Da findest du mich. Deine Muse - NordWestZentrum
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Mittwoch, 4. März 2009 – Magazin<br />
AKTUELL<br />
150 Jahre nach <strong>Da</strong>rwin: Was die Evolutionsforschung heute weiß<br />
harles Robert <strong>Da</strong>rwin ist zur- Czeit allgegenwärtig – im<br />
Fernsehen, in Zeitungen und Zeitschriften,<br />
in <strong>Muse</strong>en und öffentlichen<br />
Ausstellungen wie im NWZ<br />
(siehe Seite 2). <strong>Da</strong>s <strong>Da</strong>rwin-Jahr<br />
elektrisiert die Massen, vermutlich<br />
weil es ein doppeltes ist. Im Jahr<br />
1809 wurde der englische Naturwissenschaftler<br />
geboren (verstorben<br />
1882), im Jahr 1859, also vor<br />
150 Jahren, veröffentlichte er sein<br />
bahnbrechendes Werk „On the<br />
origin of species“ (Die Entstehung<br />
der Arten). Aufbauend auf seinen<br />
zahlreichen Züchtungsversuchen<br />
mit Tauben und seinen engen<br />
Kontakten zu Tier- und Pflanzenzüchtern<br />
in ganz England, legte er<br />
erstmals eine umfassende Theorie<br />
vor, wie sich alle Arten <strong>du</strong>rch natürliche<br />
Selektion bestimmter Eigenschaften<br />
sowie <strong>du</strong>rch die äußeren<br />
Bedingungen und den Konkurrenzdruck<br />
in einem bestimmten<br />
Lebensumfeld verändern und weiterentwickeln.<br />
Auch die Forscher im Senckenberg-<strong>Muse</strong>um<br />
profitieren von dem<br />
wiedererwachten Interesse an dem<br />
Thema, obwohl sie als Fachleute<br />
natürlich einiges an dem Boom anders<br />
einzuordnen wissen. <strong>Da</strong>rwin<br />
veröffentlichte seine Theorien bereits<br />
ein Jahr vorher, also 1858, in<br />
einem 20-seitigen Auszug für eine<br />
Fachzeitschrift. Außerdem sei<br />
der französische Forscher Jean<br />
Baptiste Lamarck nicht entsprechend<br />
gewürdigt. Dieser habe bereits<br />
im Jahr 1809 (auch das wäre<br />
ein Jubiläum) in seiner „Philosophie<br />
zoologique“ eine Evolutionstheorie<br />
ausgearbeitet, wenngleich<br />
er andere Mechanismen angenommen<br />
habe als <strong>Da</strong>rwin,<br />
erklärt Dr. Michael Gudo, der Geschäftsführer<br />
und wissenschaftliche<br />
Leiter der Firma Morphisto,<br />
die sich als erste Ausgrün<strong>du</strong>ng des<br />
Frankfurter Forschungsinstituts<br />
Senckenberg stark auf dem Feld<br />
der Evolutionsforschung engagiert.<br />
Aber <strong>Da</strong>rwin dürfe zugebilligt<br />
werden, so ist in der Morphisto-<br />
Zeitschrift „Querschnitte“ zu erfahren,<br />
das vorhandeneWissen der<br />
damaligen wissenschaftlichen Gemeinschaft<br />
zusammengetragen,<br />
<strong>du</strong>rch seine Ergebnisse erweitert<br />
und aufbereitet zu haben. Viele<br />
Forscher folgten dem und trugen<br />
als <strong>Da</strong>rwinisten das Wissen mit so<br />
starken Vokabeln wie „Survival of<br />
the Fittest“ („Überleben des Stärkeren“)<br />
in die Welt. In Deutschland<br />
wurde Ernst Haeckel zum<br />
führenden <strong>Da</strong>rwinisten. Die Forschung<br />
ergänzte, erweiterte und<br />
modifizierte <strong>Da</strong>rwins Thesen: So<br />
gibt es auch nicht nur die eine Evolutionstheorie<br />
(selbst wenn man<br />
das im <strong>Da</strong>rwin-Jahr glauben könnte),<br />
sondern eine ganze Reihe von<br />
Evolutionstheorien.<br />
„<strong>Da</strong>s sind <strong>du</strong>rchaus andere Ansätze,<br />
um einen Wandel zu erklären“,<br />
sagt Gudo, der „naturgemäß“<br />
ein Vertreter der einflussreichen<br />
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Frankfurter Evolutionstheorie ist,<br />
die von einer Arbeitsgruppe am<br />
Forschungsinstitut Senckenberg<br />
seit 1970 entwickelt worden ist.<br />
Und da Gudo weiß, dass die Beschreibung<br />
genetischer und anatomischer<br />
Veränderungen bei Organismen<br />
nicht jedermann sofort zugänglich<br />
ist, spielt er einen Vergleich<br />
aus, um die beiden zentralen<br />
Richtungen zu verdeutlichen.<br />
„Wenn wir die Geschichte des Au-<br />
Dr. Michael Gudo und Willem Warnecke von Morphisto zeigen im Senckenberg-<strong>Muse</strong>um einen Becherschwamm<br />
aus dem Pazifischen Ozean. Schwämme gehören zu einem der drei Hauptfelder der Evolution. Foto: Schramm<br />
tomobils betrachten, dann befasst<br />
sich der <strong>Da</strong>rwinismus mit den Modellreihen,<br />
den Farben der Fahrzeuge<br />
und denVorlieben der Autokäufer,<br />
die Frankfurter Theorie<br />
hingegen untersucht, wie der Motor<br />
von der <strong>Da</strong>mpfmaschine zum<br />
Zwölfzylinder entwickelt wurde.“<br />
Während die einen somit auf Mutation,<br />
Selektion und Anpassung<br />
der Lebewesen schauen, interessieren<br />
sich die Frankfurter Forscher<br />
dafür, wie der Aufbau und die Entstehung<br />
von bestimmten Körperkonstruktionen<br />
zu erklären ist.<br />
Eine klare Charakterisierung<br />
der Evolutionstheorien müsse sein,<br />
darauf legen Gudo und seine Mitarbeiter<br />
bei MorphistoWert; allein<br />
so könne man sie schließlich von<br />
unwissenschaftlichen Konzepten,<br />
etwa kreationistischen Schöpfungsmythen,<br />
abgrenzen. Eine solche<br />
Erklärung für die Entstehung<br />
von Leben hatte ja zuletzt vor allem<br />
unter der Bush-Administration im<br />
religiös-konservativen Teil der<br />
USA wieder großen Aufwind erhalten.<br />
Die Mutmaßung, dass Gott<br />
oder eine andere übernatürliche<br />
Instanz die Evolution steuern<br />
könne („intelligent design“), sei<br />
„keine wissenschaftliche Alternative“<br />
zu den Evolutionstheorien.<br />
Der Körperbau steht<br />
im Mittelpunkt<br />
Zurück zur Frankfurter Evolutionstheorie.<br />
Die dafür zentrale<br />
„Konstruktions-Morphologie“<br />
hat in den vergangenen Jahrzehnten<br />
zu vielen neuen Erkenntnissen<br />
geführt. Man sieht es schon daran,<br />
wie sich die Nachbil<strong>du</strong>ngen ausgestorbener<br />
Arten, ob Figuren oder<br />
Skelette, ständig verändern. So<br />
stand der Saurier Iguanodon im<br />
Lichthof des Senckenberg-<strong>Muse</strong>ums<br />
jahrzehntelang auf zwei Bei-<br />
<strong>Da</strong>s Lehrbuch der Zoologie: Es zeigt die komplette Evolutionsgeschichte der Tiere über den Zeitraum von etwa einer Milliarde Jahre. Foto: Morphisto<br />
nen, heute steht er wieder auf vier<br />
(wie zur Zeit der <strong>Muse</strong>umseröffnung<br />
1828). Ein Blick auf Modelle<br />
aus den 1970er Jahren verrät<br />
mehr Details. <strong>Da</strong>mals wurden die<br />
Saurier (zum Beispiel der T-Rex)<br />
wie Reptilien immer mit eingeknickten<br />
Beinen und schwerfälligem<br />
Körper dargestellt, heute stellt<br />
man die Beine direkt unter den<br />
Körper und weiß, dass die Dinosaurier<br />
viel agiler waren als lange<br />
Zeit angenommen. „<strong>Da</strong>s sind Erkenntnisse<br />
aus der Rekonstruktion<br />
der Muskelanordnungen“, sagt<br />
WillemWarnecke, Mitarbeiter bei<br />
Morphisto. „Nur über die Farbe<br />
können wir nichts sagen“, ergänzt<br />
Gudo.<br />
Die ganzeWelt der Frankfurter<br />
Evolutionsforscher fasst eine große<br />
Schautafel zusammen, die im<br />
Evolutionsraum des Senckenberg-<br />
<strong>Muse</strong>ums steht und auch im Nord-<br />
WestZentrum zu sehen sein wird.<br />
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Gudo nennt sie gerne das „Zoologie-Lehrbuch<br />
für Studenten“. Die<br />
Tafel zeigt, wie aus einem gemeinsamen<br />
Grundvorläufer vor etwa einer<br />
Milliarde Jahren, einem aus gallertartigenBindegewebs-Muskelgittern<br />
aufgebauten Organismus<br />
(genannt „Gallertoid“) die 40<br />
Hauptlinien der Evolution entstehen<br />
konnten. Schon früh ergab sich<br />
eineTrennung in drei große Evolutionsfelder.<br />
Erstens Tiere wie Korallen,<br />
Schwämme und die frei<br />
schwimmenden Rippenquallen,<br />
zweitens wurmartige Formen, die<br />
sich kriechend fortbewegen und<br />
aus denen neben den Weichtieren<br />
(Schnecken, Tintenfisch) auch die<br />
vielen Würmer und die Tiere mit<br />
Außenskelett (Krebse, Insekten,<br />
Spinnen) entstanden sind, und<br />
drittens Tiere mit einem Innenskelett,<br />
das zunächst als Längsachse<br />
entstand und sich später zur Wirbelsäule<br />
entwickelte. Von diesen<br />
Tieren mit Längsachse entstanden<br />
zunächst die Fische, dann die<br />
Landwirbeltiere und nach vielen<br />
Millionen Jahren der Mensch.<br />
<strong>Da</strong>s alles weiß die Evolutionsforschung<br />
– und doch gibt es noch<br />
viele ungelöste und offene Fragen:<br />
„Wir erzählen plausible Szenarien,<br />
ausgeforscht wird dieses Gebiet nie<br />
sein“, sagen Gudo und Warnecke.<br />
Und eines könne Evolutionsforschung<br />
grundsätzlich nicht leisten:<br />
konkret die Zukunft vorhersagen.<br />
Sie könne nicht sagen, welche<br />
Tierarten es in einem, fünf oder<br />
50 Millionen Jahren geben wird,<br />
wohl aber, in welchem Rahmen<br />
sich die Evolution abspielen wird:<br />
Nur das kann gewandelt werden,<br />
was bereits vorhanden ist. Landwirbeltiere<br />
haben deshalb vier Extremitäten,<br />
weil ihre fischartigen<br />
Vorläufer zwei Flossenpaare hatten,<br />
und diese zwei Flossenpaare<br />
hatten sie aus strömungsdynamischen<br />
Gründen (die gleichen übri-<br />
gens, weswegen auch Flugzeuge<br />
meistens zwei Tragflächenpaare<br />
haben).<br />
Noch ein plausibles Beispiel gefällig:<br />
Engel kann es der Evolutionstheorie<br />
zufolge gar nicht geben,<br />
weil bei denWirbeltieren kein dritter<br />
Satz Extremitäten angelegt ist.<br />
… über Morphisto<br />
ie Morphisto GmbH Dwurde vor dreieinhalb Jahren<br />
als erste Ausgrün<strong>du</strong>ng des<br />
Senckenberg Forschungsinstituts<br />
ins Leben gerufen. Der<br />
Kunstname „Morphisto“ setzt<br />
sich aus den beiden zentralen<br />
Wissenschafts- bzw. Dienstleistungszweigen<br />
„Morphologie“<br />
(Körperlehre) und „Histologie“<br />
(Gewebelehre) zusammen und<br />
spielt mit dem Anklang an<br />
Goethes „Mephisto“, womit der<br />
große Frankfurter Dichter und<br />
Frankfurt als Heimat der Wissenschaftler<br />
gewürdigt sind.<br />
Morphisto hat sich mit seinen<br />
sechs Angestellten und freien<br />
Mitarbeitern an der Schnittstelle<br />
zwischen Forschung und<br />
Wirtschaft positioniert und<br />
gliedert sich damit grob in zwei<br />
große Bereiche. Zum einen ist<br />
die Firma ein Wissenschafts-<br />
Dienstleister, der in seinem<br />
Labor gebrauchsfertige Chemikalien<br />
herstellt, histologische<br />
Auftragsarbeiten (vor allem<br />
Schneiden und Färben von Organ-<br />
und Gewebeproben für die<br />
medizinische Forschung und<br />
Diagnostik) ausführt, alle Arten<br />
von Färbeleistungen anbietet<br />
und Präparationen anfertigt.<br />
Zum anderen betreibt Morphisto<br />
weiterhin Forschung und<br />
verbindet sie über seine Ausbil<strong>du</strong>ngs-Akademie<br />
mit der Lehre<br />
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Thalia<br />
Wo Bücher<br />
leben, wo die<br />
RMM · Seite 7<br />
Missbil<strong>du</strong>ngen (etwa Tiere mit<br />
zwei Köpfen) sind Fehlentwicklungen,<br />
die manchmal auf Gendefekte<br />
zurückgeführt werden können;<br />
sie demonstrieren den äußeren<br />
Rahmen der Evolution, niemals<br />
aber zeigen derartige Missbil<strong>du</strong>ngen<br />
evolutionäre Optionen auf.<br />
und Fortbil<strong>du</strong>ng. Lehrerfortbil<strong>du</strong>ng<br />
ist eines der Hauptanliegen,<br />
und da die Räumlichkeiten<br />
im Senckenberg-<strong>Muse</strong>um dafür<br />
nicht ausreichen, kommen die<br />
Morphisto-Mitarbeiter auch direkt<br />
in die Schulen, im Moment<br />
in Hessen, demnächst auch in<br />
angrenzenden Bundesländern.<br />
Auch Lehrmaterialien veröffentlichen<br />
die Frankfurter Wissenschaftler<br />
und benutzen für<br />
ein schwieriges Thema eine verständliche<br />
Sprache, die vom<br />
(fachfremden) Wissenschaftler<br />
über den Studenten bis zum interessierten<br />
Laien einem breiten<br />
Publikum zugänglich ist.<br />
„<strong>Da</strong>ss aktive Forschung,<br />
Fortbil<strong>du</strong>ng undWissenschaftsdienstleistungen<br />
so eng zusammenliegen,<br />
ist eines unserer Alleinstellungsmerkmale“,<br />
meint<br />
Gudo. Wie nah diese Verbin<strong>du</strong>ng<br />
sein kann, zeigt in den<br />
kommendenWochen die Evolutionsausstellung<br />
im NWZ.<br />
Plastikfiguren von Wolter-Design<br />
und zusätzliche Exponate<br />
aus dem Senckenberg-<strong>Muse</strong>um<br />
veranschaulichen die vielen Millionen<br />
Jahre der irdischen Entwicklungsgeschichte,<br />
die Evolutionsforscher<br />
von Morphisto<br />
liefern dazu die erklärenden und<br />
vertiefenden Beschreibungen der<br />
Exponate (siehe Seite 2).<br />
Fantasie wohnt,<br />
wo Geschichten<br />
anfangen: <strong>Da</strong> <strong>findest</strong><br />
<strong>du</strong> <strong>mich</strong>.<br />
<strong>Deine</strong> <strong>Muse</strong><br />
Thalia-Buchhandlung im Nordwest-Zentrum<br />
Tituscorso 13 • 60439 Frankfurt • Tel. 069/951197-0<br />
thalia.frankfurt-tituscorso@thalia.de