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Berliner Stimme Nr. 7 2018

Schwerpunkt Bürgerschaftliches Engagement

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RECHTS<br />

Berlin friert im Februar 1993, als sich die Initiativgruppe<br />

<strong>Berliner</strong> Frauen um Sabine Werth entschließt,<br />

obdachlosen Menschen zu helfen. Ursprünglich war<br />

die Aktion nur für einen Winter geplant.<br />

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Sabine Werth ist in ihrem Büro gerade<br />

dabei, Unterlagen ihrer Beschäftigten<br />

für das Steuerbüro zusammenzutragen.<br />

Gemeint sind nicht die Angestellten der<br />

Tafel – Sabine Werth ist seit mehr als 30<br />

Jahren selbstständige Familienpflegerin.<br />

Das heißt, sie unterstützt kurz- oder<br />

langzeiterkrankte Familienangehörige<br />

in der alltäglichen Hausarbeit und bei<br />

der Betreuung der Kinder. Normalerweise<br />

erledigt ihre Geschäftsführerin<br />

diese Aufgaben, doch diese ist gerade<br />

im Urlaub, genauso wie die Leitung der<br />

<strong>Berliner</strong> Tafel. Deshalb sitzt Sabine Werth<br />

gerade von morgens bis abends am PC,<br />

beantwortet Mails, telefoniert oder hilft<br />

in Konfliktsituationen. Natürlich hat sie<br />

sich in all den Jahren viele Gedanken<br />

gemacht über die Grauzonen ihres Engagements.<br />

Wo ist die Grenze zwischen<br />

Lebensmittel und Müll? Entlässt die Tafel<br />

den Sozialstaat aus der Verantwortung,<br />

für die Bedürftigen zu sorgen? Verfestigt<br />

sie Armutsstrukturen?<br />

Mitte Januar tauchte eine weitere Grauzone<br />

auf, eine, die eine gewaltige Medienwucht<br />

erzeugte und bis heute nachhallt.<br />

Mit der Entscheidung der Essener Tafel,<br />

künftig keine ausländischen Neukunden<br />

mehr aufzunehmen, entbrannte in<br />

Deutschland ein Streit über Verteilungsgerechtigkeit<br />

und Rassismus.<br />

„Wir hatten in drei unserer Ausgabestellen<br />

genau diese Überforderungssituation“,<br />

erzählt Werth. Der Beirat von<br />

Laib und Seele hat daraufhin beschlossen,<br />

dass es keine Ausgrenzung einzelner<br />

Gruppen geben darf. Es gehe bei der<br />

Tafelarbeit um die Bedürftigkeit, nicht<br />

um die Herkunft. Laib und Seele betreibt<br />

die Ausgabestellen und ist eine gemeinsame<br />

Initiative der Tafel, des rbb und<br />

der <strong>Berliner</strong> Kirchengemeinden.<br />

Die Kritik an der <strong>Berliner</strong> Tafel ist so alt<br />

wie der Verein. Das weiß auch Sabine<br />

Werth, und sie ist gut vorbereitet. Vor<br />

allem redet sie gern Tacheles. Die Tafel<br />

will nicht die Lösung des Problems sein,<br />

sondern nur ein Übergang zu einer gerechteren<br />

Gesellschaft. Menschen mit<br />

wenig Geld das Leben erleichtern und<br />

gleichzeitig immer wieder den Finger<br />

in die Wunde legen.<br />

Wie kann die Politik die Ehrenamtlichen<br />

noch besser unterstützen? Es scheint<br />

eine von Sabine Werths Lieblingsfragen<br />

zu sein. Sie holt einmal tief Luft. „Wissen<br />

Sie, ich habe durch mein Ehrenamt inzwischen<br />

fast jeden Orden, den dieses<br />

Land vergibt. Aber weil ich mein ganzes<br />

Leben selbstständig war, habe ich im<br />

Moment einen Rentenanspruch von<br />

124 Euro.“ Sie findet, dass man mit ehrenamtlichen<br />

Tätigkeiten Rentenpunkte<br />

erwerben sollte. Eine entsprechende<br />

Initiative hat der Bundesverband der<br />

Tafeln gerade auf den Weg gebracht.<br />

Sabine Werth betont, dass viele Hartz-IV-<br />

Beziehende, die bei der Tafel mitarbeiten,<br />

so ein kleines Plus für ihre spätere Rente<br />

erwirtschaften könnten und kommt<br />

zu dem Schluss: „Solange wir behaupten,<br />

dass wir noch ein Sozialstaat sind, sollte<br />

an dieser Stelle etwas gemacht werden.“<br />

www.berliner-tafel.de<br />

10 BERLINER STIMME

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