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Loccumer Pelikan 1/2016

Religion und Musik

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40<br />

praktisch<br />

Liebe zu dem 1896 gegründeten Verein ist zwar schon<br />

etwas älter („96, alte Liebe“; „Schon lange Zeit bist du uns<br />

so vertraut“), aber dafür nicht minder intensiv. Aus Sicht<br />

der Liederdichter kann man sich auf diesen Fußballclub<br />

in jeder Lebenssituation („Wir sind dabei, egal ob´s regnet<br />

oder schneit, nicht nur an guten Tagen, wenn die Sonne<br />

scheint“) absolut verlassen. Der Verein fungiert als<br />

Lebens- und Glaubensinhalt, der den eigenen – oftmals<br />

tristen – Alltag transzendiert. Auch wenn das Fan-Sein<br />

bei Hannover 96 mitunter bedeuten kann, enttäuscht zu<br />

werden, wird die Liebe der Fans „deswegen nicht still“<br />

stehen. Scheinbar erfolgreichere Fußballmannschaften<br />

wie die Bayern oder der ungeliebte Lokalrivale Eintracht<br />

Braunschweig („gelb-blau“) stellen für die Fans des<br />

HSV (Hannoversche Sportverein) keine Alternativen<br />

dar. Anhänger der „Roten“ 29 haben mit ihrer selbstgewählten<br />

Hingabe zu ihrem Verein „nie nur auf Sand gebaucht“.<br />

Die 96-Hymne bringt das Gemeinschaftsgefühl<br />

der Fans und ihre milieuübergreifende Hilfsbereitschaft<br />

im Refrain bildreich zum Ausdruck („Niemals allein,<br />

wir gehen Hand in Hand, zusammen sind wir groß und<br />

stark wie eine Wand“). Der Fangesang rekurriert in den<br />

neugefassten Strophen von 2002 auf langjährige Lebensund<br />

Stadionerfahrungen des stadtbekannten Bluessängers<br />

Dete Kuhlmann (*1948). Diesem war es ein zentrales<br />

Anliegen, einen Liedtext zu formulieren, der „Sinn<br />

hat und auch zum Nachdenken anregt“ 30 . Nach seiner<br />

Wahrnehmung erleben jüngere Menschen heute beim<br />

Fußball eine Wertschätzung, die ihnen im Alltagsleben<br />

sonst oft verwehrt bleibt. Das Lied möchte vor diesem<br />

Hintergrund so etwas wie „ein Leitfaden für das Leben“ 31<br />

sein.<br />

Die 96-Hymne enthält zahlreiche religiöse Anspielungen<br />

und kirchlich konnotierte Motive, z. B.:<br />

a. „Wir gehen Hand in Hand“ f „Herr, wir stehen Hand<br />

in Hand“ (EG 602 im Regionalteil für Niedersachsen<br />

und Bremen);<br />

b. „nie nur auf Sand gebaut“ f Mt 7,24-27 (Gleichnis<br />

vom Haus auf Felsen oder Sand);<br />

c. „egal obs regnet oder schneit“ f Jes 55,10 und Mt 5,45<br />

(das Motiv des Regens und/oder Schnees);<br />

d. „rudern wir gemeinsam im roten Fußballboot“ f<br />

„Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“ (EG 572 im<br />

Regionalteil für Niedersachsen und Bremen).<br />

„Abgesehen vom Refrain passen die Strophen der<br />

Hymne durchaus in einen modernen Gottesdienst. Man<br />

müsse nur ‚Fußballboot‘ gegen ‚Gemeindeboot‘ austauschen“<br />

konstatiert Kuhlmann, der sich selbst „nicht unbedingt<br />

als religiös“ einstuft. Dass der Fangesang vielfach an<br />

ein „Kirchenlied“ erinnert, sei keine Absicht gewesen. Der<br />

Liederdichter konzediert: „Das muss im Unterbewusstsein<br />

geschehen sein und hat wohl damit zu tun, dass ich schon<br />

früh in Kirchen gesungen und Gottesdienste musikalisch<br />

mitgestaltet habe“ 32 .<br />

YouTube, Fußball und Musik:<br />

Die Generation 2.0<br />

Ein schülerorientierter Religionsunterricht wird die Lebenswelten<br />

heutiger Jugendlicher, ihre kulturellen Aktivitäten<br />

und medialen Interessen grundlegend berücksichtigen.<br />

Wie die Ergebnisse der viel beachteten, bundesweiten<br />

Studie „Medien, Kultur und Sport bei jungen Menschen“<br />

(MediKuS) von 2012 zeigen, prägt das Internet das Jugendalter<br />

heute wie kaum ein anderes Medium. Es ist<br />

mittlerweile „zu einem der wichtigsten Bestandteile der<br />

Sozia lisation und Selbstfindung Jugendlicher geworden“ 33 .<br />

Gerade „Web-Angebote wie YouTube machen das Internet<br />

für Jugendliche attraktiv“ 34 . Ein weiteres zentrales Interessenfeld<br />

für heutige 13- bis 17-Jährige ist die Musik: 36<br />

Prozent spielen ein Instrument, 19 Prozent singen. Noch<br />

mehr Jugendliche geben an, regelmäßig Sport zu treiben<br />

(80 Prozent), wobei der Fußball die mit Abstand beliebteste<br />

Sportart darstellt 35 . Vielen Schülerinnen und Schülern<br />

sind Fangesänge und -rituale aus eigenen Stadionbesuchen<br />

oder aus Videos im Internet vertraut. Die Generation zwischen<br />

Fußball, Musik und Facebook kennt sich aus „mit<br />

der Liturgie eines Fußballspiels und einzelne Jugendliche<br />

gestalten ihre Zimmer als Kulträume ihres Vereins, in denen<br />

Nähe zum geliebten Identifikationsobjekt symbolisch<br />

hergestellt wird. Aufgrund dieser Nähe vieler Schülerinnen<br />

und Schüler zur Welt des Fußballs ist es besonders produktiv<br />

hieran im Religionsunterricht anzuknüpfen“ 36 .<br />

Didaktische Hinweise und Impulse<br />

Die unterrichtliche Arbeit mit Fangesängen und ihren religiösen<br />

Implikationen eignet sich für den Religionsunterricht<br />

in allen Schulformen der Sekundarstufe I und II ab Klasse<br />

7. Sie bietet sich etwa im Rahmen der Erschließung der<br />

in den Lehrplänen für Evangelische Religion in vielen<br />

Bundesländern vorgesehenen Themenfelder „Religiöse<br />

Phänomene in Alltag und Kultur“ und „Die Frage nach<br />

dem Sinn – Orientierung im Leben“ an. Dabei kann an<br />

Kompetenzerwartungen angeknüpft werden, die in dem<br />

Kerncurriculum für das Fach Evangelische Religion für die<br />

Realschule in Niedersachsen bzw. in den Unterrichtshilfen<br />

zum neuen Lehrplan für die Berufsbildenden Schulen in<br />

Bayern formuliert wurden. In dem niedersächsischen<br />

29<br />

Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/<br />

watch?v=oF2bVPI8m7o<br />

30<br />

Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/<br />

watch?v=hlZOj_vyYl4<br />

31<br />

Aufgrund der traditionell roten Heimtrikots werden die Spieler<br />

von Hannover 96 „die Roten“ genannt, obschon Schwarz-Weiß-<br />

Grün die offiziellen Vereinsfarben des Bundesligisten sind.<br />

32<br />

Deppe, Niemals allein! Die Vereinshymne von Hannover 96 erinnert<br />

an ein Kirchenlied, 1.<br />

33<br />

Grgic/Holzmayer, Zwischen Fußball und Facebook, 20.<br />

34<br />

Ebd.<br />

35<br />

Grgic/Holzmayer, Zwischen Fußball und Facebook, 21.<br />

36<br />

Eickmann/Peter, Kompetenzorientiert unterrichten im RU, 18.<br />

<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> 1/<strong>2016</strong>

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