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BSM 21/2020

Die Corona-Pandemie als Katalysator für die Digitale Lehre

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Beitrag<br />

BECK Stellenmarkt<br />

Die Corona-Pandemie als Katalysator<br />

für die Digitale Lehre – Teil 1<br />

Beitrag<br />

Prof. Dr. Susanne Lilian Gössl, LL.M. (Tulane) hat die Professur für<br />

Bürgerliches Recht und Digitalisierung des deutschen, ausländischen und<br />

internationalen Privatrechts an der Uni Kiel inne. Im ersten Teil des<br />

Interviews mit unserem Autor Ghazzal Novid erzählt sie über Digitalisierungsfragen<br />

in der Rechtswissenschaft, Digitaler Lehre wegen Corona<br />

und gibt Studierenden, die unter der Pandemie leiden, hilfreiche Tipps.<br />

GN: Wieso bedarf es an einer Juristischen Fakultät der Professur für u.a.<br />

Digitalisierung und was sind Ihre Ziele in diesem Bereich?<br />

SG: Die Professur für Digitalisierung zielt primär darauf ab, sich kohärent<br />

wissenschaftlich mit Fragen der Digitalisierung im Privatrecht zu beschäftigen.<br />

Dabei ist Digitalisierung ein Querschnittsthema, das viele Bereiche<br />

erfasst, etwa das einfache Vertragsrecht (z.B. der Vertragsschluss über automatisierte<br />

Systeme, aber auch des E-Commerce), das Deliktsrecht (z.B. bei Persönlichkeitsverletzungen<br />

im Internet), das Urheberrecht, das Daten schutzrecht<br />

oder auch das Prozessrecht (etwa bei Verhandlungen mit Online-<br />

Zeugenvernehmung, der E-Akte oder der Durchführung von Online-Streitbeilegungsverfahren).<br />

Auch das Kollisionsrecht und das Internationale Verfahrensrecht<br />

werden durch Digitalisierungsfragen herausgefordert, etwa dadurch,<br />

dass Gegenstände nur noch unkörperlich im Internet genutzt werden<br />

und damit schwer zu lokalisieren sind. Hiermit habe ich mich bereits in meiner<br />

Dissertation beschäftigt, aber die Praxisrelevanz ist eher noch gestiegen.<br />

In Kiel – und auch an den anderen Fakultäten – beschäftigt sich wahrscheinlich<br />

jede:r meine:r Kolleg:innen in ihren jeweiligen Gebieten mit Fragen<br />

der Digitalisierung, allerdings fehlt meistens die Zeit, hier eine umfassendere<br />

Perspektive zu erlangen. Zugleich ist das Gebiet zu praxisrelevant, um<br />

es nur „am Rande“ zu behandeln. Die Professur zielt darauf ab, diese Lücke<br />

zu schließen. Mir wird es damit erlaubt, Digitalisierungsfragen als „Kern“<br />

meiner Forschung zu behandeln. Darüber hinaus hoffe ich, auch im Studium<br />

in Zukunft stärker Fragen der Digitalisierung behandeln zu können,<br />

etwa biete ich im WS ein Seminar an, das für verschiedene zivilrechtliche<br />

Schwerpunkte geöffnet ist. Hier hoffe ich, verschieden interessierte Studierende<br />

erreichen zu können. Langfristig wird die Digitalisierung in Kiel<br />

hoffentlich noch stärker im Lehrplan verankert werden, entweder in freiwilligen<br />

Veranstaltungen oder möglicherweise im Schwerpunktstudium.<br />

Zugleich hat sich, nachdem die Professur eingerichtet war, gezeigt, dass nicht<br />

nur inhaltlich die Digitalisierung relevant ist, sondern auch die Lehre – coronabedingt<br />

– in den digitalen Raum verlagert werden musste und wahrscheinlich<br />

auch zukünftig zumindest teilweise muss. Das ist eine großartige Chance,<br />

auch wenn hoffentlich Präsenzveranstaltungen bald – zumindest teilweise –<br />

zurückkehren. In den USA gab es schon vor zehn Jahren, als ich dort studiert<br />

habe, deutlich mehr Einsatz von Online-Tools und Online-Veranstaltungen.<br />

Ich hoffe auch hier, dass die Professur in Zusammenarbeit mit anderen<br />

Kolleg:innen an der Fakultät Impulse geben kann, um die juristische Lehre<br />

an die Anforderungen des <strong>21</strong>. Jahrhunderts anzupassen.<br />

GN: Was sind die wichtigsten Änderungen, die die juristische Lehre für das<br />

<strong>21</strong>. Jahrhundert braucht?<br />

SG: Das ist eine schwierige Frage. Lehre ist etwas sehr Individuelles und<br />

sehr dozentenabhängig - eine der besten Vorlesungen, die ich im Studium<br />

hören durfte, kam völlig ohne Hilfsmittel aus, weil der Dozent einfach so<br />

gut erklären konnte und für den Stoff brannte. Andererseits sehe ich gerade<br />

durch die Corona-erzwungene Lehrdigitalisierung, wie endlich Raum für<br />

neue Konzepte geschaffen wird, die es etwa berufstätigen oder alleinerziehenden<br />

Jurastudierenden erlauben, zumindest einen Teil der Vorlesungen<br />

verfolgen zu können, ohne immer in die Uni fahren zu müssen (oder die<br />

Vorlesungen zu versäumen). Das ist nicht neu, der großartige Podcast von<br />

Herrn Lorenz aus München hat z.B. mir schon in der Examensvorbereitung<br />

geholfen, aber die LMU war mit ihrem Angebot doch eher alleine.<br />

Was weitere Lehrformate betrifft, haben wir Lehrenden im Jurastudium<br />

immer das Problem, dass wir den Anforderungen des Staatsexamens folgen<br />

müssen - das bedeutet: immer mehr Stoff und im Zweifel weniger Zeit. Ob<br />

die Examen dabei per Hand oder per Computer geschrieben werden sollen,<br />

was ja gerade diskutiert wird, halte ich dabei für einen weniger relevanten<br />

Punkt. Dabei bezweifle ich, dass diese wachsende Wissensanhäufung wirklich<br />

bessere Juristen ausbildet. Bevor die Lehre daher grundlegend reformiert<br />

werden kann, denke ich, dass die Juristenausbildung, insbesondere der Ablauf<br />

der staatlichen Prüfung, geändert werden und stärker auf die Bedürfnisse<br />

der Praxis zugeschnitten werden könnte. Das heißt m.A. nach: Etwas<br />

mehr Fokus auf die Grundstrukturen des jeweiligen Rechtsgebiets, dann in<br />

Zusammenspiel mit internationalen und europäischen Fragen, aber vielleicht<br />

weniger Einzelfallwissen zu z.B. jedem denkbaren Vertragstyp, zu<br />

dem ein Gericht mal entschieden hat. Einzelfallwissen schaut man in der<br />

Praxis doch sowieso im Kommentar nach – wichtig ist nur, dass man lernt,<br />

wie man die Probleme einordnet.<br />

GN: Viele Studierende ächzen wegen der digitalen Lehre. Ihnen fehlt der<br />

niedrigschwellige Austausch untereinander, viele Lehrinhalte können kurzfristig<br />

digital nicht vermittelt werden. Damit geht massiver Motivationsverlust<br />

einher. Was raten Sie Studierenden, die während der Pandemie<br />

studienmäßig auf Sparflamme schalten?<br />

SG: Mangelnde Motivation ist gut verständlich. Wahrscheinlich hat jede:r<br />

Jurastudent:in im Verlauf des Studiums zumindest ein Tief - ich etwa gegen<br />

Ende des dritten/während des vierten Semesters ganz ohne Pandemie. Ich<br />

will mir gar nicht vorstellen, wie es denjenigen geht, die sowieso schon in<br />

einem ähnlichen Stadium ist und dann auch noch durch die Pandemie<br />

weiter heruntergezogen werden. Ich würde zweierlei empfehlen: Zum einen<br />

sich zu vergegenwärtigen, dass er:sie nicht alleine ist, sondern wahrscheinlich<br />

der allergrößte Teil aller Jurastudent:innen irgendwann genauso empfindet,<br />

empfinden wird oder empfunden hat. Zum anderen die dadurch<br />

eingetretene Zwangspause zu akzeptieren. Wichtig ist aber vor allem, dass<br />

sich niemand Vorwürfe macht, sich als Versager:in fühlt oder jetzt glaubt,<br />

besonders powern zu müssen, um alles nachzuholen. Ich würde versuchen,<br />

das Semester einfach als weniger ergiebig hinzunehmen, mich jetzt bewusst<br />

davon abwenden und einen juralosen Urlaub machen (und wenn es nur für<br />

ein paar Tage ist), um so neue Kraft und Energie für das kommende Semester<br />

zu tanken. Es wird hoffentlich besser.<br />

www.beck-stellenmarkt.de/ratgeber<br />

Teil 2 dieses Interviews lesen Sie in der nächsten Ausgabe von<br />

BECK Stellenmarkt.<br />

Über den Interviewer:<br />

Ghazzal Novid<br />

ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für<br />

Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht an der Uni Kiel.

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