bühnenpersönlichkeit, der<br />

man den Anführer sofort abnimmt. Damien Sargue als<br />

Phoebus machte seine Sache ausgezeichnet. Er kommt<br />

genau wie Hiba Tawaji als Esmeralda aus dem Popgeschäft.<br />

Beide sind aber schon länger in diesen Rollen<br />

dabei, wobei ausgerechnet die Esmeralda die Schwachstelle<br />

des Abends war: Sie war keineswegs schlecht,<br />

sang und tanzte ansprechend, aber ihr fehlte die Ausstrahlung,<br />

die deutlich machen würde, warum sich<br />

gleich vier Männer in sie verlieben, und in den Höhen<br />

beim Belten fehlte der Stimme einfach manchmal die<br />

Kraft, die die großen Musicalhymnen Cocciantes brauchen.<br />

Wie sich das idealerweise anhört, zeigten neben<br />

den bereits Genannten die beiden hauptberuflichen<br />

Musicaldarsteller Alyzée Lalande als buchbedingt eher<br />

unsympathische Fleur-de-Lys, von der man neben ›Il<br />

est beau‹ gerne noch eine andere schöne Ballade gehört<br />

hätte, und als einziges Cover des Abends Eric Jetner als<br />

Gringoire, der vor allem die große Hymne der Show ›Le<br />

temps des cathédrales‹, aber auch das anrührend melancholisch<br />

gesungene ›Lune‹ so wunderbar zum Leben<br />

erweckte, dass man die etatmäßige Erstbesetzung (der<br />

auch in Deutschland bekannte Gian Marco Schiaretti)<br />

in keinem Moment vermisste.<br />

Alles in allem war es eine würdige Jubiläumsproduktion,<br />

und es war faszinierend, die Show am Platz<br />

ihrer Uraufführung noch einmal zu erleben. Es ist<br />

ewig schade, dass sie nie ihren Weg nach Deutschland<br />

geschafft hat, wenigstens als Gastspiel. Die aktuelle Tour<br />

kommt unter anderem nach Straßburg und Genf, sie sei<br />

also den Süddeutschen und Schweizern ans Herz gelegt!<br />

Wie populär das Stück in Frankreich immer noch ist,<br />

merkt man bei der Zugabe, wenn das Publikum ›Le<br />

temps des cathédrales‹ geschlossen mitsingen kann.<br />

Mögen die Glocken von Notre Dame noch viele Jahre<br />

erklingen, und hoffentlich auch einmal hierzulande!<br />

Merit Murray<br />

52<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


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Einspielungen<br />

zusammengestellt von Mario Stork<br />

Foto: VBW / Deen van Meer<br />

Rock Me Amadeus – Das Falco Musical<br />

Original Wien Cast 2023<br />

Musik und Leben von Johann Hölzel alias Falco (1957 -<br />

1998) dienten schon mehrfach als Grundlage für Musicals.<br />

Im Oktober 2023 feierte nun, 25 Jahre nach Falcos<br />

Unfalltod, »Rock Me Amadeus« im Wiener Ronacher<br />

Premiere. Mit einem Buch von VBW-Intendant Christian<br />

Struppeck, vielen Falco-Hits und sogar vier neu<br />

geschriebenen Songs dürfte das Stück das ultimative<br />

Biographie-Musical des Exzentrikers darstellen.<br />

Hölzels Weg vom bei seiner Mutter in bescheidenen Verhältnissen<br />

aufwachsenden Hans, der schon früh davon<br />

träumt, Popstar zu werden, bis an die Spitze der internationalen<br />

Charts, inklusive aller Nebeneffekte des Ruhms,<br />

kann man nun auch zu Hause nachverfolgen. Knapp<br />

zweieinhalb Stunden lang erzählt die Live-Gesamtaufnahme<br />

Falcos Leben und Karriere. Die Dialoge sind<br />

dabei knapp und konzis gehalten, Songs und Underscorings<br />

sind eng mit den Sprechszenen verwoben, so dass zu<br />

keiner Zeit Längen beim Hören entstehen. Das ist besonders<br />

auch den Arrangeuren Roy Moore und Michael<br />

Reed zu verdanken, die all die bekannten Hits mit den<br />

Neukompositionen zu einer veritablen Theaterpartitur<br />

verwoben haben, bei der man Zeuge wird, wie spätere<br />

Welterfolge im Proberaum entstehen, einzelne Melodien<br />

oder Hooklines Hans über die ganze Handlung hinweg<br />

wie Leitmotive begleiten und aus den Popsongs dank<br />

effektvoller Orchestrierung (die 21 Musiker:innen unter<br />

Leitung von Michael Römer spielen auf den Punkt, dass<br />

es eine wahre Freude ist) und einfallsreicher Chorsätze<br />

waschechte Musicalnummern werden.<br />

Obwohl die Brüder Rob und Ferdi Bolland (»3 Musketiere«),<br />

von denen zahlreiche erfolgreiche Falco-Titel<br />

stammen, seit Jahren zerstritten sind, steuerten beide<br />

getrennt voneinander die neuen Lieder bei. Während das<br />

mehrfach wiederholte ›Leb deinen Traum‹ und das Duett<br />

›Du bist mein Zuhaus‹ ein wenig zu sehr in der Musical-<br />

Kitsch-Klischee-Schublade wühlen, entwickelt sich ›Ein<br />

weißes Blatt Papier‹ fesselnd von der Standard-Ballade<br />

zum düsteren inneren Drama. ›I am You‹, ein Duett zwischen<br />

Hans und seinem Alter Ego, könnte ein Outtake<br />

aus einem Original-Falco-Album sein.<br />

Das Album wurde bereits am Premierenabend und<br />

einem Termin drei Tage später aufgenommen. Der Cast<br />

performt entsprechend noch voller frischer Energie, von<br />

Nervosität ist nichts zu hören, das gesamte Ensemble liefert<br />

eine fulminante Leistung ab. Dreh- und Angelpunkt<br />

ist Moritz Mausser mit seiner herausragenden Darstellung<br />

des Hans. Er verkörpert den aufstrebenden, von seinem<br />

Talent mehr als überzeugten Musiker ebenso treffend wie<br />

den Egomanen auf dem Höhepunkt des Ruhms; beeindruckend<br />

auch seine Zerrissenheit, als ihm Erfolgsdruck,<br />

Drogen und Leben am Limit immer stärker zusetzen.<br />

Gesanglich liefert Mausser keine Kopie des Originals<br />

ab, eher eine Hommage, die dessen Tonfall trifft, aber<br />

auch noch Raum für eigene stimmliche Akzente lässt.<br />

Alex Melcher spielt als Alter Ego die Schattenseite der<br />

Künstlerpersönlichkeit; seine Nummern im zweiten Akt<br />

sind so stark, dass man gern mehr von ihm gehört hätte.<br />

Katharina Gorgi als Falcos Ehefrau Isabella oder Simon<br />

Stockinger als Billy überzeugen ebenfalls in ihren Solound<br />

Duettauftritten; die restliche Cast kommt primär<br />

in den Dialogen und den Chorpassagen zum Einsatz.<br />

Alle zusammen erzählen die mitreißende Geschichte<br />

einer schillernden, tragischen Künstlerpersönlichkeit, von<br />

den HitSquad-Experten satt und druckvoll produziert.<br />

Fazit: Das ultimative Falco-Musical mit fantastischer<br />

Besetzung – wärmste Empfehlung!<br />

34 Titel<br />

151 min<br />

Doppel-Jewel-CD-Case mit<br />

32-seitigem Booklet mit<br />

Credits, Inhaltsangabe und<br />

vielen Produktionsfotos<br />

Tanz der Vampire<br />

Hamburg Cast 2023 – Graf von Krolock-EP<br />

Gemessen am Erfolg und Kultstatus des Vampir-<br />

Musicals von Jim Steinman (Musik) und Michael<br />

Kunze (Buch und Texte) sind im Laufe der<br />

Jahre relativ wenig verschiedene Castaufnahmen<br />

erschienen. Nachschub für Fans kommt nun aus<br />

Hamburg: Rob Fowler, der aktuelle Krolock an der<br />

Elbe, hat die großen Songs des Grafen für eine Vier-<br />

Track-EP aufgenommen. So bekommt man einen<br />

akustischen Eindruck davon, wie er die Rolle anlegt:<br />

Sein Rocktenor klingt oft heller als bei vielen Rollenvorgängern,<br />

dadurch wirkt die Figur auch jünger<br />

und vielleicht eine Spur verletzlicher. Bei ›Sei bereit<br />

(Gott ist tot)‹ gibt er sich mystisch, die ›Einladung<br />

zum Ball‹ spricht er in einer Mischung aus lockendem<br />

Verführer und unterschwelliger Bedrohung<br />

aus. Im Duett ›Totale Finsternis‹ (mit einer jugendlich<br />

klar singenden Kristin Backes) trumpft Fowler<br />

gesanglich mächtig auf, und aus ›Die unstillbare<br />

Gier‹ kitzelt er mit wohldosierten eigenen Nuancen<br />

das richtige Maß an Dramatik heraus, ohne zu<br />

übertreiben. Gern hätte man ein komplettes Castalbum<br />

mit dieser Besetzung gehört, aber diese EP<br />

ist zumindest ein ansprechender Appetit-Happen.<br />

Fazit: Für Fans von Rob Fowler und/oder<br />

»Tanz der Vampire« ein Muss.<br />

4 Titel<br />

16 min<br />

Jewel-CD-Case mit 4-seitigem<br />

Booklet mit Credits und Foto<br />

Guys & Dolls<br />

Revival Cast London 2023<br />

Das 1950 am Broadway uraufgeführte Gangster-<br />

Musical nach mehreren Kurzgeschichten von<br />

Damon Runyon gehört zu den großen Klassikern<br />

des Genres. Entsprechend regelmäßig erlebt das<br />

Stück mit einem Buch von Jo Swerling und Abe<br />

Burrows sowie Musik und Songtexten von Frank<br />

Loesser Revivals. Das jüngste startete vergangenes<br />

Jahr in London, als immersives, modernes Theaterspektakel<br />

aufbereitet von Regisseur Nicholas Hytner<br />

(»Miss Saigon«) und Choreographin Arlene<br />

Phillips (»Starlight Express«). Das Castalbum zur<br />

Produktion lässt einen kaum glauben, dass Frank<br />

Loessers Partitur schon mehr als 70 Jahre alt ist.<br />

Dank Charlie Rosens neuer Orchestrierung (im<br />

Booklet beschreibt er, wie diverse Arrangeure im<br />

Lauf der Jahrzehnte dem Score ihren Stempel<br />

aufdrückten) klingen die Songs mitreißend und<br />

frisch. Schon die ersten Takte der ›Ouvertüre‹<br />

gehen direkt ins Tanzbein. Wer den klassischen<br />

Broadway-Sound mag, dürfte hier von Anfang an<br />

ein breites Lächeln auf dem Gesicht haben. Rosen<br />

kitzelt die Stilvielfalt zwischen Jazz, Swing, Blues,<br />

Latin und Heilsarmee-Märschen gekonnt heraus,<br />

54<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Einspielungen<br />

pustet den Staub aus den Noten und erfreut, gerade<br />

was die Bläsersätze angeht, mit vielen Details. Das<br />

vierzehnköpfige Orchester unter der Leitung von<br />

Tom Brady nutzt diese Steilvorlage und dreht<br />

ordentlich am Energieregler, so dass all den zahlreichen<br />

Hits der Show von ›Luck Be a Lady‹ über<br />

den Titelsong bis zu ›Sit Down You’re Rockin’ the<br />

Boat‹ eine erfolgreiche Frischzellenkur zuteil wird.<br />

Großen Anteil daran hat auch das blendend aufgelegte<br />

Ensemble, angeführt von Celinde Schoenmaker<br />

(Sarah Brown), Andrew Richardson (Sky<br />

Masterson), Cedric Neal (Nicely-Nicely Johnson),<br />

Daniel Mays (Nathan Detroit) und Marisha<br />

Wallace (Miss Adelaide). Letztere darf als Bonus-<br />

Track ›Luck Be a Lady‹ nochmal in einer speziellen<br />

Remix-Version zum Besten geben, die man mit<br />

ihrem Synth-Dance-Arrangement nicht unbedingt<br />

braucht. Aber man kann ja vorher ausschalten.<br />

Fazit: Ein Klassiker in frischem Gewand –<br />

reinhören!<br />

34 Titel<br />

88 min<br />

Digipack mit 16-seitigem<br />

Booklet mit Credits,<br />

Liner Notes und Fotos<br />

Wish<br />

Original Filmsoundtrack 2023 –<br />

Englische Version<br />

Mit dem neuen Disney-Film »Wish« waren angesichts<br />

des 100-jährigen Firmenjubiläums im vergangenen<br />

Jahr hohe Erwartungen verbunden. Glaubt<br />

man den Kritikern und Zuschauerstimmen, konnte<br />

der Streifen, vorsichtig formuliert, diese Ansprüche<br />

nicht durchweg erfüllen. Die Songs steuerten diesmal<br />

Julia Michaels und Benjamin Rice bei. Wer? Michaels<br />

ist eine Sängerin und Songwriterin, die neben<br />

ihren eigenen Veröffentlichungen für Künstler:innen<br />

wie Selena Gomez, Olivia Rodrigo, Shawn Mendes,<br />

Britney Spears oder Justin Bieber schrieb. So<br />

ungefähr darf man sich die Lieder auch vorstellen:<br />

Gefälliger, aber belangloser Einheits-Pop mit leichtem<br />

R’n’B-Einschlag, der an den Ohren vorbei<br />

plätschert, ohne dass irgendetwas hängen bliebe. Der<br />

kurze Opener ›Welcome to Rosas‹ wirkt noch wie ein<br />

müder »Encanto«-Aufguss; im Folgenden wechseln<br />

sich Balladen und groovige Titel ab, die nur in seltenen<br />

Fällen über das Prädikat »nett« hinauskommen.<br />

Am ehesten entfalten noch ›This Wish‹ oder der von<br />

Julia Michaels selbst gesungene End-Credits-Titel<br />

›A Wish Worth Making‹ die alte Disney-Magie.<br />

Vielleicht treffen die Kompositionen von Michaels<br />

und Rice ja genau den Geschmack und die Hörgewohnheiten<br />

der jungen Zielgruppe von heute. Wer<br />

aber mit Disney-Soundtracks aus der Feder von<br />

Altmeistern wie Alan Menken aufgewachsen ist,<br />

den dürfte »Wish« zumindest ratlos, wenn nicht enttäuscht<br />

zurücklassen. Daran ändern auch die Interpretationen<br />

von Ariana DeBose nichts, die mit ihrer<br />

Broadway-Expertise zumindest ein wenig Musical-<br />

Feeling beisteuert. Ach ja, und Chris Pine singt auch<br />

… und das gar nicht so schlecht. Das Soundtrack-<br />

Album enthält auf CD mit einer Laufzeit von knapp<br />

37 Minuten acht Songs (einer davon ist nur eine<br />

Reprise); vier dieser Titel gibt es nochmal zusätzlich<br />

als Instrumental-Versionen. Die Deluxe-Edition mit<br />

dem Score von Dave Metzger, Demos etc. ist nur<br />

digital erhältlich. Auch dies ist ein bisschen mager.<br />

Fazit: Im Vergleich zu klassischen Disney-<br />

Soundtracks eine Enttäuschung und durchaus<br />

verzichtbar<br />

12 Titel<br />

36 min<br />

Jewel-CD-Case, <strong>24</strong>-seitiges<br />

Booklet mit Songtexten,<br />

Credits und Filmfotos<br />

Bettina Meske: Paradise Is Now<br />

Soloalbum 2023<br />

Dass Bettina Meske nicht nur eine arrivierte<br />

Sängerin und Musicaldarstellerin ist, sondern<br />

auch als Songwriterin zu überzeugen weiß,<br />

ist spätestens seit ihrem 2<strong>01</strong>3er Soloalbum<br />

»Made in Berlin« kein Geheimnis mehr. Dass<br />

der Nachfolger »Paradise Is Now« zehn Jahre<br />

bis zur Veröffentlichung brauchte, lag an den<br />

»dunklen Jahren«, wie die Künstlerin die<br />

vergangene Zeit bezeichnet: Alle hier versammelten<br />

Songs wurden schon vor der Pandemie<br />

und verschiedenen privaten Schicksalsschlägen<br />

geschrieben, teilweise sind Gastmusiker<br />

auf den Tracks zu hören, die zwischenzeitlich<br />

verstorben sind, darunter Komponist und<br />

Arrangeur Peter Schirmann oder Flügelhorn-<br />

Virtuose Ack van Rooyen. Bettina Meske sieht<br />

den Zeitpunkt nun gekommen, diese Lieder<br />

herauszubringen und mit ihnen ein wenig<br />

Licht in dunkle Zeiten zu bringen. Und das<br />

gelingt ihr vorzüglich: 14 selbstgeschriebene<br />

Songs enthält das Album, die ihre Vorliebe für<br />

Jazz, Swing und Torch Ballads offenbaren, zwischendurch<br />

Ausflüge in Pop, Soul und frühen<br />

Rock’n’Roll unternehmen und gerade in ihrer<br />

Gesamtheit ein facettenreiches Panoptikum<br />

zwischenmenschlicher Befindlichkeiten und<br />

Emotionen auffächern. Meske gelingt dabei<br />

das Kunststück, dass ihre Kompositionen<br />

vertraut wirken, als hätten sie immer schon<br />

neben den Klassikern des »Great American<br />

Songbooks« existiert, ohne dabei wie Kopien<br />

zu klingen. Großes Kino! Darüber vergisst man<br />

fast zu erwähnen, dass sie natürlich auch fantastisch<br />

singt, sich ihre Melodien perfekt in die<br />

Kehle geschrieben hat und vom fragilen, fast<br />

brüchigen Flüstern bis zur großen Soulröhre<br />

die gesamte Bandbreite ihrer stimmlichen<br />

Möglichkeiten auslotet. Unterstützt wird sie<br />

dabei von einer vierköpfigen Kernband um den<br />

formidablen Pianisten Sebastian Weiss sowie<br />

von zahlreichen Gaststars. Die Auftritte der<br />

Thilo Wolf Big Band (›You and I‹, ›Airport‹ und<br />

›I Love You‹) zählen ebenso zu den Highlights<br />

wie das berührende Duett ›Moving Mountains‹<br />

mit Joana Zimmer oder das abschließende<br />

›Hold Me‹ mit Paul Hankinson. Hoffen wir,<br />

dass Bettina Meske bis zum nächsten Album<br />

nicht wieder zehn Jahre verstreichen lässt.<br />

Fazit: Das perfekte Album für die dunkle<br />

Jahreszeit!<br />

14 Titel<br />

50 min<br />

CD-Digipack mit Credits und<br />

Session-Fotos<br />

Druidenstein – Das Musical<br />

Studio Cast 2023<br />

Mit ihrem Fantasy-Musical »Schatten über<br />

Armaleth« machten Thorsten und Nadine<br />

Uebe-Emden erstmals als Komponisten und<br />

Autoren auf sich aufmerksam. Nun legen sie<br />

nach: In »Druidenstein« erzählen sie, basierend<br />

auf einer lokalen Sage, eine zu keltischer Zeit<br />

am gleichnamigen Basaltfelsen nahe der Stadt<br />

Kirchen an der Sieg spielende Geschichte: Als<br />

die Häuptlingstochter Herke vom Druiden des<br />

Stammes auserwählt wird, sich in den Dienst<br />

der Götter zu stellen, gerät die junge Frau in<br />

einen Zwiespalt zwischen der auferlegten Pflicht<br />

und ihrer Liebe zum Krieger Caradoc. Ein<br />

Konflikt mit tragischen Folgen… Thorsten und<br />

Nadine Uebe-Emden vertonen diese Legende<br />

mit einer gelungenen Mischung aus Folklore,<br />

Celtic- und Mittelalter-Rock, mystischen Klängen<br />

und musicaltypischen Balladen. Vor allem<br />

letztere bieten schöne Melodien (›Schlaflied‹,<br />

›Was mein Herz mir sagt‹), archaisch-rockige<br />

Sounds sorgen für Abwechslung (›Keltenherz‹),<br />

spezielle Instrumente wie keltische Flöten<br />

schaffen die passende klangliche Atmosphäre.<br />

Zu den liebevoll und detailliert produzierten<br />

Instrumentalplaybacks singt, wie schon beim<br />

Erstling des Autorenpaars, ein hochmotiviertes<br />

Ensemble aus Amateuren und Semi-<br />

Profis. Aus den durchweg guten Leistungen<br />

sticht Julia Fernholz als Herke mit ihrer schön<br />

gefärbten Stimme heraus. Insgesamt wecken<br />

die 10 Tracks die Neugier auf das komplette<br />

Musical, und man wünscht den Kreativen viel<br />

Erfolg für die weitere Entwicklung des Vorhabens.<br />

Wer auf physische Tonträger Wert legt,<br />

sollte sich beeilen: Die CD-Version ist limitiert.<br />

Fazit: Ein entdeckenswertes Liebhaber-<br />

Projekt!<br />

10 Titel<br />

36 min<br />

Digipack mit Inhaltsangabe<br />

und Credits<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

55


Konzerte & Entertainment<br />

Ein Ständchen zum Geburtstag<br />

»Ich bin, was ich bin« – Uwe Kröger im Theater Akzent in Wien<br />

Abb. oben:<br />

Ein eingespieltes Team – Uwe Kröger<br />

und sein Pianist Michael Falk kennen<br />

sich vom Theater in Hof<br />

Abb. unten:<br />

Von dramatisch bis lustig: Uwe Kröger<br />

zeigt ein breites Repertoire<br />

Fotos (2): Enes Daniskan<br />

Uwe Kröger wurde 59 Jahre alt und schenkte seinen<br />

Fans an seinem Geburtstag eine Gala. Dabei unternahm<br />

er am 4. Dezember 2023 im Wiener Theater Akzent<br />

mit seinem Publikum unter dem Titel »Ich bin, was ich bin<br />

– From Broadway to Hollywood« eine Zeitreise durch seine<br />

vergangenen Bühnenjahrzehnte – in eine Ära, in der man<br />

Musik noch mit dem Walkman hörte. Eine zweite Show<br />

gab es am Tag danach in St. Pölten.<br />

In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war<br />

Kröger ein Superstar des in Kontinentaleuropa noch jungen<br />

Genres Musical. Eine klassische Musical-Ausbildung<br />

hat der Darsteller in dem Sinne nicht, da diese zu dem<br />

Zeitpunkt so noch nicht in Deutschland etabliert war.<br />

Aber er studierte an der damaligen HdK (heute UdK) in<br />

Berlin Gesang, Schauspiel und Tanz. Nach der anfänglichen<br />

Ochsentour durch kleine Stadttheater avancierten er<br />

und seine Bühnenpartnerin Pia Douwes zum Traumpaar<br />

der Branche. Aber auch die Schattenseiten kennt Uwe<br />

Kröger zur Genüge: Der Streit mit seiner Managerin und<br />

die Trennung von Lebensgefährten wurden in der Presse<br />

genauso breitgetreten wie seine Insolvenz. Inzwischen<br />

wohnt der Sänger mit seinem Ehemann in Spanien. Nur ab<br />

und zu – aus Sicht seiner Fans zu selten – kommt er zurück<br />

nach Wien, wie für diesen besonderen Abend an seinem<br />

Geburtstag.<br />

Es sind Stunden für eingefleischte Musical-Liebhaber.<br />

Uwe Kröger lässt seine Karriere Revue passieren und wirft<br />

dabei – ohne weitere Erläuterungen – mit den Namen<br />

von Musicalfiguren und Regisseuren nur so um sich. Das<br />

Publikum kann spielend mithalten und ergänzt auf Zuruf<br />

sämtliche Stücke, die beispielsweise aus der Feder von Texter<br />

Michael Kunze stammen.<br />

Detailverliebt erinnert sich Kröger an die goldenen<br />

Musical-Jahre, als man noch extra Theaterhäuser für<br />

Stücke baute, die dann jahrelang erfolgreich die Massen<br />

begeisterten. Dabei geizt er auch nicht mit privaten Einblicken<br />

– den humorvollen Uwe Kröger erlebt man hier<br />

ganz persönlich und hautnah, wenn auch nicht jede Zahl<br />

stimmt. Ob das entsprechende Theaterhaus nun an der A1<br />

war oder an der A3 liegt – egal, Hauptsache, die Pointe<br />

sitzt. Selbst die strapaziöse Anreise aus Bayern nach Wien<br />

durch Schnee und Eis wird an diesem Abend zur heiteren<br />

Geschichte. Ein Zupfen am Jackett, ein Ziehen am Hosenbund,<br />

das kurze Richten der hellen Haare, so läuft er über<br />

die Bühne. Die Musik der Lieder, die er präsentiert, kommt<br />

mal vom Band, mal begleitet ihn Michael Falk am E-Piano.<br />

Am Ende des ersten Teils der zweistündigen Show, zu<br />

den Liedern aus »Sunset Boulevard« und »Die Schöne und<br />

das Biest«, ist Uwe Krögers Stimme geölt, auch wenn er<br />

nicht mehr ganz die Qualität der Glanzzeiten erreicht.<br />

Auch mit den Songtexten hat er ab und an Probleme.<br />

Den Ablauf hatte er sich vorher überlegt, hat dann aber<br />

hin und wieder Mühe, seine eigene Schrift zu entziffern<br />

oder sich zu erinnern, was er unter dem entsprechenden<br />

Stichwort erzählen wollte. Der Abend entsteht mehr<br />

oder weniger aus dem Stegreif, haben sich doch sein Pianist<br />

und er, nach einer kurzfristigen Absage, erst wenige<br />

Stunden vor dem Konzert zur Konzeption getroffen. Auf<br />

Bühnendekoration und Requisiten verzichtet Kröger. Für<br />

leichtes Chaos sorgte die Technik: Mikrofonsender und<br />

Handy folgen im Verlauf der Show der Schwerkraft und<br />

landen auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Auch<br />

das Mikrofon gibt schließlich im zweiten Teil ganz den<br />

Geist auf. Doch selbst diese Momente nutzt Kröger für<br />

sich und verwandelt sie in einen Lacher: Der Musical-Star<br />

ist ein erfahrenes Showpferd. Mit viel Selbstironie führt<br />

er durch den Abend, singt Klassiker auf Niederländisch,<br />

erzählt von Castings, nimmt die Zuschauer gedanklich<br />

mit hinter die Kulissen und berichtet von skurrilen Regie-<br />

Anweisungen. Doch auch ernste Töne finden Platz. So<br />

spricht er sich klar gegen die Gewalt im Nahen Osten aus<br />

und hält ein Plädoyer für Toleranz. Die Fans, Familienangehörigen<br />

und Wegbegleiter im Publikum bedanken<br />

sich nicht nur mit Standing Ovations und minutenlangem<br />

Applaus, sondern auch mit Blumen und einem Geburtstagsständchen<br />

– also dann: Happy Birthday, Uwe Kröger.<br />

Mina Piston<br />

56<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Konzerte & Entertainment<br />

60 Jahre in 90 Minuten<br />

60 Jahre in<br />

90 Minuten<br />

»Die Zeitreisende« Ute Lemper – Ein Abend im Vindobona Wien<br />

Am 29. November beehrte Ute Lemper das Vindobona<br />

in Wien. Der einzige Termin in Österreich,<br />

bei dem der Weltstar aus ihrer Biographie »Die Zeitreisende«<br />

las. Aber nicht nur das, sie sang ebenso einige<br />

Lieder und erzählte auch frei aus ihrem Leben. Besonders<br />

die Erinnerungen, die sie mit Wien verbinden,<br />

waren die besonderen Momente an diesem Abend.<br />

Man spürte, dass sie sich wohlfühlte, wieder einmal<br />

in dieser Stadt zu Gast zu sein. Mit einem Lächeln im<br />

Gesicht erinnerte sie sich gerne an kleine Episoden aus<br />

dem Alltag, den Kohleofen in der Wohnung damals<br />

in Wien und ihre gefühlte »Befreiung«, als sie schon<br />

früh 1983 ein Engagement bei der deutschsprachigen<br />

Erstaufführung von »Cats« bekam.<br />

Offen berichtete sie von ihrem Leben voller Höhen<br />

und Tiefen, sehr persönlichen Erlebnissen wie dem<br />

Tod ihrer Mutter oder dem Ausbruch der ersten<br />

AIDS-Epidemie, wo auch sie um viele Freunde trauern<br />

musste. Sie selbst versucht, ihr Leben als Mutter und<br />

weltreisender Bühnenstar, der seit 25 Jahren in New<br />

York lebt, zu meistern, was von ihr auf beiden Seiten<br />

viele Opfer fordert. Und gerade deshalb war es für sie<br />

erst eine Herausforderung und dann doch ein positives<br />

Erlebnis, die Biographie auf Deutsch zu schreiben.<br />

Sie beschrieb es mit: »Ein Buch in die Seele schreiben.«<br />

Sie erzählte, dass sie sich im Vindobona so wohlfühle,<br />

da das Theater so persönlich ist, und verriet auch,<br />

dass sie sich auf eine Rückkehr am 18. März 20<strong>24</strong><br />

freue – mit ihrer One-Woman-Show »Rendezvous<br />

mit Marlene«. Mit dieser ebenfalls aus Deutschland<br />

stammenden Künstlerin wird sie schon von jeher<br />

verglichen und hat ihr diesen eigenen Abend als<br />

Hommage kreiert, der auf einem Telefongespräch von<br />

Lemper mit der Dietrich basiert. So sind auch einige<br />

Seiten in Utes Lempers Biographie Marlene Dietrich<br />

und deren Geschichte gewidmet, es sind wirklich sehr<br />

persönliche Erzählungen und von Lemper erzählt<br />

noch mal besonders authentisch: Das erste Konzert<br />

nach dem 11. September 20<strong>01</strong> in New York oder<br />

Auftritte nach dem Mauerfall in Berlin. Besonders<br />

ergreifend waren die Erzählungen von Erlebnissen, die<br />

sie besonders berührt haben, und die Erzählungen von<br />

internationalen Konzerten, weil sie sich als Deutsche<br />

noch immer schämt und große Trauer und Scham<br />

empfindet, wenn sie etwa in Israel jährlich Konzerte<br />

gibt. Sie sang dann auch ›Shitler‹, ein israelisches Lied,<br />

auf jiddisch.<br />

Begleitet wurde sie an dem Abend von Michael<br />

Römer, dem musikalischen Leiter der VBW (Vereinigte<br />

Bühnen Wien), am Klavier. Die beiden haben sich<br />

am selben Tag für die Proben das erste Mal getroffen<br />

und sie dankte ihm mit dem Kompliment: »Michael,<br />

wo bist du mein ganzes Leben nur gewesen?« Sie<br />

sang neben einigen Liedern aus dem Repertoire von<br />

Marlene Dietrich ›Sag mir wo die Blumen sind‹, ›Die<br />

Antwort weiß ganz allein der Wind‹ und aus Bertolt<br />

Brechts/Kurt Weills ›Die sieben Todsünden‹ natürlich<br />

auch Musicallieder: Große Highlights waren<br />

selbstverständlich ihre Sally-Bowles-Nummer aus<br />

»Cabaret« und es gab einen Zwei-Minuten-Ausflug<br />

nach »Chicago«, wo ›All That Jazz‹ sich in ›All That<br />

Cortison‹ verwandelte. Ute Lemper erzählte dann von<br />

den vielen Medikamenten, Pflastern und dergleichen,<br />

die sie immer wieder nehmen musste, um jeden Abend<br />

auf der Bühne stehen zu können. Krank sein war nicht<br />

möglich.<br />

Im Anschluss an den Abend signierte sie noch die<br />

Biographie und CDs für die durchwegs begeisterten<br />

Zuschauer:innen.<br />

Es war schön, einen so bewegten und bewegenden<br />

Abend erleben zu dürfen.<br />

Steffen Wagner<br />

Abb. oben:<br />

»Die Zeitreisende« – Ute Lemper<br />

Foto: Guido Harari<br />

Abb. unten:<br />

Ute Lemper berichtet über ihr Leben<br />

voller Höhen und Tiefen<br />

Foto: Lucas Allen<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

57


Filme & Serien<br />

Zickenterror und große Gefühlsausbrüche<br />

»Mean Girls: Der Girls Club« im Kino<br />

Abb. oben:<br />

v.l. Karen (Avantika), Regina (Renée<br />

Rapp) und Gretchen (Bebe Wood)<br />

zeigen Cady (rechts, Angourie Rice)<br />

ihr Burn Book<br />

Foto: Paramount Pictures<br />

Mean Girls: Der Girls Glub<br />

Paramount Pictures<br />

USA 20<strong>24</strong><br />

Kinostart: 25. Januar 20<strong>24</strong><br />

FSK 6<br />

Länge: 112 min<br />

Regie . Samantha Jayne & Arturo Perez Jr<br />

Drehbuch ............................. Tina Fey<br />

Kamera ............................. Bill Kirstein<br />

Filmschnitt ................. Andrew Marcus<br />

Musik ............................ Jeff Richmond<br />

Songs ........................ Nell Benjamin &<br />

Renée Rapp<br />

Choreographie ............ Kyle Hanagami<br />

Produktionsdesign ...... Kelly McGehee<br />

Kostüme ........................ Tom Broecker<br />

Frisuren & Make-up ...... Dennis Bailey<br />

Produktion .......... Tina Fey, Erin David<br />

Cady ............................. Angourie Rice<br />

Regina ............................. Renée Rapp<br />

Janis ............................. Auli´i Cravalho<br />

Damian .......................... Jaquel Spivey<br />

Karen .................................... Avantika<br />

Gretchen ........................... Bebe Wood<br />

Aaron .................... Christopher Briney<br />

Ms Norbury .......................... Tina Fey<br />

Ansehen und Beliebtheit sind für die meisten<br />

Teenager und jungen Erwachsenen von großer<br />

Wichtigkeit. Nicht zuletzt durch die sozialen Medien<br />

werden das Verhalten und der Status geprägt, oberflächliche<br />

Ansichten und Meinungen inklusive. Bereits<br />

2004 thematisierte Tina Fey – Schauspielerin, Drehbuchautorin<br />

und Produzentin – die High-School-Zeit<br />

mit ihren Klischees im Drehbuch zur Komödie »Mean<br />

Girls«. 2<strong>01</strong>3 entstand aus der Filmidee ein Musical<br />

mit dem Buch von Fey, Lyrics von Nell Benjamin und<br />

Musik von Jeff Richmond. Mit einem abermals überarbeiteten<br />

Drehbuch von Fey bringen Samantha Jayne<br />

und Arturo Perez Jr die Musicalkomödie mit frischem<br />

Wind ab 25. Januar auf die Leinwand.<br />

Der Film beginnt mit einer Warnung von Janis<br />

(Auli’i Cravalho) und Damian (Jaquel Spivey), zwei<br />

Außenseitern der High School, an der sich die sonderbare<br />

Geschichte zweier rivalisierender Mädchen<br />

ereignet hat: ›A Cautionary Tale.‹<br />

Anschließend schwenkt die Kamera nach Kenia,<br />

wo die 16-jährige Cady (Angourie Rice) die letzten<br />

Jahre zusammen mit ihrer Mutter lebte, die dort<br />

ihren wissenschaftlichen Forschungen nachging und<br />

Homeschooling für ihre Tochter betrieb. Cady liebt<br />

ihr Leben in der Natur, und doch fragt sie sich immer,<br />

wie es wäre, woanders zu leben und ein ganz normaler<br />

Teenager zu sein: ›What Ifs‹. Als ihre Mutter in die<br />

USA versetzt wird, hofft Cady, genau jenes typische<br />

Teenagerleben an der North Shore High School zu finden.<br />

Doch der erste Tag stimmt sie wenig euphorisch:<br />

Niemand beachtet sie und wenn doch, dann wenden<br />

sich die Schüler von der Fremden ab. Cady fühlt sich<br />

dermaßen verunsichert, dass sie ihre Pause auf dem<br />

Mädchenklo verbringt, wo Janis und Damian sie aufspüren.<br />

Sie nehmen Cady unter ihre Fittiche.<br />

In der Mensa trifft Cady erstmals auf die selbsterklärte<br />

Schulkönigin Regina George (Renée Rapp),<br />

die nicht nur ihre Freundinnen Karen (Avantika) und<br />

Gretchen (Bebe Wood) im Griff hat, sondern scheinbar<br />

die gesamte Schülerschaft, die sie verehrt und<br />

gleichzeitig fürchtet (›Meet the Plastics‹). Als Cady<br />

von der angesagten Mädchenclique dazu eingeladen<br />

wird, an ihrem Tisch zu sitzen, ist sie erfreut. Trotz der<br />

Warnungen von Janis und Damian, dass Regina eine<br />

intrigante Bitch ist, nimmt Cady die Einladung an.<br />

Der Tag wird noch besser, als Cady im Mathekurs<br />

Aaron (Christopher Briney) kennenlernt und sich auf<br />

den ersten Blick in ihn verliebt: ›Stupid With Love‹.<br />

Als Cady das erste Mal von Regina zu sich nach<br />

Hause eingeladen wird, erfährt sie, dass Aaron deren<br />

Exfreund ist, und wird von Gretchen und Karen<br />

gewarnt, die Finger von ihm zu lassen. In einem<br />

Gespräch mit Gretchen erkennt Cady zudem, dass<br />

Regina selbst ihren angeblichen Freundinnen gegenüber<br />

übergriffig und ignorant ist. Gretchen leidet darunter,<br />

gibt sich aber selbst die Schuld: ›What’s Wrong With<br />

Me?‹. Ein Blick in das »Burn Book«, in dem die Clique<br />

alle Meinungen über ihre Klassenkamerad:innen festhält,<br />

erschreckt Cady und vermittelt ihr einen ersten<br />

Eindruck von Reginas berechnender Natur.<br />

Trotz der Warnungen findet Cady immer mehr<br />

Gefallen an Aaron und nimmt freudig seine Einladung<br />

zur Halloween-Party seines Freundes an. Karen nutzt<br />

die Party, um endlich einmal sein zu dürfen, wie sie<br />

sein will (›Sexy‹), und nicht die, zu der Regina sie stets<br />

macht. Das Zusammensein von Cady und Aaron ist<br />

Regina ein Dorn ins Auge. Sie tut alles dafür, um die<br />

Anziehung zwischen den Beiden im Keim zu ersticken:<br />

›Someone Gets Hurt‹. Sie selbst umschwärmt Aaron,<br />

um ihn zurückzuerobern. Als er tatsächlich auf ihre<br />

Verführung anspringt, wird Cady Zeugin dessen. Verletzt<br />

schließt sie sich Janis und Damian an, die eine<br />

Racheparty planen: ›Revenge Party‹.<br />

Cady dreht den Spieß um und beginnt selbst zu<br />

58<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Filme & Serien<br />

intrigieren. Mit Vortäuschung falscher Tatsachen wickelt<br />

sie Aaron um den Finger, der ihr bereitwillig Nachhilfe<br />

erteilt. Im vertraulichen Gespräch mit Karen und Gretchen<br />

gewinnt sie deren Zuneigung und erfährt dabei das<br />

eine oder andere Geheimnis von Regina, was sie nun auszunutzen<br />

weiß. Sie jubelt Regina, die auf ihre Figur achtet,<br />

Proteinriegel unter, deren Kaloriengehalt es in sich<br />

hat. Als sie zusammen bei der Talentshow als sexy Weihnachtsfrauen<br />

auftreten, kommt es zu einem unschönen<br />

Zwischenfall, durch den Regina zum Gespött der Schule<br />

wird. Cadys Ansehen steigt hingegen auf der Beliebtheitsskala<br />

und sie wird sogar zur Ballkönigin nominiert.<br />

Cady genießt die Aufmerksamkeit der Mitschüler und<br />

merkt dabei nicht, dass sie Regina immer ähnlicher<br />

wird. Erst als sich Aaron, Janis und Damian von ihr<br />

abwenden, erkennt sie ihre negative Veränderung. Dies<br />

nutzt Regina aus, um sich für ihren Fall zu rächen:<br />

›Burn World‹. Die gesamte Schülerschaft gerät zwischen<br />

die Fronten, was Janis nicht länger dulden kann<br />

(›I’d Rather Be Me‹). Mit ihren direkten Worten an die<br />

Schülerschaft kann sie endlich alle wachrütteln und<br />

sie dazu animieren, für sich selbst einzustehen, anstatt<br />

sich von anderen bewerten zu lassen. Cady bemüht<br />

sich, ihre Fehler wiedergutzumachen, und kann am<br />

Ende wirklich Sympathien gewinnen: ›I See Stars‹.<br />

Die Kernbotschaft des Musicals fasst der Song ›Not<br />

My Fault‹, den Regina-Darstellerin Renée Rapp selbst<br />

für den Film geschrieben hat, zusammen: Beliebtheit<br />

entsteht nicht durch echte Sympathien, sondern meist<br />

durch oberflächliche Belanglosigkeiten, die nicht hinterfragt<br />

werden.<br />

Der Großteil der Stücke, die Richmond und Benjamin<br />

bereits für das Broadway-Stück geschrieben<br />

und komponiert hatten, wurde komplett für die Leinwandadaption<br />

überarbeitet. Zudem wurden die beiden<br />

neuen Titel ›What Ifs‹ und ›Not My Fault‹ in Zusammenarbeit<br />

mit Reneé Rapp geschrieben. Mit Hilfe der<br />

Songs können die High-School-Mädchen ihre großen<br />

Gefühle entdecken und zugleich die Zuschauer in eine<br />

Fantasiewelt entführen. Choreograph Kyle Hamagami,<br />

der mit Musikgrößen wie Jennifer Lopez und<br />

Justin Bieber arbeitet, hat für die Plastics und ihre<br />

untergebenen Mitschüler einen Mix aus Tanzmoves<br />

zu poppigen Nummern, die an »High School Musical«<br />

erinnern, und nahezu ekstatischen Bewegungen kreiert,<br />

um jedem Charakter ein eigenes Bewegungsvokabular<br />

zu verleihen. Mit seinen ikonischen Dancemoves<br />

orientierte er sich an der Zielgruppe und den TikTok-<br />

Trends, in denen Tanzmomente mit vielen Menschen<br />

zum Hit werden.<br />

Mit der musicalischen Leinwandadaption von<br />

»Mean Girls: Der Girls Glub« reisen wir zurück in die<br />

Zeit als Teenager und erleben die Strukturen der High<br />

School, dominiert von der Beliebtheitsskala hin zur<br />

Rangordnung der Coolness. Unterhaltsam, erschreckend<br />

und mit einem Sound, der zum Mitwippen<br />

einlädt.<br />

Sandy Kolbuch<br />

Abb. unten von links oben:<br />

1. Die Plastics: Gretchen (Bebe<br />

Wood, hinten), Regina (Renée Rapp,<br />

Mitte) und Karen (Avantika)<br />

2. (v.l.) Karen (Avantika), Cady<br />

(Angourie Rice), Regina (Renée Rapp)<br />

und Gretchen (Bebe Wood) bei ihrem<br />

Auftritt bei der Talentshow<br />

3. Auf der Halloween-Party macht<br />

Regina (Renée Rapp) Aaron<br />

(Christopher Briney) schöne Augen<br />

4. Regina (Renée Rapp) ist die<br />

umschwärmte Königin der Schule:<br />

›Burn World‹<br />

Fotos (4): Paramount Pictures<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

59


Filme & Serien<br />

Finde deine Bestimmung<br />

»Wonka« seit dem 7. Dezember im Kino<br />

Abb. oben:<br />

Willy Wonka (Timothée Chalamet)<br />

hat den nächtlichen Schokoladendieb<br />

gefangen: Ein Oompa-Loompa<br />

(Hugh Grant)<br />

Foto: Warner Bros. Entertainment Inc.<br />

Wonka<br />

Warner Bros.<br />

USA 2023<br />

Kinostart: 7. Dezember 2023<br />

FSK 0<br />

Länge: 116 min<br />

Regie & Idee ........................ Paul King<br />

Drehbuch ........................ Paul King &<br />

Simon Farnaby<br />

Entwicklung der Charaktere .................<br />

Roald Dahl<br />

Kamera ................ Chung-hoon Chung<br />

Filmschnitt .................... Mark Everson<br />

Score ................................ Joby Talbot<br />

Songs ............................. Neil Hannon<br />

Music Supervision ...... James A. Taylor<br />

Choreographie ..... Christopher Gattelli<br />

Produktionsdesign .... Nathan Crowley<br />

Kostüme ..................... Lindy Hemming<br />

Hair & Make-up .......... Ivana Primorac<br />

Sounddesign ........... Glenn Freemantle<br />

Produktion ................. David Heyman,<br />

Alexandra Derbyshire,<br />

Luke Kelly<br />

Willy Wonka ........ Timothée Chalamet<br />

junger Willy Wonka ...... Colin O’Brien<br />

Bleacher ............................ Tom Davis<br />

Mrs Scrubitt ................. Olivia Colman<br />

Noodle ............................. Calah Lane<br />

Prodnose ........................... Matt Lucas<br />

Slugworth .................. Paterson Joseph<br />

Fickelgruber ............. Mathew Baynton<br />

Miss Bon Bon .................. Freya Parker<br />

Polizeichef ......... Keegan-Michael Key<br />

Abacus Crunch ................... Jim Carter<br />

Lottie Bell .................. Rakhee Thakrar<br />

Larry Chucklesworth ...... Rich Fulcher<br />

Willys Mutter ................ Sally Hawkins<br />

Oompa-Loompa .............. Hugh Grant<br />

Schon zweimal wurde die Geschichte von »Charlie<br />

und die Schokoladenfabrik«, welche auf dem<br />

Buch von Roald Dahl aus dem Jahr 1964 basiert,<br />

verfilmt: Mel Stuart brachte 1971 den Film mit Musik<br />

von Anthony Newley und Leslie Bricusse heraus. 2005<br />

adaptierte Tim Burton die Handlung mit Johnny<br />

Depp als Willy Wonka. Seit dem 7. Dezember kann<br />

man mit »Wonka« das Prequel im Kino erleben.<br />

Bereits als Kind entdeckte Willy Wonka (Colin<br />

O’ Brien) die Leidenschaft für und den Genuss von<br />

Schokolade, die ihm seine liebende Mutter (Sally<br />

Hawkins) zubereitete. Nach ihrem Tod verfolgte<br />

Wonka (jetzt gespielt von Timothée Chalamet) den<br />

einst gemeinsamen Traum, Schokolade zu fertigen und<br />

zu verkaufen, weiter. Nach Jahren auf See kehrt er dem<br />

Schiff, das über die Jahre sein Zuhause war, und dem<br />

Job als Koch den Rücken. Mit großen Visionen eines<br />

eigenen Ladens (›A Hatful of Dreams‹) geht Wonka in<br />

London an Land. In den Galleries Gourmet betrachtet<br />

er die Auslagen und entdeckt einen leerstehenden<br />

Laden, der seine Träume beflügelt. Doch die ansässige<br />

Polizei vertreibt ihn. Schneller als geahnt hat Wonka<br />

seine wenigen Geldstücke ausgegeben und ihm droht<br />

eine Nacht auf der kalten Straße. Doch ein freundlicher<br />

Fremder namens Bleacher (Tom Davis) nimmt<br />

sich seiner an. Er bringt ihn zu Mrs Scrubitt (Olivia<br />

Colman), die ihn nach Unterzeichnung eines Vertrags<br />

die erste Nacht umsonst in ihrer Pension übernachten<br />

lassen will. Obwohl ihn das im Haus lebende Waisenmädchen<br />

Noodle (Calah Lane) zu warnen versucht,<br />

ist Wonka zuversichtlich, dass er den Vertrag erfüllen<br />

kann und unterzeichnet, ohne das Kleingedruckte zu<br />

lesen.<br />

Am nächsten Morgen macht sich Wonka auf den<br />

Weg in die Galleries Gourmet, um der dort flanierenden<br />

Kundschaft seine Schokolade zu präsentieren:<br />

›You’ve Never Had Chocolate Like This‹. Die<br />

potenziellen Kunden kommen herbei und bestaunen<br />

seine Kreationen und genießen die ihnen angebotenen<br />

Probehäppchen. Das zieht auch die drei ansässigen<br />

Schokoladenfabrikanten Slugworth (Paterson Joseph),<br />

Prodnose (Matt Lucas) und Fickelgruber (Mathew<br />

Baynton) an, die sofort einen Konkurrenten in Wonka<br />

erkennen und ihn vom Polizeichef (Keegan-Michael<br />

Key) entfernen lassen. Ohne einen Taler Verdienst<br />

kehrt Wonka in die Pension zurück, wo er nun das<br />

Ausmaß des Vertrags zu spüren bekommt. Er wird in<br />

die Wäscherei im Keller verbannt, wo er seine Schulden<br />

für penibel aufgelistete Posten – wie etwa die<br />

Nutzung der Treppe – abarbeiten muss. Im Keller trifft<br />

er erneut auf Noodle, die ihm ihre Geschichte erzählt.<br />

Aber auch Miss Bon Bon (Freya Parker), Larry Chucklesworth<br />

(Rich Fulcher), Abacus Crunch (Jim Carter)<br />

und Lotti Bell (Rakhee Thakrar) wurden Opfer des<br />

Betrüger-Duos und arbeiten seit langer Zeit ihre Schulden<br />

ab: ›Scrub Scrub‹.<br />

Von seinen neuen Freunden erfährt Wonka, dass<br />

schon viele versucht haben, Schokolade zu verkaufen,<br />

aber von dem Kartell sofort in ihre Schranken<br />

gewiesen wurden und kurz darauf wie vom Erdboden<br />

verschwanden. Während er ihr seine Lebensgeschichte<br />

erzählt, kreiert Wonka für Noodle, die noch nie in<br />

ihrem Leben Schokolade probiert hat, eine Praline.<br />

Gemeinsam ersinnen sie einen Plan, wie Wonka die<br />

Wäscherei heimlich verlassen kann, um seine Schokolade<br />

zu verkaufen und mit dem Verdienst seine und<br />

Noodles Schulden zu begleichen. Zur gleichen Zeit<br />

trifft sich das Schokoladen-Kartell heimlich unter der<br />

Kirche, um den Polizeichef zu bestechen. Wenn es ihm<br />

gelingt, Wonka aus der Stadt zu vertreiben, wird er mit<br />

lebenslangen Schokoladevorräten versorgt. Er wehrt<br />

sich zunächst gegen die Bestechung, doch sein ›Sweet<br />

Tooth‹ verlangt nach der süßen Sünde.<br />

Am nächsten Morgen setzen Wonka und Noodle<br />

60<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Filme & Serien<br />

ihren Plan in die Tat um: ›Scrub Scrub‹. Heimlich<br />

bringt das Mädchen ihn, in einem Wäschewagen verborgen,<br />

nach draußen. Während sie die Wäsche ausliefert,<br />

versucht Wonka seine Schokolade auf der Straße<br />

zu verkaufen, bis er mit Noodle zurückkehrt. Um den<br />

Verkauf profitabler zu machen, weiht er die Freunde<br />

ein. Er entwirft eine Waschmaschine, die alleine die<br />

Arbeit verrichtet, während sie sich in der Stadt aufteilen.<br />

Der Plan geht auf.<br />

Um die feinste Schokolade herstellen zu können,<br />

benötigt Wonka spezielle Milch, für die er ein besonderes<br />

Tier melken muss. Noodle führt ihn in den Zoo,<br />

wo sie fündig werden: ›For a Moment‹. Die Geschäfte<br />

laufen immer besser und die Freunde können einen<br />

Gewinn verzeichnen, den sie sinnvoll anzulegen<br />

wissen.<br />

Doch in der kommenden Nacht erscheint ein<br />

Oompa-Loompa (Hugh Grant) von den Schokoladeninseln,<br />

der Wonkas Ernte zweier Kakaobohnen<br />

als Diebstahl wertet und nun diesen Verlust durch<br />

Schokolade, die er ihm nachts stiehlt, wieder eintreiben<br />

will: ›Oompa-Loompa‹. Wonka fängt das kleine<br />

Männlein und schließt mit ihm einen Deal, um seine<br />

Schulden zu begleichen.<br />

Die Freunde verwenden ihren Gewinn, um einen<br />

leerstehenden Laden zu renovieren und für eine<br />

Woche zu öffnen, um auf legale Weise Schokolade zu<br />

verkaufen: ›Pure Imagination‹. Das wahr gewordene<br />

Schlaraffenland lockt die Kunden in Scharen an und<br />

die Kasse klingelt. Als jedoch mehrere Kunden nach<br />

dem Verzehr der Schokolade über Unwohlsein klagen,<br />

stoppt Wonka den Verkauf. Das Sortiment wurde<br />

manipuliert, was das Schokoladen-Kartell freut. In<br />

einem Gespräch mit Wonka bieten sie ihm einen<br />

Ausweg aus der Misere an: Verlässt er die Stadt und<br />

verkauft keine Schokolade mehr, wird es für ihn keine<br />

Konsequenzen geben und die Schulden seiner Freunde<br />

werden beglichen. Wonka lässt sich darauf ein, um<br />

Noodle zu schützen, und verlässt schweren Herzens<br />

London: ›Sorry Noodle‹. Als ihm auf dem Schiff<br />

erneut der Oompa-Loompa begegnet, besinnt sich<br />

Wonka eines besseren und kehrt zurück. Gemeinsam<br />

mit seinen Freunden ersinnt er einen neuen Plan, um<br />

die dunklen Machenschaften des Kartells aufzudecken<br />

und ihnen das Handwerk zu legen. Endlich frei, ihren<br />

eigenen Weg zu gehen, widmen sich Wonka und seine<br />

Freunde ihrem nun florierenden Geschäft: ›A World of<br />

Your Own‹.<br />

Paul King, Autor und Regisseur der »Paddington«-<br />

Filme, erzählt die Vorgeschichte des unglaublichen<br />

Erfinders der Schokoladenfabrik Wonka als einen<br />

Mix aus Magie und Musik, Chaos und Emotionen.<br />

In schillernden Farben, mit traumhaften Tanzszenen<br />

und einem mitreißenden Soundtrack verschmelzen<br />

Fantasie und Realität zu einem märchenähnlichen<br />

Gesamtbild. Das Drehbuch von Simon Farnaby (»Paddington<br />

2«) und Paul King basiert auf den Figuren von<br />

Roald Dahl, liefert jedoch eine völlig neue Geschichte,<br />

die vor den Ereignissen aus »Charlie und die Schokoladenfabrik«<br />

spielt. Der Zuschauer lernt mit Willy<br />

Wonka einen jungen Mann kennen, der als Kind die<br />

Liebe zur Schokolade durch seine Mutter erfuhr, und<br />

diese Liebe verbindet ihn nach deren Tod noch weiter<br />

mit ihr. Liebe und Zuneigung, Freundschaft und<br />

Vertrauen sind die großen Themen des Films. So wie<br />

Wonka hat auch Noodle scheinbar niemanden mehr<br />

auf der Welt. Doch sie umgibt ein Geheimnis, das<br />

Wonka lösen kann, sodass es für das augenscheinliche<br />

Abb. unten von links oben:<br />

1. Mrs Scrubitt (Olivia Colman)<br />

versichert Willy Wonka (Timothée<br />

Chalamet), dass der Vertrag in<br />

Ordnung ist<br />

2. (v.l.): Fickelgruber (Mathew<br />

Baynton), Prodnose (Matt Lucas) und<br />

Slugworth (Paterson Joseph) wollen<br />

den Polizeichef (Keegan-Michael Key,<br />

vorne Mitte) bestechen: ›Sweet Tooth‹<br />

3. (v.l.): Abacus Crunch (Jim Carter),<br />

Piper (Natasha Rothwell), Larry<br />

Chucklesworth (Rich Fulcher) und<br />

Lottie Bell (Rakhee Thakrar) wurden<br />

ebenfalls übers Ohr gehauen<br />

Fotos (3): Warner Bros. Entertainment Inc.<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

61


Filme & Serien<br />

Abb. unten von links oben:<br />

1. Willy Wonka (Timothée Chalamet)<br />

träumt vom Erfolg: ›You’ve Never<br />

Had Chocolate Like This‹<br />

2. Noodle (Calah Lane) und Willy<br />

Wonka (Timothée Chalamet) verbindet<br />

Freundschaft: ›For a Moment‹<br />

3. Mrs Scrubitt (Olivia Colman) freut<br />

sich über den neuen Hausgast<br />

4. Willy Wonka (Timothée Chalamet)<br />

hat große Visionen<br />

5. Willy Wonka (Timothée Chalamet)<br />

eröffnet seinen Laden: ›Pure<br />

Imagination‹<br />

6. (vorne v.l.): Willy Wonka<br />

(Timothée Chalamet) bietet Fickelgruber<br />

(Mathew Baynton), Slugworth<br />

(Paterson Joseph) und Prodnose<br />

(Matt Lucas) seine Schokolade zum<br />

Probieren an<br />

Fotos (6): Warner Bros. Entertainment Inc.<br />

Waisenmädchen am Ende ein Happy End gibt, welches<br />

sich auch für Wonka durch die Erfüllung seines<br />

Traums einstellt.<br />

Die zauberhaften, verträumten Kulissen erwecken<br />

den Anschein eines historisch anmutenden<br />

Londons, das mit viktorianischen Bauten und<br />

Straßenzügen und unterirdischen Tunnelsystemen<br />

ebenso in seinen Bann zieht wie die heimelige<br />

Waschküche im Keller der Pension oder deren karge<br />

Zimmer, die Produktionsdesigner Nathan Crowley<br />

(»Tenet«) verantwortet. Die Kostüme von Kostümbildnerin<br />

Lindy Hemming (die »Paddington«-Filme)<br />

spiegeln ebenso die Handlungszeit um 1940 wieder.<br />

Allen voran Willy Wonka in seinem abgewetzten<br />

lila Mantel, den durchlöcherten Schuhen und dem<br />

zerschlissenen Zylinder wirkt wie eine Stilikone. Die<br />

schillernden Anzüge des Kartells und die schmucken<br />

Uniformen der Polizei bilden einen Kontrast zur<br />

abgetragenen Kleidung des Betrüger-Duos, welches<br />

in gedeckten Erdtönen nahezu unscheinbar wirkt<br />

und dadurch bewusst den Blick nicht auf sie lenkt.<br />

Getragen wird die Handlung von der Musik.<br />

Neil Hannon von der Band »The Divine Comedy«<br />

steuerte Originalsongs für den Film bei: ›A Hatful of<br />

Dreams‹, ›You’ve Never Had Chocolate Like This‹,<br />

›Scrub Scrub‹, ›Sweet Tooth‹, ›For a Moment‹ und<br />

›A World of Your Own‹. Lediglich den Song ›Pure<br />

Imagination‹, der für die Filmfassung von 1971 von<br />

Leslie Bricusse & Anthony Newley geschrieben und<br />

von Gene Wilder gesungen wurde, arrangierte Hannon<br />

für den Film neu. Die Songs erzählen mit ihren<br />

ikonischen Texten die Handlung in der Gegenwart<br />

des Films, schließen auch die Vergangenheit der<br />

Figuren mit ein und werfen einen Blick auf ihre<br />

Zukunft. Komponist Joby Talbot, Music Supervisor<br />

James A. Taylor und Musikproduzent Charlie Rosen<br />

haben mit Piano, Akkordeon, Banjo und Dulcimer<br />

einen klangvollen Raum im Stil der 1940er Jahre<br />

geschaffen, in den die Handlung eingebettet ist.<br />

Gefühlvoll, melancholisch, euphorisch, aber auch<br />

trotz aller Aussichtslosigkeit hoffnungsvoll erleben<br />

die Zuschauer ein Meisterwerk der Fantasie, das die<br />

Höhen und Tiefen des Lebens durch eine märchenhafte<br />

Brille bestaunt. »Glaube an deine Träume und<br />

kämpfe für deren Umsetzung« sind die Kernaussagen<br />

des Films, der die ganze Familie zu begeistern<br />

vermag.<br />

Sandy Kolbuch<br />

62<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Filme & Serien<br />

Musicalische Einblicke in das<br />

Leben einer Echse<br />

»Leo« auf Netflix<br />

Die Zeit rinnt dahin und schneller, als man denkt, sind<br />

Tage, Monate und sogar Jahre vorbei. Plötzlich erkennt<br />

man, was man verpasst hat, lernt aber auch zu schätzen, was<br />

man besitzt. Diese melancholische und zugleich erleuchtende<br />

Erkenntnis gewinnt die Echse namens Leo in dem gleichnamigen<br />

Netflix-Animationsfilm, der seit dem 21. November bei<br />

dem Streamingdienst zu erleben ist.<br />

Voller Vorfreude, aber auch mit Sorgen bereiten sich die<br />

Schüler der 5. Klasse auf ihr letztes Schuljahr an der Grundschule<br />

vor: ›Last Year.‹<br />

Auch die Klassentiere – Leo, die Echse, und Squirtle,<br />

die Schildkröte – blicken dem kommenden Schuljahr mit<br />

gemischten Gefühlen entgegen. Vor allem der 74-jährige<br />

Leo, der seit dem Jahr 1949 im gleichen Terrarium im immer<br />

gleichen Klassenzimmer lebt, beginnt über sein Dasein<br />

nachzudenken. Mit dem Wissen, seinem Lebensende näherzukommen,<br />

wünscht er sich, noch etwas zu erleben: ›Lizard’s<br />

Lament.‹<br />

Als die Klassenlehrerin Mrs Salinas ausfällt, übernimmt<br />

Ms Malkin als Vertretungslehrerin ihren Unterricht. Ihre<br />

Anordnung, dass die Klassentiere übers Wochenende mit nach<br />

Hause genommen werden müssen, versetzt Leo in Euphorie –<br />

endlich scheint die Chance zur Flucht aus der Gefangenschaft<br />

gekommen zu sein.<br />

In der Obhut von Summer und ihrer Familie wagt Leo<br />

seinen ersten Ausbruchsversuch. Als er von dem Mädchen<br />

ertappt wird und in seiner Verzweiflung mit ihr zu sprechen<br />

beginnt, klagt sie ihm ihr Leid: ›The Talking Song‹. Mit einem<br />

gutgemeinten Rat hilft er Summer dabei, sich ihren Klassenkameradinnen<br />

zu öffnen und sich mit ihnen anzufreunden.<br />

Als Eli, der von seinen Helikopter-Eltern stets überwacht<br />

wird, Leo am kommenden Wochenende mit nach Hause<br />

nimmt, wagt die Echse den nächsten Ausbruchsversuch.<br />

Erneut scheitert er. Er beschwert sich lautstark und wird dabei<br />

von dem Jungen entdeckt, der nun ebenfalls erfährt, dass Leo<br />

sprechen kann. In einem Gespräch mit ihm lernt Eli, wie er<br />

seinen Gefühlen Ausdruck verleihen kann, um endlich die<br />

Drohne, die ihn stets begleitet, loszuwerden: ›Dear Drone‹.<br />

Da sowohl Summer als auch Eli sich erneut um die Pflege<br />

Leos streiten, bietet Jayda an, ihn mitzunehmen. Schnell findet<br />

auch sie sein Geheimnis heraus. Dass Jayda stets phänomenal<br />

sein muss, um den Erwartungen ihrer Eltern gerecht<br />

zu werden, setzt sie unter Druck, was sie erst im Gespräch mit<br />

Leo erkennt: ›Extra Time (Not That Great)‹. Kurzerhand lädt<br />

sie alle Klassenkameraden zu einer Party ein und entdeckt<br />

Gemeinsamkeiten mit ihren Altersgenossen. Gemeinsam<br />

befreien die Kinder die Tiere des engagierten Zirkus’. Auch<br />

Leo ist seinem Ziel so nahe, doch fällt es ihm plötzlich schwer,<br />

die Kinder alleine zu lassen. Während sich die Kinder um Leo<br />

reißen, bleibt die Schildkröte unbeachtet, was Neid aufkommen<br />

lässt.<br />

Auch Mia, die den Verlust ihres Großvaters nur schwer<br />

verkraften kann, kann durch Leo Trost erfahren: ›Don’t Cry‹.<br />

Jedes Kind fühlt sich besonders, weil es mit Leo sprechen<br />

konnte. Doch als sie herausfinden, dass Leo mit ihnen allen<br />

gesprochen und sie alle gleichermaßen behandelt hat, werden<br />

sie sauer. Um einem Streit vorzubeugen, nimmt Ms Malkin<br />

Leo mit zu sich. Gemeinsam erinnern sie sich an die Zeit, als<br />

die Lehrerin selbst noch Schülerin war: ›Happy‹. Ms Malkin<br />

will die Kinder und Leo versöhnen, doch als die Kinder den<br />

Schulwettbewerb gewinnen, heimst sie das Lob der Schulleitung<br />

ein und entledigt sich der Echse in einem Naturpark. Die<br />

Kinder machen sich auf die Suche nach ihrem Klassentier, das<br />

sie nicht mehr missen wollen: ›When I Was Ten‹.<br />

In Zusammenarbeit mit Schauspieler und Comedian<br />

Adam Sandler entstand das Drehbuch zum Animationsfilm.<br />

Sandler, der im Original zusammen mit seiner Familie den<br />

Figuren seine Stimme leiht, setzte sich früh dafür ein, dass<br />

Musik eine große Rolle spielen sollte. Peppige Songs in<br />

unterschiedlichen Stilrichtungen aus der Feder von Robert<br />

Smigel, in Zusammenarbeit mit Produzent Dan Reitz und<br />

Songwriterin Tiffany Topol, verleihen der Story unterhaltsame<br />

Momente.<br />

»Leo« bringt die wichtigen Aspekte des Lebens auf den<br />

Punkt, untermalt mit stimmigen Songs, die trotz des leicht<br />

belehrenden Charakters gut unterhalten.<br />

Sandy Kolbuch<br />

Abb. oben:<br />

Summer ist überrascht, dass Leo<br />

sprechen kann<br />

Foto: 2023 Netflix<br />

Leo<br />

Netflix<br />

USA 2023<br />

Kinostart: 21. November 2023<br />

FSK 0<br />

Länge: 102 Minuten<br />

Regie ..................... Robert Marianetti,<br />

Robert Smigel,<br />

David Wachtenheim<br />

Drehbuch .................... Robert Smigel,<br />

Adam Sandler,<br />

Paul Sado<br />

Musik ................ Geoff Zanelli (Score),<br />

Robert Smigel (Song)<br />

Production Design ...... Simon Rodgers<br />

Produktion ....................Adam Sandler,<br />

Mireille Soria<br />

Leo ....... Adam Sandler/ Stefan Gossler<br />

Squirtle ..... Bill Burr / Bernd Vollbrecht<br />

Ms. Malkin ................... Cecily Strong /<br />

Denis Gorzelanny<br />

Jayda ............................ Sadie Sandler /<br />

Magdalena Montasser<br />

Summer ..................... Sunny Sandler /<br />

Valentina Bonalana<br />

Eli ......... Roey Smigel / Toni Wegewitz<br />

Mia ............... Reese Lores / Nele Zech<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

63


Abgeschminkt<br />

Es ist für mich keine Belastung, sondern<br />

eine Bereicherung<br />

Barbara Obermeier über ihr Engagement im Verein nestwärme Österreich<br />

auseinandergesetzt habe, hat mich die Frage<br />

meines mittlerweile sehr guten Freundes und<br />

Vertrauten Stefan Konrad sehr gerührt, ob ich<br />

den Verein mit ihm in Österreich leiten und<br />

aufbauen möchte.<br />

Seit Juni 2020 freue ich mich sehr über das mir<br />

gegebene Vertrauen, Vizepräsidentin und im<br />

Vorstand des Vereins zu sein und gemeinsam<br />

mit Stefan Konrad, unserem Präsidenten und<br />

Vorstand, viele schöne Projekte zu realisieren.<br />

<strong>blimu</strong>: Erklären Sie uns kurz, was genau der<br />

Verein eigentlich macht und unterstützt.<br />

Barbara Obermeier beim nestwärme Grätzlzeichenkurs<br />

Foto: nestwärme e.V.<br />

blickpunkt musical: Der Verein nestwärme ist<br />

mittlerweile ein länderübergreifender Verein,<br />

er ist in Deutschland, Luxemburg, der Schweiz<br />

und auch Dank Ihnen in Österreich vertreten.<br />

Wie kam es damals zu der Zusammenarbeit?<br />

Barbara Obermeier: In der Vergangenheit hatte<br />

ich bereits mehrere Charity-Konzerte mit Freunden<br />

und Kollegen organisiert, zum Beispiel für<br />

den Verein Ute Bock mit dem damaligen »Hair«-<br />

Ensemble unserer Produktion aus Amstetten.<br />

Das hatte mich damals sehr erfüllt und ich wollte<br />

das gerne wieder machen, verbunden mit dem<br />

Hintergrund, generell etwas mehr über soziales<br />

Engagement in unserer Gesellschaft zu lernen<br />

und eventuell auch selbst über die Grenzen eines<br />

Charity-Konzertes hinaus unsere Gesellschaft<br />

mitzugestalten. Einer der damaligen Kollegen<br />

war Stefan Konrad. So kam es, dass ich ihn im<br />

Herbst 2<strong>01</strong>9 zufällig auf der Straße in meinem<br />

Bezirk wiedergetroffen habe, da er in die Nachbarschaft<br />

gezogen war. Bei einer Melange hat<br />

er mir erzählt, dass er gerne wieder ein Konzert<br />

organisieren möchte, in diesem Fall für den<br />

Verein nestwärme. Ein mir damals noch unbekannter<br />

Begriff, aber seine Erzählungen über<br />

den Verein und dessen Wirken haben mich doch<br />

sehr beeindruckt und bewegt. Ein paar Wochen<br />

später waren wir bereits mitten in den Vorbereitungen<br />

für das Gründungs-Charity-Konzert, in<br />

der Anker Brotfabrik, des ersten österreichischen<br />

Standortes des Vereins nestwärme Österreich.<br />

Nachdem ich das Wirken des Vereins, dessen<br />

Geschichte in Deutschland und die Gründerinnen<br />

Petra Moske und Elisabeth Schuh immer<br />

intensiver kennengelernt und mich damit<br />

BO: Der Verein nestwärme Österreich nimmt<br />

sich jener Menschen an, die in und durch Krisensituationen<br />

im gesellschaftlichen Abseits<br />

stehen. Dabei sind es vor allem Alleinerziehende<br />

sowie Familien mit behinderten, chronisch<br />

kranken und schwerkranken Kindern,<br />

die unterstützt werden. Auf diese Weise wollen<br />

wir Gemeinschaft, Selbstwirksamkeit, Teilhabe<br />

und Herzensbildung fördern. Wichtig für uns<br />

ist, dass jeder Mensch in unserer Gesellschaft<br />

einen Platz hat und inkludiert wird. Gerade<br />

durch Corona haben wir alle erfahren, was<br />

Isolation für schreckliche Auswirkungen haben<br />

kann, Scham und Angst sind gerade bei unseren<br />

betreuten Familiensystemen ein großes<br />

Thema. Wir versuchen, durch unsere verschiedenen<br />

Projekte einen Ort des Austausches und<br />

der Gemeinschaft zu schaffen. Durch unsere<br />

Sonnenkinder-Camps zum Beispiel bietet<br />

nestwärme Österreich gemeinsam mit unseren<br />

Kooperationspartnern eine kostenfreie Kinderbetreuung<br />

an, in der Kinder österreichweit<br />

in anregender und liebevoller Umgebung gut<br />

versorgt, gut verköstigt und vor allem auch gut<br />

unterhalten werden! Wir möchten Familien in<br />

harten Zeiten landesweit unter die Arme greifen<br />

und deren Kindern eine kostenlose Teilnahme<br />

an den Camps ermöglichen. Kulturvergnügen<br />

ist in Tagen rund um Inflation und die Nachwehen<br />

der Corona-Zeit bedauerlicherweise<br />

für viele Menschen in Österreich ebenfalls<br />

keine Selbstverständlichkeit mehr. Obgleich<br />

der Anspruch auf Kultur, Spiel und Kunst als<br />

eigenständiges Recht im Kanon der UNICEF-<br />

Kinderrechte verankert ist, mangelt es an<br />

Möglichkeiten kostenloser Kulturangebote.<br />

Besonders trifft dies unsere betreuten Familien,<br />

die durch Krisensituationen sowieso im gesellschaftlichen<br />

Abseits stehen. Die Theatertanten<br />

sind eine Aktion unseres Vereins, die es Familien<br />

mit kranken, schwerkranken und behinderten<br />

Kindern/Angehörigen, Familien in finanzieller<br />

Not sowie Alleinerziehenden möglich<br />

64<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Abgeschminkt<br />

Bedürfnisse jedes Einzelnen ständig miteinander<br />

interagieren.<br />

Eine Kultur-Aktion für Familien<br />

<strong>blimu</strong>: Sie sind ja nicht nur einfach »helfende<br />

Hand«, sondern tatsächlich auch im Vorstand –<br />

und das alles neben den vielen Engagements auf<br />

der Bühne. Was an der Arbeit erfüllt Sie so sehr,<br />

dass es all den Stress, der durch die Doppelbelastung<br />

entsteht, wert ist?<br />

Kostenfreies Theatervergnügen für<br />

Kinder und deren Angehörige in Österreich<br />

Termine und Infos unter:<br />

www.nestwaerme-oesterreich.at<br />

macht, gemeinsam einen Theaterbesuch zu<br />

erleben – und das kostenlos! Parallel bieten wir<br />

Resilienz-Kurse und Workshops an, bei denen<br />

ein besonderes Augenmerk auf die Förderung<br />

der Selbstfürsorge unserer Teilnehmer:innen<br />

gelegt wird.<br />

Gut für sich selbst zu sorgen ist ein wichtiges<br />

Thema der Resilienz. Nur wenn wir ein<br />

Bewusstsein für unsere eigenen Bedürfnisse entwickeln,<br />

sind wir in der Lage, auch ein Verständnis<br />

für die Bedürfnisse von anderen Menschen<br />

zu entwickeln – und das ist wichtig, weil die<br />

BO: Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist, dass<br />

es für mich keine Belastung ist, sondern eine<br />

Bereicherung und ein Privileg. Natürlich gehört<br />

dazu an erster Stelle ein großartiges Team.<br />

Rund um Stefan Konrad und mich sind das<br />

Magdalena Hartl, Suzana Galic, Irene Hruska,<br />

Gernot Ottowitz sowie das nestwärme-Team aus<br />

Deutschland, die die gleichen Ziele verfolgen.<br />

Dadurch lässt sich meine Arbeit auf der Bühne<br />

und die Vereinsarbeit gut vereinbaren. Ich bin<br />

sehr dankbar und glücklich, dass uns dieses Vertrauen<br />

entgegengebracht wird und unser Verein<br />

in Österreich auch durch mein Darstellerinnen-<br />

Leben Sichtbarkeit erhält.<br />

Wir befinden uns gerade in der Planung für<br />

das Jahr 20<strong>24</strong> und ich freue mich sehr auf alle<br />

neuen Herausforderungen und Begegnungen.<br />

Ich persönlich empfinde es nicht als selbstverständlich,<br />

in einem Land zu leben, in dem zum<br />

Beispiel kein Krieg herrscht oder ich gesund<br />

und im Wohlstand leben darf. Die Möglichkeit,<br />

mein Umfeld mitzugestalten und gegebenenfalls<br />

etwas zu verbessern und ebenfalls auf<br />

Missstände aufmerksam zu machen, sind für<br />

mich Grundbausteine eines solidarischen und<br />

inklusiven Miteinanders. Ich lerne jeden Tag<br />

neue Dinge, sei es im administrativen Bereich,<br />

der Organisation gemeinsam mit unserem Team<br />

nestwärme Grätzlzeichenkurs<br />

Foto: nestwärme e.V.<br />

und natürlich auch mit den vielen Menschen,<br />

die ich ohne nestwärme nie kennengelernt hätte.<br />

Manchmal sind die Tage stressig, aber gerade<br />

durch die vielen Vernetzungen im Theaterleben<br />

öffnen sich so viele Türen, es gibt viele helfende<br />

Künstlerhände und Kooperationen, die die<br />

Arbeit im Verein erleichtern. Das ist für mich<br />

ein ganz großes Plus in der Vereinsarbeit.<br />

<strong>blimu</strong>: Können Sie sich erinnern, was in all den<br />

Jahren der berührendste Moment in Ihrer Tätigkeit<br />

war?<br />

BO: Es gab so viele Momente, die sehr<br />

berührend waren. Wir werden mit vielen<br />

Schicksalen konfrontiert, angefangen bei den<br />

nestwärme Grätzlzeichenkurs<br />

Foto: nestwärme e.V.<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong> 65


Abgeschminkt<br />

Stefan Konrad, Magdalena Hartl, Felix Martin,<br />

Barbara Obermeier bei der Klimmzug-Aktion<br />

Foto: nestwärme e.V.<br />

Sonnenkinder-Camps, einem Vater zum Beispiel,<br />

der seine Frau bei einem Autounfall verloren hat<br />

und mit seiner Tochter den Kontakt zu unserem<br />

Verein gesucht hat. Wir freuen uns, seitdem mit<br />

ihm bei unseren Aktionen im stetigen Austausch<br />

zu sein, er hilft uns immer bei anstehenden Aktionen,<br />

genauso wie eine Kollegin, die selbst einen<br />

schweren gesundheitlichen Schicksalsschlag<br />

erlitten hat, und auch sie kämpft sich beeindruckend<br />

ins Leben zurück und freut sich über jeden<br />

Moment in der nestwärme-Gemeinschaft. Es sind<br />

die kleinen Momente, die mich zutiefst berühren,<br />

die Gespräche mit einer älteren Frau zum Beispiel,<br />

die bei einem unserer Grätzlzeichenkurse<br />

vorbeiging und sofort von zuhause noch Papier<br />

und Stifte geholt hat, um sich zu uns zu setzen.<br />

Sie erzählte über ihre Einsamkeit im Alltag und<br />

wie schön für sie das gemeinsame Sitzen und<br />

Zeichnen sei. Ein kleines Wort und ein offenes<br />

Ohr können so viel bewirken, umso mehr schätze<br />

ich die große Unterstützung und Präsenz unserer<br />

vielen Musical-Kolleg:innen, die uns immer tatkräftig<br />

bei nestwärme Österreich unterstützen.<br />

Die vielen Stunden des gemeinsamen Gestaltens,<br />

Umsetzens und Erlebens sind für uns ganz<br />

besondere Momente.<br />

<strong>blimu</strong>: Wie können Ihnen Menschen, die jetzt<br />

darauf aufmerksam geworden sind und unterstützen<br />

möchten, am besten helfen?<br />

BO: Im sozialen Engagement gibt es viele<br />

Wege, um zu helfen. Wir sehen uns mit unseren<br />

Vereinsthemen weniger als Konkurrenzangebot<br />

zu vielen großartigen Vereinen in Österreich,<br />

sondern als Ergänzung.<br />

Häufig kommt es vor, dass Menschen, die<br />

bereits in einem Krankenhaus, Hospiz oder<br />

Verein betreut werden, zusätzlich zu dieser<br />

Einrichtung unsere Angebote annehmen, weil<br />

diese eher unterhaltsamer oder sozialer Natur<br />

sind. Wir freuen uns immer über aktive Mithelfer<br />

bei Aktionen, vor Ort oder auch über ein<br />

Sponsoring oder einer Kooperation bei unseren<br />

Angeboten im Bereich Sonnenkinder-Camps,<br />

Theatertanten oder Fundraising. Diesbezüglich<br />

kann man uns gerne über unsere E-Mail-<br />

Adresse office@nestwaerme.org erreichen.<br />

Da wir ein durch Spenden finanzierter Verein<br />

sind, freuen wir uns über jeden Euro, der uns<br />

erreicht. In der Vergangenheit wurde unser Verein<br />

durch Charity-Konzerte oder verschiedene<br />

Spendensammlungen von einzelnen Theatern,<br />

Ensembles oder auch Fanclubs unterstützt.<br />

Wenn man als Privatperson, Schule, Verein<br />

oder Unternehmen Lust hat, selbst aktiv zu<br />

werden und mit einer Aktion Spenden für<br />

nestwärme sammeln möchte, dann freuen wir<br />

uns sehr über ein Engagement und stehen gerne<br />

beratend zur Seite.<br />

Das Interview führte Sabine Haydn<br />

Barbara Obermeier beim Kultursommer auf der Strudelhofstiege<br />

Foto: nestwärme e.V.<br />

Barbara Obermeier spielt und spielte bereits<br />

zahlreiche Hauptrollen auf allen großen Bühnen<br />

im deutschsprachigen Raum, u. a. Sarah (»Tanz<br />

der Vampire«), Elle Woods (»Natürlich blond«),<br />

Maria Magdalena (»Jesus Christ Superstar«) und<br />

Grizabella (»Cats«), Lisa Carew (»Jekyll & Hyde«)<br />

sowie Éponine / Fantine (»Les Misérables«)<br />

Foto: Klara Leschanz<br />

Informationen nestwärme Österreich unter:<br />

www.nestwaerme-oesterreich.at<br />

Spenden:<br />

Hier können Sie uns finanziell unterstützen:<br />

ERSTE BANK<br />

IBAN: AT<strong>24</strong> 2<strong>01</strong>1 1841 9845 16<strong>01</strong><br />

BIC: GIBAATWWXXX<br />

Kontakt:<br />

So können Sie direkten Kontakt mit uns<br />

aufnehmen:<br />

E-Mail: office@nestwaerme.org<br />

nestwärme Österreich – das InklusionsNetzwerk<br />

für Familien<br />

Mölker Gasse 3/4 – AT-1080 Wien<br />

Tel 0043 660<strong>24</strong>00098<br />

Österreich<br />

VBW-Benefiz-Konzert »Gemeinsam für<br />

Kinder in Not« zu Gunsten von nestwärme<br />

im Januar 2023<br />

Foto: Katharina Schiffl<br />

66<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Großbritannien<br />

Unterwegs mit einem jüdischen Rotkäppchen<br />

»Red Riding Hood and The Big Bad Pig« am JW3 in London<br />

Wolf (Lauren Silver) und Red (Gemma Barnett) in der<br />

klassischen Pantomimeszene, in der sie im Wald dem<br />

Gespenst begegnen<br />

Zur Weihnachtszeit sind die meisten Theater in Großbritannien<br />

bis zum letzten Platz gefüllt, wenn »Pantomimes«,<br />

kurz Panto (siehe <strong>blimu</strong> 06/12), gezeigt werden. Es sind<br />

Familienshows, die klassische Märchen wie »Cinderella« oder<br />

»Schneewittchen« mit Musik, Tanz, Gags und Slapsticknummern<br />

jedes Jahr schwungvoll neu erzählen. Sie haben ihre<br />

Wurzeln in der italienischen Commedia dell’arte mit ihrem<br />

festen Satz Figurentypen. Dies gekreuzt mit einer Varietéshow<br />

der britischen Music Halls im 19. Jahrhundert bildet grob ein<br />

Pantomime. Es ist ein Genre für sich und für Kinder ist es dort<br />

oftmals das erste Theatererlebnis.<br />

Im Kulturzentrum JW3 in London ist nun dieses beliebte<br />

Stück Kultur ins jüdische Milieu eingebettet. Das Ergebnis ist<br />

eine grandiose, clevere und warmherzige Unterhaltung, bei<br />

der man sich wundert, warum nicht früher jemand auf diese<br />

Idee gekommen ist.<br />

Autor und Theatermacher Nick Cassenbaum verfasste<br />

»Red Riding Hood and the Big Bad Pig« (»Rotkäppchen<br />

und das große böse Schwein«). Das Lichterfest Chanukka<br />

steht an, aber die Feierlichkeiten sind wegen der gestiegenen<br />

Energiepreise in Gefahr. Zudem verschwinden auf mysteriöse<br />

Weise jüdische Großmütter. Rotkäppchen, hier Red (Gemma<br />

Barnett), möchte Wissenschaftlerin werden und macht sich<br />

auf die Suche nach Energiequellen, um Chanukka zu retten.<br />

Gleichzeitig sorgt sie sich um ihre Großmutter (Tiago<br />

Fonseca). Reds Mutter Mother Hoodman (Debbie Chazen)<br />

hat sich dagegen mit ihrer eigenen Mutter verkracht, was auch<br />

die Beziehung zu ihrer Tochter strapaziert.<br />

Bezüglich des Verbleibs der Großmütter: Ein Wolf (Lauren<br />

Silver) frisst sie, damit er genug Kraft für seine Puste hat. Diese<br />

liefert er an die Energiemaschine des großen, bösen Schweins<br />

(Josh Glanc), das ihn zum Untertan gemacht hat. Das Schwein<br />

verkauft dann die Energie an die Bewohner der Stadt.<br />

Neben dem Chanukka-Fest durchziehen jüdische Einflüsse<br />

die Show auf mehreren Ebenen. Da sind die Figuren:<br />

die emanzipierte, intelligente Tochter, die umsorgende Mutter<br />

und die patente Großmutter. Amüsant ist natürlich, ein<br />

Schwein als Bösewicht zu haben, da Schweinefleisch in der<br />

jüdischen Religion tabu ist.<br />

Das böse Schwein (Josh Glanc) und Mother Hoodman<br />

(Debbie Chazen) vor der Energiemaschine in<br />

seinem Haus<br />

Besonderen Spaß machen die Szenen mit der Großmutter,<br />

eine drahtige, fitte alte Dame, die den Wolf mit List und<br />

wenigen Handgriffen an den Stuhl fesselt, bevor sie sich auf<br />

den Weg macht, um dem Schwein ebenfalls das Handwerk<br />

zu legen. Die Großmutter von einem Mann spielen zu lassen,<br />

d. h. Geschlechterrollen zu tauschen, gehört fest zum Konzept<br />

eines Pantomimes.<br />

Bezeichnend ist auch die Szene, in der Red ihr Körbchen<br />

packt, um sicher durch den Wald zu kommen und nach ihrer<br />

Oma zu sehen. Eingepackt werden ein Chanukkaleuchter, um<br />

im dunklen Wald Licht zu haben, Latkes, also traditionelle<br />

jiddische Kartoffelpuffer, und etwas »Geld«, das zu Chanukka<br />

in Form von Schokoladentalern verschenkt wird. Alles kommt<br />

zur Nutzung, wobei die Latkes eine besondere Kraft haben.<br />

Eine magische Zutat der Oma lässt Kindheitserinnerungen an<br />

Chanukka wach werden, die fies gesinnten Figuren wieder ein<br />

warmherziges Gemüt verleihen.<br />

Zur gewitzten Handlung kommt die beschwingte Musik.<br />

Sie besteht teils aus live gespieltem flotten Klezmer (musikalische<br />

Leitung Josh Middleton) und teils aus bekannten Songs<br />

(natürlich jüdischer Künstler), denen mitunter neue Texte<br />

verpasst wurden. Ein Highlight ist Barbra Streisands ›Don’t<br />

Rain on My Parade‹, das Red singend hinausposaunt, als sie<br />

ihre Ambitionen als angehende Wissenschaftlerin zum Ausdruck<br />

bringt und ihre Mutter ihr einen Dämpfer verpasst, da<br />

sie als jüdische Mama ihre Tochter lieber mit einem Arzt oder<br />

Anwalt verheiratet sähe. Einen speziellen jüdischen Touch liefern<br />

der jiddische Klassiker ›Chiribim Chiribom‹ von 1965 der<br />

»The Barry Sisters« sowie traditionelle Chanukkalieder.<br />

Abi Andersons Inszenierung mit einer erstklassigen<br />

Besetzung bietet eine hervorragende Show, inklusive<br />

Lucie Pankhursts Choreographie und Becky-Dee Trevenens<br />

Ausstattung, die den typischen Panto-Stil mit einer<br />

Mischung aus Improvisation und Glamour aufgreift. Man<br />

ist schon gespannt aufs nächste Jahr und wünscht sich,<br />

dass das jüdische Pantomime nun auch zur Tradition wird.<br />

Sabine Schereck<br />

Red (Gemma Barnett) im Wald auf<br />

dem Weg zu ihrer Großmutter<br />

Fotos (3): Jane Hobson<br />

Red Riding Hood and<br />

The Big Bad Pig<br />

Diverse / Josh Middleton /<br />

Nick Cassenbaum<br />

Plotnek Productions<br />

JW3 London<br />

Uraufführung: 10. Dezember 2023<br />

Direction ....................... Abi Anderson<br />

Musical Direction ....... Josh Middleton<br />

Choreographie ........... Lucie Pankhurst<br />

Design ................ Becky-Dee Trevenen<br />

Red ................................ Gemma Barnett<br />

Mother Hoodman .......... Debbie Chazen<br />

Pig ......................................... Josh Glanc<br />

Wolf ................................... Lauren Silver<br />

Bubbah ............................. Tiago Fonseca<br />

The Bailiff ........................... Yael Elisheva<br />

Ratticus the Rat Cab Driver .....................<br />

........................................... Tracy Bargate<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

67


Musicals in Großbritannien<br />

Tatsächlich bereit für die Nahaufnahme<br />

»Sunset Boulevard« völlig neu inszeniert in Londons Savoy Theatre<br />

Norma (Nicole Scherzinger, Mitte) als Keil zwischen<br />

der jungen Liebe von Betty (Grace Hodgett<br />

Young, l.) und Joe (Tom Francis, r.)<br />

Foto: Marc Brenner<br />

Sunset Boulevard<br />

Andrew Llyod Webber / Don Black /<br />

Christopher Hampton<br />

Savoy Theatre London<br />

Premiere: 12. Oktober 2023<br />

Direction .......................... Jamie Lloyd<br />

Musical Direction &<br />

Music Supervision ....... .Alan Williams<br />

Choreography ................ Fabian Aloise<br />

Fight Direction ................. Kate Waters<br />

Set & Costume Design .... Soutra Gilmour<br />

Lighting Design .............. Jack Knowles<br />

Video Design .............. Nathan Amzi &<br />

Joe Ransom<br />

Sound Design ................. Adam Fisher<br />

Norma Desmond ... Nicole Scherzinger /<br />

Rachel Tucker<br />

Joe Gillis ............................. Tom Francis<br />

Betty Schaefer ..... Grace Hodgett Young<br />

Max von Mayerling ........ David Thaxton<br />

Lisa .......................... Georgia Bradshaw<br />

Young Norma ........................................<br />

...................... Hannah Yun Chamberlain<br />

Camera Operator ............... Jordan Cork<br />

Camera Operator ... Catherine Cornwall<br />

Sheldrake ............................. Tyler Davis<br />

Dorothy.................... Kamilla Fernandes<br />

Artie ............................. Ahmed Hamad<br />

Myron / Jones ........................... Carl Au<br />

Catherine ....................... Laura Harrison<br />

Joanna / Guard ........ Charlotte Jaconelli<br />

Nancy ..................... Olivia-Faith Kamau<br />

John .............................. Luke Latchman<br />

Mary / Heather ................. Emma Lloyd<br />

Jean ............................... Mireia Mambo<br />

Camera Operator .... Shayna McPherson<br />

Sammy ............................ Gregor Milne<br />

Finance Man / Frank ..... Kody Mortimer<br />

Finance Man / Cecil B. DeMille ............<br />

............................................. Jon Tsouras<br />

Morino / Hog-Eye ....... Charlie Waddell<br />

In weiteren Rollen:<br />

Lara Denning, Michael Lin,<br />

Jon Reynolds, Kirsty Anne Shaw,<br />

Harrison Wilde, Lillie-Pearl Wildman<br />

Keine große Treppe, keine Villa, keine prächtigen<br />

Kostüme – alle, die die originale Produktion lieben<br />

und genau das wieder erwartet haben, werden vermutlich<br />

enttäuscht sein. Alle, die aber bereit sind, sich auf<br />

eine moderne, mutige Neuinterpretation einzulassen,<br />

werden begeistert sein.<br />

»Sunset Boulevard« gilt allgemein nicht als das<br />

beste Stück von Andrew Lloyd Webber, aber wenn<br />

man es wirklich herunterbricht auf Musik und Text,<br />

wie es hier vom Regisseur Jamie Llyod gemacht wurde,<br />

merkt man, wie stark das Grundgerüst ist. Dieses ist<br />

angelehnt an eine griechische Tragödie, bei der es auch<br />

unausweichlich auf das tragische Ende hinausläuft –<br />

und in dieser Inszenierung wurde diese Unausweichlichkeit<br />

intensiviert. Ohne das Stück in die Jetztzeit zu<br />

transferieren hat der Regisseur es dennoch verjüngt und<br />

somit den Zuschauern angepasst. Ein Beispiel hierfür:<br />

Alle Charaktere, die auf damaligen Geschehnissen<br />

basieren, wie z. B. Charles Lindbergh, werden bis auf<br />

zwei Ausnahmen (Max von Mayerling und Cecil B.<br />

DeMille), nicht mehr erwähnt. Zudem wurden die<br />

Szenen ›Die Rechnung zahlt die Dame‹ sowie ›Ein bisschen<br />

Leiden‹ gestrichen. Interessanterweise vermisst<br />

man diese Szenen in dieser Inszenierung nicht. Es gibt<br />

auch nahezu keine Requisiten, viele Sachen basieren<br />

und passieren tatsächlich nur auf und in der Fantasie<br />

der Zuschauer. Für eingefleischte »Sunset«-Fans ist so<br />

eine Interpretation sehr spannend, für Menschen, die<br />

allerdings das Stück zum allerersten Mal sehen, kann<br />

das zu herausfordernd sein. Dies ist ein Kritikpunkt,<br />

der durchaus auch in den Fachmedien Englands<br />

immer wieder genannt wird und nachvollziehbar ist.<br />

Das neu inszenierte Finale lässt den Puls höherschlagen,<br />

hier gibt es eine markante Veränderung, wie sie<br />

auch vorab schon an vielen Textstellen erkennbar<br />

ist. Als Rolle verändert hat sich auch Betty Schaefer.<br />

Anders als es das klassische Frauenverständnis der<br />

50er Jahre hergibt, ist diese nun eine echt taffe junge<br />

Frau, die Joe mit großer Vehemenz begegnet und das<br />

klare Ziel ihres ersten eigenen Drehbuchs verfolgt.<br />

Gänzlich neu interpretiert wurde von Alan Williams<br />

auch das Underscoring. Dies ist ein absolutes Highlight<br />

für jeden, der die Musik mag, und man kann<br />

nur hoffen, dass es noch einmal eine CD-Aufnahme<br />

der kompletten Show geben wird, damit diese teils<br />

grandios neu interpretierten Songzitate auch zuhause<br />

genossen werden können.<br />

Zur Einzigartigkeit dieser Inszenierung trägt auch<br />

der Einsatz der Kameras bei. Die Bilder werden auf<br />

eine bühnengroße, bewegliche Leinwand projiziert,<br />

so dass echte Nahaufnahmen entstehen können. Die<br />

Kameraleute sind alles Ensemblemitglieder, so dass sie<br />

nie wie Fremdkörper wirken, sondern aus der Kombination<br />

von Bühnengeschehen und Projektionen ein<br />

einmaliges Seherlebnis entsteht. Die Kameraführung<br />

lässt auch einen gänzlich neu entstehenden Eindruck<br />

der Anfangsszene des zweiten Aktes zu: Joe befindet<br />

sich hier nicht auf der Bühne, sondern wird von den<br />

Kameraleuten noch in seiner Garderobe / auf dem<br />

Weg zur Bühne, auch durch die Garderobe von Norma<br />

gehend, gefilmt. Hierdurch bildet sich fast eine ganz<br />

neue Metaebene, in der Joe nicht einfach nur den Song<br />

singt, sondern weit mehr die Rolle eines Kommentators<br />

einnimmt. In dieser Szene werden dann auch<br />

Bezüge zu den »alten« Inszenierungen aufgebaut, hier<br />

sieht man einen Affen, den es hier vorher nie auf der<br />

Bühne gab, hier erwähnt Norma via Schreiben mit<br />

Lippenschrift »Mad about the boy«, selbst eine Pappfigur<br />

von Andrew Lloyd Webber kommt vor. Der Darsteller<br />

geht auch tatsächlich aus dem Theater hinaus,<br />

geht einmal um das Theater herum und kommt erst zu<br />

den letzten Takten des Songs wieder herein und singt<br />

tatsächlich nur noch die letzte Liedzeile auf der Bühne.<br />

Der stärkste Moment dieser Kamera ist allerdings ein<br />

68<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in Großbritannien<br />

anderer: Es gibt hier, wie schon in der letzten Version<br />

mit Glenn Close, auch eine junge Norma Desmond.<br />

Mit einem Kameratrick werden einmal die beiden<br />

Gesichter auf der Bühne überblendet, so dass aus der<br />

jungen Norma die alte Norma sowie umgekehrt wird.<br />

Dieser Moment ist ausgesprochen intensiv und bleibt<br />

noch lange im Gedächtnis.<br />

Jamie Lloyd hat die ganze Show mit Nicole Scherzinger<br />

im Hinterkopf inszeniert. Diese ist tatsächlich<br />

ein Star mit einem ausgeprägten Charisma und wenn<br />

so jemand die Rolle der Norma Desmond spielt, ist<br />

es noch mal ein ganz anderes Erlebnis. Sie hat eine<br />

bekanntermaßen fantastische Stimme mit wunderschöner<br />

Klangfarbe, den meisten dürfte aber bisher<br />

unbekannt sein, welch großes Schauspieltalent sie<br />

auch auf die Bühne mitbringt. In einem Interview<br />

erwähnt sie, dass Lloyd sie während der Probenzeit<br />

immer ermutigt hat, auch schauspielerisch noch mehr<br />

Selbstvertrauen zu haben, noch kompromissloser zu<br />

sein – am Ende des Abends kann man ganz klar das<br />

Fazit ziehen, dass sie dies getan hat und es sich absolut<br />

auszahlt. Persönliche Geschmackssache ist ihr übertriebenes<br />

Spiel mit der Kamera, was Rachel Tucker als<br />

Norma Desmond weniger auslebt. Während Scherzinger<br />

in typische Instagram-Posen geht, bleibt Tucker<br />

weit normaler. Tucker hat eine vermutlich noch stärkere<br />

Grundstimme als Scherzinger, dadurch gelingt<br />

ihr die Partitur fast noch spielerischer. Mit ihrem sehr<br />

überzeugenden Schauspiel als Bühnendarstellerin<br />

gleicht sie das vielleicht etwas fehlende Starappeal aus,<br />

welches Scherzinger als Weltstar mit sich bringt. Beide<br />

Besetzungen sprechen für sich und sind gleichermaßen<br />

lohnend.<br />

Tom Francis als Joe Gillis wirkt wie ein moderner<br />

junger Mann von heute, seine Stimmfarbe ist eher<br />

im Rock-/Popbereich beheimatet, passt aber sehr gut<br />

in diese Form der Inszenierung. David Thaxton als<br />

Max von Mayerling hat bereits eine lange West-End-<br />

Karriere mit namhaften Stücken in seinem Lebenslauf.<br />

Gesanglich liefert er eine super Show, sein Max hat<br />

auch keinen, wie sonst gern im angloamerikanischen<br />

Raum angelegt, übertriebenen deutschen Akzent.<br />

Insbesondere ›The Greatest Star of All‹ war ein echtes<br />

Highlight des Abends. Für Grace Hodgett Young ist<br />

Betty Schaefer die erste Rolle im West End, mit der sie<br />

es auch dank des Transfers verdient an den Broadway<br />

schaffen wird.<br />

Das Bühnenbild und die Kostüme von Soutra<br />

Gilmour sind sehr schlicht gehalten. Alles ist schwarzweiß<br />

und modern, durch das Lichtdesign von Jack<br />

Knowles wirkt es aber dennoch alles andere als einfach.<br />

Die Veränderungen der Szenen werden so tatsächlich<br />

meisterhaft gezeigt, das starke Zusammenspiel von<br />

Szene, Darstellern und Licht ist tatsächlich einzigartig.<br />

Es gibt in Summe sehr viel mehr Bewegungen auf<br />

der Bühne als in den anderen Inszenierungen, sehr<br />

moderne Bewegungsabläufe werden äußerst kraftvoll<br />

umgesetzt. Auch Norma tanzt tatsächlich beeindruckend.<br />

Fabian Aloise hat als Choreograph wirklich<br />

hoch ästhetische und ausdrucksstarke Arbeit geleistet,<br />

die sich nahtlos in das intensiv ausgearbeitete Gesamtkonzept<br />

einfügt.<br />

Zusammenfassend funktioniert diese Inszenierung<br />

sicherlich so gut, weil alle Gewerke so hervorragend<br />

miteinander kombiniert wurden und harmonieren.<br />

Dadurch entstehen Momente, in denen man wirklich<br />

im Publikum sitzt und nur noch »Wow« denken kann.<br />

Auch wenn es ganz sicherlich insbesondere für Kenner<br />

der Show ein überaus intensives Erlebnis ist, lässt sich<br />

doch für jeden sagen, dass das, was an diesem Abend<br />

im Theater passiert, in der Musicalwelt einzigartig ist.<br />

Henning Lang & Sabine Haydn<br />

Abb. oben:<br />

Ein wahrhafter Star – Norma<br />

Desmond (Nicole Scherzinger)<br />

kann auch, aber nicht nur mit ›Nur<br />

ein(em) Blick‹ überzeugen<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Im Ensemble ausgesprochen gut<br />

eingearbeitet sind die Kameramenschen,<br />

die mit der Technik eine<br />

einzigartige Atmosphäre schaffen<br />

2. Norma Desmond (Nicole<br />

Scherzinger, l.) verführt Joe (Tom<br />

Francis, r.) mit Geld und dem<br />

Glamour eines Stars<br />

3. Betty Schaefer (Grace Hodgett<br />

Young) und Joe (Tom Francis)<br />

kommen sich näher<br />

4. Im gelungenen Spiel mit den<br />

Nahaufnahmen stehen hier die<br />

Gefühlsregungen von Max von<br />

Mayerling (David Thaxton) im<br />

Mittelpunkt<br />

Fotos (5): Marc Brenner<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

69


Musicals in den USA<br />

Die Geschichte kultureller Authentizität<br />

Uraufführung von »Buena Vista Social Club« Off-Broadway<br />

Young Compay (Jared Machado) und Ensemble<br />

Foto: Ahron R. Foster<br />

Buena Vista Social Club<br />

»Buena Vista Social Club« /<br />

Marco Ramirez<br />

Atlantic Theatre New York<br />

Uraufführung: 13. Dezember 2023<br />

Direction .......................... Saheem Ali<br />

Music Direction ............ Marco Paguia<br />

Music Supervision ..... Dean Sharenow<br />

Music Team Led ............ David Yazbek<br />

Choreography ....... Patricia Delgado &<br />

Justin Peck<br />

Scenic Design ...... Arnulfo Maldonado<br />

Costume Design ............... Dede Ayite<br />

Wigs, Hair & Make-up .... J. Jared Janas<br />

Lighting Design ........... Tyler Micoleau<br />

Sound Design ............ Jonathan Deans<br />

Eliades ......................... Renesito Avich<br />

Omara ............ Natalie Venetia Belcon<br />

Young Omara .............. Kenya Browne<br />

Young Haydee ....... Danaya Esperanza<br />

Rubén González ....................................<br />

......................... Jainardo Batista Sterling<br />

Young Rubén ............ Leonardo Reyna<br />

Ibrahim Ferrer ..................... Mel Semé<br />

Young Ibrahim .............. Olly Sholotan<br />

Juan De Marcos ................... Luis Vega<br />

Compay Segundo ............ Julio Monge<br />

Young Compay ........... Jared Machado<br />

In weiteren Rollen<br />

Skizzo Arnedillo, Angélica Beliard,<br />

Carlos Falú, Francisco J. González,<br />

Héctor Juan Maisonet, Ilda Mason,<br />

Marielys Molina, Justin Showell,<br />

Nancy Ticotin<br />

Es gibt wenige Musikarten, die so emotional sind<br />

und zur Bewegung mitreißen wie kubanische<br />

Musik und Songs. Ihr euphorischer Effekt, der<br />

die Seele fliegen und den Körper sich bewegen<br />

lässt, wurde in dem neuen Musical »Buena Vista<br />

Social Club« wunderbar eingefangen. Dieses spielt<br />

am Off-Broadway im Atlantic Theatre im West-<br />

Chelsea-Bezirk von Manhattan. Basierend auf<br />

dem Hit-Album von 1997 mit demselben Titel<br />

und dem Dokumentarfilm von Wim Wenders<br />

(1999) über die älteren Musiker, die diese Musik<br />

spielten, ist die Show nicht nur eine musikalische<br />

Revue: Das Buch des kubanischen Amerikaners<br />

Marco Ramirez ist eine Geschichte von kultureller<br />

Authentizität und der Unüberwindlichkeit des<br />

kreativen Geistes.<br />

Ramirez konstruiert ein cleveres Spiel mit der<br />

Erinnerung, das zwischen den Aufnahmesitzungen<br />

von 1996 und 1956 hin und her springt, dem<br />

letzten Jahr des im Abstieg begriffenen Regimes<br />

von Fulgencio Batista und dem Beginn der kommunistischen<br />

Revolution unter Fidel Castro. Die<br />

Ereignisse werden im Wesentlichen durch die<br />

fiktionalisierten Erfahrungen einer der Originalsängerinnen<br />

des Albums, Omara Portuondo (herausragend:<br />

Natalie Venetia Belcon), erzählt. In den<br />

Szenen, die in den 1950er Jahren spielen, treten<br />

sie (die jüngere Omara wird von Kenya Browne<br />

dargestellt) und ihre Schwester Haydee (Danaya<br />

Esperanza) als lebensfrohes und talentiertes Duo<br />

mit kommerziellen Nummern im El Tropicana<br />

Hotel auf, das sich im Wesentlichen an amerikanische<br />

Touristen wendet. Omara ist unzufrieden<br />

mit den künstlerischen Beschränkungen, die ihr<br />

der Veranstalter auferlegt, und sucht sich Gleichgesinnte<br />

in einem anderen Stadtviertel im Buena<br />

Vista Club, wo Künstler aller Rassen auftreten:<br />

Ibrahim Ferrer (Mel Semé), Gitarrist und Sänger<br />

Compay Segundo (Julio Monge) und Pianist<br />

Rubén González (Jainardo Batista Sterling). Ihre<br />

jüngeren Ichs in den 50ern werden von Olly Sholotan,<br />

Jared Machado und Leonardo Reyna gespielt.<br />

Die älteren Bandmitglieder treffen 1996 wieder<br />

zusammen, um »music from the old days« (Musik<br />

aus den guten alten Zeiten) aufzunehmen – das<br />

resultierende Album wird allgemein dafür verantwortlich<br />

gemacht, dass die kubanische Musik<br />

endlich die ihr zustehende Anerkennung bekam.<br />

Durch die Jahrzehnte sah Omara Liebhaber<br />

kommen und gehen und Träume entstehen und<br />

vergehen. Die Beziehung zwischen ihr und ihrer<br />

Schwester Haydee wurde für immer zerstört.<br />

Omara, hart geworden durch persönliche Schicksalsschläge<br />

und künstlerische Krisen (und generell<br />

mit einem schwierigen künstlerischen Temperament<br />

ausgestattet) kommt nicht über die Entfremdung<br />

von ihrer Schwester hinweg, die nach der<br />

Machtergreifung Castros aus Kuba floh.<br />

Die Leidenschaften der kubanischen Musikstile<br />

Son, Boleros und Guajiras passen perfekt zur<br />

Handlung. Charaktere, Handlung, Musik und<br />

Tanz (darüber später mehr) werden ausbalanciert<br />

70<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Musicals in den USA<br />

von Regisseur Saheem Ali, der das ganze Projekt<br />

auch entwickelte. David Yazbek, der den Tony-<br />

Award-Gewinner »The Band’s Visit« inszenierte<br />

(was ebenfalls am Atlantic Theatre am Off-<br />

Broadway seine Uraufführung feierte), fungierte<br />

als künstlerischer Berater; die Ähnlichkeiten im<br />

künstlerischen Ansatz beider Produktionen sind<br />

offensichtlich.<br />

Ein Einheitsbühnenbild von Arnulfo Maldonado,<br />

dessen Ausstattung für die Produktion<br />

»Strange Loop« ebenfalls mit dem Tony Award<br />

ausgezeichnet wurde, ist inspiriert von einer verfallenden<br />

Fassade mit Balkonen im spanischen<br />

Kolonialstil; der Bühnenraum davor dient als<br />

Aufnahmestudio und als Buena Vista Club.<br />

Eine spektakuläre Band mit elf Mitgliedern (alle<br />

Latinos/as) spielen fünfzehn kubanische Songs,<br />

darunter einige aus dem berühmten Album von<br />

1997. Es gibt jede Menge Möglichkeiten für die<br />

Instrumentalsolisten, sich hervorzutun, was der<br />

Flötist Hery Paz am besten für sich nutzt (und die<br />

kontrollsüchtige Omara zu dem Stoßseufzer »Wer<br />

hat nur die Flöte in die kubanische Musik eingebaut?«<br />

veranlasst).<br />

Das überraschende Element in »Buena Vista<br />

Social Club« ist der Tanz, choreographiert von<br />

der kubanischen Amerikanerin Patricia Delgado,<br />

die Primaballerina am Miami City Ballet war, und<br />

ihrem Mann Justin Peck, der die Choreographie<br />

für Steven Spielbergs Remake-Film von »West<br />

Side Story« schuf und der einen Tony Award für<br />

seine Choreographie für das Revival von Rodgers’<br />

und Hammersteins »Carousel« (2<strong>01</strong>8) gewann.<br />

Die Choreographie, mit Elementen aus Ballett,<br />

Jazz, Calypso und Tango, wird atemberaubend<br />

von sechs Tänzern ausgeführt. Sie passt nicht nur<br />

hervorragend zu der Leidenschaft der kubanischen<br />

Musik, sondern ist auch erstaunlich athletisch,<br />

besonders in Anbetracht der relativ begrenzten<br />

Bühne des Atlantic Theatre.<br />

Omaras Leben ist voller Pathos; schlussendlich<br />

ist »Buena Vista Social Club« eine fröhliche Feier<br />

der universellen Kraft der Musik sowohl in der<br />

allgemein menschlichen Erfahrung als auch der<br />

kulturellen Identifikation. Hoffen wir, dass es an<br />

den Broadway kommt und dort ein größeres Publikum<br />

findet.<br />

Dan Dwyer<br />

Dt. v. Merit Murray<br />

Abb. unten von oben:<br />

1. Omara (Natalie Venetia Belcon,<br />

l.) und Compay Segundo (Julio<br />

Monge, r.)<br />

2. Omara (Natalie Veneta Belcon, l.)<br />

mit ihrem jüngeren Ich (Kenya<br />

Browne)<br />

3. (v.l.): Young Compay (Jared<br />

Machado), Young Omara (Kenya<br />

Browne) und Young Ibrahim (Olly<br />

Sholotan)<br />

4. Das Ensemble von »Buena Vista<br />

Social Club«<br />

Fotos (4): Ahron R. Foster<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

71


Anno... 1964<br />

Was war anno… 1964<br />

Wir schauen zurück in die Musicalgeschichte<br />

Düsseldorfer Schauspielhaus statt.<br />

Die Geschichte rund um die Heiratsvermittlerin<br />

Dolly Levi zählt bis heute zu den Musicals mit<br />

den meisten Produktionen weltweit.<br />

»Lady in Paris« – Paul Hörbiger und Zarah Leander<br />

Foto: brandstaetter images/Votava/Süddeutsche Zeitung Photo<br />

Die Geschichte des Musicals ist reichhaltig gefüllt,<br />

jedes Jahr hat seine ganz eigenen Stücke hervorgebracht<br />

und immer wieder ist man erstaunt, wenn<br />

man realisiert, wie lange die Uraufführung eines<br />

Musicals doch her ist. An dieser Stelle möchten wir<br />

in Zukunft Jahrzehnt für Jahrzehnt durchgehen.<br />

Da wir in jedem Jahr sechs Ausgaben herausbringen,<br />

blicken wir daher auf die letzten sechs Jahrzehnte<br />

zurück. Den Anfang in unserer <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

macht das Jahr 1964.<br />

Hello, Dolly!<br />

16. Januar, St. James Theatre NY<br />

Jerry Herman (Songtexte und Musik) und<br />

Michael Stewart (Buch) haben nach der Vorlage<br />

von Thornton Wilders »The Matchmaker« ein<br />

Musical der Extraklasse geschaffen.<br />

Elf Tony-Award-Nominierungen führten zu<br />

zehn tatsächlich gewonnenen Awards, zusammen<br />

mit »South Pacific« war dies ein Rekord, der<br />

37 Jahre lang hielt, bis er von »The Producers«<br />

mit zwölf Tony Awards übertroffen wurde. Die<br />

Verfilmung des Musicals mit Barbra Streisand<br />

1969 wurde für sieben Oscars nominiert und<br />

gewann davon drei. Das Originalalbum stand<br />

sieben Wochen auf Nummer 1 der Billboard<br />

Pop Album Charts und wurde dort von Louis<br />

Armstrongs Album »Hello, Dolly!« abgelöst.<br />

Es war das Top-Album des Jahres 1964 und<br />

gewann auch einen Grammy Award als »Bestes<br />

Musical Theater Album«, Armstrong bekam<br />

zwei weitere für seine Version. Es gab inzwischen<br />

vier Broadway-Revivals, das letzte im Jahr 2<strong>01</strong>7<br />

mit Bette Midler wurde für zehn Tony Awards<br />

nominiert und konnte immerhin vier davon mit<br />

nach Hause nehmen.<br />

Die Show kam am 2. Dezember ans Drury Lane<br />

Theatre im Londonder West End und dort auf<br />

794 Vorstellungen (am Broadway waren es in<br />

der Originalversion 2.844). Die deutschsprachige<br />

Erstaufführung in der Übersetzung von<br />

Robert Gilbert fand am 26. November 1966 im<br />

Funny Girl<br />

26. März, Winter Garden Theatre NY<br />

Das Musical von Jule Styne (Musik), Bob Merrill<br />

(Texte) und Isobel Lennart (Buch) erzählt von der<br />

stürmischen Liebe der Komikerin Fanny Brice<br />

zu Nick Arnstein. Barbra Streisand feierte einen<br />

großen Erfolg in der Hauptrolle, obwohl der Weg<br />

des Stücks bis zur Premiere am Broadway durchaus<br />

schwierig war.<br />

Ray Stark, der Schwiegersohn von Fanny Brice,<br />

wollte unbedingt einen Film über Brice machen,<br />

lehnte aber die Drehbücher von elf Autoren ab,<br />

bevor Lennart ihres einreichte. Dieses wurde von<br />

Mary Martin gelesen, die damals als Muse von<br />

Rodgers & Hammerstein galt und vorschlug, statt<br />

eines Films ein Musical aus dem Stoff zu machen.<br />

Stark bot es Stephen Sondheim an, der aber wiederum<br />

Martin ablehnte, da sie keine Jüdin war.<br />

Sowohl Martin als auch Sondheim verloren dann<br />

das Interesse. Bob Fosse, zwischenzeitig als Regisseur<br />

mit an Bord, konnte ebenfalls nicht langfristig<br />

gehalten werden. Auf Fosse folgte Garson Kanin als<br />

Regisseur, doch zwischen ihm und Streisand kam<br />

es zum Zerwürfnis, nachdem er das Lied ›People‹<br />

aus der Show streichen wollte – dieses war allerdings<br />

schon als Single aufgenommen worden und<br />

äußerst erfolgreich, so dass auch der Produzent auf<br />

dem Verbleib im Stück beharrte. Durch die vielen<br />

Änderungen am Buch und die sehr verhaltenen<br />

Kritiken während der Tryouts wurde die Premiere<br />

am Broadway in Summe fünf Mal verschoben. Die<br />

Show brachte es dort dann aber doch auf respektable<br />

1.348 Vorstellungen, bekam acht Tony-Award-<br />

Nominierungen, gewann aber keinen. Streisand<br />

spielte bis zu ihrer Schwangerschaft die Rolle dann<br />

auch in London am West End.<br />

Im Jahr 2<strong>01</strong>5 kam ein Revival des Musicals wieder<br />

ans West End, allerdings in einer von Harvey Fierstein<br />

überarbeiteten Version. Die gesamte geplante<br />

Spielzeit in der Menier Chocolate Factory war<br />

innerhalb eines Tages ausverkauft und hält bis heute<br />

den Rekord für die am schnellsten ausverkaufte<br />

Show dort. 2022 kam es dann auch in dieser Version<br />

zu einem Broadway Revival. Die deutschsprachige<br />

Erstaufführung in der Übersetzung von Werner<br />

Schneyder (Liedtexte) und Liselotte Knob (Buch)<br />

fand 1972 am Theater der Stadt Essen statt. 1992<br />

gab es dann eine Überarbeitung der deutschen<br />

Texte von Heidi Zerning.<br />

Das Musical wurde erfolgreich<br />

verfilmt (ebenfalls<br />

mit Streisand); das Sequel<br />

»Funny Lady« konnte<br />

hingegen Zuschauer und<br />

Kritiker nicht überzeugen.<br />

72<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


Anno... 1964<br />

Zero Mostel 1964 in »Fiddler on the Roof«<br />

Foto: Graphic House, New York / gemeinfrei,<br />

via Wikimedia Commons<br />

Fiddler on the Roof<br />

22. September, Imperial Theatre NY<br />

Der große, noch immer ungebremste Siegeszug<br />

von »Fiddler on the Roof« (in Deutschland<br />

unter »Anatevka« bekannt geworden) begann<br />

offiziell 1964 am Broadway. Jerry Bock (Musik),<br />

Sheldon Harnick (Liedtexte) und Joseph Stein<br />

(Buch) schrieben das Musical, welches u. a. auf<br />

der Geschichte »Tevye and His Daughters« von<br />

Sholem Aleichem basiert. Sie hätten sich sicher<br />

niemals vorstellen können, dass die Geschichte des<br />

Milchmanns in der Stadt Anatevka auch 60 Jahre<br />

später noch überall und stetig gespielt wird.<br />

Es gewann neun Tony Awards und war am Broadway<br />

das erste Stück, welches mehr als 3.000 Shows<br />

am Stück spielte. Es hielt diesen Rekord für fast 10<br />

Jahre, bis es dann von »Grease« abgelöst wurde.<br />

Es gab bisher fünf Broadway Revivals, 1990 dann<br />

sogar noch einmal einen weiteren Tony Award.<br />

Noch bevor das Stück nach London kam, feierte<br />

es 1966 in den Niederlanden europäische Erstaufführung.<br />

Am 1. Februar 1968 setzte dann der<br />

Siegeszug auch im deutschsprachigen Raum<br />

ein – das Stück wurde von Rolf Merz und<br />

Gerhard Hagen übersetzt und im Hamburger<br />

Operettenhaus gespielt.<br />

Aufgrund des großen Erfolgs am Broadway wurde<br />

es dann 1971 verfilmt, Stein selbst adaptierte<br />

dafür das Buch. Der Film erhielt acht Oscar-<br />

Nominierungen, gewann drei davon und war der<br />

finanziell erfolgreichste Film 1971.<br />

2<strong>01</strong>9 folgte dann eine Dokumentation: »Fiddler:<br />

A Miracle of Miracles«.<br />

Weitere Broadwayshows aus dem Jahre 1964:<br />

What Makes Sammy Run?<br />

Ervin Drake (Musik und Liedtexte)<br />

Budd & Stuart Schulberg (Buch)<br />

basierend auf Budd Schulbergs gleichnamiger<br />

Novelle<br />

Uraufführung 15. Februar, 54th Street Theatre,<br />

540 gespielte Vorstellungen, eine Tony-Award-<br />

Nominierung<br />

Foxy<br />

Ian McLellan Hunter & Ring Lardner Jr (Buch)<br />

Johnny Mercer (Liedtexte)<br />

Robert Emmet Dolan (Musik)<br />

Uraufführung 16. Februar, Ziegfeld Theatre,<br />

72 gespielte Vorstellungen, zwei Tony-Award-<br />

Nominierungen sowie einen erhaltenen Tony<br />

Award.<br />

Anyone Can Whistle<br />

4. April, Majestic Theatre NY<br />

Stephen Sondheim (Musik und Texte) und Arthur<br />

Laurents (Buch) schrieben dieses Stück, welches<br />

wahrlich kein großer Erfolg wurde. Die Satire,<br />

die den Wahnsinn der Normalen beschreibt,<br />

wurde nach durchwachsenen Kritiken nach nur<br />

12 Vorpremieren und neun Vorstellungen wieder<br />

geschlossen, und dies, obwohl die damals bereits<br />

bekannte Angela Lansbury hiermit ihr Broadwaymusicaldebüt<br />

feierte.<br />

Die deutschsprachige Erstaufführung in der Übersetzung<br />

von Martin G. Berger fand am 10. Februar<br />

2<strong>01</strong>2 in der ufaFabrik in Berlin als Hörspiel/<br />

Lesung statt. Szenisch umgesetzt wurde es dann<br />

erstmalig vom Mecklenburgischen Staatstheater<br />

in Schwerin mit Premiere am 5. April 2022.<br />

High Spirits<br />

Hugh Martin & Timothy Gray (Buch, Liedtexte<br />

und Musik)<br />

baiserend auf dem Schauspiel »Blithe Spirit« von<br />

Noël Coward<br />

Uraufführung 7. April, Alvin Theatre, 375 gespielte<br />

Vorstellungen, acht Tony-Award-Nominierungen<br />

Fade Out – Fade In<br />

Betty Comden & Adolph Green (Buch und<br />

Liedtexte)<br />

Jule Styne (Musik)<br />

Uraufführung 26. Mai, Mark Hellinger Theatre,<br />

274 gespielte Vorstellungen, eine Tony-Award-<br />

Nominierung<br />

Golden Boy<br />

Clifford Odets & William Gibson (Buch)<br />

Lee Adams (Liedtexte)<br />

Charles Strouse (Musik)<br />

Uraufführung 20. Oktober, Majestic Theatre,<br />

568 gespielte Vorstellungen, vier Tony-Award-<br />

Nomierungen<br />

Ben Franklin in Paris<br />

Sidney Michaels (Buch und Liedtexte)<br />

Mark Sandrich Jr & Jerry Herman (Musik)<br />

Uraufführung 27. Oktober, Lunt-Fontanne<br />

Theatre, 215 gespielte Vorstellungen<br />

Something More!<br />

Sammy Fain (Musik)<br />

Marilyn & Alan Bergman (Liedtexte)<br />

Nate Monaster (Buch)<br />

basierend auf Gerald Greens Novelle »Portofino<br />

P.T.A.«<br />

Uraufführung 28. Oktober, Eugene O´Neill<br />

Theatre, 14 Previews und 15 gespielte Vorstellungen<br />

Bajour<br />

Ernest Kinoy (Buch)<br />

Walter Marks (Musik und Liedtexte)<br />

basierend auf Kurzgeschichten von Joseph<br />

Mitchell<br />

Uraufführung 23. November, Shubert Theatre mit<br />

Umzug ins Lunt-Fontanne Theatre, 232 gespielte<br />

Vorstellungen, zwei Tony-Award-Nominierungen<br />

I Had a Ball<br />

Jerome Chodorov (Buch)<br />

Jack Lawrence & Stan Freeman (Musik und<br />

Liedtexte)<br />

Premiere 15. Dezember, Martin Beck Theatre,<br />

199 gespielte Vorstellungen<br />

Nennenswerte Produktionen im Londoner<br />

West End:<br />

Instant Marriage<br />

Bob Grant (Text)<br />

Laurie Holloway (Musik)<br />

Uraufführung 1. August, Piccadilly Theatre,<br />

366 gespielte Vorstellungen<br />

Maggie May<br />

Alun Owen (Buch)<br />

Lionel Bart (Musik und Liedtexte)<br />

Uraufführung 22. September, Adelphi Theatre,<br />

5<strong>01</strong> gespielte Vorstellungen<br />

Robert and Elizabeth<br />

Ronald Millar (Buch und Liedtexte)<br />

Ron Grainer (Musik)<br />

Uraufführung 20. Oktober, Lyric Theatre, 948<br />

gespielte Vorstellungen<br />

Our Man Crichton<br />

Herbert Kretzmer (Buch und Liedtexte)<br />

David Lee (Musik)<br />

basierend auf J. M. Barries »The Admirable<br />

Crichton«<br />

Premiere 22. Dezember, Shaftesbury Theatre,<br />

208 gespielte Vorstellungen<br />

Uraufführungen im deutschsprachigen Raum:<br />

Lady aus Paris<br />

22. Oktober, Raimund Theater, Wien<br />

Peter Kreuder (Musik) und Karl Farkas (Texte und<br />

Buch) orientierten sich an Oscar Wildes »Lady<br />

Windermeres Fächer«, als sie dieses Musical schrieben.<br />

Bei der Uraufführung standen ausgesprochen<br />

namhafte Schauspieler:innen auf der Bühne: Paul<br />

Hörbiger und Zarah Leander, die in dem Stück<br />

auch ihre berühmten Lieder ›Die Liebe geht seltsame<br />

Wege‹ oder ›Ich bin eine Frau mit Vergangenheit‹<br />

sang. Die Wiener Inszenierung kam als<br />

Gastspiel 1965 an das Theater des Westens, Berlin.<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong> 73


Anno... 1964<br />

Während die Musicallandschaft im Westen<br />

Deutschlands noch sehr verhalten war, produzierte<br />

der Osten eine beachtliche Menge an Musical-<br />

Uraufführungen, wenngleich die wenigsten davon<br />

heutzutage noch einen Bekanntheitsgrad haben:<br />

Seitensprünge<br />

10. Januar, Landestheater Eisenach<br />

Rolf Weber-Harnisch (Musik)<br />

Manfred Hüttner (Pseudonym) (Text)<br />

Rendezvous am Schwarzen Meer<br />

26. Januar, Städtische Bühnen Magdeburg<br />

Joachim Widlak (Musik)<br />

Günter Kurth (Text)<br />

Kennen Sie Felix?<br />

16. Februar, Elbe-Elster-Theater Wittenberg<br />

Fred Walde (Musik)<br />

Renate Oeser (Text)<br />

nach dem Roman »Tür zu, es zieht« von Rudolf<br />

Bartsch<br />

Klug war die Lisa<br />

28. Februar, Theater der Stadt Cottbus<br />

Rolf Kuhl (Musik)<br />

Andreas Bauer & Laszlo Nadasi (Text)<br />

Küssen verboten<br />

14. März, Volkstheater Rostock<br />

Manfred Nitschke (Musik)<br />

Heinz Hall & Hans Peter (Text)<br />

Die Nacht ist mein Tag<br />

15. März, Kleist-Theater Frankfurt an der Oder<br />

Miloš Vacek (Musik)<br />

Ivo Havlu & Josef Pavec (Texte)<br />

Deutsche Übersetzung von Edi Weeber-Fried<br />

Geschichten meiner Frau<br />

28. März, Landestheater Parchim<br />

Hans Henkels (Musik)<br />

Ralph Wiener (Buch)<br />

Hans Peter (Liedtexte)<br />

Der Diener zweier Herren<br />

7. Juni, Theater der Altmark Stendal<br />

Sven Bokownew (Musik)<br />

Christian Bleyhoeffer (Buch)<br />

Piet Drescher (Liedtexte)<br />

Casanova geht baden<br />

2. Juli, Landestheater Eisenach<br />

Rolf Weber-Harnisch (Musik)<br />

Holger Eckert (Text)<br />

Mein Freund Bunbury<br />

2. Oktober, Metropol-Theater Berlin<br />

Das Musical von Gerd Natschinksi (Musik),<br />

Jürgen Degenhardt (Liedtexte und Buch) und<br />

Helmut Bez (Buch) orientiert sich an der Komödie<br />

»The Importance of Being Earnest« von Oscar<br />

Wilde. Das Musical wurde 1967 in Kaiserslautern<br />

zum ersten Mal auch in Westdeutschland gespielt.<br />

Das erfolgreiche Musical, welches während der<br />

wilden 1920er Jahre in London spielt, wurde<br />

1970 sogar mit Rex Gildo verfilmt und wird noch<br />

heute immer wieder in deutschsprachigen Theatern<br />

gespielt. Die Originalaufnahme ist heutzutage<br />

(mittlerweile auf CD) noch erhältlich.<br />

Der Mann, der Dr. Watson war<br />

6. Oktober, Friedrichstadt-Palast Berlin<br />

Gerhard Kneifel (Musik)<br />

Helmut Bez & Jürgen Degenhardt (Texte)<br />

Musical kam 1964 auch äußert prominent<br />

im Kino vor – mit zwei Meilensteinen der<br />

Filmgeschichte:<br />

Mary Poppins<br />

Walt Disney Productions<br />

27. August 1964<br />

Bill Walsh & Don DaGradi (Buch)<br />

Richard M. & Robert B. Sherman (Musik &<br />

Liedtexte)<br />

basierend auf den Büchern »Mary Poppins« von<br />

P. L. Travers<br />

»Mary Poppins« ist einer der erfolgreichsten Disney-Filme,<br />

er schaffte es, 13 Oscar-Nominierungen<br />

zu bekommen (erhalten hat er dann fünf) und hält<br />

damit den Rekord der meisten Nominierungen aus<br />

dem Hause Disney. Zudem ist es der einzige Film<br />

zu Lebzeiten von Walt Disney, der als »Bester<br />

Film« nominiert wurde. Als kulturell, historisch<br />

und ästhetisch wichtig wurde er viele Jahre später<br />

in die »Library of Congress« aufgenommen.<br />

2<strong>01</strong>3 wurde mit »Saving Mr. Banks« verfilmt,<br />

wie schwierig der Weg von Walt Disney hin zu<br />

dem Film war. 2<strong>01</strong>8 erschien dann mit »Mary<br />

Poppins Returns« der zweite Teil, in dem Dick<br />

Van Dyke sowie auch Karen Dotrice noch einmal<br />

zu sehen sind.<br />

Julie Andrews, die das eigenwillige Kindermädchen<br />

spielt, war zuerst enttäuscht, weil sie<br />

eigentlich mit der Rolle der Eliza Doolittle bei<br />

der Verfilmung von »My Fair Lady« gerechnet<br />

hatte, welche sie zuvor jahrelang mit Rex Harrison<br />

an ihrer Seite am Broadway gespielt hatte.<br />

Eine gewisse Genugtuung dürfte sie dann wohl<br />

verspürt haben, als Audrey Hepburn bei den<br />

Oscars nicht einmal eine Nominierung erhielt,<br />

Andrews hingegen die Auszeichnung mit nach<br />

Hause nehmen durfte. Walt Disney war von<br />

ihr so überzeugt, dass er den Drehstart sogar<br />

Screenshot aus »Mary Poppins«<br />

Foto: Disney / gemeinfrei via Wikimedia Commons<br />

verschob, nachdem Andrews bei der Vertragsunterzeichnung<br />

im dritten Monat schwanger war.<br />

P. L. Travers war mit der Art, wie Walt Disney<br />

den Film gestaltete, so unzufrieden, dass<br />

Cameron Mackintosh bei den Verhandlungen<br />

rund um das Musical zusichern musste, dass<br />

nur Autoren aus Großbritannien an dem Werk<br />

arbeiten würden und niemand aus der Filmproduktion<br />

direkt involviert sein würde.<br />

Audrey Hepburn mit Kameramann Harry<br />

Stradling während der Dreharbeiten zu »My<br />

Fair Lady« (Warner Bros.)<br />

Foto: gemeinfrei via Wikimedia Commons<br />

My Fair Lady<br />

Warner Bros. Production<br />

21. Oktober 1964<br />

Alan Jay Lerner (Buch)<br />

Frederick Loewe (Musik)<br />

basierend auf dem gleichnamigen Musical<br />

»My Fair Lady« wurde am 15. März 1956 im Mark<br />

Hellinger Theatre am Broadway uraufgeführt, Julie<br />

Andrews spielte Eliza Doolittle, Rex Harrison war als<br />

Henry Higgins an ihrer Seite. Das Musical, welches<br />

Lerner und Loewe basierend auf George Bernard<br />

Shaws Schauspiel »Pygmalion« geschrieben hatten,<br />

war so erfolgreich, dass die Warner Bros. Studios die<br />

Rechte dafür erwarben. Jack Warner wollte zuerst<br />

Cary Grant für die Rolle des Higgins, dieser lehnte es<br />

allerdings ab, für ihn gäbe es nur einen Higgins und<br />

das sei Harrison. Bei der Besetzung der Eliza blieb<br />

Warner allerdings stur – statt auf den Broadway-Star<br />

Andrews zu vertrauen, setzte er lieber auf Audrey<br />

Hepburn. Sie spielte die Rolle sehr süß, es stellte sich<br />

allerdings heraus, dass ihre gesanglichen Künste bei<br />

weitem nicht ausreichten, so dass nahezu jeder ihrer<br />

Songs (mit Ausnahme von ›Just You Wait‹) von Marni<br />

Nixon gedubbt wurden. Auch Jeremy Bretts (Freddy)<br />

Lieder wurden von Bill Shirley gedubbt.<br />

Einen technischen Fortschritt löste Harrison aus – da<br />

er sich weigerte, die Lieder vorab einzusingen, war es<br />

der erste Film, in dem ein Darsteller mit einem kabellosen<br />

Mikrofon ausgestattet wurde. Hierfür wurde<br />

die Sound Abteilung anschließend mit einem Oscar<br />

ausgezeichnet.<br />

Als Gegenspieler zu Disneys »Mary Poppins« ging der<br />

Film mit zwölf Oscar-Nominierungen ins Rennen,<br />

von denen er acht gewann. Fünf Jahre nach »Mary<br />

Poppins« wurde auch er als kulturell, historisch und<br />

ästhetisch wertvoll in die »Library of Congress«<br />

aufgenommen.<br />

Sabine Haydn<br />

Quellen: musicallexikon.eu / wikipedia.com / broadway.com /<br />

playbill.com / SZ.de<br />

74<br />

blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


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Graacher Straße 12<br />

12<strong>24</strong>7 Berlin<br />

Gewinnspiel<br />

»Bonifatius – Das Musical« Premierentickets<br />

Wir verlosen 3 x 2 Tickets für die Premiere von »Bonifatius – Das Musical« am<br />

22. August 20<strong>24</strong> in Fulda<br />

Telefonische Nachfragen unter +49 (0)176 816 787 68<br />

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Einsendeschluss ist der 29. Februar 20<strong>24</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

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jeweils letzten Rechnung ist dann die letzte Ausgabe Ihres Abos nachlesbar.<br />

Was ist die sicherste und was die günstigste Art einer Kündigung?<br />

Am sichersten ist ein Einwurfeinschreiben. Hier bestätigt<br />

der Briefträger den Einwurf beim Empfänger. Am günstigsten<br />

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blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong><br />

75


News<br />

02/20<strong>24</strong> – 03/20<strong>24</strong><br />

Fotos: Dennis Mundkowski<br />

Die Jubiläumsgala – 8 Jahre First Stage<br />

Mit einer atemberaubenden Show rocken über 40<br />

begabte Nachwuchskünstler:innen die Bühne zum<br />

8-jährigen Jubiläum des First Stage Theaters. Dabei<br />

lässt es sich Stage School Chef Dennis Schulze nicht<br />

nehmen, persönlich Regie zu führen. Diese Gala ist<br />

ein Leckerbissen, von dem Musik- und Theaterfans<br />

träumen. Den Zuschauer erwartet ein unvergesslicher<br />

Abend mit hinreißenden Tanzszenen, großen<br />

Ensemblenummern und gefühlvollen Balladen - dargeboten<br />

von jungen Künstler:innen, von denen viele<br />

zum ersten Mal in ihrem Leben im Rampenlicht stehen.<br />

firststagehamburg.de<br />

SAVE THE DATE: Tag der Offenen Tür<br />

Am 6. April 20<strong>24</strong> öffnet die Stage School Hamburg die Türen zum Unterricht.<br />

Wer schon immer einmal wissen wollte, wie das anspruchsvolle Trainings- und Ausbildungsprogramm<br />

der rund 200 Schülerinnen und Schüler in der 4000 qm großen<br />

Bühnenfachschule abläuft, sollte sich diesen Termin nicht entgehen lassen. Vor allem<br />

junge Talente, die sich ernsthaft mit dem Gedanken an eine Profiausbildung beschäftigen,<br />

erhalten hier einen wirklichkeitsgetreuen Blick hinter die Kulissen. Auftritte auf der<br />

hauseigenen Probenbühne vervollständigen das Programm. Als besonderes Highlight<br />

gibt es aktive „Mitmach-Klassen“. Die Besucher können Gespräche mit den Lehrenden<br />

führen, sich mit den Schüler:innen austauschen und der Schulleitung und den<br />

Mitarbeiter:innen Fragen stellen. Kurzum –der Stage School mal so richtig auf den<br />

Zahn fühlen! Details und Infos: stageschool.de<br />

Camera Acting mit<br />

Herbert Trattnigg<br />

Er hat unzählige „Stagies“ im Bereich Schauspiel auf<br />

ihre Bühnenkarriere vorbereitet und viele Jahre selbst<br />

auf der Bühne und vor der Kamera gestanden. Darüber<br />

hinaus begleitet er als Acting-Coach die Dreharbeiten<br />

beim Tatort. Als Schauspieldozent der Stage<br />

School gibt Herbert Trattnigg sein Wissen nicht nur im<br />

regulären Unterricht weiter, sondern auch in einem Camera-Acting<br />

Grundlagenkurs. Neben den ersten Schritten im Spiel vor der Kamera<br />

bereitet die Masterclass intensiv auf die Anforderungen des E-Castings vor. Am Ende<br />

entwickeln und drehen die Schüler:innen eigene Showreel-Szenen, die auch als Demoband<br />

bei Bewerbungen genutzt werden können.<br />

20<strong>24</strong><br />

Im März startet die Stage School mit<br />

9 Terminen in 7 Städten in Deutschland,<br />

Österreich und der Schweiz mit<br />

der Casting Tour. Nach dem großen<br />

Erfolg der letzten Jahre freut sich<br />

Casting-Direktorin Anja Launhardt mit<br />

ihrem Team erneut darauf, mit zahlreichen Talenten in einem intensiven Einzeltraining<br />

zu arbeiten und die Aufnahmeprüfung abzunehmen.<br />

Alle Infos und Anmeldung unter stageschool.de/ausbildung/casting-tour<br />

Foto: Dennis Mundkowski<br />

Intensiv<br />

Workshops<br />

Die Workshop-Saison 20<strong>24</strong><br />

ist wieder angelaufen. Mit den<br />

bundes weit stattfindenden Intensiv-<br />

Workshops kann die Aufnahmeprüfung<br />

für die Profiausbildung ersetzt<br />

werden. Besonders begabte<br />

Teilnehmer:innen haben die Möglichkeit,<br />

über die Workshops zur<br />

Stipendiumsprüfung an die Stage<br />

School eingeladen zu werden.<br />

Infos und Anmeldung unter<br />

stageschool.de oder<br />

+49 40 355 407-43/-87<br />

Weiterbildung: Masterclass-Highlights<br />

Fitness & Ernährung mit Tobias Rosenthal<br />

Ein zusätzliches Highlight der Profiausbildung<br />

sind die Fitness-Unterrichtsstunden für alle Schüler:innen<br />

im On Stage Trainingscenter, welches<br />

im Gebäude der Stage School ansässig ist. Darüber<br />

hinaus sorgt Dozent und Diplom-Sportwissenschaftler<br />

Tobias Rosenthal im Rahmen einer<br />

Masterclass mit einem Bodyweight- und Konditionstraining<br />

für ordentlich Muskelkater. Der theoretische<br />

Teil ist nicht minder hochkarätig und beinhaltet<br />

trainingswissenschaftliche Grundlagen,<br />

Ernährung, Prophylaxe und stärkende Routinen für<br />

den anspruchsvollen Schulalltag. Zum Abschluss<br />

können alle bei einer Deep-Rest-Meditation mit<br />

Atemübungen für die Tiefenentspannung wieder<br />

Kraft tanken.<br />

Foto: Dennis Mundkowski<br />

26.02. bis 16.03.<br />

Die große Jubiläumsgala<br />

26.<strong>01</strong>. bis 17.04.<br />

China Girl


Mit Unterstützung von sound of music<br />

Neues<br />

Neues<br />

zusammengestellt von Sandy Kolbuch, Sound of Music<br />

• »The Greatest Night in Pop« skizziert<br />

musikalischen Meilenstein<br />

»The Greatest Night in Pop«<br />

Foto: Netflix 20<strong>24</strong><br />

Zugunsten der afrikanischen Hungerhilfe<br />

trafen sich am 25. Januar 1985 Dutzende der<br />

größten Namen der Musikszene in einem<br />

Studio in Los Angeles, um gemeinsam einen<br />

Song aufzunehmen: ›We Are the World‹. Der<br />

Song schrieb Geschichte und veränderte die<br />

Popkultur weltweit. Der Dokumentarfilm »The<br />

Greatest Night in Pop« bebildert das enorme<br />

Unterfangen, die imposanteste Supergruppe<br />

der damaligen Zeit in einer Welt zusammenzubringen,<br />

die noch keine Handys und E-Mails<br />

kannte. Bisher unveröffentlichtes Filmmaterial<br />

zeigt die frühen Planungsphasen, einschließlich<br />

der Sessions zum Verfassen des Songtextes<br />

mit Lionel Richie und Michael Jackson, sowie<br />

Einblicke hinter die Kulissen der berühmten<br />

Henson Studios. Zu sehen sind Richie, Bruce<br />

Springsteen, Smokey Robinson, Cyndi Lauper,<br />

Kenny Loggins, Dionne Warwick und Huey<br />

Lewis. Die Produktion der Doku verantworten<br />

Regisseur Bao Nguyen und Produzentin Julia<br />

Nottingham, die schon gemeinsam bei der<br />

Bruce-Lee-Dokumentation »Be Water« gearbeitet<br />

haben. Netflix veröffentlicht die Doku<br />

am 29. Januar 20<strong>24</strong>.<br />

• Hommage an Bob Marley<br />

Am 15. Februar 20<strong>24</strong> bringt Paramount<br />

Pictures mit dem Biopic »Bob Marley: One<br />

Love« das Werk und Leben des weltbekannten<br />

jamaikanischen Musikers, der zur Ikone wurde,<br />

auf die Leinwand. Der Film, der u. a. von Marleys<br />

Sohn Ziggy produziert wird, gewährt einen<br />

tiefen Einblick in das Leben des Reggae-Sängers.<br />

Die Zuschauer erleben Marleys Karriere in den<br />

1970er Jahren vor dem Hintergrund seines in<br />

sich zerrissenen Heimatlandes und begeben sich<br />

auf die Spuren seiner Kindheit und Jugend in<br />

Jamaika. Marleys Erfahrungen spiegelten sich<br />

stets in seiner Musik wider, wenn er von Befreiung,<br />

Liebe und Einigkeit sang.<br />

• Kommende Neuererscheinungen<br />

CD Tammy Grimes – Tammy Grimes<br />

31. Januar 20<strong>24</strong><br />

CD Mein Freund Bunbury – Studio Cast Berlin<br />

1964<br />

31. Januar 20<strong>24</strong><br />

Waitress – The Musical (Alle Regionen) (DVD /<br />

Blu-ray)<br />

6. Februar 20<strong>24</strong><br />

CD Melissa Errico – Sondheim In The City<br />

16. Februar 20<strong>24</strong><br />

CD The Color Purple – Original Filmsoundtrack<br />

Musicalverfilmung 2023<br />

23. Februar 20<strong>24</strong><br />

CD Mean Girls – Original Filmsoundtrack<br />

20<strong>24</strong><br />

23. Februar 20<strong>24</strong><br />

CD Rod Stewart – Swing Fever<br />

23. Februar 20<strong>24</strong><br />

The Prince Of Egypt – Original London Cast<br />

(DVD / Blu-ray)<br />

26. Februar 20<strong>24</strong><br />

LP Sweeney Todd – Broadway Revival Cast<br />

2023<br />

1. März 20<strong>24</strong><br />

16-köpfiges<br />

Live-<br />

Orchester<br />

Kingsley Ben-Adir als Bob Marley in »Bob<br />

Marley: One Love«<br />

Foto: Paramount Pictures<br />

WELTURAUFFÜHRUNG April 20<strong>24</strong><br />

Petersberg bei FULDA<br />

Text & Idee: Steffen Dargatz<br />

Musik: Steffen Dargatz & Max Möller<br />

Arrangement: Winfried Möller<br />

Produktion: Virtuoso – DIE MUSICALFABRIK<br />

folgt uns auf<br />

TICKETS SICHERN!<br />

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blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong> 77


Ausblick blickpunkt musical Ausgabe 128<br />

Auch die kommende Ausgabe wird wieder prall gefüllt sein. Unter<br />

anderem freuen sich unsere Redakteure in Deutschland auf den<br />

Start der großen »SIX The Musical« Tournee in Berlin, ebenso<br />

wie auf »China Girl« und »Bittersüße Zitronen« in Hamburg und<br />

»Hanf. Ein berauschender Abend« in Schwedt.<br />

Österreich hat auch einige Großpremieren zu bieten – die Uraufführung<br />

von »Die Königinnen« wird in Linz stattfinden, in Wien<br />

kommt mit »Luziwuzi« ebenfalls ein ganz neues Stück auf die<br />

Bühne und in Baden bei Wien kann man ab Februar die »Titanic«<br />

wieder sinken sehen.<br />

Natürlich schauen wir auch in die Schweiz, wo in St. Gallen »Rent«<br />

aufgeführt wird.<br />

Wir möchten Sie hier aber auch noch einmal auf unsere Webseite<br />

www.blickpunktmusical.<strong>online</strong> aufmerksam machen, wo<br />

zusätzlich zu Ticker-News, Kalender und Kurz-Kritiken auch<br />

immer wieder längere Artikel erscheinen, zum Beispiel über kleinere<br />

Konzerte oder Tournee-Produktionen, die nicht das erste Mal<br />

gespielt werden, aber doch eine Erwähnung wert sind.<br />

Impressum<br />

JS Hauptstädter Wortspiele UG<br />

Graacher Straße 12<br />

12<strong>24</strong>7 Berlin<br />

Abonnements<br />

Tel. +49 (0)176 816 787 68<br />

abo@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />

Herausgeber und Verlag<br />

JS Hauptstädter Wortspiele UG<br />

info@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />

Redaktion<br />

blickpunkt musical<br />

Graacher Straße 12<br />

12<strong>24</strong>7 Berlin<br />

redaktion@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />

Chefredaktion<br />

Sabine Haydn<br />

sabine.haydn@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />

Bildredaktion<br />

Birgit Bernds<br />

birgit.bernds@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />

bildredaktion@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />

Mitarbeiterinnen<br />

Birgit Bernds<br />

Dr. Merit Murray<br />

Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe<br />

Eva Baldauf<br />

Susanne Baum<br />

Birgit Bernds<br />

Dr. Stephan Drewianka<br />

Dan Dwyer<br />

Sabine Haydn<br />

Martina Friedrich<br />

Ingrid Kernbach<br />

Sandy Kolbuch<br />

Henning Lange<br />

Dr. Merit Murray<br />

Mina Piston<br />

Rosalie Rosenbusch<br />

Sabine Schereck<br />

Stefan Schön<br />

Mario Stork<br />

Steffen Wagner<br />

Veronika Zangl<br />

Übersetzungen<br />

Dr. Merit Murray<br />

Layout<br />

Jürgen Kretten, Wien<br />

Marketing/Anzeigen<br />

Oliver Wünsch<br />

oliver.wuensch@umverlag.de<br />

Tel. +49 (0)30 50 59 69 59<br />

oder<br />

sabine.haydn@blickpunktmusical.<strong>online</strong><br />

Tel. +49 (0)176 816 787 68<br />

Es gilt unsere Anzeigenpreisliste<br />

Nr. 27 vom 1. Januar 20<strong>24</strong><br />

Abonnements-Bedingungen<br />

Preis der Zeitschrift im freien Verkauf:<br />

€ 7,50; Jahresabo: € 37,90. Abonnements können jederzeit<br />

zum Ablauf des jeweils laufenden Abonnementjahres<br />

gekündigt werden. Wird nicht zwei Monate vor Ablauf gekündigt,<br />

verlängert sich das Abonnement jeweils um ein<br />

weiteres Jahr.<br />

Urheber- und Nutzungsrechte<br />

Alle Rechte vorbehalten. Reproduktion, Übersetzung in<br />

fremde Sprachen, Mikroverfilmung und elektronische Verarbeitung<br />

sowie jede andere Art der Wiedergabe nur mit<br />

schriftlicher Genehmigung des Verlags. Eine Verwertung<br />

ohne ausdrückliche Genehmigung ist strafbar. Namentlich<br />

gekennzeichnete Artikel stellen nicht in jedem Fall die<br />

Meinung der Redaktion dar. Für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte und Fotos wird keine Haftung übernommen.<br />

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blickpunkt musical <strong>01</strong>/20<strong>24</strong>


„FULMINANT, RASANT UND MITREISSEND“ Süddeutsche Zeitung<br />

JETZT AUF TOUR<br />

ZÜRICH, FRANKFURT, BERLIN und LINZ<br />

In Kooperation mit BB Promotion · Tickets nur unter eventim.de<br />

NEUINSZENIERUNG: GIL MEHMERT<br />

nach dem Weltbestseller von Donna W. Cross<br />

31. MAI - 28. JULI 20<strong>24</strong> SCHLOSSTHEATER FULDA<br />

DEUTSCHLANDS GRÖSSTES OPEN-AIR-MUSICAL<br />

MIT GROSSER CATERING-WELT, PERFEKT AUCH FÜR FIRMENEVENTS<br />

22. - 31. AUGUST 20<strong>24</strong> DOMPLATZ FULDA<br />

Tickets: 0661 2500 8090 www.spotlight-musicals.de


Generalintendant<br />

Alfons Haider<br />

Jetzt Karten kaufen!<br />

www.seefestspiele.at<br />

Anna Rosa<br />

DÖLLER<br />

––––<br />

Mark<br />

SeIbErt<br />

DAS MUSICAL<br />

11. Juli bis 17. August 20<strong>24</strong><br />

Nach BERNHARD SHAWS „Pygmalion“ I Musik von FREDERICK LOEWE


BARRIKADE<br />

HIT<br />

PARADE<br />

LES MISÉRABLES<br />

MÜNCHNER ERSTAUFFÜHRUNG 22. MÄRZ 20<strong>24</strong><br />

<strong>24</strong>. / 27. / 28. / 30. / 31. MÄRZ<br />

11. / 12. / 25. / 27. APRIL<br />

3. / 4. / 8. / 9. / 16. / 17. / 25. / 26. MAI<br />

5. / 6. / 13. / 14. JUNI<br />

HIER BUCHEN<br />

GAERTNERPLATZTHEATER.DE | O89 2185 196O

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