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Neue Szene Augsburg 2018-09

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wird, wenn es negative Neuigkeiten aus der Türkei gibt. Aber das sind für<br />

mich auch Erfahrungen, die mich dazu gebracht haben, mich zu fragen,<br />

wo ich dazugehöre und wie ich meine Person deinieren würde.<br />

Wann weiß man eigentlich, dass Integration gelungen ist und man<br />

dazugehört?<br />

Lindl (überlegt): Ich würde mal sagen, was in <strong>Augsburg</strong> besonders<br />

gut klappt und was ich als <strong>Augsburg</strong>er unter Integration verstehe, ist ein<br />

hervorragendes Nebenher. Ich möchte jetzt nicht unbedingt den Begrif<br />

der Parallelgesellschat verwenden, aber er passt doch, weil er zeigt, was<br />

hier funktioniert. Nämlich, dass man prima nebeneinander leben kann.<br />

Die Überschneidungen passieren dann eher in einem berulichen Kontext<br />

oder in Projektarbeit im Kulturbereich. Vielleicht bin ich auch zu elitär<br />

und abgehoben in meiner Beurteilung, schließlich muss die AfD ihre vielen<br />

Stimmen in <strong>Augsburg</strong> irgendwoher bekommen. Aber ich bleibe trotzdem<br />

dabei: Dieses Zusammen-Nebenher ist in <strong>Augsburg</strong> extrem gelungen.<br />

Das kenne ich so unaufgeregt von anderen Städten nicht.<br />

Woran liegt diese <strong>Augsburg</strong>er Unaufgeregtheit?<br />

Lindl: Ich erkläre mir das aus einer historischen Perspektive, auch wenn<br />

man die nicht überschätzen darf, aber <strong>Augsburg</strong> ist einfach seit Jahrhunderten<br />

eine Migrantenstadt. Es gibt kaum eine <strong>Augsburg</strong>erin oder einen<br />

<strong>Augsburg</strong>er ohne Migrationshintergrund. Dadurch, dass <strong>Augsburg</strong> eine<br />

Handelsmetropole und später eine Textilstadt war, kamen früh Menschen<br />

aus der ganzen Welt, aus Italien, später aus Spanien, Griechenland und der<br />

Türkei nach <strong>Augsburg</strong>. Oder nach dem 30-jährigen Krieg, da kamen sehr<br />

viele Migranten aus Südtirol nach <strong>Augsburg</strong> und Schwaben, weil hier einfach<br />

zwei Drittel der Bevölkerung weggestorben war.<br />

Kasli: Multi-Kulti hat in <strong>Augsburg</strong> im Grunde schon vor Hunderten<br />

von Jahren angefangen. Das mit dem Nebeneinander funktioniert in<br />

<strong>Augsburg</strong> wirklich gut, wir haben hier zum Beispiel keine Vernetzung von<br />

radikalen ausländischen Gruppen wie in München, Stuttgart oder anderen<br />

Metropolen. Ich würde dieses Nebeneinander aber doch ein bisschen kritisieren,<br />

weil das ja auch heißt, dass es zu wenige Grenzüberschreitungen<br />

zwischen den Parallelgesellschaten gibt.<br />

Lindl: Nebenher ist toll, aber es reicht nicht aus.<br />

Kasli: Ich würde auch ein wenig den Begrif der Toleranz überdenken.<br />

Toleranz bedeutet ja: Ich lass dich sein, wie du bist, lass dich deine Religion<br />

ausüben, wie du willst. Aber ich inde, wir sollten uns mehr gegenseitig<br />

kritisieren und darüber reden, wie wir dieses Nebeneinander gestalten können.<br />

Integration sollte nicht nur durch bestimmte akademische Milieus<br />

stattinden, sonst wird es so ein bisschen wohlwollend elitär und zum identitätsstitenden<br />

Akt, weil man sich damit auch von Rechts abgrenzen will.<br />

Inwieweit?<br />

Kasli: Es gibt da diese Geschichte eines indischen Arztes, der seit Jahren<br />

in Deutschland gearbeitet hat, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise<br />

am Münchner Hauptbahnhof vorbeilief und dem dann ein Teddybär<br />

geschenkt wurde, weil man ihn für einen Flüchtling hielt. Das ist für<br />

mich ein bisschen zu sehr eine moralische Selbstbefriedigung. Momentan<br />

haben wir dann wieder das andere Extrem, dass der Fremde als Bedrohung<br />

gesehen wird. Ich glaube erfolgreiche Integration kann aber nur gelingen,<br />

wenn man im Umgang miteinander Normalität herstellt.<br />

Der beste Gradmesser der Integration ist wahrscheinlich, wie viele<br />

Ehen es zwischen Menschen verschiedener Herkunt gibt.<br />

Lindl: In vergangenen Jahrhunderten war das so bei Ehen zwischen<br />

Protestanten und Katholiken. Wo das passiert, ist Integration gelungen, das<br />

ist mit Sicherheit der ehrlichste Gradmesser.<br />

Kasli: Und dafür braucht es diese positive Grenzüberschreitung,<br />

da reicht es nicht, dass ich weiß, von wo aus Syrien mein Arbeitskollege<br />

kommt, sondern was für Ideen, Überzeugungen und Gefühle er hat.<br />

Ist für Integration eine Leitkultur wichtig?<br />

Kasli: Ich inde den Begrif nicht so hilfreich. Es sollte eher darum<br />

gehen, dass man schaut, was Migranten mitbringen, was die Mehrheitsgesellschat<br />

will und was die Minderheitsgesellschat will und wie wir einen<br />

Gesellschatsvertrag vereinbaren können, zum Beispiel indem wir Frauenrechte<br />

deinieren.<br />

Lindl: Für mich ist der grundlegende Wert die Sprache auf einem<br />

bestimmten Niveau. Ohne wird nicht das entstehen, was wir Heimat nennen.<br />

Soziale Strukturen kann ich nur aubauen, wenn wir eine gemeinsame<br />

Sprache sprechen, das ist für mich der einzige sinnvolle Wert einer<br />

Leitkultur, den man verlangen kann. Damit sind natürlich soziale Probleme<br />

noch gar nicht gelöst, aber man kann anfangen, das Leben gemeinsam<br />

auszuhandeln.<br />

Wieso klappt die Integration eigentlich gefühlt in einer Metropole<br />

wie Berlin schlechter als im deutlich kleineren <strong>Augsburg</strong>?<br />

Lindl: Schwierig zu sagen, das wundert mich an Berlin auch immer.<br />

Vielleicht liegt es an der Größe der Parallelgesellschaten, abgesehen von<br />

Berlin-Mitte, wo man sich problemlos auf Englisch unterhalten kann.<br />

Vielleicht weil <strong>Augsburg</strong> weder übertrieben lokalpatriotisch, noch<br />

identitätslos ist und von der Größe her weder dörlich eng, noch metropolenhat<br />

weit ist.<br />

Lindl: Eine interessante These. Wenn man aus <strong>Augsburg</strong> kommt, muss<br />

man in München ja immer erklären, wo <strong>Augsburg</strong> eigentlich liegt. Das<br />

ist historisch erklärbar und Ausdruck einer gewissen Unsicherheit. Oder<br />

wenn man daran denkt, dass sich vor ein paar Jahren in <strong>Augsburg</strong> eine<br />

Greater Munich-Bewegung breit gemacht hat, die <strong>Augsburg</strong> verleugnen<br />

wollte. Dabei hat <strong>Augsburg</strong> eine so lange Tradition, da war München noch<br />

Überschwemmungsland oder eine karstige Ebene, die niemanden interessiert<br />

hat. Das wäre eine gute historische Erklärung, wobei ich historische<br />

Erklärungen nicht überbewerten würde (lacht...).<br />

Wird Kasli in 20 bis 30 Jahren ein normaler deutscher Name sein, wie<br />

heute die Namen mit polnischem Ursprung?<br />

Kasli: Ich denke schon, die Forschung sagt ja, dass in der vierten, fünten<br />

Generation Migranten assimiliert werden würden. Was mich auf dem Weg<br />

dorthin stört, ist, wenn wie bei Mesut Özil fremdenfeindliche Meinungen<br />

produziert werden oder, auf der anderen Seite, wenn sich Türken in der<br />

Opferrolle einrichten. Wenn das einmal überwunden ist, wird der Name<br />

Kasli hier ganz normal sein, egal ob sein Träger blond oder schwarzhaarig<br />

ist. Aber ich bin zuversichtlich. Lange war Integration bei Migranten aus<br />

der Türkei ja gar nicht angedacht, weil man sagte: Die sind nur Gastarbeiter,<br />

die gehen eh wieder zurück. Das hat sich auf jeden Fall geändert.<br />

Lindl: Klima und die Mentalität in Deutschland sind seit den 90er<br />

Jahren einfach viel liberaler geworden, das ist, glaube ich, ein Hauptgrund<br />

dafür, dass Integration immer besser funktioniert und das Andere immer<br />

normaler wird. Dazu gehört, dass ich einen Busfahrer mit einem Namen,<br />

der nicht deutsch klingt, irgendwann nicht mehr frage, woher er kommt.<br />

Kasli: Wenn man mich fragt, woher ich komme, dann sage ich einfach<br />

Augschburg.

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