Bochum + Dortmund + Witten - Woman In The City
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„ICH WAR JUNG, DAS GEGENTEIL VON SPIESSIG<br />
UND ICH LIEBTE DAS REISEN“.<br />
Autorin Andrea Mohr im Gespräch mit <strong>Woman</strong> <strong>In</strong> <strong>The</strong> <strong>City</strong>-<br />
Redakteurin Anna Bossy.<br />
dem sie ihre Schule beendet hatte,<br />
studierte sie für kurze Zeit Japanologie,<br />
Amerikanistik und Wirtschaft in<br />
München und Berlin. Doch größer<br />
als ihre Lust auf ein geregeltes Leben,<br />
war ihre Sehnsucht nach Abenteuer.<br />
Andrea wollte etwas erleben. Sie<br />
wollte die Welt sehen. „Ich werde oft<br />
gefragt, wie es dazu kommt, dass man<br />
Drogendealerin wird. Da steckt nun<br />
wirklich kein Masterplan hinter. Ich<br />
war jung, das Gegenteil von spießig<br />
und ich liebte das Reisen“, versucht sie<br />
mir, und vielleicht auch ein bisschen<br />
sich selbst, zu erklären.<br />
Andrea arbeitete als Hostess, Fotomodel,<br />
Schauspielerin und Striptease-<br />
Tänzerin unter anderem in Osaka, wo<br />
sie viel Geld verdiente. Noch mehr, das<br />
wusste Andrea, konnte nur das Drogengeschäft<br />
bringen. „Ich saß in Ecuador<br />
alleine in einer Hotelbar, als mich<br />
plötzlich ein gut aussehender Mann<br />
ansprach. Beeindruckt stellte er fest,<br />
dass ich Tequila wie ein Mann trinken<br />
könnte“, erzählt Andrea Mohr<br />
amüsiert. Seine nächsten Worte waren<br />
es, die ihr Schicksal besiegeln sollten:<br />
„Eine Frau wie du wäre genau die richtige<br />
für den Schmuggel von Kokain.<br />
Jeder Zollbeamte der Welt schmilzt<br />
bei deinem Augenaufschlag dahin.“<br />
Andrea war die richtige, sie war gut.<br />
Zu gut. Nachdem sie ein Mal als Drogenkurierin<br />
fungiert hatte, merkte sie<br />
schnell, dass das nicht das große Geld<br />
brachte. Von da an nahm sie die Dinge<br />
selbst in die Hand. Sie schmuggelte<br />
das Kokain in großem Stil und über<br />
Kontinente hinweg. Die Scheine flossen<br />
so schnell, dass Andrea noch nicht<br />
einmal Zeit zum Waschen der Dollarnoten<br />
hatte. „Ich hatte ein Appartement<br />
gemietet, das ich nur dazu<br />
benutzte, das Geld hineinzuwerfen“,<br />
erzählt Andrea. „Bis heute weiß ich<br />
nicht, was damit nach meiner Verhaftung<br />
passiert ist. Wahrscheinlich<br />
hat es sich ein korrupter Polizist<br />
unter den Nagel gerissen!“ 1997 heiratete<br />
sie einen Mann, der in Deutschland<br />
wegen Bankbetrugs gesucht wurde,<br />
zog mit ihm nach Melbourne und<br />
organisierte nun mit ihm zusammen<br />
die Schmuggelgeschäfte. Bis zu ihrer<br />
Verhaftung genoss die Drogen-Bossin<br />
ein glamouröses Leben. Sie war<br />
zu Gast bei Filmstars wie Michael<br />
Douglas und Danny de Vito, lebte von<br />
einem Schuss zum nächsten. Bis dieses<br />
extravagante Leben plötzlich ein jähes<br />
Ende fand. „Die Polizei hatte uns sechs<br />
Monate lang observiert, nachdem<br />
sie ein Gespräch zwischen meinem<br />
Ex-Ehemann und einem beteiligten<br />
Anwalt mitbekommen hatte. Sie hatten<br />
gekokst und fingen plötzlich an<br />
zu plaudern. Verraten hat mich drei<br />
Monate nach der Verhaftung mein Ex<br />
Ehemann mit seiner Aussage.“<br />
Packend und schockierend ehrlich<br />
erzählt Andrea Mohr in ihrem Buch<br />
„Pixie“ von den Jahren hinter Git-<br />
tern, von ihren Tagträumen einer<br />
besseren Zeit und davon, wie sie nun<br />
zurück in der Heimat ihren Frieden<br />
gefunden hat.<br />
„Hinter mir fiel die eiserne Tür zu.<br />
Dieses Geräusch, das beim Schließen<br />
der Tür entsteht, ist ein ganz besonderes,<br />
denn es vergegenwärtigt einem das<br />
endgültige Eingeschlossensein – das<br />
Unwiderrufliche dieses Geräuschs hat<br />
sich tief in meine Erinnerungen gegraben“,<br />
beschreibt Andrea in ihrem Buch<br />
den Weg in die Hölle. <strong>In</strong> unverblümter<br />
Sprache erzählt sie von den Misshandlungen,<br />
von den Morddrohungen, von<br />
den leeren Seelen der Mitinsassinnen,<br />
die später ihre Freundinnen wurden:<br />
„Die Frauen, die ich im Gefängnis<br />
beschreibe, haben alle einen Fehler<br />
gemacht. Deshalb sind sie aber keine<br />
Monster. Genauso wenig wie ich!“ Von<br />
Mörderinnen, Drogendealerinnen,<br />
aber auch von Ehefrauen und Müttern<br />
erzählt Andrea, möchte aufklären,<br />
Einblicke geben. „Sie nannten mich<br />
Pixie“, lächelt die 47-Jährige. „Das ist<br />
ein Fabelwesen. Eine Mischung aus<br />
Kobold und Fee.“ Mit viel Mühen<br />
erkämpfte sich Andrea Mohr ein Studium,<br />
setzte sich für bessere Bedingungen<br />
ein und wurde zur Sprecherin<br />
der inhaftierten Frauen.<br />
Sieben Jahre sind seitdem vergangen.<br />
Die einstige Drogenbossin ermutigt<br />
heute verurteilte Straftäter ihre Haftzeit<br />
sinnvoll zu nutzen, veranstaltet<br />
Lesungen in Justizvollzugsanstalten<br />
und engagiert sich weltweit für die<br />
Abschaffung der Todesstrafe, für bessere<br />
Haftbedingungen, für Frauenhäuser<br />
und gegen Fremdenhass. Als reintegrierte<br />
Wohltäterin versteht sich<br />
Andrea Mohr dennoch nicht: „Jeder<br />
muss selbst wissen, wie er mein Buch<br />
auswertet. Ich möchte einen Einblick<br />
PORTRAIT<br />
geben, mehr nicht.“ Auf meine Frage<br />
nach ihrem Gewissen, antwortet die<br />
Blondine zurückhaltend: „Ich habe die<br />
traurigen Figuren am Ende der Drogenkette<br />
nicht mitbekommen. An so<br />
etwas habe ich nie gedacht!“ Ob sie es<br />
heute tut, ist nicht heraus zu hören.<br />
Wir haben uns lange unterhalten.<br />
Doch bleibe ich hin- und hergerissen,<br />
wie diese Frau ist, wer sie ist. Es<br />
fällt mir schwer sie einzuordnen. Ihr<br />
offenes Lachen, ihr sympathisches<br />
Zwinkern, von dem schon ein Drogenboss<br />
in Ecuador sagte: „Bei diesem<br />
Augenaufschlag schmilzt jeder dahin!“<br />
Auch nach 311 Seiten Hochspannung,<br />
Schrecken und Faszination bleibt<br />
Andrea Mohr „Pixie“ – eine Mischung<br />
eben, aus Kobold und Fee.<br />
PIXIE.<br />
VOM DROGEN-JETSET<br />
IN DEN FRAUENKNAST.<br />
MEIN LEBEN.<br />
Autor: Andrea Mohr<br />
im Deutschen gebunden mit Schutzumschlag<br />
/ Paperback in English<br />
Seiten: ca. 320 (English 368)<br />
Originaltitel: Pixie<br />
Originalverlag: Hardie Grant Publishing<br />
Deutscher Verlag: VGS Egmont<br />
ISBN: 978-3-8025-3742-4<br />
<strong>Woman</strong> <strong>In</strong> <strong>The</strong> <strong>City</strong> 9