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Takte_2_19

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[t]akte<br />

2I20<strong>19</strong><br />

Drachen gibt es<br />

auch heute noch<br />

Paul Dessaus Oper „Lanzelot“ wird wieder<br />

aufgeführt<br />

Fünfzig Jahre nach der Uraufführung gelangt<br />

Paul Dessaus Oper „Lanzelot“ in der ursprünglichen<br />

Fassung wieder auf die Bühne. Die Theater in<br />

Weimar und Erfurt nehmen sich ihrer an.<br />

Innere Stimmen<br />

Zwei neue Werke von Beat Furrer<br />

Nachdem Paul Dessau für seine ersten beiden Musiktheaterwerke<br />

Die Verurteilung des Lukullus (<strong>19</strong>51) und<br />

Puntila (<strong>19</strong>66) auf Vorlagen von Bertolt Brecht zurückgreifen<br />

konnte, wählte er für seine dritte, im Dezember<br />

<strong>19</strong>69 an der Deutschen Staatsoper Berlin uraufgeführte<br />

Oper Lanzelot ein Märchenstück des russischen Dramatikers<br />

Jewgeni Schwarz. Die Parabel Der Drache wurde<br />

<strong>19</strong>43 vor dem Hintergrund des Naziterrors geschrieben<br />

und war wegen der allzu deutlichen Kritik am totalitären<br />

Regime Stalins in der Sowjetunion zunächst<br />

17 Jahre lang verboten. <strong>19</strong>65 brachte Benno Besson<br />

das Stück über den Drachentöter in einer legendären<br />

Inszenierung am Deutschen Theater in Berlin heraus.<br />

Dessau entdeckte darin eine operntaugliche Vorlage<br />

mit den für ihn so wichtigen gesellschaftspolitischen<br />

Bezügen: Ein freier „Held“ möchte die Drachenstadt von<br />

seinem inhumanen, Angst und Schrecken verbreitenden<br />

Usurpator befreien, doch er stößt auf Desinteresse<br />

bei den Stadtoberen und der Bevölkerung, die sich<br />

„fressend, verdauend, fernsehend“ mit den bestehenden<br />

Verhältnissen arrangiert hat. Die Gleichgültigkeit<br />

schlägt in Feindseligkeit um, als Lanzelot den Drachen<br />

besiegt. Die offene Diktatur des Drachen wird umgemünzt<br />

in eine verdeckte Ausbeutung der Bevölkerung,<br />

in eine Herrschaft weniger über viele. Für die Liebe<br />

Elsas kehrt Lanzelot noch einmal zurück und vollendet<br />

sein Werk der Befreiung.<br />

Als Librettist wählte sich Paul Dessau (nicht ohne<br />

politische Brisanz) den befreundeten Dramatiker Heiner<br />

Müller, der wegen allzu großer Kritik am sozialistischen<br />

System seit <strong>19</strong>61 aus dem Deutschen Schriftstellerverband<br />

ausgeschlossen war und dessen Werke nicht<br />

mehr auf DDR-Bühnen gespielt werden durften. Zu der<br />

vielschichtigen textlichen Vorlage Müllers schuf Dessau<br />

eine ebenso vielfältige Musik: In ihren Grundzügen<br />

ist sie dodekaphon gearbeitet, der Drache wird mit<br />

bruitistischen Klängen des überbordenden Schlagapparats<br />

charakterisiert, daneben gibt es lyrische und<br />

karikaturistische Momente, eine Barockmusikparodie,<br />

Beat-Klänge, Mozart-Allusionen, Chopin-, Rossini-,<br />

Wagner- und nicht zuletzt Eigenzitate von Dessau. Das<br />

Finale erinnert in seiner dramaturgischen Anlage an<br />

Mozarts Zauberflöte: Letzter verzweifelter Vorstoß der<br />

Bösewichter, die Vernichtung des Bösen, glanzvoller,<br />

hymnischer Schlussgesang der Befreiten „Der Rest ist<br />

Freude. Freude der Rest“. Dem Finale ist in der ursprünglichen<br />

Fassung ein Epilog angefügt. In einem großen Diminuendo<br />

entfernen sich die Menschen von der Bühne,<br />

bis ein kleinen Kind übrig bleibt, das noch einmal die<br />

Schlussworte wiederholt, die „Freude“ aber gleichsam<br />

in Frage stellt. Nach der Uraufführung entzündete sich<br />

Kritik an diesem reduzierten, an Alban Bergs Wozzeck<br />

erinnernden Schluss. Dessau selbst scheint mit dieser<br />

dramaturgischen Lösung auch nicht zufrieden gewesen<br />

zu sein. Für die folgenden Produktionen – in München<br />

Paul Dessau (2. v. r.) im Dezember <strong>19</strong>74 bei einem Solidaritätskonzert<br />

vor seinem 80. Geburtstag zusammen mit (v. l.) Kurt Hager (Mitglied<br />

des Politbüros und Sekretär des ZK der SED), Ruth Berghaus (Intendantin<br />

des Berliner Ensembles), Werner Rackwitz (Stellvertreter des<br />

Ministers für Kultur der DDR) und Hans-Joachim Hoffmann (Minister<br />

für Kultur der DDR). (Foto: Katcherowski)<br />

(April <strong>19</strong>71) und Dresden (<strong>19</strong>71/72) – schrieb er wenige<br />

Wochen nach den Berliner Aufführungen die letzten<br />

<strong>Takte</strong> neu, so dass Lanzelot mit einem großen Chor- und<br />

Ensemblegesang optimistisch endet.<br />

Die Gattung der Oper war für Paul Dessau das<br />

„ausdrucksstärkste Genre, um die großen gesellschaftlichen<br />

Probleme unserer Zeit künstlerisch zu beleuchten“.<br />

Es spricht für Lanzelot, dass auch nach 50 Jahren<br />

die darin thematisierten Probleme und die enthaltene<br />

Gesellschaftskritik kaum an Aktualität verloren haben,<br />

denn Drachen gibt es auch heute und wird es immer<br />

wieder geben.<br />

Robert Krampe<br />

Paul Dessau<br />

Lanzelot. Oper in fünfzehn Bildern. Libretto:<br />

Heiner Müller und Ginka Tscholakowa (nach Motiven<br />

von Hans Christian Andersen und Jewgeni<br />

Schwarz‘ Märchenkomödie „Der Drache“)<br />

Premiere: 23.11.20<strong>19</strong> Weimar (Nationaltheater),<br />

Musikalische Leitung: Dominik Beykirch, Regie:<br />

Peter Konwitschny, Premiere Theater Erfurt:<br />

16.5.2020<br />

Besetzung: Lanzelot (Bariton), Drache (Bass), Elsa<br />

(Sopran), Charlesmagne (Bass), Bürgermeister<br />

(Tenor), Heinrich (Tenor), Kater (Sopran), 24 Nebenrollen,<br />

5 Tänzer/Pantomimen, Chorsolisten,<br />

großer Chor, Kinderchor<br />

Orchester: 4 (4 Picc, Afl), 3 (Eh), 3 (Bklar), Es-Klar,<br />

2Sax (S, A, T, Bar), 3 (Kfg) – 4,4,3,2 – Pk, Schlg – 2 Hfe,<br />

Git, Md – Klav (normales und präp. Klav), 2 Cemb.<br />

od. präp. Klav (auf Tonband), elOrg (auf Tonband),<br />

Cel, Akk, Harm – Str<br />

Verlag: Henschel Musik, Vertrieb: Bärenreiter ·<br />

Alkor<br />

In mia vita da vuolp<br />

„In meinem Leben als Fuchs / war ich alles und alles /<br />

war ich auch das Licht / die Sonne mein Antlitz / makellos<br />

…“ Die faszinierende Dichtung der Schweizerin<br />

Leta Semadeni wird zum Ausgangspunkt von Beat Furrers<br />

In mia vita da vuolp (Uraufführung:<br />

14.9.20<strong>19</strong> Rümlingen mit Rinnat Moriah<br />

[Sopran] und Marcus Weiss [Saxophon]).<br />

Aus der gleichnamigen Sammlung der<br />

Lyrikerin komponiert er fünf Texte, deren<br />

weitere Titel lauten: „Erinnerung an ein<br />

erschlagenes Pferd“, „Kasimir hat Liebeskummer“,<br />

„Im Weltraum“, „In den Nächten“<br />

– alle gleichermaßen enigmatisch<br />

und bilderreich. Beat Furrer fächert für<br />

den Farbenreichtum des Saxophons den<br />

Leta Semadini<br />

(Foto: Georg Luzzi)<br />

Tonraum noch weiter auf als bisher: Ein<br />

einziges unaufhaltsames Glissando zieht<br />

in der ersten dieser Allegorien des Todes<br />

den Klangraum in den Abgrund, in den Abwärtsbewegungen<br />

treten immer andere Klanglichkeiten des Saxophons<br />

hervor. Wie ein Schatten, der in immer anderen<br />

Erscheinungsweisen den Gesang begleitet, färbt das<br />

Instrument in vielfach aufgefächerten Spielweisen den<br />

Gesang. „In den Nächten / am Rande des Dorfes / wo ich<br />

wohne / am Rande der Dinge / schnappen / die Klingen<br />

/ des Winters / nach mir“ – endet das letzte Lied. Wie<br />

ein Schatten, der in immer anderen Erscheinungsweisen<br />

den Gesang begleitet, färbt das Saxophon diesen<br />

in vielfach aufgefächerten Spielweisen. Der Schluss<br />

lässt die Gesangsstimme in Saxophonmehrklängen<br />

mit komplexer Harmonik gleichsam verschwinden.<br />

Ensemblestück mit Klarinette für Donaueschingen<br />

Einem eng verwandten und doch grundverschiedenen<br />

Instrument widmet Beat Furrer sich in seinem neuen<br />

Werk für Klarinette und Ensemble für das Ensemble<br />

intercontemporain. Darin geht es ihm um die „Linie<br />

der Klarinette, um die Erscheinung dieses Soloinstruments.<br />

Alles wird Teil dieser Linie.“ Die Aufsplitterung<br />

der Solostimme in ganz verschiedene Klangqualitäten<br />

vollzieht sich in der ersten Phase des Werks. Die Klarinette<br />

wird in ihrer linearen Bewegung durch einzeln<br />

hinzutretende Instrumente verfärbt. Im großformalen<br />

Ablauf vollzieht sich ein Auffächern der Solostimme in<br />

komplexe klangliche Strukturen. Zwei Strukturen sind<br />

ineinander geführt, eine linear verlaufende und eine<br />

„kaleidoskopische“. Auf eine Verschiebung der Zeitlichkeiten<br />

zielt dieses Ineinander vielfacher Schichten. Das<br />

Stück entwickelt sich hin zu einem Unisono, in eine<br />

Quasi-Kadenz am Schluss, in der das ganz Ensemble<br />

in der Linie der Klarinette aufgeht.<br />

MLM<br />

Beat Furrer – aktuell<br />

20.10.20<strong>19</strong> Donaueschingen (Musiktage), Neues<br />

Werk für Klarinette und Ensemble (Uraufführung),<br />

Jérome Comte (Klarinette), Ensemble<br />

Intercontemporain, Leitung: Matthias Pintscher<br />

+++ 15.11.20<strong>19</strong> Dortmund, Studie II für Klavier<br />

(Uraufführung), Sergej Babayan, Klavier +++<br />

12.12.20<strong>19</strong> München, XENOS III, Münchner<br />

Kammerorchester, Leitung: Ilan Volkov +++<br />

11.1.2020 Köln, Phaos für Orchester, WDR Sinfonieorchester,<br />

Leitung: Michael Wendeberg +++<br />

10./12.1.2020 Berlin (Staatsoper), Violetter Schnee.<br />

Oper. Text von Händl Klaus basierend auf einer<br />

Vorlage von Wladimir Sorokin, Musikalische<br />

Leitung: Matthias Pintscher/Beat Furrer, Inszenierung:<br />

Claus Guth +++ 9.6.2020 Paris, Enigma<br />

I, III und VI (Frz. Erstaufführung), SWR Vokalensemble,<br />

Leitung: Yuval Weinberg<br />

Zum Tode Georg Katzers<br />

Der Komponist Georg Katzer, geboren am 10. Januar <strong>19</strong>35<br />

in Schlesien, ist am 7. Mai 20<strong>19</strong> in Berlin gestorben. Er<br />

studierte Komposition bei Rudolf Wagner-Régeny und<br />

Ruth Zechlin in Berlin (Ost) und an der Akademie der<br />

Musischen Künste in Prag. Danach<br />

war er Meisterschüler von Hanns<br />

Eisler an der Akademie der Künste<br />

der DDR, zu deren Mitglied er im<br />

Jahre <strong>19</strong>78 gewählt wurde. Er wurde<br />

zum Professor für Komposition in<br />

Verbindung mit einer Meisterklasse<br />

gewählt und gründete <strong>19</strong>82 das Studio<br />

für Elektroakustische Musik. Neben<br />

seiner kompositorischen Arbeit<br />

(Kammermusik, Orchesterwerke, Solokonzerte,<br />

drei Opern, zwei Ballette,<br />

Puppenspiele) beschäftigt sich Katzer<br />

auch mit Computermusik, Multimedia-Projekten<br />

und Improvisation.<br />

Kompositionspreise und Auszeichnungen erhielt er<br />

in der DDR, in der Schweiz, in Frankreich, in den USA<br />

und in der Bundesrepublik Deutschland, dort u. a. das<br />

Bundesverdienstkreuz (2002) und den Deutschen Musikautorenpreis<br />

(2012).<br />

Bei Henschel Musik (Bärenreiter-Verlagsgruppe) sind<br />

vier Bühnenwerke verlegt: Die Herren des Strandes. Ein<br />

Stück mit Songs von Friedrich Gerlach (<strong>19</strong>71), Das Land<br />

Bum-Bum (<strong>19</strong>78 Berlin), Gastmahl oder Über die Liebe<br />

(<strong>19</strong>88) und Antigone oder Die Stadt (<strong>19</strong>91). www.georgkatzer.de<br />

– (Foto: Angelika Katzer)<br />

]<br />

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