12 VISION kleiner CODE, GROSSE WIRKUNG Die Arzneimittelversorgung in Deutschland ist eine der sichersten weltweit. Nur selten schaffen es gefälschte Medikamente in die Apotheken. Das liegt auch daran, dass die pharmazeutischen Lieferketten in Deutschland sicher sind. Auf internationaler Ebene sieht das mitunter anders aus: Digitalisierung und Globalisierung bieten kriminellen Organisationen immer mehr Möglichkeiten, täuschend echt scheinende Medikamentenfälschungen in Umlauf zu bringen – Tendenz steigend. Um dieser Entwicklung einen Riegel vorzuschieben, verabschiedete die Europäische Union mit der Fälschungsschutzrichtlinie 2011/62/EU und der Delegierten Verordnung 2016/161 neue Sicherheitsvorschriften. Seit Februar <strong>2019</strong> müssen nun alle verschreibungspflichtigen Medikamente in der EU eine individuelle Seriennummer sowie einen Erstöffnungsschutz tragen. Hubertus Hacke ABDA Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. RUND EIN HALBES JAHR NACH EINFÜHRUNG DER NEUEN EU-SICHERHEITSVORSCHRIFTEN ZUM SCHUTZ VOR GEFÄLSCHTEN MEDIKAMENTEN ZIEHT HUBERTUS HACKE VON DER BUNDESVEREINIGUNG DEUTSCHER APOTHEKERVERBÄNDE (ABDA) EINE ERSTE BILANZ: Herr Hacke, seit Februar <strong>2019</strong> muss die Echtheit von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln überall in der EU überprüfbar sein. Wie funktioniert dieses europaweite System? Um diese Überprüfung zu ermöglichen, müssen alle Verpackungen verschreibungspflichtiger Arzneimittel mit einem individuellen Data Matrix Code versehen werden. Das Inverkehrbringen des Medikaments wird dann anhand dieses Codes registriert und kann so zurückverfolgt werden. Die Codes sind in nationalen Datenspeichern gespeichert, die alle europaweit miteinander vernetzt sind. So kann man beispielsweise die Echtheit eines aus Spanien importierten Medikaments auch in einer deutschen Apotheke kontrollieren. Der Code wird in der Apotheke vor der Abgabe an den Patienten gescannt und überprüft, nur bei einer positiven Rückmeldung wird die Packung abgegeben. Bei Unstimmigkeiten löst das System einen Alarm aus und leitet ihn automatisch an den Arzneimittelhersteller weiter. Dieser hat dann sieben Tage Zeit, um Entwarnung zu geben, wenn beispielsweise lediglich der Code fehlerhaft war. Wird keine Entwarnung gegeben, geht eine Meldung an die zuständige Behörde, die einen Überprüfungsprozess startet. Gibt es Unterschiede bei der Umsetzung der europäischen Richtlinie in den einzelnen Ländern? Die EU-Verordnung von 2016 gibt einen relativ detaillierten Rahmen vor. Zum Beispiel muss jedes Land über einen Server zur Datenspeicherung verfügen, der von der Pharmaindustrie betrieben wird. Die Umsetzung wird aber national gesteuert. Der „deutsche Baustein“ ist die nicht gewinnorientierte Organisation securPharm e.V. – ein Zusammenschluss der Apotheker-, Hersteller- und Großhandelsverbände. securPharm hat die Umsetzung der EU-Verordnung aktiv mitgestaltet und dabei vor allem für mehr Praxisnähe der Bestimmungen in den Apotheken gesorgt. Auf nationaler Ebene hat securPharm das hiesige System zur Umsetzung der EU-Richtlinie aufgebaut. Das deutsche System basiert nämlich auf einem Zwei-Server-Modell. Scannen Apotheken einen Code, werden diese Daten zuerst an einen Apothekenserver gesendet, der sie danach in anonymisierter Form an den Server der pharmazeutischen Industrie weiterleitet, um „gläserne Apotheken“ zu verhindern. Welche Auswirkungen hatten diese technischen Neuerungen auf die Apothekenbranche? Zum einen gibt es organisatorische Auswirkungen: Alle Apotheken mussten einen Legitimierungsprozess durchlaufen, um an das neue Prüfsystem angeschlossen zu werden. Das System ist nur dann wirksam, wenn ausschließlich „echte“ Apotheken darin registriert sind. An Hardware mussten die Apotheken nicht viel nachrüsten, da die Standard-Scanner bereits in den letzten Jahren für das Scannen der 2D-Codes aufgerüstet wurden. Ein Softwareupdate war jedoch bei nahezu allen Anwendern notwendig. Im Apothekenalltag hat sich zudem verändert, dass vor Abgabe jedes verschreibungspflichtigen Medikaments der Code gescannt werden muss. Was ist mit Online-Apotheken? Für Versandapotheken, die Arzneimittel innerhalb der EU verschicken, gelten dieselben Vorgaben wie für die Apotheken vor Ort. Der Risikofaktor „Versand“ kommt allerdings hinzu: Die Versandapotheke scannt das Medikament, gibt es aber nicht direkt dem Patienten in die Hand, sondern schickt es per Post oder Kurierdienst zu ihm. Hier kann das Fälschungsschutzsystem nicht mehr überprüfen, was auf dem Weg zum Empfänger geschieht. Betrifft die neue Richtlinie eigentlich auch OTC-Produkte? Generell gilt die neue Richtlinie nur für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Ausnahmen sind rezeptfreie Produkte, die auf der sogenannten „Black List“ der EU-Verordnung stehen. Derzeit fällt darunter lediglich ein Magensäureblocker. Solche Medikamente müssen ebenfalls serialisiert werden, weil sie in der Vergangenheit gefälscht wurden. Wie verlief die Umsetzung des neuen Prüfsystems denn bisher? Wenn man bedenkt, dass es sich um eines der größten IT-Projekte in der Geschichte der EU handelt, lief es äußerst reibungsarm. Bei 27 verschiedenen Servern – 26 nationalen und einem europäischen – kann es natürlich zum einen oder anderen kleinen IT-Problem kommen, aber größere Fehler sind bisher ausgeblieben. Entscheidend ist, dass sich für den Patienten in der Wahrnehmung nichts zum Negativen hin verändert hat, sein Medikament jedoch noch einmal deutlich sicherer gegen etwaige kriminelle Fälschungsversuche geworden ist. Herr Hacke, vielen Dank für das Gespräch!
EXCEL LENCE