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Sexueller Mißbrauch in der Kindheit – Auswirkungen im ...

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Tanja Schmidt<br />

Abschlussarbeit psychologischer Berater<br />

Juli 2003<br />

ALH Akademie für ganzheitliche Lebens- und Heilweisen - Haan<br />

(Studiennummer 242 685)<br />

<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong><br />

<strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter<br />

Bildquelle: Geo, Nr.4; April 1996


Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

1. E<strong>in</strong>leitung ............................................................................................................3<br />

2. <strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> .......................................................................................3<br />

2.1. Was bedeutet sexueller <strong>Mißbrauch</strong>? .......................................................................... 3<br />

2.2. Weitere Arten sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s......................................................................... 4<br />

2.3. Zahlen und Fakten .................................................................................................... 4<br />

2.4. Warum schweigen diese K<strong>in</strong><strong>der</strong>?............................................................................... 5<br />

2.5. Schuldgefühle........................................................................................................... 6<br />

2.6. Täter......................................................................................................................... 6<br />

3. <strong>Auswirkungen</strong> sexuellen Missbrauchs ........................................................8<br />

3.1. Langzeitfolgen.......................................................................................................... 8<br />

3.2. Schutzfunktionen des Überlebenden........................................................................ 10<br />

3.3. Beispiele für Abwehrmechanismen: ........................................................................ 10<br />

3.4. Folgeersche<strong>in</strong>ungen sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s.............................................................. 11<br />

3.5. <strong>Auswirkungen</strong> sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s <strong>im</strong> Erwachsenenalter: .................................... 12<br />

3.6. Er<strong>in</strong>nerung an den <strong>Mißbrauch</strong> ................................................................................. 16<br />

3.7. Umgang mit den Er<strong>in</strong>nerungen................................................................................ 17<br />

4. <strong>Mißbrauch</strong> und Partnerschaft ....................................................................17<br />

5. Wege zur Heilung...........................................................................................18<br />

5.1. Ist Heilung überhaupt möglich?............................................................................... 18<br />

5.2. Schritte zur Heilung................................................................................................ 18<br />

5.3. Suche nach Hilfe..................................................................................................... 19<br />

5.4. Therapie ................................................................................................................. 21<br />

5.5. Verschiedene Therapiemöglichkeiten:..................................................................... 21<br />

5.6. Der Weg zum Leben ............................................................................................... 22<br />

5.7. Ist Konfrontation mit dem Täter zur Heilung notwendig?......................................... 23<br />

6. Schlusswort .................................................................................................... 23<br />

7. Literaturverzeichnis .................................................................................... 27<br />

7.1. Internetadressen:..................................................................................................... 27<br />

- 2 -


Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

1. E<strong>in</strong>leitung<br />

Auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Zeit ist sexueller Missbrauch e<strong>in</strong> Tabuthema. Die<br />

offiziellen Zahlen <strong>der</strong> Statistik s<strong>in</strong>d unglaublich hoch. Es ist<br />

unvorstellbar, was unter dem Deckmantel <strong>der</strong> Verschwiegenheit<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n angetan wird. Über die <strong>Auswirkungen</strong> des Missbrauchs ist sich<br />

kaum e<strong>in</strong>er bewusst. Landläufig herrscht <strong>im</strong>mer noch die Me<strong>in</strong>ung, dass<br />

es besser ist, nicht darüber zu reden und e<strong>in</strong>fach alles zu vergessen.<br />

Selbst e<strong>in</strong>ige sog. Fachleute s<strong>in</strong>d von <strong>der</strong> Theorie Freuds des<br />

verführenden K<strong>in</strong>des heute noch überzeugt.<br />

Die <strong>Auswirkungen</strong> lassen sich jedoch nicht e<strong>in</strong>fach wegwischen und<br />

beiseiteschieben.<br />

Ich habe dieses Thema für me<strong>in</strong>e Arbeit gewählt, um die Systeme,<br />

Arten und Folgeersche<strong>in</strong>ungen des sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s darzustellen.<br />

Der E<strong>in</strong>fachheit halber und aus Gründen des besseren Verständnisses<br />

verwende ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Arbeit die weibliche Form des Opfers. Ich<br />

möchte deshalb betonen, es gibt auch männliche Opfer sexuellen<br />

<strong>Mißbrauch</strong>s, die ich selbstverständlich <strong>in</strong> alle nachfolgenden Punkte<br />

mite<strong>in</strong>schließe.<br />

Missbrauchsopfer werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fachsprache "Überlebende" genannt.<br />

Ich habe diesen Ausdruck Überlebende ebenfalls übernommen, weil es<br />

den täglichen Kampf ums Überleben jeden Opfers sexuellen<br />

<strong>Mißbrauch</strong>s wie<strong>der</strong>spiegelt.<br />

2. <strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong><br />

2.1. Was bedeutet sexueller <strong>Mißbrauch</strong> ?<br />

E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d wird sexuell mißbraucht, wenn es zu körperlichen o<strong>der</strong> nicht<br />

körperlichen sexuellen Handlungen durch ältere Jugendliche o<strong>der</strong><br />

Erwachsene verführt, gezwungen o<strong>der</strong> genötigt wird. Der Täter<br />

f<strong>in</strong>det hierbei Befriedigung se<strong>in</strong>es Machtbedürfnisses, die<br />

Befriedigung des sexuellen Reizes steht <strong>in</strong> den meisten Fällen eher an<br />

zweiter Stelle. Die Spannbreite des <strong>Mißbrauch</strong>s reicht von<br />

versteckten Versuchen e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d sexuell zu berühren, bis h<strong>in</strong> zu<br />

direkten e<strong>in</strong>deutig sexuellen Handlungen unterschiedlichen<br />

Schweregrades und Dauer. K<strong>in</strong><strong>der</strong> werden gezwungen sich nackt zu<br />

zeigen o<strong>der</strong> fotografieren zu lassen, lüsterne Blicke und zweideutige<br />

Anspielungen zu ertragen, sich anfassen und anschauen zu lassen. Sie<br />

werden genötigt pornographische Bil<strong>der</strong> anzusehen, und aufgefor<strong>der</strong>t,<br />

den Erwachsenen mit <strong>der</strong> Hand o<strong>der</strong> dem Mund zu befriedigen. Das<br />

geht bis h<strong>in</strong> zur Vergewaltigung, zum analen o<strong>der</strong> vag<strong>in</strong>alen<br />

Geschlechtsverkehr mit dem K<strong>in</strong>d.<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

2.2. Weitere Arten sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s<br />

Neben dem oben Beschriebenen f<strong>in</strong>det auch versteckter sexueller<br />

<strong>Mißbrauch</strong> statt, z.B. wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> auf den Schoß genommen werden,<br />

um sich an ihnen zu reiben und so die Befriedigung zu erreichen. Dies<br />

wird von außenstehenden nicht wahrgenommen, für das K<strong>in</strong>d ist dies<br />

jedoch sehr beängstigend und quälend. Es ist e<strong>in</strong>e eigentlich<br />

unbedenkliche und alltägliche Situation e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d auf den Schoß zu<br />

nehmen, die von e<strong>in</strong>em Täter zu sexueller Handlung mißbraucht wird.<br />

Auch wenn <strong>der</strong> Täter an dem K<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e sexuellen Handlungen ausführt<br />

und sich z.B. selber befriedigt während das K<strong>in</strong>d „nur“ zuschauen muss,<br />

spricht man von sexuellem <strong>Mißbrauch</strong>.<br />

Neben dem körperlichen <strong>Mißbrauch</strong> gibt es noch e<strong>in</strong>e zweite Art von<br />

sexuellem <strong>Mißbrauch</strong>, die des seelischen sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s. Dabei<br />

wird das K<strong>in</strong>d nicht zu sexuellen Handlungen angeregt und es werden<br />

auch ke<strong>in</strong>e an dem K<strong>in</strong>d ausgeführt. Hierzu gehören Erniedrigungen<br />

verbaler Art über den Körper o<strong>der</strong> die Geschlechtsreife. Es wird<br />

beleidigend und demütigend <strong>im</strong> Beise<strong>in</strong> des K<strong>in</strong>des über den Körper und<br />

die Geschlechtsmerkmale geredet. Diese Art von sexuellem <strong>Mißbrauch</strong><br />

wird häufig verharmlost und als „weniger schl<strong>im</strong>m“ angesehen. Dies ist<br />

jedoch e<strong>in</strong> weitverbreiteter Irrglaube. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> die e<strong>in</strong>en seelischen<br />

<strong>Mißbrauch</strong> erlitten haben, leiden meist genauso stark unter den<br />

Spätfolgen wie die K<strong>in</strong><strong>der</strong> körperlichen <strong>Mißbrauch</strong>s.<br />

In vielen Fällen spielen beide Arten von <strong>Mißbrauch</strong> e<strong>in</strong>e Rolle, d.h. <strong>der</strong><br />

körperliche sexuelle <strong>Mißbrauch</strong> geht häufig auch mit seelischem<br />

<strong>Mißbrauch</strong> e<strong>in</strong>her und ist oft nicht zu trennen.<br />

Bei <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Familie und <strong>im</strong> Freundeskreis besteht<br />

gleichzeitig auch e<strong>in</strong>e massive Vernachlässigung des K<strong>in</strong>des. Dieses<br />

„Familiensystem“ kann nur funktionieren, wenn alle Erwachsenen zur<br />

Seite schauen, nichts sehen und hören und ihrer Sorgfaltspflicht nicht<br />

gerecht werden. Die Verhaltensauffälligkeiten des K<strong>in</strong>des werden<br />

nicht beachtet o<strong>der</strong> als harmlos abgetan. Meist wird die Schuld für<br />

diese Verhaltensauffälligkeiten e<strong>in</strong>fach dem K<strong>in</strong>d zugeschoben und<br />

somit die Qual des K<strong>in</strong>des noch vergrößert, weil es nun auch noch<br />

Druck bekommt, wenn es sich nicht „normal“ verhält.<br />

2.3. Zahlen und Fakten<br />

In <strong>der</strong> Bundesrepublik werden jährlich ca. 14.000 -16.000 Fälle<br />

angezeigt. Die Zahl <strong>der</strong> nicht gemeldeten Fälle wird auf etwa zehnmal<br />

so hoch geschätzt.<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

Wissenschaftlich gesichert gilt heute durch zahlreiche<br />

Untersuchungen <strong>in</strong> Amerika und Europa: Jedes 3.-4. Mädchen und<br />

je<strong>der</strong> 7.-8. Junge wird sexuell mißbraucht. Entspre chend <strong>der</strong><br />

unterschiedlichen E<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> Höhe <strong>der</strong> Dunkelziffer gehen<br />

ExpertInnen davon aus, dass jährlich ca. 80.000 bis 300.000 K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

Deutschland sexuell mißbraucht werden. Ca. 80 -90% <strong>der</strong> Täter s<strong>in</strong>d<br />

Männer und ca. 10-20% s<strong>in</strong>d Frauen. In den meisten Fällen ist es ke<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>maliger <strong>Mißbrauch</strong>, son<strong>der</strong>n wie<strong>der</strong>holt sich über Monate o<strong>der</strong> sogar<br />

Jahre <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong>. Ca. 1/3 aller Delikte werden von männlichen<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen unter 18 Jahren verübt.<br />

2.4. Warum schweigen diese K<strong>in</strong><strong>der</strong>?<br />

Durch Drohungen und Gehe<strong>im</strong>haltungsdruck werden die K<strong>in</strong><strong>der</strong> zum<br />

Schweigen gezwungen. Die mißbrauchten K<strong>in</strong><strong>der</strong> leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

ausweglosen Situation: Sie suchen <strong>in</strong> natürlicher Weise Liebe und<br />

Geborgenheit, wollen beschützt und behütet se<strong>in</strong> und werden schamlos<br />

ausgebeutet, zum Teil sogar massiv bedroht. Diese wi<strong>der</strong>sprüchlichen<br />

Erfahrungen <strong>der</strong> unangenehmen und demütigenden „Liebeshandlungen“<br />

haben traumatisierende Wirkung und bee<strong>in</strong>trächtigen ihr ganzes Leben<br />

(vrgl. www.dunkelziffer.de/<strong>in</strong>foblaetter.html) . Die meisten arbeiten<br />

mit e<strong>in</strong>er Mischung aus Bestechungen und Zuwendungen, kle<strong>in</strong>en<br />

Geschenken und Drohungen. O<strong>der</strong> sie appellieren an das Mitleid des<br />

K<strong>in</strong>des: “Willst du, dass ich <strong>in</strong>s Gefängnis komme, dann bricht die<br />

ganze Familie ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> und Du bist daran Schuld!?“. Beson<strong>der</strong>s<br />

wenn e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere B<strong>in</strong>dung zum Täter besteht, halten die Opfer oft<br />

jahrelang still und schweigen über ihre Qualen und Schmerzen. Viele<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> schweigen auch aus Angst vor erneuten gewalttätigen<br />

Übergriffen o<strong>der</strong> sie werden durch Androhung evtl. die Mutter o<strong>der</strong><br />

sonst jemanden aus <strong>der</strong> Familie umzubr<strong>in</strong>gen zum Schweigen gebracht.<br />

Die Bandbreite ist hier unerschöpflich und meist gel<strong>in</strong>gt es dem Täter<br />

ohne viele Schwierigkeiten das K<strong>in</strong>d so e<strong>in</strong>zuschüchtern o<strong>der</strong> zu<br />

umgarnen, dass es den Mund hält.<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

2.5. Schuldgefühle<br />

Eigentlich leben alle mißbrauchten Opfer mit dem Gefühl selbst<br />

Schuld an dem Geschehenen zu haben, was ihnen natürlich von den<br />

Tätern oft genug e<strong>in</strong>getrichtert wird. Das K<strong>in</strong>d übern<strong>im</strong>mt <strong>in</strong>nerlich<br />

die Verantwortung für das Verhalten des Erwachsenen um se<strong>in</strong> gutes<br />

Bild von jemandem zu retten, <strong>der</strong> ihm so nahe steht. Das K<strong>in</strong>d will ja<br />

nur geliebt werden und kämpft um jegliche Art <strong>der</strong> Zuwendung <strong>–</strong> auch<br />

wenn sie wehtut und unangenehm ist. Es re<strong>im</strong>t sich zusammen, selbst<br />

schlecht und schmutzig zu se<strong>in</strong>, wenn so etwas mit ihm gemach t wird.<br />

Sexuell mißhandelte K<strong>in</strong><strong>der</strong> entwickeln oft e<strong>in</strong>en Selbsthass, <strong>der</strong><br />

schwer zu durchbrechen ist. Das Urvertrauen, das für das spätere<br />

Leben so wichtig ist, wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gesunden Familie <strong>im</strong> K<strong>in</strong>desalter<br />

aufgebaut. In e<strong>in</strong>em Familiensystem mit sexuellem <strong>Mißbrauch</strong> wird es<br />

komplett zerstört, was <strong>der</strong> Überlebenden enorme Probleme bereitet,<br />

später e<strong>in</strong>mal jemandem zu vertrauen. Das Misstrauen allen an<strong>der</strong>en<br />

Menschen gegenüber ist enorm groß und oft nie wie<strong>der</strong> ganz<br />

abzubauen. E<strong>in</strong> „kle<strong>in</strong>er Rest“ an Misstrauen bleibt trotz Aufarbeitung<br />

und Arbeit daran doch bestehen. Das K<strong>in</strong>d hat von Anfang an gelernt,<br />

dass es niemandem vertrauen kann, es gibt ke<strong>in</strong>e Sicherheit für das<br />

K<strong>in</strong>d. Die Liebe und die Zärtlichkeit die es bekommt muss es teuer<br />

bezahlen - mit se<strong>in</strong>em Körper, mit Demütigung, Angst und e<strong>in</strong>em<br />

Schuldgefühl, das sich vergrößert, wenn dem K<strong>in</strong>d gefällt, was <strong>der</strong><br />

Täter mit ihm macht. Dabei ist dies e<strong>in</strong>e normale Reaktion. Bevor man<br />

emotional verkümmert, f<strong>in</strong>det man gefallen an jeglicher Art von<br />

Zärtlichkeit und Zuwendung, auch wenn es Schmerzen bereitet und<br />

das K<strong>in</strong>d es eigentlich auf diese Art nicht möchte.<br />

2.6. Täter<br />

Täter haben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>im</strong> Laufe ihres Lebens viele Opfer, die sie<br />

mißbrauchen, sehr häufig mehrere Mädchen o<strong>der</strong> Jungen gleichzeitig.<br />

Dabei können die Opfer die eigenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> se<strong>in</strong>, aus dem<br />

außerfamiliären Nahbereich kommen o<strong>der</strong> aus dem beruflichen Umfeld<br />

des Täters. E<strong>in</strong>ige Täter engagieren sich gezielt ehrenamtlich z.B. als<br />

Jugendgruppenleiter, Sporttra<strong>in</strong>er o<strong>der</strong> suchen sich Berufe, <strong>in</strong> denen<br />

sie leichten Zugang zu K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen haben. (vrgl<br />

www.aktiv-gegen-sexuelle-gewalt.de/missbrauch/zahlenfakten.htm)<br />

Hierbei schrecken selbst Ärzte bei angeblich notwendigen<br />

Untersuchungen nicht davor zurück, sich an K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zu vergehen<br />

Betroffene von sexueller Gewalt s<strong>in</strong>d nicht etwa nur K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

unteren sozialen Schicht, woh<strong>in</strong> man es gerne <strong>in</strong> <strong>der</strong> alltäglichen<br />

Me<strong>in</strong>ung h<strong>in</strong>schieben würde. Quer durch alle sozialen Schichten<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

werden K<strong>in</strong><strong>der</strong> ihrer K<strong>in</strong>dheit beraubt. Akademiker, Ärzte, Pfarrer,<br />

Angestellte <strong>in</strong> sozialen Berufen, Arbeiter, Sozialhilfeempfänger <strong>–</strong> die<br />

Liste <strong>der</strong> Täter ist unendlich und spart ke<strong>in</strong>en Lebensbereich aus.<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> je<strong>der</strong> Altersgruppen, auch Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong> und Säugl<strong>in</strong>ge werden<br />

mißbraucht.<br />

„Bis vor kurzem konnten wir noch glauben, Misshandlung sei die Sache<br />

e<strong>in</strong>er Handvoll „psychisch gestörter“ Eltern. Aber das so häufig, so<br />

lange und selbst mit kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n sexueller <strong>Mißbrauch</strong> getrieben<br />

wird, und zwar <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> eigenen vier Wände, wollen wir e<strong>in</strong>fach<br />

nicht glauben“ (Rensen 1990 S. 49). Auch heute schaut die Mehrheit<br />

<strong>der</strong> Menschen e<strong>in</strong>fach zur Seite. Es wird tabuisiert und nicht darüber<br />

gesprochen. Was noch viel schl<strong>im</strong>mer ist: Es werden Entschuldigungen<br />

und Ausreden gesucht, um das Verhalten des Täters zu rechtfertigen<br />

und zu verteidigen o<strong>der</strong> es wird e<strong>in</strong>fach abgestritten und geleugnet.<br />

Freud stellte die Theorie des verführenden K<strong>in</strong>des auf. Er tat die<br />

Realität des <strong>Mißbrauch</strong>s als „Phantasie <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>“ ab. Und<br />

unterstellte jedem K<strong>in</strong>d den Wunsch nach e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>zestuösen Beziehung<br />

zum Gegengeschlecht. Se<strong>in</strong> Vater hat die Geschwister Freuds sexuell<br />

mißbraucht. Um das Bild das er von se<strong>in</strong>em Vater hatte nicht<br />

zerstören zu müssen, gab er die Schuld se<strong>in</strong>en Geschwistern. Sie<br />

hätten gereizt und provoziert, bis se<strong>in</strong> willensschwacher Vater von<br />

se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n verführt wurde. Diese Theorie ist lei<strong>der</strong> bis heute<br />

Nährboden für erschreckende Aussagen und Me<strong>in</strong>ungen über K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

die sexuell mißbraucht wurden. Trotz vieler wissenschaftlich und<br />

empirisch belegter Gegendarstellungen konnte dieser Mythos lei<strong>der</strong><br />

noch nicht aus <strong>der</strong> Welt geschafft werden.<br />

Es ist e<strong>in</strong>facher die unschuldigen K<strong>in</strong><strong>der</strong> als Lügner abzustempeln als<br />

sich den Problemen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Familie zu stellen und die<br />

Konsequenzen daraus zu ziehen.<br />

Täter zeigen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel ke<strong>in</strong> Schuldbewußtse<strong>in</strong> und s<strong>in</strong>d nicht bereit,<br />

die Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen. Vielmehr lasten sie<br />

diese den Opfern und <strong>–</strong> bei <strong>in</strong>nerfamiliärem <strong>Mißbrauch</strong> <strong>–</strong> den Müttern<br />

an.<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben ke<strong>in</strong>e Chance, sich gegen sexuelle Übergriffe durch<br />

Erwachsene zu wehren, sei es weil <strong>der</strong> Täter körperlich überlegen ist,<br />

o<strong>der</strong> die Situation für das K<strong>in</strong>d nicht erkennbar und durchschaubar ist.<br />

Kle<strong>in</strong>ere K<strong>in</strong><strong>der</strong> wissen nicht was hier passiert und nehmen die<br />

Situation als „normal“ an. Sie können nicht wissen, das dies ke<strong>in</strong>esfalls<br />

„normal“ ist und <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Familien nicht passiert. Wenn <strong>der</strong> Täter<br />

dem K<strong>in</strong>d weismacht, alle machen das mit ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, schenkt das<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

ahnungslose K<strong>in</strong>d dem Täter se<strong>in</strong> vertrauen, obwohl es die Situation<br />

natürlicherweise als beängstigend, unangenehm und schmerzhaft<br />

empf<strong>in</strong>det. „Selbst wenn <strong>der</strong> Täter die Zust<strong>im</strong>mung des Opfers<br />

e<strong>in</strong>holt, enthebt es ihn daher nicht <strong>der</strong> Strafwürdigkeit se<strong>in</strong>er<br />

Handlung“(Friedrich 1998 S. 13).<br />

Alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> Täter trägt die Verantwortung für den sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>.<br />

Ihm geht es um das Ausleben von Macht und Dom<strong>in</strong>anz, nicht um e<strong>in</strong>e<br />

sexuelle Beziehung. Viele <strong>der</strong> Täter mißbrauchen e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d und haben<br />

sexuellen Kontakt zu Frauen.<br />

Mancher <strong>Mißbrauch</strong>er wendet oft Monate o<strong>der</strong> gar Jahre auf, um das<br />

Vertrauen des K<strong>in</strong>des zu err<strong>in</strong>gen und e<strong>in</strong>e Gelegenheit zum <strong>Mißbrauch</strong><br />

herbeizuführen. Da K<strong>in</strong><strong>der</strong> von Natur aus zum Vertrauen neigen, s<strong>in</strong>d<br />

sie stark gefährdet. Es ist e<strong>in</strong> natürlicher Aspekt ihrer Entwicklung,<br />

dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> Erwachsenen gefallen wollen. E<strong>in</strong> verführerischer<br />

Sexualtäter beutet dieses arglose und natürliche Vertrauen aus.<br />

Neben Gefühlen von Scham, Wut und Angst kommt den Opfern <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gedanke: „Es hat mir gefallen, deshalb war es me<strong>in</strong>e<br />

Schuld. Ich muss gewollt haben, dass es geschieht. Ich b<strong>in</strong> genauso<br />

mitverantwortlich für den <strong>Mißbrauch</strong> wie <strong>der</strong> Täter“.<br />

Es kann jedoch nicht oft genug gesagt werden: Es s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong><strong>der</strong>. Bei<br />

ihrer Unschuld und Unreife war es leicht für den Täter, sie zu<br />

manipulieren und zu steuern. KEIN KIND TRÄGT SCHULD AM<br />

SEXUELLEN MISSBRAUCH. Auch <strong>im</strong> jugendlichen Alter gibt es ke<strong>in</strong>e<br />

Ausreden hierfür: Ke<strong>in</strong> noch so kurzer M<strong>in</strong>irock und ke<strong>in</strong> noch so<br />

knappes T-Shirt ist e<strong>in</strong>e Rechtfertigung für e<strong>in</strong>en sexuellen Übergriff<br />

an M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen. Je<strong>der</strong> erwachsene Mensch ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage se<strong>in</strong>e<br />

Sexualität dort auszuleben wo es angebracht ist und se<strong>in</strong> Verlangen zu<br />

steuern. E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d dafür zu benutzen ist unverzeihlich.<br />

Es ist e<strong>in</strong> Irrglaube, dass sexueller <strong>Mißbrauch</strong> <strong>im</strong>mer von Männern an<br />

Mädchen begangen wird. Immer häufiger sprechen Männer darüber,<br />

von ihren Müttern o<strong>der</strong> sonstigen Familienmitglie<strong>der</strong>n mißbraucht<br />

worden zu se<strong>in</strong>. Frauen s<strong>in</strong>d weniger an <strong>Mißbrauch</strong> beteiligt, dennoch<br />

ist es e<strong>in</strong> Mythos zu glauben nur Männer s<strong>in</strong>d zu so etwas <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage.<br />

3. <strong>Auswirkungen</strong> sexuellen Missbrauchs<br />

3.1. Langzeitfolgen<br />

<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> hat schwerwiegende Langzeitfolgen. Die Dauer<br />

des <strong>Mißbrauch</strong>s, se<strong>in</strong> Ausmaß, die Nähe des K<strong>in</strong>des zum Täter, die<br />

Familiendynamik, das Vorhandense<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Nichtvorhandense<strong>in</strong> von<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

Hilfen für das K<strong>in</strong>d best<strong>im</strong>men die Folgeschäden des <strong>Mißbrauch</strong>s. In<br />

Familien, <strong>in</strong> denen K<strong>in</strong><strong>der</strong> angehört, unterstützt und beschützt werden,<br />

s<strong>in</strong>d die Folgen des <strong>Mißbrauch</strong>s <strong>im</strong> Erwachsenenalter möglicherweise<br />

ger<strong>in</strong>g. Wo K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nicht geglaubt wird o<strong>der</strong> sie weiter mißbraucht<br />

werden wird <strong>der</strong> Schaden <strong>im</strong>mer größer.<br />

Der sexuelle <strong>Mißbrauch</strong> e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des stoppt se<strong>in</strong>e normale sexuelle<br />

Entwicklung. Es wird als K<strong>in</strong>d gezwungen S exualität wie e<strong>in</strong><br />

Erwachsener zu erleben, hat nicht die Möglichkeit Sexualität so zu<br />

erforschen, wie es se<strong>in</strong>em Alter angemessen wäre. Es lernt, das Lust<br />

(die Lust des Täters) e<strong>in</strong>e schreckliche, unkontrollierbare Macht ist.<br />

Se<strong>in</strong>e ersten Erfahrungen mit sexueller Erregung s<strong>in</strong>d mit Scham,<br />

Ekel, Schmerz und Erniedrigung verbunden. Dieser E<strong>in</strong>druck bleibt<br />

haften. Wenn <strong>der</strong> <strong>Mißbrauch</strong> mit liebevoller Zuneigung vermischt war,<br />

wird das K<strong>in</strong>d Zuneigung und Sex, Nähe und Zudr<strong>in</strong>glichkeit auch<br />

später nicht unterscheiden können (vrgl. Davis 1992 S. 31).<br />

<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> löst <strong>im</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Reihe von Verstörungen und<br />

quälenden Gefühlen aus, die es alle<strong>in</strong> nicht bewältigen kann. Meist ist<br />

das K<strong>in</strong>d nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage sich an<strong>der</strong>en mitzuteilen, die Angst und<br />

Scham ist zu groß. Verdrängung o<strong>der</strong> Verschiebung auf an<strong>der</strong>e Ebenen<br />

ist <strong>der</strong> häufigere Ausweg. Verhaltensauffälligkeiten,<br />

Entwicklungsverzögerung, seelische Probleme und psychosomatische<br />

Symptome s<strong>in</strong>d die Ergebnisse des unbewältigten Leids, die den<br />

Betroffenen manchmal e<strong>in</strong> Leben lang zu schaffen machen. Selbst<br />

dann, wenn sie die Ursache „sche<strong>in</strong>bar“ vergessen haben.<br />

Viele Opfer beg<strong>in</strong>nen auch, um die <strong>Mißbrauch</strong>shandlungen ertragen zu<br />

können, aus ihrem Körper „auszusteigen“. Viele Opfer berichten, dass<br />

sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage waren, dem <strong>Mißbrauch</strong> von „außen“ zuzusehen.<br />

Unbeteiligt, wie wenn es e<strong>in</strong>em Fremden passiert. Dies ist e<strong>in</strong>e<br />

wichtige und überlebensnotwendige Schutzfunktion des Körpers. Diese<br />

Versuche sich zu schützen und aufzuspalten können dazu führen, dass<br />

die Berichte e<strong>in</strong>es langjährig mißbrauchten K<strong>in</strong>des stumpf, eher<br />

unbeteiligt, manchmal sogar leicht ironisch wirken. Dies macht die<br />

Aussagen für viele unglaubwürdig, weil Inhalt und Ausdruck so gar<br />

nicht zusammenpassen.<br />

Viele Überlebende leben enthaltsam. Sie haben Angst vor Sex und<br />

sehen es als schmutzig an o<strong>der</strong> erfüllen e<strong>in</strong>e „lästige“ Pflicht. Sie<br />

erfüllen diese angebliche Pflicht, obwohl sie Panik haben, nichts spüren<br />

o<strong>der</strong> völlig abwesend s<strong>in</strong>d.<br />

„Manche Überlebende fühlen sich von gewalttätigen o<strong>der</strong> destruktiven<br />

Phantasien erregt“ (Davis 1992 S. 31). O<strong>der</strong> sie erleben<br />

Er<strong>in</strong>nerungsblitze (Flashbacks) von ihrem <strong>Mißbrauch</strong> und können dann<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

nicht zwischen dem Partner und dem Täter unterscheiden. Sex wird zu<br />

e<strong>in</strong>em „M<strong>in</strong>enfeld“ voller schmerzlicher Assoziationen und<br />

Er<strong>in</strong>nerungen.<br />

An<strong>der</strong>e Überlebende reagieren auf ihr Trauma mit Promiskuität. Man<br />

hat ihnen beigebracht, dass sie nur liebgehabt werden, wenn sie mit<br />

Sex für diese Liebe und Zuneigung „bezahlen“. Dies haben sie<br />

ver<strong>in</strong>nerlicht und führen es aus, oft ohne Rücksicht auf die eigene<br />

Sicherheit. Wohlbef<strong>in</strong>den und Selbstwertgefühl werden mit sexueller<br />

Attraktivität verknüpft. Nur wenn Sex <strong>im</strong> Spiel ist, fühlen sie sich<br />

sicher, geborgen, geliebt. Sie haben nie gelernt zu Sex ne<strong>in</strong> zu sagen.<br />

Sie gehen mit jedem <strong>in</strong>s Bett <strong>der</strong> es von ihnen möchte. Sex wird zu<br />

e<strong>in</strong>em Macht<strong>in</strong>strument, e<strong>in</strong>em Mittel, Menschen zu manipulieren und<br />

Situationen <strong>in</strong> den Griff zu bekommen.<br />

3.2. Schutzfunktionen des Überlebenden<br />

Um das Trauma des <strong>Mißbrauch</strong>s zu überstehen, werden<br />

Abwehrmechanismen entwickelt, die helfen körperlich und seelisch zu<br />

überleben. Diese Abwehrmechanismen werden bereits <strong>im</strong> K<strong>in</strong>desalter<br />

entwickelt und s<strong>in</strong>d <strong>im</strong> Erwachsenenalter <strong>im</strong>mer noch wirksam. Man<br />

verharrt <strong>im</strong> „Überlebensmodus“. Diese Abwehrmechanismen<br />

funktionieren auf unbewußten Ebenen, um den Schmerz des Erl ebten<br />

nicht ertragen zu müssen. Lei<strong>der</strong> halten diese <strong>im</strong> K<strong>in</strong>desalter<br />

überlebenswichtigen Abwehrmechanismen den Erwachsenen Menschen<br />

davon ab, e<strong>in</strong> erfülltes und glückliches Leben zu führen. Sie s<strong>in</strong>d<br />

weiterh<strong>in</strong> wirksam, um den Schmerz nicht aufkommen zu lassen, dem<br />

man sich auch als Erwachsener nicht gewachsen fühlt. Dieser Schutz<br />

war <strong>im</strong> K<strong>in</strong>desalter lebenswichtig, um alles zu ertragen. Man hat als<br />

erwachsener Mensch die Ängste und Verhaltensweisen e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en<br />

K<strong>in</strong>des. Diese daraus resultierenden Verhaltensweisen s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>en<br />

erwachsenen Menschen nicht mehr notwendig und stoßen von außerhalb<br />

auf Unverständnis.<br />

3.3. Beispiele für Abwehrmechanismen:<br />

?? Verdrängung: Abschieben und Abdrängen traumatischer Erlebnisse<br />

aus dem Bewußtse<strong>in</strong>. Teilweise bezieht sich dieser<br />

„Gedächtnisverlust“ nicht nur auf den eigentlichen <strong>Mißbrauch</strong>,<br />

son<strong>der</strong>n auch auf alle an<strong>der</strong>en Lebensbereiche dieses Zeitraums.<br />

Das Erlebte ist jedoch nicht wirklich verschwunden, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er unbewußten Ebene abgespeichert.<br />

- 10 -


Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

?? Dissoziation: „Dies bedeutet, dass man sich, obwohl man<br />

Er<strong>in</strong>nerungen an den sexuellen <strong>Mißbrauch</strong> hat, von diesem Erlebnis<br />

emotional abgetrennt fühlt“ (Kritsberg 1993 S.97). Man spricht<br />

über den <strong>Mißbrauch</strong>, als ob er jemandem an<strong>der</strong>en zugestoßen wäre,<br />

spürt die Gefühle die <strong>in</strong> Zusammenhang mit dem <strong>Mißbrauch</strong><br />

aufgetreten s<strong>in</strong>d nicht.<br />

?? Verleugnung: Trotz vorhandener Er<strong>in</strong>nerungen <strong>der</strong> Überlebenden an<br />

den sexuellen <strong>Mißbrauch</strong> und die Erkenntnis von dessen<br />

<strong>Auswirkungen</strong> wird die eigene Erfahrung durch Verleugnung und<br />

Herunterspielen auf e<strong>in</strong> M<strong>in</strong><strong>im</strong>um reduziert und als unbedeutend<br />

abgetan. Die Realität o<strong>der</strong> Teile <strong>der</strong> Realität werden nicht gesehen.<br />

„Solche D<strong>in</strong>ge passieren e<strong>in</strong>fach nicht und schon gar nicht <strong>in</strong><br />

unserer Familie“.<br />

?? Kontrollverhalten: Das Bedürfnis alles und jeden kontrollieren zu<br />

müssen, um sich sicher zu fühlen. Alles tun, um das Chaos <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong>dheit zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

?? Bagatellisieren: Das Geschehene wird heruntergespielt, es wird<br />

an<strong>der</strong>en vorgespielt „es sei ja gar nicht so schl<strong>im</strong>m gewesen“.<br />

?? Abspaltung: Seele und Körper trennen sich, um e<strong>in</strong>zeln zu<br />

überleben. Der Körper wird abgetrennt um den Schmerz nicht mehr<br />

ertragen zu müssen. Das K<strong>in</strong>d kann nicht mehr fühlen, was mit<br />

se<strong>in</strong>em Körper geschieht. Der Druck ist so groß, dass das K<strong>in</strong>d ohne<br />

diesen Abwehrmechanismus kaum überleben könnte. Das<br />

Geschehene wird praktisch nur noch von „außen“ und ohne<br />

Selbstbeteiligung gesehen. Betroffene berichten, „sie hätten sich<br />

selbst von außen bei dem <strong>Mißbrauch</strong> beobachten können“.<br />

3.4. Folgeersche<strong>in</strong>ungen sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s<br />

Nicht alle <strong>der</strong> nachfolgend aufgeführten Spätfolgen müssen e<strong>in</strong><br />

H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong>en sexuellen <strong>Mißbrauch</strong> se<strong>in</strong>. Auch an<strong>der</strong>e schwere<br />

Lebenssituationen können diese Symptome nach sich ziehen. Dennoch<br />

haben meist sexuell mißbrauchte Menschen häufig mit den genannten<br />

Folgen zu kämpfen.<br />

- 11 -


Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

<strong>Auswirkungen</strong> sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s <strong>im</strong> K<strong>in</strong>desalter:<br />

?? Angst, Scham, Wut<br />

?? Verwirrung<br />

?? Schutz- und Hilflosigkeit<br />

?? Unruhe, Unsicherheit<br />

?? ambivalente Gefühle<br />

gegenüber Erwachsenen<br />

?? Verwirrung über die<br />

Geschlechtsrollenverteilung<br />

?? Misstrauen<br />

?? Schuldgefühle<br />

?? Angst, beschmutzt und<br />

beschädigt zu se<strong>in</strong><br />

?? Schlafstörungen<br />

?? zwanghaftes Verhalten<br />

?? aggressives Verhalten<br />

?? Vere<strong>in</strong>samung durch<br />

Rückzug<br />

?? Kontaktstörungen<br />

?? Sprachstörungen (z.B.<br />

Stottern)<br />

- 12 -<br />

?? ger<strong>in</strong>ges<br />

Selbstwertgefühl<br />

?? Berührungsängste<br />

?? Zweifel an <strong>der</strong> eigenen<br />

Wahrnehmung<br />

?? übertriebenes<br />

Anpassungsverhalten<br />

?? Autoaggressionen<br />

?? Abspaltung von Gefühlen,<br />

Aufspaltung <strong>in</strong> mehrere<br />

Persönlichkeiten<br />

?? Alpträume<br />

?? Ekel vor Körperlichkeit<br />

?? Ernährungsstörungen<br />

?? extremes Anklammern an<br />

Bezugspersonen,<br />

ständiges Buhlen um<br />

Liebe<br />

?? Verschlossenheit<br />

?? frühreifes Verhalten<br />

3.5. <strong>Auswirkungen</strong> sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s <strong>im</strong> Erwachsenenalter:<br />

Flashbacks: Plötzlich auftretende Er<strong>in</strong>nerungen an den <strong>Mißbrauch</strong>.<br />

E<strong>in</strong>zelne Bil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> „Filme“ des <strong>Mißbrauch</strong>s laufen <strong>im</strong><br />

Kopf ab. Meist nur kurze Bruchstücke e<strong>in</strong>er Szene,<br />

die aus dem „Nichts“ auftauchen und bei dem<br />

Betroffenen für große Angst und Gefühlschaos<br />

sorgen. Diese sog. Flashbacks tauchen auf, wenn es<br />

<strong>der</strong> Überlebenden gut geht, die Überlebende also die<br />

Kraft hat, mit diesen neuen Er<strong>in</strong>nerungen umzugehen<br />

und sie auszuhalten. Dieses Auftauchen wenn man sich<br />

emotional stark fühlt ist e<strong>in</strong>e gnädige Schutzfunktion<br />

des eigenen Körpers.<br />

Distanzloses Verhalten:<br />

Die Grenzen des K<strong>in</strong>des während des <strong>Mißbrauch</strong>s s<strong>in</strong>d<br />

massivst mißachtet worden. So hat die Überlebende


Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

nie gelernt, die eigenen und die Grenzen des An<strong>der</strong>en<br />

zu respektieren und zu akzeptieren.<br />

Annahme e<strong>in</strong>er Opferrolle:<br />

Die Überlebende sieht sich ihr ganzes Leben lang <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Opferrolle. Neigung zu depressiver<br />

Verst<strong>im</strong>mung, alles ist schlecht, je<strong>der</strong> will e<strong>in</strong>em<br />

etwas schlechtes und <strong>im</strong>mer haben die An<strong>der</strong>en<br />

Schuld an <strong>der</strong> Misere des eigenen Lebens. Meist<br />

fühlen sie sich <strong>in</strong> dieser Rolle recht wohl, sie können<br />

passiv ihr Leben bewe<strong>in</strong>en und müssen nicht aktiv<br />

etwas daran verän<strong>der</strong>n um es besser zu machen.<br />

Körperliche Beschwerden:<br />

Der unverarbeitete, emotional schwer belastende<br />

<strong>Mißbrauch</strong> und die daraus resultierenden psychischen<br />

Belastungen schlagen sich <strong>in</strong> körperlichen Symptomen<br />

nie<strong>der</strong>. Beispiele können se<strong>in</strong>: Kopfschmerzen,<br />

Unterleibsschmerzen, hohe Infektanfälligkeit usw.<br />

Oft s<strong>in</strong>d diese psychosomatischen Beschwerden<br />

verschwunden, wenn mit <strong>der</strong> Aufarbeitung des<br />

<strong>Mißbrauch</strong>s begonnen wird.<br />

Suizidversuche: Großer Schrei nach Hilfe, um mit den seelischen<br />

Qualen leben zu können. Zum Glück bleibt es häufig<br />

bei e<strong>in</strong>em „Versuch“ und die Überlebende hat die<br />

Chance durch kompetente Hilfe ihr Leben zu<br />

meistern. Lei<strong>der</strong> ist jedoch für e<strong>in</strong>ige Überlebende<br />

die Qual und die Verzweiflung so groß, dass es ke<strong>in</strong><br />

Hilferuf mehr ist, son<strong>der</strong>n sie ihrem Leben<br />

tatsächlich e<strong>in</strong> Ende bereiten.<br />

Angstzustände/Panikattacken:<br />

Dies ist e<strong>in</strong>e sehr weitverbreitete Auswirkung<br />

sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s. Hierbei handelt es sich nicht<br />

mehr um e<strong>in</strong>e normale lebensnotwendige Angst, die<br />

für jeden Menschen wichtig ist. Dies ist e<strong>in</strong>e<br />

irrationale Angst, die am Leben h<strong>in</strong><strong>der</strong>t und oft von<br />

den Überlebenden nicht erklärt werden kann. Es gibt<br />

2 verschiedene Arten von Angst: E<strong>in</strong>mal die Angst vor<br />

ganz best<strong>im</strong>mten D<strong>in</strong>gen, Ereignissen, Situationen<br />

- 13 -


Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

o<strong>der</strong> Menschen. Und e<strong>in</strong>mal die Angst vor etwas, was<br />

nicht zu erklären ist. Man hat Angst und weiß nicht<br />

warum o<strong>der</strong> vor was, dies nennt man generalisierte<br />

Angststörung.<br />

Die Angst des K<strong>in</strong>des vor erneutem <strong>Mißbrauch</strong>, dem<br />

Täter und dieser Situation wird unbewußt bis <strong>in</strong>s<br />

Erwachsenenleben h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>genommen, weil man nicht<br />

gelernt hat, mit dieser Angst umzugehen.<br />

Völliger Rückzug aus dem sozialen Leben:<br />

Meist bed<strong>in</strong>gt durch die oben beschriebenen<br />

Angstzustände und Panikattacken ziehen sich viele<br />

Überlebende völlig aus dem sozialen Leben zurück. Sie<br />

können die Wohnung nicht mehr verlassen, verlieren<br />

Freunde und oft jeglichen Kontakt zur Außenwelt. In<br />

dieser Situation kommen dann noch Ängste um die<br />

Existenz und Zukunft h<strong>in</strong>zu, weil sie nicht mehr<br />

arbeiten gehen können. Diese Menschen brauchen<br />

dr<strong>in</strong>gend fachliche Hilfe, um wie<strong>der</strong> am sozialen<br />

Umfeld teilnehmen zu können.<br />

Vere<strong>in</strong>samung: Aus Angst vor erneuten Enttäuschungen, großem<br />

Mißtrauen an<strong>der</strong>en Menschen gegenüber, s<strong>in</strong>d sie<br />

nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage Nähe zu e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Menschen<br />

zuzulassen.<br />

Das Urvertrauen des K<strong>in</strong>des wurde durch den<br />

sexuellen <strong>Mißbrauch</strong> zerstört. Wenn die Überlebende<br />

nicht schon <strong>im</strong> K<strong>in</strong>desalter Hilfe zur Verarbeitung des<br />

Geschehenen bekommen hat, wird es sehr schwer,<br />

Vertrauen aufzubauen. Oft fehlt selbst das<br />

notwendige Vertrauen zu e<strong>in</strong>em Therapeuten, weil das<br />

Mißtrauen e<strong>in</strong>fach zu groß ist und nichts an<strong>der</strong>es<br />

gelernt wurde, als wie<strong>der</strong> enttäuscht zu werden.<br />

Gestörtes Sexualverhalten:<br />

Das K<strong>in</strong>d hatte ke<strong>in</strong>e Chance se<strong>in</strong>e Sexualität<br />

altersgemäß zu erforschen und auszuleben. Sexualität<br />

wird <strong>im</strong>mer <strong>in</strong> Zusammenhang mit den schrecklichen<br />

Erlebnissen aus <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit gesehen. Aus diesem<br />

Grund treten häufig Probleme mit <strong>der</strong> eigenen<br />

Sexualität auf.<br />

- 14 -


Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

Gestörte Beziehungsfähigkeit:<br />

Durch die oben beschriebene Zerstörung des<br />

k<strong>in</strong>dlichen Urvertrauens und das große Mißtrauen s<strong>in</strong>d<br />

viele nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage e<strong>in</strong>e Beziehung zu e<strong>in</strong>em<br />

an<strong>der</strong>en Menschen e<strong>in</strong>zugehen. Der an<strong>der</strong>e Fall ist<br />

e<strong>in</strong>e Beziehung mit selbstzerstörerischem Charakter,<br />

o<strong>der</strong> zerstörerischen Zügen dem Partner gegenüber<br />

werden e<strong>in</strong>gegangen.<br />

Ger<strong>in</strong>ges Selbstwertgefühl:<br />

Durch die Erniedrigung des sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s, den<br />

Drohungen zur Gehe<strong>im</strong>haltung und den großen<br />

Schuldgefühlen an dem <strong>Mißbrauch</strong> selber Schuld zu<br />

se<strong>in</strong> fühlen sich Opfer sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s kle<strong>in</strong>,<br />

schmutzig und wertlos und nur zu diesem e<strong>in</strong>en zu<br />

gebrauchen. Dadurch kann ke<strong>in</strong> normales<br />

Selbstwertgefühl entwickelt werden.<br />

Essstörungen: Viele kompensieren den Schmerz und die Probleme<br />

durch den <strong>Mißbrauch</strong> mit Essstörungen. Essen ist ihr<br />

Freund und tut ihnen gut, gibt ihnen e<strong>in</strong> wohliges<br />

Gefühl <strong>im</strong> Bauch und ist je<strong>der</strong>zeit greifbar. An<strong>der</strong>e<br />

h<strong>in</strong>gegen haben e<strong>in</strong>en Selbsthaß entwickelt, den sie an<br />

ihrem Körper auslassen. Sie Essen nichts mehr und<br />

„sch<strong>in</strong>den“ ihren Körper, wie es <strong>der</strong> Täter e<strong>in</strong>mal<br />

getan hat, weiter.<br />

Selbstverletzendes Verhalten:<br />

Überlebende ritzen o<strong>der</strong> schneiden sich an ihrem<br />

Körper, aus Selbsthaß, o<strong>der</strong> sich endlich wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal<br />

spüren zu können. Schmerz ist e<strong>in</strong> bekanntes Gefühl<br />

aus <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit und gibt <strong>in</strong> diesem Fall e<strong>in</strong> Gefühl <strong>der</strong><br />

Geborgenheit und Vertrautheit. E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Form<br />

davon ist, se<strong>in</strong>en Körper mit extrem viel Sport zu<br />

sch<strong>in</strong>den, was gefährliche und körperlich bedrohende<br />

Ausmaße annehmen kann.<br />

Sucht: Dies ist e<strong>in</strong>e Flucht. Symptome des sexuellen<br />

<strong>Mißbrauch</strong>s, <strong>der</strong> Schmerz und die Qual werden mit<br />

Alkohol, Drogen, Tabletten usw. „zugedeckt“ um sie<br />

nicht mehr ertragen zu müssen.<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

ständig große Wachsamkeit:<br />

Auch diese ständige hohe Wachsamkeit ist e<strong>in</strong><br />

Überbleibsel aus <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit: „Wann passiert es<br />

wie<strong>der</strong>, wo ist er, wie kann ich entkommen, b<strong>in</strong> ich<br />

heute abend wie<strong>der</strong> dran...“. Diese Gedanken s<strong>in</strong>d<br />

<strong>im</strong>mer da und zw<strong>in</strong>gen zu hoher Aufmerksamkeit. Es<br />

werden schlecht Ruhephasen gefunden und als<br />

Erwachsener fällt es schwer abzuschalten. Dies<br />

kostet sehr viel Energie und oft bleibt lei<strong>der</strong> kaum<br />

mehr Energie für an<strong>der</strong>e D<strong>in</strong>ge übrig.<br />

Alpträume: Diese schl<strong>im</strong>men Träume, die oft mit dem <strong>Mißbrauch</strong><br />

zu tun haben, kehren <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> zurück. Viele<br />

haben schon Angst nachts e<strong>in</strong>zuschlafen, weil die<br />

Träume sehr beängstigend s<strong>in</strong>d und diese Bil<strong>der</strong> nicht<br />

mehr aus dem Kopf gehen.<br />

3.6. Er<strong>in</strong>nerung an den <strong>Mißbrauch</strong><br />

E<strong>in</strong> großes Problem für viele Überlebende und <strong>der</strong>en Umfeld ist das<br />

plötzliche Auftreten von Er<strong>in</strong>nerungen an e<strong>in</strong>en <strong>Mißbrauch</strong>. Die<br />

Überlebenden leben viele Jahre mit den Folgen des <strong>Mißbrauch</strong>s, ohne<br />

sich daran überhaupt er<strong>in</strong>nern zu können. Als K<strong>in</strong>d haben sie schon<br />

angefangen alles zu verdrängen. Dies ist e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Überlebensstrategie des K<strong>in</strong>des. Es vergisst völlig, was ihm geschehen<br />

ist. Niemand kann sagen, wann, warum o<strong>der</strong> wieviel von den<br />

Er<strong>in</strong>nerungen wie<strong>der</strong> an die Oberfläche gelangt. Manche vergessen es<br />

nie, wachsen mit dem Wissen des <strong>Mißbrauch</strong>es auf. An<strong>der</strong>e wi<strong>der</strong>um<br />

er<strong>in</strong>nern sich erst nach 10, 25 o<strong>der</strong> 35 Jahren wie<strong>der</strong> daran. Es wurde<br />

komplett verdrängt. Die Überlebende hatte vielleicht schon jahrelang<br />

mit den <strong>Auswirkungen</strong> wie z.B. körperliche Beschwerden, Angst vor<br />

Berührungen, unerklärliche generalisierte Ängste usw. zu kämpfen und<br />

nun kommen die Er<strong>in</strong>nerungen an die Ursache daran zurück. Dies ist ei n<br />

schwerer Schock für alle beteiligten. Für solche Er<strong>in</strong>nerungen kann es<br />

verschiedene Auslöser geben: Es kann e<strong>in</strong> best<strong>im</strong>mter Geruch se<strong>in</strong>, <strong>der</strong><br />

mit dem Täter o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Tat <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht wird, e<strong>in</strong>e<br />

best<strong>im</strong>mte Berührung, e<strong>in</strong> Geräusch, e<strong>in</strong>e Situation, o<strong>der</strong> vielleicht<br />

auch <strong>der</strong> Tod des Täters.<br />

„Das Wie<strong>der</strong>f<strong>in</strong>den traumatischer Er<strong>in</strong>nerungen Jahre später ist e<strong>in</strong><br />

gutdokumentiertes psychologisches Phänomen“. (Davis 1992, S. 105)<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

3.7. Umgang mit den Er<strong>in</strong>nerungen<br />

Die Überlebende selbst muss versuchen anzunehmen was ihr passiert<br />

ist, aber auch <strong>der</strong> Partner, die Familie und das Umfeld werden<br />

plötzlich damit konfrontiert. Wie erzählt man es se<strong>in</strong>em Partner, mit<br />

dem man vielleicht schon viele Jahre zusammenlebt? Wie erzählt man<br />

es <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Familie, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Mißbrauch</strong> st attgefunden hat? Zu<br />

dem Schock dies erlebt zu haben, kommt nun auch noch die Furcht,<br />

dass e<strong>in</strong>em nicht geglaubt wird. Mit den Worten „Hirngesp<strong>in</strong>ste“,<br />

„blühende Phantasie“, „warum fällt dir das erst jetzt e<strong>in</strong>?“,<br />

„Wichtigtuer“ muss man lernen zu leben. Anfang s fällt dies natürlich<br />

schwer, da die Überlebende selber Zweifel an den Er<strong>in</strong>nerungen hat.<br />

Dennoch muss man mit professioneller Hilfe lernen sich nicht dafür zu<br />

schämen und zu versuchen so offen wie möglich darüber zu reden.<br />

Es werden viele verschiedene Phasen durchlebt:<br />

?? Phase des Er<strong>in</strong>nerns<br />

?? Phase des „nicht glauben wollens“<br />

?? Phase des Verdrängens<br />

?? Phase <strong>der</strong> großen Schuldgefühle und Selbstzweifel<br />

?? Phase des Annehmens, den eigenen Gefühlen zu vertrauen<br />

?? Phase das Geschehene <strong>in</strong> das eigene Leben zu <strong>in</strong>tegrieren<br />

?? Phase den Schmerz auszuhalten, auszuleben, Gefühle zu erkennen<br />

?? Phase des Lebens, nicht mehr nur des Überlebens<br />

Viele Überlebende wären froh, es würde sich tatsächlich nur um<br />

„Hirngesp<strong>in</strong>ste“ handeln, sie wollten sich nur wichtig machen o<strong>der</strong><br />

hätten e<strong>in</strong>e blühende Phantasie. Lei<strong>der</strong> ist dem nicht so. Sie haben<br />

ekelerregende D<strong>in</strong>ge erlebt und gesehen, Situationen die man sich <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>en schl<strong>im</strong>msten Träumen nicht vorstellen kann. Für die Betroffene<br />

s<strong>in</strong>d es aber ke<strong>in</strong>e Träume, son<strong>der</strong>n bittere unvorstellbare Realitäten,<br />

mit denen es heißt zu Überleben <strong>–</strong> von e<strong>in</strong>em Tag zum Nächsten - und<br />

irgendwann sogar e<strong>in</strong>fach nur zu Leben.<br />

4. <strong>Mißbrauch</strong> und Partnerschaft<br />

Gerade für e<strong>in</strong>e feste Partnerschaft beg<strong>in</strong>nt nun e<strong>in</strong> richtiger<br />

„Überlebenskampf“. Das <strong>Mißbrauch</strong>sopfer kann häufig nicht z wischen<br />

Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden. Durch e<strong>in</strong>e best<strong>im</strong>mte<br />

Berührung wird <strong>der</strong> eigene Partner plötzlich mit dem Täter<br />

„verwechselt“, Situationen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Partnerschaft werden mit<br />

Situationen des <strong>Mißbrauch</strong>s vermischt, Gefühle die während des<br />

<strong>Mißbrauch</strong>s vorhanden waren kommen auf und werden auf die<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

gegenwärtige Situation projiziert. Der Partner wird angegriffen o<strong>der</strong><br />

man zieht sich von ihm zurück und er kann dies nicht nachvollziehen<br />

und kennt die Gründe hierfür nicht. Unter dieser Situation h aben<br />

beide Beteiligten enorm zu leiden, nicht nur die Überlebende, son<strong>der</strong>n<br />

auch <strong>der</strong> Partner, <strong>der</strong> sich plötzlich schuldlos mit dem Täter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

Topf geworfen sieht.<br />

In e<strong>in</strong>igen Fällen wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Partnerschaft unbewußt dieses Täter -<br />

Opfer-Spiel aus <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit fortgesetzt. Man sucht sich e<strong>in</strong>en<br />

Partner, <strong>der</strong> <strong>in</strong> dieses System h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>passt, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en schlecht<br />

behandelt, nicht auf die Gefühle und Bedürfnisse e<strong>in</strong>geht, e<strong>in</strong>en<br />

kle<strong>in</strong>hält und schlechtmacht und man <strong>in</strong> die Opferrolle schlüpfen kann.<br />

In dieser Rolle fühlt man sich wohl, die kennt die Überlebende und die<br />

kann sie ausfüllen.<br />

5. Wege zur Heilung<br />

5.1. Ist Heilung überhaupt möglich?<br />

Zuerst muss das wichtigste gesagt werden: Je<strong>der</strong> <strong>der</strong> es möchte und<br />

sich auf den Weg macht, kann Heilung erleben!<br />

Der Weg des „Heilwerdens“ ist mit viel Leid gepflastert -<br />

Selbstzweifel, Tränen, Hoffnungslosigkeit, Zorn, Wut, Trauer,<br />

Verän<strong>der</strong>ungen, Unverständnis, Haß. Die ganze Spannbreite von<br />

ungelebten Gefühlen werden über die Überlebenden h<strong>in</strong>wegfließen.<br />

5.2. Schritte zur Heilung<br />

Jedoch muss am Anfang <strong>der</strong> erste große Schritt gemeistert werden:<br />

Das eigene Annehmen dessen, was als K<strong>in</strong>d erlebt wurde. Sich selber<br />

e<strong>in</strong>zugestehen: "Es ist mir passiert, ich b<strong>in</strong> als K<strong>in</strong>d sexuell<br />

missbraucht worden". Wer die Kraft aufbr<strong>in</strong>gt das Erlebte<br />

e<strong>in</strong>zugestehen und aufhört es sogar vor sich selber zu verstecken, hat<br />

se<strong>in</strong>e Heilung bereits begonnen.<br />

Viele Missbrauchsopfer hören <strong>in</strong> ihrem Leben nicht nur e<strong>in</strong>mal "Wenn<br />

du nicht mehr darüber redest, wird es e<strong>in</strong>facher! Denk e<strong>in</strong>fach nicht<br />

mehr daran!" Solche Ratschläge s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Hilfe und sie br<strong>in</strong>gen die<br />

Überlebenden eher e<strong>in</strong>en Schritt zurück als e<strong>in</strong>en Schritt nach vorne.<br />

Lei<strong>der</strong> ist es nicht damit getan es "e<strong>in</strong>fach zu vergessen" und nicht<br />

darüber zu reden. Diese Theorie ist falsch und irgendwann wird je<strong>der</strong><br />

Überlebende feststellen, dass ihn se<strong>in</strong>e Geschichte <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>holt. Die Folgeschäden des Missbrauchs bleiben erhalten, auch wenn<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

<strong>der</strong> Missbrauch selber weiterh<strong>in</strong> verdrängt wird. Wie weitreichend<br />

diese <strong>Auswirkungen</strong> des Missbrauchs s<strong>in</strong>d, wurde <strong>in</strong> dem vorherigen<br />

Kapitel beschrieben. Sie betreffen jeden Lebensbereich und werden<br />

<strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> aufs neue e<strong>in</strong>e Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung zu e<strong>in</strong>em glücklichen Leben<br />

se<strong>in</strong>. Zeit heilt <strong>in</strong> diesem Fall lei<strong>der</strong> ke<strong>in</strong>e Wunden.<br />

Die Situation ist sehr schwierig, wenn plötzlich nach vielen Jahren d es<br />

Verdrängens die Er<strong>in</strong>nerung an e<strong>in</strong>en sexuellen Missbrauch kommt. Es<br />

wird e<strong>in</strong>e lange Zeit dauern, das Geschehene für sich selber zu<br />

akzeptieren. Anfangs werden sich alle Selbstschutzmechanismen<br />

aktivieren, die man aufbieten kann: Verleugnen, Bagatellisier en,<br />

Verdrängen, nicht wahrhaben wollen. Der Schmerz und <strong>der</strong> Schock<br />

sitzen zu tief, als dass man die Tat e<strong>in</strong>fach so h<strong>in</strong>nehmen könnte. E<strong>in</strong><br />

Grund für die Verleugnung und Herunterspielen <strong>der</strong> Tat ist auch, dass<br />

die Überlebende von Anfang an sehr schwer mit Schuldgefühlen zu<br />

kämpfen hat. Jede Überlebende hat <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Phasen, wo sie sich<br />

selbst für alles die Schuld gibt - "war ich zu aufreizend angezogen,<br />

habe ich provoziert, ihn e<strong>in</strong>mal zuviel angelächelt, b<strong>in</strong> ich auf se<strong>in</strong>em<br />

Schoß herumgerutscht und habe ihn gereizt...". Mit solchen Fragen<br />

muss man sich <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen. Darauf kann es nur<br />

e<strong>in</strong>e Antwort geben: Ke<strong>in</strong> Missbrauchsopfer ist Schuld an se<strong>in</strong>er<br />

Ausbeutung und Erniedrigung!<br />

Es ist wichtig, Menschen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Umgebung zu haben, die e<strong>in</strong>em<br />

glauben. Muss sich die Überlebende auch noch mit Zweifeln aus ihrem<br />

nächsten Umfeld ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen und rechtfertigen, wird dies e<strong>in</strong><br />

sehr schwerer Weg.<br />

Jedoch wird es <strong>im</strong> laufe des Heilungsweges irgendwann leichter<br />

werden, mit Zweifeln und Ungläubigkeit von Außen umzugehen.<br />

5.3. Suche nach Hilfe<br />

Sich Hilfe zu suchen ist ke<strong>in</strong> Zeichen von Schwäche, eher von Stärke.<br />

Im Fall e<strong>in</strong>es <strong>Mißbrauch</strong>s sogar e<strong>in</strong>e überlebensnotwendige Erkenntnis.<br />

Es ist e<strong>in</strong> Zeichen von Stärke, zu spüren und zu wissen, dass man diese<br />

Situation alle<strong>in</strong>e nicht bewältigen kann. Es gibt viele verschiedene<br />

Wege sich Hilfe zu suchen. E<strong>in</strong>er davon ist sich Rückhalt bei e<strong>in</strong>em<br />

Psychologen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Selbsthilfegruppe zu holen. Beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Selbsthilfegruppe wird man Menschen f<strong>in</strong>den, die genau verstehen und<br />

nachfühlen können, was <strong>in</strong> dem Opfer vorgeht. Hier wird niemand an<br />

<strong>der</strong> Geschichte zweifeln und dort kennt man die ungläubigen Gesichter<br />

des Umfelds nur zu gut. Hier wird man <strong>der</strong> Überlebenden Rückhalt<br />

geben können und ihr <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> bestätigen ke<strong>in</strong>e Schuld zu haben.<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

Zunächst s<strong>in</strong>d diese augensche<strong>in</strong>lich sehr e<strong>in</strong>fachen kle<strong>in</strong>en Schritte<br />

wichtig.<br />

Es wird e<strong>in</strong>e Erleichterung se<strong>in</strong>, irgendwann nicht nur vom Verstand<br />

her zu wissen ke<strong>in</strong>e Schuld zu haben, son<strong>der</strong>n auch wirklich <strong>im</strong> Inneren<br />

fühlen und leben zu können: Die Schuld trägt nur <strong>der</strong> Täter. Wenn dies<br />

ver<strong>in</strong>nerlicht wurde, kann man mit <strong>der</strong> Ungläubigkeit und komischen<br />

Blicken von außen besser umgehen und sie werden e<strong>in</strong>en nicht mehr <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e erneute Krise stürzen. Es wird irgendwann nicht mehr wichtig<br />

se<strong>in</strong>, was an<strong>der</strong>e denken.<br />

Es ist sicherlich e<strong>in</strong>e Illusion zu glauben, nach e<strong>in</strong> paar Wochen<br />

Therapie ist wie<strong>der</strong> alles vorbei. Das Annehmen des eigenen<br />

Missbrauchs wirbelt das ganze Leben durche<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Es wird nichts<br />

mehr so se<strong>in</strong>, wie es vorher war, alles muss neu geordnet und sortiert<br />

werden. Das Leben sche<strong>in</strong>t nicht mehr lebenswert zu se<strong>in</strong>, die Kraft<br />

für alles fehlt, z.B. können Suizidgedanken aufkommen<br />

Erst mit Hilfe e<strong>in</strong>er Therapie und wenn schon vieles wie<strong>der</strong> heil<br />

geworden ist, wird man erkennen, wie falsch diese Sichtweise war.<br />

"Wer e<strong>in</strong>en Missbrauch überlebt, hat die Kraft den Schmerz <strong>der</strong><br />

Heilung zu überleben" (Davis 1992, S. 103).<br />

Mit professioneller Hilfe o<strong>der</strong> Hilfe e<strong>in</strong>er Selbsthilfegruppe wird man<br />

lernen, sich zu öffnen und über das Passierte zu sprechen. Die ganzen<br />

Gefühle des damaligen kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>des werden nochmals erlebt. Man<br />

muss diesen Schmerz und die Ängste teilen mit jemandem, <strong>der</strong> es<br />

verstehen kann. Man braucht Menschen, zu denen man Vertrauen<br />

aufbauen kann, die <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Situation und egal wie heftig die Gefühle<br />

s<strong>in</strong>d zuhören und das gesagte annehmen können.<br />

Das <strong>in</strong>nere K<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Überlebenden ist verängstigt, gequält und<br />

zutiefst gedemütigt. Es kommt nun hervor und mit ihm die ganzen<br />

ungelebten Gefühle. Die Überlebende muss das <strong>in</strong>nere K<strong>in</strong>d an die<br />

Hand nehmen und mit ihm nochmals das bereits erlebte durchleben.<br />

Sie muss mit dem <strong>in</strong>neren K<strong>in</strong>d die alten Gefühle durchstehen, es<br />

streicheln, festhalten und ihm dankbar se<strong>in</strong>, dass es die Kraft hatte zu<br />

überleben. Ohne die Stärke des <strong>in</strong>neren K<strong>in</strong>des hätte ke<strong>in</strong><br />

Missbrauchsopfer überlebt. Durch Hilfe von außen kann man nun<br />

lernen, als Erwachsener mit den Gefühlen des K<strong>in</strong>des "altersgerecht"<br />

umzugehen. Als Erwachsener besteht die Möglichkeit mit den<br />

beängstigenden Situationen an<strong>der</strong>s umzugehen als e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d. D<strong>in</strong>ge die<br />

e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d Angst machen, s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>en Erwachsenen längst nicht<br />

mehr angste<strong>in</strong>flößend. E<strong>in</strong> Missbrauchsopfer hat jedoch diese<br />

k<strong>in</strong>dlichen Ängste all die Jahre mitgeschleppt und als Langzeitfolge<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

nicht gelernt als Erwachsener damit umzugehen. Dies wird nur mit<br />

professioneller Hilfe möglich se<strong>in</strong>.<br />

5.4. Therapie<br />

Die Auswahl <strong>der</strong> Therapie und des richtigen Therapeuten ist oft<br />

schwierig und manchmal auch sehr langwierig. Es ist wichtig e<strong>in</strong>en<br />

Therapeuten zu f<strong>in</strong>den, zu dem man das größtmöglichste Maß an<br />

Vertrauen haben kann, dass man <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist aufzubr<strong>in</strong>gen. Man<br />

darf nicht aufgeben, irgendwann wird man genau das richtige für e<strong>in</strong>en<br />

selbst f<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>e Überlebende wird sehr genau spüren, wenn sie für<br />

sich die richtige Therapie und den richtigen Therapeut gefunden hat.<br />

Gel<strong>in</strong>gt dies nicht auf Anhieb, darf man die Suche auf ke<strong>in</strong>en Fall<br />

aufgeben. Irgendwo auf dieser weiten Welt wartet genau <strong>der</strong> richtige<br />

Mensch o<strong>der</strong> die richtige Therapie mit <strong>der</strong> man lernen kann e<strong>in</strong><br />

erfüllendes Leben zu f<strong>in</strong>den. Jede Überlebende hat IHREN eigenen<br />

Weg, den sie beschreitet, ke<strong>in</strong> Weg wird gleich se<strong>in</strong>. Es wird auch<br />

<strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Rückschritte und tiefe Krisen geben, aus denen man<br />

jedoch stärker als je zuvor hervorgehen wird. Aber gerade für die<br />

Zeit <strong>der</strong> Krisen ist es wichtig, Unterstützung zu haben. In e<strong>in</strong>er<br />

Selbsthilfegruppe f<strong>in</strong>det man viele Menschen, die <strong>in</strong> ihrer Heilung<br />

schon weit fortgeschritten s<strong>in</strong>d und die Kraft haben an<strong>der</strong>e zu<br />

unterstützen. Auch e<strong>in</strong> Therapeut <strong>der</strong> auf diesem Gebiet Erfahrung<br />

hat, wird ihnen hierbei e<strong>in</strong>e große Hilfe se<strong>in</strong>, die dr<strong>in</strong>gend notwendig<br />

ist.<br />

5.5. Verschiedene Therapiemöglichkeiten:<br />

?? Gesprächstherapie<br />

?? Verhaltenstherapie<br />

?? Psychoanalyse<br />

?? Gestalttherapie<br />

?? Maltherapie<br />

?? Hypnose<br />

?? Tanz- o<strong>der</strong> Körpertherapie o.ä.<br />

Auch unkonventionelle Therapien s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en Versuch wert, alles ist<br />

möglich und alles ist erlaubt was e<strong>in</strong>em guttut auf dem<br />

e<strong>in</strong>geschlagenen Weg <strong>der</strong> Heilung . Beispiele hierfür wären:<br />

Osteopathie, K<strong>in</strong>esiologie, Biofeedback, Haptonomie, Bachblüten usw.<br />

Hierbei ist es wichtig offen zu se<strong>in</strong> für Neues und die Bereitschaft zu<br />

haben sich darauf e<strong>in</strong>zulassen, auch wenn manches anfangs vielleicht<br />

etwas befremdlich ersche<strong>in</strong>t.<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

E<strong>in</strong>e gute Verb<strong>in</strong>dung wäre auch e<strong>in</strong> Zusammenspiel z.B. e<strong>in</strong>er<br />

Gesprächstherapie und e<strong>in</strong>er Körpertherapie. Hierbei kann das bereits<br />

durchlebte verarbeitet werden und e<strong>in</strong> neues heilendes Körpergefühl<br />

erlernt werden.<br />

5.6. Der Weg zum Leben<br />

Wichtig ist jedoch sich auf die Suche zu begeben und nicht<br />

aufzugeben, bis man das richtige für sich selbst gefunden hat. Der<br />

Weg lohnt sich. Man darf dem Täter die Chance nicht lassen, das<br />

gesamte Leben <strong>der</strong> Überlebenden zu zerstören. Es ist schon so viel<br />

kaputtgegangen an dem kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>d.<br />

Hierbei muss <strong>der</strong> Weg das Ziel se<strong>in</strong>. Man wird nie am Ende se<strong>in</strong>, die<br />

Überlebende wird <strong>im</strong>mer mit ihrer Geschichte leben müssen, mal<br />

besser und mal schlechter. Es werden sich aber auch - wenn man e<strong>in</strong><br />

großes Stück des Weges zur Heilung h<strong>in</strong>ter sich gebracht hat - so<br />

viele neue und schöne Möglichkeiten ergeben, se<strong>in</strong> Leben völlig neu zu<br />

erleben. Man lernt sich selber besser kennen, kann e<strong>in</strong> Körpergefühl<br />

entwickeln, dass selbst mancher "Gesunde" nicht hat, lernt<br />

Kle<strong>in</strong>igkeiten die <strong>im</strong> Leben gut tun mehr zu schätzen, ist dankbar für<br />

jedes kle<strong>in</strong>e Glück. Hat meist fe<strong>in</strong>ere "Antennen" für Sorgen und Nöte<br />

<strong>der</strong> Mitmenschen. Man f<strong>in</strong>det auf se<strong>in</strong>em Weg wertvolle und liebevolle<br />

Menschen die e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong> Stück des Weges begleiten und <strong>im</strong>mer <strong>im</strong><br />

Herzen bleiben werden. Trotz all dem schrecklichen was e<strong>in</strong>em<br />

Missbrauchsopfer passiert ist, hat es die Chance auf e<strong>in</strong> Leben voller<br />

Glück. Das Glück ist sicherlich e<strong>in</strong>e Zeitlang hart erkämpft, aber auch<br />

jemandem <strong>der</strong> ke<strong>in</strong>e solche Vergangenheit hat, wird es meist nicht<br />

geschenkt. Auch "gesunde" Menschen haben Sorgen, Probleme und<br />

müssen Krisen <strong>in</strong> ihrem Leben meistern. E<strong>in</strong>e Überlebende muss sicher<br />

e<strong>in</strong> tieferes Tal durchschreiten, jedoch macht sie genau dies Erlebte<br />

zu dem wertvollen Menschen <strong>der</strong> sie heute ist. Genau dies Erlebte hat<br />

die Überlebende geformt, hat ihr die Kraft gegeben das Leben zu<br />

überleben und macht sie hoffentlich offen und bereit für alle<br />

Menschen die ihm Hilfe anbieten und selbst die Hilfe benötigen.<br />

Die letzten Sätze s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>e Überlebende, die soeben erfahren hat<br />

missbraucht worden zu se<strong>in</strong>, o<strong>der</strong> gerade durch e<strong>in</strong>e tiefe Krise<br />

schreitet völlig unverständlich. Dies ist sehr gut nachvollziehbar. Es<br />

wird auch e<strong>in</strong>ige Zeit dauern und viel Arbeit an sich selber se<strong>in</strong>, um zu<br />

sehen, wie wertvoll das eigene Leben trotz allem ist.<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

Es ist wichtig, <strong>im</strong> Laufe <strong>der</strong> Heilung das eigene Selbstwertgefühl<br />

aufzubauen. Wer als K<strong>in</strong>d gedemütigt, gequält und erniedrigt wurde,<br />

muss erst lernen, etwas "Wert" zu se<strong>in</strong>. Nur dann kann die<br />

Überlebende sondieren was wirklich gut für sie ist. Sie lernt sich<br />

selber gut kennen und weiß unabhängig von <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung An<strong>der</strong>er was<br />

zur eigenen Heilung beiträgt o<strong>der</strong> was eher schadet.<br />

5.7. Ist Konfrontation mit dem Täter zur Heilung notwendig?<br />

Auch hier s<strong>in</strong>d die Experten nicht e<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung: Die e<strong>in</strong>en vertreten<br />

den Standpunkt absolute Heilung sei nur möglich, wenn man den Täter<br />

mit <strong>der</strong> Tat konfrontieren kann, die an<strong>der</strong>en gehen auch ohne<br />

Konfrontation von e<strong>in</strong>er Heilung aus.<br />

Diese Entscheidung muss jede Überlebende für sich selbst treffen.<br />

Der Therapeut Wayne Kritsberg sagt" Heilung ist natürlich auch ohne<br />

Konfrontation möglich" (vrgl. Kritsberg 1993, S. 261) Wer sich <strong>der</strong><br />

Konfrontation mit dem Täter stellen möchte o<strong>der</strong> muss, braucht sehr<br />

starke und engmaschige Rückhaltemöglichkeiten, die e<strong>in</strong>em helfen, die<br />

ausgelösten Gefühle zu bewältigen. Auch sollte man e<strong>in</strong>e Phase<br />

auswählen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> man emotional sehr stark und gefestigt ist, um<br />

diesen schweren Schritt zu gehen. Vor allem sollte man sich von<br />

vornhere<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em negativen Ausgang befassen. Wie schon<br />

beschrieben, gesteht <strong>der</strong> Täter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel se<strong>in</strong>e Tat nicht e<strong>in</strong> und<br />

gibt die Schuld dem <strong>Mißbrauch</strong>sopfer.<br />

6. Schlusswort<br />

Die Folgeersche<strong>in</strong>ungen des sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit<br />

führen zu E<strong>in</strong>schränkungen <strong>in</strong> allen Lebensbereichen. Die <strong>Auswirkungen</strong><br />

s<strong>in</strong>d nur mit Hilfe e<strong>in</strong>er für jeden e<strong>in</strong>zelnen zur Persönlichkeit und<br />

Geschichte passenden Therapie möglich. Die Wege s<strong>in</strong>d grenzenlos und<br />

für jede Überlebende völlig verschieden, dass e<strong>in</strong>zige wor<strong>in</strong> sich alle<br />

Überlebenden gleichen ist das Ziel: Heilung <strong>–</strong> die für jede Betreffende<br />

möglich ist, wenn sie bereit ist, sich auf den Weg zu machen. Bereit<br />

ist, sich aus ihrer Scham und Isolation zu lösen und lernt darüber zu<br />

sprechen und offen mit ihrer Geschichte umzugehen.<br />

Der Inhalt dieser Abschlussarbeit kann nur die Spitze des Eisbergs<br />

dessen ankratzen, was Opfer sexuellen <strong>Mißbrauch</strong>s durchleben<br />

müssen.<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

Am Anfang dieser Abschlussarbeit stand zuerst das "Faktensammeln".<br />

Der Versuch objektiv und sachlich über e<strong>in</strong> Thema zu schreiben, das<br />

voller Emotionen steckt. Für mich als Betroffene s<strong>in</strong>d dies nicht nur<br />

Fakten und geschriebene Worte. Ich kenne das Leid h<strong>in</strong>ter diesen<br />

Worten, habe diese <strong>Auswirkungen</strong> e<strong>in</strong>es Missbrauchs gelebt,<br />

durchlitten und ertragen. Kenne diese Qualen, habe unendlich viele<br />

Tränen vergossen und gedacht, dies alles nicht ertragen zu können.<br />

Doch nicht nur dies. Ich habe mich auf den Weg gemacht und darf<br />

auch die an<strong>der</strong>e Seite dieses Lebens "erleben". Auch <strong>der</strong> Weg <strong>der</strong><br />

Heilung und die unendlichen Möglichkeiten dah<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d für mich nicht<br />

nur bloße Ratschläge und Fakten, auch dies darf und durfte ich<br />

spürbar erleben. Menschen haben mich<br />

- teilweise auch nur e<strong>in</strong> kurzes Stück - me<strong>in</strong>es Weges begleitet, mit<br />

denen ich <strong>im</strong>mer e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Stückchen weiter heil werden konnte.<br />

Ich musste durch Therapie me<strong>in</strong> Leben wie<strong>der</strong> "fühlen" lernen, musste<br />

lernen mir selber zu vertrauen, auf me<strong>in</strong>en Bauch zu hören. Wie<strong>der</strong><br />

lernen, selber zu wissen, was gut für mich ist. Heute kenne ich mich<br />

besser als manch "gesun<strong>der</strong>" sich kennt. Genieße mit e<strong>in</strong>er geradezu<br />

k<strong>in</strong>dlichen Freude jedes kle<strong>in</strong>e Glück, spüre me<strong>in</strong> Leben. Jedes Tal<br />

durchschreite ich mit <strong>der</strong> Gewissheit, es schaffen zu können. Ich habe<br />

unvorstellbare D<strong>in</strong>ge überlebt, was sollte noch kommen, was ich nicht<br />

schaffen könnte. Heute kenne ich me<strong>in</strong>e enorme Stärke, trotzdem ich<br />

mich me<strong>in</strong> ganzes Leben kle<strong>in</strong> gefühlt habe.<br />

Jedem Betroffenen kann ich nur sagen: Sucht Hilfe, hört nicht <strong>im</strong>mer<br />

auf Außenstehende, hört <strong>in</strong> euch h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> - was tut gut und was nicht.<br />

Schritt für Schritt - egal wie kle<strong>in</strong> und auch schmerzhaft er se<strong>in</strong> mag<br />

- es ist e<strong>in</strong> Schritt auf neue unglaublich schöne D<strong>in</strong>ge <strong>im</strong> Leben.<br />

Aus diesem Grund habe ich diese Ausbildung gemacht: Mit me<strong>in</strong>em<br />

"erlebten" Wissen gekoppelt mit me<strong>in</strong>em fundierten "erlernten"<br />

Wissen Menschen vielleicht auch nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Stück auf ihrem Weg<br />

zu begleiten.<br />

Mit freundlicher Genehmigung darf ich das nachfolgende Gedicht an<br />

me<strong>in</strong>e Abschlussarbeit anhängen. Ich habe noch nichts gelesen, was<br />

die Gefühle e<strong>in</strong>er Überlebenden besser beschreibt:<br />

Gequälte K<strong>in</strong><strong>der</strong>seele<br />

Die Tür fällt zu, - sie ist gegangen. Ich fühl mich wie e<strong>in</strong> Tier: gefangen!<br />

"Geh bitte nicht, bleib doch dahe<strong>im</strong>!" Wir s<strong>in</strong>d mit IHM jetzt ganz alle<strong>in</strong>.<br />

Ich lieg <strong>im</strong> Bett, ruhig und verschreckt. Ich hätte mich so gern versteckt.<br />

Doch nirgends werd ich sicher se<strong>in</strong>... vor IHM, ich mache mich ganz kle<strong>in</strong>.<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

Ganz langsam öffnet sich die Tür. Oh Gott, - zaub're mich weg von hier!<br />

Ich b<strong>in</strong> noch da... ER kommt here<strong>in</strong>.<br />

"Komm K<strong>in</strong>d, - du darfst jetzt Mama se<strong>in</strong>!.<br />

Vor Angst fall ich aus me<strong>in</strong>em Bett. ER kommt zu mir, und tut ganz nett.<br />

"Tut nicht mehr weh, - komm her ich blase" Oh... wie ich diese Worte hasse!<br />

"Me<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Schatz, ich hab dich lieb." "Ne<strong>in</strong>" - will ich schrei' n, "DU bist<br />

e<strong>in</strong> Dieb!<br />

DU stiehlst mir grad me<strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>lachen. Ich will nicht diese D<strong>in</strong>ge mac hen!"<br />

Ich muss mit raus... hab ke<strong>in</strong>e Wahl. Jede M<strong>in</strong>ute wird zur Qual.<br />

Ich zähl sie mit: "vier, fünf, sechs, sieben..." Ich würd' am liebsten tot hier<br />

liegen.<br />

Ich fühl' s rumor' n <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Bauch. "Na kle<strong>in</strong>e Frau, gefällt' s dir auch?"<br />

Am liebsten würd' ich IHN bespucken. Doch hab schon Angst, IHN<br />

anzugucken...<br />

Die Zeit ist um... es ist vorbei. "Du weißt, das wissen nur wir zwei.<br />

Das muss unser Gehe<strong>im</strong>nis bleiben, sonst kann dich Mama nicht mehr leiden!"<br />

"Sie glaubt dann nämlich dass du lügst, und stiehlst, u nd and' re auch<br />

betrügst.<br />

Und weil sie's dann nicht schafft alle<strong>in</strong>, steckt sie euch alle <strong>in</strong> e<strong>in</strong> He<strong>im</strong>!"<br />

Ich hab's gelernt - ich darf nichts sagen. Wem auch??? - es stellt ja niemand<br />

Fragen!<br />

Ich geh <strong>in</strong>s Bad, will sauber se<strong>in</strong>. Der Schmutz zieht <strong>in</strong> die Seele e<strong>in</strong>!<br />

Ich werd nie sauber! - Nie <strong>im</strong> Leben!!! Ke<strong>in</strong> Mensch kann mir me<strong>in</strong> Lachen<br />

geben..<br />

ke<strong>in</strong> Mensch kann diese Last ertragen. Die wir als K<strong>in</strong>d erfahren haben!<br />

Ich br<strong>in</strong>g IHN um....ich hasse IHN! Ich hab bis heut IHM nicht verzieh' n...<br />

und heut noch lieg ich oft <strong>im</strong> Bett,- ganz kle<strong>in</strong> - und suche e<strong>in</strong> Versteck.<br />

Ich b<strong>in</strong> jetzt groß, erwachsen schon. Habe zwei Mädels und 'nen Sohn.<br />

An me<strong>in</strong>er Seite ist e<strong>in</strong> Mann... dem ich fast voll vertrauen kann.<br />

Fast voll... denn <strong>im</strong>mer bleibt e<strong>in</strong> Rest. Der mich nie voll vertrauen läs st.<br />

Und das hat ER zuweg gebracht, <strong>in</strong> je<strong>der</strong> "Mama -Papa-Nacht"<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

Ich hab geschwor'n, das nie e<strong>in</strong> Mann... dass me<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n antun kann.<br />

Lass nie ihr kle<strong>in</strong>es Herz zerstör'n... werd vorher stumme Schreie hör'n!<br />

Denn jedes K<strong>in</strong>d hier hat das Recht... dass "Mann" die F<strong>in</strong>ger von ihm lässt!.<br />

Und alle kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>seelen... s<strong>in</strong>d da zum lieben,- nicht zum quälen!<br />

Sie können doch nur uns vertrau'n! Wir sollten nicht zur Seite schau'n..wenn<br />

sie uns bitten:<br />

"Bleib dahe<strong>im</strong>...<br />

wir s<strong>in</strong>d doch sonst mit IHM alle<strong>in</strong>!"<br />

© by B<strong>in</strong>e www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>schreie.de<br />

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Tanja Schmidt „<strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>–</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>im</strong> Erwachsenenalter“<br />

7. Literaturverzeichnis<br />

Davis,L.: Verbündete. Orlanda Frauenverlag, 2. Auflage, Berl<strong>in</strong> 1995<br />

Kritsberg,W.: Die unsichtbare Wunde. <strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong>dheit: Das Trauma erkennen und überw<strong>in</strong>den. Bastei-<br />

Lübbe-Verlag, Bergisch Gladbach 2000<br />

Rensen,B.: Fürs Leben geschädigt. <strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> und seelische<br />

Verwahrlosung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Georg Thieme Verlag,<br />

Stuttgart 1992<br />

Friedrich, M.H.: Tatort K<strong>in</strong><strong>der</strong>seele. <strong>Sexueller</strong> <strong>Mißbrauch</strong> und die<br />

Folgen. Ueberreuter, Wien 1998<br />

Bundesm<strong>in</strong>isterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:<br />

Son<strong>der</strong>brief "sexueller <strong>Mißbrauch</strong>". K<strong>in</strong><strong>der</strong> stark machen -<br />

sexuellem <strong>Mißbrauch</strong> vorbeugen. 2. Auflage, Schönwald Druck,<br />

Berl<strong>in</strong> 1999<br />

7.1. Internetadressen:<br />

www.aktiv-gegen-sexuelle-gewalt.de<br />

www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>schreie.de<br />

www.dunkelziffer.de<br />

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