Kinderseite Im oberen Bild sind 7 Fehler. Kannst du sie finden? 34 <strong>LEBE</strong> <strong>94</strong>/2009
von Univ.-Prof. Dr. REINHOLD ORTNER, Diplom-Psychologe und Psychotherapeut aus Bamberg Religiöse Erziehung: Geborgenheit schenken! Nachdenkliches für das Leben Zusammen mit dem achtjährigen Christian führte ich den „Sceno-Test“ durch. Das Testmaterial besteht aus einer ganzen Anzahl von kleinen menschlichen Figuren und Gegenständen des täglichen Lebens, mit deren Hilfe eine Szene, z. B. die aktuelle Lebenssituation, aufgebaut werden soll. Christian erstellte eine Familienszene, bei der Vater und Mutter mit mehreren anderen Personen im Mittelpunkt des Geschehens standen. Ein kleiner Bub saß außerhalb. „Das bin ich“, sagte er. „Ich gehöre nicht dazu. Niemand mag mich. Alle hassen mich, weil ich ein dummer kleiner Bub bin. Ich bin ein Versager. Und wenn ich sterbe, wird man mich auch im Himmel nicht brauchen können“. Es war erschütternd, festzustellen, wie tief die Mutlosigkeit und Einsamkeit von dem Buben Besitz ergriffen hatten. Nirgendwo fühlte er sich in seinem Selbstwert angenommen und geborgen. Im Erleben eines solchen existenziellen Verstoßenseins konnte es nur noch eine Frage der Zeit sein, wann er anfing, an Gott und der Welt Rache zu nehmen. Angenommen und geliebt werden Ein elementares Bewusstsein von existentieller Sicherheit und Geborgenheit bedeutet für den Menschen die lebensnotwendige Verwurzelung im Boden des Daseins. Ein tiefsitzendes Gefühl des Geborgenseins stärkt das Vertrauen zu sich selbst, zu den Mitmenschen und letztlich auch zu Gott. Es nährt das Bewusstsein, angenommen und geliebt zu werden. Und in diesem Bewusstsein gelingt es leichter, den Sinn des Lebens zu bejahen und der Geborgenheit in Gott zu vertrauen. Dem Kind das elementare Gefühl des Geborgenseins und des Geliebtwerdens einzupflanzen, kann daher als ein Grundpfeiler religiöser Erziehung gelten. Man sollte damit so früh wie möglich beginnen. Für die Eltern ist der beste Zeitpunkt dann gegeben, sobald sie wissen, dass ein Kind in ihrer Mitte entstanden ist. „Ist es denn nicht genug“, so fragte mich kürzlich ein junges Ehepaar, „damit zu beginnen, wenn das Kind geboren ist? Kann man überhaupt einem ungeborenen Kind das Erlebnis der Geborgenheit schenken?“ Nun, ich meine, dass man damit nie früh genug beginnen kann. Die pränatale (das vorgeburtliche Stadium betreffende) Psychologie kommt immer mehr zur Erkenntnis, dass bereits beim ungeborenen Kind Gefühlserlebnisse in gewissem Sinne vorprägend wirken. Die unmittelbare Verbindung mit Körperfunktionen der Mutter, stellt einen engen Erlebniszusammenhang her. Gefühle der Liebe, der Annahme, der Freude, der frohen Erwartung übertragen sich auf das Kind und verankern sich so im späteren Unterbewusstsein. Aufgrund dieses Wirkungsgeflechtes positiver Beziehungsgefühle entstehen erste Fundamente eines Urvertrauens. Und dieses Urvertauen vermag im weiteren Leben das Wachsen des Selbstverständnisses im Vertrauen auf die Mitmenschen und auf Gott entscheidend zu begünstigen. Aber damit ist es selbstverständlich noch nicht genug. Weitere erziehliche Hilfen gerade im Kleinkindund Kindesalter müssen für den Ausbau des Urvertrauens und Geborgenheitsgefühl sorgen: Was sollen Eltern hier am besten tun? Im Verlaufe der Entwicklung eines Kindes bieten sich unzählige Gelegenheiten, liebende Annahme zu schenken und das Bewusstsein der Geborgenheit zu stabilisieren. Dies reicht vom zärtlichen Kuss auf die Stirn bis zum opferbereiten Dasein in bedrohender Krankheit. Erlebnissituationen der Geborgenheit schaffen Die Erfahrung des Geborgenseins in der Familie vermag für das Kind ein Vorerlebnis der ewigen Geborgenheit in Gott zu sein. Religiöse Erziehung versucht bewusst, eine enge Verbindung zwischen familiärem Geborgenheitserlebnis und religiöser Erfahrung herzustellen l Verbinden Sie das Familiengebet mit einer Atmosphäre emotionalen Geborgenseins. Zünden sie eine Kerze an. Lassen sie das Kind ihre Nähe spüren. l Zeichnen Sie ihrem Kind beim Verlassen der Wohnung (mit Weihwasser) ein Kreuz auf die Stirn. Ein kurzes „Gott schütze dich!“ festigt die enge Verbindung zwischen Geborgenheit, die Eltern schenken, und die Gott schenkt. l Setzen Sie sich, bevor ihr Kind einschläft, an den Bettrand. Streichen sie dem Kind über das Haar, halten sie es an der Hand und sprechen sie ein kurzes Gebet. Die Tiefenpsychologie weiß, dass der Schlaf ein elementares Erlebnis des geborgenen sich-fallen-lassens ist. Jedermann weiß, dass der Schlaf unruhig wird, wenn auch nur unterschwellig ein Gefühl des Gefährdetseins vorhanden ist. Die unmittelbare Zeit vor dem Einschlafen ist eine wertvolle Gelegenheit, ihrem Kind das Gefühl einer tiefen Geborgenheit zu vermitteln, die konkret durch die Eltern erfahrbar wird, aber zugleich in die Geborgenheit bei Gott einmündet. l Gehen Sie mit ihrem Kind in eine Kirche. Verbringen sie ein paar stille Minuten in der Weite des Raumes. Lassen sie das Gefühl der Anwesenheit Gottes und der schützenden Sicherheit aufkommen. n WORTE, DIE WEITERHELFEN Wer seinen Kindern alles abnimmt, ihnen alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumt, handelt ebenso falsch, wie derjenige, der sich um Kindersorgen nicht kümmert. Die richtige Liebe liegt immer in der Mitte. Wer – als Vater oder Mutter – die Diskussion mit einem andersdenkenden Jugendlichen scheut müsste sich einmal ernsthaft die Frage stellen, ob sich hinter seiner Ablehnung nicht Bequemlichkeit und Unsicherheit verbergen. Essen und Trinken sind für Eltern und Kinder wichtig, aber es kommt auch hier – wie in allen Bereichen des Lebens und Erziehens – auf das rechte Maß und Verhältnis an. Prügel sind in der Erziehung nicht nur unnötig, sondern sogar gefährlich. Sie demütigen das Kind und führen bei öfteren Wiederholungen zu unkorrigierbaren Charakterfehlern. Übermäßige Strenge und übereilte Strafen bringen Kinder weder zur Einsicht noch zum Gehorsam, sondern erzeugen in ihnen nur Trotz, Widerstand und Verbitterung. Kinder, die viel lärmen und schreien, brauchen Eltern, die selbst ruhig bleiben und ihnen erhöhte Aufmerksamkeit und Zuwendung schenken. Das Gespräch der Eltern mit dem Kind ist kein Monolog, sondern ein offener Gedanken- und Meinungsaustausch. Eltern, die in ihrer Überfürsorge ihrem Kind zuviel abnehmen, machen es zu einem Trödler, der ohne Selbstvertrauen und Eigeninitiative durch Leben gehen wird. Was sollen Eltern tun, damit nicht eines Tages auch bei ihnen die Polizei anklopfen muss? Darauf kann man eigentlich nur mit einem Wort antworten: Vorbeugen! Das bedeutet, dass sich Väter und Mütter immer wieder diese Fragen stellen sollten: Wissen wir eigentlich wirklich genug über unser Kind? Kennen wir seine geheimen Wünsche, die es sich vielleicht auf eigene Faust zu erfüllen sucht? Finden wir bei ihm Dinge, die es sich vom Taschengeld gewiss nicht kaufen konnte? Wissen wir, mit wem unser Kind Umgang hat? Beobachten wir, was es in seiner Freizeit tut? Haben wir genügend Vertrauen zu unserem Kind? Und vor allem – hat das Kind Vertrauen zu uns? Darüber hinaus sollten sich Eltern – überhaupt alle Erwachsenen – darum bemühen, den Kindern stets ein gutes Vorbild zu sein. Die herbste Enttäuschung für junge Menschen ist die Erkenntnis, dass ihre Eltern Grundsätze lehren, nach denen sie sich selbst nicht richten. Nichts wirkt beispielhafter auf Kinder und Jugendliche, als eine überzeugend vorgelebte Redlichkeit. Reinhard Abeln <strong>LEBE</strong> <strong>94</strong>/2009 35