20.01.2020 Aufrufe

Schauspiegel Winter 2019/20

Hallo liebe Leser*innen, wir freuen uns, Ihnen den ersten Schauspiegel in seiner Online-Ausgabe zu präsentieren. Der Schauspiegel ist das Magazin für die Schauspielbranche und erscheint ab sofort quartalsweise. Jedes Heft hat einen eigenen Themenschwerpunkt. Für unsere Premiere haben wir das Thema Diversität gewählt – ein Thema, das momentan überall für Schlagzeilen sorgt und in aller Munde ist.

Hallo liebe Leser*innen,
wir freuen uns, Ihnen den ersten Schauspiegel in seiner Online-Ausgabe zu präsentieren. Der Schauspiegel ist das Magazin für die Schauspielbranche und erscheint ab sofort quartalsweise. Jedes Heft hat einen eigenen Themenschwerpunkt.

Für unsere Premiere haben wir das Thema Diversität gewählt – ein Thema, das momentan überall für Schlagzeilen sorgt und in aller Munde ist.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Auftakt<br />

Am Anfang<br />

steht immer<br />

die<br />

Klassifikation.<br />

Man<br />

muss<br />

erstmal die<br />

Kästchen<br />

haben, in<br />

die man die<br />

Menschen<br />

einteilt.<br />

18<br />

Diskurse sind. Eine Schwulenbewegung musste es<br />

geben, weil es die Diskriminierung gab. Besser wäre<br />

es aber, wenn es erst gar nicht diese Identifizierungen<br />

geben müsste.<br />

A. R.: Also Identitätspolitiken sind dann sinnvoll,<br />

wenn man damit Gleichberechtigung durchsetzen<br />

möchte,<br />

T. B.: … wenn Sie gegen Diskriminierung kämpfen...<br />

A. R.: … aber was die AfD macht, ist ja auch Identitätspolitik.<br />

Das wendet sich doch eher zurück?<br />

T. B.: Irgendwann wendet sich Identitätspolitik<br />

wieder gegen die Leute zurück. Allein schon dieser<br />

Zwang sich zu identifizieren, der Zwang eine Identität<br />

zu haben – wozu brauche ich die eigentlich?<br />

Man ist der, der man ist. Es ist doch auch anstrengend,<br />

sich immer identifizieren zu müssen, seine<br />

Identität suchen zu müssen. Identitätspolitiken<br />

kippen sehr schnell um. Wenn Sie nämlich eine<br />

Gruppe definieren und dann dafür kämpfen, dass<br />

sie gleichberechtigt wird, dann ist das der Schritt in<br />

die eine Richtung. Aber wer sagt einem denn, dass<br />

unter veränderten politischen Bedingungen nicht<br />

genau diese Gruppe Objekt von Verfolgung und<br />

Diskriminierung wird?<br />

A. R.: Der Bezug auf die Identität, der ja eigentlich<br />

mit Diversität zu tun haben soll, dass verschiedene<br />

Identitäten in einer ambiguitätstoleranten bzw. diversen<br />

Gesellschaft möglich sind, der führt eigentlich<br />

zu dem Gegenteil von Diversität?<br />

T. B.: Er kann dazu führen. Am Anfang steht immer<br />

die Klassifikation. Man muss erstmal die Kästchen<br />

haben, in die man die Menschen einteilt. Diese<br />

Kästchenbildung ist alles andere als natürlich vorgegeben.<br />

Nehmen Sie das Kästchen „Rasse“. Ich habe<br />

befürchtet, dass für diese Sachen manchmal das Vorbild<br />

USA gilt, wo es eine große Diversity-Politik gibt.<br />

A. R.: ...wo es auch einfach ein wichtigeres Thema<br />

ist als bei uns...<br />

T. B.: Ja, wir haben da die Rassenzuordnung<br />

„weiß“, oder noch mit der lustigen Bezeichnung<br />

„Kaukasier“, und „schwarz“. Wie wird man weiß?<br />

Wenn man einen schwarzen Vorfahren hat, dann<br />

ist man schwarz und nicht weiß. Daran sehen Sie,<br />

wie schrecklich es ist, solche Kategorien bilden zu<br />

müssen. Natürlich braucht es zunächst eine Emanzipationsbewegung<br />

der Schwarzen, das ist völlig<br />

klar. Das war etwas Wichtiges und ist es immer<br />

noch, denn das Problem ist alles andere als gegessen.<br />

Aber solche Kategorien wenden sich auch immer<br />

gegen einen, d. h. es wäre besser, solche Kategorien<br />

nicht zu haben. Deshalb sage ich: Wenn es<br />

um Emanzipation geht, ist es unvermeidlich, aber<br />

der Idealzustand ist der, diese Kategorien einfach<br />

nicht zu haben. Menschen einzuteilen, steht immer<br />

am Anfang von Identitätspolitik, und es wäre<br />

besser, Menschen nicht einzuteilen.<br />

A. R.: Herr Bauer, jetzt haben wir mit Ihnen darüber<br />

gesprochen, dass Diversität oder Vielfalt, Mehrdeutigkeit<br />

vor vielen hundert Jahren noch eher möglich<br />

war, sagen wir mal bis die Religionen an Bedeutung<br />

verloren haben oder angefangen haben, zu verlieren.<br />

Andererseits sehen wir doch, dass wir von einer unglaublichen<br />

Vielfalt umgeben sind. Wir können uns<br />

unsere Identität aussuchen, unser Lebensmodell.<br />

Wenn wir ins Kaufhaus gehen, können wir uns zwischen<br />

sehr vielen Waren entscheiden. Es gibt durchaus<br />

so etwas wie einen Konsumterror. Kommt mit der<br />

Warenvielfalt auch die Abnahme an Mehrdeutigkeit,<br />

an Vielfalt?<br />

T. B.: Nicht notwendigerweise. Das hängt auch von<br />

der Frage ab, inwieweit man systemkonform funktioniert,<br />

d. h. Diskriminierung von Schwulen ist im<br />

Kapitalismus einfach wenig attraktiv, weil Schwule<br />

gute Konsumenten sind („double income, no kids“).<br />

Solche Diskriminierungen sind heute aber weniger<br />

relevant als solche durch die Klassenzugehörigkeit<br />

und durch die Frage, wie reich man ist.<br />

A. R.: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Authentizität,<br />

um auch nochmal auf dieses Wort zurückzukommen,<br />

durch Konsum möglich ist. Jeder hat die<br />

Möglichkeit, sich durch Konsum eine sehr besondere<br />

Authentizität zu schaffen. Andererseits ist Authentizität<br />

auch etwas, das man Donald Trump zuschreiben<br />

könnte – ... und dass es da möglicherweise Probleme<br />

für die Demokratie gibt. Kapitalismus und<br />

Demokratie passen vielleicht gar nicht zusammen?<br />

T. B.: Das ist jedenfalls ein Verdacht, den ich habe,<br />

ja. Ein vielleicht ganz nettes Beispiel, das mir immer<br />

wieder einfällt, ist ganz alltäglich. Es ist die Frage<br />

nach der Höflichkeit. Höflichkeit ist in der Regel<br />

nicht unbedingt authentisch. Ich sage Leuten höflich<br />

eine Sache, die ich aber vielleicht gar nicht so meine.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!