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DIJuF-Themengutachten

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<strong>DIJuF</strong>-<strong>Themengutachten</strong><br />

10.04.2012<br />

Anfechtung der Vaterschaft (I): Voraussetzungen und Verfahrenseinleitung<br />

- Häufig gestellte Fragen und die Antworten -<br />

Inhalt<br />

1. Keine Vertretungsbefugnis des Beistands bei der Anfechtung<br />

2. Beginn der Anfechtungsfrist<br />

3. Folge der Fristversäumung<br />

4. Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand<br />

5. Unbegründetheit (und nicht Unzulässigkeit) verspäteter Anfechtung<br />

6. Wiederaufleben des verfristeten Anfechtungsrechts bei Unzumutbarkeit<br />

7. Bestellung eines Ergänzungspflegers bei gemeinsamer Sorge<br />

8. Fristbeginn für das Kind bei Pflegerbestellung<br />

9. Kein Wiederaufleben einer abgelaufenen Frist durch die Pfleg-<br />

schaft<br />

10. Einvernehmliche Entscheidung der Eltern über die Anfechtung<br />

bei gemeinsamer Sorge<br />

11. Zulässigkeit eines Widerantrags des Kindes<br />

12. Bedeutung des Kindeswohls für eine im Namen des Kindes erhobene<br />

Klage<br />

13. Zuständige Behörde für die Anfechtung aufenthaltsrechtlich<br />

motivierter Scheinvaterschaften<br />

Dl/K


2<br />

1. Kann das Jugendamt als Beistand das Kind bei einer Anfechtung der Vater-<br />

schaft vertreten?<br />

Die Anfechtung der Vaterschaft gehört nicht zu den Aufgaben des Beistands, wie<br />

sich aus § 1712 Abs. 1 BGB ergibt (vgl OLG Nürnberg MDR 2001, 219 zur Anfechtung<br />

eines Vaterschaftsanerkenntnisses; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1712 Rn 18 mit<br />

ausführlicher Begr.; Enders, in: Beck'scher Online-KommBGB, Stand: 01.03.2011, § 1712<br />

Rn 18), unabhängig davon, ob die Vaterschaft auf der gesetzlichen Vermutung der<br />

Geburt in einer Ehe (§ 1592 Nr 1 BGB) oder auf der Anerkennung (§ 1592 Nr 2 BGB)<br />

beruht.<br />

Das OLG Nürnberg aaO hat hierzu nach einem Hinweis auf den Wortlaut des § 1712<br />

Abs. 1 BGB ausgeführt:<br />

„Gegen eine Ausweitung des Gegenstands der Beistandschaft über den<br />

Wortlaut hinaus auch auf die Vertretung des Kindes bei der Anfechtung<br />

der Vaterschaft spricht auch, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung<br />

des Beistandschaftsrechts eine kostenlose gesetzliche Vertretung durch<br />

das Jugendamt in dem geregelten Aufgabenkreis zur Verfügung gestellt<br />

hat, unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des<br />

Kindes und dessen Eltern oder irgend eines zu prüfenden Fürsorgebedürf-<br />

nisses. Es sollten nur die Angelegenheiten von diesem freiwilligen und kos-<br />

tenlosen Institut erfasst werden, in denen neben der besonderen Situation<br />

allein sorgeberechtigter Elternteile, elementare Rechte des Kindes betrof-<br />

fen sind und ein besonderes Eigeninteresse des Staates an der Durchset-<br />

zung dieser Rechte besteht (so Sonnenfeld in Familienrechtsreformkom-<br />

mentar, 1998, Rdn. 10 zu § 1712 BGB). Die Vertretung des Kindes bei der<br />

Anfechtung der Vaterschaftsanerkennung wird vom Aufgabenkreis des<br />

§ 1712 Abs. 1 BGB nicht erfasst. Ein Bedürfnis dafür besteht nicht, insbeson-<br />

dere besteht kein öffentliches Interesse daran, dass das Kind seinen<br />

"rechtlichen" Vater verliert, also die Person als Vater verliert, die die Vater-<br />

schaft anerkannt hat. Der Schutz des Kindes durch Beratungshilfe, Prozess-<br />

kostenhilfe und den zu Gunsten des Kindes eingeschränkten Untersu-<br />

chungsgrundsatz (§§ 640 Abs. 1, 616 Abs. 1, 640 d ZPO) bedarf keiner Er-<br />

gänzung durch eine erweiternde Auslegung des § 1712 Abs. 1 Nr. 1 BGB<br />

(vgl. Sonnenfeld, a.a.O., Rdn. 14 zu § 1712 BGB).


3<br />

Es ist Sache des Inhabers der elterlichen Sorge für die Klägerin, also der<br />

Kindsmutter, als gesetzliche Vertreterin der Klägerin die Anfechtung der<br />

Vaterschaft zu betreiben.“<br />

Erst nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung ohne seine Beteiligung ist es wiede-<br />

rum Aufgabe des Beistands, ggf. erneut eine Vaterschaftsfeststellung gegen den<br />

wirklichen Erzeuger zu betreiben.<br />

2. Wann beginnt die Frist zur Anfechtung der Vaterschaft?<br />

Gem. § 1600b Abs. 1 S. 1 BGB ist die Vaterschaft binnen zwei Jahren gerichtlich anzu-<br />

fechten. Die Frist beginnt gem. § 1600b Abs. 1 S. 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der<br />

Anfechtungsberechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die bestehende<br />

Vaterschaft sprechen. Hierfür muss er sichere Kenntnis von den Tatsachen erlangt<br />

haben, aus denen sich die nicht ganz fern liegende Möglichkeit einer Abstammung<br />

des Kindes von einem anderen Mann als dem rechtlichen Vater ergibt, was bei-<br />

spielsweise dann der Fall sein kann, wenn der Mann erfährt, dass die Mutter in der<br />

Empfängniszeit mit anderen Männern Verkehr hatte (vgl BGH MDR 2006, 1171, mwN;<br />

Thüring. OLG FamRZ 2010, 1822).<br />

Da die Frist nach § 1600b Abs. 1 S. 1 BGB durch „gerichtliche” Anfechtung zu wahren<br />

ist, setzt dies die Rechtshängigkeit des Anfechtungsantrags durch Zustellung voraus;<br />

allerdings wirkt eine „demnächst” erfolgende Zustellung nach § 167 ZPO auf den<br />

Zeitpunkt der Einreichung der Antrags zurück (BGH NJW 2008, 3061 und NJW 1994,<br />

2752 = FamRZ 1994, 1313; Hammermann, in: Erman, BGB, 13. Aufl., § 1600b Rn 5).<br />

3. Welche Folge hat die Versäumung der Anfechtungsfrist?<br />

Die Wahrung dieser Frist ist von Amts wegen zu beachten. Es handelt sich trotz An-<br />

wendung der Hemmungsvorschriften der §§ 206, 210 BGB um eine Ausschlussfrist (vgl<br />

BGH NJW 2008, 3061; OLG Hamburg FamRZ 1997, 1171, 1172; OLG BB FamRZ 2000,<br />

1031; Wellenhofer, in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2012, § 1600b Rn 3). Mit ihrer Ver-<br />

säumung erlischt das Anfechtungsrecht dieses Anfechtungsberechtigten und zwar<br />

auch dann, wenn außergerichtlich bewiesen ist, dass das Kind nicht von diesem<br />

Mann abstammt (OLG Hamm NJW-RR 1995, 643).


4. Gibt es eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumnis?<br />

4<br />

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Fristversäumung ist nicht möglich<br />

(Rauscher, in: Staudinger, BGB, Neub. 2011, Rn 5; Wellenhofer aaO). In der einschlä-<br />

gigen Rechtsprechung des BGH zu den Fällen, in denen sich der Anfechtungsbe-<br />

rechtigte auf eine unverschuldete Fristversäumnis berufen hat, wurde die Möglichkeit<br />

einer derartigen Wiedereinsetzung nicht einmal erörtert (vgl BGH NJW 1975, 1465 und<br />

NJW 1982, 96).<br />

Der einzig denkbare Ansatzpunkt wäre die Behauptung, eine vor Fristende aufgetre-<br />

tene Erkrankung sei ein Fall „höherer Gewalt“, der zur Hemmung des Fristablaufs ent-<br />

sprechend § 1600b Abs. 6 S. 2 iVm § 206 BGB geführt habe. Jedoch kann für die<br />

letztgenannte Vorschrift und ihre Vorgängerregelung in § 203 BGB aF als gesicherte<br />

höchstrichterliche Auslegung gelten: Schwere Erkrankung ist erst dann ein Grund für<br />

die Hemmung der Verjährung, wenn dem Berechtigten infolge seines Zustands die<br />

Besorgung seiner Angelegenheiten schlechthin unmöglich wird (vgl RG JW 1912, 384;<br />

BGH VersR 1963, 93; Grothe, in: MünchKommBGB, 5. Aufl., § 206 Rn 8).<br />

5. Ist eine Anfechtung nach Fristablauf unzulässig oder unbegründet?<br />

Zur Bedeutung der Frist des § 1600b Abs. 1 und 2 BGB bemerkt Rauscher, in: Staudin-<br />

ger, BGB, Neubearb. 2011, § 1600b Rn 70:<br />

„Der Fristablauf ist von Amts wegen zu beachten (Palandt/BrudermüllerRn<br />

2). Erhebt der Anfechtungsberechtigte Anfechtungsklage nach Ablauf<br />

der Frist (unbeschadet eines neuen Laufs nach Abs 3, 4 oder 5), so ist, trotz<br />

Ausgestaltung des Anfechtungsrechts als prozessuales Gestaltungsrecht,<br />

diese nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abzuweisen (BGH LM<br />

§ 1594 aF BGB Nr 23); denn das Anfechtungsrecht ist mit Fristablauf erlo-<br />

schen. Dem steht auch nicht entgegen, wenn der Anfechtungsberechtig-<br />

te im Verfahren durch Vorlage eines Gutachtens nachweist, dass das Kind<br />

nicht von ihm abstammen kann, so dass das Gericht sehenden Auges ei-<br />

ne den wahren Abstammungsverhältnissen zuwiderlaufende Entschei-<br />

dung zu fällen hat (OLG Hamm NJW-RR 1995, 643, 644).“


5<br />

Denn die Frist dient ua der Rechtssicherheit, dem Rechtsfrieden und speziell der Be-<br />

standskraft des Kindschaftsstatus (BGH NJW 1999,1862).<br />

6. Kann das Anfechtungsrecht des Kindes trotz Fristablauf wieder aufleben?<br />

Grundsätzlich kann nach § 1600b Abs. 6 BGB auch nach regulärem Fristablauf das<br />

Anfechtungsrecht des Kindes unter bestimmten Voraussetzungen wieder aufleben.<br />

Hierzu bemerkt Hahn, in: Beck'scher Online-Kommentar zu § 1600b BGB Rn 1:<br />

„Abs 6 erweitert das Anfechtungsrecht des Kindes, das sich von seinem<br />

rechtlichen Vater lösen will, über Abs 3 hinausgehend auf Fälle, in denen<br />

die Folgen der Vaterschaft für es unzumutbar geworden sind. Das Anfech-<br />

tungsrecht des Kindes lebt also wieder auf (Krit Gaul FamRZ 1997, 1441,<br />

1459). Damit wird der Rechtsgedanke des § 1596 aF, aus dem sich An-<br />

haltspunkte zur Ausfüllung der Generalklausel ergeben können, fortge-<br />

führt. Danach war bis zum Inkrafttreten des KindRG die Anfechtung unbe-<br />

fristet möglich, wenn sie wegen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels<br />

des Mannes, einer schweren Verfehlung des Mannes gegen das Kind<br />

(§ 1596 Abs 1 Nr 4 aF) oder wegen einer schweren Erbkrankheit des Man-<br />

nes (§ 1596 Abs 1 Nr 5 aF) sittlich gerechtfertigt war. Man wird aber auch<br />

in den Fällen des § 1596 Abs 1 Nr 2 und 3 aF eine Unzumutbarkeit der ent-<br />

standenen Situation bejahen können, also insbes bei Scheidung oder Auf-<br />

hebung der Ehe und bei dauerhafter Trennung der Ehegatten oder nicht-<br />

ehelichen Lebensgefährten, da mit der Auflösung der sozialen Familie der<br />

Grund für das bisherige Absehen von einer Anfechtung – Rücksichtnahme<br />

auf den Familienfrieden – entfällt (BT-Drucks 13/4899 S 56; OLG Celle JAmt<br />

2006, 143). Maßstab ist die persönliche Unzumutbarkeit einer Aufrechter-<br />

haltung der Vaterschaftszuordnung. Die Anfechtungsfrist von zwei Jahren<br />

beginnt mit Kenntnis der Umstände, welche die unzumutbare Situation<br />

begründen.“<br />

7. Mutter und Scheinvater haben die gemeinsame Sorge. Falls für beide die Frist<br />

zur persönlichen Anfechtung der Vaterschaft bereits abgelaufen ist: Wie kann<br />

die Anfechtung im Namen des Kindes bewirkt werden?


6<br />

Bei gemeinsamer Sorge können die Eltern das Kind nur gemeinsam vertreten (§ 1629<br />

Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 BGB), dh, auch eine Klage (nach Sprachgebrauch des FamFG ei-<br />

nen Antrag) nur gemeinsam einreichen bzw das Kind als Beklagten/Antragsgegner<br />

nur gemeinsam vertreten.<br />

Es geht aber nicht an, dass der rechtliche Vater bei einer vom Kind erhobenen Kla-<br />

ge dieses gegen sich selbst vertritt. Dasselbe gilt natürlich auch, wenn der Mann als<br />

Kläger (bzw Antragsteller) auftritt und bei gemeinsamer Sorge zugleich das insoweit<br />

„gegnerische“ Kind mit vertreten müsste. Beides verstieße gegen den Grundsatz,<br />

dass in einem Rechtsstreit eine Partei nicht auf beiden Seiten auftreten kann (BGH<br />

NJW 1996, 658). In einem derartigen Fall wird auch nicht etwa der andere Elternteil<br />

als allein zur Vertretung des Kindes befugt angesehen.<br />

Vielmehr ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers notwendig.<br />

8. Ab wann beginnt im Fall der Pflegerbestellung die Frist für die Anfechtung<br />

durch das Kind zu laufen?<br />

Da erst mit dem Auftreten des Pflegers im Fall der Befugnis zum aktiven Betreiben<br />

der Anfechtung ein Anfechtungsantrag des Kindes zulässig wird, muss bei einem<br />

Aktivantrag des Kindes der Fristbeginn nach § 1600b Abs. 1 BGB auf den Zeitpunkt<br />

gelegt werden, in welchem der Pfleger Kenntnis von den zur Anfechtung berechti-<br />

genden Umständen hatte (Rechtsgedanke des § 166 Abs. 1 BGB, vgl OLG Köln<br />

FamRZ 2001, 245 = JAmt 2001, 140; OLG Frankfurt 13.09.2001, 1 UF 344/99).<br />

Denn bei der Anfechtungsklage – bzw nunmehr seit 01.09.2009 dem entsprechen-<br />

den Antrag – eines minderjährigen Kindes kommt es für den Beginn der Anfech-<br />

tungsfrist nicht auf die persönliche Kenntnis des Kindes, sondern auf die Kenntnis des-<br />

jenigen gesetzlichen Vertreters an, der befugt ist, das Kind in dem Anfechtungs-<br />

rechtsstreit zu vertreten (vgl zB OLG Nürnberg NJW-RR 1987, 389; OLG Bamberg<br />

FamRZ 1992, 220).<br />

9. Die ursprünglich gegebene gemeinsame Sorge ist seit mehr als zwei Jahren<br />

beendet (durch Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter oder durch Tod<br />

des Scheinvaters). Kann durch Bestellung eines Ergänzungspflegers die Frist<br />

erneut in Lauf gesetzt werden?


7<br />

Wenn bereits zuvor das rechtliche Hindernis der gemeinsamen Sorge entfallen war,<br />

weil die Mutter infolge gerichtlicher Übertragung oder aufgrund des Todes des mit-<br />

sorgeberechtigten Vaters die alleinige Sorge hatte, konnte sie in dem entsprechen-<br />

den vorangegangenen Zeitraum das Kind auch allein vertreten. Hat sie in dem mit<br />

Eintritt der Alleinsorge eröffneten Zweijahreszeitraum gem. § 1600b Abs. 1 und 2 BGB<br />

die Anfechtung unterlassen, ist mit Fristablauf auch die Antragsmöglichkeit für das<br />

Kind – bis zum Eintritt seiner Volljährigkeit – entfallen.<br />

Dies kann – entgegen einer verbreiteten irrigen Annahme in der jugendamtlichen<br />

Praxis – auch nicht durch die nachträgliche Bestellung eines Ergänzungspflegers kor-<br />

rigiert werden. Abgesehen davon, dass hierfür bereits die gesetzlichen Voraussetzun-<br />

gen fehlen (vgl § 1909 Abs. 1 BGB), muss der Pfleger die verfahrensrechtliche Situati-<br />

on so aufnehmen, wie er sie bei seiner Bestellung vorfindet. Eine ggf vor der Bestel-<br />

lung bereits abgelaufene Frist für die Anfechtung wird nicht allein dadurch erneut in<br />

Gang gesetzt, dass nunmehr ein Pfleger bestellt wird.<br />

10. Eltern mit gemeinsamer Sorge sind uneinig darüber, ob im Namen des Kindes<br />

die Vaterschaft angefochten werden kann. Das Jugendamt wird zum Ergän-<br />

zungspfleger bestellt. Kann es in dieser Lage einen zulässigen Antrag stellen?<br />

In der hier vorliegenden Konstellation, in welcher die Eltern jedenfalls nicht nach-<br />

weisbar einig über die Anfechtung sind, bedürfte es darüber hinaus einer sorgerecht-<br />

lichen Klärung, ob das Jugendamt als Ergänzungspfleger – im Fall eines ihm konkret<br />

zugewiesenen Wirkungskreises der Anfechtung der Vaterschaft – diesen Antrag stel-<br />

len darf. Nach neuester Rechtsprechung des BGH schließt die Bestellung zum Ergän-<br />

zungspfleger nicht automatisch die Befugnis ein, auch über das Ob der Anfechtung<br />

zu entscheiden, wenn sich die Eltern darüber nicht einig sind.<br />

Hierzu hat der BGH am 18.02.2009 (BGHZ 180, 51 = FamRZ 2009, 861) ausweislich der<br />

Leitsätze 2 und 3 seines Urteils entschieden:<br />

„2. Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage des minderjährigen Kindes setzt<br />

die Entscheidung des Inhabers der elterlichen Sorge voraus, dass das Kind<br />

sie erheben soll. Daran fehlt es, solange die gemeinsam sorgeberechtig-<br />

ten Eltern sich nicht einig sind und das Gericht auch nicht auf Antrag des<br />

die Anfechtung befürwortenden Elternteils diesem die Entscheidung ge-


8<br />

mäß § 1628 Abs. 1 Satz 1 BGB übertragen hat (Rn. 28) (Rn. 30) (Rn. 31) (Rn.<br />

33).<br />

3. Bestellt das Gericht (hier: der Rechtspfleger) einen Ergänzungspfleger für<br />

das Kind mit dem Wirkungskreis der Vertretung in einem Anfechtungsver-<br />

fahren des Kindes, ist darin bei gemeinsamem Sorgerecht der Eltern re-<br />

gelmäßig nicht zugleich auch die konkludente Entscheidung zu sehen,<br />

dem anfechtungsunwilligen Elternteil oder gar beiden Eltern insoweit das<br />

Sorgerecht zu entziehen und dem Ergänzungspfleger auch die Entschei-<br />

dung über das "ob" der Anfechtung zu übertragen (Rn. 34) (Rn. 38).“<br />

Wünscht zB der Vater die Anfechtung und ist die Haltung der Mutter hierzu ist nicht<br />

ersichtlich, nachdem diese auf Schreiben des Jugendamts nicht reagiert, kann nicht<br />

davon ausgegangen werden, dass eine einvernehmliche Entscheidung der Eltern<br />

über die Erhebung der Anfechtungsklage im Namen des Kindes vorliegt. Insoweit<br />

müsste entweder dem Vater die Entscheidung nach § 1628 S. 1 BGB übertragen<br />

werden, damit dieser wiederum sein Einverständnis dem Jugendamt als bestelltem<br />

Ergänzungspfleger mitteilt. Oder es müsste von vornherein in dieser Hinsicht beiden<br />

Elternteilen die sorgerechtliche Befugnis, über das Ob eines Anfechtungsantrags zu<br />

entscheiden, entzogen werden.<br />

Zu näheren Einzelheiten wird auf die zitierte BGH- Entscheidung verwiesen.<br />

11. Das Jugendamt ist zum Ergänzungspfleger des Kindes ausschließlich für die<br />

Vertretung in einem Anfechtungsverfahren auf Antrag des Vaters bestellt wor-<br />

den. Kann es seinerseits einen Anfechtungsantrag für das Kind stellen, zB wenn<br />

es erkennt, dass der Antrag des Vaters verspätet gestellt wurde?<br />

Diese Befugnis müsste dem Jugendamt gesondert zugewiesen werden, damit es ei-<br />

nen eigenen Antrag stellen kann. Dieser könnte ggf auch im Wege der „Widerkla-<br />

ge“, nach dem Sprachgebrauch des FamFG des „Widerantrags“ – vgl § 113 Abs. 5<br />

FamFG –, bei Gericht anhängig gemacht werden, solange noch der offenbar we-<br />

gen Verfristung unbegründete Antrag des Vaters nicht zurückgewiesen bzw zurück-<br />

genommen worden ist.


9<br />

Zur Zulässigkeit der Widerklage in dieser Fallkonstellation sei aus einem Beschluss des<br />

OLG BB (FamRZ 2004, 471) zitiert, der noch die Vorschriften der ZPO anführt, jedoch in<br />

der Substanz nach wie vor Gültigkeit haben sollte:<br />

„Allerdings wird im Anwendungsbereich von § 640c Abs. 1 ZPO zum Teil ein<br />

Rechtsschutzbedürfnis für Widerklagen angenommen, deren Streitgegen-<br />

stand mit demjenigen der Klage identisch ist. So wird ausnahmsweise in<br />

Bezug auf die Anfechtung der Vaterschaft nach § 640 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ei-<br />

ne Widerklage auch dann zugelassen, wenn der Widerkläger ebenfalls die<br />

Vaterschaft anficht (OLG Köln, NJW 1972, 1721, 1722; Wieczo-<br />

rek/Schütze/Schlüter, a.a.O., § 640c, Rz. 6; Stein/Jonas/Schlosser, a.a.O.,<br />

§ 640c, Rz. 4; MünchKomm/Coester-Waltjen, a.a.O., § 640c, Rz. 6; Mu-<br />

sielak/Borth, ZPO, 3. Auflage, § 640c, Rz. 3; Zöller/Philippi, a.a.O., § 640c,<br />

Rz. 5; Baumbach/Lauterbach/Albers, a.a.O., § 640c, Rz. 2). In einem sol-<br />

chen Fall muss nämlich der Widerkläger vor der Möglichkeit geschützt<br />

werden, dass der Kläger seine Anfechtungsklage zurücknimmt und infolge<br />

Ablaufs der Anfechtungsfrist eine spätere eigenständige Klage des Wider-<br />

klägers nicht mehr in Betracht kommt. Ebenso muss der auf Anfechtung in<br />

Anspruch genommene Beklagte den prozessualen Nachteil ausgleichen<br />

können, der ihn dadurch trifft, dass er mangels Klägereigenschaft der Be-<br />

rücksichtigung anfechtungsfeindlicher Tatsachen gem. § 640d ZPO nicht<br />

widersprechen könnte (OLG Köln, a.a.O.; Wieczorek/Schütze/Schlüter,<br />

a.a.O.; Stein/Jonas/Schlosser, a.a.O.; MünchKomm/Coester-Waltjen,<br />

a.a.O.)“.<br />

Die Formulierung eines derartigen Antrags weist – außer seiner Bezeichnung als Wi-<br />

derantrag – keine Besonderheiten auf. Zweckmäßigerweise sollte unter Hinweis auf<br />

die vorstehenden Argumente dessen Zulässigkeit dargelegt werden.<br />

12. Welche Bedeutung hat das Kindeswohl für eine im Namen des Kindes erhobe-<br />

ne Klage?<br />

a) Die Erhebung der Anfechtungsklage im Namen des Kindes ist nach § 1600b Abs. 4<br />

BGB nur dann zulässig, wenn sie dem Wohl des Vertretenen dient. Wegen der erheb-<br />

lichen Rechtsfolgen der Vaterschaftsanfechtung soll hier eine zusätzliche gerichtliche<br />

Prüfung stattfinden. Da ohnehin das FamG nach § 621 Abs. 1 Nr 10, § 640 Abs. 2 Nr 2


10<br />

ZPO zuständig ist, kann dieses Gericht die erforderliche Prüfung aus eigener Sach-<br />

kunde vornehmen. Ein zusätzliches Genehmigungsverfahren vor dem Vormund-<br />

schaftsgericht, das bis zur Kindschaftsrechtsreform 1998 notwendig war, wurde ent-<br />

behrlich.<br />

Die (Kindes-)Wohlprüfung ist nicht tatbestandliche Voraussetzung der Anfechtungs-<br />

berechtigung des gesetzlichen Vertreters, sondern Klagevoraussetzung (OLG Köln<br />

FamRZ 2001, 245; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1600b Rn 63). Entspricht die An-<br />

fechtung nicht dem Wohl des Vertretenen oder bleibt diese Frage offen, so ist die<br />

Klage als unzulässig abzuweisen (Wellenhofer, in: MünchKommBGB, 6. Aufl., § 1600b<br />

Rn 14 mwN in Fn 35). Das Gericht entscheidet in diesem Fall nicht in der Sache, also<br />

nicht über die Vaterschaft, sondern trifft lediglich eine Entscheidung über die (aktuel-<br />

len) Auswirkungen eines Anfechtungsverfahrens auf das Wohl des Vertretenen. Eine<br />

erneute Klage zu einem späteren Zeitpunkt bleibt möglich.<br />

b) Zu den Beurteilungsgesichtspunkten führt Wellenhofer aaO Rn 15 f aus (bei der<br />

folgenden Wiedergabe des Zitats wurde von der aufwändigen Einarbeitung der Fuß-<br />

noten mit den jeweiligen Nachweisen abgesehen):<br />

„Bei der Prüfung, ob die Anfechtung dem Wohl des Vertretenen ent-<br />

spricht, erfolgt eine Abwägung der konkreten Vor- und Nachteile, die mit<br />

dem Anfechtungsverfahren für den Vertretenen verbunden sind. Diese<br />

beziehen sich auf die Auswirkungen der Verfahrensdurchführung selbst,<br />

die Erfolgsaussichten des Verfahrens, vor allem aber auf die praktischen<br />

und rechtlichen Vor- und Nachteile der rechtskräftigen Feststellung, dass<br />

die Vaterschaft besteht oder nicht besteht. Die Darlegungs- und Beweis-<br />

last trifft den Anfechtenden.<br />

Bei der Anfechtung in Vertretung des Kindes ist davon auszugehen, dass<br />

im Normalfall ein natürliches Interesse des Kindes an der Feststellung seiner<br />

wirklichen Abstammung besteht. Die Feststellung der blutsmäßigen Ab-<br />

stammung ist gerade auch im Anschluss an die Thesen des BVerfG zum<br />

Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung von besonderem Gewicht,<br />

wenn auch nicht immer ausschlaggebend. Das Kindeswohl kann auch für<br />

die Beibehaltung der bisherigen sozialen Familie und damit gegen die Klä-<br />

rung der wirklichen Abstammung sprechen, insbes. wenn fraglich ist, ob<br />

die Vaterschaft tatsächlich endgültig geklärt werden bzw. keine neue<br />

rechtlich abgesicherte Vater-Kind-Beziehung begründet werden kann.


11<br />

Außerdem sind die Auswirkungen auf den Familienfrieden und die persön-<br />

lichen Beziehungen zwischen Mutter und Kind zu berücksichtigen. Daher<br />

ist auch zu berücksichtigen, ob die Mutter mit der Anfechtung einverstan-<br />

den ist. Besteht jedoch keine sozial-familiäre Beziehung zum Scheinvater,<br />

etwa weil die Ehe der Mutter mit ihm inzwischen aufgelöst ist, und sind so-<br />

mit infolge der Anfechtung keine Nachteile für das Kind zu befürchten, so<br />

genießt das grundrechtlich geschützte Interesse an der Klärung der wirkli-<br />

chen Abstammung Vorrang. Das gilt erst recht dann, wenn mit der Klä-<br />

rung der Abstammung Vorteile, zB Unterhaltsansprüche gegen den wirkli-<br />

chen Vater, verbunden sind. Von Bedeutung sind somit gerade auch die<br />

Aussichten, nach Beseitigung des Vaterschaftstatbestands nach § 1592<br />

Nr. 1 oder 2 einen anderen Mann durch Anerkennung oder gerichtliche<br />

Feststellung als Vater feststellen zu können“.<br />

c) In einem einschlägigen Gutachten-Fall hatte das Institut ausgeführt:<br />

„Im vorliegenden Fall nimmt es das FamG offenbar besonders genau mit<br />

seiner Prüfungspflicht, was ihm grundsätzlich nicht verwehrt werden kann.<br />

Insbesondere ist es nicht möglich, allein mit dem Hinweis auf das Recht<br />

des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung jegliche weitere Prüfung der<br />

Kindeswohldienlichkeit der Anfechtung zu unterbinden. Als Beleg dafür,<br />

dass dieser Gesichtspunkt von besonderem Gewicht, aber nicht immer<br />

ausschlaggebend sei, werden bei Wellenhofer aaO folgende Zitate ange-<br />

führt: „Vgl BayObLG FamRZ 1995, 185 u. FamRZ 1996, 1297; OLG Karlsruhe<br />

FamRZ 1991, 1337, 1339; OLG Hamm FamRZ 1984, 81; LG Berlin DAVorm.<br />

1984, 498, 500; Soergel/Gaul § 1597 aF RdNr. 9; ausdrücklich Coester JZ<br />

1992, 809, 810 in allg. Zusammenhang; s. aber auch LG Frankenthal FamRZ<br />

1983, 733; dem Gesichtspunkt der genetischen Vaterschaft des Anerken-<br />

nenden räumt dagegen den Vorrang ein OLG Köln FamRZ 1974, 266, 267<br />

(m. krit. Anm. Bosch); Staudinger/Rauscher RdNr. 55).<br />

Gleichwohl sollte aus dem Katalog der übrigen Kriterien hier besonders<br />

betont werden, dass die Feststellung des genetischen Vaters möglich ist<br />

(das frühere Abstreiten der Mutter mag durchaus mit der Heftigkeit der<br />

Scheidungsauseinandersetzung erklärt werden) und im Übrigen auch eine<br />

soziale Elternschaft im Rahmen der jetzt bestehenden Ehe mit dem wirkli-<br />

chen Vater zu erwarten ist. Demgegenüber sollten finanzielle Erwägungen


12<br />

wohl zurücktreten. Diese können im Zweifel als Argument für eine Anfech-<br />

tung herangezogen werden, wenn sich die materielle Lage des Kindes<br />

hierdurch bessert. Jedoch erscheint es verfehlt, eine Alternative aufzustel-<br />

len: „armer Vater – wohlhabender Scheinvater“ und im Zweifel die An-<br />

fechtung allein deshalb zu unterlassen.<br />

Zu den eher psychologischen Gesichtspunkten sollte ggf nach Rückspra-<br />

che mit der Mutter der Versuch einer Antwort gefunden werden. Dieser<br />

Prüfpunkt entzieht sich einer allgemeinen Wertung ohne Kenntnis der fami-<br />

liären Gegebenheiten.<br />

Zusammenfassend ist daher festzuhalten: Das FamG nimmt mit der ent-<br />

sprechenden Fragestellung die ihm durch § 1600b Abs. 4 BGB gesetzlich<br />

eingeräumte Befugnis zur Prüfung der Kindeswohldienlichkeit einer An-<br />

fechtung durch den gesetzlichen Vertreter wahr. Dem kann das Jugend-<br />

amt als Ergänzungspfleger nicht grundsätzlich entgegentreten. Es sollte al-<br />

lerdings in der Stellungnahme zu den Fragen des Gerichts durch eine ent-<br />

sprechende Gewichtung der für die Anfechtung sprechenden Gesichts-<br />

punkte seinen Standpunkt verdeutlichen.“<br />

13. Welche Behörden sind zur Anfechtung der Vaterschaft befugt bei einer mut-<br />

maßlich missbräuchlichen Anerkennung aus aufenthaltsrechtlichen Motiven?<br />

Welcher Behörde jeweils diese Aufgabe übertragen wird, ist nach § 1600 Abs. 6 BGB<br />

landesinterner Regelung vorbehalten.<br />

In einer Antwort zu einer Kleinen Anfrage hat die Bundesregierung in BT-Drucks.<br />

17/1096 vom 18.03.2010, 4 zu Frage 6 die jeweils zuständigen Behörden wie folgt auf-<br />

gelistet:<br />

„6. Welche Behörden sind nach Kenntnis der Bundesregierung für die An-<br />

fechtung in den verschiedenen Bundesländern zuständig?<br />

Die anfechtungsberechtigten<br />

Behörden<br />

lassen sich der folgenden<br />

Tabelle entnehmen.<br />

Bundesland<br />

Anfechtungsberechtigte Behörde(n)<br />

Baden-Württemberg Regierungspräsidium Freiburg<br />

Bayern Regierung von Mittelfranken


Berlin Bezirke<br />

Brandenburg Landkreise und kreisfreie<br />

Städte<br />

Bremen Stadtamt Bremen/Magistrat<br />

Bremerhaven<br />

Hamburg Behörde für Inneres<br />

Hessen Regierungspräsidien<br />

Mecklenburg-<br />

Landesamt für innere Verwal-<br />

Vorpommern<br />

tung<br />

Niedersachsen Landkreise und kreisfreie<br />

Städte<br />

Nordrhein-Westfalen Bezirksregierungen Köln und<br />

Arnsberg<br />

Rheinland-Pfalz Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion<br />

Saarland Landesverwaltungsamt<br />

Sachsen Landesdirektionen<br />

Sachsen-Anhalt Landesverwaltungsamt<br />

Schleswig-Holstein Landräte der Kreise/Bürgermeister<br />

der kreisfreien<br />

Städte“<br />

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