25-34/Ausb-Term_podo 12/06 - Werner Sellmer
25-34/Ausb-Term_podo 12/06 - Werner Sellmer
25-34/Ausb-Term_podo 12/06 - Werner Sellmer
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Die Besonderheit bei einer<br />
peripheren Polyneuropathie<br />
ist, dass<br />
dem Podologen hier diagnostische<br />
Standardmethoden zur<br />
Verfügung stehen. Mit deren<br />
Hilfe kann er seinen Verdacht<br />
überprüfen, um dann – dem<br />
Ergebnis entsprechend – den<br />
Patienten an eine ärztliche<br />
Praxis weiterzuleiten und im<br />
therapeutischen Team die<br />
weitere Vorgehensweise mit<br />
abzustimmen.<br />
Neuropathien<br />
5<br />
!In der XIII. Folge wurde das Krankheitsbild der<br />
arteriellen Durchblutungsstörungen und hier insbesondere<br />
die pAVK als Ursache eines Ulcus<br />
cruris behandelt. In dieser Folge geht es um die<br />
Erkrankung der peripheren Nerven, die autonome<br />
Neuropathie sowie die sensomotorische<br />
Polyneuropathie. Diese Folgeerkrankung – zum<br />
Beispiel des Diabetes mellitus – kann zu einem<br />
Malum perforans führen (zum Diabetischen Fußsyndrom<br />
lesen Sie auch Folge XI, Heft 8/<strong>06</strong>).<br />
Bereiten Sie sich mit unserer <strong>Ausb</strong>ildungsserie<br />
außerdem auf Ihre Prüfung vor! Oder frischen<br />
Sie Ihr Wissen auf! Anhand der Fragen und Antworten<br />
können Sie Ihre Kenntnisse testen.<br />
Bei Erkrankungen der peripheren<br />
Nerven wie einer Polyneuropathie<br />
(PNP) handelt<br />
es sich um eine nicht traumatisch,<br />
das heißt nicht durch eine<br />
Verletzung bedingte Erkrankung<br />
der peripheren Nerven.<br />
Unterschieden werden:<br />
5 die autonome Neuropathie,<br />
5 die sensibel-motorische (sensomotorische)<br />
PNP.<br />
Autonome Neuropathie<br />
Diese bezieht sich auf Erkrankungen<br />
derjenigen Muskeln<br />
und Nerven, welche die Organe<br />
versorgen. Sie verursacht<br />
in erster Linie Verzögerungen<br />
der Reizleitung und beruht auf<br />
einer Stoffwechselstörung innerhalb<br />
der Axone. Diese sind<br />
bis zu über 100 cm lange, efferente<br />
(ableitende) kabelartige<br />
Fortsätze einer Nervenzelle<br />
(Neuron), die elektrische<br />
Impulse aus dem Gehirn oder<br />
Rückenmark zu den Zielorganen,<br />
etwa anderen Nervenzellen<br />
oder Muskeln, leiten.<br />
Sie entspringen am Axonhügel,<br />
der Verbindungsstelle zum<br />
Zellleib der Nervenzelle. Von<br />
dort aus verlaufen sie zu anderen<br />
Neuronen und teilen<br />
sich zum Schluss in feinste<br />
Verzweigungen auf.<br />
Hier befinden sich die Schaltstellen<br />
(so genannte Synapsen)<br />
für die Weitergabe der<br />
Impulse an das Zielorgan, woraus<br />
eine Reaktion erfolgen<br />
soll; beispielsweise das Ausziehen<br />
eines Schuhs, wenn die<br />
Schmerzrezeptoren der Haut<br />
gemeldet haben, dass sich im<br />
Schuh ein Stein befindet.<br />
Schlauchartig umhüllt sind die<br />
Axone der peripheren Nerven<br />
von einer isolierend wirkenden<br />
Schicht, den Schwannschen<br />
Zellen. Sie wickeln sich<br />
etwa bei einem Drittel aller<br />
Nervenfasern mehrfach um<br />
das Axon herum und bilden<br />
so eine schützende Hülle. Diese<br />
besteht aus einem Fett-Eiweiß-Gemisch,<br />
dem Myelin,<br />
auch Markscheide genannt,<br />
das elektrisch isolierend ist.<br />
Axone, die über eine hohe Geschwindigkeit<br />
der Impulsleitung<br />
verfügen müssen, weil<br />
sie etwa bei drohender Gefahr<br />
sehr schnelle Reaktionen<br />
auslösen sollen, haben eine<br />
dicke Markscheide; daher hei-<br />
<strong>Ausb</strong>ildung<br />
Basiswissen Wundversorgung – Grundlagen/Teil XV:<br />
Aus <strong>podo</strong>logischer Sicht:<br />
Chronische Wunden<br />
Von Heidi Heinhold, Engelskirchen, in Zusammenarbeit mit Andreas<br />
Holtmann und Günter Westkamp, Alte Michaelsschule, Rheine<br />
Erkrankungen der peripheren Nerven sind vor allem<br />
Ursache eines Malum perforans.<br />
ßen sie markhaltige Nervenfasern.<br />
Ist eine geringere Geschwindigkeit<br />
notwendig, etwa<br />
bei der Steuerung der inneren<br />
Organe, fällt die Isolierschicht<br />
dünner aus. Die<br />
entsprechenden Nervenfasern<br />
werden als marklose Nervenfasern<br />
bezeichnet.<br />
Die Geschwindigkeit der Impulsleitung<br />
von der Zentrale<br />
zur Peripherie beträgt beim<br />
gesunden Menschen bis zu<br />
100 m pro Sekunde. Das sind<br />
6000 m = 6 km in der Minute<br />
oder 6 km x 60 Minuten =<br />
© Podologie, LVII, Heft <strong>12</strong>/20<strong>06</strong> <strong>25</strong><br />
(Fotos: Dr. med. Norbert Scholz)<br />
Fortsetzung auf S. 26
Fortsetzung von S. <strong>25</strong><br />
<strong>Ausb</strong>ildung<br />
36 km/h. Dazu ist Energie erforderlich.<br />
Wichtigster Energielieferant<br />
ist hier Glukose.<br />
Bei gestörten Stoffwechselverhältnissen,<br />
wie etwa beim<br />
Diabetes mellitus, steigt der<br />
Glukosegehalt nicht nur im<br />
Blut, sondern auch in der Nervenzelle<br />
an. Ein Zwischenprodukt<br />
des Glukosestoffwechsels,<br />
das im Verlauf des<br />
Glukoseabbaus entsteht, ist<br />
das Sorbitol. Es verbleibt in<br />
der Nervenzelle, staut sich<br />
dort und führt zu einer bedeutenden<br />
Funktionsstörung:<br />
die Impulsleitgeschwindigkeit<br />
der Nervenfaser nimmt ab.<br />
Folge ist die verzögerte bis<br />
ausfallende Antwort auf Reize,<br />
die dem Gehirn, etwa als<br />
Druck oder Schmerz, gemeldet<br />
wurden.<br />
Betroffen ist bei diesem Krankheitsbild<br />
das vegetative Nervensystem;<br />
zunächst der Sympathikusnerv,<br />
später der Parasympathikus.Dementsprechend<br />
treten zuerst Herzbeschwerden,Funktionsstörungen<br />
der Speiseröhre, des Magen-Darm-Traktes<br />
sowie des<br />
Urogenitaltraktes auf. Frühzeichen<br />
an Beinen und Füßen<br />
sind:<br />
5 verminderte Schweißsekretion,<br />
5 trockene, spröde, schuppige<br />
Haut – führt zu schlecht<br />
heilenden Einrissen (Rhagaden),<br />
5 in einigen Fälle unerträglicher<br />
Juckreiz.<br />
Sensomotorische<br />
Polyneuropathie<br />
Sie äußert sich in Empfindungsstörungen<br />
der peripheren<br />
Nerven. Dies führt zu einer<br />
eingeschränkten bis gänzlich<br />
ausfallenden Tiefensensibilität<br />
und in der Folge zum<br />
Verlust der Wahrnehmung<br />
von Druck, Schmerz und<br />
Temperaturunterschieden. In<br />
der Praxis heißt das, der Betroffene<br />
nimmt nicht wahr,<br />
wenn sich ein Stein im Schuh<br />
befindet, oder wenn er sich –<br />
etwa beim Fußbad – mit<br />
heißem Wasser verbrüht. Er<br />
kann also, anders als bei der<br />
autonomen Neuropathie,<br />
Tabelle 1: Stadien der Neuropathien nach Gries/Berger<br />
Stadium Autonome Neuropathie Sensomotorische Neuropathie<br />
latent Kaum störende Symptome, bei Zeitweises Auftreten von Brennen<br />
denen zeitweise eine Normali- und Kribbeln („Ameisenlaufen“)<br />
sierung des Zustandes auftritt der Füße, Gefühl wie rohes Fleisch<br />
oder Blasen an den Füßen<br />
manifest Deutliche Symptome mit ständi- Zeitweise deutliche Symptome<br />
gen oder auch teilweise wech- der Gefühllosigkeit in den Extremiselnden<br />
Beschwerden täten (bei den Füßen beginnend)<br />
irreversibel Nicht mehr zu behebende Symp- Anhaltender Zustand der Gefühltome<br />
der Erkrankung mit ständi- losigkeit, die bis in den Untergen<br />
Beschwerden schenkel hineinreicht<br />
überhaupt nicht mehr reagieren,<br />
weil das Gehirn keine Information<br />
über die vorliegende<br />
Störung erhält. Somit kann<br />
es auch keine reflex- oder reaktionsauslösende<br />
Meldung<br />
an die „Gefahrenzone“ weiterleiten.<br />
Hierbei treten die Funktionsstörungen<br />
immer zuerst an<br />
den längsten – markhaltigen<br />
wie marklosen – Nervenfasern<br />
auf, wobei eine fehlende Tiefensensibilität<br />
auf eine Störung<br />
der marklosen Fasern<br />
des sympathischen Nervensystems<br />
hinweist.<br />
Ursachen können sein:<br />
5 Diabetes mellitus,<br />
5 Alkoholmissbrauch,<br />
5 Infektionserkrankungen,<br />
Ernährungsstörungen,<br />
rheumatische Erkrankungen<br />
und viele andere mehr.<br />
Typische Symptome<br />
Leitsymptome beider Neuropathieformen,<br />
bei denen in<br />
Schweregrade unterschieden<br />
wird, sind distal betonte ReizbeziehungsweiseAusfallerscheinungen<br />
(Tabelle 1). Zu<br />
den speziellen Auswirkungen<br />
der sensomotorischen Polyneuropathie<br />
am Fuß gehören:<br />
5 Deformitäten und Knochenveränderungen<br />
durch nicht<br />
ausreichende Innervierung<br />
der Unterschenkel- und Fußmuskulatur<br />
mit dem Risiko<br />
des Malum perforans.<br />
5 Fußödeme durch:<br />
a) eingeschränkte bis fehlende<br />
Reize des Sympathikusnervs<br />
auf die Blutge-<br />
fäße, die jetzt nicht mehr<br />
eng gestellt werden können,<br />
b) durch die alleinige Wirkung<br />
des Parasympathikus<br />
(Weitstellung der Gefäße),<br />
mit der Folge einer verbleibenden<br />
Gefäßerweiterung<br />
(Vasodilatation), was zum<br />
einen die Durchflussgeschwindigkeit<br />
des Blutes<br />
herabsetzt (eine Flüssigkeit<br />
fließt aufgrund physikalischer<br />
Gesetzmäßigkeiten in<br />
einem weiten Rohr immer<br />
langsamer als in einem engen<br />
Rohr) und zum anderen<br />
die Durchlässigkeit der<br />
Gefäßwände steigert. Dies<br />
führt dazu, dass vermehrt<br />
Flüssigkeit aus den Gefäßen<br />
in den Zwischenzellraum<br />
austritt – es entsteht<br />
ein Ödem.<br />
Aber: Bedingt durch die<br />
Weitstellung der Blutgefäße<br />
ständig rosig warme, trockene<br />
Füße; auch bei Hochlagerung,<br />
also in einer Situation,<br />
in der bei gesunden<br />
Gefäß- und Nervenverhältnissen<br />
der Fuß blass wird,<br />
eventuell sogar abkühlt.<br />
5 Verschlechterte Heilungstendenz<br />
bei bestehenden<br />
Hautdefekten aufgrund der<br />
verschlechterten Gefäßund<br />
Gewebssituation.<br />
5 Und im Vorstadium: GesteigertesSchmerzempfinden,<br />
vor allem im Bereich<br />
der Waden und der Füße.<br />
Zu den Folgeschäden der sensomotorischen<br />
PNP gehören:<br />
5 Veränderung der Fußform<br />
und damit des Gangbildes<br />
bis hin zu Lähmungen sowie<br />
hängende Fußhaltung<br />
als Ausdruck gestörter willkürlicherBewegungsabläufe<br />
(motorische Störungen).<br />
Dies kann der geschulte Podologe<br />
bereits ohne zusätzliche<br />
Untersuchungen wahrnehmen,<br />
wenn er den Gang<br />
des Patienten sieht.<br />
5 Reflexverlust – ebenfalls als<br />
Ausdruck gestörter Motorik<br />
– sowie gestörtes Vibrationsempfinden<br />
– als Ausdruck<br />
des Sensibilitätsverlustes<br />
(sensorische Störungen)<br />
und in der Folge<br />
5 gesteigerte Hornhautbildung<br />
an den Belastungsstellen<br />
– hier vor allem der<br />
Fußsohlen. Diese Hornhautschwielen<br />
stellen ein hohes<br />
Risiko für ein Malum perforans<br />
dar, weil die natürliche<br />
Hautfeuchtigkeit unterhalb<br />
der Hornhaut nicht<br />
mehr verdunsten kann. Die<br />
Hautzellen weichen auf<br />
(mazerieren) und können<br />
nicht mehr ernährt werden.<br />
Es entwickelt sich eine chronifizierende<br />
Wunde, die<br />
sehr tief reichen kann, weil<br />
die Verhornung nicht mit einer<br />
ernst zu nehmenden<br />
Funktionsstörung peripherer<br />
Nerven in Verbindung<br />
gebracht wird. Der Betroffene<br />
spricht beim Arzt oder<br />
Podologen unter Umständen<br />
lediglich an, dass er immer<br />
wieder mal feuchte<br />
Strumpfsohlen festgestellt<br />
habe. Diesem Hinweis muss<br />
unbedingt nachgegangen<br />
werden!<br />
5 Gesteigerte Infektionsbereitschaft<br />
infolge der Ernährungsstörung<br />
der Haut. Die-<br />
26 © Podologie, LVII, Heft <strong>12</strong>/20<strong>06</strong><br />
(nach Grünewald, K.: Theorie der medizinischen Fußbehandlung, Bd. 2, 2003)
se entsteht auf dem Boden<br />
der nerval bedingten verschlechtertenDurchblutungssituation.<br />
Dies wiederum<br />
bedingt:<br />
5 die Neigung zur Bildung von<br />
Ulzera bis hin zur Gangrän<br />
an den typischen Belastungsstellen<br />
von Ferse und<br />
Vorfuß. Und auch bei einem<br />
Unterschenkelgeschwür,<br />
dem Ulcus cruris, liegt in<br />
rund 20 Prozent der Fälle<br />
eine periphere Polyneuropathie<br />
als Ursache zugrunde.<br />
Diagnostik der<br />
sensomotorischen<br />
PNP<br />
Die Abklärung der Auswirkungen<br />
der autonomen Neuropathie<br />
fordert umfangreiche<br />
medizinische diagnostische<br />
Maßnahmen. Bei der sensomotorischen<br />
Polyneuropathie<br />
stehen dem Podologen standardisierte<br />
und einfach durchzuführendeUntersuchungsmethoden<br />
zur Verfügung. Mit<br />
diesen kann er aufgrund der<br />
in der Anamnese erhobenen<br />
Befunde einen Verdacht auf<br />
die Ursache der vorliegenden<br />
Störungen erhärten und die<br />
Ergebnisse dem Patienten und<br />
dem behandelnden Arzt mitteilen.<br />
Sie können ihm aufgrund<br />
der qualifizierten <strong>Ausb</strong>ildung<br />
innerhalb des therapeutischen<br />
Teams auch vom<br />
Arzt übertragen werden. Die<br />
Interpretation der Befunde obliegt<br />
jedoch dem Arzt. Zu den<br />
Untersuchungen gehören:<br />
5 Messung des Berührungsund<br />
Druckempfindens. Dies<br />
geschieht mit dem „Semmes-Weinstein-Filament“.<br />
Die Nylonfasern standardisierter<br />
Dicken und Längen<br />
ermöglichen die Angabe wiederholbarer<br />
und überprüfbarer<br />
Werte. Die Wahrnehmungsschwelle<br />
ist abhängig<br />
vom Grad der PNP. (Zuvor<br />
unbedingt plantare Verhornungen<br />
entfernen.)<br />
5 Oberflächensensibilität prüfen:<br />
Sie erfolgt durch das Bestreichen<br />
der Region mit einem<br />
feinen Haarpinsel.<br />
5 Messung des Vibrationsempfindens<br />
zur Bestimmung<br />
der Tiefensensibilität. Hierzu<br />
gibt es zwei Methoden:<br />
Die kalibrierte (neurologische)<br />
Stimmgabel nach<br />
Rydel-Seiffer (häufigste Methode<br />
in Deutschland) ermöglicht<br />
durch einen skaliertenSchwingungsausschlag<br />
die Angabe nachvollziehbarer<br />
Werte, bei denen<br />
die Vibration noch wahrgenommen<br />
wird. Mit Hilfe<br />
eines Vibrameters, einer<br />
elektrisch betriebenen Sonde,<br />
kann der angewendete<br />
Amplitudenwert, bei dem<br />
Vibrationen noch wahrgenommen<br />
werden, als ebenfalls<br />
nachvollziehbares Ergebnis<br />
abgelesen werden.<br />
5 Prüfung des Kalt-/Warmempfindens:<br />
Diese erfolgt<br />
entweder durch Berühren<br />
der Haut mit verschließbaren<br />
Reagenzgläsern, die mit<br />
kaltem beziehungsweise<br />
warmem Wasser gefüllt sind.<br />
(Wichtig: Vergleichsprüfungen<br />
an beiden Füßen!) Oder<br />
die Prüfung wird mittels eines<br />
Tip-Therm (Kunststoffstab<br />
mit einem Metallende)<br />
durchgeführt. Dieser sollte<br />
jedoch nur bei einer Umgebungstemperatur<br />
bis zu<br />
23 °C durchgeführt werden.<br />
Ansonsten kann der Patient<br />
den Unterschied nicht mehr<br />
deutlich wahrnehmen.<br />
5 Prüfung des Spitz-/Stumpf-<br />
Empfindens: Diese erfolgt<br />
durch wechselweises Aufsetzen<br />
etwa einer Kugelschreiberspitze<br />
und eines<br />
Kugelschreiberkopfes. Als<br />
standardisierte und aussagefähige<br />
Messorte gelten bestimmte<br />
Stellen an Fußsohlen,<br />
Fußrücken, in den Knöchelbereichen<br />
sowie an den<br />
Zehen. Alle erhobenen Befunde<br />
müssen sorgfältig dokumentiert<br />
werden.<br />
Die typischen Merkmale eines<br />
neuropathisch bedingten<br />
Ulcus cruris sind:<br />
5 Belastungsstellen an Fußsohlen,<br />
vor allem im Bereich<br />
der Mittelfußköpfchen, Fußaußenränder<br />
und Fersen.<br />
5 Gefäßsituation: Permanente<br />
Weitstellung durch Ausfall<br />
der Reize des N. sympathicus<br />
zur Engstellung beziehungsweise<br />
durch die<br />
jetzt überwiegende weitstellende<br />
Wirkung des N. parasympathikcus.<br />
Die Pulse sind<br />
gut tastbar.<br />
5 Die Haut ist warm, rosig,<br />
blass und verändert sich<br />
auch bei Hochlagerung<br />
nicht. Hornhautschwielen<br />
an den Belastungsstellen.<br />
5 Der Wundrand ist oftmals<br />
verhornt.<br />
5 Missempfindungen siehe<br />
Tabelle 1, keine Schmerzen.<br />
5 Ödeme sind vorhanden<br />
durch permanente Weitstellung<br />
der Blutgefäße und<br />
der damit verbundenen erhöhten<br />
Durchlässigkeit der<br />
Gefäßwände.<br />
Therapie des<br />
Malum perforans<br />
Die Behandlung der Grunderkrankung<br />
als Kausaltherapie<br />
– in diesen Fällen die Ursachen<br />
der autonomen Neuropathie<br />
beziehungsweise der<br />
Polyneuropathie (wie eine optimale<br />
Einstellung des Diabetes<br />
mellitus) – unterstützt die<br />
Heilungstendenz des Malum<br />
perforans. Die Bezeichnung<br />
„Malum perforans“ heißt, genau<br />
übersetzt, „durchbohrendes<br />
Übel“; und das deshalb,<br />
weil es sich praktisch symptomlos<br />
unter der Hornhautschwiele<br />
durch das mangelernährte<br />
Gewebe hindurch<br />
bis an oder gar bis in die Knochen<br />
hinein entwickeln kann.<br />
<strong>Ausb</strong>ildung<br />
Überprüfen Sie mit diesen Fragen Ihr Wissen<br />
Bevor Sie die Fragen lesen, decken Sie bitte den umstehenden<br />
Text mit einem Blatt Papier ab.<br />
Frage 1: Wie viele Formen der Neuropathie gibt es, wie<br />
heißen sie, und wie wirken sie sich aus?<br />
Frage 2: Was ist eine Nervenfaser? Was ist ein Axon und<br />
welche Funktion hat es?<br />
Frage 3: Was bedeutet eine ausgefallene oder verzögerte<br />
Reizleitung für den Betroffenen?<br />
Frage 4: Welche Grunderkrankungen führen zu einer<br />
Neuropathie?<br />
Frage 5: Welche Frühmerkmale weisen auf eine autonome<br />
Neuropathie hin?<br />
Frage 6: Wie wirkt sich eine Polyneuropathie am Fuß aus?<br />
Frage 7: Welche Folgeschäden können bei einer sensomotorischen<br />
Polyneuropathie auftreten?<br />
Das Tückische daran ist die<br />
Schmerzlosigkeit aufgrund<br />
der Neuropathie, die keinen<br />
Leidensdruck auslöst, was das<br />
Verständnis des Patienten für<br />
eine zwingend notwendige<br />
Änderung der Lebensführung<br />
nicht gerade fördert.<br />
Bei der Lokaltherapie steht ein<br />
ganzes Bündel von Maßnahmen<br />
zur Verfügung.<br />
Es beginnt – wenn die Wunde<br />
infiziert ist – mit einer systemischen,<br />
also über die Blutgefäße<br />
zugeführten Antibiotikatherapie<br />
unter gleichzeitiger<br />
absoluter Druckentlastung.<br />
Dies muss allerdings<br />
nicht automatisch gleichbedeutend<br />
mit Bettruhe sein.<br />
Druckentlastung kann auch<br />
durch die Verwendung von<br />
Gehhilfen, eines Rollstuhls sowie<br />
Weichbettungen beziehungsweise<br />
Vorfuß- und Rückfußentlastungsschuhenerreicht<br />
werden.<br />
Ebenfalls parallel verläuft die<br />
sachgerechte Wundversorgung<br />
mit einer entsprechenden<br />
Wundreinigung und einem<br />
chirurgischen Débridement<br />
(Entfernung der Nekrosen).<br />
Durch diese chirurgische<br />
Maßnahme entsteht eine frische<br />
Wunde, die eine verbesserte<br />
Heilungstendenz hat.<br />
Nun erfolgt die feuchte Wundbehandlung<br />
bis zum kompletten<br />
Verschluss der Wunde<br />
mit belastbarem Epithel.<br />
Fortsetzung auf S. 28<br />
© Podologie, LVII, Heft <strong>12</strong>/20<strong>06</strong> 27
Fortsetzung von S. 27<br />
Aufgaben<br />
des Podologen<br />
<strong>Ausb</strong>ildung<br />
Ein Aufgabengebiet auch des<br />
Podologen im therapeutischen<br />
Team ist die spezialisierte<br />
Nachsorge mit Schulung des<br />
Patienten und Rezidivprophylaxe.<br />
Dazu gehören:<br />
5 Weiterleitung des Patienten<br />
an den Orthopädieschuhtechniker<br />
zur Versorgung<br />
mit Schuhwerk, das eine<br />
entsprechende Druckverteilung<br />
ermöglicht.<br />
5 An die Eigenverantwortlichkeit<br />
des Patienten appellieren<br />
insbesondere hinsichtlich<br />
seiner Lebensführung,<br />
aber auch bezüglich<br />
seiner Gangtechniken und<br />
der Fußpflege.<br />
5 Schulung in der täglichen<br />
Fußinspektion, insbesondere<br />
im Hinblick auf mögliche<br />
Hornhautbildungen an den<br />
Belastungsstellen, Rhagaden,<br />
Pilzinfektionen der Fußnägel,<br />
aber auch der Zehenzwischenräume<br />
und der Fußsohle,<br />
unter Verwendung<br />
spezieller, gebogener Spiegel<br />
mit langem Stiel, die es<br />
dem Betroffenen ermöglichen,<br />
sitzend die Fußsohle<br />
zu inspizieren.<br />
5 Informationen zur täglichen<br />
Fußpflege mit körperwarmen<br />
Fußbädern. Maxima-<br />
le Dauer: 10 Minuten. Die<br />
Haut soll gereinigt und gepflegt,<br />
nicht aufgeweicht<br />
werden. Sorgfältiges Abtrocknen<br />
ist erforderlich, um<br />
Nässestaus zwischen den<br />
Zehen und in den Zehenbeugen<br />
zu vermeiden. Es<br />
besteht die Gefahr der Pilzinfektion!<br />
Bei bestehenden<br />
Hornhautschwielen hornhauterweichende<br />
Mittel nur<br />
nach Rücksprache mit dem<br />
Arzt verwenden. Es besteht<br />
das Risiko einer durch die<br />
Schwiele verdeckten Gewebsschädigung.<br />
5 Auf die Verletzungsgefahren<br />
im Alltag wie etwa beim<br />
Barfußlaufen hinweisen.<br />
Denn bereits Mikroverletzungen<br />
können zu Infektionen<br />
führen.<br />
Das Ziel aller präventiven<br />
Schulungsmaßnahmen sollte<br />
immer eine Verhaltensänderung<br />
des Patienten sein.<br />
Mischformen<br />
Unterschenkelgeschwüre treten<br />
häufig auch als Mischformen<br />
auf. Das heißt, sie sind<br />
nach Lokalisation, Haut- und<br />
Gefäßsituation sowie der<br />
Schmerzhaftigkeit nicht eindeutig<br />
einer gefäßbedingten<br />
Grundkrankheit zuzuordnen,<br />
was Diagnostik und Therapie<br />
erschwert. Auch das neuro-<br />
Auflösung und Erläuterung der Fragen:<br />
Frage 1: Wie viele Formen der Neuropathie gibt es, wie<br />
heißen sie, und wie wirken sie sich aus?<br />
Antwort: Es gibt zwei Formen: die autonome Neuropathie<br />
und die sensomotorische Polyneuropathie. Die autonome<br />
Neuropathie verursacht Störungen der Reizleitung, die sensomotorische<br />
Polyneuropathie verursacht Störungen der<br />
Reizempfindung.<br />
Frage 2: Was ist eine Nervenfaser? Was ist ein Axon und<br />
welche Funktion hat es?<br />
Antwort: Eine Nervenfaser ist ein von einer Markscheide<br />
ummanteltes Axon.<br />
Dieses ist ein kabelartiger Fortsatz der Nervenzelle, der<br />
elektrische Impulse aus dem Gehirn oder Rückenmark zu<br />
den Zielorganen leitet.<br />
Frage 3: Was bedeutet eine ausgefallene oder verzögerte<br />
Reizleitung für den Betroffenen?<br />
Antwort: Empfindungen wie Druck oder Schmerz werden<br />
nicht wahrgenommen. Das Gehirn kann keine schützenden<br />
Reaktionen oder Reflexe auslösen.<br />
pathische Ulcus kann kombiniert<br />
auftreten, etwa mit einer<br />
pAVK. Das heißt: Die in den<br />
letzten beiden Folgen und hier<br />
beschriebenen typischen<br />
Merkmale sind Anhaltspunkte<br />
für eine Verdachtsdiagnose,<br />
die immer sorgfältig durch<br />
medizinische Untersuchungen<br />
abgeklärt werden muss.<br />
Zusammenfassung<br />
Gerade das Beispiel des neuropathischen<br />
Ulcus zeigt, wie<br />
umfangreich und verantwortungsvoll<br />
die Tätigkeit des Podologen<br />
im therapeutischen<br />
Team sowohl in der Therapie<br />
als auch in der Prophylaxe –<br />
gegebenenfalls der Rezidivprophylaxe<br />
– ist. Es kommt<br />
darauf an, das Vertrauen des<br />
Patienten zu gewinnen, um<br />
gemeinsam mit ihm, seinen<br />
Angehörigen und dem therapeutischen<br />
Team eine Strategie<br />
zu entwickeln, die zur Besserung<br />
oder gar Heilung des<br />
Ulcus cruris führt und die ihm<br />
hilft, die Grunderkrankung zu<br />
akzeptieren. Denn diese bleibt<br />
nun mal bestehen. Ihre Folgen<br />
können jedoch durch eine<br />
entsprechend angepasste<br />
Lebensführung eingegrenzt<br />
werden.<br />
In der nächsten und letzen<br />
Folge dieser Serie erfahren<br />
Sie alles Wichtige zum Thema<br />
Wunddokumentation. 7<br />
Korrespondenzadresse:<br />
Heidi Heinhold<br />
Fachjournalistin<br />
Zeithstr. 5<br />
51766 Engelskirchen<br />
E-Mail: Heinhold.Heidi@<br />
T-Online.de<br />
Für die fachliche Beratung gilt<br />
besonderer Dank Günter Westkamp,<br />
Lehrer für Pflegeberufe,<br />
Podologe, und Andreas<br />
Holtmann, Dipl. Pflegepädagoge<br />
(FH), Akademie für Gesundheitsberufe,<br />
Alte Michaelsschule<br />
am Mathias-Spital in<br />
Rheine, sowie Susanne Schmitz-<br />
Hültzbeck, Altenpflegerin/med.<br />
Fußpflegerin, Engelskirchen.<br />
Verwendete Literatur:<br />
1. Fleischner, Gerhard: Podologische<br />
Dermatologie – Kompendium<br />
der medizinischen Fußpflege,<br />
Band III, 1. Aufl. 1998,<br />
Verlag Neuer Merkur, München<br />
2. Grünewald, Klaus: Theorie der<br />
medizinischen Fußbehandlung,<br />
Fachbuch für Podologie, Band<br />
1 und 2, 2. überarb. Aufl. 2002,<br />
Verlag Neuer Merkur, München<br />
3. Scholz, Norbert: Lehrbuch und<br />
Bildatlas für die Podologie,<br />
2. überarb. Aufl. 2004, Verlag<br />
Neuer Merkur, München<br />
4. Medizin und Gesundheit, Lehrbuch<br />
für die Berufe des Gesundheitswesens,Sonderausgabe,<br />
Naumann & Göbel, Köln,<br />
S. 157 ff<br />
Frage 4: Welche Grunderkrankungen führen zu einer Neuropathie?<br />
Antwort: Die häufigsten Grunderkrankungen sind der Diabetes<br />
mellitus, der Alkoholmissbrauch sowie Infektionserkrankungen,<br />
Ernährungsstörungen und rheumatische Erkrankungen.<br />
Frage 5: Welche Frühmerkmale weisen auf eine autonome<br />
Neuropathie hin?<br />
Antwort: Verminderte Schweißsekretion, trockene, schuppige<br />
Haut und Juckreiz.<br />
Frage 6: Wie wirkt sich eine Polyneuropathie am Fuß aus?<br />
Antwort: Deformitäten und Knochenveränderungen, Ödembildung,<br />
warme trockene Füße, die auch bei Hochlagerung<br />
nicht blasser werden, Schmerzen, schlechte Heilungstendenz<br />
bestehender Wunden.<br />
Frage 7: Welche Folgeschäden können bei einer sensomotorischen<br />
Polyneuropathie auftreten?<br />
Antwort: Veränderungen der Fußform und des Gangbildes,<br />
sowie hängende Fußhaltung, Reflexverlust, gesteigerte Hornhautbildung<br />
über den Belastungsstellen, gesteigerte Infektionsbereitschaft,<br />
Neigung zu Ulzera bis hin zur Gangrän.<br />
28 © Podologie, LVII, Heft <strong>12</strong>/20<strong>06</strong>