wenn nerven - Selbsthilfe-Kontaktstelle Frankfurt e.V.
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Titel<br />
Die Menschen, die in einer Gesprächsselbsthilfegruppe zusammenkommen,<br />
repräsentieren in der Vielfalt ihrer Herkunft das<br />
gesamte soziokulturelle Spektrum, das durch die Einzigartigkeit<br />
der lebensgeschichtlichen Erfahrungen seine unverwechselbare<br />
biografi sche Gestalt gewinnt. Der bewusste Wunsch, den individuellen<br />
Leidensdruck zu mindern, führt die Gruppe zusammen<br />
und verleiht ihr ein Mindestmaß an Homogenität.<br />
Dass die Befreiung vom Leidensdruck an die Bedingung geknüpft<br />
ist, sich selbst zu verändern, ist damit auf der unbewussten<br />
Ebene allerdings noch längst nicht anerkannt. Indem<br />
sich die Mitglieder nach Klärung der räumlichen und zeitlichen<br />
Rahmenbedingungen wiederholt begegnen, kommt<br />
auch ohne das Zutun einer äußeren Instanz naturwüchsig ein<br />
Prozess der gegenseitigen Beeinfl ussung in Gang, dessen Gelingen<br />
von der Respektierung der „zehn Gebote“, d. h. der<br />
Einhaltung selbsthilfegruppenspezifi scher Gesprächsregeln<br />
abhängt: Egalität, Eigenverantwortlichkeit, Störungsvorrang,<br />
Verschwiegenheit nach außen, Verzicht auf Deutungen und<br />
Ratschläge, Mitteilungspfl icht im Fall der Verhinderung eines<br />
Teilnehmers. Dadurch wird eine lediglich durch den selbstgewählten<br />
Rahmen begrenzte, ansonsten jedoch durchlässige<br />
Situation geschaffen, die den psychischen Raum öffnet und<br />
den Teilnehmern die Freiheit lässt, ihre Anliegen zu thematisieren.<br />
Ohne Vorgabe zu sprechen und zu handeln, wird<br />
jedoch als zwiespältig erlebt: Mit dem Bewusstwerden der<br />
Möglichkeiten wächst auch die Verunsicherung und die Furcht,<br />
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beim Gebrauch der Redefreiheit vom anderen abgewiesen<br />
und verletzt zu werden. In dem Bemühen, den individuellen<br />
Angstpegel zu senken und – wie es Rolf Haubl, der Leiter des<br />
Sigmund-Freud-Instituts ausdrückt – eine „optimale Affektbalance“<br />
zu erreichen, verfallen Gesprächsgruppen nicht<br />
selten darauf, sich mit einer inhaltlich und formal verbindlichen<br />
Gruppenordnung auszustatten, die ihnen scheinbar die<br />
Anstrengung der individuellen Selbstbestimmung abnimmt.<br />
Diese Erwartung einer endgültig Halt gebenden Ordnung wird<br />
jedoch regelmäßig enttäuscht, weil sich die unterschiedlichen<br />
Lebenserfahrungen und Lebenskonfl ikte der Teilnehmer der<br />
Unterwerfung unter eine festgeschriebene Zielsetzung entziehen.<br />
Es gibt zahlreiche empirische Untersuchungen, die belegen,<br />
dass <strong>Selbsthilfe</strong>gruppen unabhängig von ihrer Thematik<br />
(Selbsterfahrung, Bearbeitung von Schwellensituationen, Bewältigung<br />
chronischer Erkrankungen etc.) relativ gleichartige<br />
Entwicklungsprozesse durchlaufen, die nach Meinung des<br />
amerikanischen <strong>Selbsthilfe</strong>gruppenforschers B. W. Tuckmann<br />
in vier Phasen zu beschreiben sind:<br />
Abhängigkeit und Ausprobieren, Sturm und Drang,<br />
Gruppenkohäsion durch Normierung und Arbeit.