CAMPULS Sommersemester 2019 Ausgabe 1
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SO19 SE<br />
AUSGABE01<br />
campuls<br />
Das Konstanzer<br />
Studi-MagazinVON SEEZEIT<br />
08<br />
12<br />
20<br />
FRIDAYS FOR FUTURE<br />
Die fliehenden Klassenzimmer<br />
100 JAHRE FRAUENWAHLRECHT<br />
Konstanzer Politiker_innen<br />
der ersten Stunde<br />
50 JAHRE SEEZEIT<br />
Neue Einblicke durch ein<br />
Gespräch mit dem Chef<br />
Von Studierenden für alle:<br />
Einpacken, liebhaben,<br />
weitersagen<br />
Wieder mit Kreuzworträtsel<br />
– Seite 24<br />
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EDITORIAL<br />
Liebe Studierende,<br />
liebe Konstanzerinnen und Konstanzer,<br />
Wir haben tief im Archiv gewühlt, den Staub von 50 Jahren<br />
vorsichtig von dicken Aktenordnern gepustet und uns schließlich<br />
bis zum ältesten Dokument vorgearbeitet. Sie ist quasi unsere<br />
Geburtsurkunde – die leicht verblasste, auf einer Schreibmaschine<br />
abgetippte »Verordnung des Kultusministeriums über<br />
die Errichtung des Studentenwerks Konstanz an der Universität<br />
Konstanz als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts vom<br />
30. September 1969«.<br />
Ob als Studentenwerk Konstanz, als Seezeit Studentenwerk<br />
Bodensee oder heute als Seezeit Studierendenwerk Bodensee<br />
– seit insgesamt einem halben Jahrhundert unterstützen und<br />
fördern wir Studierende rund um den Bodensee mit Essen,<br />
Wohnen, Geld und Hilfe rund ums Studium und leisten so<br />
einen wichtigen Beitrag zur Chancengleichheit in unserem<br />
Bildungssystem. Wenn das kein Grund zum Feiern ist! Am<br />
liebsten würden wir zum 50. natürlich ein Fest für alle 27.000<br />
von uns betreuten Studierenden spendieren. Doch Sie können<br />
sich bestimmt vorstellen, dass das Budget bei einem nicht gewinnorientiert<br />
arbeitenden sozialen Dienstleister dafür etwas<br />
schwierig aufzutreiben wäre. Mit den uns zur Verfügung stehenden<br />
Mitteln und Kapazitäten bearbeiten wir dann doch lieber<br />
weiterhin die BAföG-Anträge der Studierenden, bieten günstiges<br />
Essen in den Mensen sowie bezahlbare Wohnheim- und<br />
Kinderbetreuungsplätze, fördern studentische Kulturprojekte<br />
und finanzieren unsere kostenlosen psychotherapeutischen<br />
und sozialen Beratungsangebote.<br />
Damit trotzdem ein bisschen Geburtstagsstimmung aufkommt,<br />
überraschen wir unsere Studierenden und Gäste das<br />
ganze Seezeit-Jubiläumsjahr über immer wieder mit kleinen<br />
Aktionen: vom schokoladigen Neujahrsgruß über Rabatt-Aktionen<br />
und Berliner zum Jubiläumspreis von 50 Cent an Fasnacht<br />
bis hin zu einer Osterhasen-Überraschung, der Verlosung von<br />
50 Campus-Festival-Tickets und vielen weiteren kleinen Geburtstagsgrüßen.<br />
Außerdem sind wir mit allen Studierendenvertretungen<br />
unserer Hochschulen im Gespräch und überlegen<br />
gemeinsam, welche Veranstaltungen wir an den verschiedenen<br />
Standorten zum Jubiläum auf die Beine stellen können.<br />
Und statt uns etwas zum Geburtstag zu wünschen, möchten<br />
wir viel lieber wissen, was Sie sich von uns wünschen! In den<br />
vergangenen 50 Jahren hat sich viel verändert und wir möchten<br />
unsere unterstützenden Angebote für Studierende auch heute<br />
und in Zukunft weiter verbessern. Dazu brauchen wir ehrliche<br />
Rückmeldungen von Ihnen. Ob online über das Feedback-Formular<br />
auf unserer Website, auf Instagram oder Facebook, per<br />
E-Mail, telefonisch, ob schriftlich per Meinungskarte oder per<br />
Post oder natürlich am allerliebsten persönlich: Wir freuen uns,<br />
wenn Sie uns sagen, wo wir besser werden können. Lassen Sie<br />
uns ins Gespräch kommen!<br />
Ihr Helmut Baumgartl<br />
Geschäftsführer Seezeit Studierendenwerk Bodensee<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
Eine Lebensweisheit, die mir meine Großmutter mit auf<br />
den Weg gegeben hat, lautet: Du wirst im Leben sowieso nie mit<br />
irgendetwas fertig. Hinter jedem Abschluss lauern neue Aufgaben<br />
und Herausforderungen. Mit dieser <strong>Ausgabe</strong> möchten wir<br />
uns von Marc-Julien Heinsch als Chefredakteur verabschieden,<br />
der über lange Zeit viel Herzblut in die Campuls gesteckt und<br />
sie zu dem gemacht hat, was sie heute ist. Nun hat er seinen<br />
Master in der Tasche und wir wünschen ihm viel Erfolg bei<br />
jedweden neuen Projekten, die ihn in der Zukunft erwarten. Ich<br />
bin freudig gespannt darauf, seine Aufgaben bei der Campuls<br />
zu übernehmen.<br />
Herausforderungen begegnen uns überall. Die Dunkelheit<br />
und Kälte des Winters machen nicht nur unseren Gemütern zu<br />
schaffen, sondern bereiten auch dem Hochschulsport Kopfschmerzen,<br />
wie Niklas Lemperle euch berichtet. Die Schwierigkeit,<br />
einen Überblick über die Masse an weltweit kursierenden<br />
Daten zu behalten, ist omnipräsent. Welche Rolle das in den<br />
Wirtschaftswissenschaften spielt, erkundet Vivien Götz bei<br />
einem Blick in den Elfenbeinturm für euch. Die Frage ist immer,<br />
wie mit Problemen umgegangen wird. In Konstanz finden sich<br />
viele Menschen, die durch ihr Engagement in verschiedenen<br />
Bereichen inspirieren. Der Klimawandel ist ein Thema, das uns<br />
alle betrifft. Fabian Vugrin ist der Fridays-for-Future-Initiative in<br />
Konstanz auf den Grund gegangen. Charlotte Krause unterhält<br />
sich mit einer Konstanzerin über ihren Podcast zum Thema<br />
Verhütung und Viven Götz schildert, was sich in den 100 Jahren<br />
Frauenwahlrecht in Konstanz getan hat. Pia Sautter hat sich<br />
für euch mit einer Studentin getroffen, die Mutter geworden ist<br />
und Charlotte Krause wirft einen Blick auf Tinder-Profilbilder.<br />
Leonie Thiel hat sich für euch mit dem Seezeit-Chef Helmut<br />
Baumgartl und dem Mensa- und Küchenleiter Jürgen Doser<br />
getroffen. Zu den Herausforderungen bei der Arbeit in einer<br />
Studierendenredaktion zählt der rege Wechsel ihrer Belegschaft.<br />
Damit ihr eine Vorstellung bekommt, mit wem ihr es gerade<br />
zu tun habt, beschäftigt sich Eva Eß in der aktuellen Statistik<br />
mit der Redaktion selbst. Auch diese Statistik wird sich immer<br />
wieder ändern und niemals endgültig feststehen. Doch davon<br />
lebt die Campuls, die uns hoffentlich noch sehr lange erhalten<br />
bleibt. Ich werde jedenfalls gemeinsam mit Nico Talenta, dem<br />
stellvertretenden Chefredakteur, mein Bestes dafür geben.<br />
In diesem Sinne stellen wir uns nun der sommerlichen<br />
Hauptaufgabe, der magnetischen Wirkung des Bodensees ab<br />
und an zu widerstehen und uns in die kühle HTWG- oder Unibib<br />
zurückzuziehen. Egal ob See oder Bib, nehmt auf jeden<br />
Fall diese neue <strong>Ausgabe</strong> der Campuls mit. Was ihr damit alles<br />
anstellen könnt, erzählt euch Nicolai Eckert auf der Spur des<br />
Determinismus.<br />
Eure Lea Luttenberger<br />
03
REDAKTION<br />
&IMPRESSUM<br />
Lea Luttenberger<br />
Chefredakteurin<br />
Charlotte Krause<br />
Redakteurin<br />
Eva Eß<br />
Redakteurin<br />
Nicolai Eckert<br />
Redakteur<br />
Charlotte Kurz<br />
Redakteurin<br />
Nico Talenta<br />
stellv. Chefredakteur<br />
Malin Jachnow<br />
Fotografin<br />
Leonie Thiel<br />
Redakteurin<br />
Fabian Vugrin<br />
Redakteur & Fotograf<br />
Theresa Gielnik<br />
Redakteurin<br />
Niklas Lemperle<br />
Redakteur<br />
Anna Kübler<br />
Lektorin<br />
Pia Sautter<br />
Redakteurin<br />
Vivien Götz<br />
Redakteurin<br />
Mai Linh Bui<br />
Layout & Grafik<br />
Lena Link<br />
Layout & Grafik<br />
HERAUSGEBER<br />
Seezeit<br />
Studierendenwerk<br />
Bodensee<br />
Jochen Mink<br />
KONTAKT<br />
Seezeit<br />
Studierendenwerk Bodensee<br />
Universitätsstraße 10<br />
78464 Konstanz<br />
campuls@seezeit.com<br />
www.seezeit.com/campuls<br />
FACEBOOK<br />
Campuls Online<br />
Seezeit<br />
Studierendenwerk<br />
Bodensee<br />
CHEFREDAKTEURIN V.I.S.D.P<br />
Lea Luttenberger<br />
ANZEIGEN<br />
Marina Filipczyk<br />
marina.filipczyk@ seezeit.com<br />
LAYOUT & GRAFIK<br />
Lena Link & Mai Linh Bui<br />
THEM DIESER AUSGABE<br />
Entwicklung<br />
SCHRIFT<br />
Prophet Medium<br />
DRUCK<br />
Druckerei DB GmbH<br />
04
INHALT<br />
Lea Luttenberger<br />
Helmut Baumgartl<br />
Eva Eß<br />
Nicolai Eckert<br />
03EDITORIAL<br />
06 07<br />
STATISTIK<br />
DETERMINISMUS<br />
die Redaktion<br />
einem -ismus auf der Spur<br />
Fabian Vugrin<br />
Vivien Götz<br />
Vivien Götz<br />
08 12 14<br />
FRIDAYS FOR<br />
FUTURE<br />
die fliehenden<br />
Klassenzimmer<br />
100 JAHRE<br />
FRAUEN-<br />
WAHLRECHT<br />
Konstanzer<br />
Politiker_innen<br />
der ersten Stunde<br />
KEINE ANGST<br />
VOR BIG DATA<br />
Pia Sautter<br />
Niklas Lemperle<br />
Leonie Thiel<br />
15 18 20<br />
STUDIEREN<br />
MIT KIND<br />
Wie geht das?<br />
HOCHSCHUL-<br />
SPORTPLÄTZE<br />
IM WINTER<br />
50 JAHRE<br />
SEEZEIT<br />
Neue Einblicke durch ein<br />
Gespräch mit dem Chef<br />
Charlotte Kurz<br />
Lea Luttenberger<br />
Charlotte Krause<br />
23 24 25<br />
FÖRDERPRO-<br />
JEKTE<br />
CLIMATE<br />
FAIR TO GO<br />
KREUZWORT-<br />
RÄTSEL<br />
GLOSSE:<br />
DATING-APPS<br />
Charlotte Krause<br />
Lea Luttenberger<br />
05<br />
26 30<br />
PILLEN-<br />
PODCAST<br />
KOLUMNE
Text: Eva Eß<br />
Illustration: Mai Linh Bui<br />
STATISTIKDIE REDAKTION<br />
13TEILNEHMER_INNEN<br />
SONSTIGES<br />
STUDIENGÄNGE<br />
01 BIOLOGICAL SCIENCES<br />
01 KOMMUNIKATIONSDESIGN<br />
01 KULTURELLE GRUNDLAGEN EUROPAS<br />
01 LEHRAMT DEUTSCH/GESCHICHTE<br />
06 LITERATUR-KUNST-MEDIEN<br />
02 POLITIK- UND VERWALTUNGSWISSENSCHAFT<br />
01 PSYCHOLOGIE<br />
DAS DURCHSCHNITTLICHE REDAKTIONSMITGLIED IST<br />
177 CM GROSS ↑.<br />
UNSER JÜNGSTES REDAKTIONSMITGLIED IST<br />
19 UND DAS ÄLTESTE 26 JAHRE ALT.<br />
10 VON 13<br />
TEILNEHMER_INNEN REISEN<br />
LIEBER MIT DEM RUCKSACK<br />
ALS MIT DEM KOFFER<br />
38,5% UNSERER REDAKTIONSMITGLIEDER<br />
TRAGEN PIERCINGS<br />
03 VON 13<br />
TEILNEHMER_INNEN<br />
HABEN BEREITS EINEN<br />
BUNGEE-SPRUNG GEMACHT<br />
53,8% DER REDAKTION SIND BRAUNHAARIG.<br />
LIEBLINGSCLUBS IN<br />
KONSTANZ/KREUZLINGEN<br />
01<br />
02<br />
01<br />
04<br />
05<br />
BERRY'S<br />
CONTRAST<br />
HORST<br />
KANTINE<br />
KULA<br />
2 REDAKTIONSMITGLIEDER<br />
RAUCHEN REGELMÄSSIG<br />
LIEBLINGSJAHRESZEIT<br />
30,8%<br />
46,2%<br />
15,4%<br />
7,6%<br />
FRÜHLING<br />
SOMMER<br />
HERBST<br />
WINTER<br />
5 GELEGENTLICH<br />
6 GAR NICHT<br />
30,8% DER REDAKTIONSMITGLIEDER<br />
ERNÄHREN SICH VEGETARISCH<br />
06
TEXT: NICOLAI ECKERT<br />
ILLUSTRATION: LENA LINK<br />
Einem -ismus auf der Spur<br />
Determinismus<br />
Nie gehen sie aus, diese -ismen: verschroben lange, zumeist akademisierte Begriffe,<br />
die gerne Weltanschauungen, Ideologien, Epochen, oder Geisteshaltungen verschie-<br />
denster Menschen(gruppen) beschreiben – im Guten wie im Schlechten. Doch selten<br />
erklärt sich ein solcher -ismus von selbst.<br />
Fragen wir heute nach dem Determinismus. Kommen wir diesem Begriff<br />
näher, wenn wir ihn uns genauer anschauen? Was verbirgt sich hinter<br />
»Deter«? Oder was hinter »Determin«? »De-Termin«? Haben wir es also mit<br />
der Lehre vom Absagen von Terminen zu tun? Diese Deutung ist zu schön,<br />
um wahr zu sein.<br />
Weiter im Text: Lassen wir das »De« weg, was bleibt? Terminismus? Schon<br />
wieder Termin. Gibt es das schon, den »Terminismus«, oder befinden wir<br />
uns auf dem spaßigen Pfad der Neologismen? Nun, Google sagt, dass<br />
Terminismus die Lehre bestimmter Menschen – Terministen genannt – sei,<br />
die glauben würden, dass Gott ihnen einen bestimmten Termin vorgesehen<br />
hätte, bis zu diesem sie sich bessern müssten. Okay, das zeugt davon, dass<br />
auch dieser -ismus sich nicht von selbst erklärt.<br />
Denn Determinismus hat, zugegeben, wenig mit Terminen zu tun.<br />
Vielmehr hat der Begriff seinen Ursprung einmal wieder im Lateinischen.<br />
»Determinare« bedeutet wohl so viel wie festlegen. Was ist festgelegt in der<br />
deterministischen Weltanschauung? Das Schicksal. Alles, was einem<br />
Menschen widerfährt, ist vorherbestimmt, alles, was er tut, bereits geplant.<br />
Aber von was geplant? Von einem höheren Wesen? Von einer höheren<br />
Macht? Oh Gott, dann wären wir ja alle Marionetten! Aber nein, das Weltbild,<br />
das beispielsweise einen Gott den Ablauf der Schicksale bestimmen lässt,<br />
nennt man Fatalismus. Beim Determinismus gibt es keinen Gott, auch wenn<br />
dieser bei den -ismen oft besonders beliebt ist. Unser Terminus, der<br />
Determinismus, der wenig mit Terminen, aber viel mit dem Term Determi-<br />
nare gemein hat, beschreibt vielmehr die philosophische Lehre von der<br />
ursprünglichen Bestimmtheit allen Geschehens und der damit einherge-<br />
henden Unfreiheit des Willens, basierend auf den Gesetzen der Kausalität.<br />
Das bedeutet: Jede Handlung des Menschen und jedes Geschehen<br />
hat einen logischen Grund, aus dessen Folge zwangsläufig eine neue<br />
Handlung oder ein weiteres Geschehen entspringt. Demnach sind wir dann<br />
doch alle Marionetten, die an den Fäden ziehenden Instanzen sind aber<br />
Ursache und Wirkung. Eine traurige und doch romantische Vorstellung<br />
zugleich. Wir sind, wie ein Baum, dem Wind des Schicksals ausgesetzt und<br />
haben keinerlei Zugriff auf jedwede äußeren Einflüsse, denen wir letzten<br />
Endes hilflos ausgesetzt sind. Unsere nächste Handlung? Die ist vorherbe-<br />
stimmt. Unser nächstes Wort und unsere nächste Entscheidung? Bereits<br />
festgelegt.<br />
Sinnlos ist also jedes Grübeln über den nächsten Schritt. Was wirst DU<br />
tun? Die Campuls zusammenfalten und in den Ständer zurückstellen?<br />
Sie wegwerfen oder in deine Tasche einpacken? Weiterblättern, weitere<br />
Artikel lesen oder sie zerreißen, zerknüllen, anzünden, auf den Boden<br />
werfen und drauftreten? Wofür auch immer du dich entscheiden magst: Du<br />
hast es nicht in der Hand.<br />
POLITIK<br />
07
Text: Fabian Vugrin<br />
Fotos: Felix Müller, Robert Wittram & Fabian Vugrin<br />
EIN ESSAY<br />
»FRIDAYS FOR FUTURE«<br />
Die<br />
Initiiert von einer damals 15-jährigen schwedischen<br />
Schülerin mit zwei mittlerweile ikonischen Zöpfen<br />
ist sie nun seit einigen Wochen auch in Konstanz<br />
angekommen: die wohl größte ökologische Jugendbewegung<br />
aller Zeiten – »Fridays for Future«.<br />
Wie die Schüler_innen- und Studierendenbewegung<br />
in Konstanz entstand, was die lokalen und was die<br />
globalen Forderungen sind.<br />
fliehenden Klassenzimmer<br />
POLITIK<br />
v.l.n.r.: Jannis Krüßmann, Anna Klisch<br />
Anna Klisch ist 18 Jahre alt und Studentin an der Universität<br />
Konstanz. Jannis Krüßmann ist ein Jahr jünger und angehender<br />
Abiturient in der zwölften Klasse des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums.<br />
Beide sind Mitorganisator_innen der »Fridays<br />
for Future«-Bewegung in Konstanz und von der ersten<br />
Stunde an dabei. »Es war auch ein bisschen peinlich, dass<br />
Friedrichshafen die Demos vor uns geschafft hat«, schmunzeln<br />
die jungen Klimaaktivist_innen, während sie ihr anfängliches<br />
Engagement erläutern. Es war an der Zeit, den Klimaprotest<br />
endlich auch in Konstanz ins Leben zu rufen. »Gerade,<br />
weil Schüler nicht wählen können, gehen wir eben demonstrieren«,<br />
schildert Krüßmann.<br />
Organisiert wurde und wird der Protest dabei – wie beinahe<br />
überall auf der Welt – fast ausschließlich über den Messenger<br />
Whatsapp. Wie der 17-Jährige erklärt, folgte der Idee einer<br />
Protestinitiierung zu allererst die Gründung einer »Fridays for<br />
Future«-Gruppe in dem Kurznachrichtendienst. Zunächst waren<br />
die Mitglieder nur ein paar Freund_innen, kurz darauf die<br />
ganze Kursstufe und schließlich mehrere hundert Schüler_innen<br />
und Student_innen aus ganz Konstanz – die Bewegung<br />
kam ins Rollen.<br />
Geknackt wurde diese Zahl nicht nur bei den darauffolgenden<br />
»regulären« Demonstrationen, sondern allen voran beim<br />
offiziellen internationalen Klimastreik am 15. März. Jugendliche<br />
in über 2000 Städten in 125 Ländern auf allen Kontinenten<br />
schwänzten für das Klima die Schule. Es ist damit der größte<br />
transnationale Schüler_innen-Protest, den es jemals gab. In<br />
Deutschland wurde in mehr als 150 Städten gestreikt. Und<br />
auch die Konstanzer »Fridays for Future«-Demonstration vermeldete<br />
eine neue Rekordzahl: Bis zu 2000 Demonstrierende<br />
fanden sich nach Schätzungen der Polizei im Herosé-Park zu dem<br />
Protestzug ein, damit fast viermal so viele wie Anfang Februar.<br />
»Es geht weniger um die Ziele,<br />
die wir fordern, als um das<br />
Bewusstsein, das wir schaffen.«<br />
Nach den ersten Organisationstreffen und der erfolgreichen<br />
Anmeldung der Demonstration bei der Stadt war es am<br />
1. Februar schließlich so weit. Zahlreiche Kinder, Jugendliche<br />
– und auch die ein oder anderen Erwachsenen – strömten auf<br />
die Konstanzer Straßen. Es kamen: rund 500 Klimaprotestler_innen.<br />
08
Mit ihrem Klimaprotest schließt sich die Konstanzer Jugend<br />
zunächst den deutschlandweiten Zielen an – also Forderungen<br />
eines schnellstmöglichen Kohleausstieges und einer weitreichenderen<br />
Klimaschutzpolitik der Bundesregierung. Es gebe<br />
aber auch Anliegen auf lokaler Ebene, erklärt Krüßmann. Dies<br />
sei zunächst einmal die vollkommene Verbannung der Autos<br />
von der Fahrradstraße sowie ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.<br />
Detaillierte in Schrift ausformulierte Ziele habe die<br />
»Fridays for Future«-Bewegung in Konstanz allerdings nicht.<br />
»Es ist nicht unsere Aufgabe, konkrete Maßnahmen zu nennen«,<br />
sind sich Klisch und Krüßmann einig. Dafür seien letzten<br />
Endes immer noch die Politiker_innen zuständig. Dennoch,<br />
eine konkrete Maßnahme fällt den beiden doch noch ein: Auch<br />
die Stadt Konstanz solle den sogenannten Klimanotstand ausrufen.<br />
Nach London und Vancouver hat mit Basel nun auch die<br />
erste Schweizer Stadt vor wenigen Wochen jenen Notstand<br />
ausgerufen. Eine derartige Resolution fordert, dem Thema Klimaschutz<br />
bei allen städtischen Entscheidungen mehr Priorität<br />
einzuräumen und diese auf Umwelt- und Klimaverträglichkeit<br />
zu prüfen. Auch wenn diese rechtlich nicht bindend ist, wäre<br />
es auf alle Fälle ein starkes Zeichen, findet Krüßmann.<br />
POLITIK<br />
KOHLEKOMMISSION:<br />
Ende Januar dieses Jahres legte die sogenannte Kohlekommission<br />
ihre Ergebnisse vor: Empfehlungen für einen Kohleausstieg<br />
bis 2038. Der auch von Greenpeace und dem Bund für<br />
Umwelt und Naturschutz (BUND) schön geredete »Einstieg in<br />
den Ausstieg« bedeutet dabei aber vor allem eines: 20 weitere<br />
Jahre Kohleverbrennung. Und ist damit ein Schlag ins Gesicht<br />
aller freitäglichen Klimaprotestler_innen. Denn diese werden<br />
2038 in der Mitte ihres Lebens sein – und damit die Folgen der<br />
Erderwärmung voll zu spüren bekommen.<br />
INFOBOX<br />
Die »Kohlekommission« wiederum hat 32 Mitglieder. Darunter<br />
lediglich zehn Frauen und keine Bundestagsabgeordneten der<br />
Oppositionsparteien. Zudem liegt das Durchschnittsalter bei<br />
etwa 57 Jahren. Anders als die protestierende Jugend werden<br />
die Mitglieder der »Kohlekommission« die Folgen ihres<br />
Beschlusses also wohl kaum mehr (er)tragen müssen.<br />
09
Neben den Protesten starten die Schüler_innen zusätzlich<br />
eine Briefaktion. Dabei schreiben die Jugendlichen gemeinsam<br />
Briefe, in denen sie ihre persönliche Meinung und individuelle<br />
Forderungen zur Klimapolitik darstellen – und schicken<br />
diese an die Mitglieder des Deutschen Bundestags der<br />
entsprechenden Wahlkreise. Zusammen mit vielen weiteren<br />
Briefaktionen in Deutschland soll so der Handlungsdruck auf<br />
die Politiker_innen erhöht werden.<br />
Die beliebteste Kritik aller Gegner_innen ist und bleibt: das<br />
Schule-Schwänzen. Ungeachtet dessen, dass die Demonstrationen<br />
in einigen Städten – so auch der erste Protest in Konstanz<br />
– nach der Schule stattfinden und die Schüler_innen oft<br />
sogar von ihren Eltern begleitet werden. Es ist das einfachste<br />
und argumentativ faulste Argument gegen die Protestbewegung<br />
– vor allem angesichts dessen, dass nach Recherchen<br />
der »ZEIT« bundesweit rund fünf Prozent der Unterrichtsstunden<br />
aufgrund von Problemen wie Lehrermangel sowieso ausfallen.<br />
POLITIK<br />
»Die Bewegung hat das<br />
Potenzial, viel zu verändern.«<br />
Ob die »Fridays for Future«-Demonstrationen wie der »March<br />
for Our Lives«, bei dem vergangenes Jahr ebenfalls Millionen<br />
Schülerinnen und Schüler in den USA für strengere Waffengesetze<br />
protestierten, mit nachlassendem medialen Interesse<br />
jedoch wieder weitestgehend verebbt, wird sich erst<br />
in Zukunft herausstellen. »Die Bewegung hat das Potenzial,<br />
viel zu verändern«, findet Anna Klisch. »Der Punkt ist, wenn<br />
wir nichts unternehmen, geht sowieso alles zugrunde«, befürchtet<br />
die Studentin. Auch wenn die Proteste noch Monate,<br />
oder gar Jahre andauern, bis endlich eine Veränderung herbeigeführt<br />
wird, würden die beiden Klimaaktivist_innen nicht<br />
aufgeben.<br />
Krüßmann hofft derweil auf einen »politischen Weg mit kleinen<br />
Schritten« in die richtige Richtung. Und erwähnt beinahe<br />
beiläufig den Kern der weltweiten Proteste: »Es geht weniger<br />
um die Ziele, die wir fordern, als um das Bewusstsein, das<br />
wir schaffen.« Denn wenn bereits zehnjährige Schüler_innen<br />
gemeinsam mit älteren Mitstreiter_innen auf die Straße gehen,<br />
ist der Grundstein für eine klimabewusste nächste Generation<br />
allemal gelegt. Die so gern politikverdrossen genannte<br />
Jugend zeigt mit ihrer immer größer werdenden Bewegung,<br />
dass sie, trotz – oder gerade wegen – Snapchat, Instagram<br />
und Facebook, eine der politischsten Jugenden der vergangenen<br />
Jahrzehnte ist.<br />
10
»FRIDAYS FOR FUTURE«:<br />
»Fridays for Future« ist eine weltweite Schüler_innen- und<br />
Studierendenbewegung, die sich für besseren Klimaschutz<br />
einsetzt. Gründerin der Proteste ist die 16-jährige schwedische<br />
Schülerin Greta Thunberg, die seit August 2018 jeden Freitag<br />
den Unterricht bestreikt – solange bis Schweden das Übereinkommen<br />
von Paris einhält. Thunberg wurde in Schweden zur<br />
»Frau des Jahres« gewählt, das amerikanische »Time«-Magazin<br />
listete sie unter die Top 25 der einflussreichsten Menschen<br />
und zuletzt wurde sie für den Friedensnobelpreis nominiert.<br />
Mittlerweile gehen in über 125 Ländern auf allen Kontinenten<br />
junge Klimaprotestler_innen freitags auf die Straßen und<br />
demonstrieren gegen die derzeitige Klimapolitik. Vor wenigen<br />
Wochen stellten sich als »Scientists for Future« mehr als<br />
23.000 Forscher_innen aus Deutschland, Österreich und der<br />
Schweiz hinter die Forderungen der Schüler_innen nach mehr<br />
Klimaschutz.<br />
INFOBOX<br />
DIE WICHTIGSTEN GLOBALEN ZIELE SIND:<br />
→Keine weitere Nutzung fossiler Brennstoffe<br />
→Keine weiteren Subventionen für dreckige Energieerzeugung<br />
→Investitionen in erneuerbare Energien<br />
Natürlich mit Tettnanger Naturhopfen.<br />
11<br />
Hier sind wir zu Hause.<br />
Das Bier vom See.<br />
www.ruppaner.de
TEXT: VIVIEN GÖTZ<br />
ILLUSTRATION: LENA LINK<br />
»Das Recht der Frauen ist in den<br />
Händen der Männer meist übel gewahrt«<br />
– Frauenwahlrecht und Emanzipation in Konstanz: ein Blick zurück<br />
HOCHSCHULLEBEN<br />
Am 19. Januar 1919 wurde in Deutschland<br />
die Verfassungsgebende Nationalversammlung<br />
gewählt. Zum ersten Mal durften auch<br />
Frauen wählen und gewählt werden. Von den<br />
gut 17 Millionen wahlberechtigten Frauen in<br />
Deutschland machten fast 83 Prozent von<br />
ihrem neuerrungenen Wahlrecht Gebrauch.<br />
Zu Verdanken hatten die deutschen Frauen<br />
dieses Recht unter anderem Dr. Anita<br />
Augspurg, von der auch das Zitat aus dem<br />
Titel stammt. Die erste promovierte Juristin<br />
Deutschlands gründete zusammen mit Lida<br />
Gustava Heymann und Charlotte Engel-Reimers<br />
bereits 1902 den »Deutschen Verein für<br />
Frauenstimmrecht«.<br />
Auch in Konstanz wurde 1906 ein solcher<br />
Verein gegründet. Dem »Konstanzer Frauenstanden<br />
Helene und Maria<br />
Schieß vor. Die beiden Schwestern waren in den<br />
stimmrechtsverein« 1860ern geboren worden und lebten gemein-<br />
sam, Zeit ihres Lebens, unverheiratet in der<br />
Schottenstraße 31. Der »Konstanzer Frauenstimmrechtsverein«<br />
war die erste Organisation<br />
dieser Art in ganz Baden. 1911 zählte er bereits<br />
200 Mitglieder und war damit die größte von<br />
zehn badischen Ortsgruppen.<br />
Obwohl der Konstanzer Verein 1911 eine<br />
Veranstaltung mit Anita Augspurg ausrichtete,<br />
die für viel Aufsehen sorgte, gehörte der gesamte<br />
badische Verband eher dem gemäßigten<br />
Flügel der Frauenbewegung an. Während Anita<br />
Augspurg sich für eine radikale Emanzipation<br />
einsetzte, mit einer Frau zusammenlebte und<br />
die Meinung vertrat, eine Frau mit Selbstachtung<br />
könne eine Heirat vor sich selbst nicht<br />
vertreten, waren die Konstanzer Feministinnen<br />
in ihren Forderungen viel konservativer.<br />
»Überall trägt die Politik der Frau den<br />
Stempel der Mütterlichkeit«,<br />
schrieb Helene Schieß in einem Vortrag<br />
von 1918 und wollte damit keineswegs Kritik<br />
äußern. Ihre Haltung deckte sich mit dem Frauenbild<br />
der gemäßigteren Frauenbewegung, die<br />
die Frau zwar emanzipieren wollte, dabei aber<br />
nicht bereit war, konservative Werte aufzuweichen.<br />
Die Frau sollte dem Mann zwar eine<br />
gleichgestellte Partnerin sein, aber Mutterschaft,<br />
Kindererziehung und die Pflege von<br />
Alten und Kranken wurden immer noch als<br />
urtypische Manifestationen der weiblichen Rol-<br />
12
le betrachtet. Ein Leben ohne Ehemann oder<br />
das Ausüben »unweiblicher« Berufe wurden<br />
von den Konstanzer Feministinnen zu diesem<br />
Zeitpunkt abgelehnt. Paradoxerweise entsprachen<br />
gerade Helene und Maria Schieß mit ihrer<br />
ledigen Wohngemeinschaft nicht dem konservativen<br />
Bild, das sie selbst vertraten.<br />
Trotz dieser konservativen Grundhaltung<br />
setzte sich der Verein dafür ein, die Situation<br />
von Frauen und Mädchen in Konstanz<br />
zu verbessern. 1907 wurde eine kostenlose<br />
Rechtsberatung eingerichtet, die bereits in den<br />
ersten Jahren von mehreren hundert Frauen<br />
in Anspruch genommen wurde. Vor allem die<br />
gesetzlich vorgeschriebene Unterordnung der<br />
Ehefrau gegenüber dem Ehemann und deren<br />
ökonomische Abhängigkeit und Unmündigkeit<br />
führten zu Problemen, mit denen die Frauen zur<br />
Beratungsstelle kamen. Außerdem organisierte<br />
der Verein Leseabende für ältere Mädchen, die<br />
Bildung und selbstständiges Denken fördern<br />
sollten.<br />
Obwohl radikalere Feministinnen wie Anita<br />
Augspurg und Lida Heymann vor der Wahl zur<br />
Nationalversammlung all ihre Kräfte in die<br />
Mobilisierung der neuen Wählerinnen gesteckt<br />
hatten, fiel das Ergebnis der historischen Wahl<br />
aus ihrer Sicht eher ernüchternd aus. Nur zehn<br />
Prozent der gewählten Abgeordneten waren<br />
weiblich. Die Frauen wählten eher konservativ<br />
und keineswegs mehrheitlich Frauen oder die<br />
Parteien, die zuvor für ihr Wahlrecht gekämpft<br />
hatten. Trotzdem waren die zehn Prozent im<br />
historischen Kontext ein Quantensprung. Es<br />
sollte bis 1987 dauern, bis der Frauenanteil<br />
im Bundestag erstmals über zehn Prozent lag.<br />
Die erste Konstanzerin, die in ein überregionales<br />
Mandat gewählt wurde, war Maria<br />
Beyerle. Bezeichnenderweise war sie von<br />
einem Listenplatz der Zentrumspartei aus für<br />
die Wahl zur badischen Nationalversammlung<br />
angetreten. Auch für sie war die Rolle der Frau<br />
vor allem von der Kindererziehung und der<br />
Schaffung eines friedlichen und harmonischen<br />
Familienumfeldes geprägt.<br />
Geschichte ist zwar im Allgemeinen männlich<br />
geprägt, das hat aber auch damit zu tun,<br />
dass es bisher vor allem Männer waren, die<br />
sie erzählt haben. Auch in Konstanzer Stadtgeschichte<br />
werden Frauen sichtbarer, wenn man<br />
einen Blick unter die von Jan Huss, Heinrich<br />
Suso und Ambrosius Blarer dominierte, maskuline<br />
Patina der Stadt-Historie wirft.<br />
So hatten etwa die Konstanzer Reformatoren<br />
Thomas und Ambrosius Blarer eine Schwester<br />
– Margarete Blarer –, die in Konstanz nicht<br />
nur für ihre aufopferungsvolle charitative Ar-<br />
beit, sondern auch für ihren eigenwilligen Lebenswandel<br />
bekannt war. Sie weigerte sich<br />
zeitlebens, verheiratet zu werden, was ihr von<br />
ihren Brüdern, Verwandten und Freunden regelmäßig<br />
vorgehalten wurde. Margarete Blarer<br />
nahm großen Anteil an den Ideen Martin<br />
Luthers, mit denen sie durch ihre Brüder in<br />
Kontakt gekommen war. Außerdem war ihre<br />
Begeisterung für Sprachen so groß, dass sich<br />
ihr Bruder dazu gezwungen sah, »ihr eher den<br />
Zügel als die Sporen zu geben«, und es ihr ver-<br />
bot, nun auch noch Griechisch zu lernen.<br />
Der Konstanzer SPD-Ortsverein wurde<br />
1946 von Gerda Leonhard gegründet. Sie kandidierte<br />
bei den Kommunalwahlen und saß<br />
anschließend für 29 Jahre im Gemeinderat.<br />
1975 verlieh ihr die Stadt den zum ersten Mal<br />
verliehenen Ehrenring, um ihr politisches und<br />
soziales Engagement zu würdigen.<br />
»Jede Frau ändert sich, wenn sie erkennt,<br />
dass sie eine Geschichte hat«, schrieb die<br />
US-amerikanische Historikerin Gerda Lerner.<br />
Wenn wir heute nach weiblichen Vorbildern<br />
suchen, dann lohnt sich nicht nur der Blick<br />
nach links und rechts, sondern auch zurück.<br />
Wer sucht, der findet überall die Spuren bedeutender<br />
Frauen, auch wenn sie manchmal<br />
verwischt sein mögen. Man kann das Gefühl,<br />
in seiner Rolle als Frau immer die Beweislast<br />
ob der Kompetenz seines ganzen Geschlechts<br />
tragen zu müssen, plötzlich mit so viel mehr<br />
Schultern teilen, in der Gewissheit, dass diese<br />
ungebeugt geblieben sind.<br />
Von der Wahl zur Nationalversammlung<br />
1919 bis heute war es ein langer Weg. In Konstanz<br />
hat sich einiges getan. Sowohl Stadt als<br />
auch Universität haben eine Gleichstellungsbeauftragte,<br />
die Universität hat eine Rektorin<br />
und auch in die Fußstapfen des Theaterintendanten<br />
Christoph Nix wird eine Frau treten.<br />
Auch heute noch ist die Kommunalpolitik ein<br />
stark männlich dominiertes Feld. Von vierzig<br />
Gemeinderatsmitgliedern sind nur zehn weiblich;<br />
der Frauenanteil unter Deutschlands Bür-<br />
germeister_innen liegt bei knapp zehn Prozent.<br />
Zu einhundert Jahren Frauenwahlrecht bleibt<br />
zu sagen: Wir feiern das Ende eines Unrechts,<br />
das es gar nicht erst hätte geben dürfen. Heute<br />
kann das Datum vor allem ein Anlass sein,<br />
sich daran zu erinnern, dass gesellschaftlicher<br />
Fortschritt weder einfach so vom Himmel fällt,<br />
noch, dass er in Stein gemeißelt ist.<br />
POLITIK<br />
13
TEXT & FOTO: VIVIEN GÖTZ<br />
EIN BLICK IN DEN ELFENBEINTURM<br />
Big Data an der Börse und der Mut,<br />
neue Wege zu gehen<br />
»Aus mathematischer Perspektive ist das die Hölle«, erklärt Dr. Roxana Halbleib<br />
ihren Forschungsansatz. »Aber mein Gedanke ist: Lasst es uns wagen, durch die<br />
Hölle zu gehen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen.« Halbleib analysiert für ihre<br />
Forschung »financial big data« Daten, die Transaktionen an den Finanzmärkten<br />
in Nanosekunden abbilden. Ziel ist es, die Märkte besser zu verstehen und so<br />
Risiken besser vorhersagen zu können.<br />
HOCHSCHULLEBEN<br />
Dr. Roxana Halbleib<br />
Egal, ob beim Autofahren, beim Twittern oder wenn wir einen<br />
Fitnesstracker verwenden – durch die Nutzung moderner Technologien<br />
und sozialer Netzwerke produzieren Menschen permanent<br />
Unmengen an Informationen. »Big Data« ist das Stichwort und die<br />
Frequenz, mit der wir diese Daten produzieren, nimmt permanent<br />
zu. Gleichzeitig steigen logischerweise die Menge an Wissen und<br />
Interpretationsmöglichkeiten, die sich aus diesen riesigen Datensätzen<br />
gewinnen lassen.<br />
Auch die Welt der Finanzmärkte ist von diesen Entwicklungen<br />
betroffen. Auf Algorithmen basierende Verkäufe und der Onlinehandel<br />
haben die Menge der vorhandenen Daten in den letzten<br />
Jahren exponenziell wachsen lassen.<br />
Wenn Aktienpreise oder die Menge gehandelter Aktien in<br />
Nanosekunden erhoben werden, dann erscheint es logisch, dass<br />
Vorhersage-Modelle, die etwa nur auf Tagespreisen basieren, veraltet<br />
sind. Diese Modelle wurden inzwischen angepasst, so dass die<br />
Messintervalle beispielsweise fünf Minuten betragen. Doch auch<br />
hier gehen noch Informationen verloren. »Wenn wir starr alle fünf<br />
Minuten messen, dann verpassen wir wichtige Informationen in<br />
Zeiten, in denen wir viel Veränderung haben und messen zu oft,<br />
wenn vergleichsweise wenig passiert«, erklärt Roxana Halbleib.<br />
Um diesen Informationsverlust zu minimieren, schaut Halbleib in<br />
ihrem Forschungsansatz aus einem neuen Blickwinkel auf die Daten.<br />
Die Zahl der Beobachtungen bleibt im Vergleich zu den Fünf-Minuten-Modellen<br />
gleich, um Vergleichbarkeit zu ermöglichen, aber<br />
die Abstände zwischen den einzelnen Erhebungszeitpunkten sind<br />
jetzt flexibel, erklärt Roxana Halbleib. Die Variable t, die die tatsächliche<br />
Zeit beschreibt, wird durch eine Funktion von t ersetzt,<br />
wodurch die Zeit zu einer abhängigen Variablen wird. Wovon t<br />
abhängt, kann je nach Forschungsfrage unterschiedlich sein – es<br />
bieten sich etwa die Varianz der Aktienpreise, das Volumen gehandelter<br />
Aktien oder die Anzahl der Transaktionen an. Umso mehr<br />
an den Märkten passiert, umso öfter werden Daten erhoben. »Data<br />
generated process« nennt sich diese Methode, bei der die Daten<br />
selbst die Messfrequenz vorgeben.<br />
Hier wird es allerdings kompliziert. Messmethoden mit starren<br />
Messintervallen dominieren im wissenschaftlichen Diskurs<br />
und die meisten mathematischen Modelle sind auf sie ausgelegt.<br />
Roxana Halbleib ist deshalb im Austausch mit Forscher_innen aus<br />
Mathematik und Informatik, um mehr Modelle für ihre flexible<br />
Messmethodik zu entwickeln. Die Art der Daten in den Wirtschaftswissenschaften<br />
ist sehr beschränkt, sagt sie. »Wir wissen,<br />
was an den Märkten passiert, aber über die Akteure dahinter haben<br />
wir keinerlei Informationen. Wir sehen die Transaktionen, aber<br />
nicht, wer sie tätigt.«<br />
Gerade weil nur sehr beschränkte Informationen zur Verfügung<br />
stehen, sei es so wichtig, neue wissenschaftliche Ansätze zu verfolgen.<br />
Sonst lassen sich aus den immer gleichen Daten irgendwann keine<br />
neuen Erkenntnisse mehr gewinnen. »Man muss sich trauen, neue<br />
Wege zu gehen, nicht nur in der Wissenschaft. Wer sagt, dass du<br />
in eine Standartschablone passen musst? Trau dich, anders zu sein<br />
und anders zu denken«, sagt Roxana Halbleib. Das scheint ein<br />
guter Rat zu sein, in einer Welt, die sich immer schneller dreht und<br />
in der Datenberge und technischer Fortschritt uns jeden Tag vor<br />
ungelöste technische und moralische Fragen stellen.<br />
14
TEXT: PIA SAUTTER<br />
FOTOS: MALIN JACHNOW<br />
ILLUSTRATION: LENA LINK<br />
Zwischen Wickelraum und Hörsaal<br />
Studium und Kind – Wie geht das?<br />
Es ist Viertel vor Zehn an einem Dienstag und ich<br />
steige schlecht gelaunt aus dem Bus. Es ist Prüfungsphase<br />
–die Hochsaison des Selbstmitleids.<br />
Ich schiebe mich träge in Richtung Eingang der<br />
Universität und bemerke die Frau mit dem Kinderwagen<br />
erst, als ich mich schon ein paar Schritte<br />
von der Haltestelle entfernt habe. Sie bekommt<br />
zum Glück bereits Hilfe beim Heraustragen des<br />
Wagens aus dem Bus. Zwischen Griff und ihrer<br />
Hand klemmen gefährlich lose ein paar Blätter,<br />
über und über neongrün markiert. Plötzlich fühle<br />
ich mich ziemlich mies angesichts meines gestrigen<br />
Netflix-Abends im Namen der Prokrastination.<br />
Wie schwer das Studieren mit Zugang zu<br />
Streaming-Plattformen sein kann, das wissen die<br />
meisten Studierenden. Wie ist es aber, wenn nicht<br />
nur der Uni-Lernstoff sinnbildlich, sondern auch<br />
ein Kind ganz wortwörtlich nach Aufmerksamkeit<br />
schreit?<br />
Lina K. mit Sohn Lewis<br />
Lina K. kennt das. Wie die Frau im Bus ist auch sie<br />
Mama und studiert gleichzeitig an der Universität<br />
Konstanz. Eines der bisher sechs Semester ihres<br />
Wunschstudienganges Psychologie hat sie nun in der<br />
Doppelrolle als Mutter und Studierende erlebt: Sohn Lewis<br />
ist mittlerweile sieben Monate alt. Als die 25-Jährige<br />
von der Schwangerschaft erfuhr, hatte sie gerade die<br />
Zusage für ein Auslandssemester bekommen: »Daher<br />
kamen fast gleichzeitig zwei frohe Botschaften auf<br />
einmal, von denen eine nun erstmal Vorrang hat«, berichtet<br />
Lina. Abenteuer und neue Erfahrungen musste<br />
die Studierende also nicht mehr im Ausland suchen, die<br />
gab es nun zu Genüge in Konstanz. Trotz allem Neuen<br />
war die Entscheidung bezüglich des Studiums schnell<br />
gefallen: »Von Anfang an habe ich nie daran gezweifelt,<br />
weiter zu studieren, wusste aber, dass ich eventuell<br />
länger brauchen würde als die Regelstudienzeit.« Bei<br />
Studiengängen mit einer festgesetzten Studienhöchstdauer<br />
kann diese in solchen Fälle nämlich auf Antrag<br />
verlängert werden.<br />
HOCHSCHULLEBEN<br />
15<br />
INFO<br />
Die Universität Konstanz ist in Sachen Familienfreund-<br />
lichkeit ganz vorne mit dabei. Sichtbar für jeden, der<br />
die Universität betritt, sind die Kinderbereiche von<br />
Seezeit in der Mensa und im BibCafé. Versteckter sind<br />
die Still- und Wickelräume, das Kinderzimmer in F101<br />
und der Ruheraum in E780a. In dem digitalen Familienkompass<br />
»Hereinspaziert« sind deshalb alle wichtigen<br />
Orte vermerkt. Doch eine familiengerechte Hochschule<br />
macht mehr aus als nur eine gute Infrastruktur. Vielmehr<br />
müssen die universitären Angebote fortlaufend<br />
an neue Familienkonzepte und Bedürfnisse angepasst<br />
werden. Christiane Harmsen, Koordinatorin für eine<br />
»familiengerechte Hochschule«, erläutert, wie sich<br />
das Konzept in den letzten Jahren entwickelt hat. Von<br />
2006 bis 2016 beteiligte sich die Universität Konstanz<br />
am Audit »familiengerechte Hochschule«, das von der<br />
berufundfamilie gGmbH begleitet wurde: Ȇber den<br />
Zeitraum von 2006 bis 2016 wurden in insgesamt<br />
drei Auditrunden Bedarfsanalysen durchgeführt und<br />
auf dieser Basis konkrete Maßnahmen und Ziele ent-<br />
wickelt«, so Harmsen. Im Rahmen dieses Prozesses<br />
war sie unter anderem an dem Ausbau der Kinder-<br />
betreuung, sowie der Entwicklung der Notfallbetreuung<br />
und des »Studierenden-Eltern-Passes« beteiligt.<br />
Dieser beinhaltet Leistungen wie die rechtliche Absicherung<br />
von Frauen durch den Mutterschutz, Möglichkeiten<br />
zur flexiblen Studienorganisation, Zugang zur<br />
vergünstigten Notfallbetreuung für Studierende oder<br />
kostenloses Mensaessen für Kinder mit der Mensa-<br />
KidsCard von Seezeit. Des Weiteren werden kontinuierlich<br />
Checklisten erweitert, Ausstellungen zum<br />
Thema konzipiert, Sportprogramme im Rahmen von<br />
»uniFamily« ergänzt und natürlich jede Menge Fragen<br />
beantwortet. Frau Harmsen ergänzt: »Wir haben über<br />
die Jahre immer wieder große Meilensteine gesetzt<br />
und sind in diesem Bereich für andere Hochschulen<br />
Vorreiter.« Dennoch gäbe es an manchen Stellen noch<br />
Bedarf zur Verbesserung: »Finanzielle Unterstützung<br />
für Studierende mit Kindern gab es zehn Jahre lang in<br />
Form eines ›Notfallgroschens‹. Seit dem die Förderung<br />
ausgelaufen ist, sind wir auf der Suche nach Alter-<br />
nativen. Die finanzielle Unterstützung von Studierenden<br />
mit Kindern sollte grundsätzlich in Deutschland<br />
verbessert werden.« Dafür setzt sich die Universität<br />
Konstanz unter anderem in ihrem Engagement im Best<br />
Practice-Club Familie in der Hochschule e.V. ein. Das<br />
bundesweite Netzwerk familiengerechter Hochschulen<br />
hat zu dieser Problematik ein Positionspapier ver-<br />
fasst, in dem es von der Politik eine verbesserte finanzielle<br />
Absicherung der studierenden Eltern einfordert.<br />
Auch der interne Austausch zwischen den Eltern an<br />
der Universität wird weiter gefördert: Durch die Face-<br />
book-Gruppe »Studieren mit Kind in Konstanz« sowie<br />
bei dem einmal im Semester organisierten Treffen zum<br />
Frühstück oder Kaffee können sie in Kontakt treten.
Kinder spielen im Kinderzimmer<br />
Da Lewis glücklicherweise genau zum Ende des<br />
<strong>Sommersemester</strong>s geboren wurde, hatte Lina erst<br />
einmal knapp drei Monate Semesterferien. Entspannte<br />
Ferien sehen jedoch anders aus: »Ich hatte schon drei<br />
Wochen nach der Geburt eine Hausarbeitsabgabe,<br />
die nächste dann als Lewis acht Wochen alt war. Die<br />
Anfangszeit war nicht einfach, aber ich bin froh, es<br />
geschafft zu haben.« Studierende haben während der<br />
Elternzeit die Möglichkeit, Urlaubssemester zu nehmen<br />
und dennoch Scheine zu machen. Lina entschied<br />
sich gegen ein Urlaubssemester. Sie belegte dafür<br />
jedoch nur Online- und Blockseminare. Bei Beginn der<br />
Blockseminare war Lewis schon fast sechs Monate<br />
alt und mit seinem Papa zuhause. Im Sommer soll es<br />
erst einmal genauso weitergehen. Später würde die<br />
Studierende gern die Betreuung an der Universität in<br />
Anspruch nehmen, dann würde auch ein wöchentliches<br />
Seminar in Frage kommen.<br />
HOCHSCHULLEBEN<br />
INFO<br />
Sowohl das Kinderhaus Knirps & Co. als auch das See-<br />
zeit Kinderhaus betreuen vom Krippen- bis zum Schul-<br />
alter. Speziell Kinder von Studierenden oder Arbeitstä-<br />
tigen an der Universität erhalten hier einen Platz.<br />
Evelyn Schuster, Leiterin des Seezeit Kinderhauses,<br />
erläutert: »Wie Eltern, die nicht studieren, bewerben<br />
sich auch Studierende an der zentralen Vergabestelle<br />
für Kita-Plätze. Bei uns haben die Studierenden je-<br />
doch ganz klaren Vorrang.« Auch nach Abschluss des<br />
Studiums bleibt der Platz erhalten. Die Betreuung der<br />
Studierenden und ihrer Kinder schätzt Frau Schuster<br />
als sehr gut ein: »Wir haben unser Angebot in den letzten<br />
Jahren immer weiter ausgebaut und stehen auch in<br />
guter Kooperation mit anderen Kinderhäusern wie zum<br />
Beispiel »Knirps & Co.«. Wir arbeiten ständig daran,<br />
dass die Studierenden optimal entlastet werden und<br />
sich die Kinder hier richtig wohlfühlen können.« Nur die<br />
Krippenplätze seien oftmals zu knapp. Bei der Vergabe<br />
entscheiden hierbei Faktoren wie zum Beispiel, ob<br />
jemand alleinerziehend ist oder beide Elternteile Studierende<br />
sind. »Für das kommende Studienjahr kann<br />
ich noch nicht sagen, ob alle angemeldeten Kinder<br />
einen Platz bekommen werden«, sagt Frau Schuster<br />
Kinderhaus an der Universität<br />
»Fremdbetreuung habe ich noch nicht<br />
beansprucht. Sobald Lewis ein biss-<br />
chen älter ist, würde ich die Angebote<br />
aber gerne nutzen.« Lina K.<br />
16
So gut es geht, soll Lewis zu Hause oder an der frischen<br />
Luft sein, abseits vom stickigen Seminarzimmer: »Wenn<br />
ich merke, dass mich der Prüfungsstress zuschnürt,<br />
unterstützt mich mein Freund auch total.« Wenn Lewis in<br />
seltenen Fällen doch einmal mit muss, komme Lina dank<br />
der Aufzüge auch mit Kinderwagen gut zurecht. Lange hält<br />
es Lewis noch nicht an der Uni aus, da er entweder spielen<br />
will, müde oder hungrig wird. Gerade das Stillen stellte<br />
schon eine große Herausforderung dar: »Eine blöde Situation<br />
war es, als ich nicht wusste, wo ich abpumpen sollte,<br />
da der Still- und Wickelraum an dem Wochenende, an<br />
dem mein Blockseminar stattfand, nicht aufgeschlossen<br />
war. Dabei habe ich im Vorfeld eine E-Mail geschrieben.<br />
Ich habe erst nach einem anderen Raum gesucht, aber es<br />
war ziemlich voll und ich wollte auch nicht, dass jemand<br />
reinkommt, während ich beidseitig die Milchpumpe in<br />
Betrieb habe. Die ist dazu auch noch laut. Letztendlich war<br />
dann der einzige Ort, wo es eine Steckdose am Waschbecken<br />
gab, die Behindertentoilette. Da hatte ich dann Angst,<br />
jemanden aufzuhalten, der die Toilette vielleicht brauchte.«<br />
Unangenehme Situationen wie diese waren bisher zum<br />
Glück jedoch selten der Fall.<br />
»Negativ konfrontiert wurde ich bisher<br />
nicht. Und Gedanken lesen kann ich<br />
zum Glück nicht.« Lina K.<br />
Irgendwo zwischen Windelwechseln und Stillen Zeit zum<br />
Lernen zu finden, ist schwierig. Nachtschichten sind nichts<br />
Neues mehr für die Studierende. Aus der neuen Perspektive<br />
als Mama sei die Prüfungszeit ohne Kind super<br />
entspannt, sagt sie. Einmal habe Lewis Lernunterlagen in<br />
die Hand bekommen und gleich zerrissen, zum Glück sei<br />
das aber nichts Wichtiges gewesen. Studieren mit Kind –<br />
das geht nur mit gründlicher Planung und Selbstdisziplin:<br />
»Was das Studium betrifft, habe ich natürlich auch Sorgen.<br />
Wird mein Schnitt für einen Masterplatz reichen? Schaffe<br />
ich es überhaupt, das Studium abzuschließen? Aber darauf<br />
arbeite ich Stück für Stück hin und setze dabei Prioritäten,<br />
wobei die Nummer eins ganz klar Lewis ist.«<br />
Knappe Krippenplätze, Verbesserungsbedarf der finanziellen<br />
Unterstützung sowie die Angst vor dem Versagen<br />
im Studium sind Sorgen, mit denen viele studierende<br />
Mütter und Väter konfrontiert werden. Im Austausch mit<br />
Menschen wie Evelyn Schuster und Christiane Harmsen<br />
können jedoch viele Ängste genommen werden. Und<br />
manchmal ist die beste Art, mit stressigen Situationen<br />
umzugehen, Humor. Lina meint: »Studieren mit Kind ist definitiv<br />
eine Herausforderung, aber eine besonders schöne<br />
und man bekommt dafür ganz viel zurück – nicht nur volle<br />
Windeln.«<br />
17
TEXT: NIKLAS LEMPERLE<br />
FOTOS: MALIN JACHNOW<br />
Ein Königreich für<br />
einen Kunstrasen<br />
Das Sportangebot für Studierende in Konstanz ist<br />
vielfältig. Doch wenn im Winter die Rasenplätze<br />
draußen gesperrt sind, fehlen gute Ausweichmöglichkeiten.<br />
Der Bau neuer Sportstätten scheint unerlässlich.<br />
HOCHSCHULLEBEN<br />
Petra Bochert, Leiterin des Hochschulsports<br />
Der Konstanzer Hochschulsport lässt keine Wünsche<br />
offen. Das Programm bietet nahezu alles, was das Sportlerherz<br />
begehrt. Mit dem Sport-Abo haben Studierende sogar die<br />
Möglichkeit, jede Woche neu aus einem Pool an Sportarten<br />
auszuwählen und so ihre Aktivitäten flexibel an den Unialltag<br />
anzupassen. Scheint also alles perfekt im Konstanzer Hochschulsportmärchenland.<br />
Doch die vielen Kurse erfordern natürlich entsprechende<br />
Spielflächen. Dies wird vor allem im Winter problematisch,<br />
die Platzsituation sorgt hier durchaus für Frust bei Übungsleiter_innen<br />
und Kursteilnehmer_innen. So sind in den Monaten<br />
von Dezember bis Februar die Rasenplätze gesperrt. Als einzige<br />
Ausweichmöglichkeit bleibt eine Spielfläche, die je zur Hälfte<br />
aus Asphalt und Tartan besteht. Auf dieser ist die Umsetzbarkeit<br />
eines sinnvollen und gefahrlosen Trainings jedoch fragwürdig.<br />
Dem wäre dann doch die Sporthalle vorzuziehen. Diese ist<br />
allerdings zum Großteil schon durch die Sportarten ausgebucht,<br />
die ganzjährig drinnen stattfinden, so dass für Fußball, Hockey,<br />
Ultimate Frisbee und Co. allenfalls Randzeiten übrigbleiben.<br />
Die Fußballkurse mussten zum Beispiel im vergangenen Wintersemester<br />
sonntags um 11 Uhr stattfinden.<br />
Sicher nicht die beste Zeit, so zogen es einige Kursteilnehmer_innen<br />
vor, für eine Rückerstattung aus dem Kurs auszutreten.<br />
Auch der Ausfall einzelner Kurse im Winter kann nicht<br />
verhindert werden. Die Möglichkeit, anderweitig unterzukommen,<br />
besteht fast nur, wenn ein Kurs nicht nur Teil des<br />
Hochschulsports, sondern auch Teil eines Vereins ist und so<br />
dessen Spielflächen nutzen darf. Das Lacrosse-Team hat sich beispielsweise<br />
dem SC Konstanz-Wollmatingen angeschlossen. Es<br />
stellt sich also die Frage, warum der Hochschulsport Konstanz,<br />
der neben dem gelungenen Sportprogramm auch mit jährlichen<br />
Events wie 3-Bälle-Nacht, Fußball-Uniliga und Eurokonstantia<br />
aufwarten kann, seinen Übungsleiter_innen im Winter diese<br />
unbefriedigende Platzsituation zumutet.<br />
Der schwierigen Lage sind sich die hauptamtlichen Mitarbeiter_innen<br />
durchaus bewusst.<br />
»Wir träumen schon lange vom Bau<br />
einer zweiten Sporthalle«,<br />
18
etont die Leiterin des Hochschulsports Petra Borchert.<br />
Der Hochschulsport könne sich gut vorstellen, mit der Stadt<br />
gemeinsame Sache zu machen und die Halle in Kooperation<br />
mit den örtlichen Vereinen zu nutzen. Das große Problem<br />
sei die Finanzierung. Beim Hochschulsport rechnet man<br />
mit Kosten von zehn bis zwölf Millionen Euro. Konkrete<br />
Überlegungen gab es gemeinsam mit der Universität unter dem<br />
ehemaligen Rektor Ulrich Rüdiger bereits. Diese sehen eine<br />
Drittel-Regelung vor. Das würde heißen, die Universität, das<br />
Land Baden-Württemberg und die Stadt Konstanz übernehmen<br />
jeweils ein Drittel der Kosten. Einen entsprechenden<br />
Beschluss der Stadt Konstanz gab es bisher allerdings nicht.<br />
Borchert zeigt hierfür Verständnis: »Die Stadt muss beim<br />
Bau von Sporthallen auch an ihre Schulen denken. Die<br />
Lage auf dem Gelände der Universität in Konstanz Egg<br />
wäre hier aufgrund der weiten Wege für die Schüler_innen<br />
ungünstig.« Der Bedarf, macht Borchert aber auch klar, sei<br />
sowohl von Seiten des Hochschulsports als auch von Seiten<br />
der Sportwissenschaften unstrittig. Auch wenn sie über den<br />
aktuellen Stand keine Kenntnis habe, glaube sie, dass die<br />
Universität dem Bau einer zweiten Sporthalle grünes Licht<br />
geben würde. Gleichzeitig merkt sie aber auch an, dass in der<br />
Vergangenheit unerwartete Zwischenfälle Überlegungen in<br />
diese Richtung in den Hintergrund drängten. »Wir haben in<br />
den letzten Jahren auch einfach Pech gehabt«, ärgert sie sich.<br />
So stand nach dem Brand des Schwaketenbads 2015 dessen<br />
Wiederaufbau im Vordergrund. Im Sommer 2017 kam dann<br />
noch die Sanierung des Hallenbodens der bestehenden Halle<br />
dazu, der nach einem Starkregen überflutet und beschädigt<br />
worden war.<br />
Hoffnung, so Borchert, bestehe für das Jahr 2020,<br />
in dem der Bau eines Kunstrasenplatzes angestrebt werde.<br />
Dieses Ziel verfolge der Hochschulsport schon länger, doch<br />
auch hier sei die Finanzierung der Knackpunkt. Genauer<br />
führt sie aus: »Wir sind hier auf die Hilfe des Landes<br />
angewiesen. Zuständig ist das Amt für Vermögen und Bau<br />
Konstanz, das die örtlichen Grundstücke und Gebäude des<br />
Landes verwaltet. Hierzu gehören auch die Sportanlagen der<br />
Universität. Um die Umsetzung des Vorhabens zu beschleunigen,<br />
haben wir bereits in diesem Jahr eine Beteiligung an<br />
der Finanzierung angezeigt. Wir wären bereit, ein Drittel der<br />
Kosten aus eigenen Mitteln zu übernehmen. Doch auch mit<br />
dieser Selbstbeteiligung hat es finanziell bisher nicht gereicht.<br />
Für 2020 ist uns aber von Seiten des Landes signalisiert<br />
worden, dass bessere Aussichten bestehen.« Auch hier, betont<br />
Borchert, stehe die Sinnhaftigkeit einer Umsetzung außer<br />
Frage. Denn die Möglichkeit, Kurse auf Kunstrasenplätzen<br />
der Stadt stattfinden zu lassen, sei nur kaum gegeben. »Der<br />
Eigenbedarf der Stadt ist so hoch, dass dem Hochschulsport<br />
maximal ein bis zwei Spielzeiten pro Semester zur Verfügung<br />
gestellt werden können«, erklärt sie. Gerne würde man also<br />
den alten Sandplatz, der schon längere Zeit außer Betrieb ist,<br />
in einen modernen Kunstrasen umwandeln.<br />
Borchert hat eine klare Meinung:<br />
»Sowohl eine zweite Halle als auch<br />
ein Kunstrasen müssen früher oder<br />
später kommen.«<br />
Die aktuelle Priorität liege aber klar auf Letzterem. Damit<br />
wäre sicher schon viel erreicht. Die Outdoorsportarten wären<br />
im Winter nicht mehr auf Hallenzeiten angewiesen, sondern<br />
könnten auf den Kunstrasen ausweichen. Bleibt zu hoffen,<br />
dass es auch wirklich dazu kommt und Borcherts Wünsche in<br />
Erfüllung gehen, um dem Traum vom Sportmärchenland ein<br />
Stück näher zu kommen.<br />
HOCHSCHULLEBEN<br />
19
Text: Leonie Thiel<br />
Fotos: Seezeit<br />
Illustration: Mai Linh Bui<br />
50 JAHRE SEEZEIT<br />
Neue Einblicke durch ein Gespräch mit dem Chef<br />
Geschäftsführer von Seezeit Studierendenwerk Bodensee,<br />
Helmut Baumgartl, über neue Highlights, Überzeugungs-Täter,<br />
große Veränderungen und eigene Erfahrungen.<br />
Seezeit feiert dieses Jahr 50. Geburtstag. Seit der Gründung 1969 ist viel<br />
passiert, viel hat sich verändert, aber vieles ist auch gleichgeblieben. So ist Seezeit<br />
seit seinen Anfängen für das Wohl der Studierenden mitverantwortlich. Mit<br />
mehr als 240 Festangestellten organisiert das Studierendenwerk die zahlreichen<br />
Essensangebote der Mensen oder Cafeterien sowie Wohnanlagen und Bafög-Anträge,<br />
soziale und psychotherapeutische Beratung, Kinderbetreuung und vieles<br />
mehr. Diese Arbeit soll zum Jubiläum gefeiert werden, und auch die Studierenden<br />
können sich über viele kleine Aktionen freuen. Campuls hat den Seezeit-Chef<br />
Helmut Baumgartl sowie den Mensa- und Küchenleiter Jürgen Doser getroffen,<br />
die sich anschließend unseren Fragen stellten.<br />
SEEZEIT<br />
Helmut Baumgartl<br />
Campuls: »Seezeit wird 50 Jahre alt. Da muss es<br />
doch ein rauschendes Fest geben, oder?«<br />
Helmut Baumgartl (HB): »Natürlich möchten wir unser<br />
50-jähriges Bestehen gebührend feiern und es wird im Sommer<br />
ein offizielles Fest für Beschäftigte und geladene Gäste<br />
geben. Doch auch die Studierenden wollen wir natürlich am<br />
Jubiläum teilhaben lassen. Leider können wir keine Party für<br />
so viele Leute auf die Beine stellen… Deshalb sind wir mit den<br />
Studierendenvertretungen im Gespräch und überlegen, was<br />
wir stattdessen gemeinsam planen können. Außerdem gibt<br />
es über das ganze Jahr verteilt verschiedene Aktionen, wie<br />
zum Beispiel das Kuchen-Special im Januar, die 50-Jahre-<br />
50-Cent-Berliner-Aktion an Fasnacht oder eine kleine Oster-<br />
Überraschung. Auch auf dem Campus Festival werden wir<br />
dieses Jahr dabei sein. Wichtiger ist aber, dass wir auch im<br />
Jubiläumsjahr möglichst viele Studierende mit unseren Leistungen<br />
unterstützen können. Deshalb konzentrieren wir uns<br />
vor allem weiterhin auf unsere Arbeit.«<br />
C: »Was bedeutet das für Sie, was sind Ihre<br />
Aufgaben als Geschäftsführer?«<br />
HB: »Im Prinzip ist meine Hauptaufgabe, allen Seezeit-Mitarbeitern<br />
den Rücken freizuhalten, damit sie in Ruhe arbeiten<br />
können. Ich kümmere mich um die Rahmenbedingungen,<br />
pflege und knüpfe Kontakte, bin Schnittstelle zu den Hochschulen,<br />
Studierenden, der Gemeinde und Politik und versuche,<br />
geeignete Kompromisse zu finden. Ich bin ständig im Gespräch<br />
mit Studierenden, Professoren, Politikern, Gemeinderäten<br />
und vielen anderen Verantwortungsträgern und versuche<br />
dabei, zu vermitteln. Ich würde mich selbst als Überzeugungs-<br />
Täter bezeichnen, weil ich diesen Job mache, um Studierende<br />
zu unterstützen.«<br />
C: »Weshalb wollten Sie Geschäftsführer bei<br />
Seezeit werden?«<br />
HB: »Ich wollte schon immer Verantwortung tragen. Was<br />
Wichtiges machen. Und ich habe selbst in meiner Studienzeit<br />
so viel Unterstützung durch das Studierendenwerk in Karlsruhe<br />
erfahren, dass ich das weitergeben wollte. Ich sehe es<br />
als meine Lebensaufgabe an, dass die Studis und Mitarbeiter<br />
ihr Potenzial entwickeln und entfalten können.«<br />
20
C: »Welche Veränderungen hatten seit der<br />
Gründung von Seezeit 1969 den größten Einfluss<br />
auf das Studierendenwerk?«<br />
C: »Die Finanzierung solcher Projekte ist ja bestimmt nie<br />
einfach. Wie läuft das, muss Seezeit dafür Gewinn<br />
machen? Und wenn ja, wie verdient Seezeit Geld?«<br />
HB: »Seit dem 1999 das Gesetz zur Reform der Studentenwerke<br />
verabschiedet wurde, haben alle Studierendenwerke<br />
etwas mehr Freiheit in der unternehmerischen Gestaltung.<br />
Wir sind nach wie vor eine Anstalt öffentlichen Rechts, müssen<br />
uns im Rahmen des Studierendenwerksgesetzes bewegen<br />
und unterstehen der Rechtsaufsicht des Wissenschaftsministeriums.<br />
Aber seit der Reform dürfen und müssen wir<br />
eigenverantwortlich und wirtschaftlich haushalten, um unseren<br />
sozialen Auftrag erfüllen zu können.«<br />
C: »Was hat sich nicht verändert?<br />
Was hat sich bewährt?«<br />
HB: »Eigentlich die Einstellung oder das Motto (wenn man<br />
so sagen will) von Seezeit. Wir wollen die Studierenden unterstützen,<br />
fördern, helfen, um für Chancengleichheit im Bildungssystem<br />
zu sorgen.«<br />
C: »Sie sind jetzt seit sieben Jahren Geschäftsführer bei<br />
Seezeit, was war ihr bisher prägendstes Erlebnis?«<br />
HB: »Dazu gehört mit Sicherheit die Renovierung unseres<br />
Kinderhauses am Sonnenbühl. Das Gebäude war baufällig<br />
und dringend renovierungsbedürftig, auch die Heizung funktionierte<br />
nicht mehr, worunter die Kinder und Mitarbeiter<br />
gelitten haben. Daher war die Situation nicht mehr tragbar.<br />
Schon die Finanzierung des geplanten Umbaus zu sichern,<br />
war eine große Herausforderung. Richtig turbulent wurde es<br />
dann aber, als die Architektin ausfiel und ich eineinhalb Jahre<br />
lang, beinahe täglich, auf der Baustelle war, um organisatorische,<br />
technische und emotionale Unterstützung zu leisten. Ich<br />
bin sehr froh und stolz darauf, dass wir das Projekt gemeinsam<br />
mit allen Beteiligten ohne einen einzigen Tag außerplanmäßiger<br />
Schließzeit erfolgreich gestemmt haben. Heute bieten<br />
wir im Seezeit Kinderhaus 80 Kindern eine hervorragende<br />
Betreuung, damit ihre Eltern sich voll und ganz auf ihr Studium<br />
konzentrieren können.«<br />
Kinderhaus Sonnenbühl<br />
HB: »Seezeit verdient Geld, arbeitet aber nicht gewinnorientiert.<br />
Wir machen natürlich Umsatz, etwa durch die Mieten<br />
in den Wohnanlagen und die Mensa, aber diese Umsätze<br />
fließen direkt wieder in den laufenden Betrieb und in Rücklagen.<br />
Rücklagen brauchen wir beispielsweise für die Sanierung<br />
der Wohnanlagen. Seezeit wirtschaftet so, dass wir größtenteils<br />
unsere eigenen Kosten decken können. Um das mal<br />
mit Zahlen zu verdeutlichen: Wir nehmen ungefähr 75% des<br />
benötigten Geldes durch Wohnheim-Mieten und Mensen ein,<br />
10% durch Semesterbeiträge, 5% durch Bafög-Aufwandsentschädigung<br />
des Wissenschaftsministeriums und die letzten<br />
10% der Kosten werden durch Landes- und Kommunalzuschüsse<br />
gedeckt.«<br />
C: »Viele Studierende wollen sich bei Seezeit sicher<br />
einbringen, nur wissen nicht genau wie und bei was.<br />
Wie kann man seine Meinung einbringen, und wo<br />
können sich Studierende bei Seezeit aktiv beteiligen<br />
und den Uni-Alltag mitgestalten?«<br />
HB: »Da gibt es viele Möglichkeiten. Grundsätzlich ist die<br />
Meinung von den Studis immer erwünscht, egal, ob über Social<br />
Media, über Meinungskarten oder persönlich. Gerne einfach<br />
bei mir im Büro vorbeikommen, meine Tür steht jederzeit<br />
offen. Und die Beteiligung ist mehr als nur erwünscht.<br />
Man kann in vielen Gruppen oder Gremien mitarbeiten, sei<br />
es bei der Studierendenvertretung, mit der ich regemäßig im<br />
Austausch bin, oder in unseren Aufsichtsgremien: Die Vertretungsversammlung<br />
(Legislative) und der Verwaltungsrat (Exekutive)<br />
bestehen jeweils zu etwa einem Drittel aus Studierenden.<br />
Auch mit unseren Nebenjobs für Studis kann man<br />
ein Teil von Seezeit werden und direkt mit den fest angestellten<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammenarbeiten,<br />
Einblicke in die administrative sowie organisatorische Arbeit<br />
von Seezeit bekommen und Ideen einbringen. Etwa bei der<br />
Campuls, in der Mensa, im CampusCafé, in der Strandbar, im<br />
Seezeit-Shop oder als Aushilfe bei den Ein- und Auszügen in<br />
den Wohnanlagen.«<br />
C: »Wie war denn Ihre Studienzeit und woran erinnern Sie<br />
sich am liebsten?«<br />
HB: (lacht) »An die Mensa erinnere ich mich am liebsten. Das<br />
Essen war lecker und günstig. Mein Studium war eine schöne<br />
Zeit, die Teamarbeit im Studium hat mir Spaß gemacht<br />
und auch die Laborarbeiten waren interessant. Abgesehen<br />
von dem heftigen Prüfungsdruck in Mathe war es eine tolle<br />
Zeit.«<br />
C: »Zum Schluss eine letzte Frage als Überleitung zum<br />
Interview mit Mensa-Leiter Jürgen Doser. Was ist<br />
denn Ihr Lieblingsessen in der Mensa Gießberg?«<br />
SEEZEIT<br />
HB: (lacht) »Oh, das ist schwierig. Mir schmeckt eigentlich<br />
alles. Aber die Lasagne finde ich sehr lecker, die schmeckt<br />
wie zu Hause, denn die Köche nehmen sich für die Zubereitung<br />
Zeit und kochen mit Bio-Hackfleisch. Das finde ich toll.«<br />
21
Seezeit kümmert sich auch um das kulinarische<br />
Angebot an der Universität Konstanz, welches sich über die<br />
Gießberghütte mit Bratwurst über ein vielfältiges Mittagsangebot<br />
sowie Abendessen in der Mensa bis hin zu kleinen<br />
Snacks in den Cafés erstreckt – doch wie viel Essen wird<br />
da wirklich produziert? Verschwindet tatsächlich so viel<br />
Besteck? Was passiert mit dem Abfall? Jürgen Doser,<br />
Mensa- und Küchenleiter, stellte sich den hungrigen Fragen<br />
und fütterte uns mit ein paar neuen Informationen.<br />
SEEZEIT<br />
Campuls: »Wer entscheidet eigentlich,<br />
welches Essen in der Mensa gekocht wird?«<br />
Jürgen Doser (JD): »Also prinzipiell erstellen meine Kollegen<br />
und Kolleginnen und ich einen fixen Speiseplan, der sich immer<br />
nach sechs Wochen wiederholt. Das hat sich bewährt,<br />
weil wir ja mit großen Mengen planen müssen. Da braucht<br />
man schon einen klar gesetzten Speiseplan, nach dem man<br />
sich richten kann. Doch diesen Plan passen wir natürlich kontinuierlich<br />
an… Der Geschmack der Studis, der Zeitgeist und<br />
das Angebot der Lieferanten verändern sich und da gehen<br />
wir natürlich mit. Außerdem gibt es saisonale Abweichungen,<br />
zum Beispiel in der Weihnachtszeit den Weihnachts-Seezeit-Teller<br />
oder wenn Spargel-Saison ist, gibt’s mal was mit<br />
Spargel. Und wenn wir ein neues Rezept in den Speiseplan<br />
aufnehmen möchten, dann muss das gemeinsam mit unserem<br />
Produktmanager ausprobiert und ganz klar durchdacht<br />
werden, ob dieses Gericht tatsächlich in so großen Mengen<br />
umsetzbar wäre.«<br />
C: »Und wieso bleibt man nicht einfach bei den<br />
Klassikern und probiert so ausgefallene Rezepte aus?«<br />
JD: (lacht) »Na ja, in der größten Mensa im Umkreis, an der<br />
Universität Konstanz, haben wir zehn verschiedene Menü-Linien,<br />
die alle bedient werden wollen. Wir wollen Abwechslung<br />
bieten. Wäre ja auch blöd, wenn es jede Woche dasselbe geben<br />
würde. Somit geben wir allen Studierenden die Chance,<br />
dass etwas dabei ist, das ihnen schmeckt. Und es kann schon<br />
mal passieren, dass da Gerichte dabei sind, die nicht für jeden<br />
was sind, Geschmäcker sind eben verschieden. Und damit<br />
niemand benachteiligt wird, wandern die verschiedenen Gerichte<br />
durch die verschiedenen Menü-Linien. Das heißt, mal<br />
gibt es einen veganen Seezeit-Teller, mal einen veganen Eintopf,<br />
damit es vom Angebot und Preis her ausgeglichen ist.«<br />
C: »Und was sind das für Größenverhältnisse in<br />
der Mensa an der Uni Konstanz? Wie viele Teller<br />
gehen da jeden Tag raus?"<br />
JD: »Also im Wintersemester, während der Vorlesungszeit,<br />
kommen wir allein am Gießberg schon auf 5000 Teller am<br />
Tag. Dazu kommen dann noch ca. 1000 selbst belegte Brötchen<br />
und Snacks. Das ist schon eine große Menge, da braucht<br />
man viele Leute, die das stemmen können. Rund 40 Festangestellte<br />
und 30 studentische Aushilfen – je nach Semesterphase<br />
mal etwas mehr oder weniger – arbeiten auf den drei<br />
Stockwerken, auf denen sich die Mensa ausbreitet.«<br />
C: »Was passiert mit dem übrig gebliebenen Essen?«<br />
JD: »Alle Reste von den Tellern und aus der <strong>Ausgabe</strong> (auch<br />
Salat und Brötchen) müssen ausnahmslos entsorgt werden.<br />
Diese werden an Biogasanlagen weitergegeben und dort verwertet.<br />
Die übriggebliebenen Speisen, die noch in der Küche<br />
sind, dürfen wir wiederverwenden, sofern sie dazu geeignet<br />
sind. Dazu müssen sie innerhalb von 90 Minuten auf neun<br />
Grad heruntergekühlt werden. Wenn dieses sogenannte<br />
‚Rück-Kühlverfahren‘ gewährleistet ist, verwenden wir die Komponenten<br />
beim Abendessen oder am nächsten Tag wieder.«<br />
C: »Und wie ist das mit dem Geschirr und Besteck?<br />
Verschwindet da tatsächlich so viel?«<br />
JD: »Ja, das fällt schon auf. Im Jahr verschwinden zum Beispiel<br />
um die 600 Teller. Erst letztens mussten wir wieder<br />
nachbestellen. Auch die Salz- und Pfefferstreuer verschwinden<br />
immer wieder von den Tischen.«<br />
Jürgen Doser<br />
Es ist immer wieder überraschend, wie viel Arbeit hinter<br />
den kleinsten Dingen steckt, zum Beispiel die Organisation<br />
der Geburtstags-Specials oder die Planung eines neuen<br />
Mensa-Essens und wie viel geplant, organisiert und getan<br />
werden muss, damit der Alltag von insgesamt knapp 27.000<br />
Studierenden reibungslos verläuft. Campuls dankt Helmut<br />
Baumgartl und Jürgen Doser für das Gespräch und wünscht<br />
alles Gute zum Geburtstag.<br />
22
Text: Charlotte Kurz<br />
Fotos: Seezeit<br />
Klimafairer Kaffeegenuss<br />
finanziert Ökostromanlagen<br />
und lokale Projekte<br />
»Our house is on fire. I’m here to say, our house is on fire.” So lauten die Worte einer Rednerin<br />
beim Weltwirtschaftsforum im Januar 2018 in Davos, mit dem Haus meint sie unseren Planeten<br />
Erde. Bei der Rednerin handelt es sich nicht um eine Politikerin oder Unternehmerin,<br />
sondern um ein 16-jähriges Mädchen aus Schweden. Greta Thunberg, bekannt geworden<br />
durch den Schulstreik für das Klima, hat erkannt, dass von Seiten der Politik und Wirtschaft<br />
viel zu wenig unternommen wird, um die gefährlichen Folgen des Klimawandels abzuwenden.<br />
Vor gut zehn Jahren ging es Heidelberger<br />
Schüler_innen ähnlich. Im Rahmen eines<br />
Schülerprojektes durften sie unter anderem<br />
am Welttreffen der Friedensnobelpreisträger_innen<br />
teilnehmen und erkannten,<br />
dass dort alle über Klimaschutz, nachhaltige<br />
Entwicklung und Frieden sprachen und<br />
diese Aufgaben nur global und gemeinsam<br />
lösbar sein können.<br />
Aus der Idee, die Lösung der drei Aufgaben<br />
gemeinsam anzugehen, entstand im Jahr 2010<br />
das Projekt der gemeinnützigen Klimaschutz+<br />
Stiftung e.V., die in Ökostromanlagen investiert,<br />
um die Energiewende zügig voranzubringen. Die<br />
Stiftung erhält Geld über direkte Spenden,<br />
Ausgleichsbeiträge oder über die Kooperation<br />
mit Ökostromplus. »Bei Klimaschutz+ geht<br />
es darum, die Förderung neuer Ökostromanlagen<br />
mit einem lokalen Partizipationsmodell<br />
zu verbinden«, erklärt Peter Kolbe, Vorstandsmitglied<br />
der Stiftung.<br />
Diese lokalen Projekte erzielen Gewinne<br />
und so wurden durch die Anlage von Konstanzer<br />
Geldern, unter anderem von Seezeit,<br />
anteilig 1.537,11 Euro im Jahr 2018 erzielt.<br />
Damit stellt der Konstanzer Gewinn einen<br />
großen Teil der Gesamterträge der Stiftung<br />
dar. 2018 waren es rund zehn Prozent. Die<br />
eineinhalbtausend Euro fließen in den<br />
sogenannten Konstanzer Bürgerfonds, der<br />
Gruppen und Ideen vor Ort fördert.<br />
»‚Our house is on fire.<br />
I’m here to say, our house<br />
is on fire.‘ So lauten die<br />
Worte einer Rednerin beim<br />
Weltwirtschaftsforum im<br />
Januar 2018 in Davos, mit<br />
dem Haus meint sie unseren<br />
Planeten Erde.«<br />
SEEZEIT<br />
Sieben Jahre nach der Gründung erfuhr Seezeit<br />
von der deutschlandweit aktiven Stiftung<br />
und entschied sich, mit ihr zu kooperieren. »Als<br />
ich das Konzept dem Seezeit-Team vorgestellt<br />
habe, war ich begeistert, wie sehr sich das<br />
Team mit Nachhaltigkeit auskennt«, erinnert<br />
sich Kolbe.<br />
Konkret aktiv werden Studierende in der<br />
Bodenseeregion über die bei der Stiftung angesiedelte<br />
Initiative Climate Fair To Go: Beim<br />
Kauf eines Heißgetränks an den Selbstbedienungsmaschinen<br />
spendet Seezeit einen Cent<br />
pro Getränk. Wer sich an der SB-Maschine<br />
vor dem CampusCafé einen Pappbecher nimmt,<br />
kann freiwillig zehn Cent spenden. Dieser<br />
finanzielle Ausgleich der Umweltfolgekosten,<br />
insgesamt 14.124 Euro im Jahr 2018, gehen<br />
an die Stiftung, die mit dem Geld lokale<br />
oder regionale erneuerbare Energieprojekte<br />
wie zum Beispiel Photovoltaikanlagen, aber<br />
auch energiesparende LED-Beleuchtungskonzepte<br />
für Cafés oder Supermärkte aufbaut.<br />
Hier knüpft die zweite Idee der Stiftung<br />
an: die Förderung eines lokalen Partizipationsmodells.<br />
Konstanzer Projekte und<br />
Gruppen können sich jedes Jahr für die<br />
Förderung bewerben. Mitentscheiden, welches<br />
Projekt die Förderung erhält, dürfen<br />
alle, die direkt an die Stiftung spenden, egal<br />
ob einmalig, monatlich oder jährlich oder<br />
die über Ökostromplus Strom beziehen.<br />
Ökostromplus kann wie ein ganz normaler<br />
Stromanbieter ausgewählt werden, mit dem<br />
Unterschied, dass der Strom aus rein<br />
erneuerbaren Energiequellen stammt.<br />
Ende 2018 kamen in Konstanz so insgesamt<br />
elf Mitstifter_innen zusammen und entschieden<br />
sich mit Stimmengleichheit für zwei<br />
Projekte: Die Hälfte der Erträge geht<br />
jeweils an das HTWG-Projekt »Appetite for<br />
Change« und an das Café Mondial.<br />
23
KREUZWORTRÄTSEL<br />
38 14 18 37 26 8 16 15 27 37 19 34<br />
KULTUR<br />
Einsendeschluss: 21.6., Einsendungen an l.luttenberger@posteo.de, Zu gewinnen: 9 Studierenden-Karten für das Bodensee-Planetarium<br />
17<br />
27<br />
33<br />
5<br />
9<br />
13<br />
30<br />
37<br />
40<br />
1<br />
31<br />
6<br />
21 22 23<br />
2 3 4<br />
18<br />
34<br />
7<br />
14<br />
24<br />
10<br />
15<br />
28 29<br />
35 36<br />
38<br />
16<br />
25<br />
11<br />
19 20<br />
32<br />
12<br />
26<br />
39<br />
8<br />
-›-›- WAAGERECHT 5 Osteuropäische U-Bahn 9 Stadt in Japan<br />
10 Begeisterter Computerspiel-Ausruf 12 … und nicht anders<br />
13 »To build« als deutsches Substantiv 15 Das Gegenteil von<br />
chronisch, medizinisch gesehen 17 Durcheinandergewürfeltes<br />
Haus 18 Teil der ungarischen Hauptstadt, wo Buddha<br />
nicht wohnt 19 Sommer in Paris 21 Kommt vor dem Sturm<br />
24 Eis-, See-, oder Braun-, gibt es auch in schwarz und zum<br />
Waschen 26 Großer Bruder von Tl 27 Adresse endet auf<br />
Pl., Weg oder… 28 Drinkable »Ass« 29 Schrumpft angeblich<br />
durch Salatkonsum 30 So viele Adelige auf Konstanzer Plätzen<br />
33 Strandbad 34 Ehemaliger TV-Moderator, der rückwärts<br />
gelesen ein langgezogener Trinkort ist 36 Nicht früher,<br />
nicht jetzt, nicht später 37 Wenn er steigt, singt das Niveau<br />
38 Nordeuropäisches Land in Form einer einarmigen Frau 40<br />
So ein -ismus…<br />
-›-›-<br />
SENKRECHT 1 Prophet oder Sohn 2 Waliger Wirbelsturm<br />
ohne Ende 3 Benjamin und Otto haben sich hier immer<br />
wohl gefühlt 4 Der kleine Bruder der Klassenarbeit 5 Haupthaarknödel<br />
des Zauberflötenkomponisten 6 Ein nicht<br />
auszusprechendes Gesellschaftsspiel 7 Verteilt Strafzettel<br />
(Abk.) 8 Gewissensberuhigung für den Erfinder von Dynamit,<br />
Belohnung für manch anderen 10 Schulabschlussmotto:<br />
… - der schärfste Jahrgang der Welt 11 Ohne dies<br />
schmeckt so manche Burg fad 14 Nicht nur in »9« und »38«<br />
waagerecht, sondern auch in »35« senkrecht und auch anderswo<br />
16 Abkürzung Kriminaltechnik 20 Ein Konsonant<br />
am Anfang, vier Vokale am Ende, davon dreimal der gleiche<br />
in der Mitte 22 Macht die Oma älter 23 Was Wäsche,<br />
ein Computerprogramm und ein Galgenopfer gemeinsam<br />
haben können 25 Nicht drei Autos, sondern… 31 Gebiet der<br />
»34« senkrecht 32 Kleinwüchsige menschenähnliche Fabelwesen<br />
34 Ein wirklicher Supermarkt 35 Bistro Arche 39<br />
So macht die Kuh<br />
24
GLOSSE: CHARLOTTE KRAUSE<br />
ILLUSTRATION: JULIA HERZOG<br />
D äß MÄrchen vom<br />
glitzerndgroßSäugigen<br />
Zähnburßtenßchnäuzchenßkifä<br />
hrerlein<br />
Es war einmal ein junges Mädchen, das sich nach vielen Achs und Wenns auf die Suche nach<br />
der großen Liebe machte. Und da sie es bald leid war, die immer gleichen Drinks in den immer<br />
gleichen verrauchten Bars zu schlürfen und, schüchtern wie sie war, verstohlene Blicke durch den<br />
Raum wandern zu lassen, beschloss sie kurzerhand, sich stattdessen auf den Tinder-Ball zu begeben,<br />
um sich dort auf die Suche nach ihrem Seelenverwandten zu machen. Stundenlang überlegte<br />
sie, was sie anziehen könnte. Schließlich waren alle geladenen Gäste im Tinder-Schloss geradezu<br />
unverschämt schön und perfekt, was auf zahlreichen Fotos dokumentiert wurde.<br />
An dieser Stelle überspringen wir ihre aufregende Reise und gehen direkt zum Happy End<br />
über. Die Moral von der Geschicht‘: Was das Mädchen suchte, fand es auch bald. Er, sie, nein! – Es<br />
war absolut perfekt. Diese Perfektion kannte kein Geschlecht. Alles, was das Mädchen liebte, liebte<br />
auch ihr Gegenüber. Bald bluteten ihrer beider Finger, weil sie sich gar nicht schnell genug rote<br />
Herzemojis hin- und herschicken konnten. Was habe ich ein Glück, dachte sich das Mädchen, dass<br />
ich so schnell das glitzerndgroßäugige Zahnbürstenschnäuzchenskifahrerlein kennengelernt habe.<br />
Es war wunderschön, trug Dirndl, hatte sehr große Brüste und langes, perfekt glänzendes<br />
Haar. Es liebte Wandern, genauso wie das Mädchen. Und Segeln. Es stürzte sich waghalsig mit<br />
Gleitschirmen in die Tiefe und fuhr Ski auf schwarzen Pisten. Auf manchen Bildern, die es dem<br />
Mädchen von sich zeigte, transformierte es sich sogar, hatte eine kleine Hundeschnauze und<br />
glitzernde Blümchen im Haar.<br />
Was das Mädchen besonders glücklich machte: Das Zahnbürstenschnäuzchenskifahrerlein<br />
lächelte sie immerzu an und trank Kaffee dabei, hörte mit großen Kopfhörern Musik von alt-J und<br />
Milky Chance und schaute dabei verträumt in die Ferne. Oft saß es nachdenklich am Strand und<br />
betrachtete den rötlichen Sonnenuntergang. Es liebte Tiere, vor allem kleine Hundewelpen oder<br />
Katzenbabys. Und ab und zu schaute es das Mädchen mit seinen überdimensional vergrößerten<br />
Augen tief, vielleicht sogar ein bisschen sexy, an. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber<br />
manchmal wurde dem Mädchen ganz anders, wenn das Zahnbürstenschnäuzchenskifahrerlein ihr<br />
seinen blanken Hintern in einem sehr knappen Höschen präsentierte und sich im Fitnessstudio<br />
seitlich stellte, sodass sie die gut trainierten Oberarme bewundern durfte.<br />
Das Lieblingsbild vom Zahnbürstenschnäuzchenskifahrerlein steht nun direkt auf dem<br />
Schreibtisch des Mädchens. Es hat sich dabei verschlafen vor einem Badezimmerspiegel fotografiert,<br />
frech grinsend mit einer Zahnbürste im Mund und einem kleinen, schnuckeligen Zahnpastafleck<br />
am Kinn. Seitdem das Mädchen es liebt, fühlt es sich, als hätte es LSD geschluckt und würde<br />
gemeinsam mit Marry Poppins in ein mit Kreide gemaltes Bild springen, um nackt zu Superkalifragilistikexpialigetisch<br />
zu tanzen.<br />
Das Mädchen und das glitzerndgroßäugige Zahnbürstenschnäuzchenskifahrerlein sind<br />
ein schrecklich glückliches Paar, was man auf ihren Instagram-Profilen (@yourprincess und @<br />
lovehunter) sehen kann. Als nächstes haben sie überlegt, sich ein gemeinsames Haustier anzu-<br />
schaffen. Demnächst wird eine eierlegende Wollmilchsau das perfekte Duo komplementieren.<br />
Diese haart nicht und kackt auch nicht ein einziges Mal.<br />
25
Text: Charlotte Krause<br />
Fotos: Malin Jachnow<br />
Illustration: Mai Linh Bui<br />
GENERATION<br />
PILLE<br />
Immer mehr Frauen in Deutschland setzen die<br />
Antibabypille ab. Handelt es sich um einen neuen<br />
Gesundheitstrend oder eine berechtigte Reaktion<br />
auf ein Medikament, das in den letzten Jahrzehnten<br />
vielleicht zu leichtfertigt verschrieben wurde?<br />
Sina Oberle<br />
KULTUR<br />
Ich treffe Sina Oberle im Café N°elf in der Konstanzer Innenstadt,<br />
um mit ihr über Verhütung zu reden. Ein Thema,<br />
das normalerweise hinter geschlossenen Türen zwischen<br />
zwei (oder mehreren) Menschen besprochen wird,<br />
die gern miteinander schlafen wollen. In letzter Zeit wird<br />
die Verhütung aber ebenfalls in sozialen Netzwerken und<br />
Medien immer öfter diskutiert. Sina ist schlank, hat lange<br />
blonde Haare und freundliche Augen. Ich bin auf Sina aufmerksam<br />
geworden, weil sich eine Freundin von mir vor<br />
Kurzem für das Absetzen der Pille entschieden hat. Daher<br />
fing meine Freundin an, den Podcast GENERATION PILLE<br />
zu hören, den Sina gemeinsam mit ihrer Kollegin Isabel<br />
Morelli ins Leben gerufen hat. Er beschäftigt sich mit allgemeiner<br />
Frauengesundheit und explizit mit Auswirkungen<br />
der Antibabypille auf den Körper.<br />
Heutzutage werden neben den Vorteilen vermehrt die teils<br />
vermeintlichen Nebenwirkungen eben dieser »Wunderpille«<br />
thematisiert, beispielsweise ein erhöhtes Thromboserisiko,<br />
Verlust der Libido, depressive Verstimmungen<br />
bis hin zur Suizidgefahr. Seit Todesfälle medial die Runde<br />
machen, zum Beispiel der Fall der jungen Engländerin<br />
Abbey Parks, die durch die Einnahme der Pille an einer<br />
Lungenembolie verstarb, setzen immer mehr Frauen die<br />
Pille ab. Dennoch ist sie nach wie vor das Verhütungsmittel<br />
Nummer eins in Deutschland. Wie kann das sein?<br />
26
Genau dieser und weiteren Fragen widmet sich<br />
Sina gemeinsam mit ihrer Kollegin in ihrem Blog<br />
und dem dazu passend ins Leben gerufenen Podcast<br />
GENERATION PILLE. Sina studierte an der<br />
HTWG Wirtschaftsinformatik und arbeitete in Konstanz<br />
als Produktmanagerin. Später machte sie eine<br />
Ausbildung zur Ernährungsberaterin. Inzwischen<br />
ist es ihr Hauptberuf, als Health Coach Mädchen<br />
und Frauen über die Nebenwirkungen und Folgen<br />
der Pille aufzuklären. Dabei konzentriert sie sich<br />
auf hormonelle Beschwerden, die während der<br />
Einnahme oder nach dem Absetzen der Pille auftreten<br />
können, wie dem Ausbleiben der Periode,<br />
Stimmungsschwankungen und Akne. Ihre Kollegin<br />
Isabel klärt in ihrem Coaching ausgleichend dazu<br />
über die allgemeine Frauengesundheit und natürliche<br />
Verhütung auf.<br />
oftmals nur mangelhaft beraten fühlen. Zwar wirke<br />
die Pille zum Beispiel durch das Unterdrücken von<br />
Testosteron gegen Hautunreinheiten – beim Absetzen<br />
dieser, zum Beispiel bei Kinderwunsch oder<br />
aus Unverträglichkeitsgründen, würden jedoch alle<br />
Probleme, die durch die Pille maximal aufgeschoben<br />
würden, zurückkommen. »Vor dem Absetzen<br />
hatte ich Bedenken, dass die Hautprobleme wiederkommen<br />
würden. Meine Hautunreinheiten waren<br />
unglücklicherweise dann noch viel schlimmer<br />
als mit 14 Jahren, nur dass ich inzwischen 26 Jahre<br />
alt war und voll im Berufsleben stand. Zusätzlich<br />
hatte ich mit Haarausfall zu kämpfen und mein natürlicher<br />
Zyklus wollte sich einfach nicht einstellen.<br />
Ich habe meine Regel fast anderthalb Jahre nach<br />
dem Absetzen nicht bekommen«, erzählt Sina. Ihr<br />
Frauenarzt empfahl ihr daraufhin wieder die Pille.<br />
»Viele Frauen schreiben uns Mails und sind verunsichert,<br />
ob bestimmte körperliche oder psychische<br />
Beschwerden etwas mit der Einnahme der Pille zu<br />
tun haben«, verrät mir Sina. Die einstmals als revolutionär<br />
geltende Antibabypille für die Frau, die<br />
es ihr ermöglicht, ohne Angst vor einer ungewollten<br />
Schwangerschaft ihre Sexualität ausleben zu<br />
können, gilt nun als risikobehaftet. Die Pille kam<br />
1960 in den USA auf den Markt, zunächst als Mittel<br />
gegen Menstruationsbeschwerden, und war ab<br />
1961 auch in Deutschland erhältlich, allerdings nur<br />
für verheiratete Frauen, die bereits Kinder hatten.<br />
Dennoch veränderte die Pille maßgeblich die Gesellschaft,<br />
da Sexualität und Fortpflanzung nicht<br />
mehr miteinander einhergehen mussten.<br />
»Heutzutage werden neben den<br />
Vorteilen vermehrt die teils vermeintlichen<br />
Nebenwirkungen eben<br />
dieser ›Wunderpille‹ thematisiert,<br />
beispielsweise ein erhöhtes Thromboserisiko,<br />
Verlust der Libido,<br />
depressive Verstimmungen bis hin<br />
zur Suizidgefahr.«<br />
Sina erzählt mir, dass sie selbst knapp zwölf Jahre<br />
lang die Pille genommen hat, die sie schon Jahre<br />
vor dem ersten Sex verschrieben bekam, um ihre<br />
Hautprobleme in den Griff zu bekommen. Dabei<br />
handelte es sich ihrer Aussage nach um ein fünf<br />
minütiges Gespräch beim Frauenarzt. »Wegen meiner<br />
Haut war ich wahnsinnig unglücklich. Ich wollte<br />
einfach nur die Akne loswerden. Nach verschiedenen<br />
Besuchen bei diversen Hautärzten ging meine<br />
Mutter mit mir schlussendlich zum Frauenarzt, der<br />
mir gegen die Akne die Antibabypille verschrieb.<br />
Ich wurde weder körperlich untersucht noch über<br />
die Nebenwirkungen aufgeklärt.« Die gebürtige<br />
Konstanzerin verrät, dass ihre Erfahrung kein Einzelfall<br />
sei. Viele Frauen wenden sich an sie und<br />
ihre Kollegin, weil sie sich von Frauenärzt_innen<br />
Das Thema Hauptprobleme wirkt auf den ersten<br />
Blick etwas trivial, ist aber mit einer der Hauptgründe,<br />
warum in Deutschland die Antibabypille<br />
verschrieben wird, und das zumeist an junge Frauen<br />
unter 18. Allerdings ist in Deutschland das Verschreiben<br />
oraler Verhütungsmittel an Patientinnen<br />
unter 18 als Medikament gegen Akne juristisch verboten.<br />
Ärzt_innen und Gynäkolog_innen bewegen<br />
sich damit in einer gefährlichen Grauzone.<br />
Sina begann damals aufgrund ihrer immer schlimmer<br />
werdenden Akne, auf eigene Faust zu recherchieren.<br />
Zur Pille wollte sie nicht mehr zurück.<br />
Bei ihren Nachforschungen traf sie auf zahlreiche<br />
Anfragen und Hilferufe von jungen Mädchen und<br />
Frauen, die sich alle auf die Pille beziehungsweise<br />
deren Absetzung bezogen. Es wurde von Menstruationsbeschwerden<br />
berichtet, dem Fehlen der Lust<br />
auf den eigenen Freund und dem monatelangen<br />
Ausbleiben der Periode nach dem Absetzen.<br />
»Allerdings ist in Deutschland das<br />
Verschreiben oraler Verhütungsmittel<br />
an Patientinnen unter 18 als<br />
Medikament gegen Akne juristisch<br />
verboten. Ärzt_innen und Gynäkolog_<br />
innen bewegen sich damit in einer<br />
gefährlichen Grauzone.«<br />
»Die Pille ist ein Medikament und sollte auch als<br />
ein solches behandelt werden«, betont Sina immer<br />
wieder. Dieses sollte nicht wie Smarties einfach<br />
lustig eingeworfen werden, da bei der Einnahme<br />
von Arzneimitteln mit Nebenwirkungen zu rechnen<br />
ist. »Viele vergessen, dass die Pille nicht Hormone,<br />
sondern Hormonersatzstoffe beinhaltet, die nicht<br />
den körpereigenen Hormonen einer Frau gleichen.<br />
Nach dem Absetzen der Pille muss der Körper<br />
erst wieder lernen, diese Hormone selbst herzustellen«,<br />
erklärt Sina. Dem weiblichen Körper wird<br />
KULTUR<br />
27
KULTUR<br />
während der Einnahme der Pille eine Schwangerschaft<br />
vorgetäuscht, was eine Unterdrückung des Eisprungs zur<br />
Folge hat. Dementsprechend fährt der Körper die eigene<br />
Hormonproduktion herunter. Aufgrund dieses Mechanismus<br />
hat vor allem Isabel Morelli gelitten, die, wie sie in<br />
einer Podcast-Folge von GENERATION PILLE humorvoll<br />
erzählt, nach dem Absetzen der Pille mit Anfang 20 den<br />
Hormonhaushalt einer alten Frau gehabt habe.<br />
Nach einem Jahr begann Sina einen Blog über ihre Erfahrungen<br />
zu schreiben, bis sie in einer Facebook-Gruppe auf<br />
Isabel stieß. Heute bieten die beiden Frauen mit GENE-<br />
RATION PILLE gemeinsam einen Blog mit Tipps und Tricks<br />
für eine hormonfreie Verhütung an und klären über die<br />
Nebenwirkungen der Pille auf. Sina betont explizit, dass<br />
beide generell nichts dagegen haben, wenn Frauen diese<br />
als Verhütungsmethode in Betracht ziehen und einnehmen.<br />
»Ich selbst hatte während der Einnahme der Pille<br />
nicht das Gefühl, besondere Nebenwirkungen zu spüren.<br />
Nur wurde mir nach dem Absetzen klar, dass die ziemlich<br />
gleichbleibende emotionale Gefühlslage während der Einnahme<br />
für meine Stimmung ohne hormonellen Einfluss<br />
nicht normal ist. Ohne Pille war ich auf einmal verschiedenen<br />
Gefühlsregungen ausgesetzt, die mich und mein<br />
Verhalten je nach Zyklusphase veränderten. Die Pille ist<br />
ein sicheres Verhütungsmittel, aber die Entscheidung für<br />
sie sollte mit Bedacht getroffen werden«, stellt Sina klar.<br />
Grundsätzlich findet sie, dass sich ganz eindeutig etwas<br />
im Umgang mit der Pille in unseren Arztpraxen ändern<br />
muss. Da die Pille auch häufig medizinisch verordnet würde,<br />
während sich eine Patientin noch in der Pubertät befindet,<br />
lerne diese ihren Körper erst in späteren Jahren ohne<br />
besagte Zusatzersatzhormone kennen. »Diese Entwicklung<br />
finde ich schwierig. Als junges Mädchen interessiert es<br />
dich oftmals nicht, was für Nebenwirkungen ein Medikament<br />
haben könnte. Du möchtest einfach schnelle Resultate<br />
haben: eine reine Haut oder eine einfache und praktische<br />
Verhütungsmethode«, gibt Sina zu bedenken. Daher<br />
mag auch der Name des Blogs und Podcasts GENERATION<br />
PILLE rühren, der auf eine gesellschaftliche Entwicklung<br />
verweist, die die Antibabypille als die einzig sinnvolle Verhütungsmethode<br />
anpreist. Außerdem, fügt sie hinzu, werde<br />
bei all den emanzipatorischen Errungenschaften für die<br />
Frau seit der Etablierung der Pille außer Acht gelassen, dass<br />
damit das Thema Verhütung trotzdem Frauensache bleibt.<br />
Sie wünscht sich eine beide Geschlechter gleichermaßen<br />
betreffende Aufklärung über Verhütung, die gerne bereits<br />
in der Schule beginnen kann, wo mehr als in einer Doppelstunde<br />
im Biounterricht über Verhütungsmethoden und<br />
deren Folgen geredet wird.<br />
Sina sieht daher ihren und Isabels Blog und Podcast GE-<br />
NERATION PILLE als ein Zusatzangebot für Frauen an, die<br />
sich durch die alleinige Beratung von Gynäkolog_innen<br />
unzureichend aufgeklärt fühlen. »In unserer Community<br />
fühlen sich die Frauen verstanden und merken, dass ihre<br />
Geschichten keine Einzelfälle sind. Ärztinnen und Ärzte<br />
haben oftmals gar nicht mehr die Zeit, sich lange und ausführlich<br />
mit einer einzelnen Patientin zu beschäftigen. Ich<br />
denke, dass wir mit unserem Blog eine ganz gute Lücke<br />
füllen«, sagt Sina. Dabei beschreibt sie sich selbst nicht als<br />
Pillengegnerin, sondern -kritikerin. Wissen Frauen,<br />
was die Pille genau in ihrem Körper auslöst? Wie<br />
schwer oder leicht ist es, an Informationen über<br />
das Thema zu gelangen? Was für Alternativen gibt<br />
es neben der Antibabypille?<br />
Das Internet und der leichte und schnelle Zugang<br />
zu Informationen sind dabei Fluch und Segen<br />
zugleich. Sina freut es natürlich, dass durch ihre<br />
Facebook-Gruppe oder ihren Blog Frauen schnell<br />
ins Gespräch kommen und sich durch den anonymen,<br />
schützenden Rahmen hinter dem Bildschirm<br />
trauen, Fragen zu stellen, die ihnen ansonsten unangenehm<br />
sein könnten. Erst dadurch ist es überhaupt<br />
möglich geworden, dass sie und Isabel sich<br />
inzwischen mit GENERATION PILLE selbstständig<br />
machen konnten. Das liegt vor allem auch an den<br />
angebotenen Coachings, bei denen Sina und Isabel<br />
jeweils im Einzelgespräch via Skype Frauen betreuen.<br />
Sina warnt jedoch auch vor Blogs, die den<br />
Anschein machen, als wären sie von unabhängigen<br />
Blogger_innen gestaltet worden, sich bei näherer<br />
Betrachtung aber herausstellt, dass die Seiten von<br />
Konzernen der Pharmaindustrie gesponsert werden.<br />
Bei all dem Für und Wider zum Thema Pille drängt<br />
sich nichtsdestotrotz die Frage auf, ob das Absetzen<br />
der Pille nicht auch zu unseren neuen gesellschaftlichen<br />
Anforderungen an das Individuum<br />
passt. Körperbewusst zu leben ist ›Trend‹: Auf sich<br />
selbst achten, gesunde Ernährung, strahlend und<br />
ausgeglichen in jeder Lebenslage sein. Die Natürlichkeit<br />
des Körpers, der entsprechend mit Sport<br />
und gesunder Ernährung gestählt werden soll, dürfe<br />
demnach nicht durch die Einnahme von Medikamenten<br />
gestört werden. Ist der diesem Trend<br />
folgende Widerstand gegen die Pille eine natürliche<br />
Entwicklung? Trotz dieser Vermutung scheint<br />
die Antibabypille Konsens für die Verhütung (junger)<br />
Deutscher zu sein. Diskutabel ist ebenfalls,<br />
inwiefern die Pharmaindustrie beim Diskurs über<br />
die Pille mitmischt, da diese an dem Medikament<br />
vermutlich mehr verdient, als an einer Handvoll<br />
Durex-Kondomen.<br />
Abschließend empfiehlt Sina Frauen, die unter den<br />
Nebenwirkungen der Pille leiden, Mut zu haben.<br />
Den Mut, beim Gynäkologen oder der Gynäkologin<br />
Fragen zu stellen. Auch die Muße zu haben, sich<br />
bei schlechter Beratung anderweitig Informationen<br />
einzuholen, Ärzt_innen zu wechseln, viel zu lesen,<br />
auch Fachliteratur, um den eigenen weiblichen<br />
Körper und Zyklus verstehen zu lernen – mit und<br />
ohne Pille. Das erfordert natürlich Zeit und Mühe.<br />
An dessen Ende steht jedoch zumindest das Gefühl,<br />
nicht blind einem Medikament vertrauen zu<br />
müssen, das man vielleicht in jungen Jahren noch<br />
recht unbedarft verschrieben bekommen haben<br />
wollte, weil nun mal alle Mädchen auf dem Schulhof<br />
die Pille nahmen.<br />
28
1<br />
3<br />
LARISSA, 26<br />
SUSANNE, 24<br />
SARAH, 24<br />
Notenwartin beim isländischen Symphonieorchester,<br />
hat mit 16 angefangen, die Pille für<br />
ihre erste Beziehung zu nehmen. Kondome<br />
findet sie bis heute nicht besonders angenehm,<br />
da sie diese einerseits als Lustkiller empfindet<br />
und sie aufgrund der Reibung bei ihr das Risiko<br />
einer Blasenentzündung erhöhen. An<br />
sich hatte sie nie das Gefühl, dass sich die Pille<br />
auf ihren Körper oder ihre Psyche negativ<br />
auswirkte. Die Gerüchte über etwaige Nebenwirkungen<br />
haben bei ihr dennoch ebenfalls<br />
die Frage aufgeworfen, ob ihre damaligen<br />
depressiven Verstimmungen nicht auch mit der<br />
Einnahme der Pille zusammenhängen könnten.<br />
Nach einigem Überlegen hat sie sich für eine<br />
Hormonspirale entschieden, die lokal eingesetzt<br />
mehrere Jahre vor einer Schwangerschaft<br />
schützt. Bisher hat sie das Gefühl, sie sehr gut zu<br />
vertragen. Da Larissa generell keine Kinder<br />
möchte, zieht sie auch eine Sterilisation in<br />
Betracht, was jedoch noch mit ihrem Partner<br />
ausverhandelt werden muss.<br />
Dramaturgieassisentin in Würzburg, beschreibt<br />
ihre Sorgen rund um das Thema Verhütung<br />
mit dem Ausdruck >hormoneller Wahnsinn
Text: Lea Luttenberger<br />
Illustration: Julia Herzog<br />
RENTIERE KÖNNEN NICHT<br />
IM LAUFEN PINKELN<br />
KOLUMNE<br />
Es war wirklich eine der Faulheit geschuldete<br />
SCHNAPSIDEE, alle meine Sachen einfach in eine<br />
Kiste zu werfen. Der im Umzugskarton entstandene<br />
KABELSALAT hat sich kunstvoll mit meinen<br />
Wollknäueln verknotet, die Bekanntschaft mit dem<br />
Klettverschluss an meiner Tasche gemacht haben.<br />
Jetzt heißt es, den INNEREN SCHWEINEHUND überwinden<br />
und mit ENGELSGEDULD und FINGERSPITZENGEFÜHL<br />
tun, was eben getan werden muss. Gestern bin ich<br />
mit den wenigen HABSELIGKEITEN, die ich besitze,<br />
in eine neue Wohnung gezogen. Der dritte Umzug<br />
innerhalb eines guten Jahres, die fünfte Stadt,<br />
in der ich lebe. Jetzt wohne ich zum ersten Mal<br />
allein. Meine VORFREUDE vermischt sich mit einer<br />
kleinen Dosis WELTSCHMERZ, während der ZEITGEIST<br />
des Aufbruchs um die Häuser spukt.<br />
Weltschmerz wird im Duden definiert als ein die seelische<br />
Grundstimmung prägender Schmerz, Traurigkeit,<br />
Leiden an der Welt und ihrer Unzulänglichkeit<br />
im Hinblick auf eigene Wünsche und Erwartungen.<br />
Ein Gefühl, das mich immer mal wieder überkommt,<br />
ich aber in keiner anderen Sprache in einem Wort<br />
ausdrücken kann. Genauso wenig wie Schnapsidee,<br />
Engelsgeduld oder Zeitgeist. Viele Sprachen haben<br />
eigene unübersetzbare Wörter, die ganz bestimmte<br />
Sachverhalte oder Stimmungen auf den Punkt bringen.<br />
Ein Wort sagt manchmal mehr als tausend Worte.<br />
Es hat durchaus Vorteile, allein zu wohnen.<br />
Ich kann morgenvermuffelt frühstücken, ohne Geräusche<br />
zu machen, die meinen Mitbewohner_innen anzeigen<br />
sollen, dass ich ihnen interessiert zuhöre<br />
(Japanisch: »aidzuchi«). Manchmal wünsche ich mir<br />
ja auch Einsamkeit (Spanisch: »engentado«). Schade<br />
ist nur, dass ich jetzt nicht mehr unbeobachtet<br />
in der Küche naschen kann (Schwedisch: »tjuvsmaka«),<br />
wenn ich nicht selbst eingekauft habe. Dafür<br />
kann ich, wenn mich nach einem üppigen Essen eine<br />
plötzliche Schläfrigkeit überkommt (Italienisch:<br />
»abbiocco«), ohne abzuwaschen, einfach zurück ins<br />
Bett fallen. Und wenn ich nach dem Friseurbesuch<br />
das Gefühl habe, schlechter auszusehen, als<br />
vorher (Japanisch: »age-otori«), kann ich mich<br />
aus Frust darüber allein zuhause in Unterhose<br />
betrinken (Finnisch: »kalsarikännit«). Morgens wache<br />
ich vielleicht mit einem moralischen Kater<br />
auf, in Sorge, was ich während meines betrunkenen<br />
Blackouts getan habe (Norwegisch: »fylleangst«).<br />
Weil aber niemand da war, brauche ich kein wirkliches<br />
oder eingebildetes Kissen, das ich mir<br />
schamvoll vors Gesicht halten kann (Schwedisch:<br />
»skämskudde«). Und wenn ich mich doch mal zu allein<br />
fühle, kann ich immer noch jemanden anrufen - und<br />
es natürlich nur einmal klingeln lassen, in der<br />
Hoffnung, dass der oder die Angerufene zurückruft<br />
und ich mir die Anrufkosten spare (Tschechisch:<br />
»prozvonit«). Außerdem war mein Umzug auch nur halb<br />
so aufregend. Ich bin nicht mal die Hälfte der<br />
Strecke, die ein Rentier zurücklegen kann, bevor<br />
es pinkeln muss (Finnisch: »poronkusema«) von meiner<br />
ehemaligen WG weggezogen. Schon heute Abend<br />
bin ich wieder dort, es findet meine Abschiedsparty<br />
statt. Da werde ich bei dem schönen Wetter das<br />
erste Bier draußen trinken (Norwegisch: »utepils«)<br />
und einfach nur ungehemmt meinen Weltschmerz wegtanzen<br />
(Bantu: »mbuki-mvuki«).<br />
Gerade schaue ich abwechselnd gedankenlos<br />
in die Ferne (Japanisch: »boketto«) und denke über<br />
die Rolle Gottes in der Menschheitsgeschichte<br />
nach (Russisch: »bogocelovecestvo«). Ich überlege,<br />
welche Beziehung ich zu dem Ort habe, an<br />
dem ich geboren wurde (Walisisch: »cynefin«) und<br />
denke über all die Orte nach, an denen ich schon<br />
gewohnt habe – wo fühle ich mich aufgehoben, zugehörig<br />
und zuhause (Deutsch: »Heimat«)? Wo fühle<br />
ich mich sicher und ziehe meine Kraft und Inspiration<br />
daraus (Spanisch: »querenzia«)? Und während<br />
ich mich hier so einrichte, mein frisch gekauftes<br />
Buch von gestern ungelesen auf den Stapel mit den<br />
anderen ungelesenen Büchern in mein Regal lege<br />
(Japanisch: »tsundoku«), packt mich schon wieder<br />
das Fernweh (Deutsch: »Sehnsucht nach der Ferne«).<br />
Irgendwie wird meine innere Zerrissenheit<br />
zwischen Fern- und Heimweh fassbarer, wenn ich<br />
sie wenigstens in Worte fassen kann – oder in ein<br />
Wort. Es muss schön sein, ein Rentier zu sein.<br />
Durch die Gegend zu streifen und unterwegs zu<br />
sein, sich alle siebeneinhalb Kilometer die Zeit<br />
nehmen, inne zu halten und zu pinkeln. Wenn man<br />
allein wohnt, geht das sogar bei offener Klotür.<br />
Innehalten, um über große und kleine Fragen des<br />
Lebens und die Schönheit von Sprache nachzudenken.<br />
Wie viel Zeit brauche ich, um eine Banane zu essen<br />
(Malaysisch: »pisanzapra«)? Wie groß ist<br />
die Menge Wasser, die in eine Hand passt<br />
(Arabisch: »gurfa«)? Eine Person, die<br />
viele Fragen stellt, heißt auf Russisch<br />
»pochemuchka«. Ich wünsche mir<br />
zwei Dinge: Erstens, ein Pissoir, um<br />
mit jemand anderen Wettbewerbe auszutragen,<br />
wer länger pinkeln kann (Punjabi:<br />
»péchcha«). Zweitens, ein Wort<br />
in irgendeiner Sprache für Wörter,<br />
die es nur in einer Sprache gibt,<br />
bei denen der Teil, den man nicht<br />
übersetzen kann, entscheidend ist.<br />
30
BAföG-Amt<br />
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POLITIK<br />
31
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