18.12.2012 Aufrufe

Hausgeschichten aus dem Zelgli - Stadtmuseum Schlössli Aarau

Hausgeschichten aus dem Zelgli - Stadtmuseum Schlössli Aarau

Hausgeschichten aus dem Zelgli - Stadtmuseum Schlössli Aarau

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

4 <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

1. Schanzmättelistrasse 37<br />

Zwei Geschichten zum gleichen H<strong>aus</strong> spannen den Faden von den 1940er-Jahren bis heute.<br />

Dabei tauchen unter mysteriösen Umständen im Kamin verschwundene Bügeleisen wieder auf,<br />

während das H<strong>aus</strong> andere Geheimnisse bis heute nicht preisgibt.<br />

Ueli Halder — Das ist mein Elternh<strong>aus</strong>, in <strong>dem</strong> ich 18<br />

meiner schönsten (Jugend-)Jahre verbracht habe. Erbaut<br />

wurde das gutbürgerliche, fast schon herrschaftliche<br />

H<strong>aus</strong> 1910 von Kantonsgeometer Meister. Dieser baute<br />

sich 40 Jahre später ein kleineres Heim auf <strong>dem</strong> Nachbargrundstück,<br />

wo er noch viele Jahre mit Frau, Tochter<br />

Heidi, Bienenvölkern und Hühnern h<strong>aus</strong>te. Deren Mist<br />

verhalf uns übrigens zu besonders üppigen Rhabarberstauden.<br />

Das H<strong>aus</strong> Nr. 37 kostete 1948 110’000 Franken –<br />

damals viel Geld für unsere Eltern (Nold und Anni Halder,<br />

Staatsarchivar und Kantonsbibliothekar), aber dafür<br />

gab’s auch viel H<strong>aus</strong>: 10 Zimmer, einschliesslich Speisekammer,<br />

‚Kastenzimmer’ und Nähzimmer mit extra<br />

grossen Fenstern; eine grosse Stube mit Schiefertisch,<br />

eingebautem Buffet und grünem Kachelofen, an <strong>dem</strong><br />

meine Mutter strickte und dabei ihren Thomas Mann<br />

las; einen Salon (im Halder’schen Jargon: «s’änder<br />

Stübli») mit Polstergruppe, Klavier und einem unpraktischen<br />

Cheminée <strong>aus</strong> Marmor; ein imposantes Treppenh<strong>aus</strong>,<br />

in <strong>dem</strong> damals das einzige Telefon des H<strong>aus</strong>es<br />

hing; und lange Korridore, ideal für die Büchergestelle<br />

des H<strong>aus</strong>herrn.<br />

Andere Einrichtungen waren weniger grosszügig:<br />

zwei ungeheizte Klos mit Holzdeckeln und hoch gehängten<br />

Spülkästen; ein einziges enges Badezimmer,<br />

das zu<strong>dem</strong> nur durchs Elternschlafzimmer zugänglich<br />

war; eine kleine, aber gemütliche Kammer für die H<strong>aus</strong>lehrtochter;<br />

ein gemeinsames Zimmer für die Zwillingsbrüder.<br />

Jeder der beiden richtete sich dafür seine private<br />

Ecke in einem der niedrigen Verschläge im verwinkelten<br />

Dachstock ein. Hier studierten sie dann die verbotenen<br />

‚Heftchen’ <strong>aus</strong> der letzten Papiersammlung und<br />

rauchten die ersten Zigaretten <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Bahnhof-Automaten<br />

(3 Stück für 10 Rappen). Als jüngerer Bruder beneidete<br />

ich sie um ihre Geheimstübchen, obwohl ich ja<br />

das Privileg eines eigenen Zimmers genoss. Es lag neben<br />

der Studierstube des Vaters; das vertraute Knarren<br />

seines Bürostuhls begleitete mich jeden Abend in den<br />

Schlaf, nach<strong>dem</strong> er mir die Stechmücken von der Decke<br />

getupft und mit seiner glühenden Zigarre noch einige<br />

wunderschöne Feuerkringel ins Dunkel des Zimmers<br />

gezaubert hatte. Mein Fenster ging auf den Friedhof hin<strong>aus</strong>,<br />

von wo her mich manchmal die unheimlichen<br />

Rufe der Käuzchen unter die Decke kriechen liessen.<br />

Dafür bescherte mir dasselbe Fenster später die ersten<br />

schüchternen Flirtversuche mit den Seminaristinnen, die<br />

gegenüber bei Nachbarin ‚Hämpe’ Hemmeler – der gestrengen<br />

Tanzlehrerin der <strong>Aarau</strong>er Jeunesse dorée – im<br />

oberen Stock logierten.<br />

Wie damals üblich, war der aufwändige H<strong>aus</strong>halt<br />

die Domäne unserer Mutter, den sie zusammen mit jährlich<br />

wechselnden H<strong>aus</strong>lehrtöchern bewältigte. Viel Arbeit,<br />

aber auch viel Freude bot natürlich der riesige Garten<br />

mit seiner Gemüseecke (die Bohnen wurden später<br />

zum Dörren ins Gotthelf-Schulh<strong>aus</strong> gebracht), den Beerenstauden<br />

und üppigen Blumenrabatten (Mutter war<br />

<strong>aus</strong>gebildete Gärtnerin), den Obstspalieren an der H<strong>aus</strong>mauer,<br />

<strong>dem</strong> alten Apfel- und <strong>dem</strong> noch älteren Birnbaum<br />

mit seinen ‚Schwärzibirli’, die vor allem von den<br />

Wespen geschätzt wurden. Die riesige Rasenfläche war<br />

ein Albtraum zum Mähen, aber ein Segen für das sonntägliche<br />

Krocket-Spiel.<br />

Ausserhalb von H<strong>aus</strong> und Garten lockte das <strong>Zelgli</strong><br />

natürlich mit seinen <strong>aus</strong>gedehnten ‚Bündten’ (Schrebergärten;<br />

heute Areal der Neuen Kantonsschule), den nahen<br />

Sportanlagen beim <strong>Zelgli</strong>schulh<strong>aus</strong>, den paar Quartierläden<br />

(<strong>aus</strong> der Bäckerei Emmenegger an der Renggerstrasse<br />

zischte das Brezeleisen und roch es immer so<br />

gut), den ruhigen Quartierstrassen und schliesslich <strong>dem</strong><br />

nahen Oberholz mit <strong>dem</strong> Pfadiheim. Da hinauf gingen<br />

wir lieber als in den heissen Schachen hinunter zu den<br />

blöden Kadettenübungen…<br />

Meine verwitwete Mutter lebte noch lange allein<br />

im grossen H<strong>aus</strong>; danach wurde es für einige Jahre vermietet.<br />

1993 fanden wir in der Familie Inge und Markus<br />

Meier neue Eigentümer, die den Charme unseres Elternh<strong>aus</strong>es<br />

schätzen und sorgfältig pflegen.<br />

Inge und Markus Meier —Wir, die dritten Besitzer der<br />

Liegenschaft an der Schanzmättelistrasse Nr. 37, kauften<br />

das H<strong>aus</strong> Ende 1993. Mir hatte das wohlproportionierte<br />

Gebäude mit seinem etwas mediterran anmutenden<br />

Verputz, den sonnengebrannten Spalierhölzern und<br />

<strong>dem</strong> geheimnisvollen Garten, auf den man von <strong>aus</strong>sen<br />

höchstens einen kleinen Blick werfen konnte, schon als<br />

Kind immer gefallen (ich bin im <strong>Zelgli</strong> aufgewachsen).<br />

Nun wurde mein Traumh<strong>aus</strong> unser Zuh<strong>aus</strong>e. Wir lernten<br />

den vorher erwähnten grünen Kachelofen möglichst optimal<br />

einheizen und benützen ihn regelmässig in der<br />

Übergangszeit. Das eingebaute Buffet erwies sich als<br />

äusserst geräumig und führte dazu, dass wir von unserer<br />

früheren Wohnung einen Schrank übrig hatten.<br />

Aber, wo lässt sich ein klassischer Nussbaum-Schrank<br />

vor eine durchgehende Holztäfelung <strong>aus</strong> Tanne stellen,<br />

so, dass es trotz<strong>dem</strong> noch gut <strong>aus</strong>sieht? Doch, wie<br />

schon erwähnt, ist das H<strong>aus</strong> sehr geräumig: Der besagte<br />

Schrank steht nun in meinem Büro, <strong>dem</strong> einstigen<br />

Nähzimmer, dessen grosse englische Fenster mir einen<br />

sensationellen Ausblick ins Grüne gewähren. Der ursprünglich<br />

als Bibliothek bezeichnete Raum, das Haldersche<br />

«änder Stübli», ist nun unser Esszimmer geworden.<br />

Vor <strong>dem</strong> «unbrauchbaren» Cheminée <strong>aus</strong> Marmor<br />

beobachteten unsere Kinder die lodernden<br />

Flammen und schliefen mit <strong>dem</strong> Geräusch des knisternden<br />

Holzes ein. Und der jetzige H<strong>aus</strong>herr hat wiederum<br />

der ganzen Korridorwand entlang im ersten Stock Büchergestelle<br />

aufgestellt…<br />

Am Garten haben wir fast gar nichts verändert.<br />

Frau Halders Tulpen, Pfingstrosen, Schachbrettblumen,<br />

Rosen, Anemonen etc. blühen dankbar jedes Jahr. Allerdings<br />

zog der Frühling 2–3 Mal ins Land, bis ich<br />

merkte, dass die Sträucher entlang der Schanzmättelistrasse<br />

sehr bewusst <strong>aus</strong>gesucht und gepflanzt worden<br />

waren: Auf einen rosa blühenden Strauch folgt ein<br />

weiss blühender, dann wieder einer mit rosa Blüten,<br />

dann wieder einer mit weissen etc. Vor ein paar Jahren<br />

machte der alte Birnbaum <strong>aus</strong> Altersgründen einer Linde<br />

Platz. Das führte zu einer Veränderung unserer gefiederten<br />

Besucher: Waren es früher verschiedene Meisenarten,<br />

Kleiber und Buntspecht, sind es nun Rotschwänzchen,<br />

Meisen und in der Erde badende Spatzen.<br />

Der alte Apfelbaum, der uns im Juni/Juli mit Sommeräpfeln<br />

und dann im Herbst mit Gravensteinern und Glockenäpfeln<br />

beliefert, breitet behäbig seine dicken Äste<br />

<strong>aus</strong> und ernährt Jahr für Jahr Generationen von verschiedenen<br />

Meisen. Krocket spielen wir übrigens nicht<br />

mehr, da inzwischen die Ebenheit des Rasens nicht<br />

mehr ganz den Ansprüchen an ein gepflegtes Spielfeld<br />

entspricht.<br />

Der Fortschritt steht, der Name sagt es, nicht still.<br />

Und so hielt vor vielen Jahrzehnten der Fernseher Einzug.<br />

Damals fischte man die Programme noch mit einer<br />

Antenne im Estrich <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Äther und führte sie der<br />

Flimmerkiste über ein Kabel zu. Jemand kam auf die<br />

Idee, das Kabel in einen unbenutzten Kaminzug, von<br />

denen es im H<strong>aus</strong>e etwa sechs gibt, zu legen. Wahrscheinlich<br />

hat sich das Kabel, frisch von der Rolle, wie<br />

ein Schweineschwänzchen geringelt, und sich geweigert,<br />

in den Kamin zu gleiten. Ein altes Bügeleisen sollte<br />

helfen, das Kabel durchzuziehen. Das Bügeleisen verkeilte<br />

sich aber auf halbem Wege, und liess sich nicht<br />

mehr entfernen. Lange Zeit, nach<strong>dem</strong> wir das H<strong>aus</strong> gekauft<br />

hatten, erkundigte sich Ueli Halder, ob denn mit<br />

den Kaminen alles in Ordnung sei, und erzählte uns<br />

nach und nach von der Bügeleisengeschichte. Später<br />

präsentierte uns stirnrunzelnd der Kaminfeger bei einem<br />

seiner Besuche ein unkenntliches, verrusstes Ding, das<br />

er <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Kamin entfernt hatte: das Bügeleisen. Der<br />

Kaminfeger teilte übrigens unsere Heiterkeit nicht.<br />

Nach <strong>dem</strong> Kauf des H<strong>aus</strong>es wurde uns eine Schuhschachtel<br />

mit allerlei Schlüsseln übergeben. Darunter<br />

fand sich auch ein Schlüssel für ein Gartentor, das es<br />

seit langer Zeit nicht mehr gibt. Früher gehörte ein schmaler<br />

Weg zu unserem Grundstück, auf <strong>dem</strong> man direkt in<br />

die Renggerstrasse gelangen konnte (als die ersten Häuser<br />

an der jetzigen Schanzmättelistrasse gebaut wurden,<br />

existierte diese noch nicht; dies erklärt die vielen Verbindungssträsschen<br />

zwischen der Rengger- und der<br />

Schanzmättelistrasse). Das Weglein wurde von einem<br />

Nachbarn gekauft, der damit seinen Garten etwas vergrössern<br />

konnte.<br />

Im schon erwähnten Buffet befindet sich, hinter einem<br />

Türchen, eine eingebaute Pendeluhr <strong>aus</strong> der Bauzeit<br />

des H<strong>aus</strong>es mit dezentem Federgong-Schlag. Diese<br />

Uhr wurde von Meister Tremp gründlich gereinigt und<br />

wieder in Gang gesetzt. Hinter dieser Uhr befindet sich<br />

aber ein weiteres kleines Türchen, zu <strong>dem</strong> wir keinen<br />

Schlüssel haben. Was ist hier wohl versteckt? Wir wissen<br />

es immer noch nicht!<br />

<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong> 5

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!