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Al Ard Magazin Ausgabe 8

Das Arabisch/Deutsche Kulturmagazin

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8<br />

JAHRE<br />

ER<br />

50 Jahre 68er<br />

Ein Nachruf zum Aufruf<br />

ARTIKEL DENNIS LANGER<br />

Deutschland vor genau 55 Jahren: Das Wirtschaftswunder<br />

ist noch im vollen Gange, die Reallöhne haben<br />

sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg fast<br />

verdoppelt und Arbeit gibt es so gut wie an jeder Ecke.<br />

Vater fährt mit seinem neuen Auto ins Büro, während<br />

Mutti sich um Haus, Hof und Kinder kümmert. Abends<br />

schaut man gemeinsam Fernsehen oder hört die neusten<br />

Hits von Peter <strong>Al</strong>exander, Roy Black oder Freddy<br />

Quinn im Radio. Für den kleinen Wolfgang ist beim<br />

Chef schon ein gutes Wort eingelegt, so dass er nach<br />

Beendigung der Volksschule in Vaters Fußstapfen treten,<br />

eine Frau finden, Kinder zeugen und ein Haus am<br />

gegenüberliegenden Ende der Straße bauen kann. Die<br />

Menschen sind satt, allen geht es gut, doch trotzdem<br />

handelt es sich bei der fünf Jahre später auftretenden<br />

Studentenbewegung der 68er um die gewaltigste Mobilisierung<br />

von Menschen und den bedeutendsten und<br />

mutigsten Versuch eines sozialen Umbruchs, den die<br />

Bundesrepublik bis heute erlebt hat.<br />

Doch was ist in diesen fünf Jahren vorgefallen? Wie<br />

kann es dazu kommen, dass sich Wolfgang gegen den<br />

sicheren Job bei der Bank entscheidet, Bob Dylan und<br />

die Beatles Peter <strong>Al</strong>exander vorzieht und anstatt mit<br />

der ganzen Familie vor dem Fernseher zu sitzen, seine<br />

Abende lieber mit Brigitte in<br />

<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> 03/18<br />

الذاكرة<br />

»Unter den Talaren –<br />

Muff von 1000 Jahren«<br />

verrauchten Studentenkneipen<br />

verbringt, um über Mao,<br />

Che Guevara und neue Formen<br />

des Wiederstandes zu diskutieren?<br />

Noch 1965 behauptet<br />

der Jugendsoziologe Ludwig<br />

von Friedeburg, dass die junge Generation nie revolutionär<br />

und in flammender, kollektiver Leidenschaft auf<br />

die Dinge reagieren wird. Drei Jahre später werden in<br />

Hamburg, Frankfurt und Berlin Universitäten besetzt,<br />

fliegen Pflastersteine und brennen Autos.<br />

Die ersten studentischen Proteste in Deutschland ereignen<br />

sich 1965 an der FU Berlin. Unter dem Motto<br />

„Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ fordern sie<br />

eine weitreichende Demokratisierung der Hochschulen.<br />

Das weitaus größere Ziel der Studenten in den folgenden<br />

Jahren des Aufbegehrens ist jedoch der Ausstieg<br />

aus der kapitalistischen und imperialistischen bürgerlichen<br />

Gesellschaft. Es entsteht eine Subkultur, die sich<br />

den brisanten politischen Rahmenbedingungen in der<br />

Bundesrepublik und besonders in West-Berlin widersetzt.<br />

Brisant deswegen, da die seit 1966 bestehende<br />

große Koalition zwischen SPD und CDU die absolute<br />

Mehrheit im Bundestag stellt und die parlamentarische<br />

Opposition faktisch bedeutungslos macht. Doch<br />

auch der Vietnamkrieg, eine kritische Haltung der jungen<br />

Bevölkerung gegenüber der „imperialistischen“<br />

West-Berliner Schutzmacht – den USA – und die von<br />

der großen Koalition in die Wege geleiteten Notstandsgesetze,<br />

welche dem Staat weitreichende Befugnisse<br />

in Hinblick auf die Einschränkung von Grundrechten erteilten<br />

und die deshalb von den Studenten oft auch als<br />

„NS-Gesetze“ bezeichnet werden, sind den jungen Akademikern<br />

ein Dorn im Auge. Zum anderen herrscht eine<br />

allgemeine Kritik an den bestehenden Verhältnissen,<br />

vor allem hinsichtlich einer unzureichenden Vergangenheitsbewältigung<br />

der spießbürgerlichen Elterngeneration<br />

mit dem Nationalsozialismus, denn viele Täter<br />

und Belastete des nationalsozialistischen Regimes<br />

haben unbehelligt einen Platz in der Nachkriegsgesellschaft<br />

finden können und bekleiden vielerorts hohe<br />

öffentliche Ämter. Im Wesentlichen sind es drei Kritiken,<br />

die die Studenten vereinen: Antifaschismus, Antikapitalismus<br />

und Antiimperialismus. Hinzu kommen<br />

tiefgreifende gesellschaftliche Forderungen nach sexueller<br />

Selbstbestimmung, individueller Freiheit, Gleichberechtigung<br />

und Frauenrechten sowie antiautoritärer<br />

Erziehung. Der Widerstand verschärft sich besonderes,<br />

nachdem am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration gegen<br />

den iranischen Schah (der als politische Marionette<br />

der USA gilt) auf seinem West-Berliner Besuch der junge<br />

Student Benno Ohnesorg von einem Polizeibeamten<br />

erschossen wird. Das Gespenst des Polizeistaates ist<br />

nun plötzlich real. Dies führt zu einer enormen Solidarisierung<br />

der Studenten untereinander, die die Befürchtung<br />

teilen, dass es sich bei der Bundesrepublik nur<br />

vordergründig um eine Demokratie handle, während<br />

insgeheim ein totalitärer Staat errichtet werden solle.<br />

Die ohnehin schon angespannte Situation eskaliert mit<br />

dem am 11. April 1968 verübten<br />

Mordanschlag des jungen<br />

rechtsradikalen Hilfsarbeiters<br />

Josef Bachmann auf den charismatischen<br />

Studentenführer<br />

Rudi Dutschke. Der Anschlag<br />

auf Dutschke, welcher 1979<br />

an den Spätfolgen des Mordversuches stirbt, ist somit<br />

das Öl im Feuer der zuvor schon aufgeheizten Stimmung<br />

und die Studentenrevolte verbreitet sich nun<br />

lauffeuerartig von den Hochschulen West-Berlins bis<br />

nach Westdeutschland. Ein rotes Tuch für die Studenten<br />

der damaligen Zeit ist dabei besonders der Springer-Konzern,<br />

gegen den sich zahlreiche Aktionen richten.<br />

Sie werfen dem Verlag nicht zu Unrecht vor, eine<br />

Hetzkampagne gegen Studenten und Linke zu führen.<br />

Studentische Gruppen versuchen mehrmals, so auch<br />

unmittelbar nach dem Anschlag auf Rudi Dutschke,<br />

die Auslieferung von Springerzeitungen (vor allem der<br />

Bild-Zeitung) teils gewaltsam zu verhindern.<br />

Aus der 68er Revolte geht schließlich die RAF hervor,<br />

die sich als autonome Kontrollinstanz und militanten<br />

Gegenspieler des imperialistischen und kapitalistischen<br />

Staats versteht und deren zahlreiche Anschläge<br />

und Entführungen über Jahrzehnte hinweg auch<br />

viele unschuldige Menschenleben fordern werden.<br />

Doch auch die Ende der 70er Jahre gegründete Partei<br />

der „Grünen“, die sich damals noch mehr als heute<br />

für Umwelt, Frauenrechte und Frieden einsetzte und<br />

aus deren Mitte der einstige Steinewerfer, zwischen-<br />

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