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Feb/Mar MODERNE REFORM EXPERIMENT Bremen nach der Revolution von 1918
Feb/Mar
MODERNE REFORM EXPERIMENT
Bremen nach der Revolution von 1918
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11<br />
Jan-Paul Koopmann<br />
LISTENER’S<br />
CORNER<br />
Durchs Nirvana gestampft<br />
Eine Art Werkschau könnte man die Platte nennen,<br />
würde der Titel nicht das genaue Gegenteil behaupten:<br />
Moment heißt das neue Album von Elektro-Pionierin<br />
Gudrun Gut. Und gegenwärtiger geht’s ja gar nicht.<br />
Nur ist dieser tatsächlich leicht jenseitig-entkoppelte<br />
Augenblick eben gespickt mit Erinnerungen aus und<br />
an Gudrun Guts rund 40 Jahre im Musikgeschäft.<br />
Denn während ihr letztes Soloalbum, Wildlife von<br />
2012, noch das Idyll naturnahen Lebens vertonte, ist<br />
die neue Platte wieder zurück auf dem Berliner (Beton-)<br />
boden: Beschwörend hingehauchter Sprechgesang hallt<br />
über Beats, die mal ambient-artig vor sich hin knarzen,<br />
bevor sie im nächsten Song wieder entschieden losstampfen.<br />
Techno, Minimal, Industrial mit Dark-Wave-<br />
Anleihen: Es fügt sich da alles zu einer mitunter fast<br />
klinisch sauberen, wunderbar zeitlosen Komposition<br />
– einem Moment eben, der durchs Früher geistert, ohne<br />
zwanghaft irgendwelche Retroklischees zu bedienen.<br />
Das Album erscheint auf Guts eigenem Label,<br />
Monika Enterprise, wo sie seit inzwischen auch schon<br />
über 20 Jahren höchst Relevantes in überschaubarer<br />
Stückzahl präsentiert. Nicht nur, aber eben auch sich<br />
selbst und ihre weit verstreuten Kooperationspartner*innen.<br />
Dass Gudrun Gut über experimentelle<br />
elektronische Musik was zu sagen (respektive: vorzuführen)<br />
hat, ist schon deshalb klar, weil sie ja von<br />
Anfang an dabei war. Mit Blixa Bargeld, N. U. Unruh<br />
und Beate Bartel hat sie Die Einstürzenden Neubauten<br />
gegründet – und mit Malaria! und der Band Mania D<br />
um die Genialen Dilletanten gleich nochmal Musikgeschichte<br />
geschrieben. Dass diese Historie sich heute<br />
außerhalb der Kernszene als Spezialwissen abgelegt<br />
findet, liegt ganz einfach daran, dass hier von Frauen<br />
die Rede ist. Und die verschwinden auch in der progressivsten<br />
Szene hinter ihren männlichen Zeitgenossen,<br />
wenn es darum geht, Musikgeschichte zu schreiben.<br />
Gänzlich auch in unbeleidigt der Sympathie geht des um Publikums die Rolle von der Dietrich Frauen<br />
auch ins Abseits auf dem gedrängt, neuen Album, er konnte in vorsätzlich anschließend holprigen keine<br />
Reimen, großen Erfolge wie zum mehr Beispiel verzeichnen. ›Baby, I Can Für den Drive jungen My Car Hans /<br />
Albers In Saudi (als Arabia‹. Muskelprotz Oder in Mazeppa) geradezu begann manisch hier beschwingten<br />
Umdeutungen: die auf der David neuen Bowies Technik ›Boys des Keep Tonfilms Swinging‹<br />
eine<br />
Karriere,<br />
aufbaute, hatte nun die seinerzeit ›Der blaue eh schon Engel‹ einen als einer harten der Einschlag ersten<br />
Filme in Genderverwirrungen in Deutschland eingeführt – wird von hat. Gudrun Guts Coverversionen<br />
Auch dadurch aber nochmal stellt sich ein der paar Klassiker Ebenen heute weiter als hoch-<br />
Einladung geschraubt. für ›Heaven kulturhistorische loves ya / The Exkursionen clouds part dar, for denn ya /<br />
Nothing für eine bessere stands in Vermarktung your way / When auf dem you’re internationalen a boy /<br />
Markt Clothes drehte always von fit Sternberg ya / Life is den a pop Film of the sowohl cherry auf / When<br />
you’re Deutsch a boy‹, wie auf singt Englisch. sie und Diese ist anders Praxis, als mehrere Bowie eben Sprachversionen<br />
nicht mal zwischendurch gleichzeitig für so verschiedene ein Boy. Märkte zu<br />
produzieren, Stolprig klingt ist der das, Ursprung manchmal der ein Synchronisationskultur,<br />
allem die aber noch auf heute beruhigende die deutsche Weise Kinolandschaft<br />
kalt und teilbisschen<br />
trippy,<br />
vor<br />
(neben nahmslos. u. a. Das der gilt französischen, jedenfalls für italienischen den Sound. und Die<br />
Zustände, spanischen) die unterscheidet auslöst, sind von im der Gegenteil unserer hochgradig kleineren<br />
und emotional. weniger Sie zentralen sind in der europäischen elektronischen Nachbarn. Musik selten<br />
so inhaltlich Die BluRay und von vom Universum Text bestimmt Film bietet wie hier. zum Zum aufbe-<br />
Vorbild reiteten genommen Bild einige informative hat Gudrun Gut Zugaben, hier sich wie selbst einen –<br />
die erhellenden Grundstimmung Audiokommentar der Musik von erinnert Filmhistoriker jedenfalls so<br />
Werner deutlich Sudendorf wie lange nichts und ein an Booklet ihren wohl von Oliver bekanntesten Hanley,<br />
Titel das einen ›Kaltes Blick klares auf Wasser‹. Hauptdarsteller und Regisseur<br />
sowie Aber auf bevor die Entstehungsgeschichte sich der Gedanke mit dem des Films Rückblick wirft.<br />
Bezaubernd aufs Werk dann sind doch die Extras: zu sehr Eine festsetzt: Probeaufnahme Moment mit<br />
Friedrich klingt insgesamt Hollaender nach am einer Klavier recht zeigt spontanen die junge Arbeit<br />
Dietrich, und ist sicher andere kein Bühnenauftritte akribisch durchkalkulierter dokumentieren Mix die<br />
Diva eines in Ideen-Best-ofs. späteren Jahren, Aber alterslos nachdenklich bestechend ist die in Platte<br />
kecken trotzdem, Hochmütigkeit. wie sie so assoziativ Ein Szenenvergleich durch ihre eigene von<br />
ihrer<br />
Vorgeschichte deutscher und wandert. englischer Das Fassung ist eine und Musik, Trailer die zum sich<br />
Film nicht erfüllen so recht die entscheiden Wünsche kann, filmhistorisch ob sie Tanzflächen Interessierter<br />
vollständig. dirigieren oder Der die Ton Hörer*innen bleibt leider freischwebend<br />
weiterhin teilweise<br />
assoziieren schlecht, um lassen den Film möchte. in vollem Sie muss Umfang es auch zu gar genießen,<br />
braucht nicht. Vielleicht, es die Untertitelung. und das ist nun Man wirklich versäumt ein sonst flüchtiger<br />
den schnodderigen Gedanke, liegt Humor ihr Wert und ja gerade könnte auch die Chance darin,<br />
verpassen, dass es so recht dem Film keinen vollständig Unterschied zu verfallen. mehr macht.<br />
Gudrun Gut:<br />
Der Moment blaue (Monika/Indigo)<br />
Engel<br />
(Deutschland 1930, Regie: Josef von Sternberg,<br />
Blue-ray: Universum Film)