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Michael Leithinger - ORF

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eine Sonnenbrille gekauft, eine gespiegelte, die schützt mich vor seinem Blick. Heute haben wir<br />

deine Sonnenbrille vergessen, was Franz, so schludrig sind wir. Besser die Sonnenbrille vergessen<br />

als die Tabletten. Einmal hab ich dem Franz seine Tabletten vergessen mitzunehmen auf unsere<br />

große Abendrunde. Dann hat er zu zittern begonnen, als wir bei dem schönen teuren Heurigen<br />

vorbei gegangen sind. So stark, dass wir natürlich die Gäste aus ihrer Heurigenlaune herausgerissen<br />

haben. Da sind die Augen groß geworden und die Münder. Ich hab den Franz fester angeschnallt<br />

und ihn dann gleich weggerollt aus ihrem Blickfeld. Mein Kopf hat gepocht, und meine Augen hat<br />

es mir fast rausgedrückt, so viel hab ich mich geschämt für den Franz. Daheim dann, nachdem die<br />

Tabletten Ruhe in den Franz gebracht hatten, da hat mir das mit dem Schämen leid getan und ich<br />

hab mich zum Einschlafen ganz fest an den Franz gekuschelt und einfach nicht auf das Röcheln<br />

gehört.<br />

Ich rolle den Franz seit drei Jahren durch die Gegend. In seinem Rollstuhl. Von der Wohnung<br />

zum See. Von der Wohnung zum Arzt. Von der Wohnung zur Physio. Von der Wohnung zum Billa.<br />

Wieder von der Wohnung zum See. Die Gegend um den See ist flach, wie geschaffen für Rollifahrer.<br />

Warum hier eigentlich nicht mehr unterwegs sind, frage ich mich. Ich lasse den Blick über den See<br />

gleiten und stütze meinen Kopf in meine Hände. Die riechen nach Kampfer. Das wäre was, wenn<br />

Franz sich mit einem anderen Rollifahrer anfreunden würde, und sie würden dann zu zweit in der<br />

Abendsonne sitzen am See, mit den Füßen im Wasser und glucksen. Und ich würde mich mit der<br />

Person, die den anderen Rollstuhl schiebt, gut verstehen. So gut, dass wir immer abwechselnd die<br />

Spucke abwischen würden, einmal ich bei beiden und dann wieder sie. Eine Möwe schreit von<br />

hinterrücks. Ich höre ihr zu, ohne mich umzudrehen. Die Möwen sehen alle gleich aus hier am See.<br />

Am Meer, Franz, da gibt es viele verschiedene Möwen, kleine und große, weiße und graue. Solche<br />

die schreien und solche die krächzen. Am Meer, da gibt es auch ganz viele kleine Kothaufen von<br />

den Wattwürmern, das sieht lustig aus, Franz. Ich wollte immer mit dem Franz dorthin fahren, wo<br />

meine Eltern mit mir geurlaubt hatten, als ich klein war.<br />

Auch wenn ich ihn gerne rolle, weil ich dabei in die Gegend und nicht in sein starres Gesicht sehe:<br />

Das viele Rollen hat die Liebe platt gemacht. Die ist nicht mehr da. Fort. Unter den Rollstuhlrädern<br />

kleiner und kleiner geworden, bis sie verschwunden ist. Vorigen Herbst war das, glaube ich.<br />

Anfangs glaubte ich, sie würde wieder kommen, und wartete auf sie, aber jetzt warte ich nicht<br />

mehr. Manchmal, wenn ich Franz die Nase putze, dann drücke ich so fest zu, dass er für ein,<br />

zwei Momente keine Luft bekommt. Das tut mir gut. Gleich darauf kommt dann das schlechte<br />

Gewissen, sodass ich die nächsten paar Mal Naseputzen besonders zärtlich bin. Franz war früher<br />

LKW-Fahrer und viel unterwegs. Er hat mich oft angerufen aus Spanien oder Frankreich und mir auf<br />

Autobahnparkplätzen Blumen gepflückt, deren Namen ich nicht kannte. Ich mochte seine Stimme<br />

von unterwegs. Und wenn er aufbrach zu einer Tour, dann hatte er immer etwas Tapferes in seinem<br />

Blick. Mein Ritter Franz, hab ich zum Spaß gesagt, reite hinaus in die weite Welt. Jetzt rolle ich ihn<br />

durch die Gegend, damit er weiterhin das Gefühl hat, er kommt viel herum. Das tut ihm, glaub ich,<br />

gut. Zumindest spuckt er immer, wenn ich ihn von seinem Bett in den Rollstuhl hieve. Ich gehe<br />

zu ihm und berühre seine Füße, die sind kalt. Nicht, dass du dir noch einen Schnupfen holst,<br />

Franz. Ich schiebe den Rollstuhl ein Stück zurück, raus aus dem Wasser. Mit dem mitgebrachten<br />

Handtuch trockne ich seine Füße und ziehe ihnen Socken und Schuhe über.<br />

Heute war ein guter Tag. Ich war mit dem Franz beim Maibaumaufstellen. Ich glaube, es hat ihm<br />

gefallen, er hat viel gespuckt. Wie sie den Maibaum so Stück für Stück mit viel Mühe und unter<br />

großem Tamtam der örtlichen Musikkapelle aufgerichtet haben, da hab ich an den Franz seinen<br />

Penis denken müssen. Der Arzt hat gemeint Spontane Erektionen liegen durchaus im Bereich des<br />

Möglichen, aufgrund lokaler Reizleitungen. An diesen Satz hab ich mich gehalten, wenn ich dem<br />

Franz seinen Penis in der Hand gehabt hab. Ich hab gedacht, es tut ihm gut, und anfangs hat es mir<br />

auch Spaß gemacht. Aber es hat immer eine halbe Stunde oder länger gedauert bis er tatsächlich<br />

ein wenig gezuckt hat und größer geworden ist. Wenn überhaupt. Ich hab leider zwischendurch<br />

immer aufhören müssen, ihm die Spucke vom Kinn wischen. Einmal wollte ich mich dann drauf<br />

setzen, aber das hat nicht funktioniert. Seitdem lasse ich meine Finger vom Franz. Es geht auch<br />

ohne. Leider.<br />

Beim ersten Mal hab ich mich noch geschämt. Wenn ich bei unserer Abendrunde am See auf den<br />

langen Steg hinausgegangen bin, an dem die Boote festgemacht sind. Und dann der Gedanke<br />

Einmal ans Meer

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