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LEBE_75

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1. Frauenbewegung<br />

Seit dem Spätmittelalter, nämlich seit<br />

dem Zusammenrücken des griechischen<br />

und römischen, des germanischen und<br />

slawischen Raumes wird in Europa eine<br />

Frauenfrage wirksam. Vaterrechtliche<br />

und mutterrechtliche Einflüsse prallen<br />

auf das Christentum und seine biblische<br />

Botschaft von der Ebengeburt von Mann<br />

und Frau (Gen 1, 28).<br />

Diese vorwiegend biblisch argumentierende<br />

Linie wurde Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

durch die soziale Fragestellung<br />

der Arbeiterinnenbewegung, abgelöst.<br />

Themen waren zunächst gleicher Lohn<br />

für gleiche Arbeit, unmittelbar folgend<br />

aber gleiche Bildung und schließlich<br />

nach dem Ende des Ersten Weltkriegs<br />

gleiches aktives und passives Wahlrecht.<br />

Die Rechts- und Chancengleichheit ist<br />

heute in der westlichen Welt - zumindest<br />

nominell - abgeschlossen.<br />

Zum Horizont der Gegenwart:<br />

Von der<br />

Frauenbewegung zu<br />

Feminismus<br />

und Postfeminismus<br />

von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz<br />

Professorin für Religionsphilosophie und<br />

vergleichende Religionswissenschaft an der<br />

Technischen Universität Dresden.<br />

2. Feminismus<br />

Die zweite Phase der Frauenbewegung,<br />

der Feminismus, entwickelte seit dem 2.<br />

Weltkrieg im Unterschied zur Frauenbewegung<br />

vorrangig theoretische Konzepte,<br />

aus denen erst sekundär gesellschaftliche<br />

und politische Folgerungen gezogen<br />

wurden. Feminismus reflektiert die<br />

gesellschaftliche und individuelle Konstitution<br />

von Frausein mit der Tendenz, bisherige<br />

Festschreibungen zu befragen<br />

und zu weitgehend autonomen Selbstdefinitionen<br />

überzuleiten. Allerdings wird<br />

der Diskurs auch selbstkritisch-kontrovers<br />

geführt, so dass sachlich von „Feminismen“<br />

zu sprechen ist.<br />

2.1 Egalitätsfeminismus<br />

Als „Gründerin“ der feministischen Theorie<br />

wird Simone de Beauvoir betrachtet<br />

mit ihrem Werk von 1949 „Das andere<br />

Geschlecht - Sitte und Sexus der Frau“.<br />

Darin verficht sie die These, niemand sei<br />

als „Frau“ geboren, sie werde erst zur<br />

Frau gemacht. Zwei „Fallen“ des Frauseins<br />

seien abzuschaffen: das Kind und<br />

der Bindungswille an den Mann; beide<br />

führten zu Verantwortung und dauerhafter<br />

Übernahme von Pflichten. Beauvoir<br />

verlangt daher eine Maskulinisierung der<br />

Frau im Sinne weitgehend bindungsloser<br />

Selbstbestimmung.<br />

2.2 Differenzfeminismus<br />

Abgelöst wurde der Egalitätsfeminismus<br />

durch einen Differenzfeminismus seit<br />

den 80er Jahren: „Frau soll nicht Mann<br />

werden, sondern eben Frau sein.“ Die<br />

Amerikanerin Carol Gilligan entwickelte<br />

das Modell eines kulturellen Feminismus<br />

mit der „Ethik der Fürsorge“. Kulturell<br />

bedingte Geschlechtsdifferenz im pflegerischen<br />

oder fürsorglichen Verhalten wird<br />

dabei zustimmend gesehen: Geschichtlich<br />

und interkulturell hätten Frauen eine<br />

Alternative zur Ethik der modernen Medizin<br />

entwickelt. „Etwas besorgen“ bedeu-<br />

<strong>LEBE</strong> <strong>75</strong>/2005<br />

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