Sorge um den Bestand
ISBN 978-3-86859-659-5
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Wer kein Risiko eingeht,<br />
kann keinen Fortschritt erzeugen<br />
Roland Gruber: Über Jahrzehnte war das<br />
Verhältnis zwischen Stadt und Land von einer<br />
Urbanisierungswelle geprägt. War<strong>um</strong><br />
soll ausgerechnet jetzt das Land wieder so<br />
attraktiv sein, dass Menschen hier wohnen<br />
und arbeiten wollen?<br />
Franziska Kenntner (FK) → Seit rund drei Jahren<br />
spüren wir, dass es die starke Landflucht<br />
in dieser Form nicht mehr gibt. Das<br />
hat sicherlich mit dem Ausbau des Internets<br />
zu tun. Einen zusätzlichen Schub hat die<br />
Fridays-for-Future-Bewegung gebracht, also<br />
das Einfordern eines nachhaltigen Lebens<br />
und das damit verbun<strong>den</strong>e neue Naturverständnis.<br />
Hier punkten wir natürlich sehr<br />
stark. Durch das Breitband müssen die Leute<br />
nicht mehr täglich pendeln, sie arbeiten<br />
drei Tage daheim und vielleicht nur zwei Tage<br />
in der Firma. Das bringt ein neues Bewusstsein<br />
für das Regionale und für die unmittelbare<br />
Umgebung.<br />
Armin König (AK) → Ich glaube im Sinne des<br />
Shareholder-Value, dass der Wert der intakten<br />
Natur, der Gesundheit und des Sozialen<br />
– also alles, was bislang nicht bilanziert<br />
wird – ein ungeheures Potenzial für uns<br />
als Region in sich trägt. Ob das aber dauerhaft<br />
gegen die Urbanisierung ankommt,<br />
ist heute nicht abschätzbar.<br />
Mario Abl (MA) → Ein wesentlicher Trei ber<br />
für die Rückbesinnung auf die Region<br />
sind die teuren Mieten in <strong>den</strong> Städten, die<br />
sich immer weniger Menschen leisten<br />
können. Unsere Chance, aber auch unsere<br />
Aufgabe ist es, unsere Orte wieder zu Lebensmittelpunktgemein<strong>den</strong><br />
zu machen. Die<br />
Grundlage dafür ist eine zukunftsfähige<br />
Infrastruktur – von der Bildung bis zur Aufenthaltsqualität<br />
im Zentr<strong>um</strong>. Die Lebensqualität<br />
muss auf allen Ebenen passen.<br />
Was sind dabei die größten<br />
Herausforderungen?<br />
MA → Uns ist klar, dass wir die klassische<br />
Handelsstraße nicht wiederbeleben können.<br />
Dieser neuen Realität müssen wir uns<br />
stellen. Und wenn man fragt, wie sich junge<br />
Leute eine Kleinstadt-Zukunft <strong>den</strong>ken,<br />
dann hat das gar nichts mehr mit Handel<br />
zu tun, sondern mit Leben und Gemeinschaft,<br />
mit Regionalität und Dienstleistung.<br />
Das sind die großen Herausforderungen.<br />
FK → Ohne schnelles Internet wird es nicht<br />
gehen. Und da <strong>den</strong> großen IT-Unternehmen<br />
der Anschluss der kleineren Dörfer zu<br />
teuer ist, haben wir das mit einer Bürgergenossenschaft<br />
in die Hand genommen.<br />
Dadurch bekommen wir eine 1-GB-Leitung<br />
in jedes Haus, und Homeoffice kann gelebt<br />
wer<strong>den</strong>. Wir sind auch 5-G-Modellregion,<br />
und ich hoffe, dass in zehn Jahren weniger<br />
Autos und mehr autonome Kleinbusse<br />
unterwegs sind.<br />
AK → Wir verwalten uns immer noch wie im<br />
19. Jahrhundert. Wenn wir die Digitalisierung<br />
der Verwaltung ernst nehmen, könnten<br />
wir im Saarland zwanzig Millionen Euro<br />
pro Jahr einsparen. Die algorithmenbasierte<br />
Verwaltung wird kommen, und wir wer<strong>den</strong><br />
uns komplett neu aufstellen. Bürgermeister*innen<br />
müssen Manager*innen der Transformation<br />
sein und sich als Zukunftsgestalter*innen<br />
verstehen.<br />
Wie entstehen neue Impulse und Projekte<br />
für Ihre Orte?<br />
MA → Bei einem Vortrag zur Stadtentwicklung<br />
wurde uns bewusst, dass wir über viele<br />
Jahre das Zentr<strong>um</strong> schwer vernachlässigt<br />
und uns nur auf die Randgebiete konzentriert<br />
haben. Das Leben in der Innenstadt ist<br />
verloren gegangen. Schließlich hat es mehr<br />
als dreißig leere Geschäfte oder Gebäude gegeben.<br />
Tristesse ist in das Zentr<strong>um</strong> eingezogen.<br />
Uns ist klar gewor<strong>den</strong>, dass wir das<br />
sofort und anders als gewohnt anpacken<br />
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