Takte_2_19
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[t]akte<br />
2I20<strong>19</strong><br />
Ein ganz Großer tritt ab:<br />
Bernard Haitink<br />
Neue Bücher<br />
Am 6. September 20<strong>19</strong> hat er zum letzten Mal ein Orchesterkonzert<br />
geleitet. Als die Wiener Philharmoniker<br />
in Luzern den letzten Takt von Anton Bruckners 7. Symphonie<br />
gespielt hatten, ging eine einmalige Karriere zu<br />
Ende. Der niederländische Dirigent Bernard Haitink,<br />
der am 4. März seinen 90. Geburtstag feiern konnte,<br />
hat alles erreicht, was man in seiner Zunft erreichen<br />
kann. Die fast drei Jahrzehnte als Erster Dirigent des<br />
Concertgebouw-Orchesters Amsterdam sind ebenso<br />
legendär wie viele Auftritte mit den berühmtesten Orchestern<br />
der Welt. All das ist Anlass genug, mit diesem<br />
Buch die Aufmerksamkeit auf den großen Dirigenten<br />
zu richten, der das Licht der Öffentlichkeit jenseits des<br />
Pults nie gesucht hat: Sein Tun war kompromisslos auf<br />
die Musik fokussiert.<br />
Im Zentrum des Buches stehen Gespräche, die Peter<br />
Hagmann und Erich Singer von 2007 bis 20<strong>19</strong> mit<br />
Bernard Haitink geführt haben. Sie beleuchten Leben<br />
und Schaffen gleichermaßen: von den Jugendjahren in<br />
den von den Deutschen besetzten Niederlanden, seiner<br />
Ausbildung zum Geiger bis zur Dirigentenlaufbahn.<br />
Vertieft wird dies in thematischen Blöcken zu Haitinks<br />
Musizieren, seinen Interpretationsansätzen und seinen<br />
pädagogischen Tätigkeiten.<br />
Zwei große Essays runden das Buch ab: eine biografische<br />
Darstellung der über sechzig Jahre dauernden<br />
Dirigentenkarriere und ein Beitrag, der Haitinks<br />
Musikauffassung und ihre Konkretisierung in Opernaufführungen,<br />
Konzerten und zahllosen Aufnahmen<br />
schildert. Eine Reihe von exklusiven Fotografien – zum<br />
Teil aus dem Privatarchiv des Dirigenten – illustrieren<br />
den Band.<br />
Zum letzten Mal … Bernard Haitink bei seinem Abschiedskonzert<br />
am 6. September 20<strong>19</strong> in Luzern (Foto: Peter Fischli / Lucerne Festival)<br />
Textausschnitt<br />
Was halten Sie von der Macht des Dirigenten?<br />
Bernard Haitink: Überhaupt nichts. Von Anfang an war<br />
ich allergisch gegen das Wort „Macht“, und ich bin es<br />
nach wie vor. In meinen Anfängen war ich furchtbar<br />
unsicher, und etwas von dieser Unsicherheit habe ich<br />
bis heute behalten. Ich sehe das als eine Schwäche,<br />
ab und zu aber auch als eine Stärke von mir. Das<br />
Dirigieren, so finde ich, soll keine Machtausübung<br />
sein, es soll Musizieren sein, es soll Motivieren sein.<br />
Wenn ich mich als Diktator fühle, was mir schon von<br />
meinem Wesen her fremd ist, kann ich mit einem<br />
Orchester nicht arbeiten. Ich kann nur mit Musikern<br />
zusammenwirken, die willens sind, mit mir Musik zu<br />
machen, die sich durch mich angesprochen fühlen. Ein<br />
gutes Beispiel für diese Art der Zusammenarbeit bieten<br />
die Berliner Philharmoniker. In Berlin hatte ich immer<br />
einen ausgezeichneten Kontakt mit dem Orchester<br />
– wie es in Chicago und Amsterdam der Fall war. Ich<br />
bin fast ein wenig beschämt zu sagen: Ja, ich komme<br />
gut aus mit den Orchestern – weil viele Menschen den<br />
Dirigenten als eine Machtfigur sehen und von mir<br />
dann denken, ich sei das gerade nicht und darum eben<br />
nicht so gut als Dirigent. Aber es ist doch ganz klar:<br />
Ich brauche die Musiker, ich brauche den Klang, ich<br />
brauche die Lebendigkeit – und wenn ich einen Musiker<br />
beeinflussen will, muss er zuerst mich beeinflussen,<br />
die Kommunikation ist in diesem Fall eine gegenseitige<br />
Angelegenheit. Ich bin nun einmal nicht einer, der<br />
kommt und sagt, so und so ist es, anders geht es nicht.<br />
Es geht immer wieder anders, jedes Orchester ist<br />
verschieden, jeder Saal ist verschieden, auch ich als<br />
Mensch bin immer wieder anders – jeder Tag ist ein<br />
bisschen anders. Das ist für mich das Wunderbare. Man<br />
soll sich nicht festlegen – auch wenn man natürlich<br />
sein Metier beherrschen muss. […]<br />
Dirigieren ist nicht Luftsortieren. Dirigieren heißt:<br />
musizieren, kommunizieren – mit Musikern, mit<br />
Menschen. Jüngere Dirigenten, gerade solche in Ausbildung,<br />
verstehen dies manchmal noch nicht ganz<br />
– einige schon. Aber die meisten – ich war vielleicht<br />
auch so – wollen Eindruck machen. Aber das ist ein<br />
anderes Kapitel.<br />
Peter Hagmann / Erich Singer<br />
Bernard Haitink. „Dirigieren ist ein Rätsel“. Gespräche<br />
und Essays. BVK 2091. Bärenreiter-Verlag<br />
/ Henschel Verlag. 20<strong>19</strong>. 184 Seiten. € 24,95.<br />
Hans-Joachim Hinrichsen. Ludwig van Beethoven.<br />
Musik für eine neue Zeit. Bärenreiter-Verlag / Verlag<br />
J.B. Metzler. BVK 2072. 380 Seiten. € 39,99.<br />
Beethoven komponierte seine Musik für „die neue Zeit“.<br />
An den geistigen Strömungen seiner „revolutionären“<br />
Epoche nahm er intensiv Anteil: Sie bilden die Grundlage<br />
seiner musikalischen Botschaften, nicht nur in<br />
der Vokalmusik, sondern auch seiner Instrumentalmusik,<br />
die uns bis heute bewegen und zu denken geben.<br />
In zwölf Kapiteln erzählt Hans-Joachim Hinrichsen<br />
die lebensgeschichtlichen Stationen Beethovens und<br />
beschreibt die tiefere kompositorische und gedankliche<br />
Entwicklung des Komponisten. Er zeigt dabei, wie<br />
Beethoven die modernen, von Kant geprägten Ideen<br />
moralischer Selbstbestimmung oder einer vernunftgeleiteten<br />
Religiosität in Musik umsetzt. Entstanden<br />
ist damit ein neues, faszinierendes Porträt des Komponisten<br />
und seiner Musik, aber auch ein Panorama<br />
der geistigen Welt, in der sich Beethoven bewegte.<br />
Ein Buch nicht nur für Musikkenner, sondern auch für<br />
alle an Kultur- und Geistesgeschichte Interessierte.<br />
Silke Leopold: „Ein Mann von vielen Witz und Klugheit“.<br />
Leopold Mozart. Eine Biografie. Bärenreiter-Verlag. BVK<br />
2086. 280 Seiten. € 29,99.<br />
Was wüssten wir heute von Leopold Mozart, wenn<br />
er nicht der Vater seines Sohnes gewesen wäre? Sein<br />
rechtswissenschaftliches Studium hatte er abgebrochen,<br />
er wurde Kammerdiener und Musiker, schaffte<br />
es aber nie nach ganz oben, als Autor der vielgelesenen<br />
„Gründlichen Violinschule” erlangte er schließlich einige<br />
Bekanntheit: Leopold Mozart würde ohne seinen<br />
Sohn wohl in der Masse der vielen Musiker seiner Zeit<br />
untergehen. Die Frage kann aber auch andersherum<br />
gestellt werden: Was wäre aus Wolfgangus Theophilus<br />
geworden, wenn er einen anderen Lehrmeister gehabt<br />
hätte? Wenn der Vater nicht die Jahrhundertbegabung<br />
dieses Kindes erkannt und sein Leben fortan der Förderung<br />
seines Sohnes gewidmet hätte? Und natürlich ist<br />
Leopold Mozart viel mehr als nur der Vater seines Sohnes.<br />
Davon erzählt diese Biografie zum 300. Jubiläum.<br />
Am 14. November 17<strong>19</strong> wurde Leopold Mozart hineingeboren<br />
in eine Zeit, in der die alten Herrschaftsverhältnisse<br />
und konfessionellen Schranken ebenso beharrlich<br />
verteidigt wurden wie sie brüchig geworden waren.<br />
Leopold Mozart verstand sich als ein Mittler zwischen<br />
den Welten – ein Jesuitenschüler, der mit Protestanten<br />
Freundschaften schloss, ein Bürgersohn,<br />
der dem Adel diente, ein Geiger, der als Schriftsteller<br />
zu reüssieren hoffte. Und er war ein Mann, der mit<br />
offenen Augen durch die Welt reiste, voller Neugier<br />
auf alles: auf Religion und Medizin, auf Esskultur<br />
und Trinkgewohnheiten, auf Mode und Hygiene, auf<br />
Landschaft und Klima und vor allem auf die Menschen,<br />
die ihm begegnet sind. In Briefen offenbart sich<br />
Persönliches und Familiäres; sie sind darüber hinaus<br />
eine Fundgrube zu Lebenswelt und Alltagsgeschichte<br />
seiner Zeit. Über sechzig farbige Abbildungen machen<br />
diese Zeit anschaulich und lassen den Leser eintauchen<br />
in Mozarts Welt.<br />
Sergio Morabito: Opernarbeit. Texte aus 25 Jahren.<br />
Bärenreiter-Verlag / Verlag J.B. Metzler. BVK 2094. 320<br />
Seiten. € 28,99.<br />
Sergio Morabito war der Stuttgarter Oper fünfundzwanzig<br />
Jahre lang als Dramaturg und Regisseur verbunden;<br />
seine Arbeit wurde vielfach ausgezeichnet. In<br />
diesem Buch gibt Morabito Einblicke in die Praxis des<br />
Operndramaturgen und -regisseurs. Er setzt sich mit<br />
wichtigen Werken des Opernrepertoires auseinander<br />
und zeigt dabei, was als sein Markenzeichen gelten<br />
kann: die Vermittlung von wissenschaftlicher Erkenntnis<br />
mit künstlerischer Freiheit, ästhetischer Praxis mit<br />
analytischer Verbindlichkeit.<br />
Der erste Teil des Buches ist grundsätzlichen Fragen<br />
der Operndramaturgie gewidmet, im zweiten Teil<br />
stellt Morabito dramaturgische Überlegungen zu einer<br />
Fülle von Opern an, die am Stuttgarter Haus inszeniert<br />
wurden. Hinzu kommen Texte, die ästhetische und kulturelle<br />
Zusammenhänge werkübergreifend entfalten,<br />
beispielsweise zur romantischen Primadonnen-Oper.<br />
Fotos von Aufführungen, die Sergio Morabito im<br />
Regieteam mit Jossi Wieler und Bühnenbildnern wie<br />
Anna Viebrock oder Bert Neumann realisiert hat, ergänzen<br />
die Publikation.<br />
Handbuch Aufführungspraxis Sologesang. Hrsg. von<br />
Thomas Seedorf. BVK 2345. Bärenreiter-Verlag 20<strong>19</strong>.<br />
500 Seiten. € 69,–.<br />
Wie singt man ein Lautenlied von John Dowland? Wo ist<br />
ein Portamento angebracht? Was bedeutet „cercar della<br />
nota“? Darf man Schubert-Lieder verzieren? Und wie<br />
viel Spielraum haben Interpreten und Interpretinnen<br />
in Vokalwerken der Neuen Musik? Das Handbuch gibt<br />
Antworten auf diese und viele andere Fragen.<br />
Gegliedert nach Jahrhunderten, stellt es die Vokalpraxis<br />
von etwa 1600 bis zur Gegenwart vor: In systematischer<br />
Weise erschließt es zunächst Aspekte wie<br />
Stimmtypen, Gesangsästhetik, historische Aussprache,<br />
Ornamentik und Deklamation – stets mit Bezug auf<br />
die zeitgenössischen Quellen. Darauf folgen kommentierte<br />
Beispiele aus den verschiedenen Gattungen der<br />
jeweiligen Zeit, die das Spektrum vokaler Gestaltungsmöglichkeiten<br />
verdeutlichen und so Interpreten von<br />
heute die Grundlagen für die eigenen künstlerischen<br />
Entscheidungen an die Hand geben.<br />
Das Handbuch, verfasst von acht Spezialisten, wendet<br />
sich ebenso an Sänger und Gesangspädagogen wie<br />
an alle, die sich für Historische Aufführungspraxis<br />
interessieren.<br />
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