STADTMAGAZIN Bremen Juni 2020
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KOLUMNE<br />
Die letzten<br />
Abenteuer?<br />
Alle eigenen handwerklich möglichen Restarbeiten in<br />
der Wohnung sind erledigt, der Garten ist tipptopp.<br />
Alle Bücher, die es wert waren, gelesen zu werden,<br />
wurden durchgeackert. Habe mindestens pro Tag zehn Minuten<br />
mit meiner Frau geredet – das ist der Wert, bei dem<br />
angenommen wird, dass die Ehe noch in Ordnung ist – und<br />
mit ihr sämtliche relevanten Themen abgearbeitet. Und nun?<br />
Jetzt ist mir langweilig. Beim ständig aus dem Fenster sehen<br />
will sich keine Entspannung einstellen. Einfach nur herumsitzen<br />
und wohnen, das kann ich nicht. Die Tage verlaufen<br />
gefühlt wie in Zeitlupe. Mein Adrenalin ist scheinbar in den<br />
Urlaub gefahren. Hätte ich auch gerne gemacht, geht aber gerade<br />
nicht. Keine fremden Länder, nicht mal Bundesländer<br />
werden einem gegönnt. Keine Abenteuer mehr. Nicht einmal<br />
zu Hause kann ich die erleben:<br />
Ich könnte mich ins Auto setzen und extra nicht angeschnallt<br />
an die Küste fahren, in der Hoffnung nicht erwischt<br />
zu werden. Das wäre abenteuerlich. Früher bin ich mal ohne<br />
Helm freihändig auf dem Fahrrad, mit lautem Radio auf dem<br />
Gepäckträger und in die falsche Richtung in der Einbahnstraße<br />
auf dem Bürgersteig gefahren – bis die Polizei kam.<br />
Das war herrlich –Adrenalin pur. Jetzt komme ich nicht einmal<br />
bis zum Strand, weil es keine Parkplätze für Auswärtige<br />
gibt.<br />
Damit fällt das nächste mögliche Abenteuer auch aus:<br />
Ohne Hautschutzcreme in die Sonne legen oder bei Ebbe<br />
schwimmen gehen, ohne es zu können, und dann sechs Stunden<br />
auf die Flut warten. Doch auch ohne Auto geht noch<br />
etwas an Abenteuern, oder? Bei Rot die Ampelkreuzung zu<br />
überqueren bringt allerdings genauso wenig wie neben der<br />
Ampel diagonal die Straße zu überqueren. So lang kann die<br />
Diagonale zurzeit gar nicht werden, bis einen endlich mal ein<br />
Auto streift. Nichts los. Alle Zu Hause. Wo bleibt da der Kick?<br />
Wo bleibt das Abenteuer für kleine Leute?<br />
Ich wohne auf dem Dorf – eigentlich schon Abenteuer<br />
genug – und könnte mit dem Zug ohne Fahrkarte in die Stadt<br />
fahren. Ist aber auch nicht spannend, da ja im Moment nicht<br />
mehr kontrolliert wird. Und was mache ich dann in der Stadt?<br />
Beim Bestellen im Restaurant ohne in die Karte zu schauen<br />
einfach die „22“ ordern? Irgendwo eine Rolltreppe suchen<br />
und sie entgegengesetzt ihrer Fahrtrichtung benutzen? Was<br />
war das früher für ein Abenteuer, wenn ich mit meinem<br />
Kumpel im Winter auf treibenden Eisschollen die Elbe überquert<br />
habe. Alles vorbei. Darauf warte ich nicht mehr. Der<br />
Winter scheint abgeschafft. Mir fehlen die kleinen Abenteuer<br />
des Alltags. Tanken fahren, ohne zu bezahlen, wäre noch eine<br />
Option. Oder ohne Maske in den Supermarkt gehen, sich an<br />
der Kasse vordrängeln, warten bis die Polizei gerufen wird –<br />
dann hätte ich es aber mal wieder allen richtig gezeigt.<br />
Matthias Höllings, ehemaliger<br />
Pressesprecher der ÖVB-Arena,<br />
wirft in seiner Kolumne<br />
einen Blick auf die ältere und<br />
jüngere Vergangenheit und<br />
wagt dabei auch einen Blick<br />
hinter die Kulissen.<br />
Weitere Geschichten von ihm<br />
gibt es unter www.das64er.de.<br />
VERANSTALTUNGEN<br />
Theater mit Abstand<br />
Theaterwerk <strong>Bremen</strong> plant szenische Lesungen an<br />
diversen Spielorten / Premiere im Metropol Theater<br />
Jörn Meyer vom Metropol Theater (vorne) mit Dirk Böhling. <br />
Foto: FR<br />
Was kommt dabei heraus, wenn die Begeisterung für Literatur<br />
und Theater verschmelzen? Im Fall von Dirk Böhling liegt die<br />
Antwort in einem neuen Bühnenformat. Der Radiomoderator,<br />
Autor und Kulturliebhaber hat das Theaterwerk <strong>Bremen</strong> gegründet.<br />
Die Idee: Wechselnde Ensembles sollen Bühnenstücke<br />
an unterschiedlichen Spielorten präsentieren, von denen man<br />
bisher vielleicht noch gar nicht wusste, dass sie als solche geeignet<br />
sind.<br />
Neben Liederabenden und Livehörspielen soll der Fokus vor<br />
allem auf szenische Lesungen liegen. „Mir gefällt diese Form der<br />
Bühnendarbietung persönlich sehr“, so Böhling, der die Leitung<br />
der ersten Produktion innehat, mit der das Theaterwerk seine<br />
Premiere feiern wird. Auf „Die zwölf Geschworenen von Reginald<br />
Rose“ ist die Wahl gefallen – laut Böhling ein sehr statisches<br />
Stück, das sich vor allem angesichts aktuell geltender<br />
Abstandsregelungen anbiete. In Zeiten von Corona bestehe das<br />
Vorhaben der neuen Gruppe in erster Linie darin, gutes Theater<br />
mit Abstand zu kreieren und dennoch spannende Abende bieten<br />
zu können.<br />
Realisieren wollen die Schauspieler, zu denen eine Reihe bekannter<br />
Bremer Theaterleute gehört, ihre Premiere im Metropol<br />
Theater. Die Location am Richtweg sei dafür die ideale Veranstaltungsstätte.<br />
„Wir sind froh, dass wir die Möglichkeit haben,<br />
im Metropol Theater spielen zu dürfen“, so Böhling. Die Größe<br />
des Hauses erlaube es, den vorgeschriebenen Mindestabstand<br />
zwischen den Gästen einzuhalten und dennoch vielen Zuschauern<br />
Zugang zu gewähren. Der Termin für die szenische Lesung<br />
„Die zwölf Geschworenen“ soll zeitnah bekannt gegeben werden.<br />
Dirk Böhling: „Wir spielen, sobald wir dürfen!“ (JF)