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WIR HEIMKINDER Von 1949 bis 1957 war ich (mit Unterbrechung ...

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Eine Form der Folter wurde angewandt, in dem streng darauf geachtet und kont-<br />

rolliert wurde, dass wir im Bett die Hände auf dem Deckbett liegen hatten, sonst<br />

gab es Stockschläge.<br />

Es gab „ geistig-schl<strong>ich</strong>te“ Mitarbeiter/innen, die selbst in einem Abhängigkeits-<br />

verhältnis standen. Sie mussten ohne Lohn für ein Taschengeld arbeiten und es<br />

wurden keine sozialvers<strong>ich</strong>erungspfl<strong>ich</strong>tigen Beitragszahlungen für sie eingezahlt.<br />

Auch sie <strong>war</strong>en der Willkür der Stiftsleitung ausgeliefert, aber ein Herzstück für<br />

uns. Sie brachten die nötige Sensibilität für uns auf, die wir so sehr vermissten.<br />

Wenn Lilo, Barbara oder Uli n<strong>ich</strong>t von den Herrscherinnen beobachtet oder bel-<br />

auscht wurden, haben sie uns über die Treppen getragen oder andere unerlaubte<br />

Hilfeleistungen zur Verfügung gestellt, um unsere Leiden zu linden.<br />

Evi Schumacher; eine Heimbewohnerin bei den „Großen Mädchen“ im EG im<br />

8-Bett-Zimmer untergebracht, wurde <strong>mit</strong> sog. Missbildung, d.h. <strong>mit</strong> Rumpf, nur<br />

<strong>mit</strong> einem Arm <strong>mit</strong> 3 Finger geboren. Evi musste sehr viel arbeiten im Quellenhof,<br />

was weit über ihre körperl<strong>ich</strong>en Mögl<strong>ich</strong>keiten hinaus ging. Tagsüber versorgte sie<br />

pflegerisch eine schwerstbehinderte Mitbewohnerin, wie z.B. Körperhygiene, be-<br />

/entkleiden, Essen geben, am Nach<strong>mit</strong>tag arbeitete sie in der Nähstube, nachts<br />

betreute sie schwerstkranke (sterbende) Kinder. Für diese „Zwangsarbeit“ hat Evi<br />

kein Geld bekommen.<br />

Natürl<strong>ich</strong> wurden auch für sie keine Rentenbeiträge eingezahlt oder ähnl<strong>ich</strong>e An-<br />

erkennungen geleistet. Als s<strong>ich</strong> Evi aus dem Johannesstift aus eigener Kraft selbst<br />

befreite, ist sie nur auf Gegenwehr gestoßen. Mit 43 Jahren bezog sie Ihre erste,<br />

eigene Wohnung und <strong>war</strong> von Sozialhilfe abhängig. Ich bin Evi diesen Nachruf<br />

schuldig. Sie hat viel geleistet um 1975 endl<strong>ich</strong> das Leben in Freiheit zu genießen.<br />

Evi Schumacher ist im Januar 2010 verstorben und <strong>ich</strong> habe ihr am Grab verspro-<br />

chen, diesen Teil ihrer Biografie öffentl<strong>ich</strong> zu machen.<br />

Da<strong>mit</strong> derartige Gewalttaten n<strong>ich</strong>t nach Außen dringen, <strong>war</strong>en Besuche von Ange-<br />

hörigen unerwünscht und wurden mögl<strong>ich</strong>st verhindert. Geschlossene Systeme<br />

haben die Macht, dass all das, was im System passiert, im System verborgen bleib-<br />

en soll. Man säte Misstrauen, in dem bewusst schlecht über unsere Familienange-<br />

hörige in unserer Gegen<strong>war</strong>t geredet wurde, um unsere Sehnsucht nach ihnen will-<br />

kürl<strong>ich</strong> zu unterdrücken. Ich wusste n<strong>ich</strong>t, was es heißt, eine Familie zu haben. Die<br />

habe <strong>ich</strong> erst nach meiner Rückkehr in Berlin 1964 erst gesucht. Das Johannes-<br />

stift <strong>war</strong> leider zu keiner Zeit ver<strong>mit</strong>telnd tätig.<br />

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