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WIR HEIMKINDER Von 1949 bis 1957 war ich (mit Unterbrechung ...

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8/12<br />

Meine Schreckenszeit wurde durch einen 2-jährigen Aufenthalt in einer Kinderklinik<br />

in Bayern für m<strong>ich</strong> unterbrochen. Ich <strong>war</strong> sehr glückl<strong>ich</strong>, dort durch das Personal<br />

eine Daseinsfürsorge erfahren zu dürfen. In dieser Zeit habe <strong>ich</strong> nur einmal Besuch<br />

aus der Heimat bekommen. Herr Superintendent Harder hatte für seinen Urlaub<br />

den Auftrag von der Stiftsleitung erhalten.<br />

Als Jugendl<strong>ich</strong>e fing <strong>ich</strong> an, über das systematische Unrecht in konfessionellen<br />

Einr<strong>ich</strong>tungen nach zu denken und ob das vermeintl<strong>ich</strong> christl<strong>ich</strong>e Johannesstift<br />

das menschl<strong>ich</strong>e Leben ausre<strong>ich</strong>end achtet. Wir behinderten Kinder <strong>war</strong>en dem<br />

praktizierten Machtgehabe des Personals ausgeliefert. Alles geschah gegen unseren<br />

Willen und <strong>mit</strong> Gewalt. Ich stellte mir die Frage, ob hier den Verantwortl<strong>ich</strong>en die<br />

Nächstenliebe und der christl<strong>ich</strong>e Glaube an behinderten Kindern abhanden gekom-<br />

men ist.<br />

Es darf aber n<strong>ich</strong>t unerwähnt bleiben, dass man mir <strong>mit</strong> dem langen Klinikaufent-<br />

halt in Garmisch-Partenkirchen und der späteren Berufsausbildung in Volmarstein<br />

eine Chance gab, die n<strong>ich</strong>t vielen behinderten Heimbewohnern zu Teil wurde. Nur<br />

dadurch habe <strong>ich</strong> meine Eigenständigkeit und den Absprung in diese Gesellschaft<br />

geschafft.<br />

Ich habe m<strong>ich</strong> der Religion und dem Glauben im Zusammenhang <strong>mit</strong> den geschild-<br />

erten Gewalttaten nie abgeschrieben. Sie haben m<strong>ich</strong> zu keiner Zeit veranlasst, m<strong>ich</strong><br />

von der Kirche ab zu wenden. Aber <strong>ich</strong> habe m<strong>ich</strong> entschlossen, n<strong>ich</strong>t in Gottesdien-<br />

ste zu gehen, wo <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> in die Gemeinde integrieren soll. Für m<strong>ich</strong> ist Gott überall<br />

da, wo <strong>ich</strong> auch bin.<br />

1959 nahm <strong>ich</strong> endgültig Abschied vom Ev. Johannesstift. Ich <strong>war</strong> 16 Jahre alt, ab-<br />

solvierte die 2-jährige Handelsschule zzgl. eine Ausbildung zur Stenokontoristin in<br />

Volmarstein /Ruhr. Dann fing mein selbstbestimmtes Leben an. Als Erwachsene<br />

wieder in Berlin habe <strong>ich</strong> meine Freundinnen 1964 im Quellenhof besucht und<br />

musste tief betroffen feststellen, dass niemand eine Chance erhalten hatte, ein<br />

Teil dieser Gesellschaft außerhalb einer Institution zu werden.<br />

1965 habe <strong>ich</strong> ein Ehemaligentreffen im Johannesstift organisiert, was bei den Be-<br />

wohnern und dem Personal auf großes Interesse gestoßen ist. Zu diesem Zeitpunkt<br />

glaubte <strong>ich</strong>, dass alle Wunden bei mir geheilt sind. Ich musste feststellen, dass diese<br />

grausamen Erziehungsmethoden der Erniedrigung, Verhöhnung, Verachtung u.v.m.<br />

Signalwirkung hatte und auf viele Kinderheime in Deutschland übergeschwappt ist.<br />

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