bestseller - Pfeifenberger
bestseller - Pfeifenberger
bestseller - Pfeifenberger
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Kassiopeia<br />
& Co.<br />
Ein Lesebericht über Neuerscheinungen<br />
heimischer Autorinnen und Autoren: Horst<br />
Steinfelt hat sich durch Frühjahrsproduktionen<br />
geschmökert. Und dabei erfreuliche<br />
Entdeckungen gemacht.<br />
Gelegenheit macht Diebe: Neuerdings gibt es ja diese<br />
neuen Hauspostkästen mit dem großen Schlitz. Damit<br />
man auch taschenbuchdickes Briefzeug hineintun kann,<br />
ohne den Postkasten aufsperren zu müssen. Andererseits<br />
kann man mit etwas Geschicklichkeit auch hineingreifen<br />
und etwas unbefugt herausziehen … Judit Kalman<br />
ist bestens situiert, im „besten Alter“ und solo. Bis<br />
dato, denn nun hat sie, wie’s den Anschein hat, ihren<br />
Traummann gefunden. Der ist etwas jünger und ein<br />
„Erfolgsautor“. Also einer, der mit dem ersten Buch<br />
mitten hinein in die sogenannte „Literaturszene“ geriet,<br />
von den Kritikern umhätschelt, von den Leserinnen (vor<br />
allem) geliebt. „Leidenschaftlich, verführerisch, brillant“<br />
huldigt die Kritik des Markus Bachgraben Erstling:<br />
Sein Debütroman mit dem Titel „Kassiopeia“ sei<br />
ein „Märchen über die Liebe in eisigen Zeiten“. Judit<br />
Kalman glaubt, trotz ihrer Reife und Lebenserfahrung,<br />
diesmal an Märchen. Soweit also das Hauptpersonal in<br />
Bettina Balákas neuem Roman – ja, „Kassiopeia“. Das<br />
Sternbild im nördlichsten Teil der Milchstraße, benannt<br />
nach der Mutter der Andromeda, Kassiopeia eben, dieser<br />
seltsam klingende Name hatte schon die junge Judit<br />
fasziniert, war ihr Lieblingswort. Dann hat sie Bachgraben<br />
bei einer Lesung gehört. War wieder fasziniert.<br />
Und jetzt ist sie in Venedig gelandet. Bachgraben hat<br />
24<br />
einen bezahlten Schreibaufenthalt in einem staatlichen<br />
Atelier bekommen. Judit hinterher. Der Anschein trügt:<br />
Es ist alles nicht so, wie man’s vermutet. Balàka erzählt<br />
drauflos, man ist in bester Leselaune (spannend und<br />
flott geschrieben), bis die Geschichte eine ganz andere<br />
Wendung nimmt. Bis man verunsichert fragt: Wer ist<br />
jetzt wer? Läuft sie hinter ihm her oder braucht er sie<br />
als role-model für seinen neuen Roman, oder wie oder<br />
was? Geschickt, wie die Autorin mit doppeltem Boden<br />
arbeitet und wie sie mit Grandezza zwischen Stalker-<br />
Story und Liebesschnulze changiert.<br />
Von einer Reise, die sowohl in die Vergangenheit des<br />
Protagonisten führt, als auch in unsere konfliktreiche<br />
Gegenwart, berichtet Vladimir Vertlib in „Schimons<br />
Schweigen“. Seine Hauptfigur, eine Art „alter ego“<br />
des Autors, erzählt in breiten Tableaus von seiner Fahrt<br />
nach Israel. Um einen alten Freund seines Vaters zu<br />
besuchen. Um herauszufinden, warum die beiden ehemals<br />
besten Freunde über Jahrzehnte keinen Kontakt<br />
hatten. Jetzt ist der Vater gestorben. Auch wenn dies<br />
eine Geschichte eines Juden ist, der in der Sowjetunion<br />
geboren wurde, über die Erdteile wanderte, bis er<br />
schließlich in Österreich heimisch wurde und ein anerkannter<br />
Schriftsteller, darf man ja nicht glauben, dies<br />
sei eine autobiografische Niederschrift des Vladimir<br />
Vertlib. Es ist in jeder Weise Fiktion, mit trefflichem<br />
Gegenwartsbezug und überzeugenden Bildern, Poesie<br />
eben, wie man sie sich nur wünschen kann als aufgeklärter<br />
Leser, als engagierte Leserin.<br />
Jetzt zu einer Erzählerin, die immer wieder mit ihrer<br />
genauen Sprache überzeugt, Marianne Gruber. Sie<br />
stellt diesmal einen Roman vor, der über eine ganze<br />
Epoche reicht, beginnend am Vorabend des Zweiten<br />
Weltkriegs. Die „Erinnerungen eines Narren“ sind so<br />
närrisch nicht; Kinder und Narren, so das Sprichwort,<br />
sagen die Wahrheit: Diese ist die Geschichte eines<br />
Schülers, der aus dem Internat ausreißt, sich einem Zirkus<br />
anschließt, Clown wird. Der Zirkus als Welt in der<br />
Welt, als Abbild auch einer solidarischen Gemeinschaft<br />
in Zeiten des greulichen Molochs. Ein intensives Buch!<br />
„Schalkhaft mit Tiefgang“ passt für die Groll-<br />
Geschichten des Erwin Riess. Der lässt seinen Rollstuhlfahrer<br />
Groll und dessen Gefährten, den Dozenten, diesmal<br />
nach Kärnten reisen. Eigentlich nur aus privaten<br />
Gründen, aber alsbald befinden sie sich in den Höhen<br />
bzw. Niederungen Kärntner Umstände. Vom jährlichen<br />
GTI-Treffen bis zu den Machenschaften auf höchster<br />
Ebene inklusive Mord reicht der Spannungsbogen. Den<br />
Autor Riess gekonnt zusammenbaut und uns damit ein<br />
feines Stück Krimi plus Inhalt liefert.<br />
Einen seltsamen Protagonisten hat sich Franzobel für<br />
seinen neuesten Wurf ausgesucht, einen etwas unansehnlichen,<br />
dicklichen Mann namens Hildebrand (wie<br />
kann man nur so heißen!), der ein wunderliches Hobby<br />
hat: Das Stöhnen der Frauen beim Orgasmus sammelt<br />
er mit Akribie. Franzobel hat diesen Schelmenroman<br />
„Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer<br />
sind“ genannt, was nach Lektüre des dicken<br />
Buchs nicht weiter verwundert. Mit Augenzwinkern<br />
und Fabulierlust geschrieben, eine Einladung ins fantastische<br />
Reich eines verschrobenen Sammlers.<br />
Aufgefallen ist mir diese Geschichte, die kein Krimi ist,<br />
sondern ein Stück heimischer Kriminalhistorie. Man-<br />
buchmedia<br />
magazin 17 (1/12)