[ke:onda] Wessen Bildung?
Ausgabe 2/2017 der [ke:onda] mit dem Titelthema "Wessen Bildung?"
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Seite 4<br />
“<strong>Wessen</strong> <strong>Bildung</strong>? Unsere <strong>Bildung</strong>!”<br />
November 2017<br />
Diese Schule wird bestreikt<br />
07. Juli 2017 – in Hamburg ist Ausnahmezustand.<br />
Neben Politi<strong>ke</strong>r*innen<br />
aus 19 Staaten und der EU versammeln<br />
sich zehntausende Menschen zu Demonstrationen<br />
und Aktionen zivilen Ungehorsams.<br />
Abertausende Polizist*innen<br />
sollen für Sicherheit sorgen. Mittendrin<br />
befinden sich einige hundert Schüler*innen,<br />
die sich unter dem Bündnis „Jugend<br />
gegen G20“ zum <strong>Bildung</strong>sstreik zusammengefunden<br />
haben.<br />
Ein Schüler*innen-, Studierenden- oder<br />
<strong>Bildung</strong>sstreik ist in Deutschland eine eher<br />
ungewohnte Sache. In anderen Ländern,<br />
wie z.B. Frankreich, ist es jedoch eine normale<br />
Form des politischen Protestes, bei<br />
dem Schulen schon mal Monate lahmgelegt<br />
werden. Die Grundidee: Etwas stört<br />
die Schüler*innen so sehr, dass sie sich<br />
entscheiden ihre Schulzeit zu nutzen, um<br />
die Schule währenddessen zu „bestrei<strong>ke</strong>n“.<br />
Plötzlich wird aus einer ganz normalen<br />
Schule ein Ort des zivilen<br />
Ungehorsams, und jede*r ist<br />
gezwungen, sich dazu eine Meinung<br />
zu bilden.<br />
Teilweise hunderte Schüler*innen versammeln<br />
sich mit Bannern und Trillerpfeifen<br />
vor den Schulen und fordern ihre Klassenkamerad*innen<br />
auf, mit ihnen in den<br />
Streik zu treten. Plötzlich wird aus einer<br />
ganz normalen Schule ein Ort des zivilen<br />
Ungehorsams, und jede*r ist gezwungen,<br />
sich dazu eine Meinung zu bilden. Es ist<br />
etwas, das Menschen politisiert und Debatten<br />
schafft, wo vorher <strong>ke</strong>ine waren.<br />
Dabei sollte erwähnt werden: Ein formelles<br />
Recht auf einen Schulstreik gibt es in<br />
Deutschland nicht.<br />
Damals wurde es richtig ernst mit<br />
der Einführung der „verschulten“<br />
Bachelor- und Master-Studiengänge.<br />
Zudem mussten 70% aller<br />
Studierenden Gebühren zahlen und<br />
das neunjährige Gymnasium sollte<br />
in fast allen Bundesländern abgeschafft<br />
werden.<br />
Eine große Streikwelle in Schule und<br />
Unis überrollte Deutschland in den Jahren<br />
2008 bis 2010. Damals wurde es richtig<br />
ernst mit der Einführung der „verschulten“<br />
Bachelor- und Master-Studiengänge.<br />
Zudem mussten 70% aller Studierenden<br />
Gebühren zahlen und das neunjährige<br />
Gymnasium sollte in fast allen Bundesländern<br />
abgeschafft werden. Überall bildeten<br />
sich Gruppen, die selbstständig – aber vernetzt<br />
– Streiks organisierten. Sie konnten<br />
zumindest teilweise einen Meinungsumschwung<br />
bewir<strong>ke</strong>n: Alle Bundesländer mit<br />
Studiengebühren schafften diese wieder<br />
ab und auch das neunjährige Gymnasium<br />
kam vielerorts zurück. Klar, eigentlich<br />
gingen die Forderungen noch viel weiter<br />
und die Strei<strong>ke</strong>nden träumten vom Lernen<br />
ohne Leistungsdruck, mehr Mit- und<br />
Selbstbestimmung in der Schule, der Abschaffung<br />
der unsozialen Separation in drei<br />
Schularten und vielem mehr.<br />
In Hamburg organisierten sich die jungen<br />
Menschen in ihren Schulen, weil sie gegen<br />
den Gipfel der G20 protestieren wollten<br />
– für viele die erste politische Aktivität,<br />
aber bestimmt nicht die letzte. Der <strong>Bildung</strong>sstreik,<br />
eine kreative Idee des Protestes,<br />
der sicher irgendwo wieder aufploppen<br />
wird.<br />
von Jannis Pfendtner