Geschichte und Geschichten - Richter-Richard
Geschichte und Geschichten - Richter-Richard
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Die Südstraße<br />
<strong>und</strong> das Reumont-Viertel<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n
Die Südstraße<br />
<strong>und</strong> das Reumont-Viertel<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
aufgezeichnet von<br />
Walter Holtzhausen<br />
<strong>und</strong><br />
Jochen <strong>Richard</strong><br />
sowie<br />
vielen (ehemaligen) Bewohnern der Südstraße <strong>und</strong><br />
Studenten der Fachhochschule<br />
mit Beiträgen von<br />
Jochen Buhren (Tuchfabrik Nickel&Müller)<br />
Heiner Grysar (Reumont-Viertel)<br />
Frank Suttner (Frühgeschichte <strong>und</strong> Römerzeit)<br />
<strong>und</strong><br />
Hildegard Van de Braak (Durchführung Erzähl-Cafés)<br />
9. ergänzte Ausgabe<br />
Aachen, Dezember 2009
I N H A L T S V E R Z E I C H N I S<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
VORWORT - ODER DIE GESCHICHTE DER GESCHICHTEN DER SÜDSTRASSE 1<br />
1. ENTWICKLUNG DER SÜDSTRASSE<br />
1.1 Die Frühgeschichte <strong>und</strong> Römerzeit ........................ 5<br />
1.2 Vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution ............. 8<br />
1.3 Nach der französischen Revolution ....................... 20<br />
1.4 Die Gründerzeit von 1864 - 1918 ........................ 22<br />
1.5 Die Zeit von 1918 - 1945 .............................. 33<br />
1.6 Die Zeit nach 1945 ................................... 36<br />
2. BESONDERHEITEN DER SÜDSTRASSE<br />
2.1 Die Bäche Pau <strong>und</strong> Paunelle ............................ 43<br />
2.2 Die Straßenbahn..................................... 46<br />
2.3 Die Fabriken ........................................ 49<br />
2.4 Franckenhoff´sche Fabrik <strong>und</strong> ehemalige Fachhochschule ..... 58<br />
2.5 Volksschule Reumontstraße ............................ 73<br />
2.6 Tattersall <strong>und</strong> Bunker ................................. 79<br />
2.7 Das Geschäftsleben................................... 85<br />
2.8 Ehemaliges Finanzamt <strong>und</strong> Priesterseminar ................ 90<br />
2.9 Eisenbahnlinie <strong>und</strong> Marschiertorbahnhof .................. 96<br />
2.10 Die Bedeutung der Straßennamen ...................... 105<br />
3. HISTORIE DER EINZELNEN GEBÄUDE<br />
ANLAGE<br />
3.1 Übersicht ......................................... 109<br />
3.2 Ungerade Hausnummern ............................. 117<br />
3.3 Gerade Hausnummern ............................... 137<br />
I Literaturverzeichnis.................................. 157
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
VORWORT -<br />
ODER DIE GESCHICHTE DER GESCHICHTEN DER SÜDSTRASSE<br />
Es begann mit der Frage: Wie war das früher hier in der Südstraße? Zunächst unabhängig voneinander<br />
gingen Walter Holtzhausen <strong>und</strong> Jochen <strong>Richard</strong> dieser Frage nach, bis ein Zufall dazu<br />
führte, dass beide von den Aktivitäten des Nachbarn erfuhren <strong>und</strong> nunmehr seit dem Jahr 2000<br />
die <strong>Geschichte</strong> der Südstraße gemeinsam erforschen. Dazu fanden sich Hildegard van de Braak<br />
mit ihrer Erfahrung in der Gemeinwesenarbeit, Frank Suttner <strong>und</strong> Jochen Buhren mit ihrem<br />
Interesse für die Frühgeschichte Aachens <strong>und</strong> die <strong>Geschichte</strong> der Tuchfabriken in Aachen sowie<br />
Heiner Grysar mit weiteren Unterlagen über das Reumont-Viertel. Wir möchten die gelebte <strong>und</strong><br />
lebende <strong>Geschichte</strong> der Südstraße wiederentdecken. Dinge, die vielleicht für unwichtig gehalten<br />
<strong>und</strong> deshalb in Gefahr sind, vergessen zu werden.<br />
Der betrachtete Raum umfasst<br />
den Bereich im engeren Umfeld<br />
der Südstraße von der<br />
Eisenbahnlinie bis zur ehemaligen<br />
Stadtmauer, von der Mozartstraße<br />
bis zur Mariabrunnstraße.<br />
Es gibt jedoch<br />
häufig Bezüge bis zur Jakobstraße<br />
<strong>und</strong> Burtscheider Straße,<br />
vom Alten Klinikum bis<br />
zum Graben. Darüber hinaus<br />
gehend werden Ereignisse nur<br />
dann beschrieben, wenn sie<br />
die Entwicklung im Umfeld der<br />
Südstraße beeinflusst haben.<br />
Im Winter 2002 gingen wir<br />
mit unserer Idee zum ersten<br />
Mal in die Öffentlichkeit: Plakate<br />
hingen im Viertel in einem<br />
Kneipenfenster, einer<br />
Sparkassenfiliale <strong>und</strong> in einer<br />
Arztpraxis. Viele blieben vor<br />
den Plakaten stehen, doch nur<br />
wenige konnten etwas zur<br />
Chronik beisteuern. Trotzdem<br />
haben uns auch die wenigen<br />
Hinweise auf neue Spuren geführt.<br />
Das Straßenfest in der Südstraße<br />
haben wir im Sommer<br />
2002 genutzt, mit einem eigenen<br />
Stand den nächsten<br />
Schritt in die Öffentlichkeit zu<br />
gehen.<br />
Abb. 1: Der engere <strong>und</strong> erweiterte Untersuchungsraum der Chronik.<br />
Abb. 2: Die beiden Seiten des ersten...<br />
Abb. 3: ...Werbeplakats für die Chronik.<br />
1
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 4: Der Stand auf dem Straßenfest 2002.<br />
Auf dem Straßenfest fanden wir wieder großes Interesse.<br />
Hier kündigten wir ein "Erzähl-Café" für den 16.<br />
September 2002 an. Auch die Presse war beim Straßenfest<br />
auf unsere Aktivitäten aufmerksam geworden<br />
<strong>und</strong> wies auf das "Erzähl-Cafe" mit einem ausführlichen<br />
Artikel hin.<br />
Es war eine muntere R<strong>und</strong>e, wenn die "Alten" erzählten<br />
<strong>und</strong> teilweise die Kinder, selbst schon im reiferen<br />
Alter, von der eigenen Jugend <strong>und</strong> von ihren Eltern<br />
erzählten. Es gab viele neue Hinweise, denen nachgegangen<br />
werden musste, <strong>und</strong> das eine oder andere<br />
interessante Foto wurde gleich mitgebracht. Am<br />
Schluss war es keine Frage, ob das "Erzähl-Café" wieder<br />
stattfinden sollte, es war nur die Frage: wann?<br />
Die nächsten "Erzähl-Cafés" fand statt am 29. November<br />
2002, 6. November 2003 <strong>und</strong> 22. Juli 2004.<br />
Abb. 5: Das erste "Erzähl-Café" am 16. September 2002 im Café Bebop.<br />
2<br />
Abb. 6: Artikel Aachener Nachrichten (14. September 2002).<br />
Abb. 7: Ankündigung des zweiten<br />
Erzähl-Cafés (AZ, 13. November<br />
2002).
Abb. 8: Artikel über die Veröffentlichung der Chronik (AN, 12. Juni<br />
2003).<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Die erste Auflage<br />
wurde im Juni<br />
2003 mit einer<br />
Auflage von 250<br />
Exemplaren veröffentlicht.<br />
Das in<br />
der Südstraße<br />
ansässige Planungsbüro<strong>Richter</strong>-<strong>Richard</strong><br />
hat zu<br />
seinem 25-jährigen<br />
Bestehen<br />
die Veröffentlichungunterstützt.<br />
Die erste<br />
Auflage war bereits<br />
nach wenigen<br />
Wochen vergriffen.<br />
Neue Hin- Abb. 9: AZ, 5. Dezember 2003<br />
weise <strong>und</strong> Quellen<br />
veranlassten uns, Ende 2003 eine zweite,<br />
überarbeitete <strong>und</strong> erweiterte Auflage zu veröffentlichen,<br />
die 130 Mal verkauft wurde. Da<br />
es immer noch neue <strong>Geschichte</strong>n über die <strong>Geschichte</strong><br />
der Südstraße gab, erschien Ende<br />
2004 eine wiederum stark erweiterte dritte<br />
Auflage. Die Broschüre hat damit bisher eine<br />
Auflage von insgesamt 380 Exemplaren. Seit<br />
Anfang 2006 werden die ergänzten Auflagen<br />
jeweils als pdf-File ins Internet gestellt<br />
(www.prr.de) <strong>und</strong> können dort kostenlos heruntergeladen<br />
werden.<br />
Die vorliegende Fassung umfasst 158 Seiten<br />
mit 353 Abbildungen. Die Quellen sind jeweils<br />
vermerkt. Sofern nicht anders erwähnt, stammen<br />
die Fotos von Walter Holtzhausen <strong>und</strong><br />
Jochen <strong>Richard</strong>.<br />
Eine solche Arbeit ist nie abgeschlossen. Wir<br />
wissen auch, dass eine solche Arbeit von<br />
"Geschichts-Amateuren" wissenschaftlich nicht<br />
immer exakt sein kann, vielleicht auch den einen<br />
oder anderen Fehler enthält. Hinweise<br />
nehmen wir deshalb gerne entgegen.<br />
Die "<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n des Südstraßenviertels" waren nur möglich, weil viele uns mit<br />
Hinweisen, Chroniken <strong>und</strong> Fotos unterstützt haben. Hierfür sei allen ausdrücklich gedankt.<br />
Walter Holtzhausen <strong>und</strong> Jochen <strong>Richard</strong><br />
Südstraße 46 Südstraße 52<br />
3
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 10-17: Die Teilnehmer des zweiten "Erzähl-Cafés" am 29. November 2002.<br />
4
1. ENTWICKLUNG DER SÜDSTRASSE<br />
1.1 Die Frühgeschichte <strong>und</strong> Römerzeit<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Mit jungsteinzeitlichem Feuerstein-Bergbau auf dem Lousberg wurden weit über den eigenen<br />
Bedarf hinaus Beilklingen aus Feuerstein hergestellt <strong>und</strong> im Umkreis von etwa 200 km gegen<br />
andere Waren getauscht. Unten im Tal, etwa dort, wo seit ca. 1200 Jahren der Aachener Dom<br />
steht, befindet sich eine der heißen Quellen. Eine frühgeschichtliche Siedlung befand sich ganz<br />
in der Nähe.<br />
Durch die heutige Mörgensgasse <strong>und</strong> Krakaustraße<br />
führte ein Weg ins Tal der Pau, die vermutlich<br />
erst später von den Römern zum<br />
Markt umgeleitet wurde. Der hier verbliebene<br />
Bach wurde deshalb später "kleine Pau", Paunelle<br />
genannt. 2009 wurde bei Straßen- <strong>und</strong><br />
Kanalarbeiten im Boxgraben der ursprüngliche<br />
Pau-Kanal entdeckt. Da keine F<strong>und</strong>stücke geborgen<br />
werden konnten, bleibt die Datierung<br />
des Kanals offen. Die Verwendung von durch<br />
Ziegelmehl rot gefärbtem Mörtel könnte für<br />
römische oder karolingische Zeit sprechen.<br />
Künftige naturwissenschaftliche Analysen<br />
(C14) müssen Klarheit bringen.<br />
Der aus dem Lager der Römer herausführende Weg querte zur damaligen Zeit im Bereich der<br />
heutigen Südstraße die Pau mit einer Furt <strong>und</strong> ging auf der anderen Talseite in sanftem Anstieg<br />
auf ein ausgedehntes Waldgebiet zu, etwa dort entlang, wo sich heute Habsburger Allee <strong>und</strong><br />
Maria-Theresia-Allee befinden. Eberburgweg <strong>und</strong> Revierweg zeigen den weiteren Verlauf des<br />
frühgeschichtlichen Weges bis zu "Sieben Wege", einer alten Passstraße mit Wegekreuzung im<br />
Aachener Wald. Auf dem nahegelegenen Klausberg lebten in der Bronzezeit Menschen, die ihre<br />
Toten in Grabhügeln bestatteten.<br />
Abb. 20: Die Militärdomäne von Aachen (Abbildung:<br />
Axel Hausmann: "Aachen zur Zeit der Römer", Aachen<br />
1994).<br />
Abb. 18: Der am Boxgraben ausgegrabene Pau-Kanal<br />
Der Bereich des Reumont-Viertels ist der Militärdomäne<br />
dieses Lagers zuzurechnen, die die Aufgabe hatte, die<br />
Lagerbewohner zu versorgen. Hierzu wurden etwa 60<br />
villae rusticae, landwirtschaftliche Güter, jeweils mit ca.<br />
300 ha Land im Umfeld der Domäne angesiedelt.<br />
5
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Ab 54 v. Chr. hatte zunächst eine<br />
römische Legion Caesars ihr Winterlager<br />
in Aachen. Die Straßen <strong>und</strong><br />
Wege liefen auf die vier Tore zu.<br />
Vom südwestlichen Tor ging vermutlich<br />
eine Verbindung in Richtung<br />
Südstraße (in der Abbildung<br />
der nach unten verlaufende Strich<br />
links der 13) [1].<br />
In einem späteren, größeren <strong>und</strong><br />
gegenüber dem Lager 1 leicht in<br />
seiner Achse gedrehte Lage (etwa<br />
ab 39 v. Chr.) waren drei Legionen<br />
untergebracht (etwa 30.000 Mann).<br />
Abb. 21: Die engere Umgebung des Tripellagers mit den<br />
Römerstraßen. Nr. 18 vermutlich Gut Schavemunt bzw.<br />
Schaumunt, das über die historische Südstraße zu<br />
erreichen gewesen wäre (Abbildung: Axel Hausmann:<br />
"Aachen zur Zeit der Römer", Aachen 1994).<br />
6<br />
Abb. 19: Das Lager I, 54 v. Chr. Die heutige Südstraße befindet sich in Verlängerung der<br />
Wegeverbindung rechts der Pau (Abbildung: Axel Hausmann: "Aachen zur Zeit der<br />
Römer", Aachen 1994).<br />
Abb. 22: Das größere <strong>und</strong> gegenüber dem Lager I leicht gedrehte Lager (Abbildung: Axel<br />
Hausmann: "Aachen zur Zeit der Römer", Aachen 1994.
Der Colynshof im Quellgebiet des<br />
Paubaches ist eines dieser Landgüter,<br />
ebenso wie der Name "Gut<br />
Kamp" (campus = Feld) einen römischen<br />
Ursprung andeutet. Die<br />
Kamper Straße hat von diesem Gut<br />
ihren Namen erhalten. Noch im<br />
Stadtplan von 1925 ist das Gut<br />
Kamp an der nordöstlichen Ecke<br />
Habsburger Allee/ Kamper Straße,<br />
also im engeren Umfeld des<br />
Reumont-Viertels, verzeichnet.<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 23: Ansicht Burtscheids von Nordwesten, Gouachebild vermutlich von P.F. Jansen,<br />
1796. In Bildmitte die alte Burtscheider Straße mit dem Landgut Schouemont (Foto:<br />
Stadtarchiv Aachen, sowie in: Will Hermanns, 4000 Jahre Aachen).<br />
Axel Hausmann skizziert in seinen Büchern eine römische Straße, die vom südwestlichen Tor des<br />
Lagers "Aachen l" in etwa im Verlauf der heutigen Südstraße zum Gut "Schavemunt" (lat. scaevo<br />
montis = günstig am Berg gelegen) führt. Das Landgut Schouemont befand sich noch 1796 an<br />
der alten Burtscheider Straße, die vom Aachener Marschiertor zum Burtscheider Obertor führte.<br />
Heute sind hier die Bahnanlagen mit der Burtscheider Brücke zu finden. Das Landgut lag in etwa<br />
dort, wo sich das Stellwerk befindet. Die Südstraße hatte damit bereits in römischer Zeit eine<br />
lokale Erschließungsfunktion.<br />
7
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
1.2 Vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution<br />
Nach Auflösung des römischen Reiches führte<br />
von der karolingischen Pfalzanlage Karls des<br />
Grossen die Scherpstraße (heute: Annastraße)<br />
durch das fränkische Dorf Ahha. Außerhalb<br />
teilte sich die Straße <strong>und</strong> nach Süden führte<br />
der bereits beschriebene Weg ins Tal der Paunelle.<br />
Es war ein wasserreiches <strong>und</strong> fruchtbares<br />
Tal. Die Böden ermöglichten Ackerbau <strong>und</strong><br />
Viehzucht, zu Teichen angestaute Bäche dienten<br />
dem Fischfang <strong>und</strong> dem Betrieb mehrerer<br />
Mühlen. Im Bereich der heutigen Südstraße<br />
kreuzte die Paunelle den Weg, westlich lagen<br />
Wiesen <strong>und</strong> Weiden zum Teil mit Obstbäumen<br />
bepflanzt, östlich gab es bewirtschaftete Felder.<br />
Aus dem fränkischen Dorf <strong>und</strong> dem Pfalzbezirk<br />
erwuchs die Stadt Aachen. Die erste, von Barbarossa<br />
1171 den Aachener Bürgern befohlene<br />
Stadtmauer verlief in etwa im Zuge des heutigen<br />
Grabenrings. Sie wurde bereits drei Jahre<br />
später 1174 fertiggestellt. In ihr befand sich in<br />
Höhe der heutigen Annastraße das "Scherptor".<br />
Von hier aus verlief vermutlich bereits im 12.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert eine Wegeverbindung durch die<br />
heutige Krakaustraße in Richtung Südstraße.<br />
1260 begann der Bau der zweiten Stadtmauer, der sich etwa bis 1330 hinzog. Der Verlauf zeichnet<br />
sich im Stadtgr<strong>und</strong>riss in etwa durch den Straßenring der Alleen, Wallstraße <strong>und</strong> Boxgraben,<br />
Junkerstraße <strong>und</strong> Turmstraße ab. Der Zugang zu den südlich vor der Stadtmauer gelegenen<br />
Höfen im Umfeld der heutigen Südstraße war vermutlich nur noch auf Umwegen durch das<br />
Marschiertor oder das westlich gelegene Rostor möglich, da umstritten ist, ob der Große Paunellenturm<br />
oder auch der Karlsturm zumindest zeitweise kleine Toranlagen besaßen.<br />
Fast 600 Jahre bis zur Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts beschrieb der Verlauf der Stadtmauer unverändert<br />
die Grenze der Aachener Innenstadt. Das Marschiertor <strong>und</strong> das Jakobstor gehörten zu den<br />
wichtigsten Toren der Stadt, da sie bedeutende Einfallstraßen absperrten. Auf den ältesten<br />
Stadtplänen wird das Burtscheider Tor (porta Porchetensis) bereits Messierstor genannt. Wie das<br />
italienische Wort Monsignore oder das französische Monseigneur so kennzeichnet auch Messiers<br />
ursprünglich hohe Geistliche von fürstlichem Stand. Durch Verfälschung entstand aus dem Namen<br />
Messierstor das Marschiertor. Überwiegend landwirtschaftlichen Zwecken diente das Rostor<br />
als Zugang zu den Höfen in der Aachener Heide <strong>und</strong> zum Reichswald. Der Name Rostor stammt<br />
von einer lateinischen Wurzel ab: Aus via rupta entstand via rotta, dann ros <strong>und</strong> meinte unterbrochener<br />
Weg.<br />
8<br />
Abb. 24: Aachen als fränkisches Königsgut. Südlich des Schriftzuges<br />
"Schaumunt" befindet sich der Bereich der heutigen Südstraße. [2]
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 25: Gr<strong>und</strong>riss der spätmittelalterlichen Stadt mit den beiden Mauerringen. Am unteren Bildrand bezeichnen: E = Rostor, h = Karlsturm (hier setzt<br />
heute die Südstraße an), g = Großer Paunellenturm, f = Kleiner Paunellenturm, D = Marschiertor [2].<br />
9
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Karlsturm<br />
Die Stadtmauer unterbrach die Wegebeziehung<br />
zwischen Krakaustraße <strong>und</strong> heutiger<br />
Südstraße. Zur Sicherung dieser Schwachstelle<br />
<strong>und</strong> zur Überwachung des Paunellen-Tals wurde<br />
der Karlsturm (h) errichtet. Er lag in der<br />
"Krak-Au" oder "Kraken-Au" ("Krähen-Aue" oder<br />
"Krake", wie man in Aachen ein abgemagertes<br />
Pferd bezeichnete). Dieser im Gr<strong>und</strong>riss halbkreisförmige<br />
Turm hatte eine Breite von 14<br />
Metern <strong>und</strong> eine Tiefe von 10 Metern (Katasterplan<br />
von 1820). Der zweigeschossige mächtige<br />
Turm war unten mit Schießscharten <strong>und</strong><br />
oben mit Schießluken versehen. Im westlichen<br />
Teil der Mauer befand sich eine 80 cm breite<br />
Treppe, die nur vom Wall aus in das Obergeschoss<br />
führte. Gleich unter dem Spitzdach befanden<br />
sich eine Reihe kleiner Öffnungen, die<br />
sowohl der Beobachtung wie auch der Verteidigung<br />
dienten. Der Karlsturm wurde auch<br />
"Krakauturm" genannt. Im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
nannte man ihn "Mareelenturm", denn hier<br />
wohnte über längere Zeit eine Familie Mareel.[3]<br />
Außer bei Merian ist auch bei Bertius (1616)<br />
ein Tor zu erkennen. Ob der Karlsturm zeitweise<br />
auch als Tor diente oder ob es sich nur um<br />
eine ungenaue historische Darstellung handelt,<br />
ist nicht abschließend zu beantworten.<br />
Beim Ausbau des Boxgrabens im Jahr 2008<br />
wurden bei der archäologischen Begleitung<br />
der Leitungsbauarbeiten der STAWAG in der<br />
Krakaustraße, Haus-Nr. 29, 0,70 m unter der<br />
heutigen Straßenoberfläche Reste des Turms<br />
angetroffen <strong>und</strong> dokumentiert. Es handelt sich<br />
um einen R<strong>und</strong>- oder Halbr<strong>und</strong>turm, von dem<br />
auf einer Strecke von etwa drei Meter noch<br />
drei Lagen des sauber gearbeiteten Quadermauerwerks<br />
erhalten waren. Die Mauerstärke<br />
konnte in dem Ausschnitt des Leitungsgrabens<br />
nicht ermittelt werden, die F<strong>und</strong>amentunterkante<br />
war bei 1,50 m unter Oberfläche noch<br />
nicht erreicht. Die F<strong>und</strong>e wurden kartiert <strong>und</strong><br />
die Grube dann wieder zugeschüttet. Neben<br />
diesen Überresten fanden die Archäologen<br />
auch Keramikfragmente aus dem 14. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
<strong>und</strong> Abfallprodukte von Steinzeugtöpfereien<br />
aus dem 15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
10<br />
Abb. 26: Der Karlsturm [3].<br />
Abb. 27: Dokumentation der Ausgrabung des Karlsturms 2008 (Quelle:<br />
http://stadtgeschichte.isl.rwth-aachen.de/wiki/Portal:Stadtarch%C3%A4<br />
ologie
Großer Paunellenturm<br />
Ein weiterer Turm, der Große Paunellenturm<br />
(g), befand sich an der Stelle, wo die heutige<br />
Kasernenstraße, der damalige Weg nach Burtscheid,<br />
auf die Mauer trifft. Hier endete früher<br />
die heute nicht mehr existierende Paunellengasse.<br />
Unter dem Turm floss die Paunelle in<br />
die Stadt. Der Turm wird 1444 erstmals schriftlich<br />
erwähnt. Im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert befand sich<br />
unweit des Turms eine Kupfermühle in der<br />
Paunellengasse, sie wurde durch das Wasser<br />
des Bachs angetrieben. Dieser große Wachturm<br />
war 13,50 m breit <strong>und</strong> 12,30 m tief. Im<br />
Erdgeschoss sollen sich drei Räume mit Tonnengewölbe<br />
bef<strong>und</strong>en haben. Der Turm war<br />
dreigeschossig.[3]<br />
Zwischen 1611 <strong>und</strong> 1614 wurde der Turm bis<br />
auf die Höhe der Stadtmauer abgebrochen.<br />
Diese Steine wollte niemand haben <strong>und</strong> so<br />
schenkte ein schlauer Stadtrat sie den Jesuiten.<br />
Diese bauten von den Steinen eine Schule <strong>und</strong><br />
den Turm der Jesuitenkirche. Die alten Steine<br />
kann man dort heute noch leicht erkennen.[3]<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
Abb. 28: Der Große Paunellenturm [3].<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 29: Der Turm der Jesuitenkirche im Jahr 2004. Die Steine aus dem<br />
früheren Großen Paunellenturm sind leicht zu erkennen.<br />
11
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Kleiner Paunellenturm<br />
Etwas über h<strong>und</strong>ert Meter entfernt vom "Großen<br />
Paunellenturm" stand der "Kleine Paunellenturm"<br />
(f). Vom Marschiertor etwa 90 m entfernt,<br />
in der Mitte zwischen dem Tor <strong>und</strong> der<br />
Karmeliterstraße, stand die "Kleine Paunell",<br />
wie der Turm auch genannt wurde. Der Turm<br />
wird unter anderem in der Wachordnung aus<br />
dem Jahre 1696 erwähnt. Er hatte einen halbkreisförmigen<br />
Gr<strong>und</strong>riss. Seine Breite wird mit<br />
10,60 m <strong>und</strong> die Tiefe mit 7,20 m angegeben.<br />
Dieser kleine, eingeschossige Turm hatte auf<br />
dem konisch zugehenden Dach eine Kugel als<br />
Zierde. In die r<strong>und</strong>e Außenseite waren drei<br />
Schießscharten eingelassen.[3] Aufgr<strong>und</strong> älterer<br />
Darstellungen, die zum Teil in dieser<br />
Südstraßen-Chronik enthalten sind (z.B. Stadtbrand<br />
1656, sowie Maubach), ist nicht auszuschließen,<br />
dass der Turm ursprünglich einmal<br />
mehrgeschossig war.<br />
Die nächstgelegenen großen Toranlagen waren das Marschiertor <strong>und</strong> das Rostor in Höhe des<br />
Hubertusplatzes:<br />
Marschiertor<br />
Das Marschiertor (D) war der südlichste Punkt<br />
der ehemaligen Stadtbefestigung. Es ist eine<br />
der größten Torburgen Europas <strong>und</strong> bis heute<br />
erhalten. Das Doppelturmtor wurde wahrscheinlich<br />
kurz nach 1300 fertiggestellt. Seine<br />
Gesamtbreite beträgt 23,80 m. Die beiden im<br />
Durchmesser unterschiedlichen Türme haben<br />
fünf Geschosse, während der Mittelbau über<br />
vier Geschosse verfügt. Die Durchfahrtbreite<br />
des Tores beträgt 4,80 m. Jeder der R<strong>und</strong>türme,<br />
die den vierkantigen Mittelbau flankieren,<br />
ist mit einer holprigen Wendeltreppe ausgestattet.<br />
Über diese Treppenaufgänge erreicht<br />
man auch den großen Waffensaal. Unten in<br />
den Türmen befinden sich die beiden Wachstuben<br />
<strong>und</strong> unter diesen die Gefängniszellen.<br />
Von der Wachstube im westlichen Turm gelangt<br />
man durch eine Falltür im Fußboden mit<br />
einer Leiter oder einem Seil in einen verließartigen<br />
Raum. An der Ostseite des Tores ist<br />
außen ein Abort angebracht, wie man ihn an<br />
vielen Toren <strong>und</strong> Türmen des Mittelalters findet.<br />
Ehemals hatte das Marschiertor auch eine<br />
Vorburg, ähnlich wie wir sie beim Ponttor finden.[3]<br />
12<br />
Abb. 30: Der Kleine Paunellenturm [3].<br />
Abb. 31: Das Marschiertor [3].
Rostor<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Das Rostor (E) befand sich im Bereich des heutigen<br />
Hubertusplatzes. Es war für die Stadtverteidigung<br />
von geringerer Bedeutung <strong>und</strong><br />
wurde wie die meisten anderen Tore im ersten<br />
Viertel des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts abgerissen. Das<br />
Rostor hatte einen Gr<strong>und</strong>riss von 11,60 m Breite<br />
<strong>und</strong> 6,70 m Tiefe. Der kleine Vierkantbau<br />
hatte einen vorkragenden Holzaufbau gleich<br />
unter dem Dach. Dieser war mit Luken zur Beobachtung<br />
<strong>und</strong> zur Verteidigung versehen. Die<br />
kleine Barbakane war gleichfalls ein viereckiger<br />
Bau, <strong>und</strong> an seiner rechten Seite war ein R<strong>und</strong>türmchen<br />
angebaut, in dem sich wohl der<br />
Treppenaufgang zum Obergeschoss befand.<br />
An der Ostseite des Haupttors stand, mit der<br />
Stadtmauer verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> überragend, ein<br />
Wachhaus von über 11 Metern Länge mit ei- Abb. 32: Das Rostor [3].<br />
nem niedrigen Obergeschoss. Hier war die Unterkunft<br />
der Wachmannschaft, die nicht nur<br />
das Tor, sondern vor allen Dingen den Einlauf des Paubachs in die Stadt zu überwachen hatte.<br />
Etwa 10 Meter westlich des Rostors floss dieser Bach durch eine stark vergitterte, bogenartige<br />
Öffnung in die Stadt. Durch ein Holzwehr, wie bei einer Wassermühle, konnte man das Wasser<br />
in den terrassenartigen Graben vor der Stadtmauer umleiten. Dieser mit dem Wasser der Pau<br />
gespeiste Graben reichte bis zum Großen Paunellenturm <strong>und</strong> entwässerte hier in die Paunelle.<br />
Der Graben wurde "Busen-" oder "Bosengraben" (heute Boxgraben) genannt (Busen = Binsen) -<br />
es ist eine der verschiedenen Erklärungen für die Herkunft des Straßennamens.[3]<br />
Aus dem 17. Jahrh<strong>und</strong>ert gibt es verschiedene Kupferstiche, für die in verschiedenen Quellen<br />
unterschiedliche Urheber genannt werden. Sie zeigen zum einen, wie die Kupferstecher voneinander<br />
"abgekupfert" haben, <strong>und</strong> zum anderen, dass sich vor der Stadtmauer in fast 100 Jahren<br />
nichts verändert hat <strong>und</strong> auch im Bereich der heutigen Krakaustraße sich die Felder nur langsam<br />
baulich auffüllen.<br />
In der Nähe des Rostores wurden beim Ausbau<br />
der Boxgrabens 2008 Bei der archäologischen<br />
Begleitung der Kanalbauarbeiten der STAWAG<br />
in Hausanschlüssen für das Luisenhospital<br />
(Haus-Nr.99) ca. 0,80 m unter der heutigen<br />
Straßenoberfläche die gut erhaltene Kontramauer<br />
des mittelalterlichen Stadtgrabens angetroffen.<br />
Die Mauer hat die erstaunliche Breite<br />
von 2,35 m. Ihre Unterkante wurde bei 2,80<br />
m unter Oberfläche noch nicht erreicht. Sie ist<br />
nach Süden gegen den gewachsenen Boden<br />
gesetzt <strong>und</strong> zeigt auf der Stadtseite Sichtmauerwerk<br />
aus sauber gemauerten Blausteinquadern.<br />
Abb. 33: Ausgrabung der Stadtmauer im Bereich Luisenhospital (Quelle:<br />
http://stadtgeschichte.isl.rwth-aachen.de/wiki/Portal:Stadtarch%C3%A4<br />
ologie<br />
13
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
In der Darstellung historischer Kupferstiche sind im Umfeld der heutigen Südstraße interessante<br />
Details zu erkennen:<br />
Oben in der Mitte der Abbildung<br />
das Marschiertor, rechts davon Kleiner<br />
<strong>und</strong> Großer Paunellenturm sowie<br />
Karlsturm, anschießend das<br />
Rostor. Vom Karlsturm führt die<br />
heutige Krakaustraße in Richtung<br />
Altstadt. Bis zur Mitte des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
liegen hier lediglich zwei<br />
Häuser in den umgebenden Feldern.<br />
Auf dem Abschnitt der Stadtmauer<br />
vor dem Karlsturm befand sich, wie<br />
oben bereits beschrieben, ein Wassergraben,<br />
der bei Bedarf von der<br />
Pau gespeist <strong>und</strong> über die Paunelle<br />
entwässert wurde. Jenseits dieses<br />
Grabens ist die heutige Südstraße<br />
nur als Hecke zwischen zwei Feldern/Weiden<br />
in Verlängerung der<br />
Krakaustraße zu erahnen.<br />
Das kleine Tal der Paunelle mit dem<br />
Durchlass am Großen Paunellen-<br />
Turm ist deutlich zu erkennen, doch<br />
ist ihr Verlauf vor der Stadtmauer<br />
weiter östlich dargestellt als im 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert. Inner-halb der Stadtmauer<br />
fließt sie offen durch die<br />
heutige Karmeliterstraße, die deshalb<br />
früher Ponellgasse hieß. Auch<br />
die Pau mit dem Durchlass an der<br />
Rospforte ist am rechten Bildrand<br />
gut zu erkennen. Die Straße am<br />
oberen Bildrand ist die Eupener<br />
Straße, die von der Burtscheider<br />
Straße abzweigt.<br />
14<br />
Abb. 34: Stadtplan von 1613, Kupferstich von Guicciardini (Das alte Aachen, Albert<br />
Hyskens, Aachen 1953). Oben in der Mitte das Marschiertor, rechts davon Kleiner <strong>und</strong><br />
Großer Paunellenturm, dann Karlsturm, anschießend die Rospforte. Vom Karlsturm führt<br />
die heutige Krakaustraße in Richtung Altstadt, nach außen würde sich die Südstraße<br />
anschließen.<br />
Abb. 35: Ausschnitt aus einem Kupferstich vermutlich von J. Blaeu aus dem Jahr 1638<br />
mit dem Bereich der heutigen Südstraße (rechts vor dem Karlsturm mit Wassergraben).<br />
Abb. 36: Merians Kupferstich mit der Ansicht der Stadt Aachen (1647): Mitte links das<br />
Marschiertor, anschließend der Kleine <strong>und</strong> Große Paunellenturm, dann Karlsturm im<br />
Bereich der heutigen Südstraße <strong>und</strong> das Rostor.
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Im Kupferstich von Merian befindet sich im Vordergr<strong>und</strong> links das Marschiertor, links daneben<br />
perspektivisch verzerrt der Kleine <strong>und</strong> Große Paunellenturm, Karlsturm <strong>und</strong> Rospforte. Im Vergleich<br />
mit dem Foto aus dem Jahr 2002 erkennt man, dass es Merian mit der Topografie nicht so<br />
genau genommen hat (z.B. das "Gebirge" mit dem Langen Turm am linken Bildrand Merians).<br />
Abb. 37: Kupferstich von Merian mit der Ansicht der Stadt Aachen aus Richtung Süden (1647).<br />
Abb. 38: Der Merianblick über die Altstadt <strong>und</strong> den Lousberg im Jahr 2002, aufgenommen aus einem Gebäude an der Kasinostraße.<br />
15
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 39: Der Aachener Stadtbrand am 2. Mai 1656, Ölgemälde, 1656. Vorne das Marschiertor, links daneben der Kleine <strong>und</strong> Große Paunellenturm<br />
sowie der Karlsturm, von dem heute die Südstraße ausgehen würde (Museum Frankenburg).<br />
Abb. 40: Ausschnitt westlich des Marschiertores mit dem Bereich der heutigen Südstraße.<br />
Am 2. Mai 1656 suchte ein großer Stadtbrand die Stadt Aachen heim. Der vergrößerte Bildausschnitt<br />
zeigt die vor dem Brand durch das Marschiertor flüchtenden Bewohner. Sie suchen außerhalb<br />
der Stadtmauer auf den Wiesen <strong>und</strong> Feldern im Umfeld der heutigen Südstraße Schutz.<br />
16
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 41: Stadtplan von Franziskus Blondels von 1688: oben in der Mitte das Marschiertor, denn rechts der große Paunellenturm <strong>und</strong> Karlsturm (im<br />
Bereich der heutigen Südstraße) <strong>und</strong> die Rospforte.<br />
Auch 1688 ist die Struktur im Umfeld der heutigen Südstraße unverändert, lediglich in der Krakaustraße<br />
sind einige Gebäude hinzu gekommen.<br />
Eine alte Sage erzählt folgende <strong>Geschichte</strong> über die Stadtmauer im Bereich des Boxgrabens:<br />
Der Teufel im Paunellenturm<br />
Eine alte Sage erzählt: In der Nähe des Paunellenturms trieb sich der Teufel herum <strong>und</strong><br />
lauerte auf die Seelen sündiger Pilger, die nach Aachen kamen. Seine Fre<strong>und</strong>in, wahrscheinlich<br />
die Hexe Marie Brucks, wurde 1526 aus der Stadt verbannt. Darüber war der Teufel so erzürnt,<br />
dass er in den Paunellenturm fuhr, <strong>und</strong> zwar mit so viel Getöse, dass der alte Turm zusammenbrach<br />
<strong>und</strong> den Teufel begrub. Man hörte es unter den Trümmern, die zum Teil im kalten Paunellenbach<br />
lagen, stöhnen <strong>und</strong> wimmern.<br />
Die ähnliche Version einer alten Ortssage [4], verzeichnet durch den Humanisten Agricola<br />
im Jahre 1537, berichtet, wie ehemals der Teufel im Paunellenturm "mit viel W<strong>und</strong>ers, Geschrey,<br />
Glockenklingen <strong>und</strong> anderm Unfug" umgegangen sei. Die Art dieser teuflischen Erscheinung<br />
entspricht den Auftritten eines "Wilden Heeres" in alter Zeit.<br />
Zu den einstmals geheimen Jugendweihen <strong>und</strong> Mannbarkeitsriten gehörte das Auftreten<br />
<strong>und</strong> der Umzug eines Wilden oder Wotans-Heeres. Diese auch als Wilde Jagden durch Sagen wie<br />
durch geschichtliche Überlieferungen bekannten Aufzüge, von denen man noch an vielen Orten<br />
der Eifel <strong>und</strong> Ardennen weiß, entstammten uraltem Totenkult in geheimen Männerbünden.<br />
Schon Tacitus berichtet von einem nächtlichen Gespensterheer, der Harier (oder Einherjer), bei<br />
den Germanen; an seine Spitze trat vielerorts, mindestens seit der Völkerwanderungszeit, der<br />
Germanengott Wotan, der Schimmelreiter oder Wilde Jäger. Dass Kultumzüge dieser Art noch<br />
bis weit in das Mittelalter hinein stattgef<strong>und</strong>en haben, ist vielerorts bekannt.<br />
17
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Dass der Teufel nach demselben Bericht in den Paunellenturm "bis an den jüngsten Tag"<br />
verbannt sein soll, zeigt, wie man damals in Aachen hoffte, den nächtlichen Spuk solcher Umzüge<br />
durch die Stadtmauer auf ewig unterb<strong>und</strong>en zu haben. Das Wilde Heer pflegte in seinen<br />
herbst- <strong>und</strong> winterlichen Auftritten bei Fackelschein unter Lärmen <strong>und</strong> Schellengeläut stets den<br />
gleichen Weg zu nehmen; hier aber am alten Paunellenturm war ihm der Weg durch die Stadtmauer<br />
versperrt. Vielerorts kennt oder nennt man sogar noch die Fährten dieser heidnischen<br />
Kultumzüge als "Heerwege".<br />
Die Teufelsmär vom Paunellenturm gibt nun im Verein mit weiteren Ortssagen deutliche<br />
Hinweise, einem solchen Heerweg auch in Aachen nachzuspüren. Dabei entpuppt sich dieser<br />
Pfad als ein Verbindungsweg, der schon in grauer Vorzeit von den Siedlungsplätzen des Lousberges<br />
<strong>und</strong> der Totenkultstätte auf dem Salvatorberg zu den Kult- <strong>und</strong> auch Wohnbezirken im Aachener<br />
Wald hinübergeführt hatte. Seine Spur im heutigen Stadtbild lässt sich noch verfolgen:<br />
Von der Höhe der Kupferstraße, einer alten Gracht (Schluchtweg) als Verbindung zwischen<br />
dem Aachener <strong>und</strong> dem Soerser Tal zwischen beiden Bergen, lief einst der Vorzeitweg in ziemlich<br />
gerader Richtung zunächst südwärts zur Niederung des Johannisbaches hinab. Die ehemalige<br />
Kühgasse, also eine alte Viehtrift quer über den jetzigen Veltmanplatz zur Kreuzherrnstraße<br />
hin, dann die Südwestseite des Pontdriesches <strong>und</strong> schließlich eine Sackgasse beim früheren<br />
Gesellschaftshaus an der mittleren Pontstraße, auch Beginenwinkel genannt, sind noch in neuerer<br />
Zeit deutlich erkennbare Teilstrecken seiner Fährte. An der heutigen Straße Augustinerbach<br />
überquerte er den Johannisbach. Der Weg stieg nun in geradem Fortgang seiner alten Richtung<br />
zum Markthügel hinauf, wie das Stück Pontstraße von der Neupforte bis zum Straßenknick an<br />
der Augustinerkirche deutlich zeigt. Den oberen Teil der Pontstraße aber hat die spätere Pfalzanlage<br />
sichtlich abgebogen; denn die alte Wegrichtung wies, westlich am Rathaus vorbei, zum<br />
Fischmarkt <strong>und</strong> zur Annastraße hin, quer durch das Gelände des späteren Münsterkreuzgangs<br />
(dessen zwei alte Ein- <strong>und</strong> Ausgänge bezeichnend genug "Drachenloch" heißen <strong>und</strong> damit auf<br />
eine altheidnische Wegespur deuten können). Die Annastraße aber ist es, die mit ihrem früheren,<br />
altdeutschen Namen "Scherpstraße" <strong>und</strong> in dem merkwürdig schlängelnden Verlauf ihrer beiderseitigen<br />
Fluchtlinien deutlich ihren Ursprung in einem natürlichen Flurweg recht hohen Alters<br />
bek<strong>und</strong>et.<br />
Von ihr aus lief nun der Vorzeitweg weiter über die Mörgensgasse <strong>und</strong> durch die heutige<br />
Kasernenstraße zu dem Punkt hin, wo später der Paunellenturm gestanden hat. Der Weg kreuzte<br />
hier die Paunelle <strong>und</strong> stieg dann, etwa entlang der heutigen Friedlandstraße, durch eine auch<br />
urk<strong>und</strong>lich erwähnte alte Gracht vor dem Paunellenturm zur Höhe des Krugenofens hinauf. Dort<br />
bog er nach Süden ab; sein Verlauf über den Höhenrücken wurde seit 1018 zur Grenze zwischen<br />
dem Aachener <strong>und</strong> Burtscheider Gebiet. Letzte Spuren des weiteren Weges sind schließlich im<br />
Höfchensweg <strong>und</strong> Grindelweg zu suchen, bevor sich der alte Pfad, vorbei am Wachtturm Linzenshäuschen,<br />
im Walde verliert.<br />
Verdächtig war also der Weg <strong>und</strong> manches, was von Zeit zu Zeit darauf geschah. Es ist<br />
deshalb nicht von ungefähr, dass beide Stadtmauern ihn abriegelten <strong>und</strong> mit Türmen zu unterdrücken<br />
versuchten. Es ist auch ein Stück mittelalterliche Religionsgeschichte zu Aachen.<br />
Noch zu Anfang des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts ging das Gerücht vom lärmenden Umhertoben eines<br />
nächtlichen Gespenstes auf dem Wall zwischen Marschier- <strong>und</strong> Jakobstor um. Einige wollen darin<br />
"den lebendigen Höllenh<strong>und</strong>", andere "einen vor Jahren Ermordeten", wieder andere "einen flammenspeienden<br />
Drachen im Roseturm" oder den Teufels- oder Werwolf gesehen, viele "ein furchtbares<br />
Gebrüll auf dem Walle", "heulend <strong>und</strong> mit Ketten rasselnd" gehört haben.<br />
Das Wesen jener heidnischen Kultumzüge lebt auch heute noch im Brauchtum weiter, sei<br />
es in den verchristlichten Formen der abendlichen Martins- <strong>und</strong> Nikolausumgänge oder als letzter<br />
Überrest rein heidnischen Treibens im Karneval.<br />
18
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Bis zum Jahr 1777, dem Jahr der ersten Erstellung eines Stadtplans von Aachen, hat sich vor den<br />
Stadtmauern nicht viel verändert. Das Umfeld der Südstraße entspricht noch den Darstellungen<br />
aus der Zeit Merians, nun allerdings kartographisch dargestellt, wobei offen ist, ob die bei Merian<br />
dargestellte Hecke zwischen Stadtmauer <strong>und</strong> Paunelle hier nun als Wegedarstellung aufzufassen<br />
ist (rechte Bildmitte). Interessant sind darüber hinaus die Bezeichnungen der Straßen <strong>und</strong><br />
Wege sowie der Mühlen <strong>und</strong> Höfe.<br />
Abb. 42: Ausschnitt aus dem Copzoo-Plan von 1777, mit dem Bereich der heutigen Südstraße (östlich der Pau) vor der Stadtmauer bis zur "Aachener<br />
Heide" (Stadtarchiv Aachen).<br />
19
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
1.3 Nach der französischen Revolution<br />
Mit der Besetzung des Rheinlandes durch französische Truppen im Jahr 1794 wurden die Aachener<br />
Stadtmauern geöffnet. Mit Datum 10. September 1804 fordert ein Dekret Napoleons die<br />
innere Stadtmauer abzureißen, die äußere Instand zu setzen, die Gräben zuzuschütten <strong>und</strong> Promenaden<br />
anzulegen.<br />
Die voranschreitende Industrialisierung forderte ihren Platz <strong>und</strong> so begann Aachen über die<br />
Stadtmauer hinauszuwachsen. Laut Bekanntmachung des Aachener Oberbürgermeisters vom 7.<br />
Januar 1823 wurde der Auftrag zum Abbruch des Karlsturms gegeben, die aber offensichtlich,<br />
wie spätere Stadtpläne belegen, nicht ausgeführt wurde.<br />
Abb. 43: Ausschnitt aus der Tranchot-Karte von 1820: auf der Karte ist gut zu erkennen, wie sich das Gebiet um die Südstraße (schmaler Weg<br />
unmittelbar von der südlichen Stadtmauer abgehend) zwischen mittelalterlicher Stadt <strong>und</strong> den hügeligen Ausläufern des Aachener Waldes<br />
erstreckt.<br />
20
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 44: Ausschnitt aus dem Rappard-Plan von 1860: Die Stadtmauer ist im Bereich des Bahnhofs (rechter Bildrand) um 1860 bereits geschleift, aber<br />
zwischen Marschiertor <strong>und</strong> Jakobstor noch erhalten. Gut zu erkennen sind das Rostor mit der Pau (links), der Karlsturm mit der Wegeverbindung zur<br />
Paunelle (heutige Südstraße, Mitte links von der Fabrik Waldhausen), der Große Paunellenturm mit der Paunelle (Mitte rechts), der Kleine<br />
Paunellenturm <strong>und</strong> das Marschiertor (rechts).<br />
21
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Das Vorfeld vor der Mauer war, wie auch auf älteren Darstellungen zu sehen ist, bis zur Aachener<br />
Heide von jeher durch Felder, etwas Buschwerk <strong>und</strong> schmale Wege geprägt. Mit der Pau <strong>und</strong><br />
Paunelle flossen zwei Bäche hindurch. Die frühen Industriestandorte waren auf natürliche Wasservorkommen<br />
angewiesen, so dass auch das Umfeld der heutigen Südstraße für solche Ansiedlungen<br />
interessant war.<br />
Im Rappard-Plan von 1860 sind die ersten Fabriken im heutigen Reumont-Viertel eingetragen,<br />
doch sind die Flächen überwiegend noch landwirtschaftlich genutzt (Ackerflächen, auch Obstwiesen).<br />
Auf dem Abschnitt entlang des heutigen Boxgrabens war die Stadtmauer noch nicht<br />
geschleift. Die Paunelle floss offen entlang der heutigen oberen Südstraße. Die Karlsgasse als<br />
Vorgänger der heutigen Südstraße verläuft als leicht gew<strong>und</strong>ener Weg bis zur Paunelle, ohne<br />
dort einen erkennbaren Übergang als Furt oder Steg zu haben.<br />
Doch die neue Zeit wirft bereits ihre Schatten voraus <strong>und</strong> bringt das Reumont-Viertel in eine<br />
Insellage: Im Norden begrenzt durch die Stadtmauer, im Süden durch den Bogen der neuen<br />
Bahnlinie Aachen - Düsseldorf.<br />
Abb. 45: Von der Mitte nach links: Der Rheinische Bahnhof (heute Hauptbahnhof) mit früherem Empfangsgebäude <strong>und</strong> Bahnhofsplatz, Marschiertor<br />
<strong>und</strong> vor der Stadtmauer das Gelände der Tuchfabrik <strong>und</strong> Färberei Waldthausen mit parkähnlich bepflanzter Umgebung, ca. 1869. [24]<br />
1.4 Die Gründerzeit von 1864 - 1918<br />
Das Jahr 1864 kann man als das Jahr des Beginns der städtebaulichen Entwicklung des Reumont-<br />
Viertels bezeichnen. Die Promenade entlang der (ehemaligen) Stadtmauer erhielt den Namen<br />
Boxgraben, möglicherweise - als eine der vielen Erklärungen - hervorgegangen aus einer seit<br />
langem überlieferten Bezeichnung "an Bocksgraff", was sich auf eine hier irgendwo ansässig<br />
gewesene begüterte Patrizierfamilie Buck bezieht.<br />
1868 bezeichnet das Aachener Adressbuch die heutige Südstraße als "extra muros" (außerhalb<br />
der Mauer) gelegene "2. Seitenstraße des Boxgrabens" mit drei unbewohnten Häusern. 1872<br />
werden das 1.-5. Haus <strong>und</strong> die Tuchfabrik "Franckenhoff" (ohne Nummer) in der späteren Blockinnenfläche<br />
erwähnt.<br />
22
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
Abb. 46: Der sog. Capellmann-Plan zeigt den Bestand aus der Zeit 1873-1876 (Quelle: Stadtarchiv Aachen).<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
23
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Der Capellmann-Plan aus Zeit 1873 - 1876 zeigt mit interessanten Details den Zustand des<br />
Reumont-Viertels zu Beginn dieser Entwicklung: Die Stadtmauer steht noch weitgehend einschließlich<br />
des Karlsturms zwischen Krakaustraße <strong>und</strong> späterer Südstraße, ist aber bereits im<br />
Bereich der Stephanstraße <strong>und</strong> der Kasernenstraße beseitigt. Der Boxgraben wird als Boxgrabenstraße<br />
bezeichnet. Im nördlichen Teil der Südstraße <strong>und</strong> auf er Südseite des Boxgrabens sind die<br />
ersten Häuser errichtet. Die Erschließung deutet sich erst mit Teilabschnitten im Verlauf der Südstraße<br />
<strong>und</strong> der Reumontstraße an. Man kann noch sehr deutlich verfolgen, wie der Ponellbach<br />
in seinem Lauf verschiedenen Mühlen <strong>und</strong> Fabriken dient. Insbesondere im Bereich der Schleifmühle<br />
sind hierzu interessante Details zu erkennen. Die Eisenbahnlinie ist bereits mit einem<br />
Durchlass für die Paunelle <strong>und</strong> einem Übergang im Bereich des heutigen Fußgängertunnels in<br />
Verlängerung der Mariabrunnstraße dargestellt.<br />
1876 wurden weitere Teile der Stadtmauer vom Marschiertor bis zur Stephanstraße abgebrochen.<br />
Bis zu diesem Zeitpunkt verlief die städtebauliche Entwicklung, nicht nur im Bereich der<br />
Südstraße, weitgehend planlos.<br />
Am 15. August 1876 übernahm Hermann Josef Stübben als Stadtbaurat die Leitung des Bauamtes<br />
[6]. Stübben war später einer der wichtigsten Theoretiker <strong>und</strong> Praktiker des sich zu diesem<br />
Zeitpunkt entwickelnden modernen Städtebaus (u.a. durch seine späteren Planungen für die<br />
Kölner Stadterweiterung zwischen Stadtmauer- <strong>und</strong> Eisenbahnring), der in Aachen den Gr<strong>und</strong>stein<br />
seiner Karriere legte.<br />
Abb. 47: Der Boxgraben, vom Hubertusplatz aus gesehen [5].<br />
1879 arbeitete Stübben einen Plan für das ganze Stadtgebiet, "Neuer Bebauungsplan von Aachen"<br />
aus, ein heute selbstverständlicher, für die damalige Zeit ungewöhnlicher Planungsansatz.<br />
Dieser Plan regelte primär die Entwicklung nördlich <strong>und</strong> östlich der Altstadt, aber auch die zukünftige<br />
Entwicklung des "Boxgrabenviertels", wie Stübben das Umfeld der Südstraße bezeichnete<br />
[6]. Hier kritisierte er ausdrücklich die einseitig parzellierende Stadtplanung als "Baustellen-<br />
Fabrikation", bei der Verkehr <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit zu wenig berücksichtigt waren.<br />
24
Abb. 48: "Neuer Bebauungsplan von Aachen 1879" aufgestellt von Hermann Josef Stübben.<br />
In diesem Plan Stübbens sind die Gr<strong>und</strong>züge<br />
für die Erschließung dieses Gebiets mit Südstraße,<br />
Reumontstraße, Mariabrunnstraße <strong>und</strong><br />
Beethovenstraße erstmals zu finden. Die städtebauliche<br />
Struktur der Südstraße geht also<br />
direkt auf die Stübben´schen Planungsvorstellungen<br />
zurück.<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 49: Ausschnitt des Südstraßen-Viertels aus dem "Neuen Bebauungsplan<br />
für Aachen 1879" von Hermann Josef Stübben.<br />
25
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Offenbar parallel zur Aufstellung des "Neuen Bebauungsplans von Aachen" wurde 1878 für die<br />
Südstraße <strong>und</strong> die Straßen in ihrem Umfeld der "Bebauungs-Plan 132a für das Terrain zwischen<br />
der Bergisch-Maerkischen Eisenbahn <strong>und</strong> dem Boxgraben, Marschirsteinweg <strong>und</strong> der Mariabrunnstrasse<br />
zu Aachen" aufgestellt. Bebauungspläne <strong>und</strong> damit das moderne Stadtbaurecht<br />
waren erst durch das preußische Fluchtliniengesetz von 1875 möglich, das den Kommunen gegenüber<br />
privaten Investoren mehr Rechte verschaffte.<br />
Die persönliche Mitwirkung Stübbens<br />
an diesem Plan zeigen zwei<br />
Unterschriften: unter den textlichen<br />
Festsetzungen des Bebauungsplans<br />
am 5. Dezember 1878 <strong>und</strong> am 4.<br />
Juli 1879 unter eine Änderung der<br />
Festsetzungen für den Straßenzug,<br />
der die Blockinnenfläche Südstraße<br />
/ Mariabrunnstraße parallel zu diesen<br />
Straßen teilen sollte <strong>und</strong> den<br />
Namen Händelstraße geführt hätte.<br />
Auch hier wieder ein für die damalige<br />
Zeit ungewöhnliches, heute<br />
selbstverständliches Vorgehen, in<br />
einem zweistufigen Verfahren zunächst<br />
die groben Züge der Bebauungsplanung<br />
zu bestimmen, um<br />
dann in einem zweiten Schritt die<br />
Details einzelner Stadtviertel festzulegen.<br />
Bis heute bestimmt das<br />
Baugesetzbuch, dass Bebauungspläne<br />
aus dem Flächennutzungsplan<br />
zu entwickeln sind. Stübben<br />
hat mit seinem Bebauungsplan für<br />
die Südstraße in der damals noch<br />
sehr jungen <strong>Geschichte</strong> des Stadtbaurechts<br />
auch ein wenig Stadtbaugeschichte<br />
geschrieben.<br />
In der Planunterlage <strong>und</strong> den Festsetzungen des Bebauungsplans kann man interessante Details<br />
entdecken:<br />
# Der Verlauf der alten Stadtmauer ist noch enthalten, der ursprüngliche Verlauf der<br />
Paunelle, die ersten Gebäude der Südstraße, insbesondere aber das völlig andere<br />
Erschließungssystem, das damals geplant war.<br />
# Die Südstraße bildet die Haupterschließung, die Mozartstraße ist eine nachgeordnete<br />
Straße, der heute von der Beethovenstraße hinter dem ehemaligen Finanzamt<br />
abgehende Wohnweg ist eine durchgehende Straße.<br />
# Insbesondere ist aber die Blockinnenfläche zwischen Südstraße <strong>und</strong> Mariabrunnstraße<br />
stärker geteilt, was erklärt, weshalb so lange eine Baulücke gegenüber der<br />
Einmündung Beethovenstraße bestand: Die Beethovenstraße sollte bis zur Mariabrunnstraße<br />
durchgezogen <strong>und</strong> von einer Straße parallel zur Mariabrunnstraße gekreuzt<br />
werden, die vom Boxgraben auf den heutigen Fußweg unter der Eisenbahn<br />
treffen sollte. Da diese Erschließung nie gebaut wurde, befindet sich heute zwischen<br />
Südstraße <strong>und</strong> Mariabrunnstraße die weite Blockinnenfläche.<br />
26<br />
Abb. 50: Von Stübben unterzeichnete Festsetzungen des Bebauungsplans.<br />
Abb. 51: Die von Stübben vorgenommene Änderung der Festsetzung im Bebauungsplan.
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
Abb. 52: Bebauungsplan Nr. 132a von 1878 mit handschriftlichen Vermerken von Hermann Josef Stübben.<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
27
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Dem Bebauungsplan sind die Baufluchten <strong>und</strong> der Straßenquerschnitt zu entnehmen, für die<br />
Südstraße war das ein Querschnitt von 15 m Breite mit 9 m Fahrbahn <strong>und</strong> jeweils 3 m breiten<br />
Trottoirs. Darüber hinaus wird 1889 festgesetzt: "Eckabstumpfungen der Straßenfluchtlinien von<br />
je 3 Meter Länge in der Schrägen gemessen an folgenden Stellen: zwei Ecken an dem Punkte M<br />
(Südstraße/Boxgraben), zwei Ecken an dem Punkte N (Südstraße/Beethovenstraße), zwei Ecken<br />
an dem Punkte E (Südstraße/Reumontstraße)." Diese gebrochenen Ecken sind bis heute an den<br />
Gebäuden zu erkennen.<br />
Die Akte für den Ausbau der Südstraße beginnt mit einem Schreiben vom 25. November 1886<br />
<strong>und</strong> wird erst mit einem Enteignungsvollzug am 8. Juni 1931, also nach einem Verfahren von 45<br />
Jahren Dauer geschlossen! Die Ursache liegt darin, dass es ein langwieriges Kauf-/Enteignungsverfahren<br />
über Straßenflächen auf der westlichen Straßenseite der Südstraße an der Einmündung<br />
Boxgraben mit einer juristischen Auseinandersetzung über mehrere Instanzen gab.<br />
Finanziert wurde der Straßenbau durch<br />
die "Südend-Straßenbau GmbH". Neben<br />
den Terraingesellschaften "AG Frankenberg:<br />
Rehm-Viertel <strong>und</strong> Steffens-Viertel"<br />
gab es unter anderem auch die am 14.<br />
Juni 1905 gegründete "Südend Straßenbau<br />
GmbH", die sich um den Ausbau im<br />
Bereich der Südstraße kümmerte. Gebaut<br />
wurde bereits ab 1903 das südliche<br />
Ende der Südstraße als Verbindung mit<br />
der Goethestraße <strong>und</strong> Schillerstraße sowie<br />
der Viadukt der Eisenbahn. Die Kosten<br />
hierfür wurden durch Schuldverschreibungen<br />
zu 4,5 % gedeckt. Hierzu<br />
wurden in den Jahren 1905, 1906, 1908,<br />
1913 <strong>und</strong> 1914 jeweils 400 Schuldverschreibungen<br />
zu je 1.000 Mark ausgestellt,<br />
die dann von 1920 bis 1922 vollständig<br />
in Teilbeträgen zurückgezahlt<br />
wurden. Das Kapital betrug 1905 40.000<br />
Mark <strong>und</strong> 1920 noch 20.000 Mark. Den<br />
ersten Vorstand bildeten die Herren Alfred<br />
Heusch, Carl Delius, Louis Beissel<br />
<strong>und</strong> <strong>Richard</strong> Capellmann. Am 21. Mai<br />
1938 wurde die GmbH in eine KG umgewandelt.<br />
Eine dieser als "sehr selten" eingestuften Schuldverschreibungen über 1.000 Mark zugunsten von<br />
Herrn Regierungsrat L. Beissel zu Aachen vom 31. Juli 1905 wurde im Jahr 2007 im Internet für<br />
125 EUR als historisches Wertpapier zum Kauf angeboten. Durch weitere Urk<strong>und</strong>enangebote im<br />
Internet ist bekannt, dass am 30. September 1905 L. Beissel zumindest eine weitere Schuldverschreibung<br />
über 1.000 Mark zeichnete.<br />
28<br />
Abb . 53: Schuldverschreibung der "Südend-Straßenbau GmbH".
Die Stadtpläne vom Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
bis in die 30er Jahre des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts haben<br />
etwas voreilig diese ursprünglich geplante<br />
Erschließung des Viertels übernommen. So<br />
sollte beispielsweise die Unterführung Mariabrunnstraße<br />
als Händelstraße auf die verlängerte<br />
Beethovenstraße treffen <strong>und</strong> der östliche<br />
Teil der Beethovenstraße den Namen Villenstraße<br />
führen. Der heutige, nie in ganzer Länge<br />
ausgebaute Wohnweg hinter dem ehemaligen<br />
Finanzamt sollte Karmeliterstraße heißen, die<br />
heutige Karmeliterstraße hieß statt dessen Ponellstraße.<br />
In der Mariabrunnstraße (neben der ehemaligen<br />
Bäckerei Röhlen) gab es schon immer ein<br />
kurzes Stück Straßeneinmündung (jetzt wurde<br />
daraus der breite Zugang zur 1998/99 erbauten<br />
Kindertagesstätte). Die Baulücke in der<br />
Südstraße als Gegenstück dazu ist beim Bau<br />
des Bunkers verloren gegangen. Die Verbindung<br />
war lange Zeit ein Trampelpfad.<br />
Die Zeit nach 1900 war für das Reumont-Viertel<br />
eine Zeit mit einer aufregenden Entwicklung:<br />
# Am 21. Dezember 1905 ist der<br />
Neubau des Hauptbahnhofs an<br />
der Stelle des Rheinischen Bahnhofs<br />
nach achtjähriger Bauzeit<br />
fertiggestellt. In Verbindung mit<br />
dem Bahnausbau steht die Anlage<br />
der heutigen Straßenzüge Hackländerstraße,<br />
Zollamtstraße, Reumontstraße,<br />
Mozartstraße, Weberstraße<br />
<strong>und</strong> Habsburger Allee.<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
Abb. 54: Stadtplan von 1906<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 55: Stadtplan von 1910, in dem die Punkte die damaligen<br />
Fabrikstandorte <strong>und</strong> Gewerbebetriebe bezeichnen.<br />
# Durch den Umbau der Bahnanlagen mit den neuen niveaufreien Gleisquerungen im<br />
Zuge der Südstraße (1905) <strong>und</strong> Weberstraße (1907) wurde das Reumont-Viertel aus<br />
der Randlage befreit <strong>und</strong> der Weg war frei für die Erschließung des Südviertels. In<br />
den Jahren 1903 bis 1910 erfolgt die Aufschließung des Südviertels mit südlicher<br />
Südstraße, Goethestraße <strong>und</strong> Schillerstraße (1903), Körnerstraße <strong>und</strong> Limburger<br />
Straße (1904), Arndtstraße (1906), Kaiser-Friedrich-Allee (1906/09), Kanalisierung<br />
Maria-Theresia-Allee <strong>und</strong> Anlage Salierallee (1909).<br />
# Am 2. Oktober 1896 hatte die Stadt an der Goethestraße das Gelände um Mariabrunn<br />
erworben <strong>und</strong> 1905 begann der Bau des St. Elisabeth-Krankenhauses. 1903<br />
wurde das Hotel-Restaurant "Barbarossa" erbaut. An der jenseits der Bahnlinie verlaufenden<br />
Goethestraße entstanden die Bergschule (1904) <strong>und</strong> die Maschinenbauschule<br />
(1907). An der Südstraße eröffnete die Kunstgewerbeschule ihre Pforten<br />
(1908), dann die neu errichtete Volksschule an der Reumontstraße (1909).<br />
29
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Der Ursprung der Reumontstraße war der 1858 fertiggestellte Bahnhofsvorplatz des Marschiertorbahnhofs.<br />
Noch in der Stadtkarte von 1925 heißt die östliche Reumontstraße Marschiertorbahnhofs-Platz.<br />
In einem Stadtplan von 1877 ist gegenüber dem Marschiertorbahnhof ein Gebäude<br />
mit der Bezeichnung Telegraphen-Bau-Anstalt zu finden. Es dient später als Wohnhaus.<br />
Nachdem die Reumontstraße ausgebaut war, wurde das Gebäude komfortabel ausgebaut <strong>und</strong><br />
diente bis zu seiner Zerstörung im 2. Weltkrieg den Bahndirektoren als Dienstwohnung. Das<br />
parkähnliche Gr<strong>und</strong>stück umfasste das gesamte Gelände der 1954 errichteten <strong>und</strong> heute modernisierten<br />
Eisenbahner-Miethäuser an der Reumontstraße.<br />
Abb. 56: Aachener Nachrichten, 27. Juli 2004.<br />
Bei Erzählungen wird immer wieder das Phänomen der Abgrenzung zwischen "oberer" (von der<br />
Eisenbahnunterführung bis zur Beethovenstraße) <strong>und</strong> "unterer" Südstraße (von der Beethovenstraße<br />
bis zum Boxgraben) deutlich, das man auch heute noch als Hinzugezogener empfindet.<br />
Früher "kämpften" die Jugendlichen von oberer <strong>und</strong> unterer Südstraße gegeneinander, heute<br />
findet das Straßenfest nur in der oberen Südstraße statt. Der Unterschied erklärt sich in keinem<br />
Fall aus der Pfarrgrenze, denn diese teilt die Südstraße in Nord-Süd-Richtung (westlich St. Jakob<br />
später Heilig Geist, östlich St. Marien).<br />
Der Ursprung erklärt sich vermutlich aus sozialen Unterschieden, die zurückgehen in die Gründerzeit<br />
der Straße <strong>und</strong> seitdem tradiert werden:<br />
30
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
# Interessant ist die Verteilung der Ersterrichtungsjahre in der oberen <strong>und</strong> unteren<br />
Südstraße: In der unteren Südstraße wurden 21 Gebäude (= 70 %) vor 1900 errichtet,<br />
in der oberen Südstraße 19 (= 86 %) 1900 oder später. Die Gebäude in der<br />
oberen Südstraße sind damit deutlich jünger <strong>und</strong> waren deshalb auch besser <strong>und</strong><br />
großzügiger ausgestattet (z.B. breitere 3-Fenster-Häuser, höhere Geschossdecken in<br />
den oberen Etagen, größere Hofflächen).<br />
# Die neuen Wohngebiete jenseits der Bahnanlagen hatten für die weitere Entwicklung<br />
der Straße eine erhebliche Bedeutung. Die Südstraße wurde zur Einkaufsstraße<br />
des vornehmen Südviertels. Und da hier gutbetuchte Bürger einkauften, gab es<br />
immer wieder auch entsprechend hochwertige Läden, vor allem in der oberen Südstraße,<br />
dem Einfallstor aus dem Südviertel: Buchbinder, Druckerei <strong>und</strong>, nicht zu<br />
vergessen, auch eine Wäscherei mit Heißmangel, da man selbstverständlich nicht<br />
selber wusch, sondern waschen ließ. Auch die auffallend vielen Schneider, die in der<br />
oberen Südstraße wohnten <strong>und</strong> arbeiteten, erklären sich möglicherweise hieraus.<br />
Und an der Ecke Reumontstraße/Südstraße gab es einen Tennisplatz - ein Sport der<br />
damals nicht gerade zum populären Breitensport zählte.<br />
# Der massive Ausbau der öffentlichen Einrichtungen im Umfeld der Südstraße taten<br />
ein Übriges für den guten Ruf, aber auch die Teilung der Südstraße. Die Kunstgewerbeschule<br />
mit ihren eigenwilligen Schülern <strong>und</strong> Professoren war mit ihrem Zugang<br />
auf die obere Südstraße orientiert, große öffentliche Einrichtungen lagen jenseits<br />
der Bahn, so dass auch hier die obere Südstraße einen Lagevorteil für dieses<br />
bessere Publikum hatte.<br />
Hierin liegt vermutlich die Erklärung für die bis heute spürbare soziale Trennung zwischen oberer<br />
<strong>und</strong> unterer Südstraße: In der oberen Südstraße gab es die besseren Wohnungen, hier verkehrte<br />
das wohlhabendere, "bessere" Publikum (von der unteren, eher kleinbürgerlichen Südstraße gerne<br />
als "Bohemien" bezeichnet), hier gab es die "besseren" Geschäfte. "Oben" <strong>und</strong> "unten" zu sein,<br />
hatte somit in der Südstraße schon immer eine ganz besondere Bedeutung.<br />
Ein Vergleich des Stadtplans von 1925 mit dem Rappard-Plan von 1860 zeigt sehr deutlich die<br />
dargestellte rasante Entwicklung, die das Reumont-Viertel in der Gründerzeit genommen hat:<br />
# Die Stadtmauer ist bis auf das Marschiertor geschleift.<br />
# Der Eisenbahndamm bildet die später durchbrochene neue Zäsur zwischen "Innenstadt"<br />
<strong>und</strong> "Vorstadt".<br />
# Die Bebauung der Südstraße ist bis auf die Baulücke gegenüber der Einmündung<br />
Beethovenstraße abgeschlossen.<br />
# Die Paunelle verschwand verrohrt unter der Erde.<br />
# Nach Osten setzt sich die Reumontstraße von der Südstraße mit einem kleinen Platz<br />
fort, der die heutige Baustruktur an der Ecke Südstraße/Mozartstraße mit der baumbestandenen<br />
Vorfläche als verbliebenem Rest dieses Platzes erklärt. An diesen Platz<br />
schloss sich zum Bahndamm hin zwischen der Mozartstraße <strong>und</strong> dem Kindergarten<br />
am Dossing-Platz ein Sportplatz (Tennisplatz) an.<br />
# Die Mozartstraße ist noch nicht durchgebaut, die Südstraße bildet die Hauptverbindung<br />
aus dem Süden, wo sich unter anderem das Städtische Elisabeth-Krankenhaus<br />
(später Klinikum) angesiedelt hat, in die Innenstadt. Dies erklärt, weshalb heute<br />
noch die Gebäude auf der westlichen Seite vor der Eisenbahnunterführung postalisch<br />
zur "Südstraße" <strong>und</strong> nicht zur "Mozartstraße" gehören.<br />
31
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 57: Ausschnitt des Stadtplans von 1925, überlagert mit dem Rappard-Plan von 1860.<br />
32
1.5 Die Zeit von 1918 - 1945<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs passiert in der Südstraße <strong>und</strong> ihrem Umfeld nicht viel<br />
Neues. Lediglich einzelne Bauten wurden in den 30er Jahren ergänzt (z.B. im Bereich der Beethovenstraße).<br />
Abb. 58: Das Haus Beethovenstraße 1, errichtet<br />
Anfang der 30er Jahre, im Jahr 1960 in seinem<br />
noch weitgehend ursprünglichen Zustand<br />
<strong>und</strong> nach der Modernisierung (Fotos: Karl).<br />
Abb. 59<br />
Über die Jahre der Nazi-Herrschaft ist bisher aus dem<br />
Reumont-Viertel (noch) nicht viel bekannt. In dem Gebäude am<br />
Boxgraben gegenüber der Stephanstraße (Nr. 59 oder 61) war<br />
wohl ein Teil der Ortsgruppenleitung der NSDAP untergebracht,<br />
deren eigentlicher Sitz in der ehemaligen Augenklinik in<br />
der Stephanstraße war.<br />
Abb. 60<br />
Abb. 61<br />
Der 11. April 1944 ist so etwas wie die Schicksalsnacht der Südstraße: In einem Großangriff der<br />
Engländer mit dem Schwerpunkt Burtscheid (<strong>und</strong> vermutlich auch Hauptbahnhof) wurden in nur<br />
21 Minuten von 22.40 bis 23.01 Uhr von ca. 350 Flugzeugen in Bombenteppichen 19 Minen,<br />
4.047 Spreng-, 34.200 Brand- <strong>und</strong> 8.685 Phosphorbrandbomben, also insgesamt fast 47.000<br />
Sprengkörper abgeworfen. Die Folge: 1.525 Tote <strong>und</strong> 969 Verletzte. [7] Nur im letzten Augenblick<br />
erreichten viele Bewohner den Bunker in der Südstraße. Die große Zerstörung der Häuser<br />
entstand durch den kombinierten Einsatz von Sprengbomben, die die Häuser zunächst aufrissen<br />
<strong>und</strong> den nachfolgenden Brandbomben die Nahrung gaben. Viele Bewohner haben in mancher<br />
Nacht furchtlos <strong>und</strong> unter Lebensgefahr sich für den Erhalt der Anwesen eingesetzt, indem sie<br />
versuchten, die Brandbomben unschädlich zu machen.<br />
33
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 62: Eines der wenigen Kriegsbilder, die von der Südstraße existieren. Neben dem zerstörten Haus Nr. 9 sind auf dem Foto die stark<br />
beschädigten Häuser Nr. 11 (rechts ), 7, 5 <strong>und</strong> 3 (links) abgebildet. (Foto: Kuck)<br />
Später wurden die Kinder schulweise aus der Stadt evakuiert, dann auch die Erwachsenen. Am<br />
6. Oktober 1944 wurde amtlich mitgeteilt: "Aus der unter feindlichem Artilleriebeschuss liegenden<br />
Kaiserstadt Aachen ist die Zivilbevölkerung in Sicherheit gebracht worden."<br />
34
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 63: Die untere Südstraße, angesichts der erheblichen Zerstörungen vermutlich im Winter 1945 oder 1946 aufgenommen. Blick in Richtung<br />
Boxgraben, rechts das zerstörte Haus Nr. 9 anschließend die Häuser Nr. 7, 5, 3 <strong>und</strong> 1, links die zerstörten Häuser im Bereich Nr. 14. (Foto Staat)<br />
Am 16. Oktober, als der Riegel der Amerikaner um Aachen geschlossen war, zerstörte ein<br />
Sprengkommando der SS neben weiteren Brücken die Eisenbahnbrücke an der Südstraße. Am<br />
21. Oktober 1944 eroberte nach einer 19-tägigen Schlacht die 9. US-Armee die Stadt Aachen, in<br />
der noch 6.000 Menschen lebten.<br />
Die Bombardierungen haben bis heute noch Folgen, wie die Bauarbeiten am Boxgraben im Jahr<br />
2009 wieder einmal gezeigt haben. So wurde unter anderem an der Weberstraße Ecke Boxgraben<br />
eine verrostete Gasflasche, vermutlich aus den 1930er Jahren, entdeckt. Die Flasche befand<br />
sich in den Resten eines alten Kellers, der zu einem Haus gehörte, das im 2. Weltkrieg ausgebombt<br />
<strong>und</strong> danach nicht wieder aufgebaut wurde. Archäologen fanden in unmittelbarer Nähe<br />
auch zerschmolzenes Glas, was zeigt, welch enorme Hitze in dem Keller nach der Bombardierung<br />
geherrscht haben muss. Im gleichen Bereich wurde auch ein Blindgänger gef<strong>und</strong>en.<br />
35
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 64: Aachener Nachrichten, 4. April 2009<br />
36
1.6 Die Zeit nach 1945<br />
Wiederaufbau<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Die kriegsbedingten Zerstörungen haben das Bild der Südstraße nachhaltig verändert. Mit den<br />
vier Eckhäusern der Südstraße zum Boxgraben <strong>und</strong> zur Reumontstraße fielen in der Südstraße<br />
insgesamt 23 Häuser den Bomben zum Opfer. Viele Häuser hatten Teilschäden. Die Kriegszerstörungen<br />
haben die Südstraße viel von ihrer gründerzeitlichen Substanz gekostet.<br />
Der Wiederaufbau der Häuser ist im Kapitel "Historie der einzelnen Gebäude" detailliert beschrieben.<br />
In den 50er Jahren wurden fast alle Baulücken, teilweise unter Zusammenfassung benachbarter<br />
Gr<strong>und</strong>stücke wieder bebaut.<br />
Zwischen den Häusern Südstraße Nr. 25 <strong>und</strong> 27 war bis Ende der 1950er Jahre die Straßeneinmündung<br />
Beethovenstraße mit einem Zaun abgesperrt. Im Herbst 1959 fiel die Absperrung an<br />
der Einmündung der heutigen Beethovenstraße weg <strong>und</strong> es wurden die Häuser an diesem Teil<br />
der neu entstehenden Beethovenstraße zwischen Südstraße <strong>und</strong> Mozartstraße erbaut. Seither<br />
gibt es den neuen Teil der Beethovenstraße, deren Fortsetzung bis zur Reumontstraße (Gottfried-<br />
Dossing-Platz) es schon Jahrzehnte vorher gab.<br />
In den 60er Jahren hat sich der Bereich Mozartstraße/ Reumontstraße am stärksten verändert.<br />
Dieser Bereich gehörte noch zur Südstraße, da die Mozartstraße als Seitenstraße in die Reumontstraße<br />
mündete <strong>und</strong> eine ruhige Wohnstraße war. Erst seit dem Umbau 1961/62 mit der heutigen<br />
Verkehrsführung gehört diese Seite mit ihren Neubauten postalisch zur Mozartstraße.<br />
Abb. 65: Ausschnitt aus dem amtlichen Plan der Stadt Aachen von 1953.<br />
Die Mozartstraße <strong>und</strong> die Beethovenstraße sind noch nicht<br />
durchgeb<strong>und</strong>en.<br />
Vermeintliche Modernisierungsmaßnahmen in den 1960er <strong>und</strong> 1970er Jahren haben mancher<br />
historischen Fassade, die den Krieg überstanden hat, das Leben genommen. 1983 wurden deshalb<br />
21 noch aus der Gründerzeit erhaltene Gebäude unter Denkmalschutz gestellt.<br />
Kinderspiel in der Nachkriegszeit<br />
Abb. 66: Die alte Straßenbeziehung in die Südstraße (links) <strong>und</strong> die<br />
1961/62 ausgebaute neue Straßenflucht mit Vorrang für die<br />
Mozartstraße. (2002)<br />
In der ersten Nachkriegszeit war die Straßenfläche für die Kinder der Nachbarschaft ein guter<br />
Spielplatz (aber auch in den Trümmern), <strong>und</strong> das blieb so bis etwa zum Ende der 50er Jahre, als<br />
der Autoverkehr immer mehr zunahm. Das Spielen in den Trümmern der zerstörten Häusern<br />
lockte, gut konnte man darin klettern <strong>und</strong> sich verstecken. Es gab Hüpfspiele (z. B. "Himmel <strong>und</strong><br />
Erde" oder "Mutter, wie viele Schritte darf ich tun?") quer über die gepflasterte Straße oder es<br />
wurde mit dem Ball oder Reifen gespielt, <strong>und</strong> natürlich Knicker, auch Roller in verschiedenen<br />
Arten waren im Gebrauch.<br />
37
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Kinder spielten in erster Linie auf den Bürgersteigen <strong>und</strong> auf der Straße, aber es gab noch das<br />
Gelände um den Weiher an der heutigen Beethovenstraße. An der Mozartstraße ging es hinter<br />
einem Gitter über einen kurzen Hang zum östlichen Ufer. Die Uferränder waren begehbar <strong>und</strong><br />
von Bäumen <strong>und</strong> Buschwerk umstanden. Am westlichen Ufer befand sich als Rohr der Überlauf<br />
zur Paunelle. Hier betrug der Abstand zu den rückwärtigen Hofmauern der Häuser der Südstraße<br />
27-31 noch etwa 1,50 Meter. Eine Erinnerung an den Weiher haben noch die älteren Bewohner<br />
der Südstraße: Im Sommer waren in Verbindung mit einer kleinen Insel in der Mitte des Teichs<br />
"Wasserschlachten" zu gewinnen <strong>und</strong> im Winter wurde Schlittschuh gelaufen. Eine besondere<br />
Mutprobe bestand darin, soweit wie möglich in das Überlaufrohr in Richtung Paunelle zu kriechen.<br />
An der Ecke Mozartstraße/ Reumontstraße bot der ehemalige Tennisplatz Kindern jede Möglichkeit<br />
zu spielen. Abgestellte Gerätschaften <strong>und</strong> aufgeschüttete Schuttberge boten genügend<br />
Raum <strong>und</strong> Abwechslung zum Spiel.<br />
Bevor die Beethovenstraße bebaut wurde - der Zaun war inzwischen auch nicht mehr so stabil -<br />
fanden die Jungens der Straße den Weg zu dem tiefer gelegenen Brachgelände am "Weiher"<br />
hinter dem ehemaligen Finanzamt. Dort entstanden sogenannte "Lägerchen" <strong>und</strong> auch im Winter,<br />
bei Schnee, war dort ein beliebtes Gelände zum Spielen.<br />
Als dann der Autoverkehr zunahm <strong>und</strong> das Ballspielen in der Südstraße nicht mehr möglich war<br />
(der "Tennisplatz" existierte da schon nicht mehr), mussten Ersatzflächen her. Eine bot sich neben<br />
dem Priesterseminar in der Beethovenstraße (zwischen Mozartstraße <strong>und</strong> Reumontstraße). Das<br />
störte aber die Beschäftigten des Seminars. Sie verboten es <strong>und</strong> setzten das Verbot auch mit<br />
Hilfe der Polizei durch. Gleich anschließend an die Beethovenstraße, Ecke Reumontstraße, liegt<br />
der Leonhardplatz, heute Gottfried-Dossing-Platz; der "Knubbel", ein lange Zeit dort gelagerter,<br />
hoher Schutthaufen, war damals auch ein beliebter Spielplatz.<br />
Bebauungsplan 841 "Mariabrunnstraße"<br />
Im Sommer 2002 hat der Rat den von Stübben aufgestellten Fluchtlinienplan 132a für den Bereich<br />
der Südstraße aufgehoben <strong>und</strong> den Bebauungsplan 841 "Mariabrunnstraße" zur Satzung<br />
beschlossen. In der Begründung zum Bebauungsplan wird unter anderem ausgeführt:<br />
Städtebauliche Situation<br />
Die Blockrandbebauung ist geprägt durch gründerzeitliche, meist 4- bis 5-geschossige Wohnbebauung,<br />
von der 21 Gebäude unter Denkmalschutz stehen. In den Erdgeschossen befinden sich<br />
z.T. Läden, kleinere Handwerksbetriebe oder Dienstleister. Die Ausstattung mit Einrichtungen für<br />
den täglichen Bedarf ist im direkten Umfeld sehr gut, genau wie die Versorgung mit öffentlicher<br />
Infrastruktur, wie Kindergärten <strong>und</strong> Schulen. Die Südstraße stellt für den Bereich ein Nahbereichszentrum<br />
dar. Im Blockinnenbereich dominiert die altindustrielle, dreischiffigen Shedhalle,<br />
die ehemals von der Fachhochschule für Design genutzt wurde. Nach jahrelangem Leerstand ist<br />
sie nun in einem abbruchreifen Zustand. Die an der Reumontstraße <strong>und</strong> Mariabrunnstraße liegenden<br />
öffentlichen Einrichtungen, die städtische katholische Gr<strong>und</strong>schule, die Montessori-Gr<strong>und</strong>schule<br />
mit dem Kinderhaus an der Reumontstraße 52, die städtischen Kindergärten<br />
Reumontstraße 52 <strong>und</strong> Mariabrunnstraße 17 verfügen im Blockinnenbereich über einen Restteil<br />
der Freiflächen.<br />
Planungsrechtliche Situation<br />
Im Flächennutzungsplan der Stadt Aachen von 1980 ist das Blockinnere zu einem großen Teil als<br />
Grünfläche für die Entwicklung einer Spielfläche der Kategorie A mit zentraler Versorgungsfunktion,<br />
die umgebenden Randbereiche als Wohnbaufläche dargestellt. Eine Verbindung der Grünfläche<br />
mit den umgebenden Straßen soll hergestellt werden.<br />
38
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Anlass der Planung<br />
Die im Planungsgebiet vorhandenen Schulen <strong>und</strong> Kindergärten haben einen erheblichen Bedarf<br />
an zusätzlichen Freiflächen <strong>und</strong> Räumlichkeiten (Turnhalle). Durch den Kauf des landeseigenen<br />
Gr<strong>und</strong>stücks der ehemaligen Werkkunstschule, das bereits seit langem brachliegt, besteht die<br />
Möglichkeit diesen Bedarf weitgehend zu realisieren. Weiterhin kann das Ziel des Flächennutzungsplanes,<br />
die Schaffung eines Kinderspielplatzes, in diesem Bereich umgesetzt werden.<br />
Allgemeine Ziele<br />
Vorrangiges Ziel des Bebauungsplans ist die Umsetzung der Vorgaben des Flächennutzungsplanes.<br />
Die Schaffung einer öffentlichen Grünfläche im Blockinnenbereich dient der Bedarfsdeckung<br />
von Spielbereichen für die angrenzenden Kindergärten <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>schulen <strong>und</strong> der Behebung<br />
des erheblichen Defizits an öffentlichen Spielflächen in diesem hoch verdichteten Wohnbereich.<br />
Zusätzlich ist vorgesehen, die Freiflächen der Schulen <strong>und</strong> Kindergärten zu erweitern<br />
<strong>und</strong> die Schulhoffläche der Gr<strong>und</strong>schule so zu vergrößern, dass auch der Neubau einer Turnhalle<br />
ermöglicht werden kann. Von der Südstraße zur Mariabrunnstraße wird eine Fußwegverbindung<br />
durch den Blockinnenbereich geschaffen, um die Spielflächen <strong>und</strong> öffentliche Einrichtungen<br />
anzubinden.<br />
Was sonst noch geschah<br />
Am 11. März 1973 verkehrte zwischen Hauptpost <strong>und</strong> Goethestraße, <strong>und</strong> damit auch in der<br />
Südstraße, die letzte Straßenbahn. Im August 1973 wurde nach Stilllegung der Straßenbahn das<br />
Pflaster der Fahrbahn der Südstraße gegen Asphalt ausgetauscht <strong>und</strong> auch der Gehweg erhielt<br />
anstelle des Pflasters einen Plattenbelag. Ein Jahr später, zum 1. August 1974, wurde die Südstraße<br />
von der Reumontstraße in Richtung Boxgraben zur Einbahnstraße.<br />
Am 1. Februar 1989 wurde zur Parkraumbewirtschaftung<br />
"Anwohnerparken" eingeführt.<br />
1991/92 wurde die Südstraße mit Parkstreifen<br />
<strong>und</strong> Baumpflanzung umgestaltet <strong>und</strong> die Einbahnstraßenregelung<br />
mit Ausnahme des Einmündungsbereichs<br />
Boxgraben (für Radfahrerfrei)<br />
aufgehoben - doch bis heute wird überwiegend<br />
auf beiden Straßenseiten in der ehemaligen<br />
Einbahnrichtung geparkt <strong>und</strong> es traut<br />
sich kaum jemand, entgegen der ursprünglichen<br />
Richtung zu fahren.<br />
Seit 1994 findet in der oberen Südstraße fast<br />
jedes Jahr ein Straßenfest statt.<br />
Abb. 67: Aushub für die Baumscheibe vor Haus Nr. 50/52 (1992).<br />
Abb. 68: Straßenfest in der Südstraße 1994<br />
39
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 69<br />
40
Abb. 70: Luftbild mit dem südlichen Bereich der Südstraße, Reumontstraße<br />
im Vordergr<strong>und</strong>, Beethovenstraße im rechten Bildhintergr<strong>und</strong>.<br />
Abb. 72: Luftbild mit dem Bereich der Südstraße (rechts von der Bildmitte) vom 15. Mai 1998.<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 71: Luftbild mit dem südlichen Bereich der Südstraße <strong>und</strong> den<br />
Hallen der ehem. Fachhochschule.<br />
41
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Lärmminderungsplanung<br />
Nach B<strong>und</strong>es-Immissionsschutzgesetz war die Stadt Aachen als Ballungsraum verpflichtet, Lärmkarten<br />
für das Stadtgebiet zu erstellen <strong>und</strong> zu veröffentlichen. Sie zeigen einen der Gründe,<br />
weshalb die Südstraße als Wohnstandort so attraktiv ist: Es herrscht dafür, dass man sich mitten<br />
in der Großstadt befindet, weitgehend so etwas wie Ruhe.<br />
Abb. 73: Lärmkarte ganztags Abb. 74: Lärmkarte nachts<br />
Ganztags gelten 65 dB(A) als Grenze zu ges<strong>und</strong>heitsschädigenden Wirkungen des Lärms. Massiv<br />
betroffen ist der Boxgraben <strong>und</strong> auch die Mozartstraße. Teilweise strahlt der Lärm tief in die<br />
einmündenden Straßen ein (Reumontstraße/ Südstraße). Immer noch erstaunlich laut, aber unterhalb<br />
der ges<strong>und</strong>heitsgefährdenden Schwelle sind die Südstraße, Reumontstraße <strong>und</strong> Beethovenstraße.<br />
Nachts gelten 55 dB(A) als ein Maß, bei dem Schlaf massiv gestört wird <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsgefährdungen<br />
nicht ausgeschlossen werden können. Hier ist das gleiche Bild wie beim<br />
Ganztags-Pegel zu finden: Extrem laut der Boxgraben <strong>und</strong> auch die Mozartstraße, verträglich die<br />
drei inneren Straßen außerhalb der Einmündungen zum Boxgraben <strong>und</strong> zur Mozartstraße.<br />
42
2. BESONDERHEITEN DER SÜDSTRASSE<br />
2.1 Die Bäche Pau <strong>und</strong> Paunelle<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Das Quellgebiet der Pau/Paunelle liegt im Gebiet um den Colynshof. Nach Meinung verschiedener<br />
Autoren floss die Pau ursprünglich durch das Bett der heutigen Paunelle, doch bereits in<br />
römischer Zeit sei die Pau zum Stadtkern umgeleitet worden [8], um Frischwasser in den Innenstadtbereich<br />
(Markt) zu leiten. Ein Teil des Wassers der Pauquelle floss weiterhin im alten Bachbett.<br />
Gestärkt durch kleine Zuläufe trug dieser Bach fortan den Namen Paunelle oder Ponellbach,<br />
was so viel wie "Kleine Pau" bedeutet. Andere Autoren gehen davon aus, dass beide Bäche, Pau<br />
<strong>und</strong> Paunelle, immer unabhängig voneinander bestanden haben, aufgr<strong>und</strong> der Topografie ist das<br />
jedoch eher unwahrscheinlich.[9]<br />
Abb. 75: Die Bäche <strong>und</strong> Teiche im Umfeld der Südstraße in ihrem<br />
ursprünglichen Verlauf (Plan: Stadt Aachen).<br />
Abb. 76: Früherer Verlauf der Bäche (durchgezogene Linien) <strong>und</strong><br />
heutiger, überwiegend unterirdischer Verlauf (gestrichelte Linien) (Plan:<br />
Stadt Aachen).<br />
An der Paunelle lagen zwischen Hangeweiher <strong>und</strong> Adalbertstraße drei Mühlen:<br />
# "Schleifmühle" (oberschlächtig) mit ihren Mühlenteichen in etwa auf dem Gelände<br />
der FH an der Goethestraße als Ölmühle, später Wollspinnerei,<br />
# "Pulvermühle" zwischen Beethovenstraße <strong>und</strong> Boxgraben <strong>und</strong> die<br />
# Kupfermühle an der Karmeliterstraße (heute Geschäftshaus Karmeliterstraße / Franzstraße),<br />
die früher Paunellengasse hieß.<br />
Von der Pau gibt es heute nur noch ein offenes Teilstück an der Kaiser-Friedrich-Allee, das am<br />
"Wassermann" beginnt. Sie bildet den Zufluss zum Hangeweiher, der schon zur Zeit der Mühlen<br />
(ab ca. 12. Jahrh<strong>und</strong>ert) die Funktion eines Rückhaltebeckens hatte.<br />
43
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Ein exzellent erhaltenes Teilstück des Paubachkanals<br />
ist im Jahr 2009 beim Ausbau des Boxgrabens<br />
dicht unter der Straßenoberfläche der<br />
Weberstraße freigelegt worden. Archäologen<br />
haben inmitten des heutigen Straßenverlaufs<br />
an der Einmündung zum Boxgraben unter anderem<br />
das Mauerwerk eines Absetzbeckens<br />
entdeckt, das vermutlich aus dem 15. oder 16.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert stammt. Es enthielt Verfüllungsmaterial<br />
aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert, so dass der<br />
Kanal vermutlich bis in diese Zeit noch benutzt<br />
wurde. Der Kanal selbst entspricht dem Verlauf<br />
der Pau seit dem frühen 14. Jahrh<strong>und</strong>ert. Die<br />
Pau floss damals offen <strong>und</strong> nicht wie heute in<br />
einem unterirdischen Kanal.<br />
R<strong>und</strong> zehn Meter weiter östlich in Richtung<br />
Hubertusplatz <strong>und</strong> in vier Metern Tiefe wurde<br />
bei den gleichen Bauarbeiten Überreste eines<br />
sehr alten Paubachkanals entdeckt, die möglicherweise<br />
aus karolingischer oder sogar römischer<br />
Zeit stammen. Der rötliche Mörtel<br />
deutet auf diese Epochen hin. Das eingewölbte<br />
F<strong>und</strong>ament ist mit 70 cm Innendurchmesser<br />
außergewöhnlich massiv <strong>und</strong> entspricht beinahe<br />
der Größe, mit der im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert Kanäle<br />
gebaut worden sind. Möglicherweise<br />
wurde durch den Kanal Brauchwasser transportiert,<br />
das zum Betrieb von Mühlen verwendet<br />
wurde. Die Verwaltung prüft zz. noch, ob<br />
dieser Kanal in Form eines archäologischen<br />
Fensters dauerhaft sichtbar bleiben soll.<br />
Der unter dem Namen "Wassermann" bekannte<br />
Tritonenbrunnen - Triton war der Sohn des<br />
griechischen Meeresgotts Poseidon <strong>und</strong> der<br />
Göttin Amphitride - stand früher am Hauptbahnhof.<br />
Er wurde dort nach einem Entwurf<br />
von Prof. Carl Burger, Lehrer an der Zeichen<strong>und</strong><br />
Kunstgewerbeschule in der Südstraße, in<br />
den Jahren zwischen 1906 <strong>und</strong> 1910 errichtet.<br />
Wegen des Neubaus des jetzigen Verwaltungsgebäudes<br />
(Hochhaus) am Bahnhofsplatz musste<br />
der Brunnen weichen. 1923 wurde er im<br />
Originalzustand an der Kaiser-Friedrich-Allee<br />
wieder aufgebaut.<br />
44<br />
Abb. 77: Paubachkanal in der Weberstraße,<br />
Aachener Zeitung, 17. 9. 2009<br />
Abb. 78: Der Paukanal am Hubertusplatz, Foto Aachener Zeitung?)<br />
Abb. 79: Der "Wassermann" an der Kaiser-Friedrich-Allee.
Bisher wenig bekannt ist die Tatsache, dass der<br />
Thermalwasserbereich aus dem alten Kurbereich<br />
um den Elisenbrunnen bis zur Reumontstraße<br />
reicht. Dort, wo das neue Schulgebäude<br />
auf dem Gelände der ehemaligen Werkkunstschule<br />
entstanden ist, hätte man auch ein<br />
Thermalbad bauen können.<br />
Abb. 79: Der frühere Verlauf der Paunelle im Umfeld der Südstraße<br />
(Quelle: Stadtarchiv Aachen).<br />
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<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 80: Blau gepunktet der 17° C-Bereich des Aachener Thermalwassers<br />
(AN, 2008-02-016)<br />
Im Bereich der Südstraße wurde die Paunelle<br />
etwa um 1873 ein Stück verlegt, um eine Bebauung<br />
des Flurstücks "Heusch" zu ermöglichen,<br />
vielleicht auch um die Wasserversorgung<br />
der Spinnerei zu sichern. Vor Ort<br />
kann man sich den damaligen Verlauf ungefähr<br />
in der Linie von der äußeren Kante der<br />
Gewerbehalle im Hof Südstraße 56 zur nördlichen<br />
Ecke des Gr<strong>und</strong>stücks Nr. 48 vorstellen.<br />
Von Bedeutung für den Bereich der Südstraße ist weiterhin der Bodenhofbach. Er entspringt am<br />
ehemaligen Gut Bodenhof (unterhalb der heutigen Weißhausstraße, wo heute das Philips-Zentrallabor<br />
steht). Er kam früher als schmales Bächlein in die Gegend von Gut Trappen, dann in die<br />
Nähe des einstigen Gutes Kamp (an der Ecke der heutigen Kamper Straße zur Habsburger Allee,<br />
südliche Seite). Zu diesem Gut gehörten drei Teiche, die er nach einander durchfloss. Der dritte,<br />
kleinere Teich lag unter der Halle der Kfz-Werkstatt, Kamper Straße 22. Schließlich erreichte der<br />
Bodenhofbach den ehemaligen Weiher an der heutigen Beethovenstraße <strong>und</strong> mündete bis nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg als Überlauf des Teiches in die Paunelle. Auf seinem Weg wurde er beim<br />
Bau der Eisenbahnanlagen sowohl durch den Bahndamm auf der Strecke in Richtung Ronheide<br />
nach Belgien als auch von dem höher angelegten Bahngelände in der Nähe der Reumontstraße<br />
überbaut.<br />
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<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
2.2 Die Straßenbahn<br />
Seit dem 17. November 1898 fuhr die Straßenbahn vom Theater bis zum Boxgraben [10], in etwa<br />
bis in Höhe Stephanstraße. Am 6. Dezember 1905 wurde die Strecke vom Boxgraben durch die<br />
Südstraße bis zur Goethestraße, Höhe Haus Mariabrunn, eröffnet <strong>und</strong> am 4. Mai 1910 bis Ronheide<br />
verlängert. Die damalige Linie 3 führte über Franzstraße - Ponellstraße (auch Ponellgasse,<br />
heute Karmeliterstraße) - Boxgraben - Südstraße - Goethestraße. Dort bestand schon seit 1900<br />
das Josephinum (städt. Pflegeanstalt) <strong>und</strong> zwischen 1905 bis 1914 wurde das Elisabethkrankenhaus<br />
gebaut (später Städtische Krankenanstalten <strong>und</strong> von 1966 bis 1982 Klinikum der RWTH<br />
Aachen).<br />
Abb. 81: Der Boxgraben 1905. Die Straßenbahn endet noch im Bildhintergr<strong>und</strong> in Höhe der Stephanstraße. [5]<br />
Abb. 82: Die Straßenbahn auf dem Boxgraben unmittelbar vor der<br />
Einmündung Südstraße am 22. Februar 1970 (Foto: Günter Peters).<br />
46<br />
Abb. 83: Die Straßenbahn biegt am 4. Februar 1973, fünf Wochen vor<br />
Stilllegung der Strecke, vom Boxgraben in die Südstraße ein (Foto:<br />
Günter Peters).
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<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Die stadtauswärtigen Gleise verliefen in der Südstraße direkt am Bordstein, in etwa dort, wo sich<br />
heute auf der westlichen Straßenseite der Parkstreifen befindet. In der ersten Zeit, solange es<br />
noch größere Baulücken gab, war die Oberleitung an eigens dafür errichteten kunstvollen Masten<br />
befestigt.<br />
Abb. 84: Die Straßenbahn im unteren Teil der Südstraße im März 1963<br />
(Foto: Günter Peters).<br />
Abb. 85: Die Straßenbahn verlässt die Südstraße durch die Eisenbahnunterführung.<br />
An der Brücke ein Toilettenhäuschen. Am rechten Bildrand<br />
die Shell-Tankstelle mit altem Logo. Abb. 86: Straßenbahnbegegnung in Höhe Reumontstraße.<br />
Abb. 87: Die Haltestelle am unteren Ende der Südstraße. [11]<br />
Abb. 88: Die Straßenbahn verlässt am 4. Februar 1973 die Haltestelle<br />
Reumontstraße in Richtung Südstraße (Foto: Günter Peters).<br />
Die Haltestellen im Bereich Südstraße lagen vor der Einmündung in den Boxgraben <strong>und</strong> an der<br />
Ecke Reumontstraße.<br />
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<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Die durch die Südstraße fahrende Straßenbahnlinie war die vorletzte Linie, die am 11. März 1973<br />
zwischen Hauptpost <strong>und</strong> Goethestraße eingestellt wurde, nachdem bereits am 17. August 1970<br />
die letzte Straßenbahn zwischen Goethestraße <strong>und</strong> Ronheide verkehrte.<br />
Abb. 89: Erhaltener Abspannhaken<br />
der Straßenbahnoberleitung<br />
an Haus Nr.<br />
47.<br />
48<br />
Von der Oberleitung<br />
sind in den Fassaden in<br />
ca. fünf Meter Höhe<br />
noch einige Abspannhaken<br />
zu finden. In der<br />
Kreuzung Südstraße/<br />
Boxgraben konnte man<br />
bis zum Umbau des Boxgrabens<br />
im Herbst 2008<br />
die Schienen gut an den<br />
Brüchen im Asphalt erkennen.<br />
Abb. 90: An den Brüchen im Asphalt des Boxgrabens konnte man an<br />
der Einmündung Südstraße die unter der Fahrbahn liegenden<br />
Straßenbahnschienen erkennen (2002).
2.3 Die Fabriken<br />
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<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Die Fabriken im Umfeld der späteren Südstraße entstanden überwiegend wegen der hier verlaufenden<br />
Bäche Pau, Paunelle <strong>und</strong> Bodenhofbach. Sie boten das notwendige Wasser für bestimmte<br />
Fabrikationsverfahren (z.B. Färberei) oder das Wasser wurde genutzt, Maschinen anzutreiben.<br />
Ursprünglich waren es zumeist Mühlenstandorte, die sich in der Industrialisierung zu<br />
Fabriken entwickelten. Erst später folgten den Arbeitsplätzen die Wohnungen.<br />
Tuchfabrik Waldthausen<br />
Auf dem Gelände der einstigen<br />
Pulvermühle (zeitweilig<br />
Lohmühle <strong>und</strong> auch<br />
Schauermühle genannt), die<br />
das Wasser der Paunelle <strong>und</strong><br />
des Bodenhofbaches nutzte,<br />
gründete am 1. Juli 1850<br />
Robert Waldthausen eine<br />
Tuchfabrik mit Färberei, die<br />
sich zu einem beachtlichen<br />
Betrieb entwickelte. Sie befand<br />
sich am Boxgraben auf<br />
dem heutigen Gelände des<br />
Plus-Supermarkts. 1911 wurde<br />
die Fabrik zur Jülicher<br />
Straße 118 verlagert.<br />
Auf der östlichen Seite der Fabrik entstand die prunkvolle "Villa Waldthausen" mit einer weitläufigen,<br />
von einem schmiedeeisernen Gitter umgebenen Parkanlage. Zwischen Villa <strong>und</strong> Fabrik gab<br />
es ein schmuckes Kutscherhaus mit Stall <strong>und</strong> Remise.<br />
Der Rappard-Plan von 1860<br />
zeigt einen mehreckigen Gasometer<br />
am südlichen Kopf<br />
des Gr<strong>und</strong>stücks <strong>und</strong> einen in<br />
einem unregelmäßigen Viereck<br />
angelegten Teich (ca.<br />
2.800 m², etwa anstelle der<br />
heutigen Gr<strong>und</strong>stücke Mozartstraße<br />
12 <strong>und</strong> 12a, bzw.<br />
Beethovenstraße 11-15). Dieser<br />
Teich staute das Wasser<br />
des Bodenhofbachs mit einem<br />
Überlauf in die angrenzende<br />
Paunelle <strong>und</strong> diente<br />
der Tuchfabrik als Wasserspeicher.<br />
Im Zweiten Weltkrieg<br />
wurde er noch als<br />
Löschweiher genutzt.<br />
Abb. 91: Blick auf die Tuchfabrik Erasmus (links), vermutlich etwa 1910. Im Vordergr<strong>und</strong> die<br />
Parkanlage der Villa Delius. Diagonal durch das Bild verläuft der Boxgraben (Foto: Stadtarchiv<br />
Aachen).<br />
Abb. 92: Der Boxgraben 1907: Links die Villa Waldthausen (heute Gebäude der Apotheke), davor<br />
befindet sich heute die Einmündung Mozartstraße.[5]<br />
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DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 93: Annonce in [12].<br />
50
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<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
1884 hatten die Gebrüder Fritz <strong>und</strong> Albert Erasmus eine "Weberei, Spinnerei, Appretur – Fabrikation<br />
von Woll- <strong>und</strong> stückfarbigen Kammgarnstoffen" gegründet <strong>und</strong> 1911 oder später auf das<br />
freigezogene Fabrikgelände der Firma Waldthausen zum Boxgraben 35-41 verlegt. Um diese Zeit<br />
ist auf dem Fabrikgelände auch noch eine Firma Otto Thywissen, Tuchfabrik, eingetragen. Ein<br />
Herr Otto war der letzte Direktor der Firma "Gebr. Erasmus". Er übernahm den Betrieb <strong>und</strong> gründete<br />
1930 die Firma "Otto&Vogel, vormals Erasmus". Um diese Zeit etwa war auf dem Betriebsgelände<br />
auch das Speditionsunternehmen "Allgemeine Transport Gesellschaft ATG, vormals<br />
Gondrand&Mangili" angesiedelt. In das ehemalige Kutscherhaus zog etwa 1934 die Glaserei<br />
Bayer ein.<br />
Abb. 94: Glaserei Bayer: Das Haus war zuvor die Remise mit Pferdestall <strong>und</strong> Kutscherwohnung, die<br />
Fabrik befand sich rechts. Foto aus den 30er Jahren des vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts. (Foto: Quadflieg).<br />
Abb. 96: Innenhof der Tuchfabrik Erasmus<br />
Abb. 95: Innenhof zwischen Wohnhaus<br />
(Remise) <strong>und</strong> Villa Waldthausen im August<br />
1942 (Foto: Quadflieg).<br />
Im Krieg erlitt die Fabrik durch Bomben große Schäden.<br />
So wurde das Kutscherhaus am 4. April 1944 durch<br />
Bomben zerstört. Den Krieg überstand nur die Villa, in<br />
der während des Krieges der Oberbürgermeister Dr.<br />
Lürken wohnte. Später wurde sie abgerissen <strong>und</strong> durch<br />
einen Neubau (heute Mozart-Apotheke) ersetzt.<br />
Die Glaserei Bayer nahm im neu errichteten Gebäude<br />
anstelle des verlorenen Kutscherhauses ihren Betrieb<br />
wieder auf. Nach einigen Jahren übernahm sie der<br />
Schwiegersohn Franz Quadflieg, seit 1984 dessen Sohn<br />
Alfred. Seit 2009 heißt der Inhaber Michael Schmid.<br />
Die Tuchfabrik wurde soweit instand gesetzt, dass für<br />
einige Jahre wieder produziert werden konnte. 1956<br />
kam das Ende <strong>und</strong> in die Gebäude <strong>und</strong> Hallen zog die<br />
anfangs britisch geführte Spedition "Continental Express"<br />
ein. Ihr folgte 1968 der Discounter "Nutzkauf"<br />
(Lebensmittel, Textilien, Schuhe <strong>und</strong> Möbel) <strong>und</strong> die Fa.<br />
BEGECA (Beschaffungsgesellschaft mbH für kirchliche,<br />
caritative <strong>und</strong> soziale Vorhaben in Missionsgebieten<br />
<strong>und</strong> Entwicklungsländern).<br />
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DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
1978/79 erfolgt der gr<strong>und</strong>le<br />
gende Umbau mit Abbruch<br />
von Gebäuden auf dem westlichen<br />
Teil des Gr<strong>und</strong>stücks<br />
zur Vergrößerung des Parkplatzes<br />
<strong>und</strong> Erweiterung der<br />
Halle, die seitdem von der Supermarktkette<br />
Plus genutzt<br />
wird.<br />
Im Dezember 2005 schloss die<br />
Fa. Plus vorübergehend, um<br />
Anfang 2006 die bestehenden<br />
Gebäude abzubrechen <strong>und</strong> als<br />
Neubau einen modernen Supermarkt<br />
auf dem Gelände zu<br />
errichten - einen städtebaulichen<br />
Fortschritt bietet der<br />
Neubau nicht, eher im Gegenteil.<br />
Abb. 101: Ladenhalle der Fa. Plus am<br />
Boxgraben (2004)<br />
Abb. 104: Neubau für eine Bäckerei (2007)<br />
52<br />
Abb. 97: Das ehemalige Nutzkaufgebäude, das<br />
dem Plus-Neubau gewichen ist, 6. Oktober<br />
1978 (Foto: Schlachet)<br />
Abb. 99: Die erhaltene gebliebene Halle, die<br />
heute als Getränkemarkt genutzt wird, 6.<br />
Oktober 1978 (Foto: Schlachet).<br />
Abb. 102: Getränkemarkt im hinteren Teil des<br />
Gr<strong>und</strong>stücks (2004).<br />
Abb. 105: Der schaufensterlose Neubau (2007)<br />
Abb. 98: Ehemalige Verkaufshalle der Fa.<br />
Nutzkauf auf dem heutigen Plus-Parkplatz, 6.<br />
Oktober 1978 (Foto: Schlachet)<br />
Abb. 100: Abbruch der Verkaufshalle am 13.<br />
November 1978 (Foto: Schlachet)<br />
Abb. 103: Parkplatz mit Getränkemarkt (2004)<br />
Abb. 106: Parkplatz bleibt Parkplatz (2007)
Tuchfabrik Nickel & Müller<br />
In der Mariabrunnstraße, unweit des Boxgrabens<br />
(Hausnummer 9) wurde im Jahre 1868<br />
durch Hugo Nickel <strong>und</strong> C. H. Müller die Tuchfabrik<br />
Nickel & Müller GmbH, "Fabrik einfarbiger<br />
feinster Herrenkammgarnstoffe, Meltons,<br />
Strichkammgarne, glatte Kammgarne" 1 [12]<br />
[13] gegründet. Die beiden Gründer leiteten<br />
den Betrieb bis zu ihrem Ausscheiden 1890.<br />
Ab diesem Jahr stand der Betrieb unter der<br />
Leitung des ehemaligen Direktors der Tuchfabrik<br />
"Süßkind <strong>und</strong> Sternau", Hermann Simons.<br />
In jener Zeit waren r<strong>und</strong> 60 Webstühle<br />
im Einsatz. Zudem war der Weberei ein Appreturbetrieb<br />
(für die Veredelung <strong>und</strong> Oberflächenbehandlung<br />
der Rohgewebe) angeschlossen.<br />
Zur Wasserversorgung der Appretur<br />
wurde der Pau Wasser entnommen.<br />
Der Erste Weltkrieg führte im Jahre 1916 zur<br />
Schließung des Betriebs - ein Schicksal, das<br />
dieses Unternehmen mit den meisten Aachener<br />
Tuchfabriken teilte.<br />
Abb. 108: Foto der Mitarbeiter vor dem auf dem linken Bild abgebildeten<br />
Gebäude, vermutlich vor dem Ersten Weltkrieg (Foto: Nachlass Fa.<br />
"Dechamps Textil AG")<br />
1<br />
Quelle: Gespräch mit Herrn Fritz Heusch am 21. März 2001<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 107: Lageplan der Fa. Nickel & Müller, Jahr unbekannt (Quelle:<br />
Nachlass Dechamps AG).<br />
Abb. 109: Ansicht der Betriebsgebäude von Süden, vor 1925. [12]<br />
Erst 1922 gelang es, die Produktion wieder aufzunehmen. In den 1920er- <strong>und</strong> 1930er-Jahren<br />
entwickelte sich das Unternehmen erfreulich. Wegen der Enge wurden in den 1930er Jahren<br />
Betriebsteile in die nahegelegene Stromgasse ausgelagert.<br />
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DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb.110: Blick in die Spinnerei, ca. 1925. [12]<br />
1942 musste die Firma aufgr<strong>und</strong> des Krieges zum zweiten Mal geschlossen werden, da man<br />
nicht zu den Unternehmen gehörte, die Uniformtuchaufträge bekamen, <strong>und</strong> für die Fertigung<br />
ziviler Ware gab es nicht genügend Garne. Große Schäden an beiden Betriebsteilen richteten die<br />
Bomben im Zweiten Weltkrieg an (ca. 70 % Zerstörung). Da die Firma als Folge der Auftragsprobleme<br />
Kapital frei bekam <strong>und</strong> noch vor den Bombenangriffen ca. 20.000 m fertige Ware<br />
nach Monschau auslagern konnte, hatte man nach dem Krieg gute Ausgangsvoraussetzungen<br />
für den Wiederaufbau.<br />
Wie bei vielen anderen Tuchfabriken in Aachen mussten dazu zunächst die Kriegsschäden beseitigt<br />
werden. Erst 1947 wurde die Produktion mit nur fünf Webstühlen aufgenommen; die Appretur<br />
lief erst Ende 1948 wieder an. Die Zeit des Neuanfangs wurde von dem aus einer angesehenen<br />
Aachener Familie stammenden Geschäftsmann Fritz Heusch geprägt. Fritz Heusch, ein<br />
Sohn von Dr. phil. August Heusch, trat im Januar 1948 in die Firma ein. Seine Tante, Frau<br />
Dittmann-Heusch, verheiratet mit Karl Heusch, besaß zu diesem Zeitpunkt 50 % der Anteile an<br />
der Firma (neben der Familie Simons, die die andere Hälfte besaß) <strong>und</strong> trug ihm die Geschäftsführung<br />
an, da er kaufmännisch sehr versiert war. Als zweiter Geschäftsführer agierte Friedrich<br />
Eduard Hartmann, der für technische Fragen zuständig war.<br />
Nach dem Kriegsende begann der Wiederaufbau<br />
<strong>und</strong> führte durch eine Produktion nach<br />
neuesten Kenntnissen der Technik <strong>und</strong> mit<br />
modernsten Maschinen zu einem florierenden<br />
Betrieb, doch gab es in Aachen große Konkurrenz,<br />
was sich auf die Preise auswirkte. So entstand<br />
mehr <strong>und</strong> mehr die Notwendigkeit, den<br />
Betrieb zu modernisieren. Für den Kauf neuer<br />
Webstühle benötigte man viel Kapital, zumal<br />
es für die leistungsfähigen Sulzer-Webstühle<br />
eine Abnahmeverpflichtung von mindestens<br />
acht Maschinen gab. Da das Kapital nicht erhöht<br />
werden konnte, entschied sich die Geschäftsführung<br />
gegen den Kauf neuer Webstühle.<br />
Andere Schwierigkeiten ergaben sich daraus, dass es nicht möglich war, die Produktion auf<br />
einen Drei-Schichtbetrieb umzustellen, da man auf die direkt angrenzende Nachbarschaft Rücksicht<br />
nehmen musste, der das Geratter der Webstühle nachts nicht zuzumuten war.<br />
54<br />
Abb. 111: Blick in eine der Werkhallen, ca. 1925. [12]<br />
Abb. 112: Blick in den 1950er Jahren aus Richtung Westen von der<br />
Weberstraße (Fotos: Fritz Heusch).
Der Geschäftsführung wurde klar, dass die<br />
Firma unter diesen Rahmenbedingungen alleine<br />
nicht länger überleben konnte. Als Herr<br />
Kronenwerth von der Firma "Dechamps &<br />
Drouven" Ende der 1960er-Jahre mit der Idee<br />
einer Fusion an die Firma herantrat, zeigte<br />
man sich interessiert. Herr Vahle, Bergwerksdirektor<br />
im Ruhestand, übernahm die Schirmherrschaft<br />
bei allen Verhandlungen. Zu diesem<br />
Zeitpunkt waren ca. 120 Mitarbeiter bei "Nickel&Müller"<br />
tätig, darunter alleine in der<br />
Stopferei ca. 50 Frauen.<br />
1969 erfolgte die Fusion mit den Tuchfabriken<br />
"G., H. & I. Croon" <strong>und</strong> "Dechamps & Drouven".<br />
Der Firmensitz wurde nach Aachen-Brand verlegt,<br />
wobei zunächst Teile der Weberei mit<br />
umzogen. Die Abteilung Tuchausrüstung blieb<br />
bis 1971 in der Mariabrunnstraße, bis eine<br />
neue moderne Ausrüstung – Dutch Finish, eine<br />
Tochter der Dechamps Textil AG – in Kerkrade<br />
(NL) eröffnet wurde.<br />
Nach 1971 wurde die Fabrik vollständig<br />
abgebrochen. Ein provisorischer Parkplatz bot<br />
ein unschönes Bild bis 2000 der eingezäunte<br />
Parkplatz für die Mitarbeiter des Luisenhospitals<br />
entstand. Im September 2009 begann der<br />
Bau eines Parkhauses für das Luisen-Hospital.<br />
Abb. 115: Aachener Nachrichten, 4. April 2009<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 113: Blick auf das Firmengelände (1950er Jahre)<br />
Abb. 114: Parkplatz auf dem ehemaligen Firmengelände der Tuchfabrik<br />
Nickel&Müller (2004).<br />
Abb. 116: Baustelle des Parkhauses (Dezember 2009)<br />
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DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Tuch- <strong>und</strong> Buckskin-Fabrik Franckenhoff<br />
Sie wird im nachfolgenden Kapitel im Zusammenhang mit der ehemaligen Fachhochschule behandelt.<br />
"Lederlackirfabrik <strong>und</strong> Gerberei Gebr. Gerst"<br />
Im Adressbuch von 1881 sind für das Gr<strong>und</strong>stück Boxgraben Nr. 73 als Eigentümer die Gebr.<br />
Gerst mit einer Lederlackierfabrik <strong>und</strong> Gerberei eingetragen. Ende der 1890er Jahre geht der<br />
Besitz auf Carl Stern über, der Betrieb gehört aber weiterhin den Gebr. Gerst. Für einige Zeit gab<br />
es noch ein Tuchlager von Carl Bleeker <strong>und</strong> eine Lederverarbeitung von Fa. Kamp & Cie. war auch<br />
vorübergehend eingetragen. Nur die Lederfirma der Gebr. Gerst blieb ununterbrochen bis zur<br />
zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Inzwischen wurde vermutlich auf dem Gr<strong>und</strong>stück auch das<br />
Wohnhaus am Boxgraben errichtet. 1930 ist keine Firma verzeichnet, es bewohnen aber 13 Mietparteien<br />
das Haus (möglicherweise sind hierunter auch Firmen).<br />
Ab 1935 heißen die Eigentümer Sternsche Erben, die vermutlich auch weitere Gr<strong>und</strong>stücke am<br />
Boxgraben besaßen. Unter den 28 Mietern des Hauses Nr. 73 sind genannt: de Lange, Baugeschäft;<br />
Ortmanns, Vulkanisieranstalt; B. Vincken, Automobile. 1937 kam noch J. Keller, Elektrische<br />
Anlagen, dazu.<br />
Es gibt nicht von der Hand zu weisende Vermutungen, dass die jüdische Familie Stern ihr Eigentum<br />
Ende der 1930er Jahre illegal durch die Nazis verloren hat. Die Tochter ist nach der Scheidung<br />
von ihrem deutschen Ehemann <strong>und</strong> der Wiederheirat mit einem Belgier in Stavelot (Belgien)<br />
untergetaucht <strong>und</strong> hat die Juden-Verfolgung überlebt, sie wurde 102 Jahre alt.<br />
Ab 1938 ist Carl Kalde der Eigentümer, der bald seine Firma hierher verlegt, denn 1940 ist im<br />
Adressbuch eingetragen: C. Kalde, Elektrogroßhandlung, außerdem B. Kriescher, Karosseriebau,<br />
sowie Licht <strong>und</strong> Kraft <strong>und</strong> weiterhin Ortmanns, Vulkanisieranstalt, <strong>und</strong> B. Vincken, Automobile.<br />
1942 firmiert Carl Kalde mit Elektrotechnische Fabrik & Elektrogroßhandlung.<br />
Nach Schilderung von Arno Vincken (Sohn von Bernhard Vincken) nutzte die Vulkanisieranstalt<br />
das Erdgeschoss des Gebäudes auf der rechten Hofseite, darüber lagen die Räume der Firma<br />
Keller <strong>und</strong> später der Licht <strong>und</strong> Kraft (u.a. Fertigung von Elektrozählern). Es folgte das ehemalige<br />
Kesselhaus, jetzt "Neue Halle" genannt, die Werkstatt für Automobile (Vincken). Dahinter stand<br />
quer die "Alte Halle" zum Abstellen der Autos. Darüber, im oberen Stockwerk, das nur über eine<br />
schmale Außentreppe erreichbar war, lag ein schon länger nicht mehr benutzter größerer, eigenartiger<br />
Raum. Reste einer vermutlich religiösen Nutzung fanden Kinder beim Spielen (wahrscheinlich<br />
war es ein privater jüdischer Gebetsraum). Auf der linken Hofseite befanden sich eine<br />
Art Remisen <strong>und</strong> eine Schmiede. Außerdem war in dem Gebäude auch der Karosseriebau <strong>und</strong> die<br />
Stellmacherei der Fa. Kriescher untergebracht. Arno Vincken kann sich noch an den Zusammenbau<br />
größerer Mengen von Freileitungsisolatoren in den Räumen der Fa. Kalde erinnern. Vom<br />
Ende des Hofs führte ein Fußweg am Fabrikgelände von Nickel&Müller entlang zur Mariabrunnstraße,<br />
zur dortigen Bäckerei. Noch vor dem Krieg, etwa 1938/39, wurde das Wohnhaus an der<br />
Straße wegen Baufälligkeit abgerissen. Von 1939 bis 1942 dauerte der bis heute erhaltene Neubau.<br />
Am 11. April 1944 zerstörten Bomben die rückwärtigen Gebäude dieses Hofraums.<br />
Der Wiederaufbau der Gebäude im Hof erfolgte bereits 1945/46. Dort war für kürzere Zeit zunächst<br />
noch die Firma Ortmanns (Vulkanisieranstalt) untergebracht. Bald aber nutzte ausschließlich<br />
die Firma Kalde die Gebäude im Hof. Das Fertigungsprogramm umfasste nun elektrische<br />
Verteilungssysteme in Blech- <strong>und</strong> vor allem in gusseisernen Normgehäusen. Dazu gab es eine<br />
eigene Gießerei (Grauguss) mit allen Nebenbetrieben (Formerei, Putzerei, Schleiferei usw.) in den<br />
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DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
am Hofende gelegenen Gebäuden, eine Montagehalle auf der rechten Hofseite <strong>und</strong> ihr gegenüber<br />
(linke Seite) das Konstruktionsbüro mit der Verwaltung. Daran schloss sich der Verkaufs<strong>und</strong><br />
Lagertrakt für den Großhandel an. Sohn Hans-Rolf Kalde war einer der ersten Aachener<br />
Karnevalsprinzen nach dem Krieg.<br />
In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurde als erstes die Gießerei stillgelegt. Die Gussaufträge<br />
für die Gehäuse führte die Gießerei J. G. Vonderhecken, Jülicher Straße 71, aus. Die Fertigung<br />
ging noch bis Ende 1980. Danach zog die Firma Simco (Holz <strong>und</strong> Möbel) in die Räume rechts<br />
<strong>und</strong> am Ende des Hofes. Dazu kamen dann Büros von Misereor. Schließlich endete auch der<br />
Großhandel am 31. Dezember 1985 mit Löschung der Firma zum 21. Februar 1986. Jetzt ist<br />
schon länger nur noch eine Abteilung von Misereor hier ansässig (Medienproduktion <strong>und</strong> Vertriebsgesellschaft<br />
mbH).<br />
Abb. 117: Blick auf das Gelände der ehemaligen<br />
Kalde-Fabrik (2004).<br />
Abb. 118: Blick in den Hof des ehemaligen<br />
Fabrikgeländes (2004).<br />
Abb. 119: Blick auf den Uhrturm im hinteren<br />
Teil des Hofes (2004).<br />
57
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
2.4 Franckenhoff´sche Fabrik <strong>und</strong> Fachhochschule<br />
Tuch- <strong>und</strong> Buckskin-Fabrik Franckenhoff<br />
Nach der Familienchronik schied 1861 Friedrich Franckenhoff als Teilhaber aus der Fa. Johann<br />
Arnold Sauerbier, Buckskin-Fabrik, in Monschau aus <strong>und</strong> gründete im gleichen oder im Folgejahr<br />
mit seinen Söhnen Robert <strong>und</strong> Albert eine "Tuch- <strong>und</strong> Buckskin-Fabrik". Im Adressbuch 1868 <strong>und</strong><br />
1869/70 wird die Fabrik noch mit der Adresse Löhergraben 23 angegeben.<br />
Um 1872 erwarb Friedrich Franckenhoff das Gelände im noch unbebauten Feld südlich des Boxgrabens<br />
an der Paunelle zwischen späterer Südstraße <strong>und</strong> Mariabrunnstraße. Im Adressbuch von<br />
1872 wird als Adresse "Ende der zweite Seitenstraße des Boxgrabens" (ohne Nummer) angegeben.<br />
Friedrich Franckenhoff wohnte in dem von ihm erbauten Haus Boxgraben Nr. 63, das äußerlich<br />
eher unscheinbar im Innern für die damalige Zeit luxuriös ausgestattet wurde. 1875 wird Franckenhoff<br />
im Adressbuch als Rentner geführt.<br />
Spätestens ab 1875 lautet der neue Besitzer H.O. Werner, der vermutlich die Tochter des früheren<br />
Partners von Franckenhoff in Monschau, Arnold Sauerbier, heiratete. Der Schwiegersohn<br />
betreibt keine Tuchfabrik, sondern eine Streichgarnspinnerei, "Specialität Tricotagengarne". Erste<br />
noch vorhandene Unterlage in der Bauakte ist eine Bauzeichnung auf Zeichenkarton für eine<br />
geplante Ergänzung der Fabrikanlage von 1873.<br />
Eine Zeichnung vom 9. September 1886 nach<br />
einem Plan von Architekt C. Rhoen (siehe Folgeseite)<br />
gibt einen Einblick in den damaligen Aufbau<br />
der Spinnerei. Der Plan zeigt im nordlichen<br />
Teil des Hauptbaues vier kleinere Büros (Comptoir),<br />
die spätere Hausmeisterwohnung war<br />
damals die Trocknerei. Daran südlich anschließend<br />
stand das damals noch kleinere Kesselhaus<br />
<strong>und</strong> daran der Kamin. Direkt neben dem<br />
Kesselhaus stand innerhalb der Shedhalle die<br />
Dampfmaschine.<br />
Vom 18. März 1891 stammt die Projektierung<br />
des neuen, etwas höheren Kesselhauses, das<br />
bis zum Abbruch im Jahr 2005 erhalten blieb.<br />
Dass das ursprüngliche Kesselhaus niedriger<br />
war, belegt die erst beim Abriss erkennbare<br />
Architektur mit Schmuckelementen der Südwand<br />
der Trocknerei. In dieser Wand befand<br />
sich auch ein bei dem Umbau zugemauertes<br />
Fenster. Aus dem gleichen Jahr stammt das<br />
Baugesuch der Firma H.O. Werner zur Errichtung<br />
einer Hofmauer zur Abgrenzung nach Osten,<br />
die bis heute besteht.<br />
Am 12. Mai 1896 gab es in der Wolferei (Reißwolf)<br />
einen kleinen Brand, der aber von den<br />
Arbeitern bereits gelöscht war, als die herbeigerufene<br />
Feuerwehr eintraf.<br />
58<br />
Abb. 120: Das engere Umfeld der Streichgarnspinnerei H.O. Werner<br />
mit Südstraße, <strong>und</strong> angedeutet die zukünftige Reumontstraße <strong>und</strong><br />
Mariabrunnstraße (Quelle: Stadtarchiv Aachen).
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
Abb. 121: Gr<strong>und</strong>riss <strong>und</strong> Nutzungszuordnung des Spinnereigebäudes. (Quelle: Bauaufsichtsamt Stadt Aachen)<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
59
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Der Betrieb bestand bis H.O. Werner starb. Vermutlich um 1900 wird die Nutzung aufgegeben<br />
<strong>und</strong> die Gebäude von einer Firma Phil. Ludwig Funke, Commissionsgeschäft, genutzt. 1906 kauft<br />
die Stadt Aachen für 200.000 Mark von der Witwe Hulda Werner, geb. Sauerbier, deren gesamte<br />
Besitzungen zwischen Südstraße, Reumontstraße, Mariabrunnstraße <strong>und</strong> der geplanten Beethovenstraße.<br />
1907 zieht die Firma Funke aus den Räumen der ehemaligen Fabrik aus. Ab 1908 sind<br />
in den Werkhallen die Lehrwerkstätten <strong>und</strong> Zeichensäle der Kunstgewerbeschule untergebracht.<br />
Den Gr<strong>und</strong>stücks- <strong>und</strong> Bauakten des Stadtarchivs zur Werkkunstschule ist auch zu entnehmen,<br />
dass 1914 Kinder aus den Häusern Südstraße 40 <strong>und</strong> 42 mit kieselgroßen Steinen Fenster der<br />
Schule einwarfen.<br />
Bauliche Entwicklung der Zeichen- <strong>und</strong> Kunstgewerbe<br />
1904 wurde die "Zeichen- <strong>und</strong> Kunstgewerbeschule<br />
Aachen" (KGSA) gegründet, die zunächst<br />
im Verb<strong>und</strong> der städtischen gewerblichen<br />
Schulen in der Martinstraße untergebracht<br />
war. [14] Am 4. November 1908 wird<br />
der Umbau der Werner´schen Fabrikgebäude<br />
für die Zeichen- <strong>und</strong> Kunstschule (unter anderem<br />
Anhebung des nördlichen Shed-Daches,<br />
um zur Außenseite ein Vollgeschoss zu gewinnen)<br />
fertiggestellt. Einen Monat später, am 4.<br />
Dezember, erfolgt die feierliche Eröffnung.<br />
Bis zum Zweiten Weltkrieg hat sich an der<br />
Schule baulich nicht viel verändert. Im Krieg<br />
wurde sie jedoch erheblich beschädigt. Die<br />
Stadt Aachen fordert deshalb am 21. Juli 1948<br />
die Wiedereinrichtung der früheren Handwerker-<br />
<strong>und</strong> Kunstgewerbeschule, die am 1.<br />
Oktober 1948 ihren Betrieb wieder aufnahm.<br />
Nur wenige Räume ließen sich notdürftig Instand<br />
setzen, der hintere Teil in Richtung Mariabrunnstraße<br />
lag noch länger in Trümmern.<br />
Die Gebäude waren nur zum Teil unter Dach,<br />
aber sie genügten den Mindestanforderungen<br />
für einen Lehrbetrieb nach den in der stark<br />
zerstörten Stadt gegebenen Möglichkeiten <strong>und</strong><br />
Maßstäben. Abb. 123: Kriegsschäden an den Gebäuden der ehem. Fachhochschule<br />
1944/45. Blick in etwa aus Richtung der Gewerbehalle (ehem. Breier).<br />
Abb. 124: Studenten werkeln auf dem Freigelände, 7. April 1987.<br />
60<br />
Abb. 122: Die "Städtische gewerbliche Zeichen- <strong>und</strong> Kunstgewerbeschule".<br />
Foto aufgenommen in etwa vom östlichen Kopf des heutigen Bunkers.<br />
[5]<br />
Abb. 125: Außenklasse der FH Ende der 80er Jahre.
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Mit der Bildung der Fachhochschulen 1971 geht der Gr<strong>und</strong>besitz am 1. August 1971 auf das<br />
Land Nordrhein-Westfalen über. 1972 gibt es erste Überlegungen, einen Neubau zu errichten -<br />
ohne Standortüberlegungen. 1975 gibt es ein erstes Raumprogramm für Umbaumaßnahmen im<br />
Gebäudekomplex Boxgraben, der ehemaligen Textilingenieur-Schule, die 1979 beschlossen werden<br />
<strong>und</strong> 1982 fertig sein sollten. Doch erst im Sommer 1992 zog die Fachhochschule zum Boxgraben<br />
um. Anschließend standen die Hallen leer <strong>und</strong> verfielen nach <strong>und</strong> nach.<br />
Abb. 126: Blick über das ehem. FH-Gelände in Richtung Maria-Brunn-<br />
Straße.<br />
Für die Fläche gibt es seit Juli 2002 einen<br />
rechtskräftigen Bebauungsplan, der die Ausweitung<br />
des Schulhofes mit dem Bau einer<br />
Sporthalle <strong>und</strong> eine Durchwegung von der<br />
Südstraße zur Mariabrunnstraße, also die Aufnahme<br />
der ursprünglich geplanten Wegebeziehung,<br />
vorsieht.<br />
Über Jahre zogen sich die Verhandlungen mit<br />
dem Land Nordrhein-Westfalen als Eigentümer<br />
der Fläche über den Kauf des Geländes durch<br />
die Stadt Aachen hin. Im Sommer 2004 ging<br />
das Gelände mit einer Fläche von 5.700 m² in<br />
den Besitz der Stadt Aachen über.<br />
Abb. 127: Blick über das FH-Gelände vom Gebäude der Gr<strong>und</strong>schule in<br />
Richtung Südstraße (2004).<br />
Abb. 128: Der ehemalige Zugangsbereich der Fachhochschule.<br />
In 13 Jahren Leerstand hatte sich das Gelände ohne jegliche Pflege in eine grüne Oase verwandelt.<br />
Die Freiräumung des Geländes <strong>und</strong> der Abbruch der Gebäude begann im Januar 2005 <strong>und</strong><br />
war Anfang März abgeschlossen. Trotz vielfacher Versprechungen der Stadt Aachen passierte<br />
erst einmal nichts <strong>und</strong> statt auf eine grüne Oase zu blicken, beherrschte seit 2005 eine öde<br />
Brachfläche die Blockinnenfläche.<br />
61
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 129: Bericht in den Aachener Nachrichten vom 21. August 2004 über die geplante Neugestaltung der Blockinnenfläche der Südstraße.<br />
Abb. 130: Aachener Nachrichten13. September 2005<br />
Fotos nächste Seite: Abb. 131-139 mit der Chronologie des Abbruchs<br />
62
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
63
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Die Neugestaltung der Fläche mit Schulhof <strong>und</strong> Park wurde im Sommer 2004 für das Frühjahr<br />
2005 angekündigt. Im September 2005 wurde immerhin zugegeben, was Anwohner schon immer<br />
vermutet haben: Der verseuchte Boden muss ausgetauscht werden. Im Frühjahr 2007 begannen<br />
überraschend die Bauarbeiten für ein neues Schulgebäude mit Aufenthaltsräumen für<br />
die Ganztagsbetreuung <strong>und</strong> einer Turnhalle. Nach 133 Jahren Bebauung bildet der Abbruch der<br />
Gebäude der ehemaligen Fachhochschule <strong>und</strong> die Neubebauung des Geländes eine der größten<br />
Veränderungen im Umfeld der Südstraße.<br />
Der Bau des lange versprochenen <strong>und</strong><br />
immer wieder verschobenen "Parks"<br />
("Werk-Kunst-Hof") auf der verbleibenden<br />
Restfläche von ca. 3.400 m² verzögerte<br />
sich immer wieder. Nicht zuletzt,<br />
weil die Bürger mit den vorgestellten<br />
Planungen der Stadt nicht einverstanden<br />
waren <strong>und</strong> auch wiederholte<br />
Überarbeitungen die Zustimmung<br />
kaum erhöhten. Die Bauarbeiten begannen<br />
schließlich im Oktober 2009 -<br />
ohne dass die Stadt mit ihrer Planung<br />
nennenswert auf die Wünsche der Anlieger<br />
eingegangen wäre.<br />
64<br />
Abb. 140: Bericht Aachener Nachrichten, März 2009
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Chronologie des Schulneubaus von April bis Januar 2008 <strong>und</strong> Anlage des "Werk-Kunst-Hofes" von Oktober bis Dezember 2009 (Abb. 141-146)<br />
65
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Der Lehrbetrieb an der Schule nach der Gründung<br />
Gründungsdirektor der "Zeichen- <strong>und</strong> Kunstgewerbeschule Aachen", später "Handwerker- <strong>und</strong><br />
Kunstgewerbeschule", war Eberhard Abele.<br />
Das Kollegium 1912: Direktor E. Abele, Architekt; H.<br />
Arnold, Architekt; Carl Burger, Bildhauer (Schöpfer des<br />
"Wehrhaften Schmieds", 1909, <strong>und</strong> des "Wassermanns",<br />
1906-1910); R. Gercke, Maler; G. Giesbert, Kunstschlosser;<br />
J. Gollrad, Maler; O. Karow, Architekt; A. Letailleur,<br />
Maler; H. Anetsberger, Maler; Lehraufträge: G. Engau-<br />
Meyrather, Museumsdirektor Dr. Schweitzer. Ausgebildet<br />
wurde in den Bereichen: Bautechnik, Maler, Bildhauer,<br />
Kunstschlosser, Lithografen, Zeichner, textile<br />
Berufe, Zeichenlehrer.<br />
Später kommen Richtungen wie Buchdruck <strong>und</strong> -binden<br />
sowie Porzellanmalerei hinzu. Professoren im Jahr 1924:<br />
Hans Anetsberger, Hermann Arnold, Wilhelm Giesbert,<br />
Josef Gollrad, Karl Jordan, Otto Karow, Alfons Letailleur.<br />
Die KGSA von 1927 bis zur Schließung 1934 [15]<br />
Dr. Rudolf Schwarz bewarb sich 1927 um das seit 1913<br />
verwaiste Direktorat der Handwerker- <strong>und</strong> Kunstgewerbeschule<br />
Aachen. Obwohl der Dreißigjährige der jüngste<br />
unter den 25 Bewerbern war (<strong>und</strong> obendrein unverheiratet!),<br />
setzte Schwarz sich dank seines Konzepts,<br />
seiner persönlichen Wirkung <strong>und</strong> seiner vorzüglichen<br />
Zeugnisse durch. Am 8. März 1927 wurde Schwarz in<br />
der Sitzung des Schulvorstands einstimmig gewählt,<br />
drei Tage später von der Stadtverordnetenversammlung<br />
bestätigt. Für fast sieben Jahre leitete Schwarz die<br />
Aachener Handwerker- <strong>und</strong> Kunstgewerbeschule, in<br />
der Ära Schwarz "KGSA" abgekürzt. Nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg beeinflusste er maßgeblich den Wiederaufbauplan<br />
für die Stadt Köln.<br />
Den trostlosen Eindruck, den die Schule auf Schwarz<br />
bei seiner Amtsübernahme machte, hat der junge Direktor<br />
in einer an den Oberbürgermeister adressierten<br />
Denkschrift "personell hochgradig überaltert" genannt.<br />
Sie habe die Entwicklung im Kunstgewerbe versäumt,<br />
erteile die Lehre als reinen Zeichenunterricht <strong>und</strong> gebe<br />
den Schülern keinerlei Chance, selbst Werkstücke anzufertigen.<br />
Als festangestellte Lehrer mit lebenslangem Vertrag<br />
<strong>und</strong> Professorentitel hatte Schwarz die Maler Hans<br />
Anetzberger, Josef Gollrad <strong>und</strong> Alfons Letailleur zu<br />
übernehmen, den Kunstschlosser Wilhelm Giesbert, mit<br />
dem Schwarz auch bei eigenen Bauaufträgen zusammenarbeitete,<br />
sowie die Architekten Hermann Arnold<br />
66<br />
Abb. 147<br />
Abb. 148: Rudolf Schwarz<br />
Abb. 149: Briefkopf des Direktors der Kunstgewerbeschule<br />
Aachen.
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
<strong>und</strong> Otto Karow. Die Planstellen ließen zwei Neuberufungen <strong>und</strong> weitere Neueinstellungen bei<br />
den nebenberuflich beschäftigten Künstlern zu. So etwas wie ein Neuanfang wurde möglich.<br />
Schwarz forcierte den Ausbau von Werkstätten, wie es der fortschrittlichen Pädagogik im Kunst<strong>und</strong><br />
Entwurfsbereich bereits seit der Jahrh<strong>und</strong>ertwende entsprach. Als erste neue Werkstatt<br />
richtete Schwarz ein Atelier für Monumentalmalerei ein, worunter auch Glasfenster, Mosaik <strong>und</strong><br />
Fresko verstanden wurden. Es folgte eine keramische Werkstatt. Metall <strong>und</strong> Edelmetall, Bildhauerei,<br />
Porzellanmalerei, Satz <strong>und</strong> Druck, Bucheinband, Paramentenstickerei <strong>und</strong> Schreinerarbeit<br />
waren weitere handwerkliche Tätigkeitszweige. In bescheidenem Umfang sollte die Schule Aufträge<br />
von außen übernehmen dürfen, um der Arbeit der Schüler einen konkreten Sinn zu geben.<br />
Die neu begründete "Fachabteilung Baukunst" teilte<br />
sich Rudolf Schwarz mit Hans Schwippert (1899-1973).<br />
Während ihrer gemeinsamen Zeit an der KGSA entstanden<br />
bis heute in der Architektur anerkannte Bauten<br />
[27], viele ihrer Möbelentwürfe wurden ausgeführt.<br />
Später wurde er neben anderen Projekten durch die<br />
Erweiterung der Pädagogischen Akademie Bonn zum<br />
Haus des B<strong>und</strong>estages (1949) bekannt. Für Schwippert<br />
wie für Schwarz lag in der KGSA der Ausgangspunkt<br />
ihres späteren Schaffens.<br />
Abb. 151: Entwürfe für Kindermöbel von Schwarz <strong>und</strong> Schwippert, unterzeichnet mit<br />
Datum 5. April1929, also in der gemeinsamen Zeit an der KGSA<br />
Abb. 150: Hans Schwippert<br />
Abb. 152: "Neuer Hausrat" - Kunstgewerbeschule Aachen,<br />
vermutlich 1927/28<br />
67
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
1927 verpflichtete Schwarz den Maler Anton Wendling (1891-1965), der nach einer Probezeit<br />
1929 auf die Dauer von fünf Jahren als Professor eingestellt wurde. Die Stelle eines Bildhauers<br />
besetzte Schwarz 1929 mit Hein Minkenberg (1889-1968). Zu den nebenberuflich verpflichteten<br />
Lehrern gehörte Maria Eulenbruch (1899-1972), eine Bildhauerin. Wilhelm Giesbert aus dem<br />
alten Lehrerstamm der Schule (1881-1951) <strong>und</strong> Anton Schickel führten in den Metall- <strong>und</strong> Goldschmiedewerkstätten<br />
das liturgische Gerät auf seine Gr<strong>und</strong>formen zurück. Anton Schickel bildete<br />
unter anderem den bekannten Aachener Juwelier Gerhard Thewis zum Goldschmiedemeister aus.<br />
Wilhelm Rupprecht (1886-1963) in der Textilklasse fasste das liturgische Gewand "als Gewand<br />
von uniformhafter Bedeutung" auf. Kirchliche Aufträge überwogen eindeutig, obwohl Schwarz<br />
seine Mitarbeiter ermutigte, weltliche Aufgaben anzunehmen. Die Reform der Aachener Schule<br />
entsprach der Neuorientierung vieler Kunstgewerbeschulen <strong>und</strong> Kunstakademien auf ein Ideal<br />
gemeinsamen Handelns <strong>und</strong> Lebens hin.<br />
Bauten in Aachen, deren Entwürfe aus KGSA in der Ära Schwarz kamen:<br />
# Haus der Jugend, Aachen-Burtscheid, Abteistraße,<br />
zusammen mit Hans Schwippert<br />
(1928),<br />
# Pfarrkirche St. Fronleichnam mit Pfarrhaus,<br />
Aachen-Rothe Erde, Düppelstraße/Leipziger<br />
Straße, Mitarbeiter: Hans<br />
Schwippert, Johannes Krahn (1929-1930),<br />
ein wegen seiner Architektur bedeutendes<br />
Bauwerk seiner Zeit,<br />
# Soziale Frauenschule, Aachen, Robert-<br />
Schuman-Straße/Bayern-Allee, Mitarbeiter:<br />
Johannes Krahn, Hans Schwippert (1929-<br />
1930).<br />
Entsprechend der Idee der Werkgemeinschaft beschäftigte<br />
Schwarz die Aachener Kollegen bei seinen Architekturaufträgen.<br />
Auch für die Aachener Fronleichnamskirche<br />
wurden Aufträge für die Inneneinrichtung <strong>und</strong><br />
sakrale Gegenstände an Meister der Schule vergeben,<br />
Ornamentscheiben für die Fenster an Wendling (eingesetzt<br />
wurde allerdings einfaches Industrieglas), Gewänder<br />
<strong>und</strong> die textilen Kreuzweg-Darstellungen an Rupprecht,<br />
Monstranz <strong>und</strong> Vortragekreuz an Schickel <strong>und</strong><br />
Giesbert, weiteres liturgisches Gerät an Schüler der<br />
Gold- <strong>und</strong> Metall-Klasse.<br />
Schwarz hat von den vielen Querelen gesprochen, denen<br />
er in Aachen ausgesetzt war: "Aachen ist ein ganz<br />
kümmerliches Dorf, <strong>und</strong> die Dorfbewohner stellen uns<br />
nach, indem dass wir ihnen doch gar nichts getan haben...<br />
Ja, das Licht leuchtet hier in der Finsternis, aber<br />
die Finsternis will es nicht begreifen", schreibt er launig<br />
an Böhm.<br />
Ein später für Aachen bedeutsam gewordener Schüler<br />
der KGSA ist der 1912 geborene Walther Benner. Von<br />
1930 bis 1933 studierte er an der Werkkunstschule.<br />
Einfluss auf seine Entwicklung der Glasmalerei übten<br />
68<br />
Abb. 153: Haus der Jugend<br />
Abb. 154: Soziale Frauenschule<br />
Abb. 155: Sankt. Fronleichnam
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
die Künstler Rudolf Schwarz, Anton Wendling <strong>und</strong> Wilhelm Rupprecht, bei dem er Meisterschüler<br />
war. Seit 1934 arbeitet er als freischaffender Künstler. Sein bekanntestes Werk sind die 1949-51<br />
mit Anton Wendling entworfenen Chorfenster des Aachener Domchores, mit ca. 27 Meter die<br />
höchsten Fenster Europas. Die ornamentalen Fenster stammen von Anton Wendling, die Fenster<br />
mit figürlichen Darstellungen von Walther Benner. In den 50er Jahren regten die Fenster zu heftigen<br />
Diskussionen über die Darstellbarkeit christlicher Themen an. Dieser Auftrag schuf die Basis<br />
für seine künstlerische Existenz. Weitere Werke Benners finden sich in Würselen, Rheine, Geilenkirchen,<br />
Neuss, Düsseldorf, Dortm<strong>und</strong>, Herten, Münster <strong>und</strong> Bonn.<br />
Zum Teil zeitgleich wie Walther Benner besuchte Marga Roué ab 1931 die KGSA. Sie wurde 1917<br />
geboren <strong>und</strong> wohnte bei Ihren Eltern in der Südstraße Nr. 31. Beide blieben bis zur Schließung<br />
der KGSA an der Schule. 1938 heirateten sie Walther Benner. Unter dem Namen Benner-Royé hat<br />
sie als Dichterin <strong>und</strong> Malerin ein umfangreiches literarisches Werk mit Gedichten, Märchen, Romanen,<br />
Novellen <strong>und</strong> Theaterstücken geschaffen, das bisher nur teilweise veröffentlicht wurde.<br />
Beide starben kurz nach einander im Dezember 2005 an ihrem Wohnort in Kelmis/Belgien.<br />
Abb. 156: Das Buch erschien im Eigenverlag 1981.<br />
Abb. 157: Artikel in den Aachener Nachrichten, 17. Juli 2004.<br />
Im Wintersemester 1933/34 hatte sich die Zahl der Tagesschüler gegenüber 1928 halbiert. Die<br />
wirtschaftliche Zwangslage der Rechtsträger - im Falle Aachen die Stadt neben dem Land Preußen<br />
- boten nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 durch die NSDAP dem nationalsozialistischen<br />
Regime den Anlass, die Schule zu schließen. Das preußische Wirtschaftsministerium<br />
ordnete eine Neustrukturierung der Schule an, die zu ihrem Ruin führen musste. Es sollten Fachabteilungen<br />
eingerichtet werden, in denen nur noch handwerklicher Nachwuchs ausgebildet <strong>und</strong><br />
mit der Meisterprüfung entlassen wurde. Als sich in Aachen nicht genügend Schüler für das neue<br />
Programm meldeten, wurde der Schule zum 1. April 1934 die Genehmigung für den weiteren<br />
Lehrbetrieb versagt.<br />
Die Stadtverwaltung vermietete 1935 einen Teil der Räume an das Arbeitsamt <strong>und</strong> an die Deutsche<br />
Angestelltenschaft. In den Räumen fanden staatlich finanzierte Sonderlehrgänge für Maler,<br />
Tischler, Setzer, Drucker usw. statt. Augenzeugen berichten, dass in dem Gebäude während des<br />
69
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Krieges zumindest für eine kurze Zeit junge Männer für eine Art vormilitärische Ausbildung untergebracht<br />
waren.<br />
Im Obergeschoss des Hauptgebäudes wurde ein Kindergarten eingerichtet. Feine Leute aus dem<br />
Südviertel ließen ihre Kinder mit Auto <strong>und</strong> Chauffeur hierher bringen. Leiterin war Frl. Oppenhoff.<br />
Die Zeit nach 1945<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg übernimmt Albert<br />
Strickmann das Direktorium der "Meisterfachschule",<br />
später "Werkkunstschule". Er soll<br />
bei Mitarbeitern <strong>und</strong> Kollegen unbeliebt gewesen<br />
sein. 1949 gehören neben ihm zu den teilweise<br />
später über Aachen hinaus bekannten<br />
Lehrenden: Willi Kohl, Maler; Carl Schneiders,<br />
Maler; Josef Zeller, Bildhauer; sowie 15 Lehrbeauftragte.<br />
Schritt für Schritt nahmen die<br />
Klassen die Ausbildung wieder auf: Malen <strong>und</strong><br />
Zeichnen, Grafik, Bildhauerei, Dekorationsmalerei;<br />
Lehrgänge für Schmiede, Tischler, Schneider.<br />
Der Maler Carl Schneiders erlangte über Aachen<br />
hinaus Bekanntheit. 2 [16] 1905 in Aachen<br />
geboren erhält er 1948 das Angebot, in der<br />
Aachener Meisterfachschule die Leitung der<br />
Klasse Malen <strong>und</strong> Zeichnen zu übernehmen. Er<br />
folgt diesem Ruf aus seiner Heimatstadt <strong>und</strong><br />
bleibt bis 1964 an dieser Schule. Er starb 1975.<br />
70<br />
2<br />
Abb. 158: Das erste Logo der Werkkunstschule in der Nachkriegszeit.<br />
1950 führt die Schule den Namen Aachener Meisterfachschule ("Ameifa") <strong>und</strong> wird 1951 als<br />
öffentliche Fachschule anerkannt. 1952 kommen eine Weberei, Buchbinderei <strong>und</strong> Schreinerei<br />
hinzu. 1953 wird der Neubau von drei Werkstätten begonnen. Die Schule wird durch die Beteiligung<br />
an verschiedenen Ausstellungen <strong>und</strong> Modeschauen über Aachen hinaus bekannt. 1957<br />
erhält sie die Anerkennung als höhere Fachschule.<br />
Bonifatius Stirnberg, am 20. Februar 1933 in Freienohl/Sauerland geboren, studierte von 1953<br />
bis 1959 an der Werkkunstschule Aachen im Bereich Raumgestaltung <strong>und</strong> Bildhauerei. In Aachen<br />
wurde er vor allem durch den Puppenbrunnen bekannt.<br />
In den 50er Jahren war die Meisterfachschule auch der kulturelle Mittelpunkt des Viertels: Es gab<br />
in der großen Aula regelmäßig Dia- <strong>und</strong> Dokumentarfilmvorführungen. Die Karnevalsfeten in der<br />
"Ameifa" sollen wegen ihrer großzügigen Offenheit beliebt <strong>und</strong> berüchtigt gewesen sein <strong>und</strong><br />
haben deshalb wohl nur zwei Mal stattgef<strong>und</strong>en. Da der Spielbetrieb für das "Öcher Schängchen"<br />
in der Peterstraße nur ein Provisorium war, beschloss der Rat der Stadt 1952 das "Schängchen"<br />
in der Werkkunstschule unterzubringen, wo die Aula mit einem bereits vorhandenen Bühnenpodium<br />
<strong>und</strong> Vorhang die Möglichkeit zum Aufbau der Stockpuppenbühne <strong>und</strong> zu Vorstellungen<br />
gab. Aber Schulbetrieb <strong>und</strong> Theaterunternehmen unter einem Dach <strong>und</strong> ebenfalls auf engstem<br />
Raum ergaben mehr Reibungsflächen, als man ursprünglich voraussah. So übersiedelte die Puppenbühne<br />
1954 in das Jugendheim Kalverbenden im Stadtteil Burtscheid. [17]<br />
AVZ, 21.12.1985: Ein Maler der Stille - eine Carl-Schneiders-Ausstellung zum Gedenken in Bonn
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
Abb. 159: Bericht über die Ausstellungsbeteiligung der<br />
Werkkunstschule in den Aachener Nachrichten vom 27.<br />
Mai 1955.<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Die Lehrenden 1959: Direktor Albert Strickmann, G. Göbbels, W. Hansen, H. Kink, W. Kohl, Carl<br />
Schneiders, F. Ullrich, J. Zeller sowie Lehrbeauftragte. Berufungen 1960 für künstlerische <strong>und</strong><br />
wissenschaftliche Bereiche: E. Anastasiadis, geb. Reinhard; I. Cram, geb. Boris; Dr. H. Reitz; J.<br />
Richstätter; Dr. W. Schroeder; E. Wille; für handwerklich technische Fächer: P. Esser, H. Honnef,<br />
H. Koch, B. Sedelmeier, M. Laugs. Lehrende 1969: Direktor Albert Strickmann, ständige Vertreterin<br />
Dr. H. Reitz, C.H. Bauer, W. Bergmann, P. Esser, W. Hansen, H. Honnef, M. Laugs ; A. Pracht,<br />
J. Richstätter, H. Ruiters, D. Sauerländer, K.L. Schmitz, B. Sedelmeier, G. Strech, F. Ulrich, E. Wille,<br />
J. Zeller.<br />
Ab 1967 ist der Fortbestand der städtischen Werkkunstschule<br />
durch einen Ratsbeschluss massiv gefährdet<br />
<strong>und</strong> wird erst mit der Verabschiedung des Fachhochschulgesetzes<br />
am 8. Juni 1971 gesichert. Seitdem<br />
führt die Werkkunstschule den Namen Fachbereich Design<br />
der FH Aachen. Fachbereichsleiterin zu diesem<br />
Zeitpunkt: Dr. Hildegard Reitz.<br />
Abb. 160: Das Logo der FH in den 70er Jahren.<br />
71
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Fachhochschullehrer <strong>und</strong> Professoren 1979: C.H. Bauer, Modegrafik; Dr.-Ing. Boeminghaus,<br />
Design-Theorie; K.W. von Borries, Objekt-Design/Formgebung; K. Endrikat, Zeichnen; Dr. U. Hegewald,<br />
Methoden der zeichnerischen Gestaltung; S. Ijewski, Gestaltlehre/Farbe; G. Knipp, Zeichnen,<br />
D. Rheder, Grafik-Design, Dr. H. Reitz, Kunstwissenschaft; E. Wille, Objekt-Design/Farbe.<br />
In den ersten Jahren hatte die Schule 40 bis 50 Schüler. Mitte der 20er Jahren gab es 103 Tagesschüler<br />
<strong>und</strong> 735 Abend- <strong>und</strong> Sonntagsschüler, Ende der 20er Jahre wuchs die Zahl der Tagesschüler<br />
auf bis zu 160. Anfang der 30er Jahre ging die Zahl, vermutlich auch wegen politischer<br />
Repressionen, deutlich zurück. Nach dem Krieg startete die Schule mit 153 Schülern, Mitte der<br />
50er Jahre lernten hier 110 bis 120 Schüler. Ab 1961 nimmt die Zahl der Studierenden kontinuierlich<br />
zu: 154 (1961), 177 (1964), 277 (1971, nach Gründung der FH), 329 (1973) <strong>und</strong> 429<br />
(1978).<br />
Die Schule hat weiterhin bekannte Schüler hervorgebracht: Albert Sous, der hier studierte <strong>und</strong><br />
hier auch seine Frau kennen lernte. In Aachen unter anderem bekannt durch den Kugel-Brunnen.<br />
72
2.5 Die Volksschule Reumontstraße<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Die nachfolgenden Ausführungen beruhen zu wesentlichen Teilen auf der Chronik zum 75-jährigen<br />
Bestehen der Schule.[19]<br />
Die Gründung der städtischen Volksschule Aachen, Schule St. Jakob<br />
Als um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende der Tuchfabrikant C. Delius sein Unternehmen vergrößern wollte,<br />
trat er an die Stadt mit der Bitte heran, das an seine Fabrik angrenzende Schulgebäude der Pfarre<br />
St. Jakob in der Mauerstraße aufkaufen zu dürfen. Die planmäßige Anlage des neuen Wohnviertels<br />
im Umfeld der Südstraße machte dort den Bau einer zentral gelegenen Schule notwendig.<br />
Als Ersatzgr<strong>und</strong>stück erwarb die Stadt Aachen deshalb von der Witwe Werner das Gr<strong>und</strong>stück<br />
der Spinnerei zwischen Südstraße <strong>und</strong> Mariabrunnstraße, das an der Ecke Reumontstraße/<br />
Mariabrunnstraße für den Schulneubau genutzt wurde.<br />
Abb. 161: Die städtische Volksschule, Foto vermutlich aus dem Zeitraum der Fertigstellung.<br />
Am 8. Juni 1909 nahm die Schule Reumontstraße ihre Arbeit auf. In dem modernen Schulbau<br />
wurden zwei vollständige, siebenklassige Schulsysteme untergebracht: der Knabenflügel, auch<br />
Knabenschulhaus genannt, <strong>und</strong> der Mädchenflügel oder das Mädchenschulhaus. An die beiden<br />
Schulsysteme wurden angegliedert: ein Kinderhort, eine Schulküche, ein Schülerbad <strong>und</strong> eine<br />
Turnhalle.<br />
73
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 162: Der Flügel mit dem Kinderhort. Die beiden Schilderhäuser deuten<br />
darauf hin, dass die Aufnahme während der belgischen Besatzung 1920/21<br />
entstanden ist.<br />
Die Zeit bis zum Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
Die Kaiserzeit <strong>und</strong> der Erste Weltkrieg brachten für die Schule kaum Veränderungen, wohl aber<br />
die Zeit zwischen 1921 <strong>und</strong> 1924. Das Kaiser-Wilhelm-Gymnasium in der Lothringer Straße wurde<br />
für Kinder belgischer Besatzungsangehöriger requiriert. Daher musste das Gymnasium zum<br />
9. Oktober 1921 das eigene Schulgebäude räumen <strong>und</strong> wurde nach einer Zwischenstation ab 21.<br />
Dezember 1921 im Ostflügel (Mädchenschulhaus) der Volksschule Reumontstraße untergebracht.<br />
Das Mädchenschulhaus musste zuvor gründlich erneuert werden, da es als Kaserne gedient<br />
<strong>und</strong> darunter sehr gelitten hatte. Bis zum Beginn des Jahres 1924 verblieb das Kaiser-Wilhelm-Gymnasium<br />
im Ostflügel der Volksschule Reumontstraße.<br />
Von ihrer Gründung im Jahr 1909 bis Ostern 1931 trug die zur Pfarre St. Jakob gehörige Schule<br />
auch deren Namen: Volksschule St. Jakob. Mit Beginn des Schuljahres 1931/32 führte die Schule<br />
dann den Namen der neu errichteten Kirche Heilig Geist <strong>und</strong> wurde dieser Pfarre zugeordnet. Im<br />
Zuge der nationalsozialistischen Namensgebung wurde die Volksschule Heilig Geist 1937 in<br />
Hans-Schemm-Schule umbenannt. 3<br />
Von ehemaligen Schülern wird berichtet, dass vor dem Frankreich-Feldzug die Wehrmacht in der<br />
Schule einquartiert wurde <strong>und</strong> der Unterricht in der Schule Hanbrucher Straße stattfand. In der<br />
Chronik der Gr<strong>und</strong>schule ist dieser Hinweis nicht enthalten. Im Jahr 1944 wurde die Schule stark<br />
zerstört.<br />
Die Jahre von 1950 bis 1984<br />
Nach dem Krieg gingen die Kinder wegen der Zerstörung der Volksschule zunächst in die Volksschule<br />
Hanbruch. Nach Vollendung des ersten Bauabschnitts nimmt die Schule am 21. November<br />
1950 als vierte Volksschule in Aachen in dem östlichen, in Anlehnung an den alten Stil wiederhergestellten<br />
Flügel mit acht Klassenräumen die Ausbildung wieder auf. Sie führt nun den Namen<br />
Volksschule Reumontstraße. 353 Kinder besuchten die neue Schule. Mit Beginn des Schuljahres<br />
1951/52 kamen zusätzlich die Kinder der Schule Beeckstraße (Pfarre St. Marien) in die<br />
Schule Reumontstraße. Dadurch wuchs die Schülerzahl beträchtlich: 587 Kinder besuchten nun<br />
die Schule Reumontstraße. Die Schülerzahl in den einzelnen Klassen lag zwischen 42 <strong>und</strong> 60<br />
Kindern. Da nur acht Klassenräume zur Verfügung standen, war Schichtunterricht notwendig.<br />
74<br />
3<br />
Abb. 163: Kochunterricht - es ist nicht gesichert, dass es die Küche<br />
der Schule Reumontstraße ist, aber es wird sicher sehr ähnlich<br />
ausgesehen haben.<br />
Hans Schemm war ursprünglich Volkschullehrer, später Gauleiter <strong>und</strong> Staatsminister sowie Führer des NS-Deutschen Lehrerb<strong>und</strong>es<br />
<strong>und</strong> Leiter des Hauptamtes für Erziehung bei der Reichsleitung der NSDAP. Nach einem tödlichen Flugzeugunglück im März 1935<br />
wurden mehrere Schulen nach ihm benannt.
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 164: Die im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigte Schule nach Fertigstellung des ersten Bauabschnitts im Oktober 1950.<br />
Die Schülerzahl wuchs im Schuljahr 1953/54 weiter: Nun besuchten 616 Kinder die Schule. Im<br />
Schuljahr 1954/55 erfolgte der Wiederaufbau des mittleren Traktes. Mit Beginn des Schuljahres<br />
1955/56 besuchten 689 Kinder die katholische Volksschule Reumontstraße. Noch immer gab es<br />
jahrgangsübergreifende Klassen, noch immer fand Schichtunterricht statt. Am 15. Dezember<br />
1956 konnte auch der westliche Trakt bezogen werden. Nach sechsjähriger Behelfszeit bot das<br />
Schulgebäude nun genügend Platz zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Unterrichtes,<br />
Schichtunterricht war nun nicht mehr notwendig.<br />
Mit Beginn des Schuljahres 1957/58 erfolgte die Trennung der katholischen Volksschule Reumontstraße<br />
in zwei gesonderte Schulsysteme. Auf Initiative Pfarrers von den Driesch wurde die<br />
katholische Volksschule St. Marien wieder gegründet <strong>und</strong> in einem Trakt der Reumontstraße<br />
untergebracht. Bis 1965 verblieb diese Schule in der Reumontstraße.<br />
Der am 20. Februar 1958 beginnende Turnhallenbau machte die Schule wieder zur Baustelle. In<br />
der Schule Reumontstraße Heilig Geist wurden 1958/59 384 Kinder von neun Lehrern unterrichtet.<br />
Der zunehmende Verkehr <strong>und</strong> die damit vor allem Kindern drohenden Gefahren machten<br />
Verkehrserziehungsmaßnahmen notwendig. Die Stadt beschritt neue Wege, indem sie in der<br />
Hohenstaufenallee einen Verkehrserziehungsgarten einrichtet. Bei dessen Übergabe im Mai 1958<br />
waren Schüler der Schule Reumontstraße an Vorführungen beteiligt. Am 8. Januar 1959 wird die<br />
Turnhalle fertiggestellt, an der Lehrküche wurde noch gearbeitet. Damit waren die letzten Schäden<br />
14 Jahre nach Kriegsende beseitigt.<br />
75
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 165: Zeitungsbericht über den dritten Bauabschnitt der Wiederherstellung der Schule.<br />
Am Ende der Mariabrunnstraße hatte es früher schon einen kleinen Fußgängertunnel durch den<br />
Bahndamm gegeben. Wahrscheinlich durch Beschädigung im Krieg wurde er verfüllt. 1962 wurde<br />
er wieder hergestellt, was von der Leitung <strong>und</strong> der Elternvertretung der Schule seit langem<br />
gefordert wurde. Für einen Teil der Kinder war der Schulweg nun wesentlich kürzer <strong>und</strong> der<br />
direkte Weg von der Schule zum 1958 eingerichteten "Verkehrserziehungsgarten" an der Hohenstaufenallee<br />
sicherer.<br />
Das Schuljahr 1963/64 brachte große Veränderungen. In den Sommerferien räumte die Volksschule<br />
St. Marien das Schulgebäude <strong>und</strong> bezog das Gebäude in der Franzstraße. Einen Teil der<br />
freiwerdenden Räume erhielt die Volksschule Heilig Geist <strong>und</strong> konnte damit die Raumsituation<br />
günstiger gestalten. Die übrigen Räume bezogen zuerst zwei ausgelagerte Klassen der evangelischen<br />
Volksschule Annastraße, die im Laufe der Zeit zu einem eigenen Schulsystem erweitert<br />
wurde, das bis zur Auflösung der Volksschule in der Reumontstraße verblieb.<br />
Das Schuljahr 1968/69 brachte eine einschneidende Reform des Volksschulwesens: die Auflösung<br />
der Volksschule <strong>und</strong> die Konstituierung von Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Hauptschule. Die evangelische Volksschule<br />
zog um in das Gebäude Eintrachtstraße, an der Reumontstraße wurden eine katholische<br />
Gr<strong>und</strong>schule <strong>und</strong> eine Gemeinschaftshauptschule untergebracht. Die katholische Gr<strong>und</strong>schule<br />
bezog den zur Mariabrunnstraße hin gelegenen Flügel. 304 Schüler stellten sich am 1. Schultag<br />
in der Gemeinschaftshauptschule ein.<br />
76
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Im Schuljahr 1971/72 waren die Neuanmeldungen an der katholischen Gr<strong>und</strong>schule mit 112<br />
Kindern so hoch, dass drei erste Schuljahre gebildet werden konnten. Am Ende des Schuljahres<br />
wurde der in der Südstraße allseits bekannte, seit 1952 an der Schule Reumontstraße tätige <strong>und</strong><br />
seit 1968 erblindete Hausmeister Peter Braunleder verabschiedet.<br />
Im Schuljahr 1972/73 macht der starke Zuzug<br />
türkischer Gastarbeiter die Einrichtung zweier<br />
Klassen mit Schülern türkischer Nationalität an<br />
der Hauptschule Reumontstraße erforderlich.<br />
An der Hauptschule Reumontstraße wurde<br />
1973/74 kurzfristig Nationalunterricht für jugoslawische<br />
Kinder erteilt. Im Schuljahr<br />
1974/75 wurde an der Gr<strong>und</strong>schule die Regelung<br />
eingeführt, dass an zwei Samstagen im<br />
Monat unterrichtsfrei ist. Ab September 1975<br />
wurde an der Hauptschule Reumontstraße die<br />
"Einrichtung einer Klasse für jugendliche Arbeitslose<br />
zwecks Vorbereitung auf die Fremdenprüfung<br />
zur Erlangung des Hauptschulabschlusses"<br />
vorgenommen.<br />
Wieder einmal platzte die Schule aus allen Nähten, so dass sich der Schulträger nach langem<br />
Zögern endlich entschloss, die inzwischen geräumte Hausmeisterwohnung im Kellergeschoss in<br />
Klassenräume umzuwandeln.<br />
Seit dem Schuljahr 1978/79 gilt für beide Schulsysteme die Fünf-Tage-Woche. Auf der Sitzung<br />
des Schulausschusses im März 1979 wurde dem Antrag der Schule stattgegeben, in dem kommenden<br />
Schuljahr ein freiwilliges 10. Schuljahr einzurichten.<br />
Die Katholische Gr<strong>und</strong>schule hat 1980/81 den<br />
Gr<strong>und</strong>schulhof in einen Spielplatz umgestalten<br />
lassen. Durch das Aufmalen farbiger Spielfelder,<br />
das Anbringen von Kletter- <strong>und</strong> Turngeräten,<br />
das Aufstellen von Bänken, Blumenkübeln<br />
<strong>und</strong> einer Tischtennisplatte erhielt der Gr<strong>und</strong>schulhof<br />
einen neuen Charakter. Das 10. Schuljahr<br />
wird obligatorisch eingeführt.<br />
Im Herbst 1987 zog die Hauptschule zur Malmedyer<br />
Straße um. In dem Gebäude befindet<br />
sich weiterhin die Gr<strong>und</strong>schule ("Alfred von<br />
Reumont-Schule"), in den östlichen Teil (ehem.<br />
Mädchenflügel) ist die Montessori-Schule mit<br />
Kindergarten eingezogen.<br />
Abb. 166: Das Schulgebäude in den 1970er Jahren.<br />
Abb. 167: Der Schulhof im Jahr 1984 mit den Gebäuden der ehemaligen<br />
Firma Kalde im Hintergr<strong>und</strong>.<br />
77
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Eine wesentliche Veränderung ergab sich erst<br />
wieder mit dem Bau des neuen Schulgebäudes<br />
für die Ganztagsbetreuung der Schüler im Jahr<br />
2007 auf dem Gelände der ehemaligen Fachhochschule.<br />
78<br />
Abb. 168: Artikel in den AN, 16. August 2007
2.6 Tattersall <strong>und</strong> Bunker<br />
Der Tattersall<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Ein Tattersall ist ein nach dem britischen Stallmeister R. Tattersall (*1724, +1795) benanntes<br />
"geschäftliches Unternehmen für reitsportliche Veranstaltungen, für Verleihen <strong>und</strong> Einstellen von<br />
Pferden; Reitbahn, Reithalle". [25]<br />
Nach den Adressbüchern hat zumindest seit 1872 in der Südstraße ein Reitstall bestanden, die<br />
Bernhard´sche Reitbahn, auf der unter anderem der Tuchfabrikant Frankenhoff reiten ging. Die<br />
Beschäftigten des Reitstalls wohnten teilweise in der Südstraße, zum Beispiel im Jahr 1872: Nr.<br />
12 Bernard, Reitlehrer; Terkatz, Pferdehändler; im Jahr 1881: Nr. 14 Schluszat, Stallknecht, oder<br />
im Jahr 1893 in Nr. 14: Schöbitz, Kutscher; Daniels, Kutscher <strong>und</strong> in Nr. 16: Henry Kaufmann,<br />
Pferdehändler.<br />
Der Zugang führte über einen Durchgang mit grobem Pflaster. Das mit Gras bewachsene Freigelände<br />
umfasste die Fläche in der Länge bis zum Zugang zur Werkkunstschule <strong>und</strong> in der Tiefe bis<br />
zur Gr<strong>und</strong>stücksgrenze "Kalde" (Boxgraben 73), eine Fläche von ca. 100 a. Es lag durch eine<br />
Stützmauer getrennt etwas höher als die Südstraße. Die Ställe für etwa 20 Pferde <strong>und</strong> die Reithalle<br />
befanden sich an der Nordseite parallel zum Boxgraben in Verlängerung des Durchgangs<br />
von der Südstraße. Am Kopf des Gr<strong>und</strong>stücks stand die große Reithalle, deren Längsausrichtung<br />
nach Süden, zur Werkkunstschule, wies. Man konnte sich hier auch Pferde leihen, was nicht allzu<br />
teuer gewesen sein soll, um in Richtung Aachener Wald auszureiten.<br />
Abb. 169: Südstraße 16, das Wohnhaus des Reitlehrers Dibbert, ca. 1910.<br />
Links ist der Torbogen des Zugangs zum Tattersall im Ansatz zu erkennen.<br />
(Foto: Stadtarchiv Aachen).<br />
Abb. 170: Katasterauszug der vom Tattersall genutzten<br />
Gr<strong>und</strong>stücke. Am rechten Bildrand die Südstraße mit dem<br />
noch erkennbaren ursprünglichen Verlauf der Straße.<br />
79
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Das Gelände war verb<strong>und</strong>en mit dem Gr<strong>und</strong>stück Boxgraben 55 <strong>und</strong> hatte hier einen eigenen<br />
Zugang. In diesem Bereich waren die Kutschen in Remisen untergebracht. Eigentümer beider<br />
Gr<strong>und</strong>stücke war Jakob Kaufmann, ab 1911 mit der zusätzlichen Bezeichnung "Pferdehandlung".<br />
Die Straßenfront am Boxgraben bestand aus einer etwa vier Meter hohen Mauer <strong>und</strong> einem<br />
breiten Eingangstor, vom Firmenschild überspannt, das von zwei Pferdeköpfen flankiert war (den<br />
Zugang von der Südstraße muss man sich ähnlich vorstellen).<br />
Abb. 171: Zugang zur Reitbahn am Boxgraben, ca. 1910.<br />
Die Gr<strong>und</strong>stücke Südstraße 16 <strong>und</strong> 18 verkaufte Jakob Kaufmann an Heinrich Dibbert, der in das<br />
Haus Nr. 16 einzog <strong>und</strong> vermutlich ab 1909 auf dem Gr<strong>und</strong>stück Nr. 18 den Tattersall mit der im<br />
Adressbuch eingetragenen Nutzung "Aachener Reitinstitut" betrieb. Als Reitlehrer gab es Heinrich<br />
Dibbert, Herrn Rensing <strong>und</strong> für das Voltigieren Herrn Limburg. Bekannt war der Reitstall auch<br />
durch seine von Herrn Limburg geleitete Kindervoltigiergruppe.<br />
Für einen Besuch von Kaiser Wilhelm II, vermutlich im Oktober 1911, der hier auch ritt, war sein<br />
Pferd aus Berlin nach Aachen geschafft worden (auf einem fremden Pferd wollte er wohl nicht<br />
reiten). Sein Pferd war für die Dauer des Besuches im Tattersall Dibbert untergebracht.<br />
Aus den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gibt es den Eintrag: Belgisches Pferdedepot. Von<br />
1922 bis 1926 bewohnte die belgische Besatzung das Haus Nr. 16 <strong>und</strong> auch belgische Offiziere<br />
aus dem Wohnkomplex auf dem Gr<strong>und</strong>stück des leerstehenden Finanzamtsgebäudes nutzten<br />
den Tattersall. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Reitbahn durch Posten in Schilderhäuschen bewacht.<br />
Anlässlich eines Besuchs des Reichspräsidenten von Hindenburg in Aachen im Oktober 1930 gab<br />
es einen Festumzug vieler Vereine, so auch des Gardevereins, zu dem Heinrich Dibbert eine Gruppe<br />
Pferde mit voltigierenden Kindern beisteuerte.<br />
80
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Nach der Heirat mit der Stern´schen Tochter wird der Teil des Gr<strong>und</strong>stücks am Boxgraben 55 von<br />
Herrn Laurency zunächst für eine Tankstelle, später für eine Autoreparaturwerkstatt (vermutlich<br />
ab 1935) genutzt. Davon existiert noch die Werkhalle, die heute als Garagenhalle dient. Diese<br />
grenzt an den Oebelschen Garagenhof. Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte die Verbindung<br />
zum Dibbert´schen Tattersall unterbrochen worden sein. Das Ehepaar Laurency ließ sich scheiden.<br />
Ein Arzt in Eupen versteckte die Jüdin Ende der 30er Jahre unter anderem im Kloster Stavelot.<br />
Nach dem Krieg bekam sie nach einem Prozess eine Entschädigung.<br />
In den 30er Jahren, evtl. auch noch in den ersten Kriegsjahren, hat auf der Fläche des Tattersalls<br />
jeweils im Frühjahr eine Kirmes mit Kettenkarussell <strong>und</strong> verschiedenen Buden stattgef<strong>und</strong>en.<br />
Diese Tradition wurde nach dem Krieg auf dem ehemaligen Tennisplatzgelände an der Reumontstraße<br />
fortgeführt.<br />
Nach dem Adressbuch von 1936 befand sich auf den unmittelbar angrenzenden Gr<strong>und</strong>stücken<br />
Südstraße 20-38 das Außengelände des Tattersalls, das zumindest bis 1926 dem "Aachener Verein<br />
zur Beförderung der Arbeitsamkeit" gehörte. Im März 1936, zur Zeit der Rheinlandbesetzung<br />
durch deutsche Truppen, standen auf dem Reitplatz Militärfahrzeuge mit angehängten Kanonen.<br />
Zu Karneval gab es ein Kostüm-Reiten. Hier traf sich über lange Zeit der "Aachener Reiterverein<br />
1910 Prinzengarde Aachen". In der Chronik zum 70-jährigen Bestehen der Prinzengarde [18] ist<br />
der Tattersall mehrfach erwähnt:<br />
"In den schweren Jahren nach dem Ersten Weltkrieg <strong>und</strong> in der Zeit der Inflation <strong>und</strong> des Separatismus<br />
war nicht daran zu denken, die Vereinstätigkeit in gewohnter Weise aufleben zu lassen.<br />
Die Mitglieder trafen sich zwar schon wieder auf der Reitbahn Dibbert in der Südstraße <strong>und</strong><br />
führten einmal pro Woche (mittwochs) Reitst<strong>und</strong>en durch...<br />
In der Reithalle Dibbert in der Südstraße finden (in der Session 1937) wöchentlich Reitst<strong>und</strong>en<br />
statt <strong>und</strong> zum Abschluß traf man sich dann im Hotel Gabriel, Ecke Krakaustraße <strong>und</strong> Boxgraben,<br />
zu einem Umtrunk...<br />
Dienstbefehl für die Karnevalstage!!!<br />
...Rosenmontag, 20.2.1939, Abmarsch ab Reitbahn Dibbert, Südstraße, Punkt 10.45 Uhr, es<br />
reiten im Zuge mit... es folgen 19 Namen.<br />
In den Wochen vor Beginn des Frankreich-Feldzuges hatte eine Kavallerieeinheit hier ihr Quartier.<br />
Eines Nachts waren alle Soldaten mit ihren Pferden verschw<strong>und</strong>en, der Feldzug hatte begonnen.<br />
Im Verlauf des Krieges, vermutlich 1940, spätestens 1942 (in diesem Jahr gibt es keine Eintragung<br />
mehr als Reitinstitut), wurde der Betrieb des Tattersalls eingestellt <strong>und</strong> später nicht mehr<br />
aufgenommen.<br />
Zwischen dem Tattersall <strong>und</strong> dem Gr<strong>und</strong>stück der Kunstgewerbeschule befand sich etwa ab<br />
1934 bis in den Krieg hinein die Gärtnerei Bakker. Die Fläche darf man sich nicht als klassische<br />
Gärtnerei vorstellen, sondern eher als einen großen Schrebergarten mit einigen Treibhäusern <strong>und</strong><br />
einer Bude, in der Bakker wohnte. Er verkaufte vermutlich das, was er zur Selbstversorgung nicht<br />
brauchte. Als Entschädigung, möglicherweise im Zusammenhang mit dem Bau des Bunkers,<br />
erhielt er einen Teil der Fläche des ehemaligen Tennisplatzes an der Reumontstraße/ Südstraße<br />
<strong>und</strong> hatte dort auch nach dem Krieg noch seine Gärtnerei (siehe dort).<br />
81
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Der Bunker<br />
Mit den immer heftiger werdenden Bombenangriffen auf Aachen begann man im Januar 1941<br />
mit den Arbeiten für den Bau einer ersten Welle von zehn Luftschutzbunkern. Der Bunker Südstraße,<br />
auf einer Teilfläche des Tattersalls, gehörte mit der lfd. Nr. 13 zur zweiten Welle. Er entstand<br />
nur wenige Meter vom Gehweg zurückgesetzt <strong>und</strong> bot 400 Liege- <strong>und</strong> 50 Sitzplätze, die<br />
tatsächliche Belegung bei Luftalarm wird häufig darüber gelegen haben. Er hat drei Eingänge:<br />
auf der Nord- <strong>und</strong> Südseite je ein größerer, an der Straße ein etwas kleinerer.<br />
Für die Betonherstellung wurden große Berge Kies auf der Außenfläche des ehemaligen Tattersalls<br />
gelagert. Es gab nur wenige Baumaschinen, fast alles geschah in Handarbeit. Ab August<br />
1941 arbeiteten auf den Luftschutzbaustellen in Aachen bis zu 200 Kriegsgefangene, zumeist<br />
Franzosen. Soweit die Aufzeichnungen über den Einsatz der Kriegsgefangenen [Akte 12222 des<br />
Stadtarchivs] vorliegen, wurden auf der Baustelle Südstraße etwa zehn Kriegsgefangene eingesetzt.<br />
Diesen Aufzeichnungen zufolge erstreckte sich die Bauzeit zumindest vom 25. April 1942<br />
bis zum 20. Februar 1943. Die Arbeiten gingen nur schleppend voran. Es fehlte kriegsbedingt an<br />
Baumaterialien wie Stahl, Kies <strong>und</strong> Zement.<br />
Abb. 172: Einsatzplan für den Einsatz von Kriegsgefangenen im<br />
Bunkerbau, Bericht vom 18.10.1941. Der Bunker Südstraße ist mit einem<br />
Strich versehen, da er sich noch nicht in Bau befand.<br />
Nach Augenzeugenberichten soll der Bunker von einer Bombe schwer getroffen worden sein<br />
(1943?), wodurch die westliche Rückwand auf einer Fläche von etwa fünf Mal fünf Meter<br />
schwer eingedrückt wurde <strong>und</strong> innen Ziegelmauern umfielen. Ein Schuppen mit Schimmel an<br />
der Außenwand des Bunkers waren völlig verschw<strong>und</strong>en. Die Mauer wurde provisorisch mit<br />
einer sandgefüllten Holzschalung wiederhergestellt. Bei dem großen Luftangriff auf Aachen am<br />
11. April 1944 gerieten die erst während des Krieges auf der freien Fläche erbauten provisorischen<br />
Holzbauten (Baracken) in Brand, wodurch die Flieger den Bunker leicht erkennen konnten.<br />
Dies führte zum verstärkten Bombardement der Südstraße, die ohnehin wegen der Nähe zum<br />
82<br />
Abb. 173: Blick aus Haus Nr. 3 auf das Freigelände des ehem.<br />
Tattersalls (der Eingangsbogen ist am rechten Bildrand zu sehen) im<br />
Jahr 1943: Im Vordergr<strong>und</strong> die Südstraße, im Hintergr<strong>und</strong> der Bunker,<br />
das Gebäude der ehem. Kunstgewerbeschule <strong>und</strong> die bereits stark<br />
zerstörte Gr<strong>und</strong>schule Reumontstraße.
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Bahnhof stark gefährdet war. In den letzten Kriegstagen war der Koloss noch so intakt, dass die<br />
Städtischen Krankenanstalten von der Goethestraße ein Lazarett im Bunker einrichten konnten.<br />
Im ersten Nachkriegsjahr wurden in seiner Nähe Tote unbekannter Herkunft exhumiert <strong>und</strong><br />
ordnungsgemäß bestattet.<br />
Als Notunterkunft hat er noch einige Jahre gedient, vor allem als Notquartier für rückkehrende<br />
Aachener, deren Wohnungen anderweitig belegt waren (1.549 Personen waren 1948 in den 18<br />
Bunkern untergebracht!). Später diente er bis ins Jahr 1950 noch als so genannter Übernachtungsbunker<br />
für Obdachlose. Danach benutzte die Fa. Kalde den leerstehenden Bunker als Materiallager.<br />
Anschließend stand er leer.<br />
Die Bebauung der Baulücke an der Südstraße (Haus Nr. 20 bis 38) erfolgte 1952 durch C. Kalde<br />
auf der bis dahin freien Fläche unter Einbeziehung des zerstörten Hauses Nr. 42. Geschickt wurde<br />
der Bunker in den Komplex einbezogen, so dass dieser Klotz von der Straße aus nicht mehr sichtbar<br />
ist. Nachteil: Die Geschäfte im Haus 34/34a haben keine eigenen Nebenräume. Erst in jüngster<br />
Zeit erhielt der Geschäftsteil Nr. 34a des aus beiden Teilen zusammengelegten Ladens einen<br />
straßenseitigen Zugang zum Bunker <strong>und</strong> verfügt nun durch einen abgemauerten Gang über vier<br />
bis fünf Lagerräume im ehemaligen Bunker.<br />
Abb. 174: Der Bunker von Süden im Jahr 2004.<br />
Im Frühjahr 2004 steht der Bunker zum Verkauf<br />
<strong>und</strong> wird für die Mindestgebotssumme<br />
von 30.000 EUR an einen Aachener verkauft.<br />
Über seine zukünftige Nutzung ist bisher<br />
nichts bekannt.<br />
Abb. 175: Auktionsanzeige<br />
Abb. 177 -184 (Folgeseite): Innenansichten des Bunkers Südstraße im Jahr 2003.<br />
Abb. 176: Aachener Nachrichten, 7. April 2004<br />
83
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
84
2.7 Das Geschäftsleben<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Schon gleich zu Anfang <strong>und</strong> für eine lange Zeit war die Südstraße eine gute Wohngegend mit<br />
einer großen Anzahl von Geschäften <strong>und</strong> Gaststätten. Bis 1939/40 gab es in der Straße 25 Geschäfte<br />
<strong>und</strong> eine Gastwirtschaft, um 1980 waren es 28 Geschäfte <strong>und</strong> sechs Gastwirtschaften.<br />
Zumindest bis dahin war die Südstraße die Einkaufsstraße des sich anschließenden Südviertels<br />
bis weit über die Gegend um den Hangeweiher hinaus, einschließlich der früher üblichen Anlieferung<br />
zu den K<strong>und</strong>en. Alles, was man zum Leben braucht, konnte man in der Südstraße kaufen:<br />
Es gab die Bäckereien Gerda Schnurr <strong>und</strong> Hans Heinrichs, den Milch- <strong>und</strong> Lebensmittelladen<br />
Jakob Laschet, den Lebensmittelladen Peter Leisten (später Franz Corsten, Frau Müller <strong>und</strong> dann<br />
der Türke Hakan, später den "Südmarkt" vom Haidar Yoncali, der im Sommer 2002 nach Nr. 2A<br />
umzog), Annelene Kallas, <strong>und</strong> nicht zu vergessen einige Zeit an der Ecke Boxgraben den Obst<strong>und</strong><br />
Gemüseladen der Familie Günther, dann gab es drei Metzgereien (Theodor Wagemann –<br />
zuletzt sein Sohn Walter, Gerhard Giesbertz - später Neu <strong>und</strong> zuletzt Heinz Leppak [bis 13. Oktober<br />
2001], sowie Peter Lennartz), weiterhin drei Drogerien (O. Pützer, später Karl Havemann,<br />
Irene Bauer, Frau Reinartz <strong>und</strong> ab 1958 Gottfried Kahlen), eine Zeit lang den Fischladen Frohn,<br />
ebenso für etliche Jahre die Sonnen-Apotheke von Marianne Zaun, den Kaffeeladen von Karl Jansen,<br />
Kurzwaren Franken <strong>und</strong> den Blumenladen Förster, Papier- <strong>und</strong> Schreibwaren Prickartz.<br />
Eine Elektrofirma war Heinrich Berners <strong>und</strong> später Ludwig Gröner bzw. Rolf Mohren, <strong>und</strong> für sanitäre<br />
Installation gab es (bis Mai 2000) die Firma Ernst Breier GmbH. Dann gibt es noch das<br />
Geschäft für Zeitschriften, Tabak- <strong>und</strong> Schreibwaren von Rolf Held (vorher Beiss, ursprünglich vor<br />
dem Krieg Südstraße 5). Auch zwei Schuster hat es gegeben. Im Hinterhof des Hauses Nr. 37 befindet<br />
sich ein niedriges Gebäude, das einige Zeit der Zuckerwaren-Firma Esser als Verkaufsraum<br />
diente, jetzt ist schon länger eine Papierverarbeitung darin. Alle kann man nicht aufzählen <strong>und</strong><br />
nicht immer waren alle gleichzeitig.<br />
Die Gaststätten waren vor dem Krieg die Schankwirtschaft Kistermann bzw. Dautzenberg, das<br />
Hotelrestaurant "Barbarossa" <strong>und</strong> zwei Konditoreien (Pick bzw. Schnurr <strong>und</strong> Heinrichs). Heute<br />
sind es noch das "New Salsa" (vorher "Beethoveneck" <strong>und</strong> "Café Salsa"), dann noch das "Parkside"<br />
(zuvor "Südklause" als Nachfolger der Bäckerei Heinrichs <strong>und</strong> dann für lange Zeit das legendäre<br />
"BeBop"), sowie "Palmyra" (zuvor Athenee, für kurze Zeit "Culinarius", davor für lange Zeit das<br />
"Agora", früher "Barbarossa"). Schließlich gibt es noch seit längerer Zeit das griechische Restaurant<br />
"Lefkada", direkt vor der Bahnunterführung. Und dann war noch der "Südhof", seine<br />
Wiederbelebung mit einem "Internet-Café" <strong>und</strong> dann mit der Gaststätte "el Sur" scheiterten, wie<br />
auch die Karolusstuben im Haus Nr. 1.<br />
Die Gewerbetreibenden in der Südstraße haben immer wieder besondere "Typen" hervorgebracht.<br />
So führte seit 1942 Jakob Laschet das Geschäft in der Südstraße 47 (links), nach dem<br />
Krieg mit dem Verkauf von Milch <strong>und</strong> Lebensmitteln. Herr Laschet führte es mit seiner Frau, <strong>und</strong><br />
sie war die Seele des Geschäfts. Es gab Kinder aus mehreren Ehen, die sich teilweise auch am<br />
Laden beteiligten. Interessant war insbesondere das Leben von Marliese, einer jüngeren Tochter.<br />
Sie war befre<strong>und</strong>et mit Willi Strauch, als dieser 1957 als einer der ersten einen Lottogewinn mit<br />
mehr als einer Million DM machte. Er war damals im Bauhandwerk tätig, verschwand dann aber<br />
spurlos. Er vertraute seinen Gewinn einem ihm treu gesonnenen Geschäftsmann an, die damit<br />
begründete Firma (Wohnbau- <strong>und</strong> Finanzinstitut) vermehrte das Geld noch wesentlich. Herr<br />
Strauch hielt Marliese die Treue <strong>und</strong> heiratete sie später (viel zu früh starb er in den 80er Jahren<br />
bei einem Ausflug in einem Hotel in Paris).<br />
1978 übernahm Karin Krämer, nach ihrer Verheiratung Karin Müller, das Obst- <strong>und</strong> Gemüsegeschäft<br />
im Haus Nr. 41. Sie verstand sie es bestens, mit der K<strong>und</strong>schaft umzugehen, so dass sie<br />
nicht zu Unrecht im Dezember 1991 bei einer launigen Verleihung im "Rittersaal" des Marschiertores<br />
den "Mullefluppet-Orden" wegen ihrer Schlagfertigkeit erhielt.<br />
85
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb.185: Artikel in der AZ, 3. Dezember 2004.<br />
Das Haus Südstraße Nr. 41 erhält einen gewissen Be<br />
kanntheitsgrad, weil sich hier seit Anfang 2003 ein umstrittenes<br />
Bordell angesiedelt hatte - angeblich das erste,<br />
das in einem Wohngebiet zugelassen wurde. Doch<br />
begleitet von einem Aufschrei in der Presse hielt diese<br />
Episode nur bis zum Frühjahr 2005.<br />
Doch auch sonst hat die Presse wird immer wieder<br />
über Menschen aus der Südstraße berichtet:<br />
Abb.187: Super Mittwoch, 21. Mai 2003<br />
86<br />
Abb. 186: AN, 3. Mai 2005<br />
Bis im Boxgraben 35 erst die Firma<br />
"Nutzkauf" (etwa Anfang der 70er<br />
Jahre) <strong>und</strong> danach "Plus" als Discounter<br />
eröffneten, war die Südstraße eine<br />
belebte Geschäftsstraße. Danach verloren<br />
alle Geschäfte durch weitere<br />
Discounter im Umfeld an Umsatz. Seit<br />
den 80er Jahren gaben zunehmend<br />
Geschäfte aus wirtschaftlichen Gründen<br />
auf, aber zunächst zogen meistens<br />
noch neue Nutzer in die Läden<br />
ein. Seit dem Jahr 2000 war die Südstraße<br />
allerdings von leerstehenden<br />
Ladenlokalen stark geprägt.
Abb. 188: Aachener Nachrichten vom 3. August 2004.<br />
Abb. 189: Aachener Nachrichten vom 14. Juli 2007<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Im Sommer 2006 gab es in wenigen Wochen<br />
noch einmal einen Schub mit Leerständen:<br />
Die Kneipen Salsa <strong>und</strong> Karolusstuben gaben<br />
auf wie auch das Reisebüro Vacancia <strong>und</strong> der<br />
esoterische Kunsthandel. Im gleichen Jahr<br />
ersetzt die Fa. PLUS ihr Gebäude am Boxgraben<br />
durch einen Neubau, entsteht an der<br />
Schillerstraße ein neuer großer Einkaufsbereich<br />
mit zwei Discountern. Das einstmals<br />
lebendige Nebenzentrum Südstraße entwickelte<br />
sich immer mehr zur Wohnstraße.<br />
Der erschreckende Substanzverlust wurde im<br />
Sommer 2006 sogar zum Thema in der Lokalpresse.<br />
87
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 190: Aachener Zeitung, August 2006<br />
88
Seit Herbst 2006 geht es mit der Südstraße langsam bergauf,<br />
weil die Nachfrage nach Ladenlokalen wieder steigt. Es<br />
macht zwar der eine oder andere nach kurzer Zeit wieder<br />
zu, aber insgesamt ist ein Gewinn an Substanz zu erkennen.<br />
Insbesondere die Entwicklung hin zu trendigen Spezialgeschäften<br />
könnte der Südstraße wieder das junge <strong>und</strong> etwas<br />
flippige Image zurückgeben, dass sie in den 70er <strong>und</strong> 80er<br />
Jahren hatte. Zum Straßenfest 2007 haben sich die Einzelhändler<br />
aus der Südstraße <strong>und</strong> der Krakaustraße sogar zu<br />
einer Werbekooperation zusammengeschlossen <strong>und</strong> der<br />
Klenkes philosophiert in seiner Ausgabe 08/2007: "Südstraßenfest<br />
- auf dem Weg zum Ku-Ku-Kiez: vielleicht hat die<br />
Südstraße irgendwo genug Potenzial für eine Entwicklung<br />
zum Aachener Kunst- <strong>und</strong> Kultur-Kiez..."<br />
Doch dann kam im August 2008 die<br />
Straßenbaustelle auf dem Boxgraben, im<br />
Herbst dann noch die Wirtschaftskrise<br />
<strong>und</strong> schon war die kurze Blüte wieder zu<br />
Ende. Seit 2009 nehmen die Leerstände<br />
wieder deutlich zu.<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
Abb. 192: Aachener Nachrichten, 23. Juni 2009<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 191: Plakat der Werbekooperation zum<br />
Straßenfest 2007<br />
89
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
2.8 Ehemaliges Finanzamt <strong>und</strong> Priesterseminar<br />
Das frühere Zusammentreffen von Finanzamt, Klerus <strong>und</strong> Polizei an der Kreuzung Boxgraben/<br />
Mozartstraße führte im Volksm<strong>und</strong> zu der Bezeichnung "Dreiräubereck", da Besucher dieser drei<br />
Einrichtungen meistens Geld lassen mussten.<br />
Von Besatzungswohnungen zum Finanzamt<br />
An der Stelle des bis Dezember 2005 dort untergebrachten<br />
Finanzamts stand eine in den<br />
20er Jahren des vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts erbaute<br />
"Besatzungswohnhausgruppe", in der Offiziere<br />
der belgischen Besatzungstruppen wohnten.<br />
Nach dem Abzug der Besatzung im November<br />
1929 konnten Aachener die Wohnungen beziehen.<br />
Die Gebäude wurden im Zweiten Weltkrieg<br />
schwer getroffen <strong>und</strong> nach dem Krieg<br />
abgebrochen.<br />
Abb. 194: Ecke Beethovenstraße/Mozartstraße, Anfang der 20er Jahre.<br />
Am linken Bildrand die Einfriedigung des Teiches an der<br />
Beethovenstraße (Foto: Stadtarchiv Aachen).<br />
Abb. 196: Auch hier die gleiche Situation wie oben, 1944/45 (Foto:<br />
Stadtarchiv Aachen)<br />
90<br />
Abb. 193: Mittlerer Abschnitt der Besatzungshausgruppe (Foto: Kerz,<br />
Neue Stadtbaukunst Aachen, Berlin ca. 1928).<br />
Abb. 195: Besatzungswohnhausgruppe an der Mozartstraße, vom<br />
Boxgraben gesehen (Foto: Kerz, Neue Stadtbaukunst Aachen, Berlin ca.<br />
1928).<br />
Abb. 197: Die gleiche Situation wie oben, 1944/45 (Foto: Stadtarchiv<br />
Aachen)
Am 26. Januar 1952 wird auf dem 5.690 m²<br />
großen Gelände Mozartstraße 2-10 nach den<br />
Plänen des Finanzbauamtes Aachen mit dem<br />
Bau eines neuen Dienstgebäudes begonnen. 4<br />
Bereits am 22. Juli 1952 ist Richtfest an der<br />
Mozartstraße <strong>und</strong> im Mai 1953 wird das neue<br />
Dienstgebäude bezogen <strong>und</strong> am 7. Juli in einem<br />
feierlichen Festakt durch den Oberfinanzpräsidenten<br />
Professor Aprath dem Finanzamt<br />
Aachen-Stadt übergeben.<br />
Am 9. April 1963 muss das Dienstgebäude<br />
geräumt werden, weil auf der Baustelle Ecke<br />
Mozartstraße / Beethovenstraße eine englische<br />
Fünfzentner-Bombe gef<strong>und</strong>en wird <strong>und</strong> entschärft<br />
werden muss. Der Parkplatz an der<br />
Beethovenstraße wird 1975 angelegt.<br />
2004 begann der Neubau des Finanzzentrums<br />
an der Krefelder Straße <strong>und</strong> Ende 2005 fand<br />
der Umzug statt. Zum 1. Januar 2006 hat die<br />
Stadt Aachen das Gelände übernommen <strong>und</strong><br />
mehrere Abteilungen der Stadtverwaltung untergebracht.<br />
Von der Villa Delius [20] zum Priesterseminar [21]<br />
Abb. 200: Luftbild des Finanzamts <strong>und</strong> seiner Umgebung, etwa 1963.<br />
4<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 198: Der Lageplan zum Neubau des Finanzamtes: In der Mitte der<br />
Neubau, darunter das Priesterseminar, auf der linken Seite der<br />
ehemalige Weiher an der Beethovenstraße, oben rechts die Villa<br />
Waldthausen (heute Apothekengebäude) <strong>und</strong> unten rechts die<br />
ehemalige Villa Delius (Abbildung: Finanzamt Aachen-Innenstadt).<br />
Abb. 199: Der Rohbau des Finanzamtes von der Mozartstraße gesehen<br />
(1953) (Foto: Finanzamt Aachen-Innenstadt).<br />
Der Aachener Tuchfabrikant Carl Delius d. J.<br />
(1846 -1914) beauftragte im Spätherbst 1888<br />
den Kgl. Reg.-Baumeister Professor Georg<br />
Frentzen (1854-1923) mit dem Entwurf für ein<br />
"freiliegendes Wohnhaus". Die Erschließung<br />
des Baugeländes, das im Nordwesten durch<br />
die in den späten 80er Jahren angelegte Mozartstraße<br />
begrenzt wurde, erfolgte über die<br />
heutige Friedlandstraße, die nach 1850 als Verbindungsweg<br />
zwischen dem Boxgraben <strong>und</strong><br />
dem Marschiersteinweg entstand. Die Baugenehmigung<br />
wurde im März 1889 erteilt <strong>und</strong><br />
nach einer Bauzeit von über zwei Jahren konnte<br />
das Wohnhaus, dessen Baukosten sich auf<br />
ca. 350.000 Mark beliefen, im Mai 1891 von<br />
der Familie Delius bezogen werden.<br />
Diese wie auch die weiteren Informationen <strong>und</strong> Abbildungen zum Bau des Finanzamtes sind einer Ausstellung entnommen, die das<br />
Finanzamt Aachen-Innenstadt im August 2003 zum 50-jährigen bestehen durchgeführt hat. Das Finanzamt hat die Unterlagen<br />
fre<strong>und</strong>licherweise für die Chronik der Südstraße zur Verfügung gestellt.<br />
91
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 201: Villa Delius, Blick von der<br />
Friedlandstraße<br />
Die Villa Delius erhob sich über einem etwa 22,80 x 20,60 m großen Rechteck, das durch einoder<br />
mehrgeschossige Anbauten auf allen vier Hausseiten erweitert wurde. Die äußere Gestaltung<br />
des dreigeschossigen Baukörpers der Villa Delius konzentrierte sich im wesentlichen auf die<br />
zwei Fassaden, die von der Mozartstraße <strong>und</strong> dem Boxgraben eingesehen werden konnten. Die<br />
beiden drei- bzw. fünfachsigen Schauseiten vermittelten durch eine Vielfalt architektonischer<br />
<strong>und</strong> dekorativer Mittel, durch Terrassen <strong>und</strong> Balkone sowie Säulen <strong>und</strong> Balustraden den Eindruck<br />
repräsentativer Prachtentfaltung.<br />
Abb. 204: Die am 30. November 1929 aus der Villa Delius<br />
abrückende belgische Besatzung. [20]<br />
92<br />
Abb. 202: Das Vestibül der Villa.<br />
Abb. 203: Quelle der Abbildungen [20]<br />
In der Mittelachse eines von Säulen getragenen Portikus<br />
führte der Hauseingang über einen 3,00 m breiten<br />
Flurraum in das um vier Stufen höher gelegenen Vestibül,<br />
das zusammen mit dem großen Treppenhaus einen<br />
Raum von imposanter, monumentaler Wirkung<br />
bildete. Um dieses fast 60,00 m² große Vestibül, das<br />
ebenso wie der gesamte übrige Innenausbau des Hauses<br />
im Rokokostil bei Verwendung von fast durchweg<br />
echtem Material ausgestattet war, gruppierten sich die<br />
repräsentativen Wohn- <strong>und</strong> Empfangsräume sowie ein<br />
großes Speisezimmer, das in einer direkten Verbindung<br />
mit der Anrichte, der Küche <strong>und</strong> der Dienstbotentreppe<br />
stand. Obwohl die Gr<strong>und</strong>risszeichnungen der übrigen<br />
Geschosse zur Zeit nicht aufzufinden sind, darf man<br />
davon ausgehen, das die Nutzung dieser Etagen dem<br />
üblichen Schema des zeitgenössischen Villenbaues entsprach;<br />
so waren wahrscheinlich in der Beletage die<br />
Schlafzimmer des Hausherrn <strong>und</strong> seiner Familie untergebracht,<br />
während in dem Mansardgeschoss die Fremdenzimmer<br />
<strong>und</strong> Aufenthaltsräume des Hauspersonals<br />
lagen.
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
In der Zeit der belgischen Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg diente die Villa Delius dem jeweiligen<br />
Stadtkommandanten als Residenz. Am 30. November 1929 verließen die letzten belgischen<br />
Besatzungstruppen Aachen <strong>und</strong> der belgische Stadtkommandant General Pouleur gab die<br />
Villa Delius frei.<br />
Da für die Unterbringung der Verwaltung des neu gegründeten Bistums in Aachen ein Gebäude<br />
benötigt wurde, erwarb die Bistumsleitung im Mai 1931 das Haus von der Stadt Aachen, um in<br />
dem Wohnhaus die Diensträume des Generalvikariats einzurichten. Am 1. Juli 1931 begann das<br />
bischöfliche Generalvikariat seinen Dienstbetrieb in der Villa.<br />
Bei dem schweren Angriff am 11. April 1944 wurde des Gebäude durch drei Fliegerbomben<br />
schwer beschädigt. Der Dienstsitz des Bistums musste anschließend verlegt werden. Erst nach<br />
verschiedenen Aufbauarbeiten am Gebäude konnte die Verwaltung des Bistums am 4. Juli 1947<br />
ihre Tätigkeit in der Villa wieder aufnehmen.<br />
Da die Räume nach Auffassung der<br />
Nutzer für eine Verwaltung zu klein<br />
<strong>und</strong> ungeeignet waren, wurde<br />
1958/59 ein neues Verwaltungsgebäude<br />
am Klosterplatz errichtet. Die Villa<br />
Delius wurde nach der am 14. September<br />
1960 erteilten Abbruchgenehmigung<br />
Ende 1960/Anfang 1961 abgebrochen,<br />
die prächtige Gittereinfassung<br />
der alten Villa blieb erhalten.<br />
Statt dessen wurde ein Wohngebäude<br />
für den Bischof errichtet. Heute ist in<br />
den Räumen das Offizialat des Bistums<br />
untergebracht.<br />
Das Priesterseminar war im März 1932 provisorisch im Mutterhaus der Alexianer errichtet worden.<br />
Bischof Vogt betrieb den Neubau des Priesterseminars <strong>und</strong> bevorzugte einen Bau in dem<br />
großen Park hinter dem bischöflichen Generalvikariat an der Mozartstraße.<br />
Dem anfänglichen Bearbeiter der Pläne, Regierungsbaumeister Wildt, wurde mit dem Architekten<br />
Peter Salm ein Mitarbeiter gegeben, der die weitere Gestaltung des Projekts maßgebend beeinflusste.<br />
Aus alter bewährter Bauerfahrung <strong>und</strong> aus (damals) neuzeitlich gerichtetem Raum- <strong>und</strong><br />
Massenempfinden heraus (das Gebäude kann seine besondere Entstehungszeit nicht ganz verleugnen)<br />
entstand der endgültige Bauplan, der im November 1934 vorgelegt wurde <strong>und</strong> ohne<br />
wesentliche Abänderung zur Ausführung bestimmt wurde. Anlässlich der Dechantenkonferenz<br />
am 20. März 1935 konnte der Diözesanbischof, umgeben vom Domkapitel <strong>und</strong> den Dechanten,<br />
den ersten Spatenstich tun, am 14. Juli 1935 fand unter großer Anteilnahme des Klerus <strong>und</strong> der<br />
Gläubigen aus der ganzen Diözese das Fest der Gr<strong>und</strong>steinlegung statt.<br />
Schon am 21. Dezember 1935 konnte ein Polier vom hohen Dachstuhl herunter seinen Richtspruch<br />
sagen. Der Rohbau war vollendet. Beteiligt waren auch Handwerker aus dem Reumont-<br />
Viertel, so der Schreiner Josef Baguette aus der Reumontstraße 48 oder der Glaser M. Bayer<br />
(heute Quadflieg) vom Boxgraben 33. Am 25. Oktober 1936 eröffnete Bischof Vogt das Haus<br />
<strong>und</strong> übergab es seiner Bestimmung.<br />
Die Beschreibung des Gebäudes im damaligen Duktus:<br />
Abb. 205: Lageplan des neuen Priesterseminars an der Mozartstraße. [21]<br />
93
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
"Wenn wir uns, vom Marschiertor kommend,<br />
dem Gebäude des Generalvikariates nähern,<br />
das in der alten Villa Delius seine Heimstätte<br />
gef<strong>und</strong>en, dann zieht zunächst ein zierlicher<br />
R<strong>und</strong>turm, der mit dem Marienzeichen geschmückt<br />
ist, unsere Aufmerksamkeit auf sich.<br />
Bald aber fesselt uns ein mit dem Christuszeichen<br />
gekrönter mächtiger Baukörper, der sich<br />
wie eine schützende Wand hinter dem Bau des<br />
Generalvikariates erhebt <strong>und</strong> mit seinen<br />
schlichten sachlichen Bauformen einen wohltuenden<br />
Gegensatz zu den überw<strong>und</strong>enen neuzeitlich-barocken<br />
Formen des Generalvikariates<br />
bildet. Wir erblicken den Neubau des Priesterseminars<br />
der Diözese Aachen, der von den Aachener<br />
Architekten Regierungsbaumeister<br />
Franz Wildt <strong>und</strong> Peter Salm geschaffen wurde.<br />
Wir treten näher durch die Mozartstraße; der<br />
Bau gliedert sich; ein zweigeschossiger Bautrakt,<br />
der Bibliothekflügel, schiebt sich im Winkel<br />
zur Mozartstraße vor <strong>und</strong> steigert den<br />
Maßstab des fünfgeschossigen Hauptbaues.<br />
Der schon genannte R<strong>und</strong>turm am Magazingebäude<br />
der Bibliothek, den eine köstliche Plastik<br />
der Madonna mit dem Kinde von Peter Terkatz,<br />
Honnef, schmückt, die hoheits- <strong>und</strong> liebevoll<br />
auf uns herabblickt, während das Christuskind<br />
segnend seine Hand hebt, bildet den<br />
Anschluss an die in einem Bogen zum Bau verlaufende<br />
Straßenflucht.<br />
Gewaltig ragt der senkrecht zur Mozartstraße<br />
stehende Hauptbau über einem fünfbogigen<br />
Portikus auf, in dem der Haupteingang liegt.<br />
Ein dreigeschossiger Baukörper schließt sich<br />
nach der Beethovenstraße an, der in seinem<br />
letzten Teile an der Mozartstraße die ebenfalls<br />
von Peter Terkatz stammende eindrucksvolle<br />
Plastik eines Reiterreliefs Karls des Großen<br />
zeigt, der des Sieges gewiss das Kreuz mit seiner<br />
Rechten umspannt. Klar <strong>und</strong> einfach ist die<br />
Linienführung, die sich dem Rahmen der Architektur<br />
anpasst <strong>und</strong> sie künstlerisch steigert.<br />
Ein Zweckbau steht vor uns, der nach außen klar das innere Leben zum Ausdruck bringt, aber ein<br />
Zweckbau, der durch seine glückliche Gesamtgliederung, durch die wohlabgewogenen Verhältnisse,<br />
durch die reizvolle Verwendung von Muschelkalk in der roten Ziegelsteinarchitektur, die<br />
an alte Aachener Bauweise anklingt, <strong>und</strong> endlich durch seine schönen Gitter <strong>und</strong> wertvollen<br />
Plastiken außerordentlich harmonisch <strong>und</strong> befriedigend wirkt. Der Zweck hat eine sinnvolle Form<br />
gef<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> so kann dieser Bau als ein in gutem Sinne moderner Bau bezeichnet werden, der<br />
den Geist neuer deutscher Baugesinnung atmet..."<br />
94<br />
Abb. 206: Baustelle des neuen Priesterseminars. Die Arkaden des<br />
Haupteingangs an der Mozartstraße sind bereits gut zu erkennen. [21]<br />
Abb. 207: Blick durch die Mozartstraße nach Süden auf den<br />
Haupteingang des Priesterseminars, ca. 1937. [21]<br />
Abb. 208: Blick aus der Beethovenstraße auf das Priesterseminar, ca.<br />
1937. [21]
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Ab 1940 musste das Priesterseminar einen Divisionsgefechtsstand einschließlich des für die Region<br />
zuständigen Kriegsgerichts aufnehmen, dessen Todesurteile laut Bericht der Aachener Nachrichten<br />
vom 12. November 2005 auf einem Gelände neben dem Friedhof Lintert vollstreckt wurden.<br />
Ab 1942 war hier ein Lazarett untergebracht, das bei dem großen Bombenangriff vom 11.<br />
April 1944 schwer getroffen wurde. Bis 1954 dauerten die Wiederaufbauarbeiten.<br />
Ab 1954 nutzte das Gebäude des Priesterseminars auch der Diözesancaritasverband, ab 1958<br />
Misereor.<br />
95
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
2.9 Eisenbahnlinie <strong>und</strong> Marschiertorbahnhof<br />
Die Entwicklung der Eisenbahn hat das Reumont-Viertel stärker beeinflusst als man es auf den<br />
ersten Blick annehmen könnte: Die ursprüngliche Eisenbahntrasse hatte kaum Bahnübergänge,<br />
so dass sich die Stadt zunächst nicht nach Süden über das Reumont-Viertel hinaus ausdehnen<br />
konnte, das Bahnbetriebswerk des Hauptbahnhofs, früher der Bahnhof der Bergisch-Märkischen<br />
Eisenbahn, bildet das Bindeglied zwischen dem Reumont-Viertel <strong>und</strong> Burtscheid <strong>und</strong> wegen der<br />
Bahnhofsnähe fanden auch einige Eisenbahner hier ihre Wohnung.<br />
Entwicklung des Eisenbahninfrastruktur<br />
Am 1. April 1838 begann die Rheinische Eisenbahngesellschaft mit dem Bau der Strecke Köln -<br />
Aachen. Der erste Zug rollte offiziell am 1. September 1841 von Köln kommend in Aachen ein.<br />
Der Rheinische Bahnhof (an der Stelle des heutigen Hauptbahnhofs) wurde wenige Tage später<br />
am 6. September in Betrieb genommen. Von hier gab es zunächst nur die Strecke in Richtung<br />
Welkenraedt (Belgien); die Südstraße <strong>und</strong> ihr Umfeld waren von den Bahnlinien noch nicht betroffen.<br />
Der Aufbau des Schienennetzes der Eisenbahn erfolgte damals durch verschiedene Eisenbahngesellschaften.<br />
Nach dem 21. August 1846 beginnt der Bau der Strecke in Richtung Düsseldorf<br />
durch die Bergisch-Märkischen-Eisenbahngesellschaft [22], nach finanziellen Schwierigkeiten<br />
wird der letzte Teilabschnitt der Strecke zwischen Herzogenrath <strong>und</strong> Aachen erst am 17. Januar<br />
1853 in Betrieb genommen.<br />
Ab diesem Zeitpunkt beginnt für das Reumont-Viertel das Eisenbahnzeitalter, allerdings war<br />
dieser Bereich südlich der alten Stadtmauer noch weitgehend unbebaut. Wegen der wenigen<br />
Bahnübergängen wirkte die Bahnlinie mit ihrem Damm wie eine neue Stadtmauer. So sind im<br />
Rappard-Plan von 1860 im Bereich des Reumont-Viertels niveaugleiche Bahnübergänge im Zuge<br />
eines Wegs entlang der Pau (frühere Führung der Mariabrunnstraße) <strong>und</strong> am Marschiersteinweg.<br />
Durchlässe im Bereich des heutigen Tunnels der Mariabrunnstraße <strong>und</strong> westlich der Brücke an<br />
der Mozartstraße lassen Pau <strong>und</strong> Ponelle in die Stadt ein.<br />
Von Seiten der Stadtverwaltung<br />
gab es Eingaben <strong>und</strong> Gutachten. So<br />
wurde von der Stadtverwaltung<br />
1892 eine Verkehrszählung veranlasst<br />
(Akte No. I 5929 vom 12. Juli<br />
1892 - Seite 4 u. 5), deren Ergebnis<br />
beachtliche Zahlen erbrachte: Marschiersteinweg<br />
(später Burtscheider<br />
Straße) 13.858 Personen <strong>und</strong> 697<br />
Fuhrwerke an einem Tag, Mariabrunnstraße<br />
2.421 Personen <strong>und</strong><br />
143 Fuhrwerke. Der Bahnbetrieb<br />
war so stark angewachsen, dass der<br />
Straßenverkehr durch die langen<br />
Schließzeiten der Bahnschranken<br />
stark behindert wurde. Eine Höherlegung<br />
der Bahnanlagen war notwendig,<br />
um den Straßenverkehr<br />
niveaufrei kreuzen zu lassen.<br />
96<br />
Abb. 209: Der niveaugleiche Bahnübergang am Marschiersteinweg (heute Burtscheider<br />
Brücke) des Verbindungsgleises zwischen Rheinischem <strong>und</strong> Marschiertor-Bahnhof, 1884<br />
oder später.
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
In einer Petition der Stadt Aachen an Staatsminister Thielen in Berlin vom 14. Dezember 1893<br />
wurden sechs niveaugleiche Bahnübergänge aufgezählt, die mit Höherlegung der Gleise beseitigt<br />
werden sollten, die Südstraße wird zu diesem Zeitpunkt nicht erwähnt, sie endete noch an der<br />
Reumontstraße, jedoch war eine Zunahme des Verkehrs durch die Südstraße mit der geplanten<br />
Aufschließung des Südviertels zu erwarten.<br />
Oberbürgermeister Pelzer hat am 5. Februar 1896 mit der Königlichen Eisenbahn-Direktion verhandelt<br />
(Niederschrift vom 14. Februar1896) <strong>und</strong> erstmalig die Forderung nach einer Unterführung<br />
Südstraße beim Umbau der Bahnstrecke erhoben. In der Petition vom 14. April 1896 wird<br />
auch die Behinderung der Ausdehnung der Stadt nach Südwesten durch die Bahnanlagen beklagt.<br />
In einem Schriftsatz an Oberbürgermeister Veltman vom 2. Juni 1896 (seit 15. März1896 neu im<br />
Amt) findet sich folgende Formulierung: "Die im Schreiben der Königl. Eisenbahn Direktion zu<br />
Cöln vom 14. Februar dieses Jahres gegebene Erklärung, daß die von der Stadt Aachen aufzuwendenden<br />
Kosten für die Unterführung Südstraße auch bei einer späteren Umgestaltung der<br />
Bahnhofsanlagen nicht vergeblich aufgewendet sein werden <strong>und</strong> daher kein Gr<strong>und</strong> vorliegt, die<br />
Herstellung dieser Unterführung, die später nur möglicherweise zu verlängern sein wird, weiter<br />
hinaus zu schieben, trifft auch gegenwärtig noch zu. Ebenso die ebenda abgegebene Erklärung,<br />
daß bei dem weiteren Umbau der Bahnanlagen - eine entsprechende Betheiligung der Stadt an<br />
den Kosten vorausgesetzt - die Beseitigung aller vorhandenen Planübergänge erfolgen wird."<br />
Am 27. April 1897 kam es zu einem Vertrag zwischen der Stadt Aachen <strong>und</strong> der Königlichen-<br />
Eisenbahndirektion Köln über den Umbau der Aachener Bahnanlagen vom Rheinischen Bahnhof<br />
bis Templerbend. In den folgenden Monaten werden die Planungsparameter für das Brückenbauwerk<br />
festgelegt: Ausführung als Steingewölbe, lichte Höhe 5,00 m über der Mitte der Fahrbahn,<br />
4,40 m über die gesamte 9,00 m breite Fahrbahn, 15,00 m Gesamtbreite des Bauwerks.<br />
Das Stück Südstraße von der Reumontstraße zum Bahndamm wird erstmals im Katasterplan von<br />
1899 als öffentlich genutzt gekennzeichnet. Auch wird erstmalig 1899 im Adressbuch im Anschluss<br />
an die Südstraße die Goethestraße genannt.<br />
1901 begannen die Bauarbeiten zur Höherlegung der Strecke. Die Anhebung des Niveaus erfolgte<br />
auf dem Abschnitt zwischen Schanz <strong>und</strong> Bahnhof Templerbend. Zwischen der Schanz <strong>und</strong><br />
dem Märkischen bzw. Rheinischen Bahnhof wurde das Niveau beibehalten, da hier der Bahndamm<br />
mit einer Höhe von etwa 9,90 m eine ausreichende Höhe hatte, um die Unterführungen<br />
an der Südstraße <strong>und</strong> Mariabrunnstraße zu errichten. Allerdings wurde die Lage des Hauptgleises<br />
verschoben. Die Bauarbeiten erfolgten neben der in Betrieb befindlichen alten Gleisanlage, so<br />
dass der Bahnbetrieb aufrecht erhalten werden konnte.<br />
Die Unterführung Südstraße muss spätestens Anfang Dezember 1905 fertiggestellt worden sein,<br />
da ab 6. Dezember 1905 die Straßenbahnlinie vom Boxgraben bis zur Goethestraße verlängert<br />
wurde. In verschiedenen Quellen (z.B. [24]) wird dagegen 1910 genannt. Wie lässt sich dieser<br />
Widerspruch erklären?<br />
97
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 210: Der Plan zeigt anschaulich die Zeit der Aufgabe der äußeren Stadtmauer. Es gibt erste Planungen zur Erschließung des Vorbereichs der<br />
Stadtmauer. Die Südstraße ist in diesem Plan zum ersten Mal in ihrem späteren Verlauf skizziert (rechts des Kleinen Paunellenturms, in Planrichtung<br />
am unteren Rand). Nach Fertigstellung das Bahnhofs Templerbend im Jahr 1853 plante die Stadt, in Höhe des Ponttors einen neuen Bahnhof<br />
anzulegen, der jedoch nie verwirklicht wurde. Der Plan bezieht sich zwar auf das Jahr 1820, wegen der vorhandenen Trasse nach Düsseldorf <strong>und</strong> der<br />
geplanten Trasse im Bereich Ponttor stammt der Plan eher aus der Zeit nach 1853. Quelle: Dr. Hyskens, Aachener Heimatgeschichte.<br />
98
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Vielleicht bietet folgende Überlegung die Lösung: Die neue Gleistrasse lag parallel zur alten Strecke<br />
auf der stadtabgewandten, südlichen Seite. Nach Fertigstellung der Unterführung für die<br />
neue Trasse wurde an der Südstraße der alte Damm soweit geöffnet, dass die Straßenbahn hindurch<br />
fahren konnte. Danach begann der Umbau der Nordseite, der 1910 fertiggestellt wurde.<br />
Für diese Theorie spricht, dass die durchgehenden Gleise der Strecke Hauptbahnhof - Aachen<br />
West noch heute über die südliche Hälfte der Brücke verlaufen, während zwei Abstell- <strong>und</strong> Rangiergleise<br />
auf der nördlichen Hälfte der Brücke liegen <strong>und</strong> kurz dahinter enden. Diese Gleise<br />
würden dann die Lage der alten Trasse markieren. Die Breite der Unterführung entsprach bereits<br />
dem heutigen Querschnitt.<br />
Meyer beschreibt die Brücke wie folgt [24]:<br />
"Die südliche Wange einschließlich der Flügelmauern<br />
wurde in Bruchstein ausgeführt <strong>und</strong><br />
erhielt eine obere Abdeckung aus Basalt, auf<br />
Konsolsteinen auskragend, mit verziertem<br />
Schmiedeeisengeländer. Die Stabenden der<br />
Geländerstäbe verzierten Rosetten. Die Pfeiler,<br />
der Sockel <strong>und</strong> die Gliederung waren aus Basalt.<br />
Der als Wappen ausgebildete Schlussstein<br />
wurde besonders betont. Die Durchfahrt bekleidet<br />
ein Sockel aus glasierten Ziegeln."<br />
Im Oktober 1907 wurde die Brücke der Weberstraße über die Eisenbahn fertiggestellt.<br />
Bis in die Jahre des 2. Weltkriegs blieb die Situation<br />
unverändert. Bombenangriffe richteten<br />
große Schäden an den Bahnanlagen an. Am<br />
16. Oktober 1944 ist der Ring der amerikanischen<br />
Truppen um Aachen geschlossen.<br />
Sprengkommandos der SS-Abteilung Rinks<br />
sprengen Eisenbahn- <strong>und</strong> Straßenbrücken, unter<br />
anderem Burtscheider Straße (Wiederherstellung<br />
30. April 1953 mit gebrauchten Teilen<br />
einer Kölner Rheinbrücke), Weberstraße (25.<br />
Mai 1957) <strong>und</strong> An der Schanz (14. Januar<br />
1950). Zu diesen Brücken gehörte auch die<br />
Bahnunterführung Südstraße, doch wurde nur<br />
der nördliche Teil der Brücke zerstört. Nach der<br />
Besetzung durch die Amerikaner wurde der<br />
Schutt nur provisorisch an die Straßenränder<br />
geräumt, um die Befahrbarkeit wiederherzustellen.<br />
Der Schutt türmte sich etwa zwei Meter<br />
hoch auf. In das angrenzende Haus konnte<br />
man nur über den Schuttberg hineinklettern,<br />
wobei der Schutt bis in den Hausflur lag. Der<br />
Wiederaufbau des nördlichen Brückenteils erfolgte<br />
1951.<br />
Abb. 211: Ansicht des Brückenbauwerks Südstraße von Norden mit<br />
ausgeprägten Eckpfeilern. [24]<br />
Abb. 212: Lageplan mit dem Zustand vom 1. April 1950 als Gr<strong>und</strong>lage<br />
für den Wiederaufbau der Brücke, oben der gesprengte <strong>und</strong><br />
wiederherzustellende Teil der Brücke. (Quelle: DB Netz)<br />
99
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 213: Die Unterführung Südstraße mit dem im Krieg gesprengten nördlichen Teil des Bauwerks, ohne<br />
Datum, möglicherweise zu Beginn der Arbeiten 1951 (Quelle: DB Netz).<br />
Abb. 214: Blick von Norden auf die fast fertiggestellte Unterführung,<br />
schlichter als in der ursprünglichen Fassung, z.B. ohne Betonung der<br />
Brückenpfeiler. Aufnahme vermutlich Ende 1951. (Quelle: DB Netz)<br />
100<br />
Abb. 215: Blick von Süden auf die Unterführung am 1. August 1951. Im<br />
hinteren Teil des Brückenbauwerks erkennt man die eingebaute<br />
Holzlehre, um den Gewölbebogen zu mauern. Vorne rechts das<br />
Toilettenhäuschen, an der Stelle der heutigen Tankstelle noch<br />
Schrebergärten. (Quelle: DB Netz)<br />
Abb. 216: Brücke Südstraße - Blick von Süden 1986, mit ein paar<br />
kleinen, aber wesentlichen Veränderungen: Rechts vorne steht ein<br />
Toilettenhäuschen, die Straßenbahnanlagen sind abgebaut, die<br />
Eisenbahnstrecke ist elektrifiziert, die Schmuckelemente auf den<br />
äußeren Pfeilern entfernt. [24]
Rheinischer Bahnhof <strong>und</strong> Marschiertorbahnhof<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 217: In der Mitte links das Marschiertor, im Graben nach rechts das Betriebswerk der Rheinischen Eisenbahn, heute Teil des Hauptbahnhofs.<br />
Wegen des Geometers <strong>und</strong> der Bauarbeiter vermutlich zum Zeitpunkt der Verlängerung der Bahnlinie über den Rheinischen Bahnhof hinaus gemalt,<br />
also nach 1846 (oder später nachempf<strong>und</strong>en?). In der Bildmitte der erste Lokschuppen der Rheinischen Eisenbahn: Ein polygonaler Ringlokschuppen<br />
mit 13 Ständen <strong>und</strong> innenliegender Drehscheibe. Bild eines unbekannten Künstlers. (Quelle: Alte Aachener Stadtansichten, Hrsg. Helmut A. Crous)<br />
Abb. 218: Hauptwerkstatt Aachen von 1841, Ausschnitt eines Aquatinta-Blattes von Anton Ditzler. [24]<br />
Abb. 219: Lageplan des Rheinischen Bahnhofs Aachen, um 1843. [24]<br />
Für den Betrieb der Rheinischen Eisenbahn<br />
wurde 1841 in Aachen die Hauptwerkstatt errichtet.<br />
Sie wurde nach 1850 durch Erweiterung<br />
des Bahnnetzes <strong>und</strong> durch Übernahme<br />
anderer Gesellschaften verlegt. Hier waren<br />
Werkstattgebäude, ein R<strong>und</strong>lokomotivschuppen,<br />
ein Wagenschuppen, eine Schiebebühne<br />
<strong>und</strong> eine Drehscheibe vorhanden.<br />
101
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Der Streckenbau durch verschiedene Eisenbahngesellschaften führte dazu, dass zunächst jede<br />
Eisenbahngesellschaft für ihre Strecke eigene Bahnhöfe errichtete. 1851 kam es deshalb zu einem<br />
Rechtsstreit zwischen der Stadt Aachen <strong>und</strong> der Aachen-Düsseldorfer-Eisenbahngesellschaft<br />
wegen des Standorts des Endbahnhofs für die Aachen-Düsseldorfer-Eisenbahn.<br />
Die Stadt Aachen forderte als Endbahnhof den Bahnhof Templerbend in Höhe des Ponttors, die<br />
Bahngesellschaft hingegen bestand auf einem vollwertigen Bahnhof am Marschiertor mit Anschluss<br />
an die Anlagen der Rheinischen Eisenbahn. Daher wurden vorläufig nur provisorische<br />
Gebäude auf dem Templerbend <strong>und</strong> am Marschiertor errichtet.<br />
Erst nachdem die Stadt den Prozess verloren<br />
hatte, konnte die Eisenbahndirektion den Bau<br />
der festen Gebäude in Angriff nehmen. Für<br />
den Bau der Verbindung zwischen dem Marschiertorbahnhof<br />
<strong>und</strong> dem Rheinischen Bahnhof<br />
verschwand der erste Teil des Betriebswerks<br />
der Rheinischen Eisenbahn, unter anderem<br />
der Lokomotivschuppen.<br />
1858 wurde das Empfangsgebäude das Bahnhofs<br />
Marschiertor westlich der heutigen Burtscheider<br />
Brücke fertiggestellt.[22] Das Empfangsgebäude<br />
hatte einen 4 1/2-geschossigen<br />
Mittelrisalit, der die 3 1/2-geschossigen Seitenflügel<br />
<strong>und</strong> die Seitenrisalite überragte. Neben<br />
dem Empfangsgebäude war ein ähnlicher 2geschossiger<br />
Pavillon entstanden. Beide Gebäude<br />
waren durch ein Glasdach, vermutlich<br />
auf Gusssäulenunterstützung, verb<strong>und</strong>en.<br />
Wenn die Strecke nach Belgien nicht vorher<br />
abzweigen würde, hätte das imposante Empfangsgebäude<br />
den späteren Hauptbahnhof<br />
sicher aufnehmen können. Die Bauweise des<br />
Gebäudes erinnert stark an den noch erhaltenen<br />
Bahnhof von Elberfeld.[24]<br />
Abb. 221: Blick von der Burtscheider Brücke auf das Gelände des Marschiertorbahnhofs mit dem imposanten Empfangsgebäude im rechten<br />
Bildhintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Werkstattgebäuden <strong>und</strong> Güteranlagen im Vordergr<strong>und</strong>. Im linken Bildhintergr<strong>und</strong> ist das noch unbebaute, freie Feld des<br />
Südviertels gut zu erkennen, um 1890. (Foto: Stadtarchiv Aachen)<br />
102<br />
Abb. 220: Ausschnitt aus dem Rappard-Plan von 1860 mit dem Marschiertorbahnhof<br />
südwestlich des Marschiersteinwegs (heute Burtscheider<br />
Brücke) <strong>und</strong> dem Rheinischen Bahnhof, heute Hauptbahnhof, nordöstlich<br />
des Marschiersteinwegs.
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Für die Verbindung der beiden Bahnhöfe lief das Gleis direkt am Empfangsgebäude vorbei. Daneben<br />
befanden sich noch drei weitere Gleise. An die Gleise schlossen sich langgestreckte Güterschuppen<br />
aus zweifarbigen Ziegeln an. Diese Schuppen hatten weit auskragende Überdächer auf<br />
den Traufseiten zum geschützten Be- <strong>und</strong> Entladen. Neben der Ladestraße lagen noch drei Freiladegleise<br />
mit Dreibein-Ladekran. Den Anschluss Richtung Burtscheid bildeten die Werkstätten <strong>und</strong><br />
der durch die Dachlaterne deutlich erkennbare Lokomotivschuppen. Die Gleisharfe statt der<br />
Drehscheibenerschließung macht die gegenüber dem Rheinischen Bahnhof modernere Bauweise<br />
deutlich. In der Achse des Empfangsgebäudes erhob sich ein Werkstattbau, vor dem ein Lademaß<br />
aufgestellt war. [24]<br />
Abb. 222: Werkstatt auf dem Marschiertor-Bahnhof, um 1900. [24]<br />
Der Bahnhof diente zunächst auch als Güterbahnhof. Im April 1895 wurde der Moltkebahnhof<br />
fertiggestellt, so dass der Marschiertor-Bahnhof zum reinen Personenbahnhof wurde.<br />
Im Zusammenhang mit der oben dargestellt Höherlegung<br />
der Bahnstrecken wurde gleichzeitig der Plan gefasst,<br />
einen zentralen Hauptbahnhof zu schaffen. 1897<br />
wurde nach langen Verhandlungen der Vertrag geschlossen,<br />
einen neuen Hauptbahnhof an der Stelle des<br />
Rheinischen Bahnhofs zu errichten <strong>und</strong> den Marschiertorbahnhof<br />
aufzugeben. Das alte Gebäude des Rheinischen<br />
Bahnhofs wurde am 18. April 1902 geschlossen<br />
<strong>und</strong> anschließend abgebrochen.<br />
Abb. 224: Bahnbetriebswerk Marschiertor-Bahnhof - Lageplan aus der Planung von<br />
1902. [24]<br />
Abb. 223: Direktionsgebäude der Aachen-Düsseldorfer-Ruhrorter<br />
Eisenbahn am Marschiertor. [24]<br />
Abb. 225: Der Wasserturm des Betriebswerks Marschiertorbahnhof.<br />
[24]<br />
103
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Noch vor dem Umbau der Bahnstrecke wurde auf dem frei gewordenen Gelände des<br />
Marschiertor-Güterbahnhofs das neue Bahnbetriebswerk Marschiertor-Bahnhof für den zukünftigen<br />
Hauptbahnhof angelegt. An der Kamperstraße entstand ein 25-ständiger Ringlokomotivschuppen<br />
mit Drehscheibe, Kohlenbühne <strong>und</strong> Wasserturm. Das Wasser für den Wasserturm<br />
wurde aus Brunnen im Aachener Wald herangeschafft. Eine Reserveleitung zweigte Wasser von<br />
der Pau in Höhe der Weberstraße an. In einer Rohrleitung auf der südlichen Seite des Bahndamms<br />
wurde das Wasser dem Wasserturm zugeführt.<br />
Im 2. Weltkrieg wurde das Betriebswerk stark getroffen. Mit der Aufgabe des Dampflokbetriebs<br />
in den 70er Jahren des vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts wurde es stillgelegt <strong>und</strong> danach abgebrochen.<br />
1905 wurde der neue Hauptbahnhof in Betrieb genommen, gleichzeitig verlor das Empfangsgebäude<br />
des Marschiertorbahnhofs seine Funktion <strong>und</strong> wurde fortan als Verwaltungsgebäude<br />
genutzt. Erst 1944 wurde das Gebäude durch Kriegseinwirkungen zerstört <strong>und</strong> anschließend<br />
abgebrochen. Seit 1963 befand sich hier das Verwaltungsgebäude der DB, das heute von der<br />
Stadt Aachen (Umweltamt) genutzt wird.<br />
Abb. 226: Das frühere Postgebäude an der Burtscheider Brücke. [5]<br />
104<br />
Abb. 227: Blick auf das kriegszerstörte Bahnbetriebswerk Marschiertor-<br />
Bahnhof mit Lokomotivschuppen <strong>und</strong> Wasserturm in Bildmitte. [24]
2.10 Die Bedeutung der Straßennamen<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Die Bedeutung der Straßennamen Mozartstraße <strong>und</strong> Beethovenstraße erklärt sich von selbst. Bei<br />
den Straßennamen Südstraße, Reumontstraße, Mariabrunnstraße <strong>und</strong> Boxgraben gibt es einige<br />
interessante Hintergründe der Namengebung.<br />
Südstraße<br />
Die Südstraße führte nicht immer diesen Namen.<br />
Im Bereich der heutigen Krakaustraße<br />
befand sich in der äußeren Stadtmauer der<br />
Karlsturm (siehe oben). Er gab dem hier nach<br />
Süden bis zur Paunelle verlaufenden Weg den<br />
Namen Karlsgasse. In den Adressbüchern wird<br />
die Straße ab 1868 bis 1880 als "2. Seitenstraße<br />
des Boxgrabens" bezeichnet. Erst etwa 1880<br />
mit der beginnenden Bebauung wurde aus der<br />
Karlsgasse offiziell die Südstraße. Da die Straße<br />
genau nach Süden verläuft, bedarf es keiner<br />
weiteren Erläuterung des Namens.<br />
Reumontstraße<br />
Sie hat ihren Namen von dem Aachener Ehrenbürger<br />
Alfred von Reumont (1808 – 1887), der<br />
sich in Wissenschaft <strong>und</strong> im preußischen<br />
Staatsdienst einen Namen machte. Die Reumontstraße<br />
verbindet die Mariabrunnstraße<br />
mit der Burtscheider Straße.<br />
Im Bebauungsplan von 1878 ist sie – noch ohne<br />
Namen – eingezeichnet. 1883 erhielt sie<br />
ihren heutigen Namen. Damals führte sie vom<br />
Stationsgebäude der Rheinisch-Märkischen<br />
Bahn (das heutige Gelände um das Stellwerk<br />
des Hauptbahnhofes) am Gottfried-Dossing-<br />
Platz vorbei bis zur Mariabrunnstraße.<br />
Abb. 228<br />
Abb. 229<br />
In dem Teil zwischen Burtscheider Straße <strong>und</strong> Südstraße standen auf der südlichen Seite über<br />
lange Zeit nur einige Gebäude der Eisenbahn. Im Krieg wurde da auch ein noch heute erhaltener<br />
Bunker gebaut. Wohl erst in den 1930er Jahren entstanden weiter westlich Wohnhäuser bis zum<br />
Rand des ehemaligen Tennisplatzes. Im Stadtplan von 1925 ist zunächst das so genannte "Marien<br />
Kinderheim" eingezeichnet (Haus Nr. 7 in Höhe Gottfried-Dossing-Platz). Die Häuser des Teils<br />
zwischen Südstraße <strong>und</strong> Mariabrunnstraße stammen wohl aus der Zeit nach 1900, dazu gehört<br />
auch die Schule von 1909, sicher das wichtigste Gebäude in diesem Bereich der Straße.<br />
105
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Das an Alfred von Reumont erinnernde Denkmal<br />
steht nicht in der Reumontstraße, wie man<br />
vermuten sollte, sondern im Grünzug an der<br />
Ludwigsallee.<br />
Mariabrunnstraße<br />
Vorweg zur Erläuterung: Mariaberg bezeichnet<br />
auf dem Gelände des alten Klinikums den Gebäudekomplex<br />
westlich der Schillerstraße -<br />
später Josephinum genannt - der inzwischen<br />
abgebrochen wurde. Mariabrunn ist der heute<br />
noch bestehende Gebäudekomplex an der<br />
Goethestraße.<br />
Im Gebiet der einstigen Aachener Heide lag<br />
unweit der Paunelle, auf seiner östlichen Seite,<br />
ein altes Landgut, "Die Flatt" genannt. 200 m<br />
nördlich befand sich die Schleifmühle. Es war<br />
ein Anwesen mit Äckern, Wiesen <strong>und</strong> zwei Abb. 231<br />
Gärten, 28 Morgen groß. Nach einer Ausführung<br />
von Prof. Dr. Will Hermanns lässt sich dieser Name vom keltischen Wort fladnä für ein Königsgut<br />
ableiten. Um 1865 war das Gut im Besitz der Witwe Michels, der Besitzerin des Gasthofes<br />
"Zum König von Spanien".<br />
Die Alexianerbrüder kauften das Gr<strong>und</strong>stück 1865 für 16.000 Taler, um eine Irrenanstalt zu errichten.<br />
Die ersten Kranken brachten sie in den Gebäuden des Gutes unter. Daraus entstand im<br />
Aachener Wortschatz der Begriff Flatt für Irrenanstalt. Auf dem Gelände wurde eine ergiebige<br />
Quelle freigelegt, als Brunnen gefasst <strong>und</strong> mit einer Muttergottes-Statue geschmückt. So kam es<br />
zum Namen "Mariabrunn" für den Brunnen als auch für den 1868 fertiggestellten Neubau.<br />
106<br />
Abb 230: Das Reumont-Denkmal an der Ludwigsallee
Zum Gut Flatt gelangte man früher nur von<br />
Burtscheid über Krugenofen - Eupener Straße -<br />
Weißhausgasse bis zum Gut Neuenzapp, das<br />
sich etwa 350 m südlich (heute auf der südlichen<br />
Seite der Maria-Theresia-Allee) befand.<br />
Von dort führte eine Gasse zum Gut Flatt hinunter.<br />
Über Jahrzehnte hinweg war das Gut<br />
Neuenzapp eine Ruine, bis im Jahr 2003 auf<br />
dem Gelände Neubauten entstanden.<br />
Um einen direkten Weg aus Aachen zu erhalten,<br />
vereinbarten die Brüder mit den Eigentümern<br />
der Ländereien vom Boxgraben, den Eheleuten<br />
Baumeister Klausener, den Privatweg<br />
vom Boxgraben (also vom Rostor) am Paubach<br />
entlang bis zur "Gebrannten Mühle" (nahe dem<br />
heutigen Barbarossaplatz) für ewige Zeiten<br />
benutzen zu dürfen. Von der "Gebrannten<br />
Mühle" bis zum Gut Flatt legten die Brüder<br />
einen fünf Meter breiten Weg auf eigene Kosten<br />
an (heute Schillerstraße zwischen Barbarossaplatz<br />
<strong>und</strong> Goethestraße). Als Gegenleistung<br />
für die oben genannte Wegenutzung<br />
mussten die Brüder anstelle der Notkapelle<br />
eine geräumige Kapelle errichten <strong>und</strong> dort<br />
Messen abhalten.<br />
Den ersten Teil dieser Verbindung zwischen Rostor <strong>und</strong> Barbarossaplatz<br />
bildet in etwas anderer Lage die 1878 angelegte<br />
Mariabrunnstraße (deshalb der Name!). Mit Verfestigung<br />
der neuen Erschließung des Südstraßen-Viertels wurde<br />
1900 diese Bezeichnung für den durchgehenden Straßenzug<br />
unter Einbeziehung eines Teils der Reumontstraße<br />
übernommen. Zu dieser Zeit hatte der Abschnitt der Mariabrunnstraße<br />
zum Boxgraben im Volksm<strong>und</strong> den Spitznamen<br />
"Kammesoelsjaaß", zu deutsch Jackengasse. Ob dies<br />
mit der früher dort ansässigen Tuchfabrik Nickel & Müller<br />
zusammenhängt, ist nicht geklärt.<br />
Die Gebäude des alten Landgutes Flatt standen bis etwa<br />
1905. Sie wurden abgetragen, als 1905 bis 1914 auf dem<br />
erweiterten Gelände das Städtische Krankenhaus entstand.<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 232: Unterhalb der Bildmitte der Gebäudekomplex "Mariabrunn",<br />
rechts davon das Gut Flatt, rechts unten das Gut Neuenzapp.<br />
Abb. 233: Kapelle Mariabrunn 2001, heute von<br />
Missio genutzt.<br />
107
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Boxgraben<br />
Für die Namensgebung des Boxgrabens gibt es verschiedene Erklärungen:<br />
Möglicherweise ist er hervorgegangen aus einer seit langem überlieferten Bezeichnung "an<br />
Bocksgraff", was sich auf eine hier irgendwo ansässig gewesene begüterte Patrizierfamilie Buck<br />
bezieht.<br />
Eine andere Erklärung leitet sich daraus ab, dass der Graben "Busen-" oder "Bosengraben" genannt<br />
wurde (Busen = Binsen).<br />
108
3. DIE HISTORIE DER EINZELNEN GEBÄUDE<br />
3.1 Übersicht<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Die Südstraße hat 57 Gebäude (nach Hausnummern), davon sind 31 reine Wohngebäude, 26<br />
verfügen über Ladenlokale oder Gaststätten <strong>und</strong> eines (Nr. 37) hat im Hof Gewerberäume. 25<br />
Gebäude haben ungerade Hausnummern, 32 gerade. Dazu kommen, oben nicht eingerechnet,<br />
der Bunker (Nr. 30) <strong>und</strong> die ehemaligen Fabrik, später Fachhochschule (Nr. 40).<br />
Ab 1872 gibt es in den Adressbüchern den Boxgraben mit einer "ersten Seitenstraße" (wahrscheinlich<br />
die spätere Mozartstraße) <strong>und</strong> eine "zweite Seitenstraße" (später Südstraße) mit den<br />
Eintragungen:<br />
links - "noch nicht angebaut", rechts:<br />
1. Haus später Nr. 6 Neubau<br />
2. Haus später Nr. 8 Palm, Restauration <strong>und</strong> zwei Mieter<br />
3. Haus später Nr. 10 Herwartz, H.N., Dr.med. pract. Arzt<br />
4. Haus später Nr. 12 Bernard‘sche Reitbahn<br />
Bernard, Alex, Reitlehrer<br />
Terkatz, Aug., Pferdehändler<br />
<strong>und</strong> ein weiterer Mieter<br />
5. Haus später Nr. 14 vier Mieter <strong>und</strong> Möltgen, A., Handschuh-, Jacken- <strong>und</strong> Joppenfabrik<br />
(oder die Wohnung von A. Möltgen?)<br />
o. Nr. freier Platz<br />
o. Nr. Franckenhoff, Friedr., Tuch- <strong>und</strong> Buckskin-Fabrik<br />
Auch 1874 ist auf der linken Seite noch kein Haus gebaut <strong>und</strong> zum 1. Haus rechts (die spätere<br />
Nr. 6) ist nun als Eigentümer eingetragen: Mengelbier, E., Tuchfabrik(ant oder Wohnung?). In<br />
diesem Adressbuch ist im Namensregister verzeichnet: Franckenhoff, Friedr., Fabrik Boxgraben,<br />
Ende der zweiten Seitenstraße, Privatwohnung Boxgraben 63.<br />
1875 steht noch immer die Bezeichnung "zweite Seitenstraße", deren linke Seite noch unbebaut<br />
ist. Rechts beginnen die Eintragungen (hier nur verkürzt) nun mit Hausnummern:<br />
Nr. 4 mit zwei Mietern<br />
Nr. 6 Mengelbier<br />
Nr. 8 mit zwei Mietern<br />
Nr. 10 Dr. Herwartz<br />
Nr. 12 Bernard’sche Reitbahn<br />
Nr. 14 mit vier Mietern <strong>und</strong> Möltgen (Fabrik oder Wohnung?)<br />
Nr. 16 Küpper, Theod., Fabrikdirektor<br />
Vonachten, Hermann, Commis<br />
Fabriklokal von H.O. Werner (Spinnerei), in diesem Jahr hat vermutlich ein Besitzerwechsel<br />
stattgef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> aus der Tuchfabrik ist eine Spinnerei geworden.<br />
Im Adressbuch von 1881 wird die Südstraße mit ihrem Namen aufgeführt <strong>und</strong> folgende Hauseigentümer<br />
<strong>und</strong> Mieterzahlen genannt:<br />
Nr. 2 Reisdorff (Boxgraben) 3 Mieter<br />
Nr. 4 de Villeneuve (Rentner) 2 Mieter<br />
Nr. 6 Thyssen & Cie. Mülheim/Ruhr 2 Mieter<br />
Nr. 8 Palm 2 Mieter<br />
Nr. 10 Dr. Herwartz (pract. Arzt) ohne Mieter<br />
Nr. 12 Reisdorff (Boxgraben) 2 Mieter (Bernard <strong>und</strong> Terkatz)<br />
109
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Nr. 14 Esser (Rentner) 1 Mieter (Schluszat, Stallknecht)<br />
Nr. 16 Küpper (Kaufmann) 2 Mieter<br />
o. Nr. Werner, Streichgarnspinnerei<br />
Im Jahr 1895 sind im Adressbuch die ersten Häuser auf der linken Seite verzeichnet:<br />
Nr. 1 Jolie (Burtscheid) 6 Mieter<br />
Nr. 3 Toussaint 6 Mieter<br />
Nr. 5 Clemens (Neubau)<br />
Nr. 7 Closset (Neubau)<br />
Nr. 53 Hugo Heusch (Harscampstraße 7)<br />
In den folgenden Jahren wurde auf der rechten Seite als erstes die Häuser Nr. 2 <strong>und</strong> 4, die bereits<br />
1875 bzw. 1881 entstanden, dann das Haus Nr. 2a des Eigentümers Pauque mit vier Mietparteien,<br />
sowie später im oberen Teil der Südstraße die Häuser Nr. 58 <strong>und</strong> 60 errichtet. Die linke Seite<br />
wurde anschließend zügig ausgebaut. 1901 verzeichnet das Adressbuch den Beginn der Neubauten<br />
des Eigentümers Schauff mit den Hausnummern 48, 50 <strong>und</strong> 52, auch 54 <strong>und</strong> 56 werden als<br />
Bauplätze aufgeführt. Nr. 52 wurde 1902, Nr. 48 <strong>und</strong> 50 wurden 1903 fertiggestellt <strong>und</strong> bezogen.<br />
Laut Adressbuch von 1912 gab es auf der rechten Seite Häuser bis zur Nr. 16. In diesem Adressbuch<br />
sind die Gr<strong>und</strong>stücke der Hausnummern 20-38 als Bauplätze ausgewiesen, dann kam der<br />
Zugang zur oben genannten Spinnerei, <strong>und</strong> die Nummern 42-46 galten auch noch als Bauplätze.<br />
Die Häuser Nr. 48-52 standen bereits.<br />
Die Häuserfronten - meist die in Aachen typischen Dreifenster-Häuser <strong>und</strong> alle mit annähernd<br />
gleicher Traufenhöhe - sind typisch für die Gründerzeit, weshalb die verbliebenen Gebäude heute<br />
unter Denkmalschutz stehen. Es gab außer dem Wechsel von Ziegel-, Naturstein- <strong>und</strong> Putzflächen<br />
mit Stuck keine Farbe. Diese Dreifenster-Häuser wurden im Anfang, so in den 1870er Jahren,<br />
noch für einen Nutzer gebaut: das Erdgeschoss im Hauptgebäude <strong>und</strong> im Anbau für eine<br />
berufliche Nutzung (z.B. Büro oder Geschäftsräume), darüber im 1. Stock die Wohnräume, im 2.<br />
Stock die Schlafräume, der Anbau mit Küche <strong>und</strong> darüber Stuben für das Personal. Erst später<br />
wurden Dreifenster-Häuser mit abgeschlossenen Etagen als Mietwohnungen gebaut.<br />
Im Adressbuch von 1914 sind als Eigentümer <strong>und</strong> Baujahre bezeichnet:<br />
Nr. 42 Thomas, Wilhelm, ohne Gewerbe (das Haus erbaut 1914/15)<br />
Nr. 44 Thomas, Karl, Schneidermeister (das Haus erbaut 1913/14)<br />
Nr. 46 Hirtz, Hubert, Schneidermeister (bezogen Ende 1912)<br />
Die gegenüberliegende Straßenseite (mit den ungeraden Nummern) war 1912 schon durchgehend<br />
bis zur Ecke Reumontstraße bebaut.<br />
Nach dem Adressbuch von 1920 sind alle Gr<strong>und</strong>stücke bebaut. Nur die Gr<strong>und</strong>stücke der Nummern<br />
20-38 sind nach wie vor als unbebaut genannt.<br />
Die bauliche Entwicklung der Südstraße lässt sich somit in vier Phasen gliedern:<br />
1. Phase Die ersten Gebäude wurden 1880 oder früher errichtet (2, 4, 6, 8, 10, 12, 14, 16).<br />
Es sind die Gebäude vom Boxgraben ausgehend auf der westlichen Straßenseite.<br />
110
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
2. Phase An diese Phase schließt sich die für die Südstraße bestimmende Bauperiode von<br />
1894 bis 1910 an. Bis auf die Jahre zwischen 1903 <strong>und</strong> 1907 wurde in der Südstraße<br />
mehr oder weniger kontinuierlich gebaut. Diesen Zeitraum kann man deshalb<br />
noch einmal unterteilen in eine frühe (1894-1903) <strong>und</strong> eine späte "Boom-Phase"<br />
(1907-1910):<br />
" frühe Phase (1, 3, 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 21, 23, 25, 27, 29, 31, 33, 35,<br />
37, 39, 41, 53, 55, 2a, 48, 50, 52, 58, 60, 62, 64), fast die gesamte Ostseite<br />
<strong>und</strong> der obere Teil der Westseite.<br />
" späte Phase (45, 47, 49, 57, 18, 68, 70), überwiegend Gebäude am Kopf der<br />
"oberen" Südstraße.<br />
Zu diesem Zeitpunkt war die östliche Straßenseite bis auf den südlichen Kopf weitgehend<br />
bebaut. Auf der westlichen Straßenseite gab es einen vollständig bebauten<br />
Abschnitt am nördlichen Kopf, erste Gebäude mit Baulücken am südlichen Kopf <strong>und</strong><br />
eine großen Baulücke im mittleren Abschnitt der Straße.<br />
3. Phase Bauliche Ergänzungen im Vorfeld des Ersten Weltkriegs von 1912 bis 1914 (43, 59,<br />
42, 44, 46, 54, 56) als Schließung der verbliebenen Baulücken überwiegend auf der<br />
Westseite der oberen Südstraße.<br />
4. Phase Schließung der Baulücke gegenüber der Beethovenstraße 1952/53(20, 22, 24, 26,<br />
28, 32, 34, 36, 38).<br />
Die Südstraße wurde nicht, wie viele andere Viertel der Gründerzeit, durch Baukonsortien, große<br />
Bauunternehmungen oder von "Großgr<strong>und</strong>besitzern" bebaut. Es war <strong>und</strong> ist eine vielfältige,<br />
bürgerliche Eigentümerstruktur, die die Südstraße bis heute auszeichnet. Nur vier Eigentümer<br />
haben mehr als zwei Gebäude in der Südstraße errichtet:<br />
# Kalde (20, 22, 24, 26, 28,32, 34, 36, 38, 42), die Ziegelbauten gegenüber der Beethovenstraße,<br />
# Jolie (1, 7, 9, 11, 21, 27, 31) auf der unteren <strong>und</strong> mittleren Ostseite der Südstraße,<br />
# Benoit (37, 39, 41) im Zusammenhang mit der Fabrik in Haus Nr. 37,<br />
# Schauff (48, 50, 52) in der oberen westlichen Südstraße.<br />
Im Zweiten Weltkrieg fielen mit den vier Eckhäusern der Südstraße zum Boxgraben <strong>und</strong> zur Reumontstraße<br />
in der Südstraße insgesamt 23 Häuser den Bomben zum Opfer. Der Wiederaufbau<br />
erfolgte bei fast allen Häusern in den 50er Jahren. Nur die beiden Gr<strong>und</strong>stücke Nr. 60 <strong>und</strong> 62<br />
wurden erst viel später in den Jahren 1968 <strong>und</strong> 1970 wieder errichtet.<br />
Die Kriegszerstörungen haben die Südstraße viel von ihrer gründerzeitlichen Substanz gekostet.<br />
Doch auch vermeintliche Modernisierungsmaßnahmen in den 60er <strong>und</strong> 70er Jahren haben mancher<br />
historischen Fassade das Leben genommen. 1983 wurde das noch erhaltene Erbe der Gründerzeit<br />
unter Denkmalschutz gestellt. 21 Gebäude stehen seitdem unter Denkmalschutz, es sind<br />
die Haus-Nummern 2a, 2, 4, 5, 11, 13, 15, 17, 27, 29, 31, 39, 43, 44, 46, 47, 48, 49, 50, 52 <strong>und</strong><br />
54. Insbesondere im Bereich der Haus-Nummern 2a bis 17 kann das Straßenbild der frühen Bauphase<br />
<strong>und</strong> von Haus-Nr. 39 bis 54 der späteren Bauphase noch ein wenig nachempf<strong>und</strong>en werden.<br />
111
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 234: Karte mit den Kriegszerstörungen in Aachen (Quelle: Privatbesitz, Ursprung unbekannt)<br />
Der Kartenausschnitt für das Südstraßen-Viertel zeigt folgende Zerstörungsgrade:<br />
# hellgrün (Darstellung etwas fleckig bzw. gelb mit grüner Umrandung) 0 - 25 %,<br />
# blau 25 - 40 %,<br />
# gelb 40 - 60 %,<br />
# rot 60 - 100 %.<br />
Nachfolgend eine Zusammenstellung der wichtigsten Gebäudedaten, die überwiegend den<br />
Adressbüchern entnommen wurden. Das Baujahr bezeichnet teilweise auch das Jahr des Erstbezuges,<br />
bei Zerstörung im Zweiten Weltkrieg das Jahr des Wiederaufbaus:<br />
112
Haus-<br />
Nr.<br />
Baujahr/<br />
Wiederaufbau<br />
Denkmalschutz<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
Bauherr Nutzung<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
1 1894/95 / 1956 Jolie / Fernschild Laden, Gaststätte (nach Wiederaufbau),<br />
Wohnen<br />
3 1894/95 / 1959 Toussaint / Schaberger Laden, Wohnen<br />
5 1896/97 D Clemens Laden, Wohnen<br />
7 1896/97 Jolie Wohnen<br />
9 1896/97 Jolie Laden, Wohnen<br />
11 1896/97 D Jolie Wohnen<br />
13 1896/97 D Corr Laden, Wohnen<br />
15 1898/99 D Palm Wohnen<br />
17 1898/99 D Rombach Wohnen<br />
19 1898/99 Gebr. Fassin Wohnen, zeitw. Arztpraxis<br />
21 1898/99 / 1954 Jolie / Giesbertz Wohnen, Laden (nach Wiederaufbau)<br />
23 1898/99 / 1954 Schönfeld /Giesbertz Laden, Wohnen<br />
25 1900 / 1957 Latten / Dautzenberg Gaststätte, Wohnen<br />
27 1900 D Jolie zwei Läden, Wohnen<br />
29 1900 D Gebr. Fassin Wohnen<br />
31 1900 D Jolie Wohnen<br />
33 1898/99 / 1957 Willems / v. Schwartzenberg Wohnen<br />
35 1898/99 / 1957 Stein / v. Schwarzenberg Wohnen<br />
37 1899 Benoit Wohnen, Fabrik, Lager<br />
39 1899 D Benoit Wohnen<br />
41 1898/99 Benoit Wohnen, später Laden<br />
43 1914 D Windorps Wohnen<br />
45 1907/08 Contzen Laden, Wohnen<br />
47 1907/08 D Lanser 2 Läden, Wohnen<br />
49 1907/08 D Lanser Laden, Wohnen<br />
51 Haus-Nr. nicht vergeben<br />
53 1894/95 / 1953 Heusch / Bauer Laden, Wohnen<br />
55 1896/97 / 1953 Stein / Bauer Wohnen<br />
57 1905/06 / 1957 Krumbach / Beeck Wohnen<br />
59 >1914 -
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Haus-<br />
Nr.<br />
114<br />
Baujahr/<br />
Wiederaufbau<br />
Denkmalschutz<br />
Bauherr Nutzung<br />
2a 1896/97 D Pauque Laden, Wohnen<br />
2 1876 D Reisdorff? Wohnen<br />
4
Haus-<br />
Nr.<br />
Baujahr/<br />
Wiederaufbau<br />
Denkmalschutz<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
Bauherr Nutzung<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
58 1898/99 /1958 Corr / Breier Wohnen, nach Wiederaufbau Laden/Büro<br />
60 1898/99 / 1968 Corr / Lennartz Laden, Wohnen<br />
62 1900 / 1970 Pohl / Kallas Wohnen, nach Wiederaufbau Laden<br />
64 1901 / 1954 Lenz / unbekannt Laden<br />
66 Haus-Nr. nicht vergeben<br />
68 1905/06 unbekannt, ab 1908 Eigentümer<br />
Weinand<br />
Wohnen<br />
70 1907/08 Weinand Laden/Gaststätte, Wohnen<br />
Fotos 235-242, folgende Seite: Die Südstraße im Jahr 2002.<br />
115
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
116
3.2 Ungerade Hausnummern<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Nr. 1<br />
Erbaut 1894 oder 1895, Eigentümer Ludwig Jolie, Burtscheid.<br />
In den ersten Jahren nach der Errichtung sind unter den<br />
Bewohnern bis 1901 genannt: Müller (Kaufmann), Wöllgens<br />
(Kleinhändler), Franz Graff (Schreiner), aber es ist nicht sicher,<br />
wer hier ein Geschäft führte. Erst als 1901/02 Johann Fernschild<br />
das Haus kaufte, gab es auch seine "Colonialwaren-<br />
Handlung". Schon vorher wohnte ein Massonet (ohne Gewerbe)<br />
im Haus, der ab 1903 einen Schuhwarenhandel betrieb<br />
(hier?). Anstelle von Herrn Müller taucht 1908 für wenige Jahre<br />
ein Kaspar Vilvoye, Kaufmann, auf. 1910 scheint er schon gestorben<br />
zu sein, es ist nur noch seine Witwe verzeichnet. 1913<br />
gibt es keinen dieser oben genannten Namen <strong>und</strong> Bezeichnungen<br />
mehr, nur Herr Fernschild verkaufte Kolonialwaren. Daraus<br />
wurde 1922 ein Delikatessengeschäft, 1924 eine Feinkosthandlung<br />
<strong>und</strong> ab 1926 Gemüsehandlung. Erst kurz vor der Zerstörung<br />
wurde 1942 eine Obst- <strong>und</strong> Gemüsehandlung daraus. Im<br />
Krieg völlig ausgebrannt.<br />
1956 errichteten R. Fernschild <strong>und</strong> Miteigentümer den Abb. 243: Südstraße 1, 2002<br />
Neubau mit einem Eck-Ladenlokal (mit einer Wendeltreppe<br />
nach oben) <strong>und</strong> nebenan einem zweiten Laden. Es begann mit der Kunststube von Herrn Fernschild,<br />
dem Tabakwarengeschäft von Jentges-Fernschild <strong>und</strong> es wird der Gastwirt F. Wolf genannt<br />
(Karolusstuben?). 1959/60 gibt es auch noch den Eintrag "Blumen Flora" von E. Taschen,<br />
ab 1966/67 bis Anfang der 70er Jahre von E. Schmidt. 1961/62 wird die Gaststätte von Frau G.<br />
Lindau geführt, es folgte danach Frau Mruck. Es ist nicht sicher, ab wann die Gaststätte den<br />
Namen "Karolusstuben" trägt. Ende Juni 2006 gaben die "Karolusstuben" auf, seitdem mit einer<br />
kurzen Zwischennutzung Leerstand. Etwa ab 1966 gab es an der Ecke die Drogerie O. Pützer, etwa<br />
1975 übernahm sie Karl Havermann (bis 1988). Nach längerer Pause gab es einen Eissalon,<br />
dem nach einer weiteren Pause ein Öko-Laden folgte. Seit 1999 hat sich der Second-Hand-Laden<br />
von Tamara Claessen etabliert. Etwa 1972/73 ging der Besitz des Hauses von der Erbengemeinschaft<br />
Fernschild auf Frederic Haas über.<br />
Nr. 3<br />
Seit dem Bau des Hauses 1894/95 durch den Schreinermeister<br />
Toussaint <strong>und</strong> auch nach seinem Verkauf 1897 an den<br />
Kaufmann H. Kranzhoff gab es keinen Eintrag, der auf ein Geschäft<br />
schließen lässt. 1906 ist ein Installationsgeschäft Büschgens<br />
erwähnt, 1908 eine Schweinemetzgerei Hansen, die 1910<br />
für ein paar Jahre Josef Dilschneider führte. 1913 eröffnete Alfons<br />
Noben ein Eier- <strong>und</strong> Käsegeschäft, 1924 wurde daraus<br />
eine Milchhandlung, die ab 1934 bis zur Zerstörung von Herrn<br />
Noben als Milchproduktehandlung geführt wurde. 1920 nennt<br />
das Adressbuch Peter Schaberger (Gemüsehändler) als Besitzer.<br />
Und 1936 muss wohl im hinteren Teil des Hauses J. Eßlinger<br />
eine Weingroßhandlung eröffnet haben, die ab 1940 nur noch<br />
Weinhandlung genannt wird.<br />
Nach starken Beschädigungen des Hauses im Krieg betrieb<br />
1953/54 im wieder etwas hergerichteten Erdgeschoss W.<br />
Noben den Verkauf von Lebensmitteln. Der Wiederaufbau des<br />
Hauses erfolgte 1959 durch J. Schaberger <strong>und</strong> Miteigentümer,<br />
weiter mit dem Geschäft von Herrn Noben (ab 1966/67 für<br />
Molkereiprodukte) bis 1969. Dann richtete sich ein griechisches<br />
Abb. 244: Südstraße 3, 2002<br />
117
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Ehepaar eine Wäscherei mit Heißmangel ein, die 1978 Frau Trillen übernahm, <strong>und</strong> die noch heute<br />
zusätzlich mit einer Annahmestelle in anderer Regie weiter existiert. Seit Anfang der 70er Jahre<br />
gehört das Haus Anna-Maria Förster <strong>und</strong> Miteigentümern.<br />
Nr. 5<br />
1896/97 vom Maler<br />
<strong>und</strong> Anstreichermeister Clemens<br />
erbaut, gibt es keinen<br />
Hinweis auf einen Laden, ein<br />
Handwerker seines Berufs<br />
wird damals kein Geschäftslokal<br />
unterhalten haben.<br />
1899 heißt der Eigentümer<br />
Clemens jr. mit der gleichen<br />
Berufsbezeichnung. Ab 1902<br />
gibt es unter den Bewohnern<br />
für ein paar Jahre einen Laurency,<br />
Wollhandlung (im<br />
Haus?). 1912 heißt der Eigentümer<br />
Heinrich Wilhelmy<br />
<strong>und</strong> für zwei Jahre unterhält<br />
hier Frau Degueldre ein Zigarrengeschäft.<br />
Das Geschäft<br />
verlegte sie später in das Eckhaus<br />
Reumontstraße 36.<br />
1914 lesen wir von einem Polsterer <strong>und</strong> Dekorationsmeister Karl Frantzen (hier im Ladenlokal?).<br />
1920 gab es wieder ein Zigarrengeschäft von Engelbert Rödiger (bis 1936), ihm gehörte inzwischen<br />
das Haus. 1938 hat Helene Paque das Haus gekauft <strong>und</strong> das Zigarrengeschäft an J. Beiß<br />
vermietet (nach Kriegsende in Nr. 49). Bald nach 1945 gab es bis 1956/57 den Gemüse-handel<br />
Paul Jansen bis etwa 1962, dann bot Frau A. Reimer dort Strickwaren an. Nach einiger Zeit gab<br />
es Imbiss-Lokale, ab 1980 den "Südgrill" <strong>und</strong> danach etliche Jahre das "Botan-Grillhaus", das<br />
Anfang 2009 aufgab. Das Ladenlokal wurde anschließend zu einer Wohnung umgebaut. Helene<br />
Paque besaß das Haus bis Anfang der 70er Jahre, dann erbte ihre Nichte Auguste Wertz, Ehefrau<br />
des Schusters Mathias Wertz, der seit 1959/60 im Haus wohnte, das Haus.<br />
Im Krieg nahm die Hausfront nur geringen Schaden. Das Gebäude steht seit dem 14. Juni<br />
1983 unter Denkmalschutz: "4-geschossig in 3 Achsen, Klinker-Putz-Fassade, weiß geschlämmt,<br />
mit Neurenaissance-Schmuckformen, im 1. Obergeschoss Mittelbalkon mit erneuerter Brüstung,<br />
Erdgeschoss durch Ladeneinbau teilweise umgestaltet."<br />
118<br />
Abb. 245: Südstraße 5, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
Abb. 246: Südstraße 5, 2002
Nr. 7<br />
Im Jahr 1896/97 auch von Herrn Jolie als Wohnhaus gebaut,<br />
1903 wurde es von Johann Creutz, einem Bäckermeister<br />
aus der Jakobstraße 90, gekauft, in dessen Besitz bzw. im Besitz<br />
seiner Erben es bis 1942 blieb.<br />
In der Folgezeit wechseln Bierfert <strong>und</strong> Creutz als Namen<br />
der Eigentümer, wobei es zuletzt zwei ältere Schwestern<br />
Creutz waren. In den 50er Jahren wuchs Peter Offermanns,<br />
später der Kommandant der Prinzengarde, hier auf. Er wohnte<br />
bis 1976 im Haus.<br />
Der gründerzeitliche Schmuck besteht nur noch im Bereich<br />
des Erdgeschosses.<br />
Nr. 9<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 247: Südstraße 7, 2002<br />
Auch dieses Haus ließ Herr Jolie 1896/97 wohl als Wohnhaus<br />
bauen. Unter den Mietern lassen sich immer wieder<br />
Handwerker finden (Blumenbinder, Schuhmacher, Schneider<br />
usw.), aber von einem Geschäft ist keine Rede. Ab 1903 heißt<br />
der Besitzer Johann Sacré <strong>und</strong> ab 1906 Josef Grimbach, ab<br />
1938 seine Witwe. Das Haus wurde am 11. April 1944 bei einem<br />
Fliegerangriff vollständig zerstört. Nur zwei Bewohner<br />
haben überlebt.<br />
Nach dem Krieg wurde es in schlichter Bauweise wieder<br />
aufgebaut. Ab 1953/54 ist Gerhard Grimbach Eigentümer. Ab<br />
diesem Zeitpunkt war das Elektrogeschäft Zimmermann o.H.G.<br />
der erste Laden, 1975 (bis 1977) von Fa. Berners weitergeführt.<br />
1983 ist eine Immobilienfirma als Eigentümer eingetragen. In<br />
den Räumen befand sich dann bis 1985 eine Filiale der Central-<br />
Krankenversicherung. Nach einer längeren Pause versuchte sich<br />
1991 eine Fa. INTAKT mit dem Verkauf von Musikinstrumenten,<br />
auch ein Reisebüro (Karibik) probierte es. Seit 1996 bietet<br />
Tina Töller ihre Schmuckwaren an. Abb. 248: Südstraße 9, 2002<br />
Abb. 249: Südstraße 9, "Sonne für alle - jetzt",<br />
1997 (Foto: Dreßen-Schümmer).<br />
119
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Nr. 11<br />
Ein weiteres Gebäude<br />
von Herrn Jolie, erbaut<br />
1896/97. Wohl keiner der<br />
Mieter mit einem Handwerksberuf<br />
(ähnlich wie bei Nr. 9)<br />
hatte hier seinen Laden. Auch<br />
dieses Haus ging 1903 auf<br />
Herrn Sacré über <strong>und</strong> 1906<br />
an Jean Bollmann. 1934 erwarb<br />
es O. Schiff. Doch nur<br />
für kurze Zeit, denn 1936<br />
heißt der Besitzer Marcel<br />
Cremer-Chapé.<br />
Nach dem Krieg wohnte<br />
Josef Mohr hier. Als Kommandant<br />
der Öcher Penn<br />
wurde er mit allem Pomp von<br />
der kompletten Mannschaft<br />
<strong>und</strong> dem Musikzug zum<br />
Kommandantenfrühstück <strong>und</strong> zum Rosenmontagszug abgeholt. Weil man sich im Haus über den<br />
schlechten Zustand der Fassade schämte, wurde sie mit Unmengen von Luftschlangen behängt.<br />
Ab 1955/56 ist die Witwe von Marcel Cremer-Chape Eigentümerin. 1970 heißt der neue Eigentümer<br />
Hubert Meyers, seit 1975 Kaspar Rick.<br />
Das Haus steht seit 24. Mai 1983 unter Denkmalschutz: "4-geschossig in 3 Achsen, Fassade<br />
verputzt mit Neurenaissance-Schmuckformen, Erdgeschoss verändert."<br />
Nr. 13<br />
Ein weiteres Haus aus<br />
dem Jahr 1896/97, von Maurermeister<br />
Heinrich Corr erbaut.<br />
Außer einem Schreinermeister<br />
(Gommel) ist kein<br />
Mieter für die Nutzung eines<br />
Geschäfts zu erkennen. 1903<br />
kauft es Leonhard Wöllgens,<br />
er ist Kleinhändler. Ab 1908<br />
betreibt er hier eine Kolonialwarenhandlung.<br />
Ab 1914 ist<br />
außerdem als Mieter verzeichnet:<br />
Wilhelm Wöllgens, Vergolder.<br />
1934 wird Leonhard<br />
Wöllgens nur noch Hausbesitzer<br />
(ohne Gewerbe) genannt<br />
<strong>und</strong> Wilhelm Wöllgens ist Bilderrahmer.<br />
Das blieb so bis 1955/56, da hieß der Eigentümer H.W. Wöllgens <strong>und</strong> Miteigentümer <strong>und</strong><br />
Wilhelm Wöllgens rahmte weiter Bilder. Alle kannten ihn in seiner lustigen Art als ein Original.<br />
Aus Altersgründen gab er 1997 auf. Als Hausbesitzerin ist seit 1959/60 Freya van Deel eingetragen.<br />
Seit 1998 befand sich hier der Frisiersalon "Ex=Akt", der Ende 2006 schloss <strong>und</strong> zum Theaterplatz<br />
umzog. Seitdem Leerstand.<br />
Das Haus steht seit 19. Mai 1983 unter Denkmalschutz: "4-geschossig in 3 Achsen, Fassade<br />
verputzt mit Neurenaissance-Schmuckformen, Mittelbalkon im 1. Obergeschoss entfernt, Erd-<br />
120<br />
Abb. 250: Südstraße 11, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege) Abb. 251: Südstraße 11, 2002<br />
Abb. 252: Südstraße 13, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege) Abb. 253: Südstraße 13, 2002
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
geschoss verändert." Der schöne alte Zustand der Fassade erhielt Ende der 1990er Jahre einen<br />
Anstrich z.T. in starken blauen Tönen.<br />
Nr. 15<br />
Das Wohnhaus wurde 1898/99 gebaut, Bauherr war Herr<br />
Palm, siehe auch Beschreibung des nächsten Hauses. Bezeichnend<br />
für die damaligen Berufe hier die Mieter der ersten Jahre:<br />
Zugrevisor, Postsekretair, Postillon, Schneider <strong>und</strong> auch ein<br />
Schutzmann. Im übernächsten Jahr gehörte das Haus jemandem<br />
namens Lentz, 1902 verwaltete es das Königliche Amtsgericht<br />
Aachen. 1903 erwarb es für die nächsten Jahre ein Herr<br />
Theißen <strong>und</strong> ab 1908 Alfons Kessel, der im Haus Nr. 21 wohnte<br />
(schon seit 1903 auch in seinem Besitz), wahrscheinlich bis<br />
1928. Danach besaß es für einige Jahre der Anstreicher Savelsberg<br />
<strong>und</strong> ab 1934 J.F. Beuven.<br />
Nach dem Krieg (1951) ist Frau J.F. Benoit als Eigentümer<br />
eingetragen, danach folgte ab 1966 Josefine Benoit.<br />
Leider verlor die sonst gut verhaltene Front den hübschen<br />
Balkon der ersten Etage <strong>und</strong> die Einfassung der Balkontür.<br />
Das Haus steht seit 16. Juni 1983 unter Denkmalschutz: "4geschossig<br />
in 3 Achsen, Fassade verputzt, neubarocke<br />
Schmuckformen, Mittelbalkon im 1. Obergeschoss mit erneuerter<br />
Balkonbrüstung."<br />
Nr. 17<br />
Dieses Wohnhaus wurde<br />
gleichzeitig mit Nr. 15 als<br />
"Zwilling" erbaut, der Bauherr<br />
hieß Rombach, von Beruf<br />
Pliestermeister. Im Adressbuch<br />
von 1900 war unter<br />
den Bewohnern das Baugeschäft<br />
"Palm & Rombach"<br />
verzeichnet, also hatten wohl<br />
die beiden Unternehmer sich<br />
nebeneinander dieses Doppelhaus<br />
mit identischer<br />
schmuckreicher Fassade gebaut.<br />
1901 taucht als nächster<br />
Besitzer Herr Lentz (St.<br />
Johann) auf, <strong>und</strong> danach das<br />
Amtsgericht, ebenso folgen<br />
Herr Theißen <strong>und</strong> ab 1908<br />
Alfons Kessel (bis 1930/31)<br />
Abb. 255: Südstraße 17, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
Abb. 254: Südstraße 15, 2002<br />
Abb. 256: Südstraße 17, 2002<br />
als Eigentümer. Ab 1932 ist das Haus im Besitz einer Familie Müllender, nach 1951 Frau J. Müllender<br />
<strong>und</strong> dann 1966/67 Johann Müllender <strong>und</strong> Frau. 1970 hieß der Besitzer Josef Pelzer <strong>und</strong><br />
1975 Johanna Maintz.<br />
Die Hausfront blieb vollständig erhalten. Das Haus steht seit 17. Mai 1983 unter Denkmalschutz:<br />
"4-geschossig in 3 Achsen, Fassade verputzt, neubarocke Schmuckformen, Mittelbalkon<br />
im 1. Obergeschoss."<br />
121
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Nr. 19<br />
Die Gebrüder Peter <strong>und</strong> Franz Fassin bauten 1898/99<br />
dieses Wohnhaus, es blieb bis in die Zeit des ersten Weltkriegs<br />
in ihrem Besitz. 1920 ist nur noch Peter Fassin verzeichnet, ihm<br />
folgte 1922 bis in die Jahre des letzten Kriegs F. Fassin.<br />
Nach dem Krieg waren (1951) für einige Jahre Erich Klein<br />
(Bauunternehmer) <strong>und</strong> Frau Eigentümer, 1953/54 folgte Karla<br />
Schwarz.<br />
In dem Wohnhaus hatte wohl bald nach dem Kriegsende<br />
Dr. med. Cornel Jacobs als Chirurg seine Praxis eingerichtet<br />
(1948-1968). Er war Unfallarzt, denn verunfallte Personen wurden<br />
damals nicht gleich ins zuständige Krankenhaus gebracht.<br />
Die "Notaufnahme" der Kliniken wurde erst viel später eingerichtet.<br />
In den ersten Nachkriegsjahren wohnte die Familie Jacobs<br />
im Haus Nr. 48.<br />
Vom ursprünglichen Schmuck der Fassade kann man nur<br />
im Bereich des Erdgeschosses noch etwas sehen, darüber ist bis<br />
auf die überkragenden Fenstereinrahmungen alles glatt verputzt.<br />
Nr. 21/23<br />
Nr. 21 ist 1898/99 entstanden, gebaut von Herrn Jolie.<br />
1901 ist als neuer Besitzer Sacré eingetragen <strong>und</strong> 1903 folgt<br />
Alfons Kessel, der dann 1908 auch die Häuser Nr. 15 <strong>und</strong> 17<br />
kauft. Im Haus wohnte längere Zeit auch Alwine Kessel, der die<br />
Häuser 15 <strong>und</strong> 17 auch eine Zeit lang gehört haben. Unklar<br />
sind da die Zusammenhänge beim Besitz der drei Gebäude,<br />
denn es gab auch noch eine Alfonsine Kessel, bis 1938 war es<br />
Witwe(r) A. Kessel. Wohl bis zur Zerstörung gehörte es Frau M.<br />
Lindgens. Ob das Haus einen Laden hatte ist nicht sicher, es<br />
wohnten in ihm anfangs ein Glaser Schwemm, ein Schneidermeister<br />
Schrödler <strong>und</strong> bis 1934 Josef Tymister (Schuhmaßgeschäft),<br />
ob aber jeweils mit einem Geschäft, ist nicht belegt.<br />
Durch Bomben zerstört erfolgte der Wiederaufbau mit dem<br />
Haus Nr. 23.<br />
Abb. 259: Metzgerei Giesbertz im Haus Nr. 23 im Jahr 1912/13, rechts die Nr. 25, das heutige<br />
Cafe Salsa (Foto: Sammlung Giesbertz).<br />
122<br />
Abb. 257: Südstraße 19, 2002<br />
Abb. 258: Südstraße 21/23, 2002<br />
Nr. 23 wurde 1898/99<br />
erbaut von Herrn Schönfeld,<br />
aber schon 1901 übernahm es<br />
Hubert Bürgerhausen für einige<br />
Jahre. Eigenartig ist die geringe<br />
Anzahl der Mieter in den<br />
ersten Jahren. Ab 1901 wohnte<br />
für kurze Zeit ein Architekt<br />
im Haus (evtl. mit seinem Büro?).<br />
Von einem Ladenlokal ist<br />
zunächst keine Rede. Erst 1906<br />
eröffnete Josef Giesbertz seine<br />
Ochsenmetzgerei, kaufte 1910
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
das Haus <strong>und</strong> hielt es mit seiner Frau bis zur Zerstörung durch die Bomben 1943, er selbst war<br />
schon 1938 gestorben.<br />
Sein Sohn zog mit der Metzgerei nach dem Krieg zum Haus Nr. 45 <strong>und</strong> vollzog 1954 den<br />
Neubau des Doppelhauses 21/23. Das große Geschäftslokal auf der linken Seite nutzte zuerst<br />
eine Filiale der Fa. Gr<strong>und</strong>ig, ab 1966 Leo Franken mit seinem Textilgeschäft. Anfang der 70er<br />
Jahre erlosch das Geschäft. Das rechte kleinere Geschäft beherbergte lange Zeit den Blumenladen<br />
Förster. Auf Leo Franken folgten weitere Pächter, so 1978 die Firma Druck Forum, gefolgt<br />
von S. Birel, Handel <strong>und</strong> Werkstatt für R<strong>und</strong>funk- <strong>und</strong> Fernsehgeräte, schließlich seit 1981 der<br />
Raumausstatter Schnarr, die am 20. September 1998 auf 75 Geschäftsjahre zurückblickten.<br />
Nr. 25<br />
1898/99 entstand dieses Eckhaus zur geplanten Beethovenstraße<br />
durch Herrn Latten. 1902 übernimmt es der Bäckermeister<br />
Franz Lambertin, dessen Name erst 1906 mit der Bezeichnung<br />
"Bäckerei" ergänzt wird. 1908 hat es der Restaurateur<br />
(= Gastwirt, später Schankwirt) Wilhelm Kistermann gekauft.<br />
1936 löste ihn Herr Dautzenberg als Besitzer <strong>und</strong><br />
Schankwirt ab - damals die beliebteste Kneipe im Viertel. Auch<br />
dieses Haus fiel im Krieg den Bomben zum Opfer. Nur die Eigentümer<br />
(Dautzenberg) hatten sich hier notdürftig eingerichtet.<br />
1957 vollzog Familie Dautzenberg den Neubau wieder<br />
mit einer Gastwirtschaft, "Beethoveneck". Einige Pächter sind<br />
verzeichnet: G. Hubauer (1959), J. Schings (1961), A. Wynands<br />
(1966), Wilhelm Lüttgens (1970), andere fehlen. Seit 1986 war<br />
hier die Gaststätte "Salsa", die im Sommer 2006 überraschend<br />
aufgab, im Herbst 2006 unter neuer Regie als "New Salsa" wieder<br />
eröffnete, aber schon bald wieder schloss. Seit 2008 versucht<br />
sich hier "Meisenfrei".<br />
Nr. 27<br />
Abb. 261: Südstraße 27, um 1910. Die bis in<br />
die 50er Jahre mit einem Zaun abgesperrte<br />
Beethovenstraße ist gut zu erkennen (Foto:<br />
Stadtarchiv Aachen)<br />
Abb. 262: Südstraße 27, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
Abb. 260: Südstraße 25, 2002<br />
Abb. 263: Südstraße 27, 2002<br />
Erbaut 1900 von Herrn Jolie, der es bis 1904/05 behielt. 1906 bis 1911 heißt der Eigentümer<br />
Leimann, danach gehörte es Paul Jacobs bis 1922/23. Dann kam das Haus in den Besitz<br />
123
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
eines Holländers namens Smeets, die Verwaltung übernahm der Makler P. Weckauf. Das blieb so<br />
bis 1940/41. Dann besaß es der Bankdirektor J. Maybaum, der es bis etwa 1960 behielt. Danach<br />
folgte Heinrich Houben als Eigentümer.<br />
Von 1901 bis 1904/05 betrieb in dem Ladenlokal Herr Moos einen Kleinhandel. Von 1906<br />
bis 1910 versieht das Herr De Vreeden, der auch als Schreiner eingetragen ist. Zusätzlich findet<br />
sich auch eine Weißwarenhandlung von Johann Esch (im kleineren Laden rechts vom Hauseingang?).<br />
Von 1912 bis wahrscheinlich in die Jahre des ersten Weltkriegs nutzte Franz Jacobs-Lahaye<br />
mit einer Konserven- <strong>und</strong> Fischhandlung die Geschäftsräume an der Ecke, <strong>und</strong> bis 1913<br />
blieb Herr Esch mit seinen Weißwaren nebenan. Er zog im gleichen Jahr wohl noch zur Nr. 41.<br />
Denn zur gleichen Zeit (1913) ist Josef Roßbruch (sen.) mit dem Friseurgeschäft vermerkt. Er<br />
blieb bis 1940, als auch sein Sohn Josef eingetragen war. 1942 gab es im Haus nur noch die<br />
Witwe Roßbruch, der Sohn Josef war vermutlich Soldat. Das Eckgeschäft hatte wechselnde Pächter,<br />
nicht für alle Jahre lassen sich ihre Namen finden. 1922 gab es Anton Knubben mit Obst <strong>und</strong><br />
Gemüse, 1924 J. Theissen mit einer Butterhandlung. Ab 1934 bis in den zweiten Weltkrieg verkaufte<br />
W. Franken dort Wäsche, möglicherweise davor oder in Verbindung mit dem Wäscheverkauf<br />
eine Wäscherei <strong>und</strong> Heißmangel, 1951 hieß es Textilwarenhandel, bis etwa 1966 der<br />
Sohn Leo Franken in den Neubau von Giesbertz (Nr. 21/23) zog. Ludwig Gröner eröffnete danach<br />
sein Elektrogeschäft (bis 1986), ihm folgte Elektro-Mohren. Die Firma zog dann in das kleinere<br />
Ladenlokal im Hause, dort wo vorher der Friseur Josef Roßbruch bis 1983 seinen Salon hatte.<br />
Herr Roßbruch starb 1984. Annemarie Siebertz machte um diese Zeit die Meisterprüfung <strong>und</strong><br />
übernahm das Geschäft. 1985 zog sie in die Räume des Hauses Nr. 64. In die Räume an der Ecke<br />
zog 1987 das Reisebüro "Vacancia" ergänzt (1994) um die Abteilung "Karibik" (aus Nr. 9). Im<br />
Februar 2006 zog das Reisebüro zum Löhergraben um. Dann Leerstand bis September 2007 als<br />
ein Blumenladen hier einen neuen Start wagte, der im Mai 2009 aufgab. Dann Leerstand bis<br />
Oktober 2009 (Eröffnung im September), wo sich ein Geschäft für Handarbeitsbedarf <strong>und</strong> -beratung,<br />
"Filz <strong>und</strong> Kunst", versucht.<br />
Im zweiten Lokal (nachdem Fa. Elektro-Mohren schloss) eröffnete nach einer Pause ein SB-<br />
Waschsalon (mit Waschautomaten). Ihm folgte nach längerer Pause 2001 für kurze Zeit der<br />
Blumenladen einer jungen Perserin (bis zum Frühjahr 2002). Im Juli 2002 ist eine Änderungsschneiderei<br />
eingezogen.<br />
Das Haus mit seiner schmuckreichen Fassade nahm im Krieg einigen Schaden. Die zwei<br />
Balkone an der Ecke <strong>und</strong> Teile des Schmuckgiebels verschwanden, sonst ist alles restauriert. Das<br />
Haus steht unter Denkmalschutz: "4-geschossiges Eckhaus zur Beethovenstraße in 3:5 Achsen mit<br />
abgeschrägter Eckachse, deren Balkone im 1. <strong>und</strong> 2. Obergeschoss entfernt sind, Fassaden verputzt,<br />
durch Risalite betont, mit Neurenaissance-Schmuckformen."<br />
124
Nr. 29<br />
Abb. 264: Südstraße 29 mit links Nr. 27, ca<br />
1910 (Foto: Stadtarchiv Aachen)<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
Abb. 265: Südstraße 29, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
1900 von einem der Brüder Fassin (siehe Nr. 19) als Wohnhaus erbaut, 1902 sind beide<br />
Brüder als Eigentümer eingetragen. 1920 gehört es Herbert Lemaire, 1924 heißt der Eintrag:<br />
Lemairé, N. 1926 ist es Käthe Lemairé, verwaltet von Ch. Leymann, Immobilien. Später übernimmt<br />
die Verwaltung ein Architekt H. Alsleben. Ab 1934 gehörte das Haus Frau Fassin, das lässt<br />
bei den anderen Besitzern vorher auf Verwandtschaft schließen, denn 1951 heißt der Eigentümer<br />
G. Lemaire. Von 1957/58 an wird die Witwe Eveline Hannott als Besitzerin genannt.<br />
Die schmuckreiche Fassade blieb fast vollständig erhalten, lediglich der oberste Teil des<br />
geschwungenen Schmuckgiebels fehlt. Das Haus steht seit 20. Februar 1984 unter Denkmalschutz:<br />
"3-geschossig in 2 Achsen, Klinker-Putz-Fassade mit Neurenaissance- <strong>und</strong> neubarocken<br />
Schmuckformen, rechts Achse verbreitert, übergiebelt <strong>und</strong> mit einem Erker mit Balkon versehen."<br />
Nr. 31<br />
Gleichfalls von Herrn<br />
Jolie im 1900 erbaut. 1906<br />
ersteigert es Johann Holzkamp,<br />
der vorher bereits im<br />
Haus wohnte.<br />
Hier wohnte die Tochter<br />
des Polizeimeisters A.<br />
Royé, Marga Royé, die später<br />
als Dichterin <strong>und</strong> Malerin bekannt<br />
wurde (siehe Kap. zur<br />
Werkkunstschule). Im Erdgeschoss<br />
hatte ein Schneider<br />
seine Wohnung <strong>und</strong> Werkstatt.<br />
Im engen Hof stand in<br />
den 30er Jahren ein Birnbaum.<br />
Der Hof ist so eng, Abb. 267: Südstraße 31, 1980 (Foto: Stadt<br />
dass man aus dem zweiten Aachen, Denkmalpflege)<br />
Stock die Früchte problemlos<br />
mit einem Pflücker ernten konnte.<br />
Abb. 266: Südstraße 29, 2002<br />
Abb. 268: Südstraße 31, 2002<br />
125
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Im Krieg erhielt das Vorderhaus kaum Beschädigungen, der Anbau wurde allerdings durch<br />
Bomben zerstört. Familie Georg Hirtz baute zusammen mit zwei anderen Handwerkern, er war<br />
wie Herr Pennartz Dachdecker <strong>und</strong> Herr Horbach Installateur, den Anbau in Eigenarbeit wieder<br />
auf, mit der Bedingung, anschließend darin für drei Jahre mietfrei zu wohnen. 1950 war der<br />
Anbau fertig <strong>und</strong> bezogen.<br />
Johann Holzkamp behielt das Haus bis Anfang der 70er Jahre. Dann übernahm es Rolf Permantier,<br />
Frau J. Permantier hatte vorher schon über etliche Jahre die Verwaltung geführt. 1986<br />
wurde das Haus an Doris Willms verkauft.<br />
Das Haus zeigt noch heute den ursprünglichen Schmuck <strong>und</strong> steht seit 25. Juli 1982 unter<br />
Denkmalschutz: "3-geschossig in 2 Achsen, Klinker-Putz-Fassade mit Neurenaissance- <strong>und</strong> neubarocken<br />
Schmuckformen, die innere Achse verbreitert <strong>und</strong> übergiebelt, mit Erker <strong>und</strong> Balkon.<br />
Nr. 33/35<br />
Nr. 33 von Schreinermeister<br />
Willems 1898/99 als<br />
Wohnhaus erbaut, heißt<br />
1904 der neue Besitzer Nicolaus<br />
von Schwartzenberg,<br />
anfangs hatte er nach den<br />
Eintragungen im Adressbuch<br />
ein Baugeschäft, ab 1913 ist<br />
er mit Architekt bezeichnet,<br />
allerdings war im Adressbuch<br />
von 1922 zusätzlich auch<br />
noch vom Bau- <strong>und</strong> Stuckgeschäft<br />
die Rede. Ab 1928<br />
bis in den Krieg war L. von<br />
Schwartzenberg Besitzer, verheiratet<br />
mit einer Jüdin. Nach<br />
der Kriegszerstörung des<br />
Hauses heißen die Eigentü-<br />
mer des Gr<strong>und</strong>stücks 1951 N. von Schwartzenberg <strong>und</strong> Miteigentümer.<br />
Nr. 35 ist ein ebenfalls 1898/99 erbautes Wohnhaus des Kaufmanns Stein, zunächst mit<br />
nur wenigen Mietern: 1902 sind nur er <strong>und</strong> ein weiterer Bewohner verzeichnet. 1903 hat Herr<br />
Hermann das Haus erworben. Um 1920 besaß es für kurze Zeit Josef Giesbertz (aus Nr. 23), aber<br />
1922 war sein Besitz auf Leonhard Noppeney übergegangen. Er muss schon wenige Jahre danach<br />
gestorben sein, denn 1928 gehört es der Witwe K. Noppeney <strong>und</strong> 1930 für einige Jahre den<br />
Noppeney’schen Erben, 1938 dem Rentner C. Noppeney. Von 1938 bis zur Zerstörung durch<br />
Bomben besaß es J. Peltzer. Auch 1951 waren Herr J. Peltzer <strong>und</strong> Frau Eigentümer des Gr<strong>und</strong>stücks,<br />
verkauften es aber ca. 1957 an Frau L. von Schwartzenberg.<br />
1957 wurden die beiden Ruinengr<strong>und</strong>stücke mit einem modernen Wohnhaus wieder bebaut,<br />
jetzt aber nur unter der Nr. 33. Bauherren waren von Schwartzenberg <strong>und</strong> Miteigentümer,<br />
der Architekt B.L. von Schwartzenberg wohnte selbst im Haus. 1970 war Frau L. von Schwartzenberg<br />
als Eigentümerin eingetragen, ab 1975 Anna Johnen.<br />
126<br />
Abb. 269: Südstraße 33, ca. 1910 (Foto:<br />
Stadtarchiv Aachen)<br />
Abb. 270: Südstraße 33/35, 2002
Nr. 37<br />
1899 hat Peter Benoit dieses größere Wohnhaus (vier<br />
Fensterachsen) erbaut, eine breite Tordurchfahrt führt auf einen<br />
Hof, den mehrstöckige Anbauten umstanden. Gleich nach<br />
der Fertigstellung gab es hier eine "Cigarrenfabrik", die Besitzer<br />
Köhlken&Boeckels wohnten jahrelang im Vorderhaus. 1928<br />
war es eine Pflanzenleim-Fabrik, so genannter Glibberleim wurde<br />
hergestellt. 1930 wurden wieder Zigarren gefertigt (Zigarrenfabrik<br />
J. Lentz). Zur gleichen Zeit gab es bis zur Zerstörung<br />
im Krieg (1942) eine Buchbinderei (H. Peltzer) <strong>und</strong> eine Druckerei<br />
(Wedler&Co.). Herr Peltzer war sehr beliebt, weil er auch<br />
noch in Kriegszeiten Geschenke, wie Foto- <strong>und</strong> Poesiealben<br />
oder Briefpapierkassetten, auch für die Kinder im Viertel herstellte.<br />
Zuerst war Herr Benoit Eigentümer des Anwesens,<br />
1907/08 erwarb es Julius Rumpe (Inhaber der Nadelfabrik Joh.<br />
Casp. & W. Rumpe), seine Witwe hat es um 1929/30 der Firma<br />
Rhein. Nadelfabriken GmbH. übereignet, in deren Besitz es bis<br />
Ende der 1970er Jahre blieb. Um 1980 kauften es das Ehepaar<br />
Erwin <strong>und</strong> Margarete Deutmann.<br />
Im Krieg ist das Vorderhaus, wie auch<br />
die Gebäude im Hof, schwer beschädigt worden.<br />
Das Haus sah aus wie eine "Puppenstube<br />
mit Einrichtung". Bewohner wie Plünderer versuchten<br />
unter Lebensgefahr, aus den offenen<br />
Räumen Gegenstände zu bergen.<br />
Nach dem Wiederaufbau 1948/49 (nur<br />
teilweise eingeschossige Wiederherstellung der<br />
Anbauten im Hof) hatte sich zunächst bis etwa<br />
1970 der Selbstbedienungsladen "Zuckerwaren<br />
Esser" dort eingerichtet. Danach hatte eine Zeit<br />
lang das Institut für Wasserwirtschaft der<br />
Techn. Hochschule hier einen Labor- <strong>und</strong> Versuchsraum.<br />
Dann benutzte für mehrere Jahre<br />
Josef Freude (wohnt im Haus Nr. 39) die Räu-<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 271: Südstraße 37, 2002<br />
Abb. 272: Der teilweise <strong>und</strong> nur eingeschossig wieder aufgebaute<br />
Hofraum von Haus Nr. 37 mit dem Garten von Haus Nr. 39 (2002).<br />
me als Lagerraum für Teppiche. Jetzt ist es seit 1992 der Geschäftsraum für die Papierverarbeitung<br />
<strong>und</strong> Druckerei von Herrn Deutmann jr.<br />
Das Wohnhaus hatte die Rhein. Nadelfabriken GmbH. gleich nach Kriegsende instand<br />
gesetzt, um Wohnraum für Firmenangehörige zu schaffen. Dabei wurde die stehengebliebene<br />
Fassade einfach verputzt.<br />
127
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Nr. 39<br />
Das Haus wurde auch<br />
1899 von Herrn Benoit gestellt.<br />
Bis 1930/31 waren die<br />
Besitztumsverhältnisse gleich<br />
denen von Nr. 37, das Gebäude<br />
bildete früher als Wohnhaus<br />
für den Fabrikinhaber<br />
eine wirtschaftliche Einheit<br />
mit Nr. 37. 1932 erwarb der<br />
H. Grotklaes das Haus.<br />
1967/68 ging es durch<br />
Erbschaft auf seine Tochter,<br />
Therese Freude über. Das Ehepaar<br />
Freude war gleich in den<br />
ersten Nachkriegsjahren dort<br />
eingezogen.<br />
Die Front des Erdgeschosses<br />
zeigt seit längerer<br />
Zeit eine graue, glatte Natur-<br />
steinfassade, darüber ist der ursprüngliche Schmuck noch gut erhalten, wenn man davon absieht,<br />
dass der Balkon der ersten Etage durch einen kleinen Austritt ersetzt wurde. Seit 31. Mai<br />
1983 steht das Gebäude unter Denkmalschutz: "4-geschossig in 3 Achsen, Mittelbalkon im 2.<br />
Obergeschoss, im 1. Obergeschoss Mittelbalkon entfernt, Fassade verputzt mit neubarocken<br />
Schmuckformen, Erdgeschoss verändert." Das Treppenhaus ist noch weitgehend in seiner historischen,<br />
repräsentativen Form erhalten.<br />
Nr. 41<br />
Als das Haus 1899 gebaut<br />
wurde, ist zunächst keine<br />
Nutzung mit einem Laden<br />
eingetragen. 1901 erwarb<br />
Karl Krumbach das Haus, der<br />
ab 1906 (bis 1912) als Vergolder<br />
genannt wird. Ob er<br />
hier auch ein Geschäft führte,<br />
ist nicht festzustellen. 1913<br />
<strong>und</strong> 1914 findet sich hier<br />
Johann Esch (aus Nr. 27) mit<br />
der Weißwarenhandlung.<br />
Offensichtlich zog er dann<br />
nach Nr. 45 um. 1920 heißt<br />
es nun "Vergolderei", allerdings<br />
unter Witwe Christine<br />
Krumbach. Aber das Geschäftslokal<br />
benutzt von<br />
1922 bis 1930 der Friseur<br />
Louis Fritz. Um 1932 erwarb W. Leisten das Haus <strong>und</strong> eröffnete seinen Lebensmittelladen, den<br />
1938 sein Sohn Peter Leisten übernahm.<br />
1951 ist Peter Leisten weiter Eigentümer <strong>und</strong> Ladenbesitzer. Seine Geschäftsführung war<br />
nicht sehr effizient, er war verwitwet <strong>und</strong> trank ganz gerne. So bot Herr Giesbertz (Metzger, Nr.<br />
45) 1959 an, ihm das Haus abzukaufen. Herr Leisten blieb zunächst als Mieter im Haus <strong>und</strong> im<br />
Laden. Mitte der 60er Jahre wurde durch einen in städtischer Regie durchgeführten Tausch das<br />
Ehepaar Franz Corsten Besitzer eines Hauses in der Gartenstraße anstelle ihres Gr<strong>und</strong>stücks mit<br />
128<br />
Abb. 273: Südstraße 39, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
Abb. 275: Südstraße 41, ca. 1910, Nr. 43 noch<br />
nicht bebaut (Foto: Stadtarchiv Aachen).<br />
Abb. 274: Südstraße 39, 2002<br />
Abb. 276: Südstraße 41, 2002
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Lebensmittelladen an der Ecke Eilfschornsteinstraße/Annuntiatenbach. Dieses Gebäude musste<br />
einer Erweiterung des Hochschulgebiets weichen. Giesbertz´ wiederum tauschten mit Corstens<br />
die Gr<strong>und</strong>stücke, so bekam das Haus Nr. 41 seinen neuen Besitzer. Herr Corsten hat in den 70er<br />
Jahren die alte Fassade abschlagen <strong>und</strong> mit Riemchen verkleiden lassen. Das Gebäude hat durch<br />
diese "Modernisierung" sein ursprüngliches Gesicht völlig verloren. Heute gehört das Gebäude<br />
Klaus Balliel, der es inzwischen auch wieder verkaufte.<br />
Corstens führten das Geschäft fachlich ausgezeichnet für etwa 15 Jahre, verkauften es<br />
1978 an Karin Krämer, nach ihrer Verheiratung Karin Müller. Sie stammte von einem Obst- <strong>und</strong><br />
Gemüsegeschäft am Burtscheider Markt, eine ausgesprochene Fachfrau, bei ihr florierte der<br />
Laden noch mehr. Ende August 1993 übergab Frau Müller ihr Geschäft an die Schwestern Selma<br />
Deniz <strong>und</strong> Belma Karakus, die es aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen bald an den fre<strong>und</strong>lichen, aber<br />
wohl nicht so geschäftstüchtigen Hakan weitergaben (er handelte nebenbei lieber mit Autos), er<br />
gab 1998 auf. Nach zwischenzeitlich anderer Nutzung (junge Leute handelten mit Mineralwasser,<br />
ohne dass ein Tropfen desselben in ihren Geschäftsraum kam) machte ein junger Afrikaner<br />
namens Delain, genannt ‘Dely‘, den Versuch, mit Obst <strong>und</strong> Gemüse zu handeln (er verstand aber<br />
wohl mehr vom Fußball). Nach wenigen Monaten eröffnete am 1. November 2000 Ilknur Yoncali<br />
den "Südmarkt" für Obst <strong>und</strong> Gemüse. Den verlegte sie aber im Sommer 2002 in Haus Nr. 2a,<br />
danach Leerstand.<br />
Seit Anfang 2003 befand sich hier ein umstrittenes Bordell, doch diese Episode dauerte nur bis<br />
zum Frühjahr 2005, dann wieder Leerstand, dann Zwischennutzung als studentischer Arbeitsraum.<br />
Seit Frühjahr 2007 war hier eine DJ Academy untergebracht, die auch bald wieder verschwand.<br />
Nachfolgenutzung im ständigen Wandel, aber immer vermietet: Ein Verein, der sich<br />
der indianischen Kultur widmete, dann eine Galerie, nun ein Antiquariat, das von Vladimir Budde,<br />
einem nicht ganz unbekannten Schachspieler <strong>und</strong> vor allem Schachbuch-Autor, betrieben<br />
wird.<br />
Nr. 43<br />
Abb. 277: Südstraße 43, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
Abb. 278: Südstraße 43, 2002<br />
Abb. 279: Südstraße 43, 2006<br />
Ein Wohnhaus mit vier Fensterachsen, das 1914 von Gerhard Windorps erbaut wurde. Ab<br />
1924 gehörte es Frl. M. Windorps <strong>und</strong> 1928 ging es auf Mathilde Schreiner über (oder hatte Frl.<br />
M. Windorps geheiratet?), ab 1932 lautet der Eintrag auf S. Schreiner, Kaufmann, dann 1936<br />
Frau S. Schreiner <strong>und</strong> ab 1938 bis in die Kriegsjahre S. Schreiner, Masseur.<br />
1951 war der Besitz wieder auf Frau S. Schreiner bis 1961/62 eingetragen. Als sie etwa<br />
1963 starb, wurde das Haus zunächst treuhänderisch verwaltet <strong>und</strong> stand dann Ende der 60er<br />
Jahre zur öffentlichen Versteigerung. Beide Nachbarn - Corsten <strong>und</strong> Neu - hatten Interesse, was<br />
zu einem Anstieg des Kaufpreises führte. Herr Corsten siegte <strong>und</strong> wurde neuer Besitzer.<br />
129
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Die gut erhaltene Fassade lässt keine Kriegsbeschädigung erkennen. Seit 13. April 1983<br />
steht das Haus unter Denkmalschutz: "4-geschossig in 4 Achsen, vor den breiten Mittelachsen ein<br />
3-geschossiger Erker, Fassade verputzt <strong>und</strong> mit Schmuckformen der Zeit nach dem Jugendstil,<br />
Mansarddach."<br />
Nr. 45<br />
Abb. 280: Die schöne Fassade Südstraße 45,<br />
etwa 1910, Das Gr<strong>und</strong>stück Nr. 43 ist noch<br />
unbebaut (Foto: Stadtarchiv Aachen).<br />
1906/07 für die Witwe Pauqué erbaut, gehörte es 1908<br />
der Witwe Contzen. Josef Claeßens war zunächst nach dem<br />
Bezug des Neubaus bis 1910/11 mit seinem Friseurgeschäft<br />
erster Mieter des Ladens. 1912 ist kein Geschäft verzeichnet,<br />
danach für kurze Zeit eine Schreibwarenfiliale von Josef Nelles,<br />
das Hauptgeschäft befand sich am Templergraben 72. Etwa ab<br />
1920 bis 1928/29 verkaufte Herr Johann Esch Weißwaren (von<br />
Nr. 27 herüber gezogen). Um 1925/26 kaufte Herr J. Giesbertz<br />
(Nr. 23) das Haus <strong>und</strong> ab 1930 unterhielt für einige Jahre Herr<br />
E. Lutz hier ein Wäschegeschäft. Etwa ab 1934 finden wir hier<br />
bis in die Kriegsjahre eine Schreibwarenfiliale, jetzt von L. Nelles.<br />
Gleich nach dem Kriegsende richtete Gerhard Giesbertz<br />
zunächst notdürftig die Metzgerei in dem ihm gehörenden<br />
Haus ein (Nr. 23 war zerstört). Er baute das Geschäft aus <strong>und</strong><br />
führte es mit seiner Frau mustergültig, seine Erzeugnisse hatten<br />
einen guten Ruf. Aus persönlichen Gründen verpachtete<br />
Herr Giesbertz 1964 das Geschäft an Gerhard Neu <strong>und</strong> seine<br />
Frau. Diese wendeten erhebliche Mittel für eine Modernisierung<br />
auf. Dazu gehörte auch die Umgestaltung der Hausfront,<br />
vom Stil der Jahrh<strong>und</strong>ertwende blieb nichts übrig (es hatte keinen nennenswerten Bombenschaden<br />
gegeben), auch der schöne Erker musste weichen.<br />
Mit nüchternen Fliesen bekleidet, zeigt sich heute eine pflegeleichte, aber seelenlose Fassade.<br />
Am 1. Januar 1980 gab er das Geschäft an die Fa. Cordes-Leppak weiter. Herr Leppak führte<br />
das Geschäft mit seiner Frau bis zum 13. Oktober 2001. Am Nachmittag dieses Freitags kündigte<br />
er dem Personal <strong>und</strong> schloss das Geschäft. Wie es hieß, habe er eine Beteiligung an einer Wurstfabrik<br />
im Saarland übernommen. Das Ladenlokal stand bis zum Jahr 2007 leer <strong>und</strong> stand zum<br />
130<br />
Abb. 281: Südstraße 45 im Jahr 1955 (Foto:<br />
Stadtarchiv Aachen)<br />
Abb. 282: Südstraße 45, 2002<br />
Abb. 283: Das Ladeninnere im Jahr 1951<br />
(Foto: Giesbertz)
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Verkauf. Es zog hier der Modeladen "Kopfsülz" ein, der Ende 2008 aufgab, um im März 2009 mit<br />
dem gleichen Betreiber als Café wieder aufzuerstehen.<br />
Nr. 47<br />
Abb. 284: Südstraße 47, etwa 1910 (Foto:<br />
Stadtarchiv Aachen).<br />
Abb. 285: Südstraße 47, 1973 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
Abb. 286: Südstraße 47, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
Nr. 47 wurde (wie auch Nr. 49) 1906 von dem Architekt<br />
<strong>und</strong> Bauunternehmer Carl Lanser gebaut <strong>und</strong> etwa 1909/10 an<br />
Lambert Pick verkauft. In den ersten Jahren nach dem Bezug<br />
der Häuser 1908 (Nr. 47 <strong>und</strong> 49) wurden sie im Adressbuch<br />
wie ein Doppelhaus geführt, so dass eine klare Zuordnung der<br />
Geschäftsinhaber der drei Ladenlokale nicht möglich ist. Es<br />
finden sich dort: Lambert Pick, Conditorei <strong>und</strong> Bäckerei, Hubert<br />
Moitzheim, Kleinhandlung, außerdem gab es noch einen Klavierbauer<br />
Carl, kurz darauf Gottfried Grevenstein, Kaufmann.<br />
Ob einer der letzteren hier auch einen Laden betrieben hat, ist<br />
nicht ersichtlich. 1912 betreibt Norbert Jung die Kleinhandlung.<br />
Und an seiner Stelle führt 1913 Josef Dilschneider eine<br />
Metzgerei (vorher Nr. 3).<br />
Links: 1914 verkaufte für einige Jahre Hermann Nelle<br />
Butter, Eier <strong>und</strong> Käse. Ab 1920 gab es ein Delikatessengeschäft,<br />
zunächst von W. Schmitz geführt, ab 1924 heißt es<br />
Schmitz-Pick (wahrscheinlich in Verbindung mit der Konditorei<br />
Pick nebenan), von 1934 bis 1940 Mageer, weiterhin mit Abb. 287: Südstraße 47, 2002<br />
Delikatessen. Ab 1942 hat Jakob Laschet dieses Geschäft übernommen,<br />
nach dem Krieg Verkauf von Milch <strong>und</strong> Lebensmitteln.<br />
Herr Laschet übergab das Geschäft im Mai 1967 an die Familie seiner Tochter Josef <strong>und</strong><br />
Gertrud Hennecken, die es bis Mai 1980 weiterführten (Frau Laschet starb 1972, ihr Mann 1993).<br />
Aus Altersgründen <strong>und</strong> wegen fehlendem Nachfolger wurde es geschlossen <strong>und</strong> stand zunächst<br />
für längere Zeit leer. Mit dem immer stärker werdenden Aufkommen der Fotokopierer etablierte<br />
sich in den Räumen zunächst Josef Schlösser mit Kopiergeräten <strong>und</strong> einer kleinen Druckerei (er<br />
zog nach einiger Zeit in die größeren Räume des Hauses Nr. 21/23 um). Es folgte die Firma "Copy<br />
Team" von Dennis Frojd mit starkem Zulauf besonders durch die Studenten der Fachhochschulen<br />
im Umfeld. Als er 1993 zum Haus Nr. 62 umzog, standen die Räume lange ungenutzt. Nach<br />
einem gründlichem Umbau war ab etwa 1997 bis Ende 2002 eine Kunstgalerie in diesen Räumen<br />
etabliert. Seither stehen die Räume wieder leer <strong>und</strong> werden nur gelegentlich für temporäre<br />
131
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Kunstaktionen genutzt, wie vor Weihnachten 2004 mit dem Verkauf von Werken verschiedener<br />
Künstler oder durch die Künstlern Uschi Kütz im Herbst 2005 mit ihrer Ausstellung "Wasserfarbenlicht".<br />
Seit 2007 Nutzung als Redaktionsbüro für die Kinozeitung Aachens bis Juni 2009, dann<br />
wieder Leerstand.<br />
Rechts: Es ist anzunehmen, dass 1908 als erster Nutzer Lambert Pick die Konditorei eröffnete<br />
(umgezogen von Nr. 2a), etwa 1924 übernahm sie sein Sohn Mathias. Nach weiteren 10<br />
Jahren hieß es Bäckerei/Konditorei Alfred Schnurr. Er war in den letzten Wochen des zweiten<br />
Weltkrieges an einer Verw<strong>und</strong>ung gestorben. Verwitwet führte Gerda Schnurr das Geschäft ihres<br />
Mannes alleine weiter. Ihre Tochter Helga heiratete in den 60er Jahren den Bäckermeister Theodor<br />
Dziubon. Nach dem Tod der Mutter (1964) übernahm das Ehepaar Dziubon das Geschäft<br />
<strong>und</strong> führte es mit viel Fleiß bis 1998. Neben dem Erwerb von Häusern (so auch von 1970 bis<br />
1985 die Nr. 54) befassten sich Dziubons auch mit Pferdehaltung (bis 1996 im Colynshof) <strong>und</strong><br />
mit Hühnerhaltung (Eierverkauf in der Bäckerei). Bis Ende 2001 war in den Räumen (ohne Backstube)<br />
eine Zweigstelle der Bäckerei Moss, seit Anfang 2002 Leerstand. Dann im Herbst 2007 der<br />
Neuanfang mit einem Skatebord-Laden, der sich im März 2009 wieder verzog.<br />
Die Fassade nahm reichlichen Schaden: Die oberen Balkone (3. Obergeschoss) verschwanden<br />
ganz, die Balkonbrüstungen im zweiten Obergeschoss wurden nur schlicht aufgemauert,<br />
auch Teile der reichen Stuckverzierung fehlen. Man kann die frühere Pracht nur ahnen. Seit 6. Juli<br />
1983 steht das Gebäude unter Denkmalschutz: "4-geschossig in 4 Achsen, die beiden Außenachsen<br />
risalitartig betont, übergiebelt <strong>und</strong> im 1. Obergeschoss mit einem Erker versehen, Fassade<br />
verputzt mit Jugendstil-Schmuckformen, im Erdgeschoss 2 originale Ladeneinbauten", die inzwischen<br />
auch verändert wurden.<br />
Nr. 49<br />
1907 oder 1908 bezogen.<br />
Es gehörte ab 1914<br />
Herrn Besgen, 1928 Frau F.<br />
Besgen. 1951 wurde Frau Chr.<br />
Dosquet als Eigentümerin eingetragen,<br />
danach wieder Dr.<br />
J. Besgen <strong>und</strong> Miteigentümer.<br />
Herr Laschet (Nr. 47) hat etwa<br />
1957 das Haus gekauft <strong>und</strong><br />
1965 seiner jüngsten Tochter<br />
Irma übertragen.<br />
In den Anfangsjahren<br />
ist Josef Goebels mit einem<br />
Installationsgeschäft verzeichnet,<br />
das 1922 auf Peter Louis<br />
überging <strong>und</strong> noch 1942 bestand.<br />
Nach dem Krieg eröffneten<br />
Josef <strong>und</strong> Josefine Beiss<br />
ihr Tabakwarengeschäft als<br />
Ersatz für das im Krieg stark beschädigte Ladenlokal in Haus Nr. 5. Es wurde schon bald durch<br />
den Verkauf von Schreibwaren <strong>und</strong> Zeitschriften ergänzt. 1962/63 übernahm ihr Neffe Rolf Held<br />
den Laden.<br />
Das Haus steht seit 23. September 1983 unter Denkmalschutz: "4-geschossig in 3 Achsen,<br />
an der übergiebelten Mittelachse ein 2-geschossiger Erker mit Balkon (erneuerte Brüstung),<br />
Fassade verputzt mit Schmuckformen der Zeit nach dem Jugendstil, im Erdgeschoss ein Ladeneinbau,<br />
Mansarddach."<br />
132<br />
Abb. 288: Südstraße 49, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
Abb. 289: Südstraße 49, 2002
Nr. 51<br />
Die Haus-Nr. 51 wurde nicht vergeben.<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Nr. 53/55<br />
Das Haus Nr. 53 hat Hugo Heusch 1894/95 errichten lassen.<br />
Es steht mit dem etwa ein Jahr später erbauten Haus Nr.<br />
55 für etwa zehn Jahre auf dieser Seite alleine im oberen Teil<br />
der Südstraße. Hinweise auf ein Geschäft gibt es längere Zeit<br />
nicht. Als Mieter waren immer mal Kaufleute eingetragen, nur<br />
bei einem Weinhändler namens Krumbach könnte man auf<br />
einen Laden im Hause schließen. Mit diesem Namen gab es<br />
hier auch einen Nadelvergolder <strong>und</strong> jemand mit diesem Namen<br />
übernahm 1902 für kurze Zeit die Verwaltung. Ab 1908 wechselten<br />
sich mehrere Eigentümer ab: Carl Eysenck (Restaurateur<br />
des Hauptbahnhofs), 1912 Frau Beduwe <strong>und</strong> von 1914 bis<br />
1926 Peter Salvini. Ab 1920 ist als Mieter Ludwig Bauer mit der<br />
Süd-Drogerie eingetragen. Ab 1928 gehört das Haus seiner<br />
Frau Irene Bauer. Seltsam ist, dass von 1934 bis 1942 außer<br />
der Drogerie kein weiterer Bewohner verzeichnet ist. Das Haus<br />
überstand den Krieg nicht. Das Gr<strong>und</strong>stück blieb im Besitz des<br />
Ehepaars Bauer.<br />
Nr. 55 (siehe auch Foto Nr. 57) wurde 1896/97 von Kauf- Abb. 290: Südstraße 53/55, 2002<br />
mann Stein erbaut. 1900 erwarb es Josef Krumbach<br />
(Fabrikdirector <strong>und</strong> Prokurist der Fa. Hugo Heusch&Co.). 1906 wird der Eintrag ergänzt, dass er<br />
im neu errichteten Nachbarhaus Nr. 57 wohnt. 1908 wird es an Carl Delius (Teilhaber der Tuchfabrik<br />
C. Delius, bewohnte die Villa Delius) verkauft <strong>und</strong> er gab es 1910 an den Architekt G.<br />
Wilhelm Mönkemeyer weiter. In seinem Besitz blieb das Wohnhaus bis zur Zerstörung durch<br />
Bomben. Das Trümmergr<strong>und</strong>stück gehörte dann Frau Dr. E. Buddemeier, die es dem Ehepaar<br />
Bauer verkaufte.<br />
Im Juni 1953 war der Wiederaufbau gemeinsam mit Nr. 53 als Doppelhaus fertiggestellt,<br />
in der linken Hälfte wieder mit der Drogerie. 1955 starb Herr Bauer. Nach dem Tod von Frau<br />
Bauer (1980) übernahm Herr Marx bis 1987 die Drogerie. Seit 1988 befand sich hier bis Sommer<br />
2002 ein Computergeschäft (Dirk Flierenbaum). Dann stand das Geschäft etwa ein Jahr leer. Im<br />
September 2003 hat die Montessori-Schule Reumontstraße eine Mittagsbetreuung für Schüler<br />
eingerichtet. Im Herbst 2008 zog die Drogenhilfe ein.<br />
133
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Nr. 57/59<br />
Nr. 57 hat wie die Nr.<br />
55 Herr Krumbach 1905/06<br />
errichten lassen. Er selbst<br />
wohnte ab 1910 in der Mozartstraße.<br />
Es war ein reines<br />
Wohnhaus. Ab 1934 ist Herr<br />
C. Krumbach Eigentümer.<br />
Auch dieses Haus überstand<br />
den Krieg nicht.<br />
In den ersten Nachkriegsjahren<br />
hießen die Eigentümer<br />
bis 1953/54 K.<br />
Krumbach <strong>und</strong> Miteigentümer,<br />
dann war es für kurze<br />
Zeit im Besitz von Jakob Laschet<br />
(Nr. 47), dann 1957/58<br />
von H. Beeck <strong>und</strong> Frau, die<br />
den Bau des Doppelhauses<br />
57/59 vollzogen.<br />
Nr. 59 ließ L. Moos in der Zeit zwischen 1914 <strong>und</strong> 1920 als letztes Haus in der Südstraße<br />
erbauen, in dem er sein Kolonialwarengeschäft, ab 1924 als Lebensmittelgeschäft bezeichnet,<br />
einrichtete. Es blieb so bis zur Zerstörung im Krieg.<br />
In den Jahren nach dem Krieg ist Herr Moos gestorben. 1953/54 ist Witwe J. Moos Eigentümerin<br />
auch noch 1957/58, obwohl im Juli 1957 der Neubau des Doppelhauses 57/59 durch<br />
Heinz Beeck <strong>und</strong> Frau schon vollendet war.<br />
Eckhaus Südstraße / Reumontstraße 36 / Mozartstraße 30<br />
134<br />
Abb. 291: Das Haus Südstraße 57 (<strong>und</strong> 55,<br />
links), etwa 1910. Das Gr<strong>und</strong>stück Nr. 59 ist<br />
noch unbebaut (Foto: Stadtarchiv Aachen).<br />
Abb. 293: Blick aus der Maschinenbauschule auf die Ecke Reumontstraße/ Südstraße. [5]<br />
Abb. 292: Südstraße 57/59, 2002
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Das Eckhaus Reumontstraße 36 schloss die Südstraße ab. Der Architekt G. W. Mönkemeyer<br />
hat es 1914 erbaut. Frau Degueldre verlegte ihr Zigarrengeschäft von Nr. 5 hierher, gleichzeitig<br />
bot Josef Nelles in einer Filiale Schreibwaren an, der 1922 das Haus erwirbt. Auch dieses Haus<br />
ging in der Bombennacht vom 11. April 1944 verloren <strong>und</strong> wurde um 1960 als Wohnhaus neu<br />
errichtet.<br />
Diesem Haus schloss sich zur Mozartstraße ein Eckhaus (Nr. 30) an. Etwa um 1930 erbaut,<br />
gehörte es gleichfalls dem Architekt G. W. Mönkemeyer (Südstraße 55). Das Erdgeschoss nahm<br />
das vornehme Textilgeschäft von Frau Just auf. Es soll mehrere große Schaufenster gehabt haben.<br />
Auch dieses Haus wurde im Krieg zerstört <strong>und</strong> etwa gleichzeitig mit dem Nachbarhaus<br />
Reumontstraße 36 als Wohnhaus wieder aufgebaut.<br />
Östliche Einmündung Reumontstraße/Südstraße<br />
Früher gehörte auch die Fläche zwischen der östlichen Reumontstraße <strong>und</strong> der Eisenbahnunterführung<br />
zur Südstraße. Erst mit dem Ausbau der Mozartstraße <strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen<br />
neuen Verkehrsführung im Jahr 1961/62 ist diese Seite postalisch zur Mozartstraße gekommen.<br />
In der Vorkriegszeit gab es hier einen Tennisplatz, Nutzer war der Verein "Aachener Lawn-<br />
Tennis Club". Im Winter wurde der Platz unter Wasser gesetzt <strong>und</strong> diente als Eislaufplatz. Im<br />
Clubhaus des Tennisvereins betrieb die Konditorei von Lambert Pick (Südstraße 47) ein Café, das<br />
für etwa zwei Jahre auch vom Restaurant Barbarossa bewirtschaftet wurde. Zur Winterszeit<br />
verschafften sich clevere Kinder leere Kartons der Konditorei, verpackten darin ihre Schlittschuhe<br />
<strong>und</strong> kamen mit der Behauptung Kuchen anzuliefern umsonst aufs Eis.<br />
Auf dem Gelände vor dem Bahndamm befand sich die Gärtnerei Bakker, die während des<br />
Krieges aus der Südstraße hierher gezogen war <strong>und</strong> bis zur Neunutzung des Geländes um das<br />
Jahr 1960 hier blieb, <strong>und</strong> das Büdchen von Kallas. Mitte der 50er Jahre gab es zur Karnevalszeit<br />
eine Kirmes mit Buden <strong>und</strong> Karussell. Hier setzte sich die Tradition der Kirmes auf dem Tattersall<br />
aus den 30er Jahren fort.<br />
Nachdem 1961/62 die Straßenführung der Mozartstraße im Bereich Reumontstraße geändert<br />
wurde, baute J. Stercken das Haus Nr. 25 auf dem neuen, nun zur Mozartstraße gehörenden<br />
Gelände, <strong>und</strong> zog mit Druckerei <strong>und</strong> Wohnung aus der Südstraße Nr. 6 hierher.<br />
Abb. 294: Mozartstraße von der Reumontstraße Richtung Priesterseminar<br />
1944/45 (Foto: Stadtarchiv Aachen).<br />
1962 errichtete auf der benachbarten<br />
Fläche bis zum Bahndamm die Mineralölfirma<br />
"Esso" eine Tankstelle mit kleinem Kassen- <strong>und</strong><br />
Verkaufsraum, einer Halle für die Wagenwäsche<br />
<strong>und</strong> freistehenden Zapfsäulen davor. Ansonsten<br />
bot die Fläche viel freien Platz mit einer<br />
Garagenreihe für 12 Fahrzeuge <strong>und</strong> Parkplätzen<br />
am Straßenrand. Erster Pächter war<br />
Hans Beyer mit seiner Frau Inge, sie wohnten<br />
der Tankstelle gegenüber im Haus Reumont-<br />
Abb. 295: Die gleiche Situation im Jahr 2002.<br />
Abb. 296: Die Tankstelle an der Mozartstraße in Bau im Jahr 1962 (Foto:<br />
Fam. Beyer).<br />
135
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
straße 41 (über dem ehem. "Barbarossa"). Nach einigen Jahren folgten als Pächter die Brüder<br />
Ewald <strong>und</strong> Rolf Danker, danach Herr Hamacher <strong>und</strong> zuletzt Herr Peters. Er betrieb zu der Zeit<br />
auch schon einen Abschleppdienst, der heute noch von seinem Sohn am Grünen Weg geführt<br />
wird.<br />
1978 wurde die Tankstelle abgerissen <strong>und</strong> es entstand das viergeschossige Wohngebäude<br />
Mozartstraße 27.<br />
Abb. 297: Die Tankstelle kurz nach ihrer Fertigstellung (Foto: Fam.<br />
Beyer).<br />
136<br />
Abb. 298: Die gleiche Situation im Jahr 2002.
3.3 Gerade Hausnummern<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Eckhaus Boxgraben 51<br />
Das Eckhaus am Boxgraben (Nr. 51) wurde 1897 durch<br />
das Baugeschäft Hubert Pauqué erbaut. Hier eröffnet der Konditormeister<br />
Lambert Pick (Kleinmarschierstraße 61) eine Filiale.<br />
Bereits 1899 gab es hier eine Südfrüchtehandlung von Marg.<br />
Hugo, 1901 eine Cigarren- <strong>und</strong> Papierhandlung Buchholz. Ab<br />
1906 lief die Cigarrenhandlung unter dem Namen Cormann<br />
<strong>und</strong> ab 1910 hieß es Cigarren- <strong>und</strong> Schreibwarenhandlung der<br />
Witwe Heinrich Strauch. 1914 verkauft die Firma Pauqué das<br />
Haus an die Geschwister Christine <strong>und</strong> Katharina Klee, die bis<br />
1922/23 zusätzlich ein Viktualiengeschäft unterhielten, den<br />
Cigarren- <strong>und</strong> Schreibwarenhandel führte bis 1922/23 Christian<br />
Strauch. Ab 1924 gibt es nur ein Geschäft: H. Gülpen,<br />
Feinkosthandlung/Delikatessen. Durch Brandbomben wurde<br />
das Haus völlig zerstört.<br />
Bis August 1950 wurde das Haus in einfachster Weise<br />
mit den damals knappen Mitteln wieder aufgebaut. Im Erdgeschoss<br />
zunächst mit dem Lebensmittelgeschäft <strong>und</strong> der<br />
Gaststätte (letztere nur für kurze Zeit) von R. Prümper, ab 1955 Abb. 299: Eckhaus Boxgraben 51, 2002<br />
wird auch Frau L. Günther genannt. Von 1963 bis 1967 lief das<br />
Geschäft dann unter Frau Günther, danach war es an Maria<br />
Felder vermietet. Nach einer mehrjährigen Pause gab es die Reinigungsannahme Undina <strong>und</strong> ab<br />
1978 für viele Jahre eine Änderungsschneiderei (bis 1998). Lange Zeit standen die Räume leer bis<br />
im November 2004 ein Imbiss eröffnete.<br />
Nr. 2a<br />
1896/97 wurde das<br />
Haus von Herrn Pauqué erbaut,<br />
1899 ist als Eigentümer<br />
zusätzlich noch Herr Esser<br />
genannt, die Verwaltung<br />
übernahm der Schneider Bellingrath.<br />
Außerdem gibt es<br />
für dieses Jahr auch noch einen<br />
Kaufmann namens Bach,<br />
von einem Laden ist nichts<br />
erwähnt. Ab 1903/04 gab es<br />
eine Filiale der Konditorei<br />
Lambert Pick, vorher für etwa<br />
vier Jahre nebenan im Haus<br />
Boxgraben 51. 1910 erwarb<br />
der Metzgermeister Max Hansen<br />
das Haus <strong>und</strong> eröffnete<br />
wahrscheinlich seine Metzgerei.<br />
1920 ist der Metzgermeis-<br />
Abb. 300: Südstraße 2a, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
Abb. 301: Südstraße 2a, 2002<br />
ter Wilhelm Peters Besitzer des Hauses. Er hat für lange Zeit außer dem Laden <strong>und</strong> seiner Wohnung<br />
nur noch einen weiteren Mieter. 1940 übernahm Theo Wagemann den Besitz, auch er war<br />
Metzgermeister. Seit etwa 2002 ist Frau Carabin Eigentümerin des Gebäudes.<br />
Theo Wagemann war mit anderen Nachbarn immer bemüht, während der Bombenangriffe<br />
die Brandbomben unschädlich zu machen. Es bestand die ständige Angst vor einer möglichen<br />
Explosion der Tanks der nahe gelegenen Tankstelle (Boxgraben Nr. 53). Durch die Zerstörung des<br />
Eckhauses stand der Giebel des Hauses Nr. 2A (Metzgerei Wagemann) frei, in den dann bei den<br />
137
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Kämpfen um die Besetzung Aachens im Oktober 1944 eine Granate (wahrscheinlich vom Lousberg<br />
abgefeuert) einschlug <strong>und</strong> Wagemanns das oberste Stockwerk verwüstete.<br />
Der Sohn Walter Wagemann übernahm das Geschäft 1961 <strong>und</strong> führte es bis zum 31.<br />
Dezember 2001 zusammen mit seiner Frau. Aus Altersgründen wurde das Geschäft geschlossen,<br />
da er keinen Nachfolger finden konnte, <strong>und</strong> im Frühjahr 2002 wurde das Haus verkauft. Im Sommer<br />
2002 verlegte Ilknur Yoncali den "Südmarkt" von Nr. 41 hierher, doch die Episode dauerte<br />
nur bis zum November 2005. Im Februar 2006 gab es einen neuen Versuch, der allerdings bereits<br />
Ende 2006 wieder endete. Nach Leerstand wird das Ladenlokal seit etwa 2009 als Atelier genutzt.<br />
Trotz des Schadens durch Artilleriebeschuss blieb die ursprüngliche Fassade bis auf den<br />
unteren Teil mit den nüchternen weißen Fliesen erhalten. Das Haus steht seit dem 18. April 1983<br />
unter Denkmalschutz: "3-geschossig in 3 Achsen, Mittelbalkon im 1. Obergeschoss, Fassade<br />
verputzt mit spätklassizistischen Schmuckformen, Mansarddach, Erdgeschoss durch Ladeneinbau<br />
verändert."<br />
Nr. 2<br />
Das Wohnhaus wurde<br />
1876 durch Herrn Reisdorff<br />
erbaut. 1883 ist als Verwalter<br />
der Regierungs-Hauptkassen-<br />
Bote Peter Hentrich genannt,<br />
der schon vorher hier wohnte.<br />
1885 ging das Haus an Herrn<br />
Hoelscher über, 1901 an die<br />
Witwe Hoelscher.<br />
Interessant ist die Berufsbezeichnung<br />
des Mieters<br />
Honnefeller: "Photolitographiebesitzer",<br />
im nächsten<br />
Jahr lautet sie "Steindrucker".<br />
1914 heißt der Eigentümer<br />
Ernst Kreczy, 1920 Berta Olivier,<br />
1922 Adam Parmentier.<br />
Sicher ist der Eintrag von 1928<br />
auf den Besitz durch den<br />
Kaufmann J. Olivier ein Fehler, denn in der Folgezeit blieb es bei Herrn Parmentier. 1951 Frau A.<br />
Parmentier, 1967/68 Berta Parmentier. Seit 1975 lautet der Eintrag auf Rudolf Brab.<br />
Die ursprüngliche Fassade blieb sehr gut erhalten. Seit 27. Mai 1983 steht das Haus unter<br />
Denkmalschutz: "3-geschossig in 3 Achsen, Fassade verputzt mit Neurenaissance- <strong>und</strong> Neubarock-Schmuckformen,<br />
die Obergeschosse durch eine Halbsäulenordnung bzw. durch eine Pilasterordnung<br />
gegliedert, Balkonkorb im 1. Obergeschoss entfernt."<br />
138<br />
Abb. 302: Südstraße 2, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
Abb. 303: Südstraße 2, 2002
Abb. 304: Haus Nr. 4, 2 <strong>und</strong> 2a (v.l.n.r.), Aachener Nachrichten, 4. Februar 1975.<br />
Nr. 4<br />
Als Wohnhaus etwa<br />
1875 erbaut. Es ist das älteste<br />
erhaltene Haus der Straße.<br />
Ob der Rentner A. de Villeneuve<br />
der Erbauer war, ist<br />
nicht sicher, aber 1881 ist er<br />
im Adressbuch als Eigentümer<br />
genannt. Mit diesem<br />
Adressbuch beginnt die Aufzeichnung<br />
der Gebäude in<br />
der Südstraße. 1889 gehört<br />
das Haus der Witwe de Villeneuve,<br />
ihr folgt 1903 die Witwe<br />
Victor Bissot. Sie hatte<br />
vorher bereits im Haus gewohnt.<br />
1912 übernahm Karl<br />
Bissot das Haus <strong>und</strong> hielt es<br />
bis 1932/33. 1920 gab es hier<br />
für kurze Zeit die Polizeiwa-<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
Abb. 305: Südstraße 4, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 306: Südstraße 4, 2002<br />
che V. Hier wohnten immer wieder Polizeibeamte, 1930 ein Kriminalassistent, den dann ein<br />
anderer ablöste. 1922 zieht Hubert Schaffrath ein, er beschäftigte sich mit "Elektrischen Anlagen",<br />
1924 war dazu auch sein Betriebsbüro im Haus. 1926 ist nur noch vom Mieter Hubert<br />
Schaffrath die Rede. Ab 1934 heißt der Eigentümer Ullrich Wollgarten, wohnhaft in der Kapitelstraße.<br />
Nachdem die Familie dort ausgebombt wurde, zog sie für kurze Zeit in die Südstraße,<br />
dann in die Eifel. Am 5. Mai 1945 kehrten sie in die Südstraße zurück.[23] Ab 1951 sind als Eigentümer<br />
U. Wollgarten <strong>und</strong> Frau eingetragen, seit 1975 Agnes Wollgarten. <strong>Richard</strong> Wollgarten,<br />
gleichfalls wohnhaft in diesem Haus, gehört zu den prominenten Aachener Zeitgenossen: Ri-<br />
139
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
chard Wollgarten ist ein Aushängeschild des Öcher Platt. Er ist seit 1993 Präsident des Vereins<br />
"Öcher Platt".<br />
1934 gab es hier die Wäscherei Ortmanns <strong>und</strong> nach deren Umzug 1953 für einige Jahre<br />
(bis 1961) die Druckerei Stercken (siehe Nr. 6). Seither wird das Haus nicht mehr gewerblich<br />
genutzt.<br />
Der Putz im Erdgeschoss wurde durch glatte Flächen erneuert, darüber ist aber der alte<br />
Zustand erhalten. Das Haus steht seit 17. Mai 1983 unter Denkmalschutz: "3-geschossig in 3<br />
Achsen, 1-achsiger Mittelrisalit mit Balkon im 1. Obergeschoss, Fassade verputzt mit spätklassizistischen<br />
Schmuckformen, Erdgeschoss zum Teil verändert, Mansarddach."<br />
Nr. 6<br />
Im Jahr 1872 verzeichnet das Adressbuch einen Neubau<br />
ohne weitere Angabe. Damit wäre dieses Haus das erste in der<br />
Südstraße gewesen. Ob es gleich zu Anfang einen Laden hatte,<br />
ist nicht sicher, eventuell wurde erst später ein Umbau vorgenommen.<br />
1875 wird der Name Mengelbier genannt (Eigentümer?),<br />
1881 steht für den Eigentümer Thyssen & Cie., Mülheim/Ruhr.<br />
Das blieb bis 1883. Herr Strom erwarb das Haus<br />
1884/85, er betrieb darin auch ein "Commissionsgeschäft", das<br />
hier bereits 1881 existiert. 1889 wird dieses Geschäft nicht<br />
mehr genannt, nur noch der Kaufmann Strom. Ab 1891 heißen<br />
die Eigentümer Franz Strom Erben, 1899 wieder Strom, übrigens<br />
ohne weitere Bewohner, erst ab 1904 werden wieder<br />
Mietparteien aufgeführt. 1910 gehörte das Haus der Witwe<br />
Fritz Strom, ab 1912 mit dem Zusatz Josefsstift. 1920 ist Hermann<br />
Pütz der Eigentümer. Seit 1926 hat Johanna Pütz hier<br />
eine Kolonialwarenhandlung. Ab 1936 ist hier die Wäscherei<br />
Ortmanns. Ab 1940 bis zur Zerstörung durch Bomben gehört<br />
das Haus A. Pütz.<br />
Abb. 307: Südstraße 6, 2002<br />
Das Trümmergr<strong>und</strong>stück war auf J. Pütz <strong>und</strong> Miteigentümer<br />
eingetragen. Die Wäscherei Ortmanns zog im Mai 1953 in das Haus Nr. 6, wo H. Ortmanns<br />
das Erdgeschoss hergerichtet hatte. Der weitere Aufbau des Gebäudes geschah 1959/60. Gleich<br />
nach der Wäscherei etablierte sich in Haus Nr. 4 die Druckerei Stercken, die wiederum 1963 in<br />
den Neubau Mozartstraße 25 zog. Im Haus Nr. 6 blieb die Wäscherei Ortmanns bis etwa 1967,<br />
sie wurde von Josef Gerards für etliche Jahre weiter betrieben. 1981 richtete sich in den Räumen<br />
der Serim Export-Import ein, gefolgt (1983) von Antiquitätenhändlern (Jacobs <strong>und</strong> Raphelt). Nun<br />
befindet sich hier seit 1987 eine Tagesstätte der Aachener Laienhelfer Initiative e.V. (ALI).<br />
140
Nr. 8<br />
Das Baujahr <strong>und</strong> der Bauherr sind ungewiss. Nach den<br />
ersten Einträgen ab 1872 gab es hier einen Herrn Palm, Restauration.<br />
1881 ist Herr Palm Eigentümer. Es wohnt im Haus ein<br />
Gastwirt Hompesch. 1883 gehörte das Haus der Witwe Palm,<br />
1887 den Geschwistern Palm <strong>und</strong> 1889 wieder einer Witwe<br />
Palm. Die Verwaltung lag bei Herrn Eidens, der es auch 1891<br />
verwaltete, als das Haus inzwischen Frau Bonnenberg gehörte.<br />
Von Restauration oder Gaststätte ist nicht mehr die Rede. Ab<br />
1893 sind Erben Palm Besitzer, ab 1897 verwaltete es Julius<br />
Feyerabend, der schon vorher im Haus wohnte. Ab 1908 bis in<br />
die Jahre des ersten Weltkriegs besaß das Haus Julius Feyerabend.<br />
1920 gehörte es Franz Sodar, 1924 seiner Witwe <strong>und</strong><br />
ab 1930 den Sodarschen Erben. Von 1912 bis 1942 betrieb der<br />
Maler- <strong>und</strong> Anstreichermeister Peter Jünger hier sein Geschäft.<br />
Das Haus fiel den Bomben zum Opfer.<br />
Eigentümer des Gr<strong>und</strong>stückes war für mehrere Jahre<br />
Frau Thelen <strong>und</strong> Miteigentümer. Von ihnen erwarb es das Ehepaar<br />
Radermacher (in Haus Nr. 68 wohnend). Sie nahmen 1958<br />
den Wiederaufbau vor. Heinrich Radermacher hatte im Erdgeschoss<br />
als Schuster einen Laden <strong>und</strong> die Werkstatt. Nach seinem<br />
Tod blieb das Haus im Besitz von Frau Radermacher. Seit<br />
1987 ist Herr Dalscheid Eigentümer. Ab 1968 übernahm die K.<br />
Jansen KG, Kaffeegroßrösterei, ab etwa 1980 die Rolf Jansen<br />
GmbH bis 1986 mit einem Kaffeegeschäft das Ladenlokal. Anfang<br />
der 90er Jahre gab es eine Zeit lang ein Geschäft für<br />
Schreibwaren <strong>und</strong> Zeitschriften, danach eine Filiale der Bäckerei<br />
Töller, später (1997/98) den Computerladen von Ralf Grafe<br />
<strong>und</strong> seit 1999 ein Maniküre-Institut, das Ende November 2005<br />
schloss. Die Räume standen zunächst leer, bevor sie im Frühjahr<br />
2006 zu einer Wohnung umgebaut wurden.<br />
Nr.10/12<br />
Abb. 310: Südstraße 10/12, 2002<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
Abb. 311: Südstraße 10/12, 2006<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 308: Südstraße 8, 2002<br />
Abb. 309: Südstraße 8, 2006<br />
Zu Nr. 10 gibt das Adressbuch keine sicheren Erkenntnisse: 1872 ist Dr. med. H.N. Herwartz,<br />
pract. Arzt, verzeichnet. Man kann davon ausgehen, dass er hier wohnte <strong>und</strong> vielleicht<br />
141
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
auch praktizierte. 1881 ist er als Eigentümer eingetragen, 1885 die Witwe Dr. Herwartz. 1899<br />
gehört das Haus Armin Herwartz <strong>und</strong> ab 1901 den Geschwistern Herwartz. Von 1904 bis 1913<br />
besaß es die Armenverwaltung, 1914 übernahm es bis 1930 die Stadtverwaltung Aachen. Dann<br />
ist die Witwe H. Nüttgens, Stopfmeisterin, als Eigentümerin verzeichnet <strong>und</strong> seit 1936 ist neben<br />
ihr auch noch die Kunststopferin R. Jobes genannt, sie wohnte schon vorher im Haus. Ausgebombt<br />
blieb das Gr<strong>und</strong>stück weiter im Besitz der beiden Frauen, bis sie es Mitte der 1950er Jahre<br />
an Theo Campo verkauften.<br />
Von Haus Nr. 12 ist der genaue Ursprung nicht bekannt. 1872 wird die Bernard’sche Reitbahn<br />
genannt, im Haus wohnten außer dem Reitlehrer Bernard u.a. noch der Pferdehändler<br />
August Terkatz. 1881 heißt der Eigentümer Reisdorff, ab 1883 besorgt ihm die Witwe Bernard<br />
die Verwaltung. 1885 wird der Bauunternehmer Stephan Reisdorff als Besitzer verzeichnet. 1910<br />
ist mit Hermann Classen aus der Alexanderstraße ein neuer Besitzer genannt. Ihm folgt 1914 der<br />
Bildhauer Ludwig Schoepen, nach der Eintragung von 1922 hat er hier auch sein Atelier. Auch<br />
nach der Zerstörung im Krieg gehört das Gr<strong>und</strong>stück L. Schoepen, der es 1953/54 an Th. Campo<br />
verkauft.<br />
Er unternahm 1958 den Wiederaufbau zusammen mit Nr. 10 als Doppelhaus (zur gleichen<br />
Zeit wie Nr. 8). Die Tordurchfahrt führt zum kleinen Hof mit der Malerwerkstatt Campo (die etwa<br />
1998 zur Lagerhausstraße verlegt wurde). Nach 1970 ist Maria Campo als Eigentümerin genannt.<br />
Nr. 14<br />
Im Adressbuch von 1872 (siehe auch Foto bei Haus Nr.<br />
16/18) sind fünf Bewohner verzeichnet, unter ihnen A. Möltgen,<br />
Handschuh-, Jacken- <strong>und</strong> Joppenfabrik. Es ist nicht herauszufinden,<br />
ob er Besitzer dieser Fabrik an einem anderem<br />
Ort war oder auch hier fertigte, vermutlich nicht. 1881 ist<br />
Heinrich Esser als Eigentümer genannt, als Bewohner der Stallknecht<br />
Schluszat. 1883 gibt es außerdem einen Schlosser- <strong>und</strong><br />
Schmiedemeister Esser im Haus. Die Bauschlosserei Gebr. Esser<br />
waren Eigentümer des Hauses. Als Mieter sind wenig später<br />
u.a. zwei Kutscher erwähnt. 1910 besitzt bis in die Jahre des<br />
Ersten Weltkriegs der Schlossermeister Heinrich Esser das Anwesen,<br />
1920 die Witwe Heinrich Esser. 1924 ist P. Christian,<br />
vermutlich ein Druckfehler, es muss wohl Christgau heißen, als<br />
Eigentümer genannt. Nach 1928 kommt ein mehrfacher<br />
Wechsel zwischen F. <strong>und</strong> P. Christgau, wobei die Verwaltung<br />
jeweils bei dem Polizeibeamten P. Christgau blieb. Das geht so<br />
bis in den zweiten Weltkrieg, in dem das Gebäude durch zwei<br />
Volltreffer zerstört wird.<br />
Abb. 312: Südstraße 14, 2002<br />
Das Gr<strong>und</strong>stück gehört 1951 einer Frau Fr. Christgau<br />
<strong>und</strong> bis 1955/56 P. Christgau <strong>und</strong> Miteigentümern. 1958 hatte<br />
es Mathias Bleimann erworben <strong>und</strong> den Neubau errichtet, die Gastwirtschaft im Erdgeschoss<br />
führte E. Bleimann. Seit 1959/60 ist das Haus im Besitz von Hermann Hall bzw. seit 1976 seiner<br />
Tochter Marlene Hall. Sie nahm 1976 eine völlige Modernisierung (Apartment-Wohnungen) vor.<br />
Als Bewohner <strong>und</strong> wahrscheinlich Betreiber der Gaststätte deren Name lange "Südhof" war,<br />
finden sich nacheinander folgende Namen Frau A. Einhaus, Helma Bettinger, Frau H. Jansen, Frau<br />
Born <strong>und</strong> Frau Gouders. In den 90er Jahren hieß die Gaststätte eine Zeit lang "Meisenfrei 2",<br />
geführt von Herrn Rüdiger. Nach einer mehrmonatigen Pause hatte sich im Juni 2000 für kurze<br />
Zeit das Internetcafé "Gaffa" dort etabliert. Dann folgte der Versuch mit einer Gaststätte "el Sur"<br />
mit südamerikanischen Spezialitäten, aber am 31. August 2002 war auch das zu Ende. Nach<br />
Leerstand erfolgte im Herbst 2003 der Umbau zu einer Wohnung, doch ab Herbst 2004 kehrt mit<br />
einem Musikgeschäft wieder eine Ladennutzung in das Gebäude zurück, das Anfang 2009 aufgab.<br />
Seit April 2009 befindet sich hier ein Massagesalon.<br />
142
Nr.16/18<br />
Laut Adressbuch von<br />
1875 wohnte in Nr. 16 der<br />
Fabrikdirektor Theodor Küpper.<br />
1881 heißt der Eigentümer<br />
Th. Küpper. Es ist anzunehmen,<br />
dass er der Erbauer<br />
des Hauses war. 1889 gehört<br />
es der Witwe Küpper. 1893<br />
wird die Firma Jacob Kaufmann<br />
als Besitzer bezeichnet<br />
<strong>und</strong> ein Bewohner ist der<br />
Pferdehändler Henry Kaufmann,<br />
der Pferdehandel wird<br />
jedoch in diesem Haus nicht<br />
stattgef<strong>und</strong>en haben.<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
Abb. 313: Südstraße 16, ca. 1910. Links ist der<br />
Torbogen des Zugang zum Tattersall (Nr. 18)<br />
im Ansatz zu erkennen, rechts Haus Nr. 14 im<br />
ursprünglichen Zustand (Foto: Stadtarchiv<br />
Aachen).<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 314: Südstraße 16/18, 2002<br />
Zwischendurch machte für kurze Zeit Henry Kaufmann die Verwaltung <strong>und</strong> 1906 war er<br />
dann der Eigentümer. 1910 erwarb Heinrich Dibbert das Anwesen, von da an gibt es unter der<br />
Nr. 18 das Reitinstitut von Heinrich Dibbert. Das Gr<strong>und</strong>stück Nr. 18 war nicht bebaut, sondern<br />
nur mit einem Torbogen versehen. 1920 ist Herr Dibbert mit "akad. Reitlehrer" tituliert, von 1922<br />
bis 26 gehören Nr. 16 <strong>und</strong> 18 gemeinsam Heinrich Dibbert mit dem Zusatz "Belg. Besatzung".<br />
1928 ist es wieder sein "Reitinstitut" <strong>und</strong> heißt für einige Jahre “Aachener Reitinstitut H. Dibbert<br />
GmbH“, <strong>und</strong> zu Nr. 18: Verwaltung A. Betzel, Oblt. a.D., Leiter des Reitinstitutes (er wohnte in<br />
Nr. 4). Ab 1932 werden die beiden Gr<strong>und</strong>stücke gemeinsam registriert. Erst 1942 ändert sich der<br />
Besitz für das Doppelgr<strong>und</strong>stück, das H. Meyer übernimmt. Weitere Einzelheiten aus dieser Zeit<br />
zu den beiden Häusern sind im Kapitel zum Tattersall zu finden.<br />
Nach der Zerstörung wurde 1951 für das Gr<strong>und</strong>stück Nr.16 als Eigentümer die Witwe H.<br />
Dibbert <strong>und</strong> für Nr. 18 W. Meyer genannt. Dort sind jetzt zwei Firmen der Baubranche angesiedelt:<br />
M. Danhausen, Zementwaren u. Terrazzobetrieb, <strong>und</strong> M. Leuchter, Schlosserei. 1953/54<br />
sind es die Fa. Danhausen <strong>und</strong> Wwe. J. Königshoven, Stuckgeschäft. 1955 kaufte Hubert Oebel<br />
beide Gr<strong>und</strong>stücke <strong>und</strong> errichtet das Doppelhaus Nr. 16/18. Er siedelt sich mit seiner Baufirma<br />
hier an. Mit dem 65. Geburtstag zog sich 1969 Oebel aus dem Geschäft zurück <strong>und</strong> baute die<br />
Fläche zu einem Garagenhof aus. Seit 1975 ist Walter Oebel Eigentümer.<br />
143
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Nr. 20-40 (siehe auch Kap. 2.5)<br />
Abb. 315: Südstraße 20-42, vermutlich in den 50er Jahren (Foto: Foto<br />
Schmeck)<br />
Die Neubauten errichtete Carl Kalde<br />
1952 über die bis dahin freie Fläche des einstigen<br />
Tattersalls unter Einbeziehung des zerstörten<br />
Hauses Nr. 42. In dem langen Ziegelgebäude<br />
befinden sich etwa 100 Wohnungen.<br />
In Nr. 34 (Ladenlokal vor dem Bunker) eröffnete<br />
Frau K. Reinartz eine Drogerie. Nachfolger<br />
war ab September 1958 Gottfried Kahlen (bis<br />
Ende 1969), später versuchte Waltraud Müller<br />
einen Handel mit Obst <strong>und</strong> Gemüse (etwa<br />
1986), danach hatte Ingeborg Rövenich ihr<br />
Blumengeschäft (1987-88).<br />
In Nr. 34a eröffnete 1952 K. Jansen einen<br />
Süßwarengroßhandel (bis 1961), danach<br />
machte Frau W. Königshoven dort eine Annahmestelle für eine Wäscherei auf, die 1965 Finny<br />
Schumacher übernahm. Etwa ab 1994 hat Frau T. Claessen in beiden Lokalen ihren Second-<br />
Hand-Laden "Spardose". Im Dezember 2004 zog auch sie aus der Südstraße an einen neuen<br />
Standort. Danach standen die Räume lange leer, bis in das rechte Ladenlokal im Herbst 2008<br />
eine Kunstgalerie einzog, die sich 2009 in das linke Ladenlokal erweiterte.<br />
Abb. 318: Typische Ladeneinrichtung der 50er Jahre (Foto:<br />
Fam. Kahlen)<br />
144<br />
Abb. 316: Südstraße 20-42, 2002<br />
Abb. 317: Einladungskarte zur Eröffnung der Drogerie durch Fam.<br />
Kahlen (Quelle: Fam. Kahlen).<br />
Abb. 319: Die Schaufenster der Drogerie Ende der 50er Jahre (Foto: Fam. Kahlen).
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Nr. 30<br />
Hausnummer des Luftschutzbunkers, weiteres siehe Kapitel "Tattersall <strong>und</strong> Bunker".<br />
Nr. 40<br />
Ursprünglich die Adresse der Friedrich Franckenhoff´schen Tuchfabrik, später Spinnerei<br />
H.O. Werner <strong>und</strong> ab 1908 Zeichen- <strong>und</strong> Kunstgewerbeschule Aachen, später Fachhochschule,<br />
Fachbereich Design. Weiteres siehe Kapitel "Die ehemalige Fachhochschule".<br />
Nr. 42<br />
Wilhelm Thomas ließ 1914 das Wohnhaus errichten <strong>und</strong> es blieb bis 1922/23 in seinem<br />
Besitz. 1924 erwarb der Kaufmann W. Rüttgers das Haus, ab 1938 besaß es die Witwe. Der<br />
Schneider Wilhelm Thomas blieb weiter im Haus wohnen (nach 1934 verwaltete er einige Jahre<br />
das Haus) <strong>und</strong> betrieb dort seine Schneiderei, ab 1938 mit K. Thomas (sein Sohn?). Nach 1942<br />
fiel das Haus einem Bombenangriff zum Opfer. Zur Wahl 1933 hingen an der damals noch frei<br />
stehenden Giebelwand drei große Hitler-Plakate mit dunklem Hintergr<strong>und</strong>.<br />
1951 besitzen Frau Th. Strohe <strong>und</strong> Miteigentümer das Gr<strong>und</strong>stück. C. Kalde erwarb es <strong>und</strong> bezog<br />
es in seine Häuserreihe ein. Es wurde als erstes 1952 bezogen.<br />
Nr. 44<br />
Abb. 320: Südstraße 44, 1973 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
Abb. 321: Südstraße 44, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege) Abb. 322: Südstraße 44, 2002<br />
Gleichfalls 1914 entstand für den Schneidermeister Karl Thomas dieses Wohnhaus, er<br />
wohnte von 1902 bis 1913 in der Südstraße 52. Das Gr<strong>und</strong>stück blieb im Besitz der erbauenden<br />
Familie. Ab 1928 ist Witwe Th. Thomas die Eigentümerin, 1934 heißt es Witwe K. Thomas bis<br />
1940. 1942 besitzt Frl. M. Thomas das Haus <strong>und</strong> 1951 bis 1953/54 wieder Witwe K. Thomas, ihr<br />
folgte 1955/56 der Sohn Joseph Thomas <strong>und</strong> seit 1990 hat es sein Sohn Prof. Dr. H.G. Thomas in<br />
Besitz.<br />
Ohne größeren Kriegsschaden erlitten zu haben, zeigt sich die Fassade in ihrer ursprünglichen<br />
Form. Das Haus steht seit 25. Mai 1983 unter Denkmalschutz: "4-geschossig in 4 Achsen,<br />
mit 2-geschossigem <strong>und</strong> 2-achsigem Mittelerker, Balkon, Fassade verputzt mit Schmuckformen<br />
der Zeit nach dem Jugendstil, Mansarddach, Bruchsteinsockel."<br />
145
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Nr. 46<br />
Abb. 323: Südstraße 46, 1968, mit der<br />
Oberleitung der Straßenbahn im Vordergr<strong>und</strong><br />
1912 wurde das Haus Nr. 46 im Auftrag des Schneidermeisters<br />
Hubert Hirtz erbaut. Familie Hirtz bewohnte das Erdgeschoss.<br />
Das kleine Zimmer neben dem Hausflur war das Anprobierzimmer.<br />
Die Schneiderwerkstatt befand sich in Höhe<br />
des Gartenniveaus im Keller mit zwei großen Fenstern <strong>und</strong> Zugang<br />
zum Garten. Das Gebäude blieb im Besitz der Familie.<br />
Nach dem Tod des Ehepaares Hirtz 1935 heißen die Eigentümer<br />
Hirtz’sche Erben, verwaltet von Peter Hirtz. Im Krieg Abb. 326: Südstraße 46, 2002<br />
hatte in der ersten Etage der Fotograf Hermann Kleber sein<br />
Atelier. Nach Abfindung <strong>und</strong> Tod von Peter Hirtz verwaltete<br />
zwischenzeitlich seine Witwe das Haus. Sie heiratete wieder <strong>und</strong> seit 1969 gehört es dem Ehepaar<br />
Holtzhausen, das das Gebäude umfassend modernisierte.<br />
Das Haus blieb im Zweiten Weltkrieg fast unbeschädigt <strong>und</strong> besitzt noch bis auf Änderung<br />
im Bereich des Erdgeschosses (mit Riemchen belegt) seine ursprüngliche Fassade. Das Haus steht<br />
deshalb seit 14. September 1983 unter Denkmalschutz: "4-geschossig in 3 Achsen, links ein 2achsiger,<br />
3 geschossiger Erker, Fassade verputzt mit Schmuckformen der Zeit nach dem Jugendstil,<br />
Erdgeschoss verändert, Mansarddach."<br />
146<br />
Abb. 324: Südstraße 46, 1973 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege), Straßenbahngleise<br />
noch vorhanden<br />
Abb. 325: Südstraße 46, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)
Nr. 48<br />
Abb.327: Südstraße 48 <strong>und</strong> 50 etwa 1910, das<br />
Gr<strong>und</strong>stück Nr. 46 ist noch unbebaut (Foto:<br />
Stadtarchiv).<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
1903 ließ Hubert Schauff das Wohnhaus erbauen <strong>und</strong> es blieb in seinem Besitz bis 1922.<br />
1924 gehörte es Frl. M. Schauff <strong>und</strong> ab 1928 H.N. Schauff Söhne, Baugeschäft im Boxgraben 52.<br />
1938 bis in die Kriegsjahre wird Frau J. Schauff genannt. Nach dem Krieg waren für die nächsten<br />
Jahre Geschwister Schauff <strong>und</strong> deren Erben die Eigentümer. 1966/67gehört das Haus Nikolaus<br />
Schauff <strong>und</strong> Miteigentümern <strong>und</strong> ab 1970 Inge Schauff <strong>und</strong> Miteigentümern. Ende der 1970er<br />
Jahre wurde das Haus an Dr. Horn (damaliger Chef der Ruhrkohle AG) verkauft. Er ließ es innen<br />
gr<strong>und</strong>legend umbauen <strong>und</strong> die Fassade restaurieren. 1993 wurde Jörg Funken von der Bauunternehmung<br />
Martin Funken neuer Eigentümer.<br />
Das Haus nahm im Krieg kaum Schaden, die Fassade zeigt noch ihren ursprünglichen<br />
Schmuck. Das Gebäude steht seit 29. September 1983 unter Denkmalschutz: "4-geschossig in 3<br />
Achsen, 1-geschossiger Mittelerker mit aufgesetztem Balkon, Putz-Fassade mit Schmuckformen<br />
des Jugendstils <strong>und</strong> des Neubarocks, Erdgeschoss in Quaderputz."<br />
Nr. 50 <strong>und</strong> 52<br />
Abb. 330: Südstraße 50/52, ca. 1985, vor der<br />
Sanierung.<br />
Abb. 328: Südstraße 48, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
Abb. 331: Südstraße 50/52, nach der<br />
Fassadensanierung, ca. 1989<br />
Abb.329: Südstraße 48, 2002<br />
Abb.332: Südstraße 50/52, 2002<br />
147
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Die Gebäude 50 <strong>und</strong> 52 sind "Zwillinge", d.h. spiegelverkehrt symmetrisch. Die Originalbaupläne<br />
zeigen das Gebäude Südstraße 52, für die Südstraße 50 gelten die gleichen Pläne mit<br />
dem Hinweis "spiegelverkehrt".<br />
1901 wurde Nr. 50 von Hubert Schauff erbaut <strong>und</strong> blieb bis 1920 sein Besitz. 1922 ist als<br />
Eigentümer eingetragen: Josef Peters. Aus der Eintragung von 1924 kann man darauf schließen,<br />
dass es sich um Verwandtschaft handelt: Peters-Schauff. 1926 heißt der Eigentümer J. Peters <strong>und</strong><br />
ab 1928 Fr. J. Peters. Ab 1966/67 besaß es Peter Sester aus der gleichen Familie.<br />
Auch Nr. 52 wurde von Hubert Schauff 1901 erbaut. Beim Bezug des Hauses zog auch der<br />
Schneidermeister Karl Thomas ein, der dann 12 Jahre später in sein neues Haus Nr. 44 zog. Bis<br />
1922 gehörte das Haus Hubert Schauff, 1924 übernahm es bis 1953/54 die Rentnerin J. Schauff.<br />
Von 1955/56 bis 57/58 ist es im Besitz des Klosters vom Heiligen Herzen Jesu in Hiltrup, 1959/60<br />
von J. Görgens <strong>und</strong> Frau, 1966/67 für kurze Zeit von Hermann Görgens, nach 1970 von Gertrud<br />
Görgens, später Hermann Schlottke.<br />
1983 wurden beide Gebäude unter Denkmalschutz gestellt <strong>und</strong> wie folgt beschrieben: "Um<br />
1900 erbaut; 4-geschossig in 3 Achsen, im 1. Obergeschoss 1-geschossiger Mittelerker mit Balkon,<br />
Fassade verputzt mit Schmuckformen des Neubarock."<br />
1984 kam es zusammen mit Nr. 50 in den Besitz des Ehepaars <strong>Richter</strong>-<strong>Richard</strong>. Die Gebäude<br />
machten beim Kauf einen jämmerlichen Eindruck. Eine Modernisierung war dringend notwendig.<br />
Im November 1985 begann die Modernisierung, die unter teilweiser Zusammenlegung der<br />
beiden Gebäude im Juli 1986 weitgehend abgeschlossen wurde. Das Gebäude beherbergt auch<br />
das Planungsbüro der Inhaber.<br />
Abb. 333: Rückfassade des Anbaus 1985 Abb. 334: In der Umbauphase 1986<br />
148<br />
Abb. 335: Rückfassade des Anbaus ca. 1995
Nr. 54<br />
Abb. 336: Südstraße 54,1939 (Foto: Dziubon)<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
1914 hatte der Konditormeister Jakob Heinrichs das Haus erbauen lassen, <strong>und</strong> sich im Erdgeschoss<br />
die Bäckerei <strong>und</strong> Konditorei eingerichtet. Er blieb Eigentümer bis nach dem zweiten Weltkrieg.<br />
Ab 1951 lautete der Eintrag auf J.O.<br />
Heinrichs. Die Bäckerei <strong>und</strong> Konditorei führte<br />
ab 1932 der Sohn Hans Heinrichs. Nach dem<br />
Krieg wurden im Hof, wie in vielen anderen<br />
Höfen auch, Hühner gehalten. Die Eier gingen<br />
gleich in die im Kellergeschoss liegende Backstube.<br />
Um 1957/58 verpachtete er die Bäckerei<br />
bis etwa 1972 an den Bäckermeister Heinrich<br />
Krings. Inzwischen (1970) hatte Familie Dziubon<br />
(Bäcker von gegenüber aus Nr. 47) das<br />
Haus gekauft - es wird gemunkelt, um die<br />
Konkurrenz herauszudrängen, denn anschließend<br />
richtete sich dort die Gaststätte "Zur Südklause"<br />
ein (mit Kegelbahn in der ehemaligen<br />
Backstube). Seit 3. August 1979 war dort die<br />
Kneipe "Bebop". In der ehemaligen Backstube<br />
befand sich nun eine Diskothek. 1985 verkauften<br />
Dziubons das Haus weiter. Heutige Eigentümer<br />
sind Kalb/von Mulart.<br />
Abb. 337: Südstraße 54, 1980 (Foto: Stadt<br />
Aachen, Denkmalpflege)<br />
Abb. 338: Südstraße 54, 2002<br />
Abb. 339: Die BeBop-Gründer im Eröffnungsjahr 1979 (Foto: Anne<br />
Gold).<br />
Nach dem auch in der Aachener Chronik verzeichneten 25-jährigen Jubiläum am 3. August<br />
2004 zog im August 2005 das BeBop um. Seit November 2005 ist hier der Jazzclub "Quer-Beat",<br />
der sich schon bald in "Parkside Inn" umbenannte.<br />
Im Krieg erlitt das Haus nur geringen Schaden, so dass nach einer Restaurierung in den<br />
90er Jahren sich die schöne alte Fassade wieder zeigt. Das Haus steht seit dem 18. April 1983<br />
unter Denkmalschutz: "4-geschossig in drei Achsen, die breit angelegte Mittelachse mit einem 2geschossigen<br />
Erker mit Balkon, Fassade verputzt mit Schmuckformen der Zeit nach dem Jugendstil,<br />
Mansarddach mit einem übergiebelten über der Mittelachse gelegenen Dacherker, Erdgeschoss<br />
verändert."<br />
149
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Nr. 56/58<br />
Das Wohnhaus Nr. 56 wurde 1914 von Josef Mertens<br />
errichtet. Er behielt das Haus bis in die Jahre nach dem zweiten<br />
Weltkrieg. Um 1940 richtete sich in einer Wohnung die Witwe<br />
J. Mühlenberg ein Maßgeschäft ein.<br />
In den Nachkriegsjahren wohnte hier der in Aachen bekannte<br />
Bombenräumer L. Datené mit seiner Familie. Seine Arbeit<br />
war für ihn zwar tägliche Routine, doch gehörte auch viel<br />
Mut dazu, die Kriegshinterlassenschaften zu entschärfen. Etwa<br />
1959 wanderte die Familie nach USA oder Kanada aus.<br />
1957/58 erwarb der Installateurmeister Jakob Breier aus<br />
der Stephanstraße das Haus, das im Krieg einige Schäden abbekommen<br />
hatte.<br />
Nr. 58 wurde bereits 1898/99 vom Maurermeister Corr<br />
(siehe Nr. 13) gebaut, im nächsten Jahr wurde Herr Jolie (siehe<br />
Nr. 1, 7 <strong>und</strong> andere Häuser) Eigentümer, 1906 Agnes Lang <strong>und</strong><br />
1912 Josef Mertens (aus Nr. 56). Er hielt das Haus bis zu seiner<br />
Zerstörung im zweiten Weltkrieg.<br />
1951 war das Gr<strong>und</strong>stück an Jakob Breier verkauft. Er Abb. 340: Südstraße 56/58, 2002<br />
errichtete 1956 den Neubau des Hauses Nr. 58, danach zogen<br />
die Mieter von Nr. 56 in den Neubau. Das desolate Haus Nr. 56<br />
wurde abgerissen <strong>und</strong> neugebaut <strong>und</strong> bildet seit Ende 1957 das Doppelhaus Nr. 56/58. Die Fa.<br />
Breier benutzte nur die im Hof gelegene Werkstatt (das Büro blieb noch in der Stephanstraße),<br />
im Erdgeschoss befinden sich zwei Ladenlokale: Kaffee-Jansen (mit Rösterei) <strong>und</strong> Apotheke (Sonnenapotheke).<br />
Ab 1967/68 nutzte die Fa. Breier die Räume von Kaffee-Jansen als Büro mit Ausstellung<br />
im Schaufenster. Später wurden die Büroräume durch einen Anbau erweitert. Am 15.<br />
Juni 2000 zog die Firma E. Breier GmbH zur Lukasstraße 7. Die "artwork-Agentur" Walter Holl<br />
nutzte anschließend die Räume für den Vertrieb moderner Kunst, doch auch diese Nutzung<br />
verschwand 2006 aus der Südstraße. Im September 2007 startete hier "AC Fitness", ein Fitnessgerätefachhandel.<br />
Die Apotheke gab es bis 1986, nach einem Umbau wurde von Hilde Breier 1987 ein Imbisslokal<br />
eröffnet, seit 1995 ist hier der "Nikolaus-Grill" mit verschiedenen Pächtern.<br />
Am 1. April 1991 feierte hier Herr Joseph Lennertz seinen Geburtstag zum 100-jährigen.<br />
Oberstadtdirekter Berger überbringt als Glückwünsche des B<strong>und</strong>espräsidenten, des Ministerpräsidenten<br />
NRW <strong>und</strong> des Oberbürgermeisters Dr. Linden je einen Umschlag mit 200 DM.<br />
150
Nr. 60<br />
Abb. 341: Südstraße 60, ca. 1910, mit einem<br />
Lebensmittelgeschäft. Zur Nr. 62 ist ein Mast<br />
der Straßenbahnoberleitung zu erkennen (Foto:<br />
Stadtarchiv Aachen).<br />
Abb. 342: Südstraße 60, 2002<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 343: Südstraße 60, 2006<br />
Das Haus wurde gemeinsam mit Nr. 58 um 1898/99 von Herrn Corr erbaut, <strong>und</strong> ab 1900 nahm<br />
Ludwig Jolie auch dieses Haus in Besitz. Ihm folgten 1906 die Witwe Agnes Lang, 1912 Leonhard<br />
Cornetz, 1914 seine Witwe als Eigentümer. Herr Cornetz unterhielt eine Kleinhandlung, vorher<br />
ist kein Laden verzeichnet. Frau Cornetz führte das Geschäft weiter, ab 1924 als Obst- bzw. Obst<strong>und</strong><br />
Gemüsehandlung. 1932 erwarb der Metzgermeister Jakob Lennartz das Haus <strong>und</strong> eröffnete<br />
eine Metzgerei.<br />
Nach großem Bombenschaden (in den Trümmern fand man vier Tote der Familien Klinkenberg<br />
<strong>und</strong> Düppengießer) konnte nach dem Krieg in einem provisorischen Bau die Metzgerei<br />
weiter geführt werden. Erst 1968 ließ Peter Lennartz den Neubau mit der neu gestalteten Metzgerei<br />
errichten. Sie schloss 1990. 1991 gab es hier kurz die Sunrise Computer GmbH (bis 1992),<br />
bald danach zog das Copy Team (von Nr. 47) hierher um. Von Ende 1997 bis Dezember 2003<br />
befand sich hier die Druckerei mit Copy-Shop von Herrn H. Javadi. Bis Februar 2005 standen die<br />
Räume leer, dann hat Uta Lützner hier das Fahrradgeschäft "Sausewind" eröffnet. Im Sommer<br />
2006 erfolgte eine umfassende Sanierung der Fassade.<br />
151
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Abb. 344: Südstraße 56/58 <strong>und</strong> 60 im September 1962 (Foto: Günter Peters).<br />
Nr. 62<br />
In den Adressbüchern<br />
von 1889 <strong>und</strong> 1891 ist im<br />
oberen Teil der Südstraße<br />
ohne Hausnummer eine Ziegelei<br />
aufgeführt. Sie gehörte<br />
Gustav Leydel Architekt, Bauunternehmer,Ziegeleibesitzer<br />
<strong>und</strong> Besitzer des Aachener<br />
Mörtelwerks.<br />
Der Kaufmann Josef<br />
Pohl ließ 1900 das Wohnhaus<br />
auf den Gr<strong>und</strong>mauern<br />
dieser Ziegelei erbauen. Ab<br />
1934 gehört das Haus der<br />
Witwe M. Pohl bis zur Zerstörung<br />
im Krieg.<br />
1951 gehört das Trümmergr<strong>und</strong>stück den Erben Pohl, 1953/54 Josef Pohl. Im Oktober<br />
1952 stellt Familie Kallas als Provisorium das EG wieder her <strong>und</strong> eröffnet das Lebensmittelgeschäft,<br />
das bisher in einem einfachen Büdchen an der Ecke Reumontstraße auf den ehemaligen<br />
Tennisplätzen untergebracht war. Lange Zeit blieb es bei diesem Provisorium. Um 1962 hatten<br />
J. Kallas <strong>und</strong> seine Frau Annelene das Gr<strong>und</strong>stück erworben. 1970 erstellten die den Neubau.<br />
152<br />
Abb. 345: Südstraße 62 mit 60 (rechts) <strong>und</strong> 64<br />
(links), ca. 1910, mit Gaslaterne <strong>und</strong><br />
Oberleitungsmast für die Straßenbahn (Foto:<br />
Stadtarchiv Aachen).<br />
Abb. 346: Südstraße 62, 2002
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Etwa 1976 verpachteten Kallas´ das Geschäft an die Fahrschule Helmut Mühlner. Seit einigen<br />
Jahren gibt es hier ein Geschäft für elektronische Geräte (El Hage GmbH).<br />
Nördliches Eckhaus Südstraße 64 / Reumontstraße 36a<br />
Das Haus Nr. 64 ist im Jahr 1900 als Neubau auf die Fa.<br />
Palm&Rombach (siehe Nr. 15 <strong>und</strong> 17) eingetragen <strong>und</strong> 1901<br />
auf jenen Herrn Lentz, "St. Johann", der beim Haus Nr. 15 zur<br />
selben Zeit erscheint. Ihm folgt 1903 Herr Müller. In diesem<br />
Jahr wohnt Herr Deuster als Techniker im Haus <strong>und</strong> unterhält<br />
eine Kolonialwarenhandlung. 1906 gehört das Haus Josef<br />
Lennartz, 1908 der Zweibrücker Bank. Leonhard Moos hat jetzt<br />
als Kleinhändler hier sein Geschäft, das er 1914 in sein Haus<br />
Nr. 59 verlegt. 1913 ist Anton Friedrich im Besitz des Hauses,<br />
er ist ebenfalls mit einer Kolonialwarenhandlung verzeichnet.<br />
1936 sind die Friedrichschen Erben als Eigentümer genannt<br />
<strong>und</strong> F. Friedrich verkauft Kolonialwaren. 1938 ist R. Rother bis<br />
in den zweiten Weltkrieg Besitzer des Hauses. Seit 1942 ist<br />
Therese Jansen für kurze Zeit Inhaberin des Lebensmittelladens.<br />
Nach einer Straßenkarte von 1936 mit eingetragenen Hausnummern<br />
<strong>und</strong> Darstellung der Gr<strong>und</strong>risse der Häuser hatte das<br />
Eckhaus einen langen Anbau, der die Südfront zur Reumontstraße<br />
bildete. Das Vorderhaus war zur Südstraße orientiert.<br />
1951 lautet der Eintrag für den Besitz des durch Bombenschäden<br />
nur noch im Erdgeschoss erhaltenen Rest des Hau-<br />
Abb. 347: Eckhaus Südstraße 64/ Reumontstraße<br />
36a, 2002<br />
ses auf Anton, genannt Fritz, Friedrich <strong>und</strong> Witwe H. Meisner. Der Polsterer F. Hermann, der<br />
schon seit 1924 im Haus wohnt, hat sich in den Räumen des ehemaligen Geschäfts eine Werkstatt<br />
eingerichtet. Wieder als Eckhaus wurde es 1953/54 so errichtet, dass der Hauseingang nun<br />
in der Reumontstraße lag <strong>und</strong> die Hausnummer 36a erhielt. Als Besitzerin ist 1961/62 Frau J.<br />
Hermanns eingetragen, nach ihrem Tod erbte ihr Sohn das Gebäude. Im Ladenlokal mit dem<br />
Eingang an der Ecke gab es die Firma Papierwaren Prickartz, nach etlichen Jahren gefolgt von<br />
einer Reinigungsannahme. Ab 1985 richtete der Grieche Nikolaus Dionisiadis seine Chemische<br />
Reinigung mit Änderungsschneiderei ein.<br />
Nur das Ladenlokal in der Südstraße behielt die Hausnummer 64. Es war u.a. für etwa 10<br />
Jahre eine Filiale von Feinkost Fisch-Lahaye <strong>und</strong> danach Frohn. Später für einige Jahre das Blumengeschäft<br />
Piet Brandt <strong>und</strong> danach Helga Weidauer. Seit 1985 befindet sich hier der Frisiersalon<br />
von Annemarie Siebertz. In den Jahren 2006/07 wurde das Haus umfassend saniert <strong>und</strong><br />
erhielt einen Dachausbau. Ende 2007 wurde der Frisiersalon aufgegeben, danach zunächst Leerstand<br />
bis im August 2008 ein Laden für H<strong>und</strong>ekekse öffnete.<br />
153
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Südliches Eckhaus Südstraße / Reumontstraße 41<br />
Abb. 348: Postkarte des Hotel/Restaurant "Barbarossa". [5]<br />
Abb. 350: Ausschnitt aus der Postkarte mit dem früheren Eckgebäude. Im Hintergr<strong>und</strong> ist die in<br />
Bau befindliche Eisenbahnunterführung zu erkennen. [5]<br />
154<br />
Abb. 349: Reumontstraße 41, 2002<br />
Das Eckhaus mit der damaligen<br />
Bezeichnung Reumontstraße<br />
37 erbaute Ludwig Jolie 1903<br />
als Hotel mit Restaurant. Es<br />
hatten neben Haus Nr. 68 einen<br />
zweiten Zugang, von dem<br />
unabhängig von Hotel <strong>und</strong> Restaurant<br />
der Schankraum <strong>und</strong><br />
das Billardzimmer erreicht werden<br />
konnte. 1905 kaufte es<br />
Josef Koerfer, der in der Jakobstraße156<br />
einen Kolonialwarenhandel<br />
betrieb. Erst 1908<br />
wird er als Besitzer des Hotel-<br />
Restaurants "Barbarossa" genannt. Zwischendurch soll es (1913) Felix Edelhoff geführt haben,<br />
aber 1920 läuft es wieder unter Josef Koerfer, ab 1924 besitzen es die Geschwister Körfer, auch<br />
die Schwabenbräu AG hatte Eigentum daran. Am 2. Juli 1927 gab es einen Brand im Haus, zwei<br />
Tote waren zu beklagen. Von 1932 bis 1934 war Ernst Hesse der Pächter. In seinem Beruf als<br />
Architekt fand er keine Arbeit, hier kam er mit k<strong>und</strong>iger Familienhilfe zum Erfolg.<br />
Alle Häuser bis zur Reumontstraße Nr. 47 waren noch bis 1959 in Trümmern. Familie Th.<br />
Dreuw kaufte die Gr<strong>und</strong>stücke bis einschließlich Nr. 45 <strong>und</strong> vollzog den Wiederaufbau auf den,<br />
wie gesagt wird, teilweise noch vorhandenen Gr<strong>und</strong>mauern des Erdgeschosses. Nun war wieder<br />
im Erdgeschoss des Eckgebäudes mit der neuen Nr. 41 die Gaststätte "Barbarossa" (mit einem<br />
Eingang von der Südstraße), von 1986 bis 2002 das griechisch geführte "Agora", von November<br />
2002 bis Frühjahr 2004 das Restaurant "Culinarius", dann "Athenee", seit Anfang 2008 Leerstand,<br />
im April 2009 Wiedereröffnung unter dem Namen "Palmyra". Nach dem Wiederaufbau befand<br />
sich - laut Adressbuch von 1959/60 - unter den ersten Mietern außer der Gaststätte "Barbarossa"<br />
auch das Geschäft "Albrecht, Lebensmittel" (neben der Gaststätte <strong>und</strong> dem Haus Nr. 68), allerdings<br />
damals noch mit Bedienung - "ALDI" gab es in der heute bekannten Form noch nicht. Ab<br />
1966/67 unterhielt in diesem Geschäftsraum Margit Koller eine Wäscherei, ab 1970 SB-Waschsalon.<br />
Ende der 80er Jahre gab es hier einen Kopierladen. Später stand das Ladenlokal neben<br />
dem Restaurant immer wieder für längere Zeit leer, bis es von dem benachbarten Restaurant mit<br />
genutzt wurde.
Nr. 66<br />
Die Haus-Nummer wurde nicht vergeben.<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Nr. 68<br />
Eine erste Eintragung für dieses Wohnhaus findet sich im<br />
Adressbuch von 1906 mit dem Bewohner C. Dönike, Ingenieur,<br />
Techn. Bureau. 1908 heißt der Besitzer Ludwig Weinand (Baugeschäft<br />
in der Mariabrunnstraße 46), 1912 Carl Lefranc <strong>und</strong><br />
1914 Mathias David, Schneidermeister. Er besaß es bis<br />
1968/69. Etwa 1952 war der Schildermaler Kaspar Stang (später<br />
Neon-Anlagen) eingezogen, seine Frau Wilhelmine, geb.<br />
David, erbte das Haus 1970, nach ihrem Tod erbte es ihr Sohn<br />
Walter.<br />
Im Januar 1948 richtete sich der Schuhmachermeister H.<br />
Radermacher sehr beengt eine Werkstatt ein. Die Nähe des anderen<br />
Schusters Gärtner im Nachbarhaus machte keine Schwierigkeiten,<br />
Konkurrenzneid gab es nicht, es war reichlich K<strong>und</strong>schaft<br />
vorhanden. Im Jahr 1958 baute Herr Radermacher dann<br />
das Haus Nr. 8 auf <strong>und</strong> zog mit der Wohnung <strong>und</strong> der Werkstatt<br />
dorthin um.<br />
Im Krieg soll das Haus stark beschädigt worden sein.<br />
Ende des Krieges war es fensterlos <strong>und</strong> auch innen kaum be- Abb. 351: Südstraße 68, 2002<br />
wohnbar. Dennoch wurde es von Wohnungslosen "besetzt", die<br />
in Eigenarbeit Zimmerwände errichteten <strong>und</strong> das Haus provisorisch<br />
wieder bewohnbar machten. Später wurden die Mietverhältnisse geregelt <strong>und</strong> damit legalisiert.<br />
Die Fassade wurde später (vermutlich in den 70er Jahren) mit einem glatten Fliesenbelag<br />
saniert.<br />
Nr. 70<br />
1907/08 wurde das<br />
Haus für Herrn Weinand erbaut,<br />
1912 übernahm es Carl<br />
Lefranc <strong>und</strong> 1913 der Webermeister<br />
Wilhelm Offermanns.<br />
Von 1926 bis 1940<br />
besaß es seine Witwe M.<br />
Offermanns, danach die Offermanns’schen<br />
Erben <strong>und</strong><br />
von 1951 bis etwa 1965 der<br />
Kaufmann N. Offermanns.<br />
Ab 1966/67 heißen die Eigentümer<br />
Wilhelm Buchty<br />
<strong>und</strong> Frau.<br />
Über die Nutzung eines<br />
Ladenlokals ist in der<br />
ersten Zeit nichts bekannt.<br />
1922 eröffnete H. Schneiders<br />
ein Uhrengeschäft, das 1926<br />
Abb. 352: Südstraße 70, ca. 1910 (Foto:<br />
Stadtarchiv Aachen). Abb. 353: Südstraße 70, 2002<br />
von der Witwe weitergeführt wurde <strong>und</strong> das 1934 der Sohn Johann Schneiders übernahm. Es<br />
wird erzählt, dass man ihm am Fenster bei der Arbeit zusehen konnte. Er soll später Inhaber des<br />
renommierten Uhrengeschäfts (Uhren Schneiders) in der Adalbertstraße gewesen sein. In den<br />
ersten Nachkriegsjahren hatte der Schumacher Gärtner für viele Jahre seine Werkstatt <strong>und</strong> den<br />
155
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
Laden in diesen Räumen. Anfang der 70er Jahre wurde umgebaut (u.a. ein eigener Eingang für<br />
die Geschäftsräume geschaffen). Seither ist das griechische Restaurant "Lefkada" dort untergebracht.<br />
Das Haus steht direkt neben der Bahnlinie, einem besonderen Ziel der Luftangriffe. Die von<br />
der SS 1945 durchgeführte Sprengung der Bahnunterführung hatte die nördliche Hälfte der<br />
Eisenbahnunterführung weggerissen (1951 erfolgte deren Wiederaufbau). Das Haus hatte wahrscheinlich<br />
dennoch nicht so schlimme Schäden davongetragen, da man die ursprüngliche Gestalt<br />
noch gut erkennen kann. Die beiden Balkone der ersten <strong>und</strong> zweiten Etage fehlen allerdings.<br />
156
Anlage I<br />
LITERATURVERZEICHNIS<br />
[1] Hausmann, Axel<br />
Aachen zur Zeit der Römer<br />
Aachen, 1994<br />
[2] Hausmann, Axel<br />
Aachen im Mittelalter - Königlicher Stuhl <strong>und</strong> Kaiserliche Stadt<br />
Aachen, 1997<br />
[3] Lerho, Bruno<br />
Stadttore <strong>und</strong> Türme der zweiten Aachener Stadtmauer<br />
Aachen, 1995<br />
[4] Kaemmerer, Walter<br />
Geschichtliches Aachen<br />
Aachen, 1975<br />
[5] Gandelheid, Heinrich<br />
Ansichtskarten-Album - Ein R<strong>und</strong>gang durch Alt-Aachen<br />
Aachen, 1985<br />
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
[6] Karnau, Oliver<br />
Stübben in Aachen (1876-1881)<br />
In: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins, Band 103, Jahrgang 2001<br />
[7] Poll, Bernhard<br />
<strong>Geschichte</strong> Aachens in Daten<br />
Aachen 1960<br />
[8] Ökologie-Zentrum Aachen<br />
Bäche erk<strong>und</strong>en in Aachen<br />
Aachen 2000<br />
[9] Pick, <strong>Richard</strong><br />
Aus Aachens Vergangenheit<br />
Ort <strong>und</strong> Jahr unbekannt<br />
[10] 100 Jahre ASEAG - 1880/1980<br />
[11] Linckens, R. <strong>und</strong> S.<br />
Aachen - Wirtschaftsw<strong>und</strong>erjahre der 50er <strong>und</strong> 60er Jahre<br />
Gudensberg 1996<br />
[12] Deutschlands Städtebau - Aachen (DARI)<br />
Berlin 1925<br />
[13] Hermanns, Will<br />
Heimatchronik der Kur- <strong>und</strong> Kronstadt Aachen<br />
Köln, 1953<br />
[14] Fachhochschule Aachen<br />
1904/1979<br />
Aachen, 1979<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
157
DIE SÜDSTRASSE UND DAS REUMONT-VIERTEL<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n<br />
[15] Pehnt, Wolfgang; Strohl, Hilde<br />
Rudolf Schwarz - Architekt einer anderen Moderne<br />
o.O., 1997<br />
[16] Grimme, Ernst Günther<br />
Carl Schneiders<br />
Recklinghausen, 1979<br />
[17] Festschrift anlässlich des 75-jährigen Bestehens des "Öcher Schängchens"<br />
Aachen, 1996<br />
[18] Aachener Reiterverein 1910<br />
Berittene Leibgarde Sr. Tollität Prinz Karneval - 70 Jahre Aachener Prinzengarde<br />
Aachen, 1980<br />
[19] Bretschneider, Hans<br />
In: 75 Jahre Schule Reumontstraße 1909 - 1984<br />
Aachen, 1984<br />
[20] Daubner, Reinhard<br />
Aachener Villenarchitektur<br />
Aachen, 1985<br />
[21] Baukommission zur Errichtung des Priesterseminars (Hrsg.)<br />
Das neue Priesterseminar zu Aachen - Festschrift<br />
Aachen, 1937<br />
[22] Schweers, Hans; Wall, Henning<br />
Eisenbahnen r<strong>und</strong> um Aachen<br />
Aachen, 1993<br />
[23] Engels, Marc<br />
Zwangsarbeit in der Stadt Aachen<br />
Aachen, 2002<br />
[24] Meyer, Lutz-Henning<br />
150 Jahre Eisenbahnen im Rheinland<br />
Köln, 1989<br />
[25] Meyers großes Taschenlexikon<br />
Mannheim, 1990<br />
[26] Wickertath, Hubert<br />
Würselner Dom-Einblicke<br />
In: Pfarrbrief 02/2003 der Katholischen Pfarrgemeinde St. Sebastian Würselen<br />
[27] AVZ, 30.12.1982: Hans Schwipperts hohe Baukunst - Jahrzehnte lehrte der Architekt in Aachen - 1943<br />
Promotion an der TH<br />
158