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Takte_2_19

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[t]akte<br />

2I20<strong>19</strong><br />

Lebensstürme<br />

Zum Tode des Komponisten Heinz Winbeck<br />

Heinz Winbeck starb im März 20<strong>19</strong> in Regensburg.<br />

Leonhard Scheuch, der Verleger des Bärenreiter-<br />

Verlags, erinnert sich an die Anfänge und die<br />

langen Jahre der Verlagsbeziehung zu dem Komponisten.<br />

Von dem in München wirkenden Bärenreiter-Komponisten<br />

und Kompositionslehrer Günter Bialas, der mit<br />

Ulrich Stranz und Peter Michael Hamel schon zwei seiner<br />

Schüler dem Verlag zugeführt hatte, war mehrmals<br />

der Hinweis, dann gar die Bitte an den Verlag gekommen,<br />

mit seinem ehemaligen Schüler Heinz Winbeck<br />

Kontakt aufzunehmen. Mein Interesse war vorhanden,<br />

und im Oktober <strong>19</strong>80 kam es anlässlich eines Konzerts<br />

in Stuttgart zu einer ersten Begegnung, einem längeren<br />

Pausengespräch mit meiner dezidierten Bitte, mir<br />

einige seiner unveröffentlichten Werke zuzusenden.<br />

Es ergab sich ein weiteres Zusammentreffens im April<br />

<strong>19</strong>81 bei einem Nachmittagskonzert im Hause Bialas in<br />

Glonn. Darauf erhielt ich, datiert vom 13. April, einen<br />

Brief aus Landshut:<br />

„Sehr geehrter, lieber Herr Scheuch,<br />

lassen Sie mir nochmals herzlich Dankeschön sagen<br />

dafür, daß Sie sich die Mühe gemacht haben, in mein<br />

Konzert zu kommen. Da Sie mir nun, nachdem Sie ein<br />

kleines Stück von mir gehört haben, anscheinend trotzdem<br />

wohlgesonnen sind, habe ich den Mut, Ihnen ein<br />

paar Partituren und Aufnahmen zu schicken. Vorher<br />

war ich mir zu unsicher, obwohl einige meiner Kollegen<br />

sich für mich bei mir eingesetzt hatten – das alleine war<br />

der Grund, warum ich zögerte.<br />

Da ich Ihnen gegenüber so aufrichtig wie möglich sein<br />

möchte, muss ich Ihnen gestehen, daß ich im Moment<br />

sehr verwirrt bin wegen des plötzlichen Interesses an<br />

meinen Stücken. Nachdem ich jahrelang von Verlagen<br />

nur Prospekte bekommen habe, bekomme ich in<br />

letzter Zeit wohlwollende Briefe – wohlgemerkt: ohne<br />

mein Zutun. (...) Mein lieber Lehrer sähe mich gern bei<br />

Ihnen, bei Bärenreiter: ich bin verwirrt, freudig – aber<br />

doch eben verwirrt - - - Was soll ich tun? Ich kann und<br />

will kein Doppelspiel betreiben, ich kann und will keine<br />

Bedingungen stellen, weil ich nicht weiß, wie weit ich<br />

Bedingungen erfüllen kann und Ansprüchen gerecht<br />

werden kann. Im Gegensatz zu den meisten meiner<br />

Kollegen, deren Produktivität ich ohne Zweifel schätze<br />

und bewundere, schreibe ich sehr wenige Stücke, und<br />

das wird sich auch grundsätzlich nicht sehr ändern.<br />

Bevor ich nun irgendwelche Entscheidungen treffe und<br />

Briefe schreibe, möchte ich Ihre Nachricht abwarten.<br />

[…] Bitte prüfen Sie nach Ihrer Kenntnis die Lage und<br />

teilen Sie mir Ihre Meinung oder Entscheidung möglichst<br />

bald mit.“<br />

Meine Antwort erfolgte am 28. April <strong>19</strong>81:<br />

„Lieber Herr Winbeck,<br />

dass Sie mir vor Ostern noch ein paar Partituren und<br />

eine Kassette zugeschickt hatten, freute mich sehr,<br />

und ich danke Ihnen dafür. Fast mehr aber noch freute<br />

mich Ihr Brief in seiner Offenheit und Ehrlichkeit; ich<br />

kann mir für unsere weiteren Gespräche keine bessere<br />

Basis denken. Ich habe größtes Verständnis für Ihre<br />

Haltung, ich finde sie absolut richtig und bin froh darüber.<br />

Dennoch möchte ich Ihnen keine ,Entscheidung‘<br />

mitteilen – weil ich der Meinung bin, dass wir diese nur<br />

gemeinsam fällen können.“<br />

Ich kündigte ihm für Juni einen zweitägigen Besuch<br />

in seinem heimischen Umfeld in Landshut an, um „in<br />

Ruhe ausführlich mit Ihnen zu reden – über alles ausgenommen<br />

über Bedingungen und Ansprüche“.<br />

So kam es, dass ich am 13. Juni <strong>19</strong>81 wohlpräpariert<br />

und angetan von den mir vorab zugesandten<br />

ersten zwischen <strong>19</strong>73 bis <strong>19</strong>79 entstandenen Werken<br />

nach Landshut fuhr (wo Heinz Winbeck, geboren am<br />

11. Februar im <strong>19</strong>46, in äußerst bescheidenen Verhältnissen<br />

aufgewachsen war) – herzlich empfangen von<br />

ihm und seiner Frau Gerhilde. Er erzählte offen über<br />

seine Jugend in Armut und wie sich die Umstände<br />

nach einem unverschuldeten Unfall dank eines<br />

Schmerzensgeldes verbessert hätten, was auch die<br />

Anschaffung eines Klaviers ermöglicht habe … Dass<br />

die Beschäftigung mit diesem Instrument tatsächlich<br />

zu einem Klavierstudium führen würde, erstaunt auch<br />

heute noch; jedenfalls brachte es ihn mit 17 Jahren an<br />

das Richard-Strauss-Konservatorium nach München,<br />

wo Winbeck nebenher auch Unterricht im Dirigieren<br />

nahm. <strong>19</strong>67 setzte er sein Studium an der Staatlichen<br />

Hochschule in München fort, erst bei Harald Genzmer,<br />

dann hauptsächlich bei Günter Bialas: ihm hatte er<br />

<strong>19</strong>73 „in großer Dankbarkeit“ seinen Entgegengesang<br />

für Orchester gewidmet. Wir sprachen ausführlich<br />

darüber, und Winbecks Text dazu erschien mir wie ein<br />

Credo für sein späteres Schaffen. Es gehe ihm darum,<br />

sich „von jeglichem experimentellen Tatendrang und<br />

allen -ismen zu lösen, stattdessen wollte ich das musikalische<br />

Urerlebnis, den Vorgang der Musikwerdung<br />

selber gestalten, von dem man nie so genau weiß, ob<br />

es sich um eine ,Begegnung‘ oder um eine Selbstprojektion<br />

handelt. Es war mir damals auch wichtig, das<br />

allgemein strapazierte Tonmaterial überschaubar auf<br />

jene Grundbausteine zu reduzieren, welche wirklich<br />

von mir vertreten werden konnten.“<br />

Heinz Winbeck hatte sich seinen Weg danach mühsam<br />

suchen müssen: als Schauspielkapellmeister und<br />

-komponist in Ingolstadt und Wunsiedel, bis erste<br />

Anerkennungen und Preise folgten und sich <strong>19</strong>80 die<br />

Chance bot, einen Lehrauftrag an der Staatlichen Hochschule<br />

für Musik in München zu übernehmen (wo er ab<br />

<strong>19</strong>87 als hauptamtlicher Dozent für Musiktheorie und<br />

Gehörbildung unterrichtete).<br />

<strong>19</strong>88 wechselte er als Professor für Komposition an<br />

die Staatliche Hochschule für Musik in Würzburg und<br />

leitete bis zu seiner Emeritierung viele junge Komponisten<br />

in seiner Kunst an – freundschaftlich, nachdenklich<br />

und stets Freiheit gewährend.<br />

Durch die Berufung nach Würzburg hatte sich seine<br />

Lebenssituation materiell und ideell verbessert: Es war<br />

ihm gelungen, <strong>19</strong>90 abseits jeglichen Stadtbetriebs in<br />

Schambach im Altmühltal in einem klosterähnlichen<br />

Anwesen eine Heimstätte zu finden, das die beiden<br />

Winbecks liebevoll über Jahre hinweg restaurierten<br />

und bewirtschafteten und zusammen mit Hunden,<br />

Katzen und weiteren Tieren bewohnten; auf einer<br />

selbst kunstvoll gestalteten Weihnachtskarte schrieb<br />

Heinz Winbeck <strong>19</strong>97 „Stellt Euch vor … da steht unser<br />

Weihnachtsbaum wieder im Stall bei den Tieren … und<br />

hängt voller bunter Bärchen! Was werden da wohl die<br />

Wiesa, das Nannerl, der Simmerl, die Zenzi, der Mupfl,<br />

die Rebekka, das Minnerl und die Laura sagen!? An<br />

Eurem Baum müssten – so stelle ich mir das vor – lauter<br />

kleine Komponistchen hängen!“ Dort einzukehren<br />

zum Weisswurstessen war jedesmal eine große Freude.<br />

Mit Entgegengesang für Orchester und Denk ich an<br />

Haydn. Drei Fragmente für Orchester und vier Kammermusikwerken<br />

durften wir erfreut Heinz Winbeck <strong>19</strong>82<br />

als Bärenreiter-Komponisten vorstellen. Über „Bedingungen<br />

und Ansprüche“ zu sprechen, bestand keine<br />

Notwendigkeit mehr, und mit<br />

der Voraussage, dass er nur<br />

sehr wenige Stücke schreibe,<br />

hat er recht behalten. Vierzehn<br />

sind noch dazugekommen,<br />

darunter fünf davon großdimensionierte<br />

Sinfonien, in<br />

ihrer Eigenständigkeit teils<br />

an Mahler, teils an Bruckner<br />

erinnernd. Die Fünfte, Jetzt<br />

und in der Stunde des Todes genannt,<br />

Bruckners Neunte gar<br />

ergänzend, wurde 2011 in Linz<br />

von Dennis Russell Davies<br />

uraufgeführt.<br />

Im Wissen, dass die CD-Edition<br />

mit seinen Sinfonien kurz<br />

vor dem Erscheinen stand,<br />

durfte Heinz Winbeck vier<br />

„… schreibe ich sehr wenige Stücke, und<br />

das wird sich auch grundsätzlich nicht sehr<br />

ändern.“ – Heinz Winbeck <strong>19</strong>46–20<strong>19</strong><br />

(Foto: Thomas Neumann)<br />

Tage vor seinem Tod am 26. März 20<strong>19</strong> von Russell Davies,<br />

der sich wie kein zweiter für sein Werk eingesetzt<br />

hatte, erfahren, dass er in Brünn mit großem Publikumserfolg<br />

dreimal sein Orchesterwerk Lebensstürme<br />

dirigiert hatte. Winbeck war nicht in die mährische<br />

Stadt gereist, da er inzwischen jegliches Reisen verabscheute.<br />

Wir nehmen Abschied von einem großen Stillen,<br />

der einen – seinen – voll und ganz eigenen Weg ging,<br />

nicht unbeirrt, aber authentisch in seinen ganz eigenen<br />

Lebensstürmen.<br />

Leonhard Scheuch<br />

Heinz Winbeck<br />

Sinfonien 1 bis 5<br />

Christel Borchers, Udo Samel, Günter Binge,<br />

Werner Buchin, Bruce Weinberger, Symphonieorchester<br />

des Bayerischen Rundfunks, ORF<br />

Radio-Symphonieorchester Wien, Deutsches<br />

Symphonie-Orchester Berlin, Beethoven Orchester<br />

Bonn, Muhai Tang, Dennis Russell Davies,<br />

Mathias Husmann. TYXart (5 CD)<br />

]<br />

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