MAGNIFICAT November 2020

5Editorial
Liebe Leserinnen und Leser!
Wer mit den Psalmen lebt, bekommt es darin oft mit Not
und Tod zu tun. Wie ein roter Faden durchziehen Klagen
das Psalmenbuch, die Gott Bedrängnis und Leid vor Augen
stellen. Doch lebt darin auch das Vertrauen, dass, wer auf
Gott baut, im Letzten nicht scheitert. Dieses Vertrauen kann
wachsen, wenn ich Gottes Handeln in meinem Leben erkennen
lerne. Deshalb spreche und singe ich Psalmen. Denn, so Paulus:
„Der Glaube kommt vom Hören.“ (Röm 10, 17) Psalmen lehren
mich lauschen, wahrnehmen, mit den Augen zu hören, wie
Friedrich Nietzsche einmal gesagt hat. Mit Psalmen leben: das
heißt, bei Gott in die Schule zu gehen. „Godgeleerdheid“, das
niederländische Wort für Theologie, drückt das wunderbar aus.
Wer mit Psalmen lebt, kann sich von Gott bei der Hand genommen
fühlen und mit Reinhold Schneider vertrauen: „Der Weg
endet ja nicht, wo wir meinen; der Weg führt uns durch die
Wand hindurch, und am wahren Ende des Weges ist alles gut.“
Lässt sich also mit den Psalmen sterben – und leben? Ich
kann dazu nichts sagen. Ich sehe nur Verse wie Ps 149, 5: „In
Herrlichkeit sollen die Frommen frohlocken, sie sollen jauchzen
auf ihren Lagern.“ Dieser Psalm besingt den endzeitlichen Sieg
JHWHs und seiner Getreuen (ja: singt ihn herbei; nicht umsonst
kommt er im Stundengebet sonntags vor). Insofern klingt hier
durchaus das Totenlager an. Ein Vor-Schein der Auferstehung?
Die Begnadeten JHWHs als Verstorbene, die mit ihrem Hallelu-
Jah die Unheilsmächte in die Schranken weisen? – Und ich sehe
Ps 118, 17: „Ich werde nicht sterben, sondern leben, um die Taten
des Herrn zu verkünden.“ Ein Vers, den die Kirche von früh
an auf Jesus hin gelesen hat. Gilt er nicht auch von Menschen,
die seinen Weg gegangen sind? Die mitten unter uns glaubhaft
vom Leben künden, wie auf Erden, so im Himmel? Vielleicht
kennen Sie solche Menschen.
Ihr Johannes Bernhard Uphus