SCHWEIZ ENTDECKEN: FREIBURG1Caroline SchusterCordone vom Museumfür Kunst und GeschichteFreiburg ist selbst eingrosser Fan von JeanTinguely und Niki deSaint Phalle.2Im Espace Jean Tinguely– Niki de Saint Phalle inFreiburg sind einigebedeutsame Werke derbeiden Künstler zu sehen.3Gross, beweglich undlärmig: Tinguelysberühmtes Spätwerk«Retable» fasziniert Jungund Alt gleichermassen.1Kathedrale, war er oft anzutreffen. Als wir die Türzum Gothard aufstossen, strömt uns intensiver Käsegeruchentgegen. Das Restaurant ist berühmt für seineFonduekreationen und andere lokale Spezialitäten– und offenbar beliebt bei Persönlichkeiten wie BundesratAlain Berset oder FC-Sion-Präsident ChristianConstantin. Davon zumindest zeugen die Porträts ander Wand.Auffällig ist auch das grosse Kunstwerk, das über denKöpfen der Gäste an der Wand hängt: ein filigranesGebilde aus den unterschiedlichsten, scheinbar wahlloszusammengebauten Objekten wie Rädern odereiner Nähmaschine. Ein Tinguely? Nein, die Skulpturist zwar von ihm inspiriert, stammt aber vom SchweizerKünstler Pascal Bettex. Für die drei jungen Frauen,die an einem Tisch unterhalb des Kunstwerks sitzen,spielt das keine Rolle. «Wir sind wegen des Fondueshier», lassen sie lachend wissen.In unserer Arbeitwaren wir sehr ernsthaft,professionell undselbstkritisch. Wir versuchtenimmer besserzu werden, technisch undkünstlerisch.So chaotisch, unbeschwert und willkürlich JeanTinguelys Kunst wirken mag, der Künstler war ein«Chrampfer». Er investierte viel Zeit und Herzblut inseine Werke und übte Kritik an Gesellschaft und Politik.Ein gutes Beispiel ist sein Spätwerk «Retable deswestlichen Überflusses und des totalitären Merkantilismus»von 1989/1990. Zu sehen im Espace JeanTinguely – Niki de Saint Phalle, der zum Museum fürKunst und Geschichte Freiburg gehört. Unweit des Cafédu Gothard und der Rue de Lausanne gelegen, beherbergtdas ehemalige Tramdepot eine Sammlung bedeutsamerWerke der beiden Künstler.Vizedirektorin Caroline Schuster Cordone empfängtuns und erklärt, was es mit Tinguelys «Retable» aufsich hat. Geschaffen für eine Ausstellung 1990 in Moskau,warnte der bewegliche, lärmende Altar des Künstlersdas russische Publikum vor den Gefahren derKonsumgesellschaft. «Das Werk besteht aus vielenFreizeitobjekten – Rädern, Spielzeugen, Skis – undsollte auf spielerische Weise zeigen, dass die westlicheWelt im Überfluss lebt», sagt sie. Tinguely habe den«Retable» nach dem Vorbild eines Kirchenaltars gebautmit einem fixen Mittelstück, das von zwei beweglichenFlügeln flankiert wird. «Seine religiös geprägteKindheit ist in vielen seiner Kunstwerke erkennbar»,fährt Caroline Schuster Cordone fort, als zwei kleineKinder vor der riesigen Maschine stehen bleiben, fasziniertvom Lärm und von den Bewegungen.Ping Pong! Das warein Spiel. Der eine regteden anderen an, zumGrösseren, zum Verrückteren.Was die Vizedirektorin selbst an den Werken von JeanTinguely und Niki de Saint Phalle schätzt: «Sie funktionierenauf so vielen Ebenen und unabhängig davon,welches Vorwissen jemand hat.» Sie sehe immer wieder,wie sich gerade Kinder an den lauten und lustigenWerken Tinguelys und den farbenfrohen Figuren deSaint Phalles freuen würden. Dass sich das Künstlerpaargegenseitig stark beeinflusst hat, wird an Skulpturenwie der «Mythologie blessée» deutlich. Dasauffällige goldene Fabelwesen – halb Schwan, halbSchlange –, das von einer typischen, eisernen Tinguely-Konstruktiongetragen wird, ist zum Wahrzeichendes 1998 eröffneten Espace Jean Tinguely – Nikide Saint Phalle geworden. «Dieses Gemeinschaftswerkist sehr wichtig; es zeigt, dass die beiden Künstler engzusammengearbeitet und sich gegenseitig Raum fürIdeen gelassen haben», betont Caroline Schuster Cordone.«Tinguely, häufig als Macho dargestellt, hat sichhier ganz in den Dienst seiner Partnerin gestellt.»Die Kunst war die grosseLiebe im Leben Jeansund in meinem Leben.2Gerne würden wir uns die faszinierenden Maschinenund Figuren noch etwas länger anschauen, doch wirmöchten sehen, wo Jean Tinguely seine kreativen Ideenwalten liess und wo er heute begraben liegt. OdileHayoz nimmt uns mit nach Neyruz, in das hübscheDorf wenige Kilometer ausserhalb von Freiburg. Dasie selbst hier lebt, kommt die Stadtführerin regelmässigan Tinguelys ehemaligem Haus und seinemGrab vorbei. Letzteres erinnert – wie könnte es anderssein – dank einer Tinguely-Skulptur nicht nur an denKünstler, sondern auch an dessen grosse Liebe: dieKunst.Quelle zu den Zitaten von Niki de Saint Phalle:«Niki de Saint Phalle – Aventure Suisse», Benteli Verlag Bern,3., überarbeitete und ergänzte Auflage 2010.14
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