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llora 5 LP

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»Guten Morgen Padre, vielen Dank noch

einmal für die Unterkunft, ich habe Sie seit meiner

Ankunft leider nicht mehr gesehen, um mich

persönlich zu bedanken.«

Der alte Mann sieht von seiner Gartenarbeit

hoch in das Gesicht ihres neuesten Klosterzuganges

in den Bergen Kolumbiens.

»Dafür brauchst du mir nicht zu danken. Gott

hat dich zu uns geschickt und ich hoffe, dass du

hier die Ruhe findest, die du brauchst und wieder

auf den richtigen Weg findest.«

Der Mann, der neu zu ihnen gefunden hat,

versucht sein altes Leben hinter sich zu lassen. Er

ist nicht der Erste, der in Trauer oder aus Angst

vor seinem Leben zu ihnen geflüchtet ist, einige

brauchen nur ein paar Tage Ruhe, andere finden

ihren Weg zu einem neuen Leben und zu Gott und

bleiben bei ihnen.

»Ich weiß, doch ich möchte mich gerne mit

meiner Hilfe bedanken. Morgen fahre ich mit

Padre Erikson auf den Markt und helfe ihm auch

dabei, die Holzvorräte aufzufüllen. Ich hoffe, ich


kann so etwas dazu beitragen und mich für das

Bett und die Mahlzeiten bedanken.«

Der alte Mann lächelt nur und nickt.

»Ach so und noch etwas, Padre: Sie wissen ja, dass

ich früher einmal als Psychologe gearbeitet habe.

Padre Ortiga hat mir von dem Arbeiter erzählt,

der seit einigen Jahren bei ihnen lebt und der sein

Gedächtnis nach einem Autounfall verloren hat.

Ich habe mit ihm zwei Sitzungen gemacht. Padre

Ortiga sagt, dass der Mann sich an nichts erinnern

kann. Sie haben ihn damals aus dem Krankenhaus

geholt, nachdem sie verständigt wurden, dass dort

ein Mann liegt, von dem niemand weiß, wohin

er gehört. Doch seine Tattoos und alles andere

zeigen klar, dass er ein Leben vor dem Unfall

gehabt haben muss und nach einigen Stunden der

Überredungskunst habe ich es geschafft, ihn in

Trance zu versetzen.«

Der alte Mann setzt seine Harke ab und schüttelt

den Kopf.

»Wir hatten das schon einige Male besprochen.

Ich weiß, dass Padre Ortiga sich oft Gedanken

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wegen dem Mann macht, doch die Ärzte haben uns

gesagt, dass wir ihn in Ruhe lassen sollen. Meistens

kommt das Gedächtnis ganz von alleine wieder.

Er lag eine Weile im Koma und wenn Gott will,

kommen seine Erinnerungen wieder. Er träumt

schlecht und wir sind uns sicher, dass er sich eines

Tages wieder erinnern wird, doch wir drängen ihn

nicht. Die Ärzte haben davor gewarnt, dass das

noch mehr Schäden verursachen könnte.«

Der Mann nickt. »Das stimmt, das weiß ich.

Meistens kommen die Erinnerungen von alleine

wieder, durch Orte, Gerüche, durch einiges

Vertraute. Man spricht von einer Blockade im

Kopf, die sicherlich durch den schweren Unfall

entstanden ist. Doch diese Therapie, die ich

mache, ist sehr sanft und ich passe auf. In der

ersten Sitzung bin ich nur ganz leicht in sein

Bewusstsein getreten und er hat sofort alles

blockiert.«

Der alte Mann sieht nach oben zum Hang, wo

der Mann, der seit über zwei Jahren bei ihnen lebt

und von dem sie nicht einmal seinen richtigen


Namen kennen, die Holzbalken von einem zum

anderen Haufen trägt.

Er verrichtet hier die schwersten Arbeiten, er

trainiert und geht jeden Tag laufen, er ist immer

höflich und hilft, wo er kann, doch ansonsten

schweigt er. Auch wenn er selbst sich nicht an

sein früheres Leben erinnern kann, so zeigt

die Traurigkeit in seinen Augen deutlich, dass

der Mann vielleicht noch gar nicht bereit dafür

ist, wieder Zugang zu seinen Erinnerungen zu

bekommen.

»Allerdings habe ich es gestern Abend noch

einmal probiert, Padre, und alles, was der Mann

gesagt hat, war ein Name. Ich vermute, dass es eine

Stadt ist. Er hat immer und immer wieder diesen

einen Namen geflüstert: Sierra.«

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