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WIR HEIMKINDER Von 1949 bis 1957 war ich (mit Unterbrechung ...

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vor die Tür stellen, da<strong>mit</strong> jeder Vorbeikommende das getadelte Kind noch einmal<br />

missachtend wahrnimmt. Während dieser Zeit durfte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t einmal sitzen, ob-<br />

wohl <strong>ich</strong> grausame Gelenkschmerzen hatte. Das hatte n<strong>ich</strong>ts <strong>mit</strong> Pädagogik oder<br />

Kindererziehung zu tun, das <strong>war</strong> entgegen dem Züchtigungsrecht.<br />

Wenn man s<strong>ich</strong> als ein behindertes Heimkind durch Demütigungen ganz unten<br />

fühlte und der Leidensdruck zum Weinen überging, da<strong>mit</strong> wurde uns die Ohnmacht<br />

bewusst gemacht, wie wir der Wertschätzung unseres Daseins beraubt werden. Wie<br />

sollten wir hier erwachsen werden?<br />

In den Schulferien wurden große Mengen alter Tageszeitungen angeliefert. Mit den<br />

erwachsenen Behinderten mussten wir Kinder über Stunden und Tage auf der Ver-<br />

anda sitzend diese zum Zwecke für Toilettenpapier passgerecht schneiden. Eine<br />

andere Variante bot s<strong>ich</strong>, dass wir für das ganze Johannesstift säckeweise grüne<br />

Bohnen schnibbeln mussten.<br />

Die geschilderten Gewalt- und Machtmissbrauchserfahrungen führten u.a. dazu,<br />

dass <strong>ich</strong> fast jede Nacht von meinem eigenen Geschrei aufschreckte, weil große<br />

Panikattacken in meinem unterbewusst Sein aufbrachen. Der Ursache ist niemand<br />

nachgegangen, sie wurde sogar bagatellisiert.<br />

Auf vieles in meiner Kindheit hätte <strong>ich</strong> gern verz<strong>ich</strong>ten wollen, z.B. was <strong>mit</strong> Laufen<br />

zu tun hatte. Ich wurde aus dem Buddelkasten gezerrt, um „Gehübungen“ zum<br />

Bäcker zu machen. Bei diesem quälenden Spaziergang blieb mein lautes weinen<br />

n<strong>ich</strong>t ungehört. Oder: „wenn Du die Puppe haben willst, lauf hier her“.<br />

Ich habe sehr viel geweint in diesen 5 Jahren, aber irgendwann habe <strong>ich</strong> trainiert,<br />

meine seelischen und körperl<strong>ich</strong>en Schmerzen lautlos zum Ausdruck zu bringen.<br />

Um n<strong>ich</strong>t ständig negative Aufmerksamkeit bei den Tanten zu wecken, hatte <strong>ich</strong><br />

Trainiert, <strong>mit</strong> weit geöffneten Augen geräuschlos die Tränen kullern zu lassen, das<br />

<strong>war</strong> dann n<strong>ich</strong>t so auffällig.<br />

Jeden Sonntag wurden wir zwangsweise in die Kirche geschickt. Natürl<strong>ich</strong> wollte<br />

<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t in die Kirche, weil meine entzündeten Gelenke furchtbar schmerzten.<br />

Aber das wurde ignoriert. Obwohl der Grund offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> <strong>war</strong>, wir mussten <strong>mit</strong><br />

Schmerzen immer „fröhl<strong>ich</strong>“ sein. Ich denke, dass der Herrgott auch n<strong>ich</strong>t unbe-<br />

dingt auf m<strong>ich</strong> <strong>war</strong>tete, s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> akzeptierte ER, dass <strong>ich</strong> aus dem gen. Grund<br />

lieber auf der Station blieb.<br />

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