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EIN TOD IN DER FAMILIE Der Tod hat meinen Vater ereilt ... - Buch.de

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<strong>E<strong>IN</strong></strong> <strong>TOD</strong> <strong>IN</strong> <strong>DER</strong> <strong>FAMILIE</strong><br />

<strong>Der</strong> <strong>Tod</strong> <strong>hat</strong> <strong>meinen</strong> <strong>Vater</strong> <strong>ereilt</strong>. So stand es in <strong>de</strong>r<br />

<strong>Tod</strong>esanzeige, und dieselbe Phrase haben sich die alten<br />

Leute an <strong>de</strong>r Beerdigung zugeraunt, wie ein Mantra, wohl um<br />

sich gegenseitig zu versichern, dass ihr eigener <strong>Tod</strong> kurz<br />

und schmerzlos sein wür<strong>de</strong>.<br />

Glauben Sie’s mir: <strong>Der</strong> <strong>Tod</strong> <strong>hat</strong> <strong>meinen</strong> <strong>Vater</strong> nicht<br />

<strong>ereilt</strong>. Warum sollte sich <strong>de</strong>r <strong>Tod</strong> für irgend jeman<strong>de</strong>n<br />

beeilen? <strong>Der</strong> <strong>Tod</strong> wartet ab und lässt die Alten und die<br />

Kranken und alle an<strong>de</strong>ren, <strong>de</strong>ren Uhr abgelaufen ist, zu<br />

sich kommen. <strong>Der</strong> <strong>Tod</strong> <strong>hat</strong> Zeit. Mehr als elf Tage im Koma<br />

<strong>hat</strong> mit Eile nichts zu tun. Da war <strong>de</strong>r Unfall: Mein <strong>Vater</strong><br />

auf <strong>de</strong>m Fahrrad zur Arbeit, wie je<strong>de</strong>n Morgen, und dann ein<br />

Lastwagen von links, und klatsch. Unvermittelt. Mitten im<br />

Leben. In <strong>de</strong>r Blüte seiner Jahre. Intensivstation, Trauma,<br />

innere Blutungen, Koma, und schliesslich multiples<br />

Organversagen. Im Ringelreihen gab die Milz, dann die<br />

Leber, dann die eine Niere, dann die an<strong>de</strong>re, <strong>de</strong>n Geist<br />

auf, je<strong>de</strong>n Tag ein Organ. Man konnte drauf warten, wie auf<br />

<strong>de</strong>n Briefträger. Sein Geist ist ziemlich plötzlich<br />

entschwun<strong>de</strong>n, aber sein Körper <strong>hat</strong> nur allmählich dicht<br />

gemacht. Sagen wir es so: Das Sterben <strong>hat</strong> ihn <strong>ereilt</strong>, aber<br />

<strong>de</strong>r <strong>Tod</strong> <strong>hat</strong> sich Zeit gelassen.<br />

1


Noch mehr Geduld als <strong>de</strong>r <strong>Tod</strong> <strong>hat</strong>te meine Mutter. <strong>Der</strong><br />

behan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Arzt, Dr. Keller, informierte sie noch am Tag<br />

<strong>de</strong>s Unfalls, dass sie als Gattin <strong>de</strong>s Patienten das Recht<br />

habe, bei andauern<strong>de</strong>m und tiefem Koma <strong>de</strong>n Stecker zu<br />

ziehen; die Entscheidung läge allein bei ihr. Mama begann<br />

zu weinen, und meine Schwester tröstete sie und begann<br />

dann ebenfalls zu heulen. Ich war entnervt, weil ich gerne<br />

mehr von Dr. Keller erfahren hätte, aber ich sagte nichts.<br />

Ich ahnte von Anfang an, dass Mama nicht locker lassen<br />

wür<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn so lange an <strong>Vater</strong>s Bett ausharren wür<strong>de</strong>,<br />

bis er aufwachen und zur grossen Begeisterung aller<br />

Betroffenen endlich wie<strong>de</strong>r eine Flasche Bier verlangen<br />

wür<strong>de</strong> - seht her, wie<strong>de</strong>r ganz <strong>de</strong>r Alte.<br />

Niemand wollte die heikleren Punkte erwähnen, zum<br />

Beispiel, dass mein <strong>Vater</strong> einfach sterben könnte, schnell<br />

und relativ schmerzlos, ohne Chance auf Genesung. Man kann<br />

sich vorstellen, wohin multiples Organversagen meistens<br />

führt. So war es stillschweigend mir überlassen, das<br />

<strong>de</strong>likate Thema am Sterbebett anzuschnei<strong>de</strong>n. Ich ahnte,<br />

dass eine solche Diskussion mit Tränen und ähnlichen<br />

Überreaktionen en<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, und ich musste mich vorher<br />

absichern. Ich ging <strong>de</strong>shalb am Tag nach <strong>de</strong>m Unfall zu Dr.<br />

Keller ins Büro.<br />

2


Er war gera<strong>de</strong> mit Papierkram beschäftigt. „Ah, sie<br />

sind <strong>de</strong>r Sohn von – “<br />

„Vom Koma, ja. Ich wollte ein paar Fragen stellen.“<br />

<strong>Der</strong> Doktor legte seinen Schreibstift hin, schaute<br />

mich an und sagte dann: „Setzen Sie sich.“<br />

„Danke.“ Ich setzte mich. „Was ich mich gefragt habe,<br />

als Sie mit meiner Mutter gesprochen haben… Ich meine, sie<br />

ist ja direkt betroffen, und ich verstehe, dass sie mit<br />

ihr diplomatisch sein müssen, aber mit mir können Sie<br />

offen re<strong>de</strong>n.“<br />

Er legte <strong>de</strong>n Kopf von einer Seite auf die an<strong>de</strong>re.<br />

„Wie <strong>meinen</strong> Sie das?“<br />

„Ich meine damit, was können Sie mir raten?“<br />

„Sie wollen einen Rat von mir?“<br />

„Ja, Sie sind ja Arzt, da müssen Sie sich doch<br />

auskennen. Was ist jetzt <strong>de</strong>r beste Weg?“<br />

Er lehnte sich mit <strong>de</strong>n Ellbogen auf sein Pult,<br />

faltete die Hän<strong>de</strong> und sah mich an. „Ich kann Ihnen nichts<br />

raten. Die Entscheidung liegt bei Ihrer Mutter, und ich<br />

kann Ihnen nichts raten, weil es nicht ein Mitglied meiner<br />

Familie ist, das im Koma liegt. Keine <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />

Entscheidungen ist besser als die an<strong>de</strong>re. Die Wahl Ihrer<br />

Mutter, die Maschine weiter laufen zu lassen o<strong>de</strong>r sie<br />

abzustellen – diese Wahl zu treffen, das ist etwas vom<br />

3


Schwierigsten, was man sich vorstellen kann. Ich kann<br />

nieman<strong>de</strong>m einen Rat geben dabei. Von ethischen Grundsätzen<br />

einmal abgesehen, wür<strong>de</strong> ich mich dabei auch noch strafbar<br />

machen.“<br />

Ich wusste nicht, ob er mich verstan<strong>de</strong>n <strong>hat</strong>te, und<br />

beschloss, es auf an<strong>de</strong>re Weise zu versuchen. „Also gut,<br />

raten Sie mir nichts, aber sagen Sie mir, was die Vor- und<br />

Nachteile sind vom Weiterlaufen lassen und vom Abstellen.<br />

Ganz unverbindlich und neutral.“<br />

Keller schüttelte <strong>de</strong>n Kopf und schien etwas sagen zu<br />

wollen, aber dann schwieg er und sah mich an. Endlich<br />

sagte er: „Es gibt keine Vorteile. Ihr <strong>Vater</strong> liegt im<br />

Koma, und er ist <strong>de</strong>m <strong>Tod</strong> nahe. Das ist mehr als ein<br />

Nachteil, es ist eine Tragödie. Es liegt bei Ihrer Mutter,<br />

ihn weiter so am Leben zu erhalten o<strong>de</strong>r ihn sterben zu<br />

lassen. Manche Angehörige halten ein langes Koma nicht<br />

aus, weil sie glauben, dass <strong>de</strong>r Patient o<strong>de</strong>r die Patientin<br />

schwer lei<strong>de</strong>t, und sie stellen die Maschinen ab. An<strong>de</strong>re<br />

harren aus, bis <strong>de</strong>r Körper von selbst aufgibt. Medizinisch<br />

gesehen wissen wir nicht, ob und wie sehr Komapatienten<br />

tatsächlich lei<strong>de</strong>n. Wie <strong>de</strong>m auch sei, Ihre Mutter muss<br />

zwischen zwei schrecklichen Möglichkeiten wählen.“<br />

4


Ich <strong>hat</strong>te <strong>de</strong>n Verdacht, dass Dr. Keller mich nicht<br />

verstehen wollte. Ich musste <strong>de</strong>utlicher wer<strong>de</strong>n: „Wie lange<br />

geben Sie meinem <strong>Vater</strong> noch?“<br />

Keller schien nachzu<strong>de</strong>nken und sagte dann: „Ich kann<br />

Ihrer Mutter nicht die schwere Entscheidung auferlegen,<br />

Ihren <strong>Vater</strong> leben o<strong>de</strong>r sterben zu lassen, und Ihnen<br />

gleichzeitig hinter ihrem Rücken eine geschätzte<br />

Lebenserwartung mitteilen. Eine solche Prognose könnte die<br />

Entscheidung Ihrer Mutter beeinflussen. Ausser<strong>de</strong>m ist die<br />

Dauer eines Komas sehr schwierig vorauszusagen.“<br />

Ich begann zu ahnen, dass die Diskussion keinen Sinn<br />

<strong>hat</strong>te. Dr. Kellers Antworten drehten sich im Kreis, wohl<br />

absichtlich, um nichts zu sagen, wofür man ihn später<br />

haftbar machen könnte. Ich fand es auch unhöflich, dass er<br />

auf je<strong>de</strong> meiner Fragen mit einem kurzen Vortrag antworten<br />

musste. Ich stand auf und verabschie<strong>de</strong>te mich mit einem<br />

Nicken.<br />

Ich dachte die nächsten zwei Tage gründlich über<br />

meine Situation nach, und schliesslich wusste ich, wo ich<br />

stand. Ein andauern<strong>de</strong>s Koma wür<strong>de</strong> unsere Familie<br />

zerstören. Meine Mutter wür<strong>de</strong> ihrem Gatten je<strong>de</strong>n Tag<br />

frische Blumen in die Vase stellen und ihm langsam und<br />

<strong>de</strong>utlich aus <strong>de</strong>r Zeitung vorlesen und dabei immer<br />

schrulliger wer<strong>de</strong>n. Meine Schwester wür<strong>de</strong> ihren<br />

5


Freun<strong>de</strong>skreis aufgeben, um ihrem <strong>Vater</strong> die lauwarme,<br />

reglose Hand zu halten, sie wür<strong>de</strong> zunehmen und sich<br />

vernachlässigen und als alter Jungfer en<strong>de</strong>n. Bei<strong>de</strong> Frauen<br />

wür<strong>de</strong>n an Depressionen und Schlaflosigkeit lei<strong>de</strong>n, und<br />

nach Papas <strong>Tod</strong> wür<strong>de</strong> Mama nach einigen Wochen ebenfalls<br />

sterben, am Schock, dass all ihre Hoffnungen für die Katz<br />

gewesen waren. Und meine Schwester wür<strong>de</strong> zum apathischen<br />

Pflegefall in einer anonymen Anstalt. Das konnte ich nicht<br />

zulassen. Auch wenn mein <strong>Vater</strong> nicht mehr zählte, waren<br />

wir trotz<strong>de</strong>m eine Familie.<br />

Erst am Abend <strong>de</strong>s zweiten Tages kehrte ich ans<br />

Sterbebett zurück. Meine Mutter und Ingrid waren schon da.<br />

Meine Mutter ist Hausfrau und <strong>hat</strong> nie einen Beruf gelernt,<br />

aber meine Schwester musste frei genommen haben von ihrem<br />

trostlosen Job bei einer Versicherung. Ich konnte <strong>meinen</strong><br />

Arbeitsplatz nicht verlassen; meine Kun<strong>de</strong>n mussten auf<br />

mich zählen können. Ausser<strong>de</strong>m sah ich nicht ein, weshalb<br />

ich je<strong>de</strong> letzte und hinterste Zuckung meines <strong>Vater</strong>s<br />

mitbekommen sollte.<br />

Mama und Ingrid sahen mü<strong>de</strong> und schwach aus, ihre<br />

Augen waren rot, und ich sah sofort, dass sie kaum<br />

geschlafen <strong>hat</strong>ten. Trotz<strong>de</strong>m wirkten sie nervös;<br />

wahrscheinlich waren sie voll bis obenhin mit diesem<br />

Krankenhaus-Automaten-Kaffee. Ich gab bei<strong>de</strong>n ein Küsschen,<br />

6


aber niemand von uns sprach. Ich schämte mich ein bisschen<br />

dafür, kein Kreuzworträtsel-Heft mitgebracht zu haben.<br />

Mein <strong>Vater</strong> lag einfach da. Ich sah, dass jemand das<br />

Bettzeug gewechselt <strong>hat</strong>te, aber die Bildschirme über <strong>de</strong>m<br />

Bett zeigten die gleichen Zahlen und Kurven wie schon vor<br />

zwei Tagen. Ich liess die Atmosphäre eine halbe Stun<strong>de</strong> auf<br />

mich wirken, dann ging mir das Pfeifen und Pumpen und<br />

Piepen <strong>de</strong>r Maschinen <strong>de</strong>rmassen auf <strong>de</strong>n Wecker, dass ich<br />

einfach re<strong>de</strong>n musste.<br />

„Mama.“<br />

Sie hörte mich nicht, son<strong>de</strong>rn starrte mit<br />

rotgerän<strong>de</strong>rten Augen weiter auf ihren komatösen Ehemann.<br />

„Mama, hör mal. Hast Du Dir schon mal überlegt, dass<br />

es so nicht wirklich weiter gehen kann?“<br />

Sie schaute mich an, als hätte ich in einer frem<strong>de</strong>n<br />

Sprache gere<strong>de</strong>t. Immerhin <strong>hat</strong>te ich ihre Aufmerksamkeit.<br />

„Sieh mal, Mama, <strong>de</strong>r Mann ist nur noch ein Stück<br />

Fleisch. <strong>Der</strong> Arzt spricht von minimaler Hirntätigkeit, und<br />

eventuell wer<strong>de</strong>n die Organe auch bald <strong>de</strong>n Geist aufgeben.<br />

Ist das nicht ein Zeichen, was meinst du?“<br />

Mama schnappte ein paar Mal nach Luft, als ob sie<br />

etwas sagen wollte, und begann dann laut zu heulen. Ich<br />

wartete darauf, dass meine Schwester ebenfalls zu heulen<br />

7


anfangen wür<strong>de</strong>. Statt <strong>de</strong>ssen zog sie mich unsanft am Arm<br />

auf <strong>de</strong>n Korridor hinaus.<br />

„Bist du komplett verrückt gewor<strong>de</strong>n? Das ist unser<br />

<strong>Vater</strong>, <strong>de</strong>r da liegt!“<br />

Ich versuchte, sachlich und vernünftig zu bleiben.<br />

„Ach, es geht doch zu En<strong>de</strong>. Willst du wirklich Tag für Tag<br />

hierher kommen und ihm beim Sterben zusehen?“<br />

Ingrid sah mich entgeistert an.<br />

„Sieh es doch von <strong>de</strong>r praktischen Seite: das Geld,<br />

die Zeit. Und <strong>de</strong>r Strom. Willst du das wirklich? Und wenn<br />

er aufwacht, aber sich nicht mehr selbst bewegen kann, wer<br />

sorgt dann für ihn? Willst du ihn dann füttern und<br />

waschen? Das wäre ihm doch peinlich, so auf an<strong>de</strong>re<br />

angewiesen zu sein. Wir täten ihm und uns gleichermassen<br />

einen Gefallen.“<br />

Einen Moment lang dachte ich, sie wür<strong>de</strong> mich<br />

schlagen; Leute unter emotionalem Stress sind ja manchmal<br />

zu irrationalen Handlungen fähig. Sie sagte aber nur: „Geh<br />

nach Hause, und komm erst wie<strong>de</strong>r, wenn du bei Verstand<br />

bist.“ Dann ging sie zurück ins Zimmer und schloss die Tür<br />

hinter sich, ohne sich umzudrehen.<br />

Am nächsten Tag kam ich während meiner Mittagspause<br />

zurück, und niemand von <strong>de</strong>n dreien schien sich von <strong>de</strong>r<br />

Stelle bewegt zu haben. Mama fing gleich wie<strong>de</strong>r an zu<br />

8


weinen, aber lautlos, und ich sah, wie sie sich auf ihrem<br />

Stuhl vor und zurück wiegte. Ich wusste doch, dass<br />

Abschied nehmen alles an<strong>de</strong>re als leicht war, und mir ging<br />

es ja auch so, allerdings behielt ich die Fassung. Von<br />

meiner Schwester bekam ich einen langen, warnen<strong>de</strong>n Blick,<br />

aber als ich mich artig auf <strong>meinen</strong> Stuhl setzte und mich<br />

nicht bewegte, sah sie wie<strong>de</strong>r weg. Ich blieb regungslos<br />

sitzen und bewegte mich erst wie<strong>de</strong>r, als mein Rücken zu<br />

schmerzen begann. Zum Glück war meine Mittagspause nach<br />

einer Stun<strong>de</strong> zu En<strong>de</strong>, und ich humpelte gebeugt Richtung<br />

Lift, um pünktlich wie<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r Arbeit zu sein.<br />

Auf <strong>de</strong>m Weg dorthin erinnerte ich mich an einen<br />

Ausflug, auf <strong>de</strong>n mich mein <strong>Vater</strong> mitgeschleppt <strong>hat</strong>te, als<br />

ich etwa sechs, sieben Jahre alt war. Wir fuhren gemeinsam<br />

an einen See, und erst als wir auf <strong>de</strong>r Pier stan<strong>de</strong>n,<br />

erklärte er mir, dass wir fischen gehen wür<strong>de</strong>n. Er mietete<br />

ein kleines Ru<strong>de</strong>rboot mit Anglerzeug darin und fuhr mit<br />

mir auf <strong>de</strong>n See hinaus. Er zeigte mir, wie man <strong>de</strong>n Kö<strong>de</strong>r<br />

festmacht, wie man die Rute ins Wasser hält, <strong>de</strong>n ganzen<br />

Kram. Danach passierte zwei Stun<strong>de</strong>n gar nichts. Ich <strong>hat</strong>te<br />

schon bald Rückenschmerzen vom reglosen Hocken und fragte<br />

mich schon, wie lange wir noch in diesem kleinen Boot<br />

sitzen wür<strong>de</strong>n, als meine Leine zu zucken begann. Mein<br />

<strong>Vater</strong> kam sofort zu mir herüber und riss mir die Rute aus<br />

9


<strong>de</strong>r Hand. Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schnur zappelte ein grosser Fisch,<br />

ich weiss heute noch nicht, welche Art das war, und er zog<br />

ihn ins Boot und löste ihn vom Haken. <strong>Der</strong> Fisch zappelte<br />

in seiner Hand, und mit Entsetzen sah ich, wie mein <strong>Vater</strong><br />

<strong>de</strong>n Fisch am Schwanz hielt und ihn über die Kante <strong>de</strong>s<br />

Bootes schlug. Ich hörte mich schreien: „Nein, nein, lass<br />

ihn, wirf ihn wie<strong>de</strong>r rein!“ Mein <strong>Vater</strong> schlug noch ein<br />

paar Mal zu und drehte sich dann zu mir um: „Zu spät.<br />

Jetzt ist er tot, aus, vorbei.“ Er we<strong>de</strong>lte mit <strong>de</strong>m toten<br />

Fisch herum. „Reinwerfen wäre Unsinn. Wir sind doch zum<br />

Fischen hier.“ Er drehte sich um und warf <strong>de</strong>n Fisch in<br />

einen Plastikeimer. Dann setzte er sich wie<strong>de</strong>r hin, und<br />

mein Schock verwan<strong>de</strong>lte sich langsam in weitere Stun<strong>de</strong>n<br />

Langeweile und Rückenschmerzen.<br />

Ab <strong>de</strong>m dritten Tag begannen die Organe zu versagen,<br />

und am zwölften Tag <strong>ereilt</strong>e <strong>meinen</strong> <strong>Vater</strong> <strong>de</strong>r <strong>Tod</strong>.<br />

Eigentlich scha<strong>de</strong> um ihn, im Grun<strong>de</strong> genommen hab ich ihn<br />

ja gemocht.<br />

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