Weingarten und Weissenau - OFSG - St. Galler Orgelfreunde
Weingarten und Weissenau - OFSG - St. Galler Orgelfreunde
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ST. GALLER ORGELFREUNDE<br />
<strong>OFSG</strong><br />
BULLETIN <strong>OFSG</strong> 12 NR. 3, 1994<br />
Liebe <strong>St</strong>. <strong>Galler</strong> Orgelfre<strong>und</strong>e<br />
Freidorf, im Juli 1994<br />
Wir laden Sie herzlich ein zu unserer Orgelfahrt nach <strong>Weingarten</strong> <strong>und</strong> <strong>Weissenau</strong><br />
Samstag 20. August 1994 0730 Uhr<br />
Treffpunkt: Hafen Romanshorn, bei der Fähre<br />
Unsere diesjährige Orgelfahrt führt uns nach <strong>Weingarten</strong> <strong>und</strong> ins benachbarte<br />
<strong>Weissenau</strong>, etwa 20 km nördlich des Bodensees, zu bedeutenden Orgelbauten des<br />
Spätbarocks in Süddeutschland.<br />
Sicher ein Höhepunkt, den man sich nicht entgehen lassen sollte, wird der Besuch in der<br />
Klosterkirche zu <strong>Weingarten</strong> sein. Die dortige, viel beschriebene Orgel ist ein Monument<br />
in vielfacher Art. Erbaut in dreizehn langen Jahren, ist sie eines der grössten Instrumente<br />
weitherum. Die fast 10 000 Pfeifen sind auf weit auseinanderliegenden Feldern <strong>und</strong><br />
Türmen verteilt, was die Spielbarkeit nicht gerade erleichterte. Monumental war auch<br />
das, was sich Anfang unseres Jahrh<strong>und</strong>erts anbahnte: Die Orgel stand kurz vor dem<br />
Abbruch, um durch ein zeitgemässes Instrument ersetzt zu werden, als man ihren<br />
historischen Wert erkannte. Die Orgel blieb erhalten. Nach der kürzlich abgeschlossenen<br />
Restauration ist das Instrument wieder voll spielbar.<br />
Zu diesem Anlass, eines der ganz grossen Orgelwerke zu sehen <strong>und</strong> zu hören, freue ich<br />
mich, Sie recht zahlreich begrüssen zu dürfen.<br />
Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüssen<br />
Manfred Böhme<br />
PS: Organisatorische Details zur Orgelfahrt finden Sie in der Ankündigung, die bereits<br />
verschickt wurde. Anmeldung bitte bis 13.08.94.<br />
Redaktion Bulletin <strong>OFSG</strong>:<br />
Franz Lüthi, Rainstrasse 8, 9532 Rickenbach Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
46<br />
Nächster Anlass <strong>OFSG</strong><br />
Die nächste Veranstaltung findet vermutlich im November statt.<br />
Der Zeitpunkt wird Ihnen noch bekanntgegeben.<br />
Hinweise auf Veranstaltungen<br />
So 17.07.94 1730 h Frauenfeld-Oberkirch: Orgelmusik zum Sonntagabend.<br />
Christoph Wartenweiler, Frauenfeldl<br />
Oesterreichische Musik 15. bis 20. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
So 24.07.94 1730 h Frauenfeld-Oberkirch: Orgelmusik zum Sonntagabend.<br />
Susanne Rohn, Freiburg / Br.<br />
Werke von Sweelinck, Bach, Krebs, Genzmer<br />
So 31.07.94 1730 h Frauenfeld-Oberkirch: Orgelmusik zum Sonntagabend.<br />
Eva-Christina Benesch-Korn, Kufstein / Oesterreich<br />
Musik zwischen Barock <strong>und</strong> Romantik<br />
Fr 05.08.94 1830 h <strong>St</strong>. Laurenzen: Orgelmusik zum Feierabend. Suzanne Doll<br />
So 07.08.94 1730 h Frauenfeld-Oberkirch: Orgelmusik zum Sonntagabend.<br />
Hideyuki Kobayashi, Tokyo / Japan<br />
Werke von Merulo, Sweelinck, Bach<br />
Fr 12.08.94 1830 h <strong>St</strong>. Laurenzen: Orgelmusik zum Feierabend. Eberhard Lauer<br />
So 14.08.94 1730 h Frauenfeld-Oberkirch: Orgelmusik zum Sonntagabend.<br />
Per Fridtjov Bonsaksen, Trondheim / Norwegen<br />
Werke von Buxtehude <strong>und</strong> Bach<br />
Fr 19.08.94 1830 h <strong>St</strong>. Laurenzen: Orgelmusik zum Feierabend.<br />
Hansjürgen Scholze<br />
Fr 26.08.94 1830 h <strong>St</strong>. Laurenzen: Orgelmusik zum Feierabend. Jürg Brunner<br />
Fr 02.09.94 1830 h <strong>St</strong>. Laurenzen: Orgelmusik zum Feierabend. Josep Mas i Bonet<br />
Fr 09.09.94 1830 h <strong>St</strong>. Laurenzen: Orgelmusik zum Feierabend. Roland Muhr<br />
Fr 16.09.94 1830 h <strong>St</strong>. Laurenzen: Orgelmusik zum Feierabend.<br />
Christoph Wartenweiler<br />
Fr 16.09.94 20-23 hEvang. Heiligkreuz <strong>St</strong>. Gallen: Orgelnacht<br />
Sa 17.09.94 2000 h Evang. Heiligkreuz <strong>St</strong>. Gallen:<br />
Konzert mit den Fistulatores Werdenbergienses<br />
So 18.09.94 1700 h Evang. Heiligkreuz <strong>St</strong>. Gallen: Mozart-Konzert<br />
Kantanen-Orchester Tübingen. Leitung Marcel Schmid<br />
Fr 23.09.94 1830 h <strong>St</strong>. Laurenzen: Orgelmusik zum Feierabend. Donato Cuzzato<br />
Fr 30.09.94 1830 h <strong>St</strong>. Laurenzen: Orgelmusik zum Feierabend. Rudolf Lutz<br />
Mi 26.10.94 2000 h Kirche Linsebühl: Romantische Orgelmusik. N.N.<br />
Fr 28.10.94 1830 h Kirche Linsebühl: Romantische Orgelmusik. Hansjürg Gutgsell<br />
So 30.10.94 1700 h Kirche Linsebühl: Romantische Orgelmusik. Jürg Brunner<br />
So 06.11.94 1700 h <strong>St</strong>. Laurenzen: Tablater Konzertchor:<br />
Brahms-Requiem. Leitung Marcel Schmid.<br />
Weitere Veranstaltungshinweise auf Seite 76<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
47<br />
<strong>Weingarten</strong> <strong>und</strong> <strong>Weissenau</strong><br />
Zwei bedeutende Barockorgeln im Raum Ravensburg<br />
Franz Lüthi<br />
Die süddeutsche Orgel um die Mitte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts beeindruckt durch ihren<br />
grossartigen Prospekt, der im <strong>St</strong>il des ausgehenden Barock <strong>und</strong> Rokoko gehalten ist <strong>und</strong><br />
allmählich in den Klassizismus übergeht. Die Disposition zeichnet sich aus durch einen<br />
besonderen Reichtum an vielfältig mischbaren Klangfarben. Flöten- <strong>und</strong> vor allem<br />
streichende Register werden zunehmend beliebt <strong>und</strong> werden durch das Klangideal der<br />
einflussreichen Mannheimer Schule gefördert. Die gr<strong>und</strong>tönigen Register dominieren.<br />
Zungenregister sind nur spärlich vorhanden, ausser bei den Orgeln von K. J. Riepp, der vom<br />
französischen <strong>St</strong>il beeinflusst ist. Das Hauptwerk <strong>und</strong> allenfalls die Positivwerke der<br />
typischen schwäbischen Barockorgel sind prinzipalbetont, die Nebenwerke mit ihren<br />
<strong>St</strong>reicherstimmen farbbetont, weshalb sie oft "Farbenwerk" - bei Gabler gelegentlich<br />
"Solowerk" - genannt werden. Das Pedal ist besonders in den hohen Fusslagen eher<br />
schwach besetzt, denn es dient nicht zum obligaten, selbständigen Spiel, sondern<br />
hauptsächlich der Bass- <strong>und</strong> Begleitfunktion. Durch dieses neue Konzept wird ab etwa<br />
1750 der traditionelle, von Norddeutschland herkommende Werkcharakter der Orgel<br />
zunehmend aufgegeben: Man spricht zunehmend weniger von selbständigen Einzelwerken,<br />
sondern unterschiedet nur noch Haupt- <strong>und</strong> Nebenmanuale. Die süddeutsche<br />
Orgellandschaft dieser Epoche wird vor allem durch drei Orgelbauer geprägt: Joseph<br />
Gabler (1700-1771) aus Ochsenhausen, den Auslandschwaben Karl Joseph Riepp (1710-<br />
1775) aus Dijon <strong>und</strong> Johann Nepomuk Holzhey (1741-1809) aus Ottobeuren .<br />
Joseph Gabler ist ein Meister der grossartigen Orgelprospekte. Er wurde 1700 in<br />
Ochsenhausen geboren, erlernte das Zimmermannshandwerk bei seinem Vater, Johannes<br />
Gabler, <strong>und</strong> arbeitete später in der Klosterschreinerei in Ochsenhausen. Auf der<br />
Wanderschaft trat er mit 18 Jahren in Mainz in die Dienste der Zimmermeister Vater <strong>und</strong><br />
Sohn Anton <strong>und</strong> Johann Eberhard Ziegenhorn. Hier lernte der junge Handwerker auch<br />
einige Orgelbauer kennen, unter anderem Johann Philipp <strong>St</strong>umm <strong>und</strong> den Schwager<br />
Ziegenhorns, Johann Peter Geissel. Gabler hat vermutlich häufig auch als Orgelbau-Geselle<br />
bei Geissel ausgeholfen. Schon 6 Jahre nach dem Tod von Vater Ziegenhorn verstarb 1726<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
auch sein Sohn Johann Eberhard. Gabler übernahm in der Folge die verwaiste<br />
Schreinerwerkstatt <strong>und</strong> heiratete 1729 die junge Witwe des Johann Eberhard Ziegenhorn.<br />
Zu dieser Zeit hatte Gabler anscheinend bereits eine ordentliche Erfahrung im Orgelbau, da<br />
er sich als Orgelbauer des Mainzer Domkapitels bewarb. Er erhielt allerdings die <strong>St</strong>elle<br />
nicht. Vielleicht war dies ein Gr<strong>und</strong>, um nach Ochsenhausen zurückzukehren. Dort baute er<br />
1729-1731 die grosse Orgel in der Klosterkirche um, sein eigentliches Erstlingswerk.<br />
Dazwischen, 1730, reparierte er die Chororgel in <strong>Weingarten</strong>. 1733-34 nochmals<br />
vorübergehend in Mainz tätig, siedelte er 1737 nach <strong>Weingarten</strong> über, wo seine Bewerbung<br />
für den Bau der grossen Orgel angenommen worden war. Bis 1750 arbeitete er hier an der<br />
berühmten Orgel <strong>und</strong> an der Chororgel.<br />
Weitere Werke Gablers: 1751 Umbau in Ochsenhausen; Zwiefalten, Chororgel (1753-1755);<br />
<strong>St</strong>einbach, Wallfahrtskirche (1756-1759); Memmingen, grosse Orgel in <strong>St</strong>. Martin, zwei Positive<br />
für die dortige Lateinschule <strong>und</strong> das Musikkollegium; Ravensburg, Orgelbauten in der<br />
Karmeliterkirche <strong>und</strong> Dreifaltigkeitskirche (1763-1766). Nur drei seiner Orgeln sind erhalten:<br />
Ochsenhausen, <strong>Weingarten</strong> <strong>und</strong> Maria <strong>St</strong>einbach.<br />
1769 begann Gabler eine neue Orgel <strong>und</strong> ein Chorpositiv in der <strong>St</strong>adtkirche in Bregenz, wo<br />
er während der Arbeit 1771 an einem Schlaganfall starb. Seine Gehilfen Friedrich <strong>und</strong><br />
Jakob Scharff vollendeten das Werk.<br />
Gabler hatte eine Tochter, Anna (geb. 1732) <strong>und</strong> 4 Söhne. Franz (geb. 1729) starb als<br />
Kleinkind. Der jüngste Sohn (geb. 1736) trat als P. Michael im Kloster Ottobeuren ein <strong>und</strong><br />
starb ebenfalls früh. Johann (geb. 1730) <strong>und</strong> Franz Xaver (geb. 1732) sind gemäss J.A.<br />
Silbermanns Tagebuch nach <strong>St</strong>rassburg gezogen. Der eine studierte Jus, der andere hätte bei<br />
Silbermann in <strong>St</strong>rassburg Orgelbau lernen sollen, ist aber dort nicht eingetroffen.<br />
Ueber die Person Gablers ist nicht viel bekannt. Je nach <strong>St</strong>andpunkt - Kirchenmann oder<br />
Orgelbauer - wurde in der Literatur recht einseitig für oder gegen Gabler Partei ergriffen [4]<br />
[10]. Es scheint jedenfalls, dass Gabler wenig speditiv arbeitete <strong>und</strong> kein guter<br />
Geschäftsmann war. Aus dem "Handbüchlein" des nicht unbedingt wohlgesinnten Pater<br />
Anselm Wüntsch erfahren wir immerhin, ".. ds Er ein recht brafer <strong>und</strong>t guetter Mann ist,<br />
nimbt nichts in Uebel, ist wie ein Schaf, <strong>und</strong>t weist zue leben ...".<br />
Karl Joseph Riepp (1710-1775) wurde in Ottobeuren geboren, lebte aber vor allem in<br />
Dijon (Frankreich). Er erbaute berühmte Orgeln in Ottobeuren <strong>und</strong> im Kloster Salem. Dort<br />
ist auf der Westempore immer noch ein originales Gehäuse von Riepp zu bew<strong>und</strong>ern,<br />
während die Liebfrauenorgel 1809 in die <strong>St</strong>adtkirche Winterthur übernommen wurde: Ihr<br />
Prospekt <strong>und</strong> einige Pfeifen sind erhalten.<br />
48<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Johann (Nepomuk) Holzhey 1 (1741-1809) vertritt als dritter <strong>und</strong> jüngster der drei wichtigen<br />
Orgelbauer eine Synthese von Gabler <strong>und</strong> Riepp. Geboren als Sohn des "Haubtmann"<br />
Joseph Holzhey in Rappen bei Ottobeuren, ging er wahrscheinlich frühestens 1754 bei<br />
seinem Onkel, dem Orgelbauer Alexander Holzhey (1722-1772) in Tussenhausen in die<br />
Lehre. Vielleicht hat er später auch bei <strong>St</strong>ifts-Orgelbauer Joseph Zettler in Ottobeuren<br />
gearbeitet, dessen Tochter Cäcilia er - sechs Jahre nach Zettlers Tod - im Jahre 1766<br />
heiratete. Von seinem Schwiegervater übernahm er Haus <strong>und</strong> Werkstatt <strong>und</strong> blieb<br />
zeitlebens in Ottobeuren. <strong>St</strong>arke Einflüsse erhielt Holzhey von Karl Joseph Riepp, mit dem<br />
zusammen er wahrscheinlich 1757-1766 die Orgeln in Ottobeuren <strong>und</strong> anschliessend bis<br />
1774 in Salem baute. Er reparierte später auch dessen Orgeln in Salem. Nach dem Tod<br />
seiner Frau Cäcilia 1770 Heirat mit einer Kaufmannstochter. Von den elf Kindern starben<br />
sechs früh. 1788 verlor er auch die zweite Frau, 1802 heiratete er ein drittes Mal.<br />
Das Werk Holzheys umfasst über 40 Instrumente, nebst diversen Umbauten <strong>und</strong><br />
Reparaturen in Ottobeuren, Salem, Neresheim <strong>und</strong> Bregenz. In einem Nachruf heisst es,<br />
man könne annehmen, "dass er bereits in allen schwäbischen Orgelwerken alles, oder<br />
etwas gearbeitet hat". Nachgewiesen von ihm [8] sind gegen 550 neu gebaute Register -<br />
von Gabler lediglich etwas mehr als 200. Die erste Orgel hat er nach den Quellen bereits<br />
vor 1769 gebaut. In der Schweiz schuf er 1770 eine Orgel in Seewis im Prättigau (8/I+P),<br />
deren Prospekt sich seit 1921 in der Pfarrkirche Igis GR befindet. Seine wichtigsten<br />
Neubauten: Klosterkirche Ursberg 1778. Memmingen 1778. Obermarchtal (Chororgel<br />
1779, Hauptorgel 1784). Wiblingen <strong>und</strong> Augsburg <strong>St</strong>. Salvator 1781. <strong>Weissenau</strong> 1785. Rot<br />
an der Rot (Chor- <strong>und</strong> Hauptorgel) 1785/86. <strong>Weissenau</strong> (Chororgel) 1786. Neresheim 1797.<br />
- Die Hauptorgel der Klosterkirche Rot (36/III+P) gilt als die besterhaltenste, die Orgel in<br />
Neresheim (48/III+P) als die grösste Orgel Holzheys. Gut erhalten sind <strong>Weissenau</strong>,<br />
Obermarchtal <strong>und</strong> Ursberg.<br />
Holzhey soll nach dem Urteil eines Zeitgenossen "ein ungeheures Vermögen hinterlassen<br />
haben" [P. Basil Miller]; nach andern Quellen musste er sich gegen Ende seines Lebens<br />
stark einschränken. 1792 wurde er im Zusammenhang mit dem Orgelbau in Neresheim als<br />
der "in Schwaben berühmteste Orgelmacher" bezeichnet. Bereits mit der Säkularisation<br />
1803 hatte der Orgelbau allgemein einen Abstieg erlitten, <strong>und</strong> auch der ehemals berühmte<br />
Name Holzhey verlor an Bedeutung. 1809 starb der berühmte Orgelbauer an<br />
"Wassersucht", die er sich als Komplikation, bezw. als Behandlungsfolge einer<br />
Daumenverletzung beim Orgelbau in Dürmentingen zugezogen hatte. Sein Sohn Franz<br />
Joseph (1774-1823) übernahm die Werkstatt. Die Tätigkeit des Betriebes verlagerte sich<br />
zunehmend auf die Schreinerei. Der Enkel Kaspar Holzhey (1801-1867) führte die<br />
Werkstatt ausschliesslich als Schreinerei weiter; sie erlosch in den 1830er Jahren. Mit<br />
dem letzten Nachkommen, dem Schreiner Karl Holzheu (gest. 1986), ist die Familie<br />
ausgestorben.<br />
1 Andere Schreibweisen: Holzheu, Holzhai, Holzhay. H. selbst unterschreibt mit "Holzhey".<br />
49<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
50<br />
Abbildung : Die Gabler-Orgel in <strong>Weingarten</strong><br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Holzheys Tradition wurde zunächst in bescheidenem Rahmen von seinem Schüler Franz<br />
Joseph Wirth weitergeführt. Auch Gebhard Kiene (geb. 1748), der Vater von Franz Anton<br />
Kiene (1777-1847), dürfte zu seinen Schülern gehört haben. Durch die Umbrüche der<br />
Säkularisation konnte sich aber keine eigentliche Holzhey-Schule entwickeln.<br />
Die Gabler-Orgel in der Benediktinerabtei <strong>Weingarten</strong><br />
1. Geschichte des Klosters<br />
Das Benediktinerkloster <strong>Weingarten</strong> entstand zunächst als Frauenkloster um das Jahr 940 in<br />
Altdorf, wie die Siedlung bis 1865 hiess. Nach dem Brand im Jahre 1053 wurde es auf den nahen<br />
Martinsberg verlegt <strong>und</strong> war zugleich Grabstätte der Welfen. Im Jahre 1094 schenkte Judith von<br />
Flandern dem Kloster die 1048 in Mantua wiederaufgef<strong>und</strong>ene "Heilig-Blut-Reliquie" - jenen<br />
Anteil, der gemäss Legende zu einem Drittel dem deutschen Kaiser Heinrich III. zugefallen war.<br />
Diese spielte über Jahrh<strong>und</strong>erte eine wichtige Rolle <strong>und</strong> machte das Kloster durch Kultur <strong>und</strong><br />
Wallfahrten berühmt. Ein erster romanischer Bau entstand ca. 1124. Von besonderer Bedeutung im<br />
späten Mittelalter war die "Weingartner Liederhandschrift", eine Sammlung mittelhochdeutscher<br />
Minnedichtung. Nach dem Abbruch der alten Bauten im Jahre 1715 errichtete der Baumeister<br />
Franz Beer unter Abt Sebastian Hyller eine neue, imposante Klosteranlage mit einer Basilika, der<br />
grössten Barockkirche auf deutschem Boden ("schwäbischer Petersdom"). 1724 fand die<br />
Einweihung statt. Die Pläne stammen von Kaspar Moosbrugger, dem späteren Erbauer von<br />
Einsiedeln, von Jakob Herkommer <strong>und</strong> dem württembergischen Hofarchitekten Donato Giuseppe<br />
Frisoni. Die Säkularisation hob im Jahre 1803 das Kloster auf. 1922 wurde der Klosterbetrieb<br />
wieder aufgenommen.<br />
2. Geschichte der Orgel<br />
a) Frühere Orgeln <strong>und</strong> Chororgeln<br />
Es ist anzunehmen, dass dieses reichste schwäbische Benediktinerkloster wie die andern<br />
Klöster - <strong>St</strong>. Gallen <strong>und</strong> Reichenau seit dem 10. Jahrh<strong>und</strong>ert - schon früh eine Orgel besass.<br />
Erste Ausgaben für eine Orgel sind im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert erwähnt. Im Jahre 1527 dürfte ein<br />
Positiv auf einer Empore gestanden haben. 1554 liess sich Abt Gerwig Blarer ein Positiv<br />
anfertigen. Bekannt sind Disposition <strong>und</strong> Prospekt einer neuen grossen Orgel 1554-59 von<br />
Martin Rück aus Worms (20 Register auf zwei Manualen <strong>und</strong> Pedal). Da der Orgelbauer<br />
noch vor Fertigstellung des Instrumentes starb, wurde es durch einen andern vollendet.<br />
1613 baute ein "Meister Andreas" eine weitere Orgel, deren damaliger <strong>St</strong>andort nicht<br />
bekannt ist. Zu dieser Zeit werden 3 Instrumente in der Basilika erwähnt: Ein Regal, sowie<br />
51<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
eine kleine <strong>und</strong> eine grosse Orgel. 1627 wurde nochmals ein Positiv angeschafft. Während<br />
des 30-jährigen Krieges zählt der 6. Juni 1632 zu den schwarzen Tagen des Klosters:<br />
Damals wurden die Mönche von schwedischen Soldaten schwer misshandelt <strong>und</strong> die<br />
Orgeln derart zerstört, dass sie unbrauchbar wurden. 1722 erhielt Joseph Bossard aus Zug<br />
<strong>und</strong> sein Sohn Victor Ferdinand den Auftrag für eine Chororgel mit 14 Registern (I+P).<br />
Bossard hatte damals gerade die Orgel im Kloster <strong>St</strong>. Urban vollendet. Das neue Instrument<br />
wurde bereits bei der Einweihung der Basilika 1724 gespielt.<br />
b) Die grosse Gabler-Orgel 1737-1750<br />
Schon seit dem Abbruch des alten Klosters im Jahre 1715 plante man eine grosse Orgel an<br />
der Westempore. Dabei tauchen die Namen berühmter zeitgenössischer Orgelbauer auf.<br />
Aus dem Jahre 1720 stammt ein Dispositionsvorschlag von Andreas Silbermann (1678-<br />
1734) aus <strong>St</strong>rassburg für eine Orgel im französischen <strong>St</strong>il. An weiteren Orgelbauern wurden<br />
angefragt oder haben sich beworben: Johann Andreas Fux (1670-1738) aus Donauwörth;<br />
Johann Caspar Homann aus Helmsheim; Johann Georg Rohrer aus <strong>St</strong>rassburg; Georg<br />
Friedrich Schmahl (1700-1773) (Orgeln Ulm, Sitzberg); Gottfried Silbermann (1683-1753)<br />
aus Freiberg/Sachsen; Johann Christoph Löw aus Augsburg (Orgel in Rheinau 1715).<br />
Warum keine dieser Koryphäen zum Zug kam, ist nicht bekannt. Vielleicht konnte man<br />
sich in <strong>Weingarten</strong> nicht mit dem französischen <strong>St</strong>il anfre<strong>und</strong>en; vielleicht empfand man<br />
auch das Äussere der vorgeschlagenen Orgeln als für den monumentalen Raum zu<br />
bescheiden. Der frühere Münsterorganist <strong>und</strong> Benediktinerpater Gregor Klaus [6] meint, es<br />
habe vielleicht auch in der Absicht des Klosters gelegen, junge einheimische Kräfte zu<br />
fördern.<br />
Jedenfalls kam inmitten dieser Prominentenliste 1729 erstmals auch der schwäbische<br />
Orgelbauer Joseph Gabler ins Gespräch: Er erhielt nämlich den Auftrag, die Bossard-<br />
Chororgel in <strong>Weingarten</strong> zu reparieren. Gabler arbeitete damals in seiner Heimat<br />
Ochsenhausen am Umbau der grossen Orgel, konnte aber kaum andere Referenzen<br />
beibringen. Immerhin muss er als Handwerker bereits positiv aufgefallen sein. Obwohl die<br />
Chororgel in <strong>Weingarten</strong> mit ihren 7 Jahren ein noch recht junges Instrument war, hatte die<br />
Feuchtigkeit in der damals frisch erbauten Kirche starke Schäden angerichtet. Gabler fügte<br />
bei diesem Umbau 1730/31 den Spieltisch in das Chorgestühl ein. Vermutlich hat er hier<br />
von den Bossards noch einiges gelernt. Man hat den Eindruck, dass dieser kleine Auftrag<br />
gewissermassen als Testarbeit an Gabler vergeben wurde, da die Orgelbauer Bossard noch<br />
immer einen guten Ruf besassen. Wohl als weitere Referenz konnte man schliesslich 1733<br />
die Vollendung der Orgel in Ochsenhausen zur Kenntnis nehmen. Jedenfalls erhielt er<br />
damals auch den Auftrag für den Bau der grossen Weingartner Orgel.<br />
52<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
1737 wurde der Vertrag unterzeichnet. Demnach sollte die Orgel 6666 Pfeifen <strong>und</strong> 60<br />
Register besitzen bei einem Klaviaturumfang von C-c3 (49 Tasten) <strong>und</strong> einem Pedal von Cg°<br />
(20 Tasten) mit voll ausgebauter tiefer Oktave. Nach 3 Jahren müsste das Instrument<br />
wenigstens teilweise spielbar <strong>und</strong> alle Arbeiten nach 6 Jahren abgeschlossen sein. In der<br />
Offerte von 1736 wird als Preis eine Summe von knapp 18'000 Gulden genannt; die<br />
Gesamtkosten kamen dann schliesslich auf 32'000 Goldgulden zu stehen. Die Summe<br />
selbst, wie auch das Drum <strong>und</strong> Dran dieses Betrages sind kaum mit heutigen<br />
Preisvorstellungen zu vergleichen, so dass nicht mehr auszumachen ist, ob Gabler knapp<br />
oder grosszügig belohnt wurde. Zu Beginn der Bauarbeiten bezog Gabler mit der Familie<br />
<strong>und</strong> 12 Gesellen eine Wohnung im Torhaus des Klosters.<br />
Zu dieser Zeit, nämlich 1733, war auch von einem P. Anselm Wüntsch ein "Handbüchlein"<br />
erschienen, das gut Meinende Gedanckhen für <strong>Weingarten</strong> festhält. Nach Ansicht von<br />
Wüntsch müsste sich Gabler in <strong>Weingarten</strong> schon etwas mehr Mühe geben als in<br />
Ochsenhausen, wenn er es überhaupt könne; Gabler tauge bestenfalls als Gehäusemacher.<br />
Gablers vorgeschlagene Disposition enthalte zu viel, zu schwache <strong>und</strong> zu ähnliche<br />
Register. 2 Wüntsch fordert zwei anstelle von drei oder gar vier Manualen, die ohnehin<br />
schwer zu spielen seien. Obwohl der Pater mit seiner Meinung unterlag, ist doch denkbar,<br />
dass er Drahtzieher war von nachhaltigen <strong>und</strong> recht unerfreulichen <strong>St</strong>reitereien zwischen<br />
Kloster <strong>und</strong> Gabler [5].<br />
Interkurrent führte ein Brand im Kloster zu einer Ueberbelastung der Schreinerei, wodurch<br />
sich der Bau des Orgelgehäuses verzögerte. Anstelle der ursprünglich vorgesehenen<br />
aufwendigen Intarsien beschloss man darum auch, das Gehäuse durch entsprechende<br />
Bemalung zu marmorisieren. Ein mittlerweile neuer Abt beanspruchte die Schreinerei<br />
zusätzlich für seine Neueinrichtungen - Umstände, die kaum zum speditiven<br />
Voranschreiten des Orgelbaus beitrugen. 1739 werden nochmals Verträge abgeschlossen<br />
über das Glockenspiel <strong>und</strong> über einen vollständigen Neubau der Chororgel: Sie sollte<br />
seitlich plaziert werden, damit die Sicht auf den Hauptaltar frei würde. 3 Diese Orgel mit 22<br />
klingenden Registern auf zwei Manualen <strong>und</strong> 2222 Pfeifen hätte nach zwei Jahren vollendet<br />
sein sollen - eine Arbeit, die wohl auch bezweckte, den <strong>St</strong>illstand an der Hauptorgel wegen<br />
Engpässen in der Schreinerei zu überbrücken. Natürlich konnte auch die Entstehung der<br />
Chororgel keine Fortschritte machen, wenn die Schreinerei nicht beansprucht werden<br />
durfte. So war Gabler gezwungen, viele Schreiner- <strong>und</strong> Schlosserarbeiten selber<br />
auszuführen. Terminliche Engpässe führten 1741 zu einem weiteren Vertrag mit Aenderung<br />
der Konditionen. Gleichzeitig hat man noch eine dreiregistrige Prozessionsorgel bestellt<br />
<strong>und</strong> Erneuerungsarbeiten an den beiden Orgelwerken im Priorat Hofen in Auftrag gegeben,<br />
alles abzuschliessen bis 1744. So zog sich die Arbeit über 13 Jahre hinweg. Wohl scheint<br />
es, dass Gabler nicht sehr zügig arbeitete; seine Schwierigkeiten mit der nicht einfachen<br />
Bauherrschaft sind aber trotzdem einfühlbar. Dazu kam, dass sich<br />
2 "Was nutzen so vil flauten? Flaginet, Spitzflauten, Flauta dus, Flautaversiere (...),Rohrflauten,<br />
Waltflauten, <strong>St</strong>ubenflauten, Kammerflauten etc. etc. Warum nit auch Kuchlflauten, Kellerflauten <strong>und</strong>t<br />
Holtzschopfflauten? " [vgl. Bulletin <strong>OFSG</strong> 1994 Nr. 1 S. 9].<br />
3 Damit die Sicht auf den Altar durch das in der Mitte des Chors plazierte Instrument nicht gehindert<br />
werde, hatte bereits Bossard 1722 die grössten Pfeifen liegend angeordnet.<br />
53<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
in dieser Zeit des Uebergangs vom Barock zur Wiener Klassik unter dem Einfluss der<br />
Mannheimer Schule auch die Klangvorstellungen im Orgelbau gr<strong>und</strong>legend änderten. So<br />
musste Gabler zum Beispiel 1743, entgegen dem ursprünglichen Vertrag, die bisherigen<br />
Register wie auch die Chororgel kurzerhand höher stimmen. 1745 wurde die Disposition<br />
der grossen Orgel nochmals leicht geändert.<br />
Aehnlich wie Gottfried Silbermann für die Hofkirchenorgel in Dresden den Charakter der<br />
einzelnen Manuale beschrieb, tat es auch Gabler für <strong>Weingarten</strong>: Das Pedalwerk soll<br />
starkhe <strong>und</strong> durchdringende <strong>St</strong>immen haben, das Hauptmanual scharpfe penetrante, das<br />
Oberwerckh gravitetische <strong>und</strong> douce, das Brustwerkh delicate <strong>und</strong> liebliche, das Echo-<br />
Werkh douce <strong>und</strong> annehmliche <strong>St</strong>immen. Ob Gabler allerdings diese Klangqualitäten<br />
konsequent einhalten konnte, sei dem Urteil des Hörers überlassen.<br />
Schon zu ihrer Entstehungszeit erregte die Orgel in der Klosterkirche <strong>Weingarten</strong> grosses<br />
Aufsehen <strong>und</strong> wurde 1751 auch in einem Kupferstich in die Enzyklopädie von Dom Bédos<br />
[1] übernommen. Bédos hatte diese Orgel 1751 besucht, konnte sie aber wegen<br />
Abwesenheit von Gabler nicht spielen. Eine ähnlich kühne Konstruktion, ebenfalls eine<br />
Orgel um 6 Westfenster, wurde erst wieder 1797 von Holzhey in der Abteikirche Neresheim<br />
verwirklicht.<br />
c) Zwischenzeit<br />
Offenbar wurde der Klang der Orgel, besonders auch im Vergleich zum imposanten<br />
Äusseren, immer als etwas schwach empf<strong>und</strong>en. Bereits 1772 hatte man beanstandet, dass<br />
dem Instrument trotz oft mehrfach besetzter Register eine gewisse <strong>St</strong>ärke fehle, namentlich<br />
im Bereich der Mixturen <strong>und</strong> Zimbeln. Nach dem Bau übernahm der Klosterbruder<br />
Balthasar - seit 1745 ein Schüler Gablers mit weltlichem Namen Andreas Rädle - die Pflege<br />
der Orgel. Ihm folgte später ein Bruder Matthäus Hefele (gest. 1794).<br />
Nach der Aufhebung des Klosters (1803) führte Gottfried Maucher aus Konstanz, ein<br />
ehemaliger Gabler-Schüler, im Jahre 1813 eine Reparatur durch. 1826 setzte Orgelbauer<br />
Braun aus Spaichingen das schlecht erhaltene Orgelwerk instand. Eine weitere Aenderung<br />
folgte 1860-62 durch Carl Weigle aus <strong>St</strong>uttgart. Dem Zeitgeschmack entsprechend wurde<br />
die Trompete 8' erneuert <strong>und</strong> das Register Hautbois 8' (III) im Sinne einer Clarinette<br />
umgebaut. Das Froschmaulgebläse ersetzte er durch 10 Kastenbälge neuer Konstruktion.<br />
Der gleiche Orgelbauer rüstete 1887 Hauptwerk, Oberwerk <strong>und</strong> Pedal mit<br />
Barkermaschinen aus. Wegen der Umbauten am Spieltisch gingen damit wertvolle originale<br />
54<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Trakturteile verloren. 1912 baute Friedrich Weigle aus Echterdingen ein neues<br />
Magazingebläse mit Elektroventilator. Damit erhielten auch die bestehenden<br />
Barkermaschinen einen besseren Winddruck. Das Pedal wurde auf d' erweitert. Im Sinne<br />
einer Klangverstärkung fügte man ein "Seraphon-Werk" zu mit sechs Seraphon- <strong>und</strong> einem<br />
Hochdruckregister (150 mm WS). Dieses elektropneumatisch angesteuerte Fern-<br />
Schwellwerk, plaziert auf einer Seitenempore in der ersten Nische des Kirchenschiffes,<br />
konnte bis 1944 gespielt werden. Ein dauerndes Sorgenkind war wohl das Kronpositiv mit<br />
der schwierigen Windversorgung <strong>und</strong> der komplizierten Traktur. 1929 wurde es mit einer<br />
elektropneumatischen Traktur <strong>und</strong> einem neuen Windkasten versehen. 1953/55 ersetzten<br />
die Orgelbauer Reiser (Biberach) <strong>und</strong> Späth (Mengen-Ennetach) das "Seraphon-Werk"<br />
durch 7 Register in der damaligen "barocken" Vorstellung. Gleichzeitig wurde die Orgel<br />
durch G.F. <strong>St</strong>einmeyer (Oettingen) instandgestellt, die Windversorgung verbessert <strong>und</strong> das<br />
Pedal bis f ' ausgebaut. Trotz vieler Veränderungen im Lauf der Zeit hat es sich immer<br />
grösstenteils um Zubauten <strong>und</strong> Zufügungen gehandelt, wodurch die eigentliche Substanz<br />
der Orgel nur wenig gelitten hat. So ist uns das Werk in einem ursprünglichen Zustand<br />
erhalten geblieben.<br />
Die von Gabler 1739-1742 erbaute Chororgel wurde bereits im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert mehrfach<br />
umgestaltet <strong>und</strong> 1922 nach Neueröffnung des Klosters gänzlich erneuert. Heute enthält sie ein<br />
Werk der Firma Reiser aus dem Jahre 1937 (46 Register, III/P). Nur noch die beiden<br />
Prospektfronten über dem Chorgestühl <strong>und</strong> einige Pfeifen stammen von Gabler.<br />
d) Die Restauration 1981-1983<br />
Während die farbliche Fassung der Orgel bereits 1954 mustergültig in den originalen<br />
Zustand versetzt wurde, erfolgte die Restauration des Instrumentes in den Jahren 1981-83<br />
nach neuesten Erkenntnissen der Denkmalpflege. Diese Arbeiten wurden durch die<br />
Schweizer Orgelbaufirma Kuhn (Männedorf) durchgeführt, worüber auch eine f<strong>und</strong>ierte,<br />
gut lesbare Dokumentation vorliegt [5]. Die Restauration umfasste neben statischen<br />
Sanierungs- <strong>und</strong> allgemeinen Instandstellungsmassnahmen hauptsächlich folgende<br />
Arbeiten:<br />
1. Abbruch der Ergänzungen aus dem 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert: Beseitigung der Zubauten<br />
von 1954. Ersatz der Barkermaschinen durch eine direkte Mechanik. Rein mechanische<br />
Trakturen auch für das Kronpositiv mit Windzufuhr durch die originalen Konduktenblöcke.<br />
Die Traktur ist ja weitgehend erhalten geblieben mit Ausnahme jener innerhalb des<br />
Spieltisches <strong>und</strong> jener vom I. <strong>und</strong> II. Manual, die seinerzeit dem Barkerhebel geopfert<br />
wurde. Original waren vermutlich 4 Koppeln vorhanden: IV-III, III-II <strong>und</strong> II-I als<br />
Klötzchenkoppel, sowie IV-I als Wippenkoppel, letztere gleichzeitig als Zug "Brustpedal<br />
an". Gabler verwendete keine Pedalkoppel. Neu wurde eine Pedalkoppel zu I, II <strong>und</strong> IV<br />
gebaut, sowie zusätzlich ein separater Zug "Brustpedal an". Die Pedalklaviatur ist neu.<br />
55<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
2. Die originale Gabler-<strong>St</strong>immung konnte ermittelt werden. Die Orgel wurde neu intoniert<br />
<strong>und</strong> ungleichschwebend gestimmt, wobei die Gabler-<strong>St</strong>immung leicht modifiziert wurde<br />
zugunsten eines Bach-Spiels. Vom <strong>St</strong>il her ist eine süddeutsche Barockorgel nicht<br />
vorgesehen zum Spiel solcher Literatur. Im Sinne der heutigen Auffassung, dass auf einer<br />
grossen Orgel Werke J.S. Bachs realisierbar sein sollten, erlaubte man sich diesen leichten<br />
Kompromiss (siehe unten).<br />
3. Ein weiteres Zugeständnis an das Bach-Spiel betrifft die gemässigte Erweiterung des<br />
Pedalumfangs bis d' (original C-g°). Die Erweiterung des Grosspedals war möglich unter<br />
Ausnützung von Leerkanzellen; im Kleinpedal half man sich mit Verführung von Pfeifen.<br />
4. Nicht rückgängig gemacht wurde die Gablersche Repetition von drei 4'-Registern in den<br />
8'-Bereich beim Ton c': Octav douce (II), Octav (III), Flaut travers 2fach (IV).<br />
5. Das weitgehend erhaltene Pfeifenwerk wurde in der üblichen Art restauriert. Die später<br />
ergänzten Pfeifen (Pedalerweiterungen) sind durch Rekonstruktion besser an den<br />
Gablerschen <strong>St</strong>il angepasst worden.<br />
6. Die ursprünglich 6 originalen Froschmaulbälge wurden rekonstruiert, allerdings<br />
(zeitgemäss) mit Motorbetrieb. Die Windladen sind vollständig erhalten <strong>und</strong> konnten<br />
repariert werden.<br />
7. Anschluss des Kronpositivs: Das Kronpositiv erhält original seinen Wind durch grosse<br />
Konduktenblöcke, die von den Kanzellen der Oberwerkslade hinauf zu den entsprechenden<br />
Kanzellen der Kronpositivwindlade führen. Da dieses schwierige Konzept jedoch von<br />
Anfang an nicht funktionierte, musste Gabler Wind - das heisst Register - sparen. So<br />
reduzierte er nicht nur die ursprünglich vorgesehene Registerzahl von 6 auf 4, sondern<br />
besetzte auch das Register Octav douce 4' nur einfach statt doppelt; anstelle der 10-fachen<br />
Mixtur musste er mit einem nur zweifachen Register Cimbali 2' Vorlieb nehmen. Bei der<br />
Restauration verzichtete man zugunsten der originalen Situation auf die naheliegende Idee,<br />
den Querschnitt in den Kondukten zu erweitern, um damit die Windzufuhr zu verbessern.<br />
Nach Dichtmachen aller Teile genügt nun der zur Verfügung stehende Wind knapp für das<br />
gleichzeitige Spiel der 4 vorhandenen Originalregister - eine hörbare, aber authentische<br />
Unvollkommenheit dieser berühmten Orgel!<br />
56<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
3. Beschreibung der Gabler-Orgel<br />
Die Westfenster - sonst eher ungeliebte "Fre<strong>und</strong>e" der Orgelbauer - boten sich in<br />
<strong>Weingarten</strong> gleich in 6-facher Anzahl. Es war daher eine anspruchsvolle Aufgabe, die Orgel<br />
hier harmonisch einzupassen. Das geniale Konzept Gablers baut die Orgel um die 6 Fenster<br />
herum <strong>und</strong> besteht aus zwei grossen Haupttürmen, die durch ein brückenartiges Mittelfeld<br />
verb<strong>und</strong>en sind. An beiden Aussenseiten befinden sich nochmals Flachtürme, die ebenfalls<br />
durch Brücken mit dem Hauptwerk verb<strong>und</strong>en sind. Neben diesem "Hauptkomplex"<br />
verleihen drei abgetrennte Werke dem Instrument zusätzlich einen plastischen Eindruck:<br />
Oben als Bekrönung das Kronpositiv <strong>und</strong> an der Brüstung die zwei Brüstungspositive (links<br />
IV. Manual; rechts Kleinpedal oder "Brustpedal")4. Der Prospekt auf der Westempore weist<br />
eine Höhe von 14 Metern auf; die grösste Pfeife misst 9.62 m bei einem Umfang von<br />
120 cm <strong>und</strong> fasst 1200 Liter. Die kleinste Elfenbeinpfeife ist 4½ cm lang <strong>und</strong> wiegt 60 g.<br />
Der Prospekt enthält nur wenig Blindpfeifen. Die zwei grössten Pfeifen, das C <strong>und</strong> Cis des<br />
32'-Registers, sind als Innenpfeifen aus Holz gebaut; ab D stehen sie als Zinnpfeifen im<br />
Prospekt. Die grossen Prospektpfeifen des zweifachen Kontrabasses 32'+16' tragen die<br />
Namen von Heiligen aus dem Benediktinerorden, die den Anfangsbuchstaben der Töne<br />
entsprechen; nur 7 sind ohne Namen.<br />
57<br />
Prospektaufbau<br />
Prospektpfeifen: Register:<br />
2 grosse Haupttürme Contrabass 32' ab D Grosspedal<br />
Praestant 16' (I) Hauptwerk (I)<br />
darüber:<br />
- Oberwerk (II)<br />
Unterbau der Haupttürme Hohlflaut 4' 2f Echowerk (III)<br />
(vom Schiff aus unsichtbar)<br />
2 Seitenfelder ganz aussen 16'-Pfeifen des Contrabass 32' -<br />
3 "Brücken" Mixturbass 8' 5-8f (Pedal) do. / "La force" im<br />
Mitteltürmchen<br />
der mittleren Brücke<br />
Kronpositiv Octav douce 4' Kronpositiv<br />
(aufgehängt am Dach) (siehe Disposition)<br />
Brüstungspositiv links Principal doux 8' Brustpositiv (IV)<br />
Brüstungspositiv rechts Superoktavbass 8' "Brustpedal" = Kleinpedal<br />
4 Kleinpedal = weniger kräftige Pedalregister; Brustpedal = Register im Brüstungspositiv.<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Das Gehäuse wurde in der Klosterschreinerei hergestellt. Die Fassung <strong>und</strong> Vergoldung<br />
besorgte der Klostermaler, Bruder Franz Heine. Die Bildhauerarbeiten stammen<br />
wahrscheinlich zum grossen Teil von H. Joachim Früeholz aus <strong>Weingarten</strong>, vielleicht zum<br />
Teil auch von Gabler selbst. Es ist möglich, dass einige der jetzt vorhandenen Engel von<br />
Joseph Anton Feuchtmayer aus Salem geschaffen wurden.<br />
58<br />
Abbildung : Spieltisch der Gabler-Orgel in <strong>Weingarten</strong><br />
Ein besonderes Schmuckstück ist der Spieltisch, der wie das Gehäuse ebenfalls in der<br />
Klosterschreinerei verfertigt wurde. Ein freistehender Spieltisch war - erstmals in<br />
Süddeutschland - wenige Jahre zuvor von Gabler bereits in Ochsenhausen gebaut worden;<br />
in Oesterreich brauchte man ihn bereits längere Zeit als Zugeständnis an liturgische<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Gebräuche. Auch diese Einrichtung führte zu enormen Schwierigkeiten mit der<br />
umständlichen <strong>und</strong> weitverzweigten Traktur, was J.A. Silbermann, wohl nicht ganz zu<br />
Unrecht, dem Orgelbauer Gabler als unnötige Komplizierung vorwarf. Die 77 Registerzüge<br />
<strong>und</strong> die Untertasten sind aus Elfenbein. Ueber dem Spieltisch, unter der mittleren "Brücke",<br />
hängen bogenförmig an einem holzgeschnitzten Weinstock drei grosse Weintrauben mit<br />
dem Pedal-Glockenspiel. Die Traubenform soll auf <strong>Weingarten</strong> hinweisen.<br />
Die Gabler-Orgel enthält 63 Register <strong>und</strong> 7 Nebenregister auf 4 Manualen <strong>und</strong> Pedal. Die<br />
Details, besonders auch die Angaben über die Nebenregister, sind aus der Disposition<br />
ersichtlich.<br />
Als Kuriosum gilt der Registerzug "La Force": ein 49-fach besetzter C-Dur-Akkord auf der<br />
tiefsten Pedaltaste C. Er besteht aus Prinzipalpfeifen folgender Zusammensetzung:<br />
1x 2' 6x 1/2'<br />
2x 12/3' 6x 2/5'<br />
2x 1' 4x 4/7'<br />
2x 4/5' 10x 1/3'<br />
4x 2/3' 12x 2/7'<br />
Ueber den Sinn dieses Zuges ist viel spekuliert worden: Relikt des Blockwerk-Systems?<br />
Hornwerk? Symbolische Bedeutung?<br />
Klang <strong>und</strong> Mensuration<br />
Die Klangqualitäten der Gabler-Orgel in <strong>Weingarten</strong> liegen weniger im machtvollen Tutti,<br />
sondern eher im weichen, farbigen Bereich. Prinzipale <strong>und</strong> Flötenstimmen sind weich<br />
intoniert, die <strong>St</strong>reicherstimmen zahlenmässig stark vertreten. Man findet nur wenig<br />
Zungenstimmen. Einzelaliquoten fehlen. Die vielen mehrchörigen Mixturen geben dem<br />
Plenum einen charakteristischen Glanz.<br />
Dieser weiche, eher verhaltene, farbige Orgelklang entspricht heute wieder unsern<br />
Idealvorstellungen. Allerdings wurde in der Vergangenheit aus den technischen Problemen,<br />
die Gabler mit dieser Orgel hatte, vielleicht allzu rasch eine Tugend gemacht. Die Zubauten<br />
im Lauf der Zwischenzeit <strong>und</strong> verschiedene Zeugnisse weisen darauf hin, dass man den<br />
Klang immer wieder zu verstärken suchte, weil er zu schwach imponierte. Dies hat nach<br />
Jakob [5] verschiedene Gründe:<br />
Gabler war offensichtlich kein Meister der Mensuration. Auch Klaus [6] empfand die<br />
Mensuren als "einförmig". Für den grossen Raum in <strong>Weingarten</strong> wurden sie merklich zu eng<br />
konzipiert: So tönen die (mittelweiten) Prinzipale bereits wie (enge) <strong>St</strong>reicher, <strong>und</strong> die<br />
<strong>St</strong>reicher klingen oft nur noch knapp im Gr<strong>und</strong>ton. Gabler musste<br />
59<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Disposition der grossen Orgel in der Klosterkirche <strong>Weingarten</strong><br />
Joseph Gabler (1737-1750)<br />
I. Hauptwerk C-c3 II. Oberwerk C-c3<br />
Praestant 16' Borduen 2-3fach 16'<br />
Principal 8' Principal Tutti 8'<br />
Piffaro 5-7fach 8' Coppel 8'<br />
Rohrflaut 8' Salicionale 8'<br />
Octav 1-2fach 4' Violoncell 1-3fach 8'<br />
Superoctav 2fach 2' Hohlflaut 8'<br />
Hohlflaut 2' Unda maris 8'<br />
Mixtur 9-10fach 2' Mixtur 9-12fach 4'<br />
Cimbalum 12fach 1' Octav douce 4' ]<br />
Sesquialter 8-9fach 2' Viola 2fach 4' ] Register<br />
Trombetten 8' Nasat 2' ] im Kronpositiv<br />
Cimbali 2fach 2' ]<br />
60<br />
III. Echowerk C-c3 IV. Brustpositiv C-c3<br />
Borduen 16' Principal doux 8'<br />
Principal 8' Flaut douce 8'<br />
Flauten 8' Violoncell 8'<br />
Quintatön 8' Quintatön 8'<br />
Viola douce 8' Rohrflaut 4'<br />
Octav 4' Querflaut 4'<br />
Hohlflaut 1-2fach 4' Flaut travers 2fach 4'<br />
Piffaro 2fach 4' Piffaro 5-6fach 4'<br />
Superoctav 2' Flageolet 2'<br />
Mixtur 5-6fach 2' Cornet 8-11fach 2'<br />
Cornet 5-6fach 1' Vox humana 8'<br />
Hautbois 8' Hautbois 4'<br />
Tremulant<br />
Grosspedal C-d' (orig. g°) Brustpedal C-d' (orig. g°)<br />
Contrabass 2fach 32'+16' Quintatönbass 16'<br />
Subbass 32' Superoktavbass 8'<br />
Octavbass 16' Violoncellbass 8'<br />
Violonbass 2fach 16' Flaut douce-Bass 8'<br />
Mixturbass 5-8fach 8' Hohlflautbass 4'<br />
Bombard 16' Cornettbass 10-11fach 4'<br />
Posaunenbass 16' Sesquialter 6-7fach 22/3'<br />
Trombettbass 8'<br />
Fagottbass 8'<br />
Originale Koppeln: IV/II, III/II, II/I, IV/I (früher zugleich = "Brustpedal an")<br />
Heute zusätzlich: "Brustpedalcopplung" (separat); "Cronpositivcopplung". I/P, II/P, IV/P.<br />
Schleifladen, mechanische Traktur. Winddruck 70 mm WS.<br />
63 Register, 7 Nebenregister, 4 Manuale <strong>und</strong> Pedal<br />
Restauration: Kuhn Männedorf 1983<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Nebenregister<br />
Carillon: Glockenspiel, f° - c3, auf IV spielbar, 32 Glocken (im Spieltisch)<br />
Carillon: Glockenspiel, C - g°, auf dem Pedal spielbar , 20 Glocken (über dem Spieltisch hängend)<br />
La force: Mixtur 49fach 2' auf Ton C des Pedals<br />
Tympano: Pauke, Schwebung mit vier gedeckten 16'-Holzpfeifen auf G<br />
Cymbalo: Drei kleine Glockenschellen mit Windantrieb, ähnlich Zimbelstern<br />
Cuculus: Zwei Kuckucksrufe mit Windradantrieb für die Pfeifen d'-h <strong>und</strong> a-fis<br />
Rossignol: Nachtigallenruf: drei hohe Pfeifen eines 1'-Registers, in ein Wasserbecken mündend<br />
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
daher mangels guter Mensuren auf verschiedene Intonationshilfen ausweichen: Kernstiche,<br />
Vorderbärte, Kastenbärte. Der "sanfte Klang" war also vielleicht nicht immer virtuose<br />
Absicht, sondern dürfte auch gewisse handwerkliche Schwächen verraten haben. So musste<br />
Gabler zur Klangverstärkung bestimmte Register doppelt <strong>und</strong> mehrfach besetzen, was aber<br />
wegen zu hohem Windverbrauch auch nur beschränkt möglich war. Der hohe<br />
Windverbrauch ist also, neben der engen Mensuren, eine weitere Erklärung für die<br />
"Klangsanftheit" der Weingartner Orgel. Obendrein kann infolge einer ausgesprochen<br />
kompakten Bauweise der Prospektpfeifen <strong>und</strong> der wenig durchlässigen Schleierbretter der<br />
Klang nicht ungehemmt durch die Prospektpfeifen austreten. Schliesslich haben sich die<br />
Fusslöcher der Pfeifen im Lauf der Jahre durch ihr Eigengewicht selbst verengt, indem sie<br />
in die bei Gabler sehr steilen <strong>St</strong>ockbohrungen einsanken. Dadurch verloren sie an<br />
Klangstärke. Diese Verengungen konnten bei der Restauration behoben werden.<br />
<strong>St</strong>immung <strong>und</strong> Temperierung<br />
Bei der Restauration fiel auf, dass an verschiedenen Registern überraschend konstant die<br />
Pfeifen dis, f, b verändert waren. Durch Rückformung in ihren ursprünglichen Zustand<br />
konnte eine sinnvolle ungleichstufige Temperierung herausgef<strong>und</strong>en werden, die als<br />
originale Gabler-Temperatur angesehen wird. Es ist eine gemässigt<br />
mitteltönige <strong>St</strong>immung, vergleichbar mit der Gottfried-Silbermann-<strong>St</strong>immung. Sie enthält 8<br />
zwar nicht reine, aber gute Grossterzen <strong>und</strong> eine Wolfsquinte bei gis-dis (= as-es). Reiner<br />
als bei der gleichstufigen <strong>St</strong>immung sind folgende Grossterzen (in absteigender "Qualität"):<br />
g-h, c-e, f-a, b-d, a-cis, es-g, d-fis, e-gis. Da bei dieser originalen Gabler-<strong>St</strong>immung die<br />
Terzen des-f, h-dis, ges-b <strong>und</strong> as-c ausgesprochen schlecht ausfallen <strong>und</strong> so die Orgel für<br />
ein Bach-Spiel ungeeignet machen, wurde sie etwas ausgeglättet. Die jetzige, gemässigte<br />
Temperierung enthält nur noch 7 Terzen, die etwas reiner sind als die gleichschwebende<br />
Terz, dafür ist die Wolfsquinte praktisch aufgehoben; die Terzen h-dis <strong>und</strong> ges-b sind noch<br />
minim unreiner als bei der gleichschwebenden <strong>St</strong>immung. Die Orgel wurde auf eine<br />
absolute Tonhöhe a' = 419 Hz bei 15° gestimmt, das heisst knapp ½ Ton unter der heutigen<br />
Normalstimmung von 440 Hz.<br />
61<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Zusammenfassend über den Klang: (Jakob [5] S. 79): "Die Gabler-Orgel ist sicherlich<br />
keine Kraft-Orgel. Mächtigkeit <strong>und</strong> Brillanz fehlen etwas im Vergleich zur Orgelgrösse.<br />
Der Klang ist etwas verhalten, verschleiert, dafür poesievoll <strong>und</strong> pastellhaft farben. Die<br />
enorme Vielchörigkeit der gemischten <strong>St</strong>immen ergibt den Effekt eines <strong>St</strong>reichorchesters:<br />
minimale Abweichungen der Einzelstimmen ergeben (noch) keine Falschheit, aber eine<br />
grössere Bandbreite des Richtigen. Es wurde sehr darauf geachtet, der Orgel den<br />
kammermusikalisch-intimen Charakter zu belassen <strong>und</strong> keine falsche sinfonische Grösse<br />
einfliessen zu lassen. Da nun aber alles wieder winddicht ist <strong>und</strong> jede Pfeife im Gr<strong>und</strong>ton<br />
anspricht, klingt die Orgel doch etwas kräftiger als zuvor."<br />
Der Orgelbauer Gabler: Grösse <strong>und</strong> Grenzen<br />
Joseph Gablers kühne <strong>und</strong> schöpferische Prospektgestaltung kommt in der Weingartner<br />
Orgel wohl einzigartig zum Ausdruck. Auch in der Bearbeitung der Pfeifen, der Windladen<br />
<strong>und</strong> Windkanäle zeigt sich sein f<strong>und</strong>iertes handwerkliches Können, das ihn noch über<br />
Holzhey stellt - wenngleich ihm die Windversorgung abgelegener Orgelteile, wie beim<br />
Kronpositiv in <strong>Weingarten</strong>, gelegentlich verunglückte. Die Realisierung der oft<br />
komplizierten Trakturführungen verraten ein ausgesprochenes mechanisches Geschick, das<br />
mit keinem Orgelbauer seiner Zeit zu vergleichen ist.<br />
Gablers Disposition zeigt ein Gemisch von modernen <strong>und</strong> altertümlichen Elementen: Eher<br />
fortschrittlich ist die Bevorzugung der 8'-Lage, die Betonung der <strong>St</strong>reicher, das Fehlen<br />
hochfüssiger Register <strong>und</strong> die Abstufung der Manuale nach dynamischen Kriterien. Als<br />
archaisierend empfindet man dagegen die Vielchörigkeit der Register <strong>und</strong> deren Repetition,<br />
die Konstruktion halber (dh. nicht voll durchgehender) Register, sowie die eher mitteltönig<br />
beeinflusste Temperierung.<br />
Wie schon erwähnt, hatte Gabler bei der Wahl richtiger Mensuren Schwierigkeiten.<br />
Entsprechend mühsam gestaltete sich wohl die Intonation, was man an den vorhandenen<br />
Kernstichen <strong>und</strong> Bärten sieht: Ein Gr<strong>und</strong> vielleicht, dass sich seine Intonationsarbeiten<br />
gemäss Urteil von Zeitgenossen derart in die Länge zogen. Auch mit dem Bau von<br />
Zungenregistern scheint Gabler seine Schwierigkeiten gehabt zu haben; es gelang ihm<br />
offensichtlich nicht, die ursprünglich in 32'-Länge vorgesehene Bombarde zu realisieren, so<br />
dass er diese in 16'-Länge ausführte.<br />
62<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Besonders in den Weingartner Orgelakten finden sich immer wieder symbolische Zahlen,<br />
die offensichtlich auf Gabler selbst zurückgehen <strong>und</strong> zum Teil Gegenstand überrissener<br />
Deutungen wurden. Die Verträge nennen eine Gesamtzahl von 6666 Pfeifen für die grosse<br />
Orgel, 2222 für die Chororgel, d.h. total 8888. Die grosse Orgel hat 76, die kleine 24<br />
Registerzüge = total 100. Justin Heinrich Knecht erwähnt in seiner Orgelschule von 1796,<br />
dass die Weingartner Orgel 6666 Pfeifen besitze - soviel, wie Christus nach der Legende<br />
Peitschenhiebe empfangen habe. Diese Deutung dürfte Knecht möglicherweise selbst<br />
erf<strong>und</strong>en haben. Jedenfalls entsprechen die symbolischen Zahlen nicht exakt den<br />
tatsächlichen Verhältnissen. Mit ernüchterndem Humor stellt Jakob fest, dass kaum<br />
kosmische oder andere Geheimnisse im Spiele sind, "sondern lediglich die harmlose<br />
Freude des einfachen Gemütes an interessanten Zahlenkombinationen, vielleicht<br />
vergleichbar mit der bisweilen sichtlich stolzen Freude heutiger Mitmenschen an ihrer<br />
besonders bemerkenswerten Autonummer".<br />
Mag sein, dass "kosmische" Interpretationen dieser vielleicht eher naiv gemeinten Zahlen<br />
um Gabler einen Mythos mit allerhand Legenden entstehen liessen. Nach einer Legende soll<br />
dem Meister das Register Vox humana deshalb so gut gelungen sein, weil er dem Teufel<br />
dafür seine Seele verschrieben habe. Nach einer andern Legende, die vermutlich der<br />
Wirklichkeit entspricht, hat Gabler einen "Geheimhebel" eingebaut, ein kompliziert sich<br />
auswirkendes Sperrventil, mit dem er später die zahl-säumige Bauherrschaft unter Druck<br />
gesetzt haben soll. Dieses Sperrventil wurde 1912 von Orgelbauer Gotthold Weigle an<br />
schwer zugänglicher <strong>St</strong>elle aufgef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> entfernt. Jakob [S. 92], mit sichtlichem<br />
Orgelbauer-Schalk, bemerkt dazu: "Ich darf verraten, dass wir anlässlich der<br />
Restaurierung wieder eine derartige Einrichtung samt Geheimhebel eingebaut haben. Der<br />
Ort ist <strong>und</strong> bleibt natürlich geheim. Die Gabler-Tradition wurde in diesem Punkte also<br />
liebevoll weitergepflegt."<br />
63<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Die Holzhey-Orgel in der ehemaligen Abteikirche <strong>Weissenau</strong><br />
1. Geschichte des Klosters<br />
<strong>Weissenau</strong> wurde im Jahre 1145 vom Prämonstratenserkloster Rot an der Rot aus<br />
gegründet. Im Gegensatz zu Reichenau oder Mehrerau auch "Minderau" genannt, trägt das<br />
Kloster seinen Namen aufgr<strong>und</strong> der weissen Ordenstracht der Prämonstratenser-Mönche.<br />
Damit wurde es auch von den (schwarzen) Benediktinern in <strong>Weingarten</strong> unterschieden, mit<br />
denen es aber schon früh ungünstig gelegene Güter auszutauschen <strong>und</strong> den Besitz<br />
abzur<strong>und</strong>en versuchte: Im Süden der <strong>St</strong>adt Ravensburg befanden sich nur <strong>Weissenau</strong>er<br />
Güter, im Norden nur Besitze von <strong>Weingarten</strong>. Auch in <strong>Weissenau</strong> entwickelte sich ein<br />
historisch bedeutungsvoller Brauch um die Verehrung der "Heilig-Blut-Reliquie". Anders<br />
als in <strong>Weingarten</strong> stammt diese Reliquie aus Frankreich <strong>und</strong> kam später ins <strong>St</strong>rassburger<br />
Münster. Dort wurde sie 1261 nach dem Sieg über <strong>St</strong>rassburg an Rudolf I. von Habsburg<br />
übergeben. Dieser schenkte die Kostbarkeit im Zuge einer Reformbewegung dem Kloster<br />
im Jahre 1283. Die heutige Kirche wurde unter Baumeister Franz Beer in den Jahren 1717-<br />
1724 erbaut. 1802 hob die Säkularisation das <strong>St</strong>ift auf; die Klosterkirche wurde zur<br />
Pfarrkirche. Die Gebäude übernahmen zunächst die Grafen von <strong>St</strong>ernberg-Manderscheid.<br />
Seit 1835 ist das ehemalige Kloster im Besitz des <strong>St</strong>aates Württemberg.<br />
2. Geschichte der Orgel<br />
Vermutlich die erste Orgel in der mittelalterlichen Klosterkirche war ein Werk von Jörg<br />
Ebert aus Ravensburg aus dem Jahre 1550; es wurde 1603 erweitert. Wohl um 1722-1724<br />
wurde eine grosse Orgel von P. Christoph Vogt aus Ottobeuren repariert <strong>und</strong> vergrössert.<br />
Im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert besass die Klosterkirche zwei Orgeln. Auf das 500-Jahr-Jubiläum der<br />
Heilig-Blut-Reliquie war eine neue Orgel bei Johann Nepomuk Holzhey bestellt worden.<br />
Sie hätte gemäss Zusicherung an den Abt auf das Jubiläumsjahr 1783 wenigstens mit 12<br />
Registern spielbar sein sollen. Holzhey konnte sein Versprechen nicht einhalten: Man<br />
musste im Festjahr mit der Chororgel vorlieb nehmen; die unbrauchbar gewordene Orgel<br />
auf der Empore war bereits entfernt worden. Der begehrte Orgelbauer war nämlich durch<br />
fast gleichzeitige Bauten in Rot <strong>und</strong> in Neresheim absorbiert <strong>und</strong> verschiedentlich in<br />
Verzug geraten. 1783 hatte er noch in Obermarchtal zu tun. Kein W<strong>und</strong>er, dass die<br />
Dispositionen der Orgel in <strong>Weissenau</strong> <strong>und</strong> in Obermarchtal praktisch identisch sind.<br />
Scheinbar hat der Abt auf dem versprochenen Liefertermin nicht bestanden, da Holzhey mit<br />
schlechterer Qualität drohte für den Fall, dass er terminlich unter Druck gesetzt würde. So<br />
konnte er das neue Instrument erst in den Jahren 1785-1787 erbauen. Das Gehäuse wurde<br />
vermutlich von Meister Fröhlich aus Ottobeuren verfertigt. Eine Signatur im Orgelinnern<br />
mit der Jahrzahl 1787 bezeichnet wohl den Abschluss des Orgelbaus.<br />
64<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Die Orgel gehörte mit ihren 41 Registern <strong>und</strong> drei Manualen zu den grössten in<br />
Süddeutschland <strong>und</strong> wurde wegen ihres neuartigen Klanges sehr bew<strong>und</strong>ert. Die farbliche<br />
Gestaltung des Gehäuses wurde, wie oft zur damaligen Zeit, scheinbar auf später<br />
verschoben. Offensichtlich fehlten dann zur Zeit der Säkularisation die finanziellen Mittel,<br />
so dass der Prospekt lediglich eine hellgraue Gr<strong>und</strong>ierung erhielt.<br />
Erst wieder 1827 vernehmen wir, dass ein Franz Xaver Engelfried an der Orgel arbeitete. In<br />
einem <strong>St</strong>immvertrag von 1828 mit Orgelbauer Kaspar Speidel sind neben der Disposition<br />
von damals auch Registrieranweisungen festgehalten [4]. Erhebliche Änderungen erfuhr<br />
die Orgel im Jahre 1844 durch Franz Anton Kiene (1777-1847) aus Langenargen <strong>und</strong> seinen<br />
Sohn, Johann Nepomuk Kiene (1812-1902) 5. Kiene empfand die Orgel damals "mehr auf<br />
Geschrey u. brausende Tonart" ausgerichtet "u. mit Schnarrwerken; mehrentheils gleichen<br />
Charakters (:die ohnehin nie in der <strong>St</strong>immung bleiben:) bestellt", .."das Pedal zu schwach".<br />
Schon r<strong>und</strong> 40 Jahre vorher hatte der Augsburger Domkapellmeister Franz Bühler die<br />
Holzhey-Orgeln als ".. zu jung <strong>und</strong> zu lärmend" mit "zu viel Schnarrwerken" empf<strong>und</strong>en.<br />
Er wünschte ihnen "mehr R<strong>und</strong>ung <strong>und</strong> Dicke des Tones" - ein Postulat, das in der bereits<br />
frühen Romantik dem Wunschbild der labialbetonten süddeutschen Orgel entsprach <strong>und</strong><br />
das französische Konzept mit seinen Zungenstimmen ablehnte. Im Zuge dieser neuen<br />
Auffassung verringerte Kiene alle gemischten <strong>St</strong>immen in ihrer Chorzahl <strong>und</strong> beseitigte<br />
besonders die hohen Reihen. Die Terzchöre mit Ausnahme des Cornet im Hauptwerk<br />
wurden entfernt, ein Grossteil der Zungenstimmen durch Labialregister von vorwiegend<br />
weiter Mensur ersetzt. Das Oberwerk wird auf 16' Basis aufgebaut. Anstelle des<br />
ursprünglich silbernen Klanges erhielt die Orgel nun einen gr<strong>und</strong>tönigen Charakter: "Zu<br />
Holzheys Zeiten muss die Orgel im 'vollen Werk' viel strahlender <strong>und</strong> majestätischer<br />
geklungen haben als nach Kienes Umbau" [4]. Diese Betonung der 8'- <strong>und</strong> 16'-Lage<br />
verlangte mehr Wind; die Windkanäle mussten daher weiter dimensioniert werden. Nach<br />
dem Tod von Vater Kiene vollendete sein Sohn Johann Nepomuk die Arbeit. Obwohl man<br />
mit ihm nicht zufrieden war, führte er 1869 nochmals eine Reparatur durch <strong>und</strong> brachte ein<br />
Drahtgeflecht hinter den Prospektpfeifen an zum Schutz vor Eulen, Fledermäusen <strong>und</strong><br />
Vögeln. 1872 Umbau <strong>und</strong> Austausch einiger Register <strong>und</strong> Reinigung der Orgel durch Carl<br />
Gottlieb Weigle mit Einbau von 4 Kompensationsbälgen zwecks besseren Windausgleichs.<br />
Auf einer Federleiste des Positivs bemerkten die Orgelbauer Weigles: "... von Orgelbauer<br />
Kiene aus Langenargen repariert, jedoch eigentlich malträtiert." Von den ursprünglich 8<br />
Zungenregistern blieb von Holzhey nur noch die Pedaltrompete erhalten; vier<br />
Zungenregister wurden ganz entfernt. 1882 wurde die alte Froschmaul-Balganlage wegen<br />
Undichtigkeit abgebrochen <strong>und</strong> ein neuer Magazinbalg angefertigt. Im ersten<br />
5 Erbauer der Orgel in Rebstein 1854.<br />
65<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Weltkrieg 1917 mussten die Prospekt-Zinnpfeifen abgeliefert werden. Erst 1925 hat sie<br />
Orgelbauer Späth aus Ennetach durch Zinkpfeifen ersetzt. Möglicherweise wurde damals<br />
auch die Pedaltrompete erneuert, die letzte der noch erhaltenen Zungenstimmen Holzheys.<br />
Pfeifenplünderer machten sich ausserdem an der Orgel zu schaffen. Bis in die 1930er Jahre<br />
ging sogar vergessen, dass die Orgel in <strong>Weissenau</strong> eine Holzhey-Orgel sei. Anhand von<br />
Pfeifenuntersuchungen hat Walter Supper um 1940 dessen Urheberschaft eindeutig<br />
nachgewiesen, was durch später aufgef<strong>und</strong>ene Quellen nochmals bestätigt wurde. 1949-51<br />
Instandstellung durch Weigle mit Rekonstruktion der Disposition <strong>und</strong> des Klanges bei<br />
unsicherer Quellenlage <strong>und</strong> finanziell knappen Mitteln. Dabei beliess man einige Register<br />
von Kiene. Die Zungen wurden nicht nach Rieppschen, sondern nach Gablerschen<br />
Vorbildern rekonstruiert. Auf eine Wiederherstellung der originalen Traktur hat man<br />
verzichtet <strong>und</strong> das Pedal pneumatisch erweitert. Die Zink-Prospektpfeifen aus dem ersten<br />
Weltkrieg blieben bestehen. Das bisher lediglich gr<strong>und</strong>ierte Gehäuse erhielt in Analogie zu<br />
den Altären eine barocke Marmorierung, da man den klassizistischen Charakter der<br />
Verzierungen damals nicht erkannte.<br />
66<br />
3. Restauration durch Hubert Sandtner 1987-1989<br />
Nach Auffinden der originalen Orgelbauakten im Jahre 1980 durch U. Höflacher [4]<br />
konnte auch die ursprüngliche Disposition ermittelt werden. 1983 empfahl ein Gutachten<br />
der Orgelbaufirma Kuhn (Männedorf) die Rückführung der Orgel in den Holzhey-Zustand,<br />
obwohl im Lauf der Zeit sehr viel an der Originalsubstanz verändert worden war. Der<br />
Auftrag zur Restauration / Rekonstruktion wurde an die Firma Sandtner (Dillingen/Donau)<br />
vergeben. Nachdem man anfänglich noch die Restauration eines gewachsenen Zustandes<br />
ins Auge fasste, bestätigten die Untersuchungen am Pfeifenmaterial, dass es richtig war,<br />
den Originalzustand der Holzhey-Orgel von 1787 herzustellen. Nur 2,1% der Pfeifen<br />
stammen von Kiene, 0.4% von Weigle. Dagegen ist ein grosser Teil des Pfeifenmaterials,<br />
nämlich 53%, original von Holzhey erhalten, darunter vor allem die charakteristischen<br />
Einzelstimmen Salicional, Gamba, Flautravers, Nachthorn <strong>und</strong> Holflöten. Bei der<br />
Restauration mussten somit unter den Labialstimmen hauptsächlich die Prinzipale erneuert<br />
werden, deren Rekonstruktion infolge ihrer einheitlichen Mensur bei Holzhey relativ wenig<br />
Probleme bot. Anhand von originalen Vorbildern aus andern Holzhey-Orgeln wurden diese<br />
<strong>St</strong>immen, wie auch Spizflöten, Rohrflöten Diskant, Unda maris, Subbass, Oktavbass, z.T.<br />
Viola <strong>und</strong> Copel, nachgebaut.<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Disposition der Orgel in der ehemaligen Klosterkirche <strong>Weissenau</strong> 6<br />
Johann Nepomuk Holzhey (1785-1787)<br />
67<br />
I. Hauptwerk C-f3 II. Positiv C-f3<br />
Praestant 16' z.T. Prospekt Principal 8'<br />
Principal 8' z.T. Prospekt Rohrflöten 8'<br />
Copel 8' Holz Salicional 8'<br />
Quintadena 8' Unda maris 8'<br />
Gamba 8' Flautravers 8' ab g°<br />
Viola (Schwebung) 8' Holz Octav 4'<br />
Oktav 4' Holflöten 4'<br />
Flöten 4' Fugari 7 4'<br />
Nazard 2-fach 2' Quint 3'<br />
Superoctav 2' Hörnle 2-fach 2' + 13/5'<br />
Sexqualter 3-4fach 3' Cimbal 5-fach 2'<br />
Mixtur 6-fach 2' Fagott Bass 8' bis fis°<br />
Cornet 3-fach 3' ab g° Hautbois Diskant 8' ab g°<br />
Trompet 8'<br />
Claron 4'<br />
III. Echo C-fis° / g°-f3Pedal C- a° (bzw. bis d')<br />
Nachthorn 8' Subbass 16' Holz, offen<br />
Dulciana 8' Oktavbass 8' Holz<br />
Spizflöten 4' Violonbass 8' z.T. Prospekt<br />
Flageolet 2' Cornetbass 4-fach 4'<br />
Cornet Resit 4-fach 4' ab g° Bompard 16' Holz<br />
Vox humana Bass 8' Trompet 8'<br />
Vox humana Diskant 8' Claron 4'<br />
Cromorn Bass 8'<br />
Schalmei Diskant 8'<br />
Tremulant für Diskant<br />
Koppeln: Positiv-Cupl (II-I), Echo-Cupl (III-I), Tuttibass (I-Pedal).<br />
Pedalkoppel als Ventilkoppel gebaut.<br />
Zungenregister des HW lassen sich nicht in das Pedal koppeln.<br />
Grosse Oktave von Prestant 16' nur bei gezogener Pedalkoppel spielbar.<br />
Pedalklaviatur auswechselbar: Originales "Klötzchenpedal" C-a°<br />
oder konventionelles Pedal C-d'<br />
Schleifladen, mechanische Traktur. Winddruck 70 mm WS.<br />
<strong>St</strong>immung: Werckmeister III. a' = 442 Hz (bei 15° C).<br />
Restauration: Hubert Sandtner, Dillingen (1987-1989)<br />
6 Die Disposition der Orgel in <strong>Weissenau</strong> ist praktisch identisch mit jener in Obermarchtal mit Ausnahme<br />
des Registers Fugara 4': In Obermarchtal steht dafür das Register Sifloet 2'.<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
68<br />
Abbildung : Die Holzhey-Orgel in <strong>Weissenau</strong><br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Uebersicht: Bestand originaler <strong>und</strong> rekonstruierter Pfeifen<br />
29 Labial-Zinnregister: 2392 Pfeifen erhalten 62% rekonstruiert 38%<br />
4 Labial-Holzregister: 152 Pfeifen erhalten 30% rekonstruiert 70%<br />
8 Zungenregister: 336 Pfeifen erhalten 0% rekonstruiert 100%<br />
total 41 Register: 2880 Pfeifen erhalten 53% rekonstruiert 47%<br />
Rechnet man die 59 Blindpfeifen des Prospektes <strong>und</strong> die 50 neuen Pfeifen der<br />
Pedalerweiterung dazu, so ergibt dies für die Orgel nach der Restauration 1989 eine<br />
Gesamt-Pfeifenzahl von 2989.<br />
Wegen ihrer atypischen Bauart <strong>und</strong> Mensur erwiesen sich die Pfeifen vom Umbau 1949-50<br />
als ungeeignet für eine Wiederverwendung. Die Rekonstruktion der Holzpfeifen erfolgte in<br />
der eigenen Werkstatt von Orgelbau Sandtner, die Firma Hildenbrand (Ueberlingen)<br />
übernahm den Bau der Zinn-Labialpfeifen; Giesecke (Göttingen) konstruierte die<br />
Zungenpfeifen. Einiges Kopfzerbrechen bereitete die Rekonstruktion der Zungenregister,<br />
für die fast keine Holzhey-Vorbilder existieren. Einzig für das Register Bombarde 16'<br />
konnte aufgr<strong>und</strong> erhaltener Bauteile in Rot (Becher), Ursberg (<strong>St</strong>iefel) <strong>und</strong> Oberelchingen<br />
(ein Zungenblatt Fis 8') ein Bauprinzip gef<strong>und</strong>en werden. Die so ermittelte Zungenstimme<br />
ergab eine praktisch identische Bauweise mit der Bombarde 16' in der Dreifaltigkeitsorgel<br />
Riepps in Ottobeuren. So wurden auch die restlichen 7 Zungenregister anhand des<br />
Rieppschen Vorbildes nachgebaut.<br />
Die Windladen waren 1949-50 erheblich abgeändert <strong>und</strong> die Kanzellenquerschnitte<br />
vermindert worden. Nach Zerlegung wurde die originale Bauweise <strong>und</strong> die originale<br />
Reihenfolge der Register wiederhergestellt. Der Magazinbalg von 1950 <strong>und</strong> die alte Balg-<br />
Treteinrichtung wurde entfernt <strong>und</strong> eingelagert. Anhand des Vorbildes wurden die<br />
Windkanäle <strong>und</strong> 2 Faltenbälge rekonstruiert, betätigt durch eine selbsttätige<br />
Aufziehvorrichtung. Der Balgstuhl bietet Platz für den nachträglichen Einbau von 3<br />
weiteren Bälgen entsprechend dem ursprünglichen Zustand.<br />
Zweifelsfreie Angaben über die originale <strong>St</strong>immtonhöhe <strong>und</strong> die Temperierung der Orgel<br />
konnten nicht gef<strong>und</strong>en werden. Man entschied sich für die <strong>St</strong>immung nach Werckmeister<br />
III; <strong>St</strong>immtonhöhe a' = 442 Hz (bei 15° C).<br />
Die Traktur wurde repariert/rekonstruiert <strong>und</strong> in die originalen Verläufe verlegt,<br />
desgleichen Rekonstruktion der Manualklaviaturen, der Spiel- <strong>und</strong> Koppelanlage im<br />
Spieltisch <strong>und</strong> der Wellaturen nach historischem Vorbild (Neresheim). Die Spielart ist nun<br />
leichtgängig <strong>und</strong> sensibel. Das französische Klötzchenpedal wurde nach dem Vorbild<br />
Oberelchingen angefertigt. Eine zweite, einfach auswechselbare Pedalklaviatur (vgl. die<br />
69<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Spieltisch der Orgel in <strong>Weissenau</strong>: Oben mit dem erweiterten Pedal bis d' in<br />
Anlehnung an heutige Mensuren; unten mit dem rekonstruierten Klötzchenpedal<br />
bis a° <strong>und</strong> kurzen Untertasten.<br />
70<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Konzession in <strong>Weingarten</strong>) mit normal langen Untertasten <strong>und</strong> einem gemässigt modernen<br />
Tonumfang bis d' steht zur Verfügung. Die Pfeifen der Pedalerweiterung um 5 Töne -<br />
bewusst abgetrennt von der historischen Anlage <strong>und</strong> jederzeit reversibel - sind mit<br />
elektrischer Traktur angeschlossen <strong>und</strong> erhalten den Wind von einer Ergänzungswindlade<br />
auf dem Mauergesimse, das durch die Orgel führt.<br />
Die Marmorbemalung des Gehäuses wurde abgelöst. Entsprechend den Vorbildern in Rot<br />
<strong>und</strong> Ursberg erhielt es eine vornehme klassizistische Weiss-Fassung mit vergoldeten<br />
Ornamenten. Diese dürfte der ursprünglichen Absicht Holzheys am ehesten entsprechen,<br />
auch wenn sie aus finanziellen Gründen nie realisiert werden konnte. Bei neueren<br />
Erkenntnissen könnte sie ohne Beschädigung der darunter liegenden originalen<br />
Gr<strong>und</strong>ierung später wieder abgetragen werden. Die Gehäusetüren erhielten neue Beschläge.<br />
Das Medaillon mit der Inschrift über dem Brückenwerk wurde durch eine Uhr nach dem<br />
Vorbild Ursberg ersetzt.<br />
4. Der Holzhey-<strong>St</strong>il<br />
Holzhey ist Oberschwabe wie Joseph Gabler <strong>und</strong> als Schüler von Karl Joseph Riepp durch<br />
beide Meister geprägt. Die kunstvolle <strong>und</strong> zuweilen kühne Gestaltung der Prospekte zeigt<br />
den Einfluss Gablers. Disposition <strong>und</strong> technische Anlagen, Trakturen <strong>und</strong> Windladen<br />
verraten die Schule Riepps. So schuf Holzhey durch Verbindung süddeutscher <strong>und</strong><br />
französischer Orgelbautraditionen in eigenschöpferischer Weise klanglich vielgestaltige<br />
Instrumente. Er repräsentiert den süddeutschen Orgelbau des Klassizismus, den Uebergang<br />
vom Spätbarock zur Frühromantik.<br />
Wie schon im Barock, mussten auch die klassizistischen Kirchenräume Helligkeit <strong>und</strong> Licht<br />
einlassen. So sind auch bei Holzhey die Westfenster harmonisch in die Orgelprospekte<br />
einbezogen. Baustilmässig sind die früheren Orgeln dem Rokoko zuzuordnen; <strong>Weissenau</strong><br />
<strong>und</strong> Obermarchtal (um 1785) tragen teilweise, Neresheim (1797) ganz klassizistische Züge.<br />
Diese Orgeln haben kein eigentliches Gehäuse mehr: Sie stehen sozusagen nur hinter einer<br />
Fassade, die keine tragende Funktion ausübt. Hinten sind die <strong>St</strong>immböden direkt mit der<br />
Kirchenmauer verankert. Das stabil <strong>und</strong> sauber ausgeführte Gehäuse wird nicht mehr vom<br />
Orgelbauer angefertigt, sondern vom Schreiner. Die Orgeln klassizistischen <strong>St</strong>ils sind ganz<br />
in Weiss gefasst <strong>und</strong> fügen sich so in die Architektur ein.<br />
Holzhey baut alle dreimanualigen Orgeln nach dem gleichen Prinzip: Zwei grosse Türme<br />
stehen zu beiden Seiten des Westfensters. Dahinter befinden sich die Pfeifen der drei<br />
Manuale auf drei Etagen, sofern es die Raumhöhe zulässt: Die Hauptwerkslade am<br />
Fusspunkt der grossen Prospektpfeifen, das II. Manual darüber. Das Echowerk (III) liegt<br />
unterhalb der Hauptwerkslade. Die Pfeifen des Pedals stehen seitlich von den grossen<br />
Türmen. Die beiden Prospektteile werden durch ein Brückenfeld über dem Westfenster<br />
miteinander verb<strong>und</strong>en.<br />
71<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Disposition<br />
Holzhey erweiterte die süddeutsche Orgel mit ihren Prinzipalen, <strong>St</strong>reichern <strong>und</strong> Flöten mit<br />
dem französischen Zungenchor <strong>und</strong> den Kornetten 8 <strong>und</strong> schuf so einen neuen, in seiner<br />
Vielfalt sehr farbenreichen oberschwäbischen Orgeltyp. Der Dispositionsaufbau mit der<br />
klaren Funktion für jedes Register entspricht der französischen Schule von Riepp<br />
(Ottobeuren). Damit entstehen neue Teilwerke: Die Prinzipalreihen finden sich bei<br />
Holzhey bevorzugt auf dem Hauptmanual. Nur bei den frühen Instrumenten (z.B.<br />
<strong>Weissenau</strong>) ist das Plenum auf das I. <strong>und</strong> II. Manual aufgeteilt (Mixtur + Zimbel); zum<br />
vollen Spiel ist hier die Manualkoppel nötig. Farbige Solostimmen enthält das II. Manual<br />
(Oberwerk). Das III. Manual, ein von Riepp inspiriertes Neukonzept, ist gleichzeitig<br />
Echowerk <strong>und</strong> Kornettwerk. Zunehmend entwickelt sich auch, entsprechend dem Trend,<br />
eine dynamische Abstufung der Manuale.<br />
Das Hauptwerk wirkt eher traditionell <strong>und</strong> enthält ein starkes Prinzipalgerüst auf 16'-Basis<br />
mit noch eher hohen Mixturen. Seine Plenumsfunktion wird unterstützt durch Zungen <strong>und</strong><br />
Kornette nach französischem Vorbild. So entsteht ein strahlend-majestätisches, jedoch<br />
infolge einheitlicher Mensurierung der Prinzipale durchsichtiges <strong>und</strong> nie schreiendes<br />
Plenum.<br />
Das II. Manual, bei Holzhey meist Oberwerk oder Farbenwerk genannt, ist eher zum<br />
lyrischen Spiel vorgesehen. Es ist ein Positivwerk mit verkleinertem Prinzipalchor <strong>und</strong><br />
einem (wie bei Gabler) höchstens angedeuteten Zungenchor. Neben farbigen Flöten- <strong>und</strong><br />
<strong>St</strong>reicherstimmen finden wir hier ein zerlegtes Cornet: das alte schwäbische Hörnle 2' +<br />
13/5' (allerdings Prinzipalmensur im Gegensatz zum Cornet) <strong>und</strong> die Quinte 22/3' ). Im<br />
Unterschied zu Riepp verwendet Holzhey ausser Quint 22/3' (=3') keine andern<br />
Einzelaliquoten.<br />
Das Echowerk (Cornetwerk) ist - als III. Manual bei den grossen Orgeln - wie das<br />
französische Echo im Untergehäuse der Orgel eingebaut <strong>und</strong> mit Türen versehen, die<br />
geöffnet werden können. Offenbar unter dem Eindruck von Riepp entwickelte Holzhey die<br />
Idee, das Solo-Kornett ins Echowerk hineinzunehmen <strong>und</strong> beide Werke<br />
zusammenzufassen. So enthält dieses Werk mit dem französischen Cornet, den<br />
oberschwäbischen <strong>St</strong>reichern <strong>und</strong> der Vox humana Gablers einen spezifischen<br />
Klangcharakter. Prinzipalstimmen fehlen. Die Register sind entsprechend dem<br />
traditionellen französischen Vorbild oft unterteilt in Bass <strong>und</strong> Diskant (fis°/g°).<br />
8 Umgekehrt bei Holzheys Lehrer Riepp (Ottobeuren), der die französische Orgel mit<br />
süddeutschen Registern bereicherte.<br />
72<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Das Pedal ist in Frankreich wie in Süddeutschland, <strong>und</strong> überdies zeitentsprechend, eher<br />
knapp dotiert. Auch bei Holzhey besitzen selbst grosse Werke meist nur ein 16'-<br />
Labialregister: einen (offenen) Subbass, der sich eindrücklich der jeweiligen Klangstärke in<br />
den Manualen anpasst. Obermarchtal <strong>und</strong> <strong>Weissenau</strong>, also eher frühe Orgeln, besitzen noch<br />
eine Pedalmixtur (Kornettbass 4').<br />
Register <strong>und</strong> Pfeifen<br />
Holzhey verwendet selten Holzregister; <strong>Weissenau</strong> besitzt vergleichsweise viele. Wegen<br />
ihrer oft beschränkten Lebensdauer (Holzwurm!) sind zudem nur wenige von ihnen<br />
erhalten. Vermutlich bevorzugte er die Metallregister, wie Riepp auch, weil sie besser zu<br />
intonieren sind. Die Metallpfeifen enthalten r<strong>und</strong> 50% Zinn <strong>und</strong> 50% Blei. Der Zinngehalt<br />
bei Prinzipalregistern, besonders im Prospekt, ist gelegentlich höher, bei Gedackten meist<br />
etwas tiefer. Riepp <strong>und</strong> Gabler brauchten dagegen meist mehr Zinn. Zum Schutz vor<br />
Korrosion überzieht Holzhey wie Riepp die Pfeifen mit einem Lack. Aus Spargründen ist<br />
das Pfeifenwerk recht dünnwandig. Durch <strong>St</strong>immen <strong>und</strong> Alterung sind hierdurch viele<br />
Metallpfeifen (besonders Zungen) im Fuss eingeknickt <strong>und</strong> häufig schlecht erhalten.<br />
Holzhey benutzt bei allen Orgeln für Prinzipale <strong>und</strong> Kornette eine einheitliche Mensur. Im<br />
Vergleich zur Töpferschen Normalmensur verläuft die Prinzipalmensur Holzheys im Bass<br />
enger, im Diskant weiter. Die Mensur des Prinzipals ist für 8' ungefähr gleich wie bei<br />
Riepp; letzterer baut aber seine 4'-Prinzipale deutlich weiter. Gabler anderseits verwendet<br />
engere Prinzipalmensuren (vgl. S. 60). Wie Gabler, hat scheinbar auch Holzhey bezüglich<br />
der Mensuren wenig auf Raumgrösse <strong>und</strong> Akustik Rücksicht genommen. So musste er<br />
mittels entsprechender Intonation, zum Beispiel durch Veränderung der Aufschnitthöhen,<br />
die Register den unterschiedlichen Räumen anpassen. Dies hatte neben anderem auch den<br />
Vorteil, dass er seine Pfeifen während der kalten Winterperiode auf Vorrat in der eigenen<br />
Werkstatt anfertigen konnte. An Intonationshilfen finden wir bei den Metallpfeifen kleine<br />
<strong>St</strong>ummel-Seitenbärtchen; die <strong>St</strong>reicher besitzen zwecks besserer Ansprache Unterbärte. Zur<br />
<strong>St</strong>abilisierung des Luftbandes enthalten die meisten Pfeifen Kernstiche.<br />
Holzhey hat auch einige Register neu geschaffen. 1784 baute er, vermutlich als erster, eine<br />
Klarinette 8'. Die Flautravers 8' in der Konstruktion ohne Ueberblasloch ist ebenfalls eine<br />
Erfindung Holzheys. Im Gegensatz zu Riepp braucht Holzhey keine offenen Flöten 8'.<br />
73<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Trakturen, Spieltisch, Klaviaturen<br />
Wie bei Gabler, ist auch für Holzhey eine komplizierte Mechanik mit oft langen Trakturen<br />
bis zu 12 Metern typisch. Trotzdem ist die Spielart angenehm <strong>und</strong> leicht. Im Gegensatz zu<br />
Riepp, aber gleich wie Gabler, baut auch Holzhey auf der Westempore immer freistehende<br />
Spieltische. Diese sind durchwegs kunstvoll gestaltet. Bei den Chororgeln sind die<br />
Spieltische in den Chorstühlen eingebaut oder dann freistehend in der Mitte des<br />
Chorraumes.<br />
Der Klaviaturumfang ist mit 54, bezw. 22 Tönen (im Manual C-f''', im Pedal C-a°) grösser<br />
als bei Gabler. Bei Chororgeln reicht das Pedal gelegentlich nur bis f°. Die Untertasten<br />
sind original mit Ebenholz, die Obertasten mit Bein oder Elfenbein belegt. Holzhey baut<br />
Klötzchenpedale nach französischem Vorbild (Riepp), wie sie auch Dom Bédos beschreibt<br />
[1]. Holzheys Pedal unterscheidet sich aber in seinem kleineren Umfang von jenem Riepps,<br />
das noch zwei vollständige Oktaven umfasste. Der kleine Pedalumfang genügte für die<br />
damalige süddeutsche Musik. Heute sind diese Pedalklaviaturen meistens erweitert worden.<br />
Holzhey baut bei allen Instrumenten Pedalkoppeln, im Gegensatz zu Gabler <strong>und</strong> Riepp.<br />
Weil diese den Bass im vollen Werk verstärken, nannte er sie "Tuttibass". In den Manualen<br />
brauchte er Schiebe- oder auch Wippenkoppeln.<br />
74<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Literatur<br />
[1] Bédos de Celles, Dom François. L'Art du Facteur d'orgues (1766). Deutsche<br />
Uebersetzung durch Chr. Glatter-Götz in 2 Bänden. Lauffen/Neckar 1977.<br />
[2] Eitel Peter (Hrsg.). <strong>Weissenau</strong> in Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart. Sigmaringen 1983.<br />
[3] Hamm Heinrich. Die Gabler-Orgel der Basilika <strong>Weingarten</strong>.<br />
[4] Höflacher Ulrich. Johann Nepomuk Holzhey, ein oberschwäbischer Orgelbauer.<br />
Ravensburg 1987.<br />
[5] Jakob Friedrich. Die grosse Orgel der Basilika zu <strong>Weingarten</strong>. Geschichte <strong>und</strong><br />
Restauration der Gabler-Orgel. Männedorf 1986.<br />
[6] Klaus Gregor P. Zur Orgel- <strong>und</strong> Musikgeschichte der Abtei. In: Festschrift zur<br />
900-Jahr-Feier des Klosters 1056-1956. <strong>Weingarten</strong> 1956.<br />
[7] Lüthi F. Ottobeuren <strong>und</strong> Ochsenhausen. Zwei bedeutende Denkmalorgeln in<br />
Oberschwaben. Bulletin <strong>OFSG</strong> Nr. 6. August 1984.<br />
[8] Restaurierung der Holzhey-Orgel in <strong>Weissenau</strong> 1987-1989. Eine Dokumentation.<br />
Hrsg. Finanzministerium Baden-Württemberg. Mit Beiträgen von U. Höflacher, H.<br />
Sandtner <strong>und</strong> W. Schmiedl. *<br />
75<br />
[9] Sonnaillon Bernard. Die Orgel. München 1985.<br />
[10] Supper W., Meyer H. Barockorgeln in Oberschwaben. Kassel 1941.<br />
[11] Supper Walter. Zum zweih<strong>und</strong>ertsten Todesjahr von Joseph Gabler.<br />
Ars Organi 19, Heft 39, Dezember 1971 (S. 1577-1584).<br />
[12] Völkl Helmut. Orgeln in Württemberg. Neuhausen-<strong>St</strong>uttgart 1986.<br />
________________________________________________________________________<br />
* Ich danke der Firma Orgelbau Sandtner, Dillingen/Donau für die Ueberlassung dieser<br />
leider bereits vergriffenen Broschüre. Siehe auch: Sandtner, Hubert: Die Restaurierung<br />
der Holzhey-Orgel zu <strong>Weissenau</strong>. In: Acta Organologica 24 (1994), Seite 259–268.<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994
Hinweise auf Veranstaltungen (Fortsetzung von Seite 46)<br />
76<br />
Sa 12.11.94 2000 h Evang. Heiligkreuz <strong>St</strong>. Gallen: Bilder einer Ausstellung<br />
Irena Zeitz, Orgel<br />
Sa 19.11.94 2000 h Evang. Heiligkreuz <strong>St</strong>. Gallen: Die Orgel <strong>und</strong> der Tanz<br />
Chr. Wartenweiler (Orgel), B. Schrepfer / <strong>St</strong>. Grossenbacher (Tanz)<br />
Sa 26.11.94 2000 h Evang. Heiligkreuz <strong>St</strong>. Gallen: Orgel- <strong>und</strong> Posaunenklang<br />
Martin Gantenbein (Orgel), Mechthild Turwitt (Posaune)<br />
Sa 03.12.94 2000 h Evang. Heiligkreuz <strong>St</strong>. Gallen: Nun komm der Heiden Heiland<br />
Marcel Schmid (Orgel), Christine Mazenauer (Violoncello)<br />
So 27.11.94 1700 h <strong>St</strong>. Mangen: Adventsmusik mit Jürg Brunner (Orgel)<br />
So 18.12.94 1700 h KGH <strong>St</strong>. Georgen: Weihnachtsmusik mit Jürg Brunner (Orgel).<br />
Bulletin <strong>OFSG</strong> 12, Nr. 3, 1994