24.06.2019 Aufrufe

Ennsthaler Magazin Sommer2019

  • Keine Tags gefunden...

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Der Tiefschlaf<br />

der Vernunft<br />

Großbritannien mauert sich nach dem Brexit ein,<br />

die globale Gehirnwäsche blüht und gedeiht.<br />

Zukunftsmusik in Moll – mit brisanten Zwischenrufen.<br />

Eine Bestandsaufnahme.<br />

Heute denkbar, morgen möglich.<br />

Nach dem vollzogenen<br />

Brexit gilt in Großbritannien das<br />

Gesetz des Stärkeren. Das moralisch<br />

völlig desolate Inselreich ist von<br />

einer hohen Mauer umgeben, auf<br />

potenzielle Eindringlinge wartet ein<br />

Kugelhagel. John Lanchester schuf<br />

mit „Die Mauer“ eine fast apokalyptische<br />

Zukunftsvision, die aber<br />

keineswegs weltfremd erscheint.<br />

Denn der große Hirnriss in Europa<br />

ist evident. Im Zentrum von Lanchesters<br />

grausamer neuen Welt steht<br />

Joseph Kavanagh, der seinen militärischen<br />

Dienst auf der Mauer antritt.<br />

Der einzige, kollektive Auftrag<br />

lautet: Das Bollwerk muss um jeden<br />

Preis verteidigt und vor Eindringlingen<br />

geschützt werden. Das Leben<br />

auf der Mauer und die permanenten<br />

Kampfübungen für den Ernstfall<br />

verlangen dem jungen Soldaten einiges<br />

ab, Halt findet er lediglich in<br />

seiner Familie. Und mit Hifa, einer<br />

jungen Kämpferin, fühlt er sich eng<br />

verbunden. Aber alles wird überschattet<br />

von einem permanenten<br />

Alarmzustand. Schonungslos, düster,<br />

mit Weitblick, stellt sich John<br />

Lanchester allen Herausforderungen<br />

und Schreckensszenarien unserer<br />

Zeit, von den Flüchtlingsströmen<br />

bis zu den ständig wachsenden<br />

politischen Entfremdungen und der<br />

rasch wachsenden und geschürten<br />

Angst der Bevölkerung. So stellt<br />

auch das Buch, spannend geschrieben,<br />

durch aktuelle Ereignisse befeuert,<br />

eine große Herausforderung<br />

dar; man sollte sich ihr unbedingt<br />

stellen. Ehe der Globus tatsächlich<br />

noch mehr Pflaster trägt.<br />

Aktuelle Belege für den aktuellen<br />

Zustand liefert Zadie Smith in ebenso<br />

grandiosen und bedeutsamen wie<br />

beklemmenden Essays, die zuweilen<br />

einem Aufschrei<br />

gleichen. Die<br />

britische Literatin<br />

von Weltgeltung<br />

zeigte in<br />

ihren Romanen<br />

eine verwundete<br />

Gesellschaft,<br />

jetzt zeigt sie<br />

sich politischer denn je. Die Essays<br />

sind in fünf Kategorien unterteilt,<br />

drastisch führen sie im Abschnitt<br />

„In der Welt“ die zahlreichen Sackgassen<br />

vor Augen, in denen wir uns<br />

befinden. Hineinmanövriert durch<br />

eine Politik jenseits jeglicher Vernunft.<br />

Aber noch gibt Zadie Smith<br />

dem Prinzip Hoffnung eine Daseinsberechtigung.<br />

In den Kapiteln<br />

„Im Publikum“, „Im Museum“, „Im<br />

Bücherregal“ und „Freiheiten“ präsentiert<br />

sie ihre Sicht auf kulturelle<br />

„Vermutlich war<br />

der Einzelne schon<br />

immer unwichtig.<br />

Es fiel nur weniger auf.“<br />

Sibylle Berg<br />

Ereignisse oder erzählt von persönlichen<br />

Erlebnissen. „Zähne zeigen“<br />

hieß der Debütroman von Zadie<br />

Smith, der Aufruf könnte auch als<br />

Motto für diese Sammlung an Zeitund<br />

Momentaufnahmen gelten, die<br />

helfen, die Gegenwart erheblich<br />

schärfer und klarer sehen zu lassen.<br />

Mit Salzsäure statt Tinte geschrieben<br />

hat Sibylle Berg ihren im wahrsten<br />

Sinn des Wortes explosiven Roman<br />

„GRM“ mit dem passenden Untertitel<br />

„Brainfuck“<br />

versehen.<br />

Die Brave New<br />

World nimmt<br />

ihren unaufhaltsamen<br />

Lauf,<br />

jeden Tag wird<br />

ein weiteres<br />

westliches Land<br />

autokratisch, Algorithmen, die das<br />

menschliche Denken endgültig ersetzen,<br />

liegen in der Luft. Schauplatz<br />

der zornigen Abrechnung mit<br />

den verlogenen Ideologien ist die<br />

Stadt Rochdale in Großbritannien,<br />

wo der Kapitalismus einstmals seine<br />

Geburtsstunde erlebte und der<br />

zynische Neoliberalismus besonders<br />

schauderhafte Blüten treibt.<br />

Aber vier Kinder spielen da nicht<br />

mit – sie rebellieren. Und das mit<br />

aller Konsequenz. Denn die trüge-<br />

Foto: unsplash<br />

26 Buchmedia <strong>Magazin</strong> 38

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!