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STADTMAGAZIN Bremen Juni 2020

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48<br />

KOLUMNE<br />

Die letzten<br />

Abenteuer?<br />

Alle eigenen handwerklich möglichen Restarbeiten in<br />

der Wohnung sind erledigt, der Garten ist tipptopp.<br />

Alle Bücher, die es wert waren, gelesen zu werden,<br />

wurden durchgeackert. Habe mindestens pro Tag zehn Minuten<br />

mit meiner Frau geredet – das ist der Wert, bei dem<br />

angenommen wird, dass die Ehe noch in Ordnung ist – und<br />

mit ihr sämtliche relevanten Themen abgearbeitet. Und nun?<br />

Jetzt ist mir langweilig. Beim ständig aus dem Fenster sehen<br />

will sich keine Entspannung einstellen. Einfach nur herumsitzen<br />

und wohnen, das kann ich nicht. Die Tage verlaufen<br />

gefühlt wie in Zeitlupe. Mein Adrenalin ist scheinbar in den<br />

Urlaub gefahren. Hätte ich auch gerne gemacht, geht aber gerade<br />

nicht. Keine fremden Länder, nicht mal Bundesländer<br />

werden einem gegönnt. Keine Abenteuer mehr. Nicht einmal<br />

zu Hause kann ich die erleben:<br />

Ich könnte mich ins Auto setzen und extra nicht angeschnallt<br />

an die Küste fahren, in der Hoffnung nicht erwischt<br />

zu werden. Das wäre abenteuerlich. Früher bin ich mal ohne<br />

Helm freihändig auf dem Fahrrad, mit lautem Radio auf dem<br />

Gepäckträger und in die falsche Richtung in der Einbahnstraße<br />

auf dem Bürgersteig gefahren – bis die Polizei kam.<br />

Das war herrlich –Adrenalin pur. Jetzt komme ich nicht einmal<br />

bis zum Strand, weil es keine Parkplätze für Auswärtige<br />

gibt.<br />

Damit fällt das nächste mögliche Abenteuer auch aus:<br />

Ohne Hautschutzcreme in die Sonne legen oder bei Ebbe<br />

schwimmen gehen, ohne es zu können, und dann sechs Stunden<br />

auf die Flut warten. Doch auch ohne Auto geht noch<br />

etwas an Abenteuern, oder? Bei Rot die Ampelkreuzung zu<br />

überqueren bringt allerdings genauso wenig wie neben der<br />

Ampel diagonal die Straße zu überqueren. So lang kann die<br />

Diagonale zurzeit gar nicht werden, bis einen endlich mal ein<br />

Auto streift. Nichts los. Alle Zu Hause. Wo bleibt da der Kick?<br />

Wo bleibt das Abenteuer für kleine Leute?<br />

Ich wohne auf dem Dorf – eigentlich schon Abenteuer<br />

genug – und könnte mit dem Zug ohne Fahrkarte in die Stadt<br />

fahren. Ist aber auch nicht spannend, da ja im Moment nicht<br />

mehr kontrolliert wird. Und was mache ich dann in der Stadt?<br />

Beim Bestellen im Restaurant ohne in die Karte zu schauen<br />

einfach die „22“ ordern? Irgendwo eine Rolltreppe suchen<br />

und sie entgegengesetzt ihrer Fahrtrichtung benutzen? Was<br />

war das früher für ein Abenteuer, wenn ich mit meinem<br />

Kumpel im Winter auf treibenden Eisschollen die Elbe überquert<br />

habe. Alles vorbei. Darauf warte ich nicht mehr. Der<br />

Winter scheint abgeschafft. Mir fehlen die kleinen Abenteuer<br />

des Alltags. Tanken fahren, ohne zu bezahlen, wäre noch eine<br />

Option. Oder ohne Maske in den Supermarkt gehen, sich an<br />

der Kasse vordrängeln, warten bis die Polizei gerufen wird –<br />

dann hätte ich es aber mal wieder allen richtig gezeigt.<br />

Matthias Höllings, ehemaliger<br />

Pressesprecher der ÖVB-Arena,<br />

wirft in seiner Kolumne<br />

einen Blick auf die ältere und<br />

jüngere Vergangenheit und<br />

wagt dabei auch einen Blick<br />

hinter die Kulissen.<br />

Weitere Geschichten von ihm<br />

gibt es unter www.das64er.de.<br />

VERANSTALTUNGEN<br />

Theater mit Abstand<br />

Theaterwerk <strong>Bremen</strong> plant szenische Lesungen an<br />

diversen Spielorten / Premiere im Metropol Theater<br />

Jörn Meyer vom Metropol Theater (vorne) mit Dirk Böhling. <br />

Foto: FR<br />

Was kommt dabei heraus, wenn die Begeisterung für Literatur<br />

und Theater verschmelzen? Im Fall von Dirk Böhling liegt die<br />

Antwort in einem neuen Bühnenformat. Der Radiomoderator,<br />

Autor und Kulturliebhaber hat das Theaterwerk <strong>Bremen</strong> gegründet.<br />

Die Idee: Wechselnde Ensembles sollen Bühnenstücke<br />

an unterschiedlichen Spielorten präsentieren, von denen man<br />

bisher vielleicht noch gar nicht wusste, dass sie als solche geeignet<br />

sind.<br />

Neben Liederabenden und Livehörspielen soll der Fokus vor<br />

allem auf szenische Lesungen liegen. „Mir gefällt diese Form der<br />

Bühnendarbietung persönlich sehr“, so Böhling, der die Leitung<br />

der ersten Produktion innehat, mit der das Theaterwerk seine<br />

Premiere feiern wird. Auf „Die zwölf Geschworenen von Reginald<br />

Rose“ ist die Wahl gefallen – laut Böhling ein sehr statisches<br />

Stück, das sich vor allem angesichts aktuell geltender<br />

Abstandsregelungen anbiete. In Zeiten von Corona bestehe das<br />

Vorhaben der neuen Gruppe in erster Linie darin, gutes Theater<br />

mit Abstand zu kreieren und dennoch spannende Abende bieten<br />

zu können.<br />

Realisieren wollen die Schauspieler, zu denen eine Reihe bekannter<br />

Bremer Theaterleute gehört, ihre Premiere im Metropol<br />

Theater. Die Location am Richtweg sei dafür die ideale Veranstaltungsstätte.<br />

„Wir sind froh, dass wir die Möglichkeit haben,<br />

im Metropol Theater spielen zu dürfen“, so Böhling. Die Größe<br />

des Hauses erlaube es, den vorgeschriebenen Mindestabstand<br />

zwischen den Gästen einzuhalten und dennoch vielen Zuschauern<br />

Zugang zu gewähren. Der Termin für die szenische Lesung<br />

„Die zwölf Geschworenen“ soll zeitnah bekannt gegeben werden.<br />

Dirk Böhling: „Wir spielen, sobald wir dürfen!“ (JF)

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