10 - Lösung
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Wiss. Mit. RA Dr. Bernhard Ulrici<br />
Sachverhalte und <strong>Lösung</strong>en bauen auf den Unterlagen von Prof. Dr. Tim Drygala aus dem SS 2009 auf<br />
LEO BGB-I – Rechtsgeschäftslehre und Allgemeines Schuldrecht (Sommersemester 2011)<br />
<strong>Lösung</strong>svorschlag Fall <strong>10</strong><br />
Die T-GmbH könnte gegen A einen Anspruch auf Zahlung des<br />
Kaufpreises i.H.v. 8.600 € gemäß § 433 Abs. 2 BGB haben. Dies<br />
ist der Fall, wenn ein entsprechender Anspruch entstanden (I.)<br />
und nicht erloschen ist (II.) oder aufrechterhalten bleibt (III.).<br />
I. Ein Anspruch auf Kaufpreiszahlung entsteht durch Abschluss<br />
eines Kaufvertrags. Zwischen T und A ist ein Kaufvertrag (§ 433<br />
BGB) über eine Sonnenbank zustande gekommen. Der<br />
Kaufpreisanspruch der T-GmbH ist damit entstanden.<br />
II. Die T-GmbH könnte jedoch ihren Anspruch auf den Kaufpreis<br />
gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB verloren haben. Dies setzt<br />
voraus, dass die T-GmbH die von ihr zu verbringende Leistung<br />
(Lieferung und Übereignung der Sonnenbank) noch nicht erbracht<br />
hat, die Lieferung der Sonnenbank im Synallagma zur<br />
Kaufpreiszahlung steht und die T-GmbH nach § 275 Abs. 1-3 BGB<br />
nicht zu leisten braucht.<br />
1. Es müsste eine Nichtleistung seitens der T-GmbH vorliegen.<br />
In der Anlieferung der Sonnenbank ist noch keine Erfüllung i.S.d.<br />
§ 362 Abs. 1 BGB zu sehen, weil diese nicht nur die Vornahme<br />
einer Leistungshandlung, sondern im Grundsatz (anders z. B. im<br />
Dienstvertrag) die Herbeiführung eines Leistungserfolges<br />
voraussetzt. Die T-GmbH hat somit nicht geleistet.<br />
2. Darüber hinaus müsste es sich um eine synallagmatische<br />
Pflicht handeln. Denn nach dem Wortlaut des § 326 Abs. 1 Satz 1<br />
BGB entfällt „die Gegenleistung“. Das lässt auf das Erfordernis<br />
eines Gegenseitigkeitsverhältnisses schließen. Zudem spricht die<br />
Entstehungsgeschichte der Norm dafür: Sie ist als Ersatz für<br />
§ 323 BGB a.F. ins das Gesetz aufgenommen worden. Bei<br />
diesem war ebenfalls ein Gegenseitigkeitsverhältnis erforderlich.<br />
Deshalb ist es erforderlich, dass die betroffenen Leistungen<br />
auch im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Vorliegend bestand<br />
ein Kaufvertrag. Bei diesem wird die Ware geleistet, um den<br />
Kaufpreis zu erhalten (do ut des). Die Sachleistungspflicht steht im<br />
Gegenseitigkeitsverhältnis.<br />
3. Die Leistungspflicht (a.) der T-GmbH müsste nach §§ 275<br />
Abs. 1-3 BGB ausgeschlossen (b.) sein.<br />
a) Der Inhalt der Leistungspflicht der T-GmbH bestimmt sich<br />
vorliegend nach dem abgeschlossenen Kaufvertrag, welcher die<br />
Leistungspflicht begründet hat. Danach ist die T-GmbH zur<br />
Lieferung und Übereignung der Sonnenbank Typ Knackebraun<br />
2000 verpflichtet. Insoweit ist denkbar, dass sich die<br />
0<br />
Anmerkungen<br />
Vgl. BGHZ 12, 268; BGHZ 87, 162<br />
Zum Synallagma Medicus, BR,<br />
Rn. 213 ff.
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LEO BGB-I – Rechtsgeschäftslehre und Allgemeines Schuldrecht (Sommersemester 2011)<br />
Leistungspflicht auf eine konkrete Sonnenbank (Stückschuld) oder<br />
nur einer gattungsmäßig umschriebenen Sonnenbank aus einer<br />
Vielzahl von Sonnenbanken bezieht (Gattungsschuld). Welchen<br />
Inhalt die Leistungspflicht hat, ist durch Auslegung des<br />
Kaufvertrags zu ermitteln. Entscheidend ist, ob nach dem<br />
Parteiwillen der Vertrag auf eine konkrete Sonnenbank gerichtet<br />
war oder auch die Lieferung eines anderen, gleichwertigen Geräts<br />
in Betracht kommt. Da derartige Geräte serienmäßig hergestellt<br />
und im Verkehr nur nach der Gattung bestimmt werden, war der<br />
Vertrag ursprünglich nicht auf die Lieferung einer bestimmten<br />
Sonnenbank, sondern nur eines bestimmten Typs gerichtet. Dem<br />
A ist gleichgültig, welches Gerät er aus der Gattung erhält.<br />
Deshalb liegt ein Gattungsschuld i.S.d. § 243 Abs. 1 BGB vor. Die<br />
vereinbarte Gattungsschuld könnte sich jedoch nach § 243 Abs. 2<br />
BGB auf die angelieferte Sonnenbank konkretisiert haben. Dazu<br />
müsste der Schuldner das seinerseits Erforderliche getan<br />
haben. Dies erfordert zumindest, dass der Schuldner eine Sache<br />
aus der Gattung aussondert. Was darüber hinaus erforderlich ist,<br />
bestimmt sich nach der Parteivereinbarung. Hilfsweise sind die §§<br />
269 ff. BGB heranzuziehen. Die Anlieferung und Montage im<br />
Verkehr mit einem Privatmann lässt hier auf eine Bringschuld<br />
schließen (Verkehrsitte). Bei einer Bringschuld tritt Konkretisierung<br />
ein, wenn die geschuldete Leistung in einer den Annahmeverzug<br />
begründenden Weise angeboten wird. Annahmeverzug tritt ein,<br />
wenn der Gläubiger die ihm angebotene Leistung nicht annimmt,<br />
§ 293 BGB.<br />
aa) Zur Herbeiführung des Annahmeverzuges muss der<br />
Schuldner berechtigt sein, die Leistung zu diesem Zeitpunkt zu<br />
erbringen. Die T-GmbH und A hatten ausdrücklich vereinbart,<br />
dass die Leistung am 22.4. zwischen 15 und 17 Uhr erbracht<br />
werden soll.<br />
bb) Der Schuldner müsste darüber hinaus leistungsbereit sowie<br />
leistungsfähig und der Leistungsgegenstand vertragsgemäß<br />
sein, was hier zu bejahen ist.<br />
cc) Erforderlich ist weiterhin ein Angebot der T-GmbH an A,<br />
§§ 294 ff. BGB. Das im Grundsatz nach § 294 BGB erforderliche<br />
tatsächliche Leistungsangebot, welches vorliegend gegeben ist<br />
(vgl. Randbemerkung rechts), könnte sogar gemäß § 296 Satz 1<br />
BGB entbehrlich sein, wenn für die von dem Gläubiger<br />
vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender<br />
bestimmt ist. Hier hatten die T-GmbH und A vereinbart, dass die<br />
Sonnenbank am 22.4. zwischen 15 und 17 Uhr angeliefert<br />
werden soll. Die von A vorzunehmende Annahmehandlung<br />
(Hereinlassen von Ware und Monteuren) war deshalb<br />
kalendermäßig bestimmt. Er musste deshalb nicht vor den<br />
1<br />
Zur Konkretisierung der Gattungsschuld<br />
Medicus, BR, Rn. 258 ff<br />
Prüfungsschritte beim<br />
Annahmeverzug<br />
1. schuldrechtliche Leistungspflicht<br />
2. Möglichkeit der Leistung<br />
3. Erfüllbarkeit der Leistung<br />
4. Leistungsangebot<br />
5. Leistungsbereitschaft des Sch.<br />
6. Nichtannahme der Leistung<br />
Vgl. hierzu Brox/Walker, SchuldR<br />
AT, S. 282 ff. und Westermann/<br />
Bydlinski/Weber, SchuldR AT,<br />
S. 156 ff.<br />
Lernaufsätze zum Gläubigerverzug<br />
• Kreuzer/Stehle, JA 1984, S. 69<br />
• Schünemann/Schacke, JuS<br />
1992, L1<br />
• Schwerdtner, Jura 1988, S. 419<br />
Bzgl. § 294 BGB ist zu beachten,<br />
dass das tatsächliche Angebot<br />
keine zusätzliche zur Leistung<br />
vorzunehmende Handlung ist,<br />
sondern der Beginn der Leistung<br />
(„Anleistung“). Es muss so<br />
vorgenommen werden, dass der<br />
Gläubiger nichts weiter zu tun<br />
braucht, als zuzugreifen und die<br />
Leistung anzunehmen, vgl. BGHZ<br />
90, 359. Das tatsächliche Angebot<br />
ist Realakt, nicht Rechtsgeschäft.<br />
Ein Zugang gemäß § 130 BGB ist<br />
deshalb nicht erforderlich!<br />
Beachten Sie, dass wegen des<br />
Annahmeverzuges Konkretisierung<br />
auch nach § 300 Abs. 2 BGB<br />
eintrat!
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möglichen Folgen des Annahmeverzuges gewarnt werden. Ein<br />
tatsächlichen oder wörtliches Leistungsangebot war entbehrlich,<br />
§ 296 Satz 1 BGB.<br />
dd) Die T-GmbH hat die von ihr zu erbringende Leistung somit in<br />
einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten. Sie<br />
hat ihrerseits alles Notwendige zur Leistungserbringung getan.<br />
Die Gattungsschuld wurde auf den konkret angebotenen<br />
Leistungsgegenstand konkretisiert (§ 243 Abs. 1 BGB).<br />
b) Die Leistung der konkret angebotenen Sonnenbank könnte<br />
der T-GmbH nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden sein.<br />
Dies ist der Fall, wenn diese Leistung weder vom Schuldner noch<br />
von einem Dritten erbracht werden kann. Im Hinblick auf die<br />
totale Zerstörung der konkret geschuldeten Sonnenbank kann<br />
diese von niemandem geliefert und übereignet werden. Die<br />
Leistung der T-GmbH ist nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich<br />
geworden. Damit ist der Anspruch auf die Gegenleistung, d.h. auf<br />
die Zahlung des Kaufpreises entfallen.<br />
III. Der Kaufpreisanspruch besteht aber fort, wenn als Ausnahme<br />
zu § 326 Abs. 1 S. 1 BGB eine anspruchserhaltende Norm<br />
eingreift.<br />
1. Vorliegend könnte der Zahlungsanspruch der T-GmbH nach<br />
§ 326 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. BGB fortbestehen. Nach dieser<br />
Regelung behält der Schuldner den Anspruch auf die<br />
Gegenleistung, wenn der Gläubiger für den Umstand, auf Grund<br />
dessen der Schuldner gemäß § 275 BGB nicht zu leisten<br />
braucht, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. A ist für<br />
die Zerstörung der Sonnenbank durch Drygalski nicht<br />
verantwortlich. Dass er mit seiner Verspätung eine Ursache<br />
gesetzt hat, genügt hierfür nicht.<br />
2. Der Kaufpreisanspruch könnte jedoch nach § 326 Abs. 2 Satz<br />
1 2. Alt. BGB erhalten geblieben sein, wenn der von der T-<br />
GmbH nicht zu vertretende Umstand, auf Grund dessen sie<br />
gemäß § 275 BGB nicht zu leisten braucht, zu einer Zeit<br />
eingetreten ist, zu welcher sich der A im Verzug der Annahme<br />
befand. Der Tatbestand des Gläubigerverzuges (§ 293 BGB) war<br />
hier erfüllt, weil A die ihm in entsprechender Weise angebotene<br />
Leistung nicht angenommen hat. Die Unmöglichkeit dürfte von<br />
der T-GmbH nicht zu vertreten sein. Der Transporter war<br />
ordnungsgemäß gesichert. Die T-GmbH hat die Unmöglichkeit<br />
nicht zu vertreten. Der Kaufpreisanspruch ist damit erhalten<br />
geblieben.<br />
2
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Ergebnis: Die T-GmbH hat gegen A einen Anspruch auf Zahlung<br />
des Kaufpreises gemäß § 433 Abs. 2 BGB.<br />
3
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Abwandlung<br />
Die T-GmbH könnte gegen A einen Anspruch auf Zahlung des<br />
Kaufpreises i.H.v. 8.600 € gemäß § 433 Abs. 2 BGB haben. Dies<br />
ist der Fall, wenn ein entsprechender Anspruch entstanden (I.)<br />
und nicht erloschen ist (II., IV.) oder aufrechterhalten bleibt (III.).<br />
I. Wie im Ausgangsfall ist ein solcher Anspruch durch Abschluss<br />
des Kaufvertrags entstanden.<br />
II. Der Anspruch ist jedoch wir im Ausgangsfall infolge der<br />
Unmöglichkeit (unabhängig von der Frage des Vertretenmüssens)<br />
der Leistung der Sonnenbank gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB<br />
erloschen.<br />
III. Der Kaufpreisanspruch besteht jedoch fort, wenn als<br />
Ausnahme zu § 326 Abs. 1 S. 1 BGB eine anspruchserhaltende<br />
Norm eingreift.<br />
1. Als anspruchserhaltende Norm könnte zunächst § 326 Abs. 2<br />
Satz 1 1. Alt. BGB eingreifen. Dies ist der Fall, wenn A für den<br />
unmöglichkeitsbegründenden Umstand allein oder überwiegend<br />
verantwortlich ist. Die Verantwortlichkeit des Gläubigers muss<br />
nach der Gesetzesbegründung so sehr überwiegen, dass § 254<br />
BGB ein Schadensersatzverlangen ausschließen würde. Dafür ist<br />
eine Verantwortungsquote von 90%, mindestens aber 80%<br />
erforderlich. Der Verursachungsbeitrag des Schulze I ist hier<br />
jedoch beträchtlich, so dass eine weit überwiegende<br />
Verantwortlichkeit des A nicht anzunehmen ist. Der<br />
Kaufpreisanspruch bleibt nicht nach § 326 Abs. 2 Satz 1 1. Alt.<br />
BGB erhalten.<br />
2. Der Kaufpreisanspruch könnte jedoch gemäß § 326 Abs. 2<br />
Satz 1 2. Alt. BGB erhalten geblieben sein, wenn ein von der T-<br />
GmbH nicht zu vertretender (b) Umstand, auf Grund dessen sie<br />
gemäß § 275 BGB nicht zu leisten braucht, zu einer Zeit<br />
eingetreten ist, zu welcher sich der A im Verzug der Annahme<br />
befand (a).<br />
a) A befand sich im Annahmeverzug (siehe oben).<br />
b) Die T-GmbH dürfte den unmöglichkeitsbegründenden Umstand<br />
nicht zu vertreten haben. Grundsätzlich hat sie Vorsatz und<br />
Fahrlässigkeit zu vertreten, soweit eine mildere Haftung nicht<br />
bestimmt ist, § 276 Abs. 1 BGB. Im Annahmeverzug wird der<br />
Haftungsmaßstab von § 300 Abs. 1 BGB modifiziert, wonach der<br />
Schuldner nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten hat.<br />
Entscheidend ist daher, ob grobe Fahrlässigkeit der T-GmbH<br />
gegeben ist. Grobe Fahrlässigkeit setzt ein gesteigertes Maß an<br />
4<br />
Vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 187,<br />
Grüneberg in Palandt, § 326 Rn.9<br />
und Canaris, JZ 2001, 499, 511.
Wiss. Mit. RA Dr. Bernhard Ulrici<br />
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Nachlässigkeit voraus. Die Unrichtigkeit des Handelns bzw.<br />
Unterlassens muss „jedem vernünftig Denkenden eingeleuchtet<br />
haben“. Hier wurde der Transporter nicht nur nicht abgeschlossen,<br />
sondern zudem noch der Schlüssel stecken gelassen. Dabei<br />
handelt es sich um eine besonders unsorgfältige Handlungsweise,<br />
die die Entwendung des Wagens als Ganzem extrem erleichtert.<br />
Dagegen ließe sich zwar einwenden, dass der Wagen auf einem<br />
Privatgelände stand. Im Gewerbegebiet nützt dies zur Nachzeit<br />
jedoch nicht viel, da die Gegend typischerweise menschenleer ist.<br />
Das Verhalten ist demnach als grob fahrlässig einzustufen.<br />
Allerdings hat nicht die T-GmbH grob fahrlässig gehandelt,<br />
sondern der von ihr beauftragte Monteur Schulze I. Dessen<br />
Verschulden hat die T-GmbH jedoch nach § 278 BGB zu<br />
vertreten, wenn er Erfüllungsgehilfe der T-GmbH ist.<br />
Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten<br />
des Falles mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer<br />
diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig<br />
wird. Schulze I wurde von der T-GmbH zu A zur Erfüllung ihrer<br />
Pflichten aus § 433 Abs. 1 BGB geschickt. Schulze I ist damit<br />
Erfüllungsgehilfe der T-GmbH; sie hat sich das Verschulden des<br />
Schulze I zuzurechnen. Die T-GmbH hat mithin den<br />
unmöglichkeitsbegründenden Umstand zu vertreten. Der<br />
Kaufpreisanspruch wird nicht gemäß § 326 Abs. 2 Satz 1 2. Alt.<br />
BGB aufrechterhalten.<br />
c) Abweichendes würde gelten, wenn § 326 Abs. 2 Satz 1 2. Alt.<br />
BGB keine abschließende Regelung ist, sondern Raum bleibt, den<br />
hinter § 254 BGB stehenden Rechtsgedanken zur Geltung zu<br />
bringen. Zu bedenken ist nämlich, dass die alleinige Anwendung<br />
des § 326 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. BGB zur Folge hätte, dass der<br />
Umstand nicht berücksichtigt werden würde, dass auch A mit der<br />
Nichtannahme der Sonnenbank eine Ursache für die<br />
Unmöglichkeit gesetzt hat. Die <strong>Lösung</strong> der Fälle, in denen eine<br />
Leistung im Annahmeverzug durch ein vom Schuldner zu<br />
vertretendes Verhalten unmöglich wurde, war bereits vor<br />
Inkrafttreten der Schuldrechtsreform umstritten. Das Gesetz bietet<br />
auch heute keine ausdrückliche <strong>Lösung</strong> an. § 326 Abs. 2 BGB<br />
entspricht vielmehr wörtlich § 324 BGB a. F., und mit der<br />
Eingrenzung des § 326 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. BGB auf Fälle des<br />
weit überwiegenden Verschuldens sollte eine <strong>Lösung</strong> des<br />
Problems der beiderseitig zu vertretenden Unmöglichkeit gerade<br />
vermieden werden.<br />
aa) Dafür, dass § 326 Abs. 2 BGB eine abschließende Regelung<br />
enthält, spricht, dass der Annahmeverzug schon über § 300 Abs.<br />
1 BGB zu einem Nachteil für den Gläubiger führt. Der Schuldner<br />
haftet nur bei grober Fahrlässigkeit. Würde man im Fall grober<br />
Fahrlässigkeit den Anspruch des Gläubigers zudem noch teilweise<br />
5<br />
So BGHZ 13, 113; 50, 35; 62, 124;<br />
98, 334 und Brox/Walker, SchR<br />
AT, S. 195 f. sowie Westermann/<br />
Bydlinski/Weber, SchR AT, S. 90 f.<br />
Lesen Sie zur Problematik der<br />
beiderseitig zu vertretenden<br />
Unmöglichkeit Emmerich, Das<br />
Recht der Leistungsstörungen,<br />
§ 14 sowie Medicus, BR, Rn. 270 !<br />
Vgl. Canaris, a.a.O.
Wiss. Mit. RA Dr. Bernhard Ulrici<br />
Sachverhalte und <strong>Lösung</strong>en bauen auf den Unterlagen von Prof. Dr. Tim Drygala aus dem SS 2009 auf<br />
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erhalten, wirkt sich der Annahmeverzug für den Gläubiger doppelt<br />
negativ aus: einmal muss er die Haftungsreduzierung hinnehmen,<br />
zum anderen auch noch einen Teil des Schadens tragen, wenn<br />
auf der anderen Seite grobe Fahrlässigkeit vorliegt.<br />
bb) Für eine <strong>Lösung</strong> über § 254 BGB spricht dagegen, dass der<br />
Annahmeverzug unterschiedliche Ursachen haben kann.<br />
Insbesondere setzt er zwar kein Verschulden voraus, kann aber<br />
durchaus schuldhaft herbeigeführt werden. Würde § 254 BGB<br />
nicht angewendet werden, so müsste der Gläubiger sich selbst<br />
dann nicht an dem Schaden beteiligen, wenn er die Leistung<br />
vorsätzlich nicht in Empfang genommen hätte. Diese<br />
Unterschiede kann eine pauschale <strong>Lösung</strong> nicht berücksichtigen.<br />
cc) Gut vertretbar erscheint es daher, auch im Fall des<br />
Zusammentreffens von Annahmeverzug auf der einen und grober<br />
Fahrlässigkeit auf der anderen Seite den Schaden nach § 254<br />
BGB zu teilen, d. h. im Rahmen des § 326 Abs. 2 BGB den<br />
Anspruch teilweise zu erhalten. Dabei muss allerdings danach<br />
differenziert werden, ob und inwieweit der Annahmeverzug<br />
schuldhaft herbeigeführt worden ist. A hat hier den Termin<br />
vergessen. Das Maß des Verschuldens wiegt auf beiden Seiten<br />
etwa gleich schwer, denn auch A hat grob nachlässig gehandelt.<br />
Der Anspruch ist deshalb im Verhältnis 50:50 zu erhalten.<br />
IV. Der Anspruch könnte jedoch wegen eines Rücktritts des A<br />
gemäß § 323 Abs. 1 BGB untergegangen sein.<br />
1. In den Fällen der Unmöglichkeit kann der Gläubiger der<br />
unmöglich gewordenen Leistung stets zurücktreten, § 326 Abs. 5<br />
BGB. Eine Fristsetzung ist danach entbehrlich. Der<br />
Rücktrittsgrund des § 326 Abs. 5 BGB liegt vor.<br />
2. Der Rücktritt könnte gemäß § 323 Abs. 6 BGB ausgeschlossen<br />
sein, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt<br />
berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist<br />
oder wenn der vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu<br />
einer Zeit eintritt, zu welcher der Gläubiger im Verzug der<br />
Annahme ist. Diese Voraussetzungen liegen hier – wie bereits bei<br />
der Prüfung des § 326 Abs. 2 BGB gezeigt wurde – nicht vor. Bei<br />
schlichter Wortlautanwendung könnte A also zurücktreten und<br />
damit dem Teilanspruch der T-GmbH die Grundlage entziehen.<br />
3. § 323 Abs. 6 BGB muss jedoch im Falle des beiderseitigen<br />
Vertretensmüssens erst recht angewendet werden. Es war schon<br />
zum alten Recht anerkannt, dass der Gläubiger bei beiderseitigem<br />
Vertretenmüssen ein eventuell bestehendes Rücktrittsrecht nicht<br />
mehr ausüben darf. Die <strong>Lösung</strong> über § 254 BGB gilt vielmehr<br />
6<br />
Vgl. Otto in Staudinger, § 324<br />
Rn. 58.<br />
§ 323 Abs. 6 BGB entspricht § 326<br />
Abs. 2 BGB!<br />
So i. E. auch BGH, NJW 1975,<br />
1788<br />
Ein anderer <strong>Lösung</strong>sweg könnte<br />
sein, § 326 Abs. 2 BGB<br />
wortlautgetreu anzuwenden und<br />
der T-GmbH einen nach § 254<br />
BGB reduzierten Schadensersatzanspruch<br />
aus § 280 Abs. 1<br />
BGB (Nebenpflichtverletzung: keine<br />
Abnahme) gegen A zuzubilligen.<br />
Vgl. Otto in Staudinger, § 324<br />
Rn. 69.
Wiss. Mit. RA Dr. Bernhard Ulrici<br />
Sachverhalte und <strong>Lösung</strong>en bauen auf den Unterlagen von Prof. Dr. Tim Drygala aus dem SS 2009 auf<br />
LEO BGB-I – Rechtsgeschäftslehre und Allgemeines Schuldrecht (Sommersemester 2011)<br />
exklusiv. Im Rahmen des erweiterten Rücktrittsrechts nach der<br />
Schuldrechtsreform ist an dieser <strong>Lösung</strong> festzuhalten (hiergegen<br />
ließe sich aber § 325 BGB anführen, der eine möglicherweise<br />
relevante Abweichung gegenüber der Rechtslage vor der<br />
Schuldrechtsmodernisierung gebracht hat). A kann deshalb nicht<br />
zurücktreten.<br />
Ergebnis: Die T-GmbH hat gegen A einen Anspruch auf Zahlung<br />
von 4.300 € gemäß § 433 Abs. 2 BGB.<br />
Hinweise zur selbständigen Nachbereitung<br />
Zu § 323 Abs. 4 BGB: Der Gläubiger kann bereits vor dem Eintritt der Fälligkeit der<br />
Leistung zurücktreten, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des<br />
Rücktritts eintreten werden: BGH NJW-RR 2008, <strong>10</strong>52.<br />
Zu § 323 Abs. 6 BGB: Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den<br />
Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend<br />
verantwortlich ist oder wenn der vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu<br />
einer Zeit eintritt, zu welcher der Gläubiger im Annahmeverzug ist: Fest, Der Umfang<br />
des Ausschlusses des Rücktrittsrechts gem. §§ 323 Abs. 6 Alt. 1, 326 Abs. 5 BGB,<br />
ZGS 2006, 173 sowie OLG Celle, ZGS 2004, 74.<br />
Zu § 326 Abs. 3 BGB: Der Gläubiger bleibt zur Gegenleistung verpflichtet, wenn er<br />
nach § 285 BGB die Herausgabe des für den geschuldeten Gegenstand erlangten<br />
Ersatzes oder die Abtretung des Ersatzanspruchs verlangt. Ausf. zu dieser<br />
Regelung Lehmann/Zschache, Das stellvertretende commodum, JuS 2006, 502.<br />
Zum Rücktritt bei Verstößen gegen Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB: Hirsch,<br />
Allgemeines Schuldrecht, Rn. 856 ff.<br />
Zu § 326 Abs. 2 S. 2 BGB und seine entsprechende Anwendung im Kaufrecht:<br />
Ulrici, JURA 2005, 612 (Selbstvornahme der Mangelbeseitigung).<br />
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