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[ke:onda] Wessen Bildung?

Ausgabe 2/2017 der [ke:onda] mit dem Titelthema "Wessen Bildung?"

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Seite 9<br />

“<strong>Wessen</strong> <strong>Bildung</strong>? Unsere <strong>Bildung</strong>!”<br />

November 2017<br />

„Ich möchte noch nicht<br />

nach Hause gehen“<br />

Julia Zimmermann hat ein Freiwilliges<br />

Soziales Jahr an einer Freien Schule gemacht<br />

und anschließend fünf Jahre in diesem<br />

Bereich gearbeitet. Mit mir spricht<br />

sie heute über den Spaß am Lernen und<br />

falsche Argumente.<br />

Vielleicht kannst du nochmal ganz kurz die<br />

wichtigsten Unterschiede zwischen Freier<br />

Schule und Regelschule erklären?<br />

Der gravierendste Unterschied ist, dass es<br />

<strong>ke</strong>ine Noten an Freien Schulen gibt. Stattdessen<br />

gibt es als Rückmeldung oft eine Art<br />

Bericht, ähnlich wie in der Grundschule.<br />

Ein anderer Unterschied ist, dass es <strong>ke</strong>inen<br />

Unterricht gibt wie: eine Stunde Mathe, eine<br />

Stunde Deutsch, eine Stunde Erdkunde. Stattdessen<br />

machen Begleiter*innen Angebote<br />

für die Schüler*innen, die diese wahrnehmen<br />

können, wenn sie wollen. Das können<br />

„normale“ Fächer sein, aber auch Fußball<br />

oder Kochen oder sonstwas. Jedes Kind<br />

sucht sich seine Angebote selbst aus. Wenn<br />

es <strong>ke</strong>ine wahrnehmen will, macht es etwas<br />

anderes, z.B. mit Freund*innen spielen.<br />

Freie Schulen sind in Deutschland allerdings<br />

immer Privatschulen, für die man Schulgeld<br />

bezahlen muss.<br />

Nach den Jahren Erfahrung in Freien<br />

Schulen: Würdest du sagen, dass das ein<br />

Konzept ist, bei dem es Kindern besser geht<br />

und sie mehr im Mittelpunkt stehen?<br />

Ich habe öfter erlebt, dass Kinder sagen,<br />

„Nein, ich möchte noch nicht nach Hause<br />

gehen“. Bei mir selbst oder bei anderen<br />

Mitschüler*innen in meiner Schulzeit habe<br />

ich so etwas nicht mitbekommen.<br />

Natürlich gab es auch Kinder, die nach einer<br />

Zeit entschieden haben, wieder auf eine<br />

Regelschule zu gehen. Manche wollten<br />

eine geregeltere Struktur und einen klareren<br />

Rahmen, den es in der Freien Schule nicht<br />

gibt. Es gibt aus ganz verschiedenen Gründen<br />

eben auch verschiedene Wünsche bei<br />

Kindern.<br />

Viele sagen ja, dass die Kinder nur die Freiheiten<br />

ausnutzen, faul werden und nichts<br />

lernen. Wie sind da deine Erfahrungen?<br />

Ich finde, dass das eine ganz schön krasse<br />

Einstellung gegenüber Kindern und ihrem<br />

Lernverhalten ist. Die meisten machen ihre<br />

Abschlussprüfung und erfahrungsgemäß<br />

sind die Ergebnisse auch ähnlich, obwohl die<br />

Prüfung an einer anderen Schule gemacht<br />

werden muss.<br />

Aber eigentlich finde ich das Argument an<br />

sich problematisch, denn derjenige sagt quasi:<br />

„Oh mein Gott, das Kind hat Spaß an der<br />

Schule, das ist ja ganz furchtbar“. Ich finde,<br />

dass es nicht schlimm ist, wenn Kinder auch<br />

mal nichts machen und ihren Tag genießen.<br />

Wir sollten Spielen und Chillen als ein legitimes<br />

Bedürfnis aner<strong>ke</strong>nnen.<br />

Gibt es denn auch etwas, dass du an der<br />

Freien Schule kritisieren würdest?<br />

Ja. Oft wird z. B. argumentiert, dass die<br />

Kinder durch die Freie Pädagogik viel teamfähiger,<br />

kreativer, selbstdisziplinierter und<br />

hilfsbereiter sind, als an Regelschulen. Nicht<br />

damit, dass es den Kindern besser geht und<br />

sie einfach <strong>ke</strong>ine Angst haben, morgens in<br />

die Schule zu gehen. Das heißt, man orientiert<br />

sich oft an den gleichen Tugenden wie<br />

bei den Betragensnoten an Regelschulen. Es<br />

wird oft nicht der Druck und das Ziel der<br />

Selbstdisziplin hinterfragt, sondern nur argumentiert:<br />

„Wir machen das viel besser als die<br />

Regelschule“.<br />

Die Freie Schule wird also auch damit beworben,<br />

dass sie den Menschen besser für<br />

den modernen Kapitalismus vorbereitet?<br />

Ja, das habe ich genau so schon gehört.<br />

Du bist bei den Fal<strong>ke</strong>n aktiv, wir sind ja<br />

von der Naturfreundejugend – also beides<br />

Arbeiter*innenjugendverbände, die eine<br />

andere Gesellschaftsform schaffen wollen.<br />

Glaubst du, dass das Konzept hinter Freien<br />

Schulen die Schüler*innen zu kritischeren<br />

Menschen macht?<br />

Ob andersden<strong>ke</strong>nde Menschen dabei herauskommen?<br />

Sowohl an Freien Schulen als<br />

auch an Regelschulen gibt es Kinder mit<br />

lin<strong>ke</strong>r Kritik an dieser Gesellschaft, aber<br />

auch viele, die überhaupt <strong>ke</strong>ine Kritik üben.<br />

Wenn Begleiter*innen in Freien Schulen<br />

<strong>ke</strong>ine Kritik an der Gesellschaft haben, dann<br />

können Kinder sie auch nicht mitbekommen.<br />

Genauso ist es in unseren Jugendverbänden.<br />

Nur ein bisschen Mitbestimmung im Zeltlager<br />

reicht nicht.<br />

Wir müssen unsere Kritik an der Gesellschaft<br />

klarmachen und mit den Kindern und Jugendlichen<br />

diskutieren!<br />

Das Interview führte Jannis Pfendtner

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