Franz Lüthi - OFSG - St. Galler Orgelfreunde
Franz Lüthi - OFSG - St. Galler Orgelfreunde
Franz Lüthi - OFSG - St. Galler Orgelfreunde
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ST. GALLER ORGELFREUNDE<br />
<strong>OFSG</strong><br />
BULLETIN <strong>OFSG</strong> 31, NR. 1, 2013<br />
Mörschwil, im Februar 2013<br />
Liebe <strong>OFSG</strong> Mitglieder<br />
Im Namen des Vorstandes möchte ich Sie herzlich einladen zum ersten<br />
Anlass in diesem Jahr:<br />
Mittwoch, 20. März 2013, 19:30 Uhr<br />
Katholische Kirche <strong>St</strong>. Nikolaus, Wil<br />
Orgelvorstellung und -Konzert:<br />
Marie-Louise Eberhard Huser, Organistin an <strong>St</strong>. Nikolaus und<br />
Vorstandsmitglied der <strong>St</strong>. <strong>Galler</strong> <strong>Orgelfreunde</strong><br />
Wil wurde urkundlich erstmals im Jahr 754 erwähnt und die <strong>St</strong>adtgründung<br />
dürfte auf die Grafen von Toggenburg zurückzuführen sein. In<br />
enger Beziehung zur Fürstabtei <strong>St</strong>. Gallen entwickelte sich Wil im Mittelalter<br />
zum Residenzstädtchen und noch heute ist der Titel „Äbtestadt“<br />
geläufig. Der Bau der Pfarrkirche <strong>St</strong>. Nikolaus geht auf das 15. Jahrhundert<br />
zurück und erlebte verschiedene Renovierungen mit zum Teil<br />
folgenschweren Eingriffen. Die Orgelgeschichte ist seit dem frühen 19.<br />
Jahrhundert gut belegt. Die heutige Mathis Orgel wurde 1983 eingeweiht.<br />
Gemäss dem Kollaudationsbericht besitzen die 45 Register ein<br />
ausgeprägtes Eigenleben verbunden mit vorzüglicher Verschmelzungsfähigkeit.<br />
Die Orgel erlaubt die Wiedergabe eines vielfältigen Spektrums<br />
der Orgelliteratur und dank der reichhaltigen Zungenregister vor allem<br />
auch der französischen Literatur.<br />
Es freut uns sehr, dass unser neues Vorstandsmitglied Frau Marie-<br />
Louise Eberhard Huser uns „Ihre“ Orgel vorstellen wird.<br />
Unser Ehrenmitglied <strong>Franz</strong> <strong>Lüthi</strong> hat das Bulletin verfasst. Nebst der<br />
Einführung in die Orgelgeschichte und der ausführlichen Beschreibung<br />
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<strong>St</strong>. <strong>Galler</strong> <strong>Orgelfreunde</strong> <strong>OFSG</strong> Bulletin <strong>OFSG</strong> 31, Nr. 1, 2013
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der Mathis Orgel gibt Ihnen diese Schrift einen vertiefenden Einblick in<br />
die französische Orgelwelt des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Beitrag ist<br />
eine umfassende Einführung in diese musikalische Epoche und erleichtert<br />
wesentlich das Verständnis der eigenen Nomenklatur mit den vielen<br />
speziellen Begriffen (Grand jeu, Plein jeu, Jeu inégale, Jeu de Tierce<br />
etc.). Wir danken <strong>Franz</strong> <strong>Lüthi</strong> sehr herzlich für diese Riesenarbeit.<br />
Der Vorstand heisst alle Mitglieder herzlich willkommen und freut sich<br />
auf Ihre Teilnahme.<br />
Mit freundlichen Grüssen<br />
Walter Angehrn, Präsident<br />
Mitfahrgelegenheit<br />
Für alle unsere Anlässe organisiert das Sekretariat für Sie gerne eine Mitfahrgelegenheit.<br />
Falls Sie von unserem Angebot Gebrauch machen wollen, melden Sie sich<br />
bitte jeweils bis spätestens eine Woche vor dem Anlass beim Sekretariat.<br />
Hinweis zu unserer nächsten Veranstaltung (29./30. April sowie 1./ 2.Mai 2013)<br />
Das Seminar "Orgelbau-Grundlagen" gibt Gelegenheit, die wichtigsten Teile einer<br />
Orgel und deren Funktion aus der Nähe kennenzulernen. Damit dies möglich wird, ist<br />
die Zahl der Teilnehmenden pro Abend auf 10 Personen beschränkt. Um aber dennoch<br />
alle Interessentinnen und Interessenten berücksichtigen zu können, wird das<br />
gleiche Programm an vier aufeinander folgenden Tag angeboten. Mit dem nächsten<br />
Bulletin wird ein Anmeldeformular versandt, auf dem der gewünschte Tag angegeben<br />
werden kann.<br />
Impressum<br />
<strong>St</strong>. <strong>Galler</strong> <strong>Orgelfreunde</strong> (<strong>OFSG</strong>): www.ofsg.org<br />
Sekretariat:<br />
Redaktion Bulletins:<br />
Brigitte <strong>Lüthi</strong>, Rainstrasse 8, 9532 Rickenbach b. Wil TG,<br />
sekretariat@ofsg.org<br />
Hansjörg Gerig, Huebstrasse 7e, 9011 <strong>St</strong>. Gallen,<br />
hjgerig@bluewin.ch<br />
Für den Inhalt seines Textes ist der jeweilige Autor allein verantwortlich.<br />
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<strong>St</strong>. <strong>Galler</strong> <strong>Orgelfreunde</strong> <strong>OFSG</strong> Bulletin <strong>OFSG</strong> 31, Nr. 1, 2013
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Übersicht über die Veranstaltungen im Jahr 2013<br />
Mittwoch,<br />
20. März<br />
19:30 Uhr<br />
Katholische Kirche <strong>St</strong>. Nikolaus, Wil<br />
• Orgelvorstellung und -Konzert (Mathis, III/P, 45, 1983)<br />
Marie-Louise Eberhard, Organistin an <strong>St</strong>. Nikolaus, Wil<br />
Woche vom<br />
29. April bis<br />
2. Mai<br />
(Mo/Di/Mi/Do)<br />
jeweils<br />
19:30 Uhr<br />
Evangelische Kirche Rorschach<br />
• Seminar: Orgelbau-Grundlagen<br />
Das gleiche Thema wird an vier Abenden angeboten. Die Zahl der<br />
Teilnehmer ist pro Abend auf 10 Personen beschränkt. Zu dieser<br />
Veranstaltung wird rechtzeitig ein separates Programm mit<br />
Anmeldetalon versandt.<br />
Matthias Hugentobler, Orgelbauer, <strong>St</strong>ein AR<br />
Mittwoch,<br />
19. Juni<br />
19:30 Uhr<br />
Katholische Paulus-Kirche, Gossau<br />
• Orgelvorstellung und -Konzert (Pflüger, II/P, 24, 2011)<br />
<strong>Franz</strong> Koller und Lea Rezzonico, Organisten in Gossau<br />
Montag,<br />
2. September<br />
bis<br />
Mittwoch,<br />
4. September<br />
Orgelreise ins Engadin<br />
Brusio – Zernez – Susch – Ardez – Scuol – Ramosch –<br />
<strong>St</strong>. Moritz <strong>St</strong>. Karl – <strong>St</strong>. Moritz evang. Dorfkirche<br />
Zu dieser Orgelreise wird rechtzeitig ein separates Programm mit<br />
Anmeldetalon versandt. Organisatorische Leitung: Hansjörg Gerig.<br />
Tobias Willi, Hauptfach-Dozent für Orgel an der Zürcher<br />
Hochschule der Künste<br />
Samstag<br />
28. September<br />
ganzer Tag<br />
Orgelfahrt 2013 in den östlichen Thurgau<br />
Horn, kath. Kirche – Arbon, kath. Kirche –<br />
Bischofszell, <strong>St</strong>. Pelagius<br />
Zu dieser Orgelreise wird rechtzeitig ein separates Programm mit<br />
Anmeldetalon versandt. Organisatorische Leitung: Hansjörg Gerig.<br />
Dieter Hubov, Organist in Horn und Arbon, Philippe Frey,<br />
Organist in Bischofszell und Angelus Hux, Frauenfeld<br />
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<strong>St</strong>. <strong>Galler</strong> <strong>Orgelfreunde</strong> <strong>OFSG</strong> Bulletin <strong>OFSG</strong> 31, Nr. 1, 2013
4<br />
Foto F. L.<br />
Die <strong>St</strong>adtkirche <strong>St</strong>. Nikolaus in Wil<br />
Beschreibung der Orgel auf Seite 33 ff<br />
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<strong>St</strong>. <strong>Galler</strong> <strong>Orgelfreunde</strong> <strong>OFSG</strong> Bulletin <strong>OFSG</strong> 31, Nr. 1, 2013
5<br />
Zusammenfassung:<br />
Orgel und Orgelmusik<br />
in Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert<br />
Charakteristisch für Frankreichs Orgelmusik im 17. und 18. Jahrhundert<br />
ist eine enge Verflechtung des Orgelbaus mit den musikalischen Formen<br />
und ihrem Gebrauch im Gottesdienst. Unter dem Einfluss flämischer<br />
Orgelbauer entwickelte Jehan Titelouze in Rouen als einer der Pioniere<br />
um 1600 einen prägenden Orgeltyp, der auch inspirierend wirken sollte<br />
auf neue Kompositionen: Ein Instrument mit reichen Klangfarben, einer<br />
Vielfalt von Soloregistern, insbesondere Zungenstimmen und Cornet, mit<br />
polyphoner Transparenz und dialogisierendem Kontrast zwischen den<br />
beiden Hauptmanualen. Typisch war ein dagegen eher spärlich ausgestattetes<br />
Pedal, das immerhin konstant mit einer Trompette 8' besetzt<br />
war. Um 1630 wurde dieser Orgeltyp erweitert durch ein III. Manual<br />
(Récit oder stattdessen Écho), das im Diskant ebenfalls eine Cornet-<br />
Registrierung ermöglichte. Das erste Orgelbuch von G.G. Nivers 1665<br />
läutete sozusagen die Blütezeit der klassischen Orgel ein, die rund 70<br />
Jahre dauern sollte. Nivers zeigte paradigmatisch die neuen Klangtypen<br />
und belegte damit die enge Verflechtung von Orgelbau, Registrierpraxis<br />
und Liturgie. Alle grossen Instrumente besassen nun vier Manuale:<br />
Positif und Grand-Orgue, Récit, Écho und Pedal. Sie waren reich ausgestattet<br />
mit Aliquoten, Cornet- und Zungenregistern, wie sie in den Registriervorschriften<br />
der Livres d'Orgue vorgesehen waren. In der weiteren<br />
Entwicklung machte sich die Orgel von der liturgischen Alternatimpraxis<br />
und dem Cantus firmus zunehmend selbständig und bevorzugte neue<br />
Formen: Plein-jeu- und Grand-jeu-<strong>St</strong>ücke, Offertoires, die sich virtuos<br />
expandierten. Freie Orgelstücke, teilweise Suiten genannt, hatten den<br />
Vorteil, dass sie vielfältig verwendbar waren. Die Orgelmusik in der<br />
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts tendierte mehr zu Lautstärke und<br />
Orchesterimitation. Die nunmehr fünfmanualigen Orgeln erhielten ein<br />
eigenes Bombardenklavier und auch ein stärkeres Pedal.<br />
Im Weiteren werden die wichtigsten Begriffe zur französischen Orgelmusik<br />
sowie die wichtigsten Register erklärt und dazu einige zum Hören<br />
vielleicht hilfreiche Tipps gegeben. Ausführlich, aber vereinfachend,<br />
kommen die vielen Registriermöglichkeiten zur Sprache, zum Beispiel<br />
Plein jeu (Prinzipalplenum mit Mixturen), Plain Chant, Grundstimmenmischungen,<br />
Récits und andere Solo-Registrierungen sowie Dialogue<br />
sur les Grands jeux (Zungen-Kornettplenum ohne Prinzipalmixturen).<br />
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Orgel und Orgelmusik in Frankreich<br />
im 17. und 18. Jahrhundert<br />
<strong>Franz</strong> <strong>Lüthi</strong><br />
Das Thema "<strong>Franz</strong>ösische Orgelmusik des 17. und 18. Jahrhunderts"<br />
war vor bald drei Jahrzehnten Gegenstand eines Bulletins [13]. Seither<br />
hat eine Vielzahl von Monografien, Handbüchern und Fachartikeln unser<br />
Wissen bereichert, und nicht zuletzt erleichtern die heutigen Möglichkeiten<br />
der Textverarbeitung eine übersichtlichere Darstellung des weitläufigen<br />
Themas. Es ist in vier Abschnitte aufgeteilt:<br />
1. Entwicklung der klassisch-französischen Orgel<br />
2. Die Orgel im Gottesdienst und ihr Einfluss auf die<br />
musikalischen Formen<br />
3. Wichtige Komponisten dieser Epoche<br />
4. Registrierung auf der klassisch-französischen Orgel<br />
Charakteristisch für Frankreichs Orgelmusik im 17. und 18. Jahrhundert<br />
ist die enge Verflechtung des Orgelbaus mit den musikalischen Formen<br />
und ihrem Einsatz im Gottesdienst. Dabei wurde der spezifische Klang<br />
der Orgel und ihrer Musik schon früh auch deutlicher vom Cembalo unterschieden<br />
als etwa in Deutschland.<br />
1. Entwicklung der klassisch-französischen Orgel<br />
Im Hinblick auf den engen Zusammenhang zwischen Entwicklung der<br />
französischen Orgel und der Entstehung ihrer musikalischen Formen<br />
müssten eigentlich diese beiden Faktoren, wie auch die Registrierpraxis,<br />
in einem gemeinsamen Kapitel behandelt werden, was eine Übersicht<br />
stark erschweren würde. Aus Gründen der besseren Verständlichkeit<br />
schien es sinnvoll, die Entwicklung der Orgel und jene der Orgelkomposition<br />
wie auch die Registrierungen in separaten Kapiteln zu betrachten.<br />
Im vorliegenden Kapitel soll zunächst die Entwicklung der französischen<br />
Orgel erörtert werden.<br />
Der spezifische französische Orgeltyp entstand in schöpferischer Zusammenarbeit<br />
von Komponisten, Organisten und Orgelbauern. Mit den<br />
Orgelbauern Robert Clicquot (ca. 1645–1719) und der Familie Thierry<br />
(Pierre 1604–1665, dessen Sohn Alexandre ca. 1646–1699 und Enkel<br />
François 1677–1749) war Paris auch orgelbaulich ein kulturelles<br />
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Zentrum. Aber auch in andern Teilen des Landes gab es namhafte<br />
Orgelbauer, etwa in der Normandie die Familie Lefebvre mit ihrem<br />
bedeutendsten Vertreter Jean-Baptiste Nicolas Lefebvre (1706–1784).<br />
Berühmt auch wegen ihrer Arbeiten in Deutschland waren der Burgunder<br />
Karl Josef Riepp (1710–1775) sowie der Elsässer Andreas Silbermann<br />
(1678–1734) und dessen Sohn Johann Andreas Silbermann (1712–<br />
1783).<br />
Die zeitliche Entwicklung des klassisch-französischen Orgeltyps lässt<br />
sich in vier Abschnitte gliedern [6]:<br />
1.1 1580–1630: Prototyp: Orgel mit zwei reich ausgestatteten<br />
Manualen und eher bescheidenem Pedal.<br />
Titelouze und die flämischen Orgelbauer Barbier und Carlier<br />
Wie die norddeutsche und spanische hatte auch die französische Orgel<br />
den niederländisch-brabantischen Orgeltyp mit seinen selbständig ausgebauten<br />
Manualwerken zum Vorbild. Flämische Orgelbauer brachten<br />
die entscheidenden Impulse. Die erste Orgel dieses neuen <strong>St</strong>ils war bereits<br />
1580 in Gisors durch Nicolas Barbier errichtet worden. Ihre Disposition<br />
blieb für die nächsten Jahrzehnte mustergültig. Die reiche <strong>St</strong>adt<br />
Rouen, an dessen Kathedrale Jehan Titelouze seit 1588 als Organist<br />
wirkte, spielte mit ihren engen Handelsbeziehungen zu Flandern auch<br />
kulturell eine bedeutende Rolle. So wurde Titelouze massgebend für die<br />
Ästhetik der neuen französischen Orgel, besonders durch seine beiden<br />
Sammlungen (Hymnes de l'église 1623 und Le Magnificat 1626), in<br />
denen er Instrumente postulierte, wie sie von den Flamen gebaut<br />
wurden: Klangfarben und Klangstärken mit polyphoner Transparenz und<br />
einem dialogisierenden Kontrast zwischen den beiden Hauptmanualen.<br />
Diese Orgeln sollten die Musiker auch zu neuen Kompositionen anregen.<br />
So erhielt die Orgel eine Vielfalt von Soloregistern, insbesondere Zungenstimmen<br />
und Cornet. Anders als in Norddeutschland war das Pedal<br />
mit seinen wenigen eigenen Registern (fast nur Trompette 8') kein<br />
gleichberechtigter Gegenspieler des Hauptwerks, sondern diente lediglich<br />
zur Hervorhebung eines Cantus firmus im Tenor oder Bass.<br />
Bereits um 1600 hatte Titelouze die über 100-jährige Renaissance-Orgel<br />
der Kathedrale von Rouen von einem wallonischen Meister im Sinne der<br />
neueren <strong>St</strong>römungen umbauen lassen. Details darüber wissen wir kaum,<br />
mehr aber über die von Titelouze geplante Orgel der Kathedrale von<br />
Poitiers, die Crespin Carlier 1612 vollendete. Sie repräsentiert den<br />
Typus der frühbarocken französischen Orgel, wie er sich in der ersten<br />
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Hälfte des 17. Jahrhunderts in ganz Frankreich verbreitete ("Titelouze-<br />
Orgel").<br />
Poitiers, Kathedrale, erbaut von Crespin Carlier 1612 [6, S. 170]<br />
II. Grand-Orgue I. Positif Pédale<br />
Montre 16' Montre 8' Flûte 8'<br />
Bourdon 16' Prestant 4' Sacqueboute 8'<br />
Montre 8' Doublette 2' [= Trompette 8']<br />
Bourdon 8' Fourniture 3f.<br />
Prestant 4' Cymbale 2f.<br />
Doublette 2'<br />
Fourniture 4f. *<br />
Cymbale 3f.<br />
Tiercette<br />
1 3 /5'<br />
Quintadin 4' Flûte 4'<br />
Nazard 2⅔' Nazard 2⅔'<br />
Flûte traversine 2' Petit Nazard 1⅓'<br />
Sifflet 1' Larigot 7 pouces [⅔' ?]<br />
Cornet<br />
Trompette 8' Cromorne 8' Tremblant<br />
Clairon 4' Rossignol<br />
Voix humaine 8' Musette<br />
* Fourniture aufgeteilt in zwei Züge<br />
Die beiden selbständigen Manualwerke sind in je einem eigenen Gehäuse,<br />
Hauptwerk auf 16'- und Positif (= Rückpositiv) auf 8'-Basis. Das<br />
Pedalwerk mit einem 8'-Zungenregister und einem offenen 8' befindet<br />
sich im oder hinter dem Orgelgehäuse. Das Hauptwerk enthält in dieser<br />
Frühzeit noch ein Terzregister in Prinzipalmensur (Tiercette 1 3 /5'), aber<br />
ohne die (prinzipalische) Quinte 2⅔', ferner Flötenregister verschiedener<br />
Bauart sowie farbige Solostimmen: Nazard 2⅔', Flûte 2', Cornet, Trompette<br />
8', Clairon 4' und Voix humaine 8'. Der Positif besitzt mindestens<br />
Flûte allemande 4' und Larigot 1⅓', als Zungenregister Cromorne 8' (mit<br />
weiter Mensur und kräftigem Klang, anders als das deutsche Krummhorn).<br />
Das Holzprinzipal 8' im Pedal (= "Flûte 8' ") eignet sich zur Begleitung<br />
von Soloregistern, die starke Trompette 8' für das Cantusfirmus-Spiel.<br />
Die Schiebekoppel Positif–G.O. war obligat. Kleinere<br />
Orgeln hatten vereinzelt nur ein angehängtes Pedal ohne eigene Register<br />
oder manchmal eine Pedalkoppel. Ein virtuoses Spiel auf dem fran-<br />
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<strong>St</strong>. <strong>Galler</strong> <strong>Orgelfreunde</strong> <strong>OFSG</strong> Bulletin <strong>OFSG</strong> 31, Nr. 1, 2013
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zösischen Pedal mit den kurzen Tasten war nicht möglich; Klangbasis<br />
war ja nicht das Pedal, sondern das Hauptwerk mit seinen 16'-<strong>St</strong>immen.<br />
1.2 1630–1655: Erweiterung mit III. Manual (Récit oder Écho)<br />
und 4' im Pedal.<br />
Die Orgel erhielt jetzt zusätzlich ein drittes Manual. Zunächst konnte<br />
darauf lediglich der Cornet des Hauptwerks separat im Diskant (c 1 –c 3 )<br />
gespielt werden ("Cornet séparé"). Erst ab 1664 erhielt dieser Cornet<br />
eigene Pfeifen, die – aufgebänkt über den Hauptwerkspfeifen – durch<br />
eine eigene Windlade versorgt wurden. Der Récit wurde somit ein selbständiges<br />
Werk.<br />
Anstelle eines Récit konnte das III. Manual auch als Écho (Echowerk,<br />
Umfang ebenfalls c 1 –d 3 ) ausgeführt sein. Wie beim Récit waren hier die<br />
Tasten im unteren Bereich vorhanden, aber stumm. Auch dieses Werk<br />
enthielt einen fünffachen Cornet (8', 4', 2⅔', 2', 1 3 /5'), der aber in Einzelzüge<br />
("Cornet décomposé") aufgeteilt sein konnte. Das Echowerk<br />
befand sich unmittelbar über dem Spielschrank im geschlossenen Gehäuse<br />
(ohne Schallaustrittsöffnungen) und war in Paris in den 1640er<br />
Jahren beliebter als der Récit. Manchmal enthielt es auch ein kleines<br />
Plenum.<br />
Im Hauptwerk wurde der Weitchor (weit mensurierte = flötige Register)<br />
ausgebaut durch die Grosse (= weite) Tierce 1 3 /5', anfänglich oft gleichzeitig<br />
mit der bisherigen engen, "prinzipaligen" Tiercette 1 3 /5'. Das weite<br />
Register Quarte de Nazard 2' ersetzt den etwas engeren Flageolet 2'.<br />
Auch das Pedal erhielt eine Ergänzung durch Flûte 4'. Die Pedalkoppel,<br />
ohnehin nur selten gebaut, verschwand vorübergehend ab ca. 1650.<br />
Einzige Koppel blieb die Schiebekoppel Positif–G.O. Das Konzept der<br />
klassischen französischen Orgel war nun in den Grundzügen<br />
geschaffen.<br />
1.3 1665–1730: Blütezeit der klassischen Orgel<br />
Vier Manuale und Ausbau der Nebenklaviere III und IV<br />
Diese prächtigen Instrumente sind eng assoziiert mit den Namen berühmter<br />
Orgelbauer wie Robert Clicquot (ca. 1645–1719) und der Orgelbauerdynastie<br />
Thierry: Vater Pierre (1604–1665), Sohn Alexandre (ca.<br />
1646–1699) und Enkel François (1677–1749). Im Jahre 1665, dem<br />
eigentlichen Geburtsjahr der klassischen Orgel, erschien das (erste)<br />
Livre d’Orgue Contenant Cent Pièces de tous les Tons de l’Église (1665)<br />
von Guillaume-Gabriel Nivers. Als Meilenstein zeigte diese Sammlung<br />
im Wesentlichen die neuen Klangtypen auf und dokumentierte die enge<br />
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Verflechtung von Orgelbau, Registrierpraxis und Liturgie (Alternatimpraxis).<br />
Alle grossen Instrumente besassen nun vier Manuale: Positif, Grand-<br />
Orgue, Récit, Écho und Pedal. Im Grand-Orgue verschwand die Prinzipalterz<br />
(Tiercette 1 3 /5') vollständig. Die Tierce 3 1 /5', die Oberton-Terz zum<br />
16'-Register, die anfänglich noch als Double Tierce bezeichnet wurde,<br />
traf man ab 1700 regelmässig an. Der Récit erfuhr eine leichte<br />
Erweiterung in Bassrichtung; vereinzelt besass er nun auch ein Zungenregister.<br />
Theoretische Maximaldisposition zur Blütezeit<br />
einer voll ausgebauten klassisch-französischen Orgel<br />
gemäss den Registriervorschriften in den Livres d'Orgue 1665–1737<br />
Zusammengestellt nach [4, S. 242] sowie der Disposition der Orgel von François<br />
Couperin an Saint-Gervais 1690 nach dem Umbau durch Alexandre Thierry [7].<br />
I. Positif II. Grand-Orgue III. Récit<br />
Montre 8' Montre 16' Cornet 5f. 8'<br />
Bourdon 8' Bourdon 16' Trompette 8'<br />
Prestant 4' Montre 8'<br />
Flûte (selten) 4' Bourdon 8' IV. Écho<br />
Nazard 2⅔' Prestant 4'<br />
Doublette 2' Flûte (selten) 4' Bourdon 8'<br />
Quarte de Nazard 2' Tierce 3 1 /5' Flûte 4'<br />
Tierce 1 3 /5' Nazard 2⅔' Cymbale 3f.<br />
Larigot 1⅓' Doublette 2' Nazard 2⅔'<br />
Fourniture 3f. Quarte de Nazard 2' Doublette et<br />
Cymbale 2f. Tierce 1 3 /5' Tierce 2' + 1 3 /5'<br />
Cromorne 8' Cornet 5f. (ab c 1 ) 8' Cromorne 8'<br />
Trompette * 8' Fourniture 4f.<br />
Clairon * 4' Cymbale 3f. Pédale<br />
Trompette 8'<br />
Voix humaine 8' (Flûte) * 16'<br />
Clairon 4' Flûte 8'<br />
Tremblant doux Flûte 4'<br />
Tremblant fort (Bombarde) * 16'<br />
Schiebekoppel G.O.–Pos. Trompette 8'<br />
Clairon 4'<br />
* erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts<br />
Klaviaturumfänge (Beispiel, gemäss [7]): Positif und Grand-Orgue: AA / C–c 3 ;<br />
Récit: g° oder c 1 –c 3 ; Écho: c°–c 3 ; Pedal: AA / C–f 1 .<br />
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Das Echowerk erhielt ein kleines Prinzipalplenum, das bereits um 1700<br />
wieder verschwand. Dagegen wurde der Cornet 5-fach auf zwei oder<br />
drei Registerzüge aufgeteilt, wenn sich gleichzeitig eine Mixtur in diesem<br />
Werk befand. Dadurch konnten die 8', 4' und 2'-Einzelkomponenten des<br />
Cornet auch für das Mixturplenum gebraucht werden. Ferner kam oft<br />
noch eine Zunge dazu (Cromorne 8' oder Voix humaine 8').<br />
1688 trifft man erstmals, ab 1700 regelmässig ein Clairon 4' im Pedal<br />
grösserer Instrumente. Der Pedalumfang erhielt für die Zungenstimmen<br />
bei grossen Orgeln oft ein Ravalement ("Erweiterung") nach unten,<br />
manchmal bis zum Kontra-F, damit der Tonumfang für den Cantus firmus<br />
reichte. Pedalkoppeln wurden in dieser Zeit praktisch nicht gebaut. Die<br />
Tremulanten, der starke (Tremblant fort) und der sanfte (Tremblant doux)<br />
wurden zunehmend beliebt.<br />
1.4 1730–1791: Ausbau auf fünf Manuale zugunsten Klangkraft,<br />
Lautstärke (Bombardenwerk) und Orchesterimitation, sowie<br />
16'-Pedal<br />
In der Zeit nach 1730 zielte das Klangideal entsprechend dem Vorbild<br />
der Orchesterinstrumente auf Gravität und Klangkraft. Prinzipal-, Weitchor<br />
und Zungenchor wurden mit vorwiegend 8'- und 16'-<strong>St</strong>immen angereichert<br />
sowie die Klaviaturumfänge in Manual und Pedal erweitert. Im<br />
Hauptwerk baute man das Prinzipalplenum aus, oft bis zum gedeckten<br />
oder offenen 32'. Die Zungenbatterie erhielt Verstärkung, teils durch<br />
Doppelbesetzung: erste und zweite Trompette 8', Clairon 4', ev. auch<br />
zweites Clairon 4'.<br />
Entsprechend erhielt der Positif oft eine 16'-Basis, zusätzlich eine<br />
Trompette 8', ein Clairon 4' und im Diskant ein Cornet 5f. zur Verstärkung<br />
der Zungenstimmen. Zwischen G.O. und Récit kommt neu als<br />
III. Manual ein Bombardenwerk mit Bombarde 16', das fix an das<br />
Hauptwerk gekoppelt sowie an das Pedal gekoppelt oder koppelbar war.<br />
Dieses Werk konnte in besonders grossen Orgeln noch weitere Register<br />
enthalten: eine oder zwei Trompeten 8', Clairon 4', ev. auch Cornet 5f. im<br />
Diskant.<br />
Dagegen ging die Besetzung der kleinen Klaviere eher zurück: Im Récit<br />
(IV) blieben Cornet, Trompette, (ev. Hautbois 8') – mit Flûte 8' zur "Abdeckung"<br />
der Zungen. Im Echowerk (V) konnte ev. Cornet fehlen, neu<br />
kamen Trompette 8' und Flûte 8' dazu.<br />
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<strong>St</strong>. <strong>Galler</strong> <strong>Orgelfreunde</strong> <strong>OFSG</strong> Bulletin <strong>OFSG</strong> 31, Nr. 1, 2013
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Im Pedal – zu dem nun auch die Basstöne des koppelbaren III. Manuals<br />
gehörten – wurden die bisherigen Grundstimmen durch Flûte 16' ergänzt,<br />
in der Normandie oft noch durch Nazard 2⅔', Quarte de Nazard 2'<br />
und Tierce 1 3 /5', ja sogar durch Double Nazard 5 1 /3' und Double Tierce<br />
3 1 /5'.<br />
Ein berühmtes Beispiel dieses späten Typs steht in Saint-Maximin-en-<br />
Var (1772, IV/43). Auf Positif, Grand-Orgue, Résonance und Récit<br />
besitzt die Orgel 14 mehrheitlich vollbecherige Zungenstimmen. 22<br />
Prinzipalregister ermöglichen gravitätische Plein-jeu-Registrierungen.<br />
Das Pedal besitzt keine eigenen Register. Das III. Manual (Résonance)<br />
ist fest an das Pedal gekoppelt und enthält Flûtes 16', 8' und 4',<br />
Bombarde 16', zwei Trompettes 8' und Clairon 4'. Im Diskant (Dessus)<br />
des III. Manuals werden auch die drei <strong>St</strong>immen angespielt, die einem<br />
Echowerk entsprechen.<br />
Saint-Maximin-La-Sainte-Baume (Var)<br />
Basilique Sainte-Marie-Madeleine<br />
Disposition (nach [18])<br />
I. Positif II. Grand-Orgue III. Résonance<br />
Montre 8' Montre 16' Flûte 16'<br />
Bourdon 8' Bourdon 16' Flûte 8'<br />
Flûte 8' Montre 8' Flûte 4'<br />
Prestant 4' Bourdon 8' Bombarde 16'<br />
Doublette 2' Prestant 4' 1ère Trompette 8'<br />
Quarte 2' Double Nasard 5⅓' 2è Trompette 8'<br />
Nasard 2⅔' Double Tierce 3 1 /5' Clairon 4'<br />
Tierce 1 3 /5' Dessus de<br />
Larigot 1⅓' Cornet 5f. Dessus de Flûte 8'<br />
Dessus de Grande Fourniture 2f. Dessus de<br />
de Cornet 5f. Petite Fourniture 4f. Trompette * 8'<br />
Fourniture 3f. Cymbale 4f. Dessus de Cornet 5f.<br />
Cymbale 3f. Trompette 8'<br />
Trompette 8' Dessus de IV. Récit<br />
Cromorne 8' Trompette * 8'<br />
Clairon 4' Voix humaine 8' Cornet 5f.<br />
Clairon 4' Trompette 8'<br />
Hautbois 8'<br />
Weitere Angaben zur Orgel:<br />
• Orgel erbaut von Jean-Esprit Isnard, IV/aP (=angehängtes Pedal), 43, 1772/73<br />
• Umfang der Manuale I, II und III: CD-d 3 ; IV: g°-d 3<br />
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• Das Pedal (CD-g 1 ) hat keine selbständigen <strong>St</strong>immen und<br />
ist fix an das III. Manual gekoppelt.<br />
• <strong>St</strong>immen, welche mit "Dessus de" bezeichnet sind, erklingen nur im Diskant.<br />
• * Dessus de Trompette en chamade = Horizontaltrompeten im Prospekt<br />
• Manualkoppeln: Pos./G.O., Rés./G.O.<br />
• Tremblant doux<br />
Mit der Revolution fand die Blütezeit der französischen Orgel ihr Ende.<br />
Die meisten Instrumente wurden zerstört. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />
konnte sich eine neue Orgelkultur entwickeln, die in ein konzertantromantisches<br />
Konzept mündete und mit den Instrumenten von Cavaillé-<br />
Coll (1811–1899) einen erneuten Höhepunkt fand.<br />
2. Die Orgel im Gottesdienst und ihr Einfluss auf die<br />
musikalischen Formen<br />
Mit dem Ende der Hugenottenkriege und dem endgültigen Beitritt Heinrichs<br />
IV. zur römischen Kirche im Jahre 1593 – zwecks Übernahme des<br />
französischen Königsthrones – wurde die katholische Liturgie auch<br />
massgebend für die Entwicklung der Orgelmusik. Frühe Kompositionen,<br />
die noch deutlich dem Kontrapunkt und der Polyphonie verpflichtet sind,<br />
finden wir in den zwei bereits erwähnten Sammlungen von Jehan<br />
Titelouze (Hymnes de l'église 1623 und Le Magnificat 1626). In diesen<br />
<strong>St</strong>ücken verwendet Titelouze noch mehrheitlich den Cantus-firmus-Satz.<br />
Auch in Frankreich pflegte man die Alternatim-Praxis im Gottesdienst.<br />
Die Orgel hatte die Aufgabe, einzelne Abschnitte des Mess-Ordinariums<br />
(der gleichbleibenden Teile der Messe), das <strong>St</strong>undengebet, bei der<br />
Vesper das Magnificat sowie die Hymnen des Kirchenjahres mit der<br />
Choralschola alternierend zu gestalten. So begann im Kyrie zum Beispiel<br />
die Orgel mit dem ersten Satz, die Schola antwortete mit dem zweiten<br />
Satz, dann wieder die Orgel etc. (insgesamt 9 Sätze für das Kyrie). Meist<br />
handelte es sich um die Choralmesse IV ("Cunctipotens genitor"), die in<br />
Frankreich damals bei höheren Festen üblich war.<br />
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<strong>St</strong>renge Alternatim-Sätze, die einen gregorianischen Cantus firmus<br />
übernehmen oder bearbeiten, kommen allerdings nur in den frühen<br />
Sammlungen konsequent vor (Titelouze, Nivers, Lebègue). Als selbständige<br />
Messe-Sätze fielen der Orgel schon früh zusätzlich Offertorium,<br />
Elevation (Benedictus), Communio und Deo gratias als eigene Soli zu.<br />
Die Livres d’Orgue<br />
Entscheidend für die die neue klassische Epoche der französischen<br />
Orgelmusik wurde das Aufkommen der Livres d’Orgue, die in der Zeit<br />
von 1665–1737 im Druck erschienen. Den Anfang machten 1665<br />
Guillaume-Gabriel Nivers mit seinem erstem Orgelbuch (das zweite und<br />
dritte folgte 1667 und 1675) und Nicolas-Antoine Lebègue mit vier<br />
Sammlungen (1676, 1678, 1685 und 1688). Es folgten André Raison<br />
(1688 und 1714), Jacques Boyvin (1689), Gilles Jullien (1690), François<br />
Couperin (1690), Louis Marchand (1696), Nicolas de Grigny (1699),<br />
Gaspard Corrette (1703) und Michel Corrette (1737). Trotz ihres oft<br />
neutralen Titels (Livre d’Orgue, Pièces d’Orgue), enthalten diese Sammlungen<br />
praktisch ausschliesslich Messesätze. Sie spiegeln die Entwicklung<br />
der Tonsprache und der Registrierpraxis und waren geeignet zum<br />
Erlernen der neuesten Mode im Pariser Orgelstil.<br />
Bereits bei Guillaume-Gabriel Nivers (1632–1714), dem Begründer der<br />
französischen "Orgelmesse", tauchen die wesentlichen Elemente dieser<br />
neuen Kompositionsform auf: Abkehr von der Polyphonie, melodiestützende<br />
Harmonik für die Solostimmen und Festlegung einer bestimmten<br />
Registrierung.<br />
Wie oben besprochen, hingen die neuen musikalischen Gattungen eng<br />
mit den zeitgenössischen Orgeln zusammen, die um 1690 mit den<br />
Orgelbauern Robert Clicquot, A. Thierry, Lefebvre und den Organisten<br />
F. Couperin, Boyvin, de Grigny einen kunsthandwerklichen Höchststand<br />
erreicht hatten. Sie sind das Ergebnis einer fruchtbaren Zusammenarbeit<br />
zwischen Organisten und Orgelbauern, Ausdruck auch eines Bemühens,<br />
vokale und instrumentale Ensembleformen in den Orgelsatz aufzunehmen.<br />
Zu den bereits gewohnten Orgelmusikformen wie Plein jeu (oder<br />
Prélude) und Grand jeu traten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts<br />
neue Formen auf: Sätze für zwei bis vier obligate <strong>St</strong>immen: Duo, Trio,<br />
Quatuor, Fugue à cinq, Récit und chorische Ensembleformen (Concert<br />
de flûtes und Dialogue sur les Grands jeux). Die Récits boten eine<br />
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Plattform für charakteristische Solo-Register wie Cromorne, Trompette,<br />
Cornet, Nazard, Tierce.<br />
In der Alternatimpraxis des Gottesdienstes verhielt sich die Orgel bald<br />
einmal recht selbständig: Während sich die Choralschola weiterhin an<br />
die Choralmelodie hielt, befolgte die Orgel ihren Cantus firmus meist nur<br />
noch in den ersten Sätzen und bewegte sich in den folgenden ziemlich<br />
frei, so dass von der (Vokal-) Musik, die sie zu vertreten hatte, oft nur<br />
noch die Kirchentonart übrig blieb.<br />
Beispiel: Couperin, Messe à l'usage des paroisses: Nur die beiden ersten<br />
Sätze und der letzte Satz des Kyrie halten sich an die Choralmelodie, wobei<br />
erster und letzter Satz als Plain chant (= Plein jeu mit Cantus firmus im Pedal)<br />
geschrieben sind).<br />
So ist erklärbar, dass bereits 1662 das Caeremoniale Parisiense [6, S. 40]<br />
vorschrieb, die Orgel habe in der Alternatim-Praxis ein Minimum an<br />
choralgebundener (Cantus firmus bezogener) Musik auszuführen. Trotzdem<br />
entfernte man sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch<br />
weiter von dieser strengen Bindung.<br />
Die Orgelmusik folgte dafür andern Konventionen. Alle liturgischen <strong>St</strong>ücke<br />
begannen mit einem Plein-jeu-<strong>St</strong>ück und schlossen mit einem Grand jeu;<br />
die "Offertoires" sind oft Dialogues zwischen den Grands jeux. In den<br />
Orgelversen traten anstelle der Choralmelodie zuweilen Textdeutungen<br />
auf (zum Beispiel das "Domine Deus" im Gloria von Couperins "Messe<br />
pour les paroisses"; das "Benedictus" aus der gleichen Messe erinnert an<br />
Elevationstoccaten von Frescobaldi).<br />
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts traten Gregorianik und<br />
Kontrapunktik weiter in den Hintergrund. Die grosse Zeit der Messbearbeitungen<br />
eines François Couperin oder N. De Grigny endete ziemlich<br />
genau mit dem Ende des 17. Jahrhunderts. Die zunehmende Bevorzugung<br />
Cantus-firmus-freier Versetten und freier Orgelstücke hatte<br />
den Vorteil, dass die <strong>St</strong>ücke vielfältig verwendbar waren. Solche<br />
volkstümliche Charakterstücke wurden um 1700 erstmals als "Suite"<br />
bezeichnet.<br />
Auch die mit "Prélude" überschriebenen Sätze (Plein-jeu-<strong>St</strong>ücke) erhielten<br />
ausserhalb der Liturgie konzertante Bedeutung. Meister wie<br />
François Couperin und Louis Marchand schufen breit ausgeführte<br />
Tierce-en-taille-Sätze oder Offertoires. Besonders die Offertoires<br />
(mehrteilige Grand-Jeu-<strong>St</strong>ücke) boten Gelegenheit zu einem längeren<br />
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virtuosen Orgelspiel, oft auch improvisiert – eine konzertante Tradition<br />
die bis ins 20. Jahrhundert hinein gepflegt wurde.<br />
Als besondere Gattung entstand 1682 die Bearbeitung volkstümlicher<br />
Weihnachtslieder, zunächst in Form von einfachen, schlichten Variationsreihen<br />
(Lebègue). Im 18. Jahrhundert wurden diese <strong>St</strong>ücke kompositorisch<br />
zunehmend anspruchsvoller und umfangreicher. Ein eigentlicher<br />
Boom entstand ab 1715 mit einem Höhepunkt um 1745 mit Louis-<br />
Claude Daquin. Die Popularität der Noëls fand nicht überall Gefallen.<br />
Balbastre etwa erhielt 1762 vom Erzbischof ein Verbot, in der Weihnachtsmette<br />
solche Noëls zu spielen. Mit dem Repertoire der Noëls<br />
wandte sich die Orgelmusik weiter ab vom herkömmlichen liturgischen<br />
Spiel und folgte damit dem Trend in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts,<br />
wo Virtuosität, Tonmalereien und galante Formen zunehmend<br />
Einzug in die Orgelmusik erhielten.<br />
3. Die wichtigsten Komponisten dieser Epoche<br />
<strong>Franz</strong>ösische Komponisten und einige Zeitgenossen in Mitteleuropa<br />
Jean (Jehan) Titelouze ~1563 – 1633 J. P. Sweelinck 1562–1621<br />
G. Frescobaldi 1583–1643<br />
S. Scheidt 1587–1654<br />
Louis Couperin ~1626 – 1661 J. J. Froberger 1616–1667<br />
François Roberday 1624 – 1680<br />
Nicolas Lebègue (Le Bègue) ~1631 – 1702<br />
Guillaume-Gabriel Nivers ~1632 – 1714<br />
Nicolas Gigault ~1627 – 1707 D. Buxtehude 1637–1707<br />
Gilles Jullien ~1651 – 1703<br />
André Raison ~1640 – 1719 Jan Adam Reincken 1643–1722<br />
Jacques Boyvin ~1649 – 1706<br />
Nicolas de Grigny 1672 – 1703<br />
Louis Marchand 1669 – 1732<br />
François Couperin ("Le Grand") 1668 – 1733<br />
Gaspard Corrette ~1671– ~1733<br />
Pierre du Mage 1674 – 1751<br />
Louis-Nicolas Clérambault 1676 – 1749 Antonio Vivaldi 1678–1741<br />
Jean-François Dandrieu ~1682 – 1738 Johann Seb. Bach 1685–1750<br />
Louis-Claude Daquin (d'Acquin) 1694 – 1772 Domenico Scarlatti 1685–1757<br />
Claude Balbastre 1724 – 1799<br />
Es kann nicht Ziel dieser kurzen Darstellung sein, die Bedeutung der<br />
einzelnen Komponisten gebührend zu würdigen. Dennoch wäre ein Aufsatz<br />
über französische Orgelmusik ohne ihre Erwähnung unvollständig.<br />
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Ausführliche Angaben sind in der Literatur heute leicht zugänglich. Die<br />
nachfolgenden Angaben stützen sich im Wesentlichen auf Informationen<br />
aus der deutschen und französischen Ausgabe von Wikipedia.<br />
Jean (Jehan) Titelouze (~1563–1633)<br />
wirkte ab 1588 an der Kathedrale in Rouen. Noch verwurzelt in der Vokaltradition der<br />
Renaissance und in der Polyphonie, gehören seine Hymnen und Magnificat-Bearbeitungen<br />
zu den frühesten bekannten Sammlungen von Orgelmusik. Er gilt daher<br />
als Pionier der französischen Orgelmusik dieser Epoche.<br />
Louis Couperin (~1626–1661)<br />
aus Chaumes-en-Brie. Onkel von François Couperin ("Le Grand"). 1653 Organist an<br />
<strong>St</strong>-Gervais in Paris und Musiker am Versailler Hof, vermutlich bekannt mit Froberger<br />
und der Musik Frescobaldis, gefeierter Cembalist, Organist und Bratschist. Der frühe<br />
Tod verhinderte die Drucklegung seiner Werke. Gleichwohl ist Louis Couperin bedeutsam<br />
für die französische Cembalo- und Orgelmusik (u.a. auch für den <strong>St</strong>il der<br />
sog. Préludes non-mesurés).<br />
François Roberday (1624–1680)<br />
geboren in Paris, stammt aus einer Goldschmiede- und Musikerfamilie. Organist an<br />
verschiedenen Kirchen von Paris. Vielleicht war Jean-Baptiste Lully einer seiner<br />
Schüler. Roberday gehört zu den letzten Vertretern der polyphonen Tradition eines<br />
Titelouze oder Louis Couperin.<br />
Nicolas Lebègue (Le Bègue) (~1631–1702)<br />
geboren in Laon, ca. 1650 in Paris, wo er ab 1664 an Saint-Merri bis zu seinem Tod<br />
als berühmter Organist und Orgelberater tätig war. Sein Oeuvre umfasst unter<br />
anderem die frühesten Préludes non-mesurés sowie die ersten bekannten Noëls<br />
(Variationen über Weihnachtslieder). Schüler waren u.a. Nicolas de Grigny und Gilles<br />
Jullien.<br />
Guillaume-Gabriel Nivers (~1632–1714)<br />
geboren in Paris, stammt aus wohlhabender Familie. Um 1650 Organist an Saint-<br />
Sulpice bis 1702, daneben bis 1708 auch Organist der Chapelle royale. <strong>St</strong>arb in<br />
Paris. Nivers galt nicht nur als Organist und Komponist, sondern auch als Musiktheoretiker.<br />
Sein Premier Livre d'Orgue von 1665 war des erste beispielhafte Werk der<br />
berühmten "Orgelbücher" dieser Zeit.<br />
Nicolas Gigault (~1627–1707)<br />
geboren in Claye bei Paris. Ausbildung nicht bekannt, Organist an mehreren Pariser<br />
Kirchen. Ärmliche Verhältnisse, Seine finanzielle Situation verbesserte sich nach Antritt<br />
der Organistenstelle zu Saint-Honoré 1646 und besonders nach seiner Heirat<br />
1662. <strong>St</strong>arb in Paris.<br />
Gilles Jullien (~1651–1703)<br />
Über Leben und Werdegang ist nur wenig bekannt. Ab 1667 möglicherweise Organist<br />
an der Kathedrale von Chartres bis zu seinem Tod.<br />
André Raison (~1640–1719)<br />
geboren in Nanterre (heute Vorort von Paris), dort Organist an der Abtei, später auch<br />
an der Jesuitenkirche Paris und an der Kirche der Jakobiner. Obwohl er gegen Ende<br />
des Jahrhunderts zu den Spitzen der Pariser Organisten zählte – Louis-Nicolas<br />
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Clérambault gehörte zu seinen Schülern –, lebte er bescheiden und zurückgezogen.<br />
Sein Premier Livre d'Orgue enthält umfangreiche Anweisungen für angehende<br />
Kirchenmusiker. In seiner Orgelmusik bemerkt man erstmals den Übergang zum<br />
suitenähnlichen <strong>St</strong>il [1].<br />
Jacques Boyvin (~1649–1706)<br />
vermutlich geboren in Paris. Ab 1674 Organist der Kathedrale von Rouen bis zu<br />
seinem Tod. In seinen beiden Livres d'Orgue (1689–1700) entwickelt er die von<br />
Nivers und Lebègue geschaffenen Formen in einem grossartigen <strong>St</strong>il – auch für die<br />
Registrierpraxis eine wichtige Informationsquelle.<br />
Nicolas de Grigny (1672–1703)<br />
von Reims, aus einer traditionsreichen Organistenfamilie. Schüler von Nicolas<br />
Lebègue. 1693 und 1695 Organist an Saint-Denis in Paris, kam dort mit dem Werk<br />
von Nicolas Lebègue in Kontakt. Ab 1696 Titularorganist an Notre-Dame de Reims.<br />
Zusammen mit François Couperins Kompositionen gehört sein (übrigens einziges)<br />
Orgelbuch zu den bedeutendsten Orgelwerken des klassischen französischen<br />
Barock. Auch der junge J. S. Bach hat sich mit Grignys Werk beschäftigt.<br />
Louis Marchand (1669–1732)<br />
Wunderkind einer Organistenfamilie aus Lyon. Möglicherweise schon vor dem 20.<br />
Lebensjahr in Paris, schuf er sich rasch einen virtuosen Ruf. Ab 1689 Organist an<br />
zahlreichen Kirchen; ca. 1707 Organist am königlichen Hof. 1713–1717 Deutschland-<br />
Reise. Gemäss deutscher Legende soll er sich 1717 am Dresdner Hof einem musikalischen<br />
Wettstreit mit Johann Sebastian Bach entzogen haben. Zurück in Paris<br />
Organist an der Église des Cordeliers bis zu seinem Tod. Marchand soll überheblich<br />
gewesen und ein heftiges, skandalumwittertes Temperament besessen haben.<br />
François Couperin ("Le Grand") (1668–1733)<br />
Neffe von Louis Couperin und berühmtestes Mitglied der weitverzweigten Musikerfamilie.<br />
Ausbildung bei seinem Vater. Ausgesprochen vielseitiger Komponist. Organist<br />
an Saint-Gervais in Paris und an der Chapelle royale. Zusammen mit Jean-<br />
Philippe Rameau Bedeutung als grosser Meister des Cembalos. Von aussergewöhnlicher<br />
Qualität ist seine bekannte Sammlung mit zwei Messen von 1690: Pièces<br />
d'Orgue / Consistantes en deux Messes / l'une à l'usage ordinaire des paroisses pour<br />
les fêtes solemnelles, l'autre propre pour les Couvents de Religieux et Religieuses<br />
(Paris, 1690). Die Sammlung gehört zu den grossen Meisterwerken der französischen<br />
Orgelliteratur.<br />
Gaspard Corrette (~1671– ~1733)<br />
aus Rouen, ab 1720 in Paris. Als einzig bekanntes Werk komponierte er 1703 die<br />
letzte Orgelmesse in der französischen Tradition des 17. Jahrhunderts.<br />
Pierre du Mage (1674–1751)<br />
studierte im Alter von 20 Jahren in Paris bei Louis Marchand, erhielt dann durch<br />
Nicolas Lebègue 1703 die Organistenstelle an Saint-Quentin. 1710 Organist der<br />
Kathedrale von Laon, gab aber die Musikerstelle wegen Spannungen mit den Vorgesetzten<br />
bereits mit 45 Jahren auf. Das Premier Livre d'Orgue, seine einzige<br />
erhaltene, gleichwohl bedeutende Sammlung, erschien 1708.<br />
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Louis-Nicolas Clérambault (1676–1749)<br />
geboren und gestorben in Paris, stammt aus einer Musikerfamilie. Schüler von André<br />
Raison. 1715 Organist an Saint-Sulpice, 1719 Nachfolger seines Lehrers André<br />
Raison an der Orgel der Grands-Jakobiner.<br />
Jean-François Dandrieu (~1682–1738)<br />
geboren und gestorben in Paris. Entstammt einer Künstler- und Musikerfamilie. Erste<br />
Auftritte am Cembalo mit fünf Jahren vor Louis XIV. 1705 Organist an Saint-Merri in<br />
Paris. 1721 Mitglied der Chapelle royale.<br />
Louis-Claude Daquin (d'Acquin) (1694–1772)<br />
in Paris geboren, die Familie stammt aus Italien. Wunderkind. Eine Zeitlang Schüler<br />
von Marchand, 1732 dessen Nachfolger an der Église des Cordeliers. 1739 an den<br />
Hof berufen, 1755 Titularorganist an Notre-Dame de Paris. Umworbener Virtuose auf<br />
Cembalo und Orgel, besonders mit seinen kunstreichen Noëls.<br />
Claude Balbastre (1724 – 1799)<br />
Mit 13 Jahren Nachfolger seines Vaters an der Kirche <strong>St</strong>-Étienne in Dijon. 1751<br />
Organist an der Kirche <strong>St</strong>-Roch in Paris, 1760 an Notre-Dame. 1766 Organist und<br />
Cembalolehrer von Königin Marie Antoinette, 1776 Organist an der Chapelle royale.<br />
Erhielt 1762 Spielverbot an der Orgel durch den Erzbischof, da die Zuhörer wegen<br />
der gespielten Noëls die Kirche nicht für die nachfolgenden Messen räumen wollten.<br />
Zwar weiter Organist an Notre-Dame, bevorzugte er gegen Ende seines Lebens revolutionäre<br />
Motive und spielte an der Orgel Fantasien über revolutionäre Hymnen.<br />
Dom Bédos de Celles (1709–1779)<br />
Obwohl kein Komponist, sei er als bedeutender Orgelbauer und Orgeltheoretiker hier<br />
erwähnt. Im Auftrag der Pariser Akademie der Wissenschaften schrieb er 1766 bis<br />
1778 das grundlegende Werk L'Art du facteur d'orgues [16].<br />
4. Registrierung auf der klassisch-französischen Orgel<br />
4.1 Allgemeines<br />
4.1.1 Klanggestaltung – zum Beispiel "Jeu inégale"<br />
Bekanntlich lässt sich die Lautstärke eines Tons bei der Orgel wie auch<br />
beim Cembalo nicht durch die Art des Anschlags beeinflussen. <strong>St</strong>attdessen<br />
verlangen diese Instrumente spezifische Fähigkeiten, mit den<br />
Tasten umzugehen, was schon die alten <strong>Franz</strong>osen als "Art de toucher"<br />
bezeichneten. Die Klanggestaltung beschränkt sich auch in der französischen<br />
Orgelmusik keineswegs auf die Kunst der Registrierung,<br />
sondern umfasst unter anderem lebendige Agogik, einfallsreiche Ornamentik<br />
oder eine anspruchsvolle Artikulation mit differenzierten Abstufungen<br />
zwischen <strong>St</strong>accato und Legato. Darauf einzugehen, würde den<br />
Rahmen dieses Bulletins sprengen. Trotzdem soll eine fast sprichwörtlich<br />
französische Art der Agogik, das "Jeu inégale", kurz erwähnt werden,<br />
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das zwar vereinzelt auch in Spanien, Italien und ab dem 16. Jahrhundert<br />
auch in Deutschland praktiziert wurde.<br />
Jeu inégale bedeutetet ungleichmässiges Spiel von zwei gleich lang<br />
notierten, meist Achtel-Notenwerten, die in der Regel lang-kurz (seltener<br />
kurz-lang) ausgeführt werden. Inegal können Notenwerte gespielt werden,<br />
von denen zwei oder vier auf eine Zählzeit fallen, also zum Beispiel Sechzehntelgruppen<br />
im 4/4-Takt. Im langsamen Dreivierteltakt werden eher die<br />
Sechzehntel, im raschen Dreivierteltakt eher die Achtel inegal gespielt.<br />
Eine Pause vor einer einzelnen Achtelnote wird ebenfalls inegal<br />
behandelt:<br />
Inegalität gilt nur bei paarweise auftretenden Noten- und Pausenwerten.<br />
Sie gilt in der Regel nur bei Sekundschritten, also nicht bei grösseren<br />
Intervallen.<br />
Das Jeu inégale war sehr beliebt, weil es der Musik mehr Ausdruck und<br />
Anmut gebe und das Spiel animiere. Die Überlieferung durch mechanische<br />
Spieluhren belegt, dass diese Spielart keineswegs stur gehandhabt<br />
wurde. Sonst hätte man sich kaum die Mühe gemacht, diese Unregelmässigkeit<br />
bei einem mechanischen Automaten zu realisieren. Oft ist die<br />
Inegalität nur schwach oder kaum wahrnehmbar.<br />
Auch für das inegale Spiel gelten die Regeln des "Bon goût" der <strong>Franz</strong>osen<br />
[10]. Es soll gut dosiert und muss nicht überall ausgeführt werden, wo<br />
es möglich ist. Dabei gibt es eine breite Skala zwischen Punktierung und<br />
kaum merklicher Verlängerung.<br />
4.1.2 Allgemeine Bemerkungen zum Klang der Pfeifen und<br />
zu den Registern der klassisch-französischen Orgel<br />
Bei den Lippenpfeifen (Labialregistern) entsteht der Ton durch eine<br />
schwingende Luftsäule. Zu ihnen gehören die Prinzipalregister: Sie<br />
bewirken den typischen, kräftigen, warmen, besonders in der Tiefe oft<br />
leicht streichenden Orgelklang. Der Durchmesser dieser Pfeifen ist "mittelweit",<br />
d.h. nicht so weit wie jener der Flöten (aber auch nicht so eng<br />
wie bei den sogenannten <strong>St</strong>reicherregistern, die erst im romantischen<br />
Orgelbau aufkamen). Eine Besonderheit: Im Pedal der französischen<br />
Barockorgel bedeutet Flûte 8' ein relativ weites Prinzipalregister.<br />
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Beispiele: Montre (Prinzipal), Prestant 4' (Oktav 4'), Doublette 2' (Superoktav 2').<br />
Auch die (Prinzipal-) Mixturen (= mehrchörige Obertonregister) gehören dazu; diese<br />
Pfeifendurchmesser sind etwas enger als jene der 8-', 4'- und 2'-Prinzipale.<br />
Eine weitere Gruppe der Lippenpfeifen, die Flötenregister tönen flötenartig.<br />
Die Pfeifen haben ein weites Lumen. In der 8'- oder 16'-Lage sind<br />
sie häufig gedeckt (Bourdon oder Gedackt 8' bezw. 16'). Dadurch wird<br />
der Grundton verstärkt, aber auch der Quint-Oberton besser hörbar.<br />
Von sehr weitem Durchmesser sind die sog. Aliquot-Flötenregister, d.h.<br />
solche, die anstelle der gespielten Note einen Oberton (z.B. Quinte oder<br />
Terz) oder bei mehrchörigen Registern mehrere Obertöne enthalten.<br />
Beispiele: Nazard, Tierce, Larigot; mehrchörig: Cornet 5-fach.<br />
Bei den Zungenpfeifen (Lingualpfeifen) entsteht der Ton durch eine<br />
schwingende Metallzunge in der Pfeife. Trompette und Clairon haben<br />
konische Becher und sind weiter gebaut als Cromorne und Regal. Der<br />
Klang dieser Register ist entsprechend charakteristisch.<br />
4.1.3 Einige Tipps zum Registerhören und -erkennen<br />
Zu den fesselnden Eindrücken der klassisch-französischen Orgelmusik<br />
gehören die sehr plastischen und farbigen Registrierungen, die eine<br />
offensichtliche Freude der <strong>Franz</strong>osen an Klängen und Registermischungen<br />
verraten. Für noch wenig erfahrene Interessierte hier einige Hörtipps,<br />
die natürlich an der Orgel selbst am besten zu demonstrieren<br />
sind.<br />
• Prinzipalregister oder Flötenregister, deren Fusszahlen in einem Bruch angegeben<br />
sind, enthalten (und verstärken) die quint- und terzhaltigen Obertöne<br />
eines Grundtones.<br />
• Aliquot-Flötenregister sind Einzel- oder Sammelzüge, die Quinten (5⅓'), 2⅔',<br />
1⅓') oder Terzen (3 1 /5', 1 3 /5') enthalten. Handelt es sich um Quinten, so erhält<br />
der Klang einen quirligen, spritzigen, in tieferen Lagen auch näselnden<br />
Charakter. Handelt es sich um Terzen, bewirken diese Obertonregister einen<br />
verblüffend glockenartigen oder gar bläserartigen Klang, obwohl es sich um<br />
weite und an sich weiche, flötenartige <strong>St</strong>immen handelt.<br />
• Die Oberton-Register der Prinzipalfamilie, vor allem ihre mehrchörige "Klangkrone"<br />
(Mixtur, Cymbel, frz. Fourniture, Cymbale) bewirken den typischen<br />
strahlenden Orgelklang. Im Gegensatz zu Deutschland enthält dieses "Plein<br />
jeu" in Frankreich nie ein Terzregister und kein Zungenregister.<br />
• Umgekehrt enthält das "Grand jeu" der <strong>Franz</strong>osen keine Mixtur-Klangkrone,<br />
dafür eine (terzhaltige) Cornet-Registrierung und Zungenregister. So entsteht<br />
der kernig-herbe Klang des gravitätisch-festlichen Orgelplenums.<br />
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• Unter den Zungenregistern gibt es langbecherige (Trompete, Clairon, Posaune,<br />
Bombarde, Cromorne) und kurzbecherige (Voix humaine 8', Regale), die im<br />
Klang sehr charakteristisch sind: Schmetternde Trompeten oder "meckernde"<br />
Regale.<br />
• Die Zungenstimmen werden bei den <strong>Franz</strong>osen praktisch nie alleine verwendet,<br />
sondern mit Labialen gemischt, mindestens mit Bourdon 8'; ev. Prestant (Oktav)<br />
4' oder Flûte 4'. Solche "Abdeckung" durch Labialregister bewirkt eine gewisse<br />
Milderung des manchmal aggressiven Zungenklanges, besonders bei obertonreichen<br />
kurzbecherigen Zungenregistern.<br />
4.1.4 Fachbegriffe in der klassisch-französischen Orgelmusik des<br />
17. und 18. Jahrhunderts<br />
Accouplement (Manual-)Koppel<br />
Bombarde Trompetenregister 16' oder 32'<br />
(Mensur weiter als bei Trompete)<br />
Bombardenwerk,<br />
Bombarde<br />
Bourdon<br />
Clairon Trompete 4'<br />
Claviers accouplés Manuale gekoppelt<br />
Cornet<br />
(= Cornet composé)<br />
Cornet décomposé<br />
= Jeu de Tierce<br />
Cornet séparé<br />
Cymbale<br />
Dessus<br />
Doublette<br />
en taille<br />
Flûte<br />
Fonds<br />
mit starken Zungen (und gemischten <strong>St</strong>immen)<br />
besetztes Manualwerk<br />
Gemäss Dom Bédos Bezeichnung für alle gedeckten<br />
(Gedackte) und rohrgedeckten Grundregister der Orgel:<br />
Bourdon, Rohrflöte (Flûte à cheminée).<br />
5-facher Einzelzug, ab c 1 (8', 4', 2⅔', 2', 1 3 /5'), zur<br />
Verstärkung des schwachen Diskants der Zungen (vor<br />
allem Clairon 4'). Nicht repetierend. Im Grand Cornet<br />
(G.C. = Cornet des G.O.) sind 4'- und 2'-Lage von<br />
Prinzipalmensur (Prestant 4' und Doublette 2'), sonst von<br />
weiter Mensur.<br />
"zerlegtes", aus den Einzelkomponenten (8', 4', 2⅔', 2',<br />
1 3 /5') zusammenstellbares Cornet (meist im Echowerk) (IV.<br />
Manual).<br />
Cornet-Soloregister (ab ungefähr f° bis c°) separat vom<br />
G.C., meist im Récit (III. Manual).<br />
Zimbel; zusammen mit Fourniture = Mixtur (= Plein-Jeu)<br />
Diskant<br />
(Super-) Oktave 2' (klingt eine "doppelte" Oktave höher als<br />
der 8').<br />
Solo im Tenor für linke Hand oder Pedal<br />
Im Pedal der frz. Barockorgel noch in der alten Bedeutung<br />
eines relativ weiten Prinzipalregisters (zu 8' oder 4').<br />
Grundstimmen, labiale Register der 16'-, 8'-, 4'-Lage<br />
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Fonds doux<br />
zarte Grundstimmen, in der Regel ohne Prinzipale<br />
Fourniture<br />
zusammen mit Zimbel = Mixtur (= Plein-Jeu)<br />
Grand Plein jeu Plein jeu (Mixtur-Prinzipalplenum !) auf dem G.O.<br />
(Hauptwerk), nicht zu verwechseln mit Grand jeu.<br />
Grand jeu<br />
Zungen-Cornet-Plenum ohne Mixturen;<br />
ganz selten auch = Grand-Orgue<br />
G.O., Grand-Orgue Hauptwerk (im 17. und 18. Jahrhundert: II. Manual)<br />
Jeu<br />
Register, Registrierung<br />
Jeu de Tierce siehe Tierce<br />
Larigot<br />
Quinte 1⅓'<br />
Montre<br />
(Prospekt-) Prinzipal (8', auch 16', selten 4')<br />
Pédale de Flûte Oktavbass 8'<br />
Petit Jeu<br />
Grand-Jeu-Registrierung auf dem Positif<br />
nicht zu verwechseln mit Petit Plein jeu<br />
Petit Plein jeu Plein jeu des Positif (leicht und geschwind zu spielen)<br />
Plein-Jeu<br />
= Fourniture + Cymbale, immer zusammen gezogen;<br />
daher meist nur in einem Zug (Mixtur) (G. Lhôte empfiehlt<br />
Bindestrich zum Unterschied von Plein jeu [12])<br />
Plein jeu<br />
Mixtur-Prinzipalplenum<br />
Positif<br />
Im 17./18. Jahrhundert = Rückpositiv,<br />
spielbar auf dem I. Manual<br />
Prestant 4'<br />
Oktave 4'. Wird laut Dom Bédos so bezeichnet, weil nach<br />
diesem Register alle übrigen gestimmt werden.<br />
Quarte de Nazard 2' im Prinzip = Flöte 2', wird aber als Quarte zu Nazard 2⅔'<br />
verstanden und damit zu den Aliquoten (Obertonregistern)<br />
gezählt.<br />
Récit<br />
1. Im 17./18. Jahrhundert: Diskantsolowerk auf dem<br />
III. Manual, das Cornet séparé und ev. eine Trompette<br />
enthält.<br />
2. Solistisch geführte <strong>St</strong>imme (z.B. "Récit de Cromorne")<br />
[3. Im 19./20. Jahrhundert: Schwellwerk (Récit expressif)]<br />
Tierce 1. Terz (bis Ende 17. Jahrhundert = La grosse Tierce =<br />
weit mensurierte Terz, im Gegensatz zur prinzipalischen<br />
[engen] Terz, die später verschwindet)<br />
2. Jeu de Tierce = Cornet décomposé:<br />
Bourdon 8', Prestant 4', Nazard 2⅔', Tierce 1 3 /5'<br />
(ev. im G.O. Bourdon 16' mit Tierce 3 1 /5',<br />
ev. Doublette 2', Quarte de Nazard 2' und/oder<br />
Larigot 1⅓').<br />
NB. "Grosse Tierce" kann ausnahmsweise auch gleich-<br />
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double Tierce =<br />
grande Tierce<br />
Tiercette = petite<br />
Tierce<br />
Tirasse (Abk. Tir.)<br />
Tremblant<br />
bedeutend sein mit "Grand jeu de Tierce", d.h. Jeu de<br />
Tierce du G.O. "Petite Tierce" wäre in diesem Zusammenhang<br />
= "Jeu de Tierce du Positif".<br />
Tierce 3 1 /5' (= lange Terz) =<br />
Oberton-Terz zum 16'-Register<br />
prinzipalmässig mensurierte (enge) Terz<br />
(verschwindet Ende 17. Jahrhundert)<br />
Pedalkoppel<br />
Tremulant. Unterschieden wird zwischen Tremblant doux<br />
und Tremblant à vent perdu (= Tr. fort), der auf die ganze<br />
Orgel wirkt.<br />
4.2 Registrierpraxis in Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert<br />
Für die Zeit der Vorklassik (bis 1660) besitzen wir nur spärliche Registrierangaben.<br />
Der Universalgelehrte Marin Mersenne, ein Freund des<br />
Komponisten Jehan Titelouze (~1563–1633), berichtet in seiner Schrift<br />
Traité de l’harmonie universelle (1637) über Registriergewohnheiten der<br />
Pariser Organisten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Sie gehen<br />
zum Teil vielleicht auf Titelouze selbst zurück, sind aber recht allgemein<br />
gehalten. Hier erfahren wir auch, dass Grundstimmen-Registrierungen,<br />
Duo, Trio und Récit sowie Cornet-Registrierungen (mit Tierce und/oder<br />
Nazard) bereits gebräuchlich waren [9]. Das Plein jeu enthielt in dieser<br />
Frühzeit noch ein prinzipalisches Terzregister (Tiercette 1 3 /5'). Auch gibt<br />
es Hinweise auf den Gebrauch von Spaltklängen mit fehlendem Pyramidenaufbau,<br />
also "Lücken-Registrierungen" mit 8' + 2' oder gar 16' + 2'.<br />
Über die von Titelouze seit seinem Amtsantritt 1588 gespielte und im<br />
Jahre 1600 umgebaute Orgel in der Kathedrale Rouen wissen wir nur<br />
wenig. Mersenne überliefert, dass sie – mit einem Bourdon 32' und zwei<br />
16'-Registern im Hauptwerk – zu den grössten damaligen Instrumenten<br />
zählte. Titelouze soll die meisten seiner Werke nur manualiter gespielt<br />
und häufig zumindest ein 16'-Register dazu benutzt haben. Das Pedal<br />
dieser Orgel enthielt Trompette 8', Bourdon 8' und eine offene Flûte 4',<br />
aber ohne Pedalkoppel und ohne ein 4'-Zungenregister. Der Pedalumfang<br />
war mit CD bis e' relativ gross. Über das Pedalspiel bei Titelouze ist<br />
vieles unklar. Bei fehlendem 16' im Pedal und fehlender Pedalkoppel<br />
konnte jedenfalls – zusammen mit einer 16'-Registrierung im Manual –<br />
ein Bass-Cantus firmus nicht realisiert werden, es sei denn, man spielte<br />
die 8'-Pedalstimme gleichzeitig mit dem 16' der linken Hand [7]. Mit dem<br />
Tod von Titelouze verlor auch die polyphone Orgelmusik an Bedeutung.<br />
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Das Konzept der frühbarocken Orgel von Titelouze (Beispiel Poitiers,<br />
siehe 1.1) entwickelte sich weiter. So erreichte um 1640 die französische<br />
Orgel im Prinzip den neuen klassischen <strong>St</strong>il. Die Tradition der Registrierungen<br />
und der spezifisch französischen Formen beginnt 1665<br />
mit dem frühesten Livre d'Orgue, jenem von Guillaume-Gabriel Nivers,<br />
dem eine Reihe weiterer folgten (siehe Seite 14). Auch das grundlegende<br />
Werk über Orgelbau von Dom Bédos (1770) [16] ist hier zu<br />
erwähnen, da es auf weiten <strong>St</strong>recken ebenfalls Spiel- und vor allem Registrieranweisungen<br />
enthält. Besonders ausführlich sind die Registrierangaben<br />
bei Nivers, Lebègue, Raison, Boyvin, Jullien, Gaspard Corrette<br />
oder Dom Bédos.<br />
Die Komponisten gingen bei ihren Werken jeweils von einer einheitlichen<br />
Klangvorstellung aus, die dem Registerfundus des klassisch-französischen<br />
Orgeltyps entsprach (siehe Maximaldisposition, Seite 10). So<br />
konnten sie die Registrierungen verbindlich festlegen. Bei kleineren<br />
Instrumenten mussten diese natürlich entsprechend adaptiert werden.<br />
Die folgende Zusammenstellung soll in erster Linie das Prinzip der Registrierungen<br />
erläutern. Sie ist stark vereinfacht und verzichtet im Sinne<br />
eines Kompromisses weitgehend auf Eigenheiten einzelner Komponisten.<br />
Absicht ist, den <strong>Orgelfreunde</strong>n/innen einen Zugang zum Hörverständnis<br />
zu ermöglichen. Anfänger können sich vielleicht die Klänge<br />
anhand der Hörtipps (siehe Seite 21 f) vorstellen (lassen) – bitte sich<br />
durch allfälligen Frust nicht entmutigen lassen. Fortgeschrittene dürfen<br />
allenfalls interessante Informationen gerne genauer studieren. Fachpersonen<br />
werden in erster Linie die Fachliteratur [3,6,7,9,14,16] oder die<br />
Originalangaben in den Livres d'Orgue konsultieren.<br />
Abkürzungen:<br />
G.O. = Grand-Orgue (Hauptwerk, II. Manual)<br />
Pos. = Positif (= Rückpositiv, I. Manual)<br />
Manualkoppel bedeutet: Koppel Positif – G.O.<br />
Pedalkoppel (Tirasse): Koppel G.O. – Pedal<br />
4.2.1 Plein jeu und Plain Chant<br />
RH = rechte Hand<br />
LH = linke Hand<br />
Ein Plein jeu – das festlich-strahlende Prinzipalplenum – steht oft am<br />
Beginn eines liturgischen Zyklus und wird gelegentlich auch als Prélude<br />
bezeichnet. Auf dem Grand-Orgue (Grand Plein jeu) soll es in 16'-Registrierung<br />
ernst und feierlich, auf dem Positif (Petit Plein jeu) eher nach<br />
Cembalomanier, festlich-leicht, heiter und flink, gespielt werden. Auch<br />
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26<br />
einzelne Teile der Orgelmesse schliessen meist mit einem kurzen Petit<br />
Plein jeu.<br />
G.O.<br />
Pos.<br />
Ped.<br />
Montre 16', Bourdon 16', Montre 8', Bourdon 8', Prestant 4',<br />
Doublette 2', Fourniture, Cymbale<br />
Montre 8', Bourdon 8', Prestant 4', Doublette 2', Fourniture,<br />
Cymbale – Manualkoppel<br />
Pédale de Flûte (Flûtes 8' und 4'),<br />
für Plain Chant (= Cantus firmus): Trompette 8', Clairon 4'<br />
Das Plein jeu klingt homogen, plastisch und niemals schreiend. Einerseits<br />
liegt dies an den weichen Prinzipalregistern, anderseits an den<br />
Mixturen. Die französischen Mixturen repetieren häufiger (ab c° zweimal<br />
pro Oktave). Sie heben damit im Ensemble den Tonhöhenwert der Tonleiter<br />
auf, weil die Oktavzugehörigkeit eines Tones nicht mehr streng definiert<br />
ist. So tönt der Diskant relativ tief und mild, die Basslage eher hell.<br />
Im Gegensatz zu Deutschland repräsentiert das französische Plein jeu<br />
Homogenität und Gravität, nicht polyphone Transparenz. Für polyphone<br />
<strong>St</strong>ücke (z. B. Fugue grave) braucht man auf der französischen Orgel<br />
eine Zungenregistrierung (siehe Grand jeu 4.2.8 und Fugues 4.2.5).<br />
Eine Sonderform des Plein jeu ist der Plain Chant: Das Pedal übernimmt<br />
hier in langen Notenwerten den Cantus firmus. Dieser wird "Plain<br />
Chant" = Cantus planus genannt. Dessen Übersetzung als "eben" ausgehaltener<br />
Gesang erinnert an den Ausdruck "grad häbe" aus der<br />
Appenzeller Volksmusik. Der Brauch, das Pedal vor allem für eine<br />
Tenorstimme (Zunge 8' und 4') einzusetzen, illustriert die etwas ungewohnte<br />
Vorstellung, dass das Pedal nicht Bassklaviatur ist.<br />
4.2.2 Grundstimmenmischungen: Fond d'orgue und Jeu doux<br />
Grundstimmenmischungen eignen sich für leises Spiel und vor allem<br />
auch zur Begleitung von Soloregistern. Der Jeux doux, eine Mischung<br />
aus zarten Grundstimmen (Flöten ohne 16') auf der Grundlage der weich<br />
klingenden Montre 8' und/oder Bourdon 8', kann je nach Soloregister mit<br />
Flûte 4', Prestant 4', allenfalls sogar Nazard 2⅔' oder Doublette 2' ergänzt<br />
werden.<br />
Der Fond d'orgue klingt stärker und umfasst normalerweise auch die 16'<br />
Lage, sofern dies die <strong>St</strong>immführung der 8'-Solostimme im Pedal erlaubt<br />
(Vermeiden einer <strong>St</strong>immkreuzung!). Fond d'orgue soll man in langsamem<br />
Zeitmass, zärtlich und gesanglich spielen (G. Corrette 1703).<br />
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27<br />
G.O. Bourdon 16', Montre 8', Bourdon 8', Prestant 4'<br />
Pos. Bourdon 8', Prestant 4' oder Montre [allein?]<br />
Manualkoppel<br />
Ped. (Dom Bédos:) alle Grundstimmen, kein Tremblant<br />
4.2.3 Duo (meist als Duo sur les Tierces)<br />
RH → Pos.<br />
LH → G.O.<br />
Jeu de Tierce ODER Cornet séparé im Récit<br />
Jeu de Tierce (ev. mit 16'-Basis)<br />
+ ev. Trompette 8' ODER Cromorne 8'<br />
NB: Jeu de Tierce = Cornet décomposé, bestehend aus:<br />
Bourdon 8', Prestant 4', Nazard 2⅔', Tierce 1 3 /5'<br />
(ev. im G.O. Bourdon 16' mit Tierce 3 1 /5', ev.<br />
Doublette 2', Quarte de Nazard 2' und/oder Larigot 1⅓')<br />
4.2.4 Trio (à deux dessus)<br />
Zwei Oberstimmen in der rechten Hand und Unterstimme in der linken<br />
Hand, gespielt in ruhiger Bewegung. Registrierangaben unterschiedlich.<br />
Cromorne, Cornet und Jeu de Tierce eignen sich auch zur Registrierung<br />
bei mehreren Solostimmen (Duo, Trio, Quatuor).<br />
RH → Pos. Bourdon 8', Prestant 4', Nazard 2⅔', (Quarte de Nazard 2'),<br />
Tierce 1 3 /5'<br />
LH → G.O. Bourdon 8', Prestant 4', Nazard 2⅔', (Quarte de Nazard 2'),<br />
Tierce 1 3 /5' ODER Bourdon 8', Prestant 4', Zunge 8'<br />
RH → Pos. Cromorne 8' ODER Bourdon 8', Prestant 4', Nazard 2⅔'<br />
LH → G.O. Trompette 8' ODER<br />
Montre 8', Bourdon 8', Prestant 4', Flûte 4', Tierce 3 1 /5',<br />
Nazard 2⅔', Quarte de Nazard 2', Tierce 1 3 /5'<br />
Manualkoppel; Tremblant doux<br />
Récit Cornet 5f.<br />
4.2.5 Quatuor und Fugues<br />
Für Boyvin ist Quatuor gleichbedeutend mit "Fugue de mouvement"<br />
[15, S. 51f]. Er empfiehlt unter anderem folgende Registrierung:<br />
RH → Pos. Cromorne 8', Bourdon 8', Prestant 4', Tremblant doux<br />
LH → G.O. Jeu de Tierce (= Bourdon 8', Prestant 4', Nazard 2⅔',<br />
Quarte de Nazard 2', Tierce 1 3 /5')<br />
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Eigentliche Quatuor-<strong>St</strong>ücke sind – wohl wegen ihrer spieltechnischen<br />
Schwierigkeiten – nur von Marchand und seinem Schüler J. A. Guilain<br />
(~1680–1739) überliefert. Dom Bédos beschreibt Registrierungen für das<br />
Quatuor mit einer je eigenen Klangfarbe pro <strong>St</strong>imme:<br />
Sopran → Récit Trompette 8' ODER Montre 8' und Bourdon 8'<br />
Alt → G.O. Petit Jeu de Tierce<br />
Tenor → Pos. Cromorne 8' und Prestant 4'<br />
Bass → Ped. Flûte 8' oder Jeu de Tierce<br />
Sopran → Récit Cornet<br />
Alt → G.O. Trompette 8' und Prestant 4'<br />
Tenor → Pos. Jeu de Tierce<br />
Bass → Ped. Flûte 8' und ev. Flûte 4'<br />
Die Fugue de mouvement, die für Dom Bédos – im Gegensatz zu<br />
Boyvin – offenbar nicht gleichbedeutend ist mit Quatuor, registriert<br />
Bédos mit Jeu de Tierce in G.O. und Pos. mit Manualkoppel [9, S. 191].<br />
Für die Fugue grave gibt es je nach Komponist verschiedene Vorschläge:<br />
1) G.O. mit Jeu de Tierce + Tremblant<br />
2) eine Art Grand jeu<br />
3) G.O. und Pos. mit Grundstimmen + Zungenregistrierung,<br />
Manualkoppel (Lebègue, Boyvin, Corrette, Dom Bédos).<br />
4.2.6 Récits und andere Solo-Registrierungen<br />
Die Darstellung von Solostimmen, zunächst vor allem im Diskant, war<br />
ein wichtiges Anliegen der französischen Organisten, deren Orgel ja mit<br />
entsprechend solofähigen Registern ausgestattet war. So galt die erste<br />
Erweiterung ihres Orgeltyps um die Mitte des 17. Jahrhunderts einem<br />
zusätzlichen Diskant-Soloklavier – wie das Musikstück ebenfalls "Récit"<br />
genannt – das ein Cornet und eine Trompette enthielt. Die Bezeichnung<br />
"Récit" für ein Orgelstück mit Solostimme (vorwiegend "Dessus" =<br />
Sopran und "en Taille" = Tenor) wurde offenbar in Assoziation an die<br />
solistischen Gesangspartien der Motetten übernommen und damit auch<br />
die Vorstellung von einer erzählenden, gesanglichen, oft zarten<br />
Ausdrucksweise. Es gibt anderseits auch Solostücke mit lebhafter<br />
Vortragsweise, die dann nicht als "Récit", sondern mit der chorischen<br />
<strong>St</strong>immlage der Solostimme, bezeichnet werden (z.B. Basse de<br />
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29<br />
Trompette, Basse de Cromorne). In der nachfolgenden Tabelle sind<br />
beide Arten dieser Solostimmen aufgeführt.<br />
a. Récit de Trompette (Diskant)<br />
RH → Récit Trompette 8' (de Récit)<br />
LH → G.O. Bourdon 8', Prestant 4'<br />
Vortragsweise: eher weicher Ausdruck<br />
b. Basse et Dessus de Trompette<br />
G.O. Trompette 8', (+ Clairon 4'), Bourdon 8', Prestant 4', Cornet 5f.<br />
Pos. Bourdon 8', Prestant 4', (und/oder Larigot 1⅓')<br />
Vortragsweise: lebhaft<br />
c. Récit de Voix humaine (Diskant)<br />
RH → G.O.<br />
LH → Pos.<br />
Voix humaine 8', Bourdon 8', Flûte 4', Nazard 2⅔', Tremblant<br />
Jeu doux (= Bourdon 8', Flûte 4'), ev. Tremblant doux<br />
Vortragsweise: kantabel und getragen<br />
d. Récit de Voix humaine (Bass)<br />
RH → Pos. Jeu doux (= Bourdon 8', Flûte 4'), ev. Tremblant doux<br />
LH → G.O. Voix humaine 8', Prestant 4'<br />
Vortragsweise: kantabel und getragen<br />
e. Récit de Cromorne (Diskant)<br />
RH Pos. Bourdon 8', (Flûte 4',) Cromorne 8'<br />
LH G.O. Bourdon 8' + Prestant 4' ODER Montre 8' allein<br />
Vortragsweise: sanft und anmutig<br />
f. Cromorne en Taille<br />
RH → G.O. (Montre 16', Bourdon 16',) Montre 8', Bourdon 8', (Prestant 4')<br />
LH → Pos. Bourdon 8', Prestant 4', (Nazard 2⅔'), Cromorne 8'<br />
Pédale Flûte 8', (+ ev. Flûte 4', Flûte 16')<br />
g. Basse de Cromorne<br />
RH → G.O. Montre 8' + Bourdon 8' ODER Bourdon 8' + Prestant 4'<br />
LH → Pos. Bourdon 8', Prestant 4', Cromorne 8'<br />
Vortragsweise: lebhaft<br />
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h. Récit de Nazard (Diskant)<br />
RH → Pos. Bourdon 8', Prestant 4', Nazard 2⅔'<br />
LH → G.O. Bourdon 8', Prestant 4'<br />
Vortragsweise: zart<br />
i. (Récit de) Tierce en Taille<br />
RH → G.O. (Montre 16',) Bourdon 16', Montre 8', Bourdon 8', Prestant 4'<br />
LH → Pos. (Montre 8'), Bourdon 8', (Prestant 4'), Flûte 4', Nazard 2⅔',<br />
Doublette 2', (Quarte de Nazard 2'), Tierce 1 3 /5', Larigot 1⅓'<br />
Pédale Flûte 8', (+ ev. Flûte 4', Flûte 16').<br />
k. Récit de Cornet<br />
RH → Récit Cornet 5f.<br />
LH → G.O. Bourdon 8', Prestant 4'.<br />
Vortragsweise: lebhaft und mit schneller Bewegung<br />
4.2.7 (Concert de) Flûtes<br />
(nach Boyvin, Corrette)<br />
G.O. (Montre 8'), Bourdon 8', (Flûte 4')<br />
Bourdon 8', (Flûte 4')<br />
Pos.<br />
Manualkoppel, ev. Tremblant doux auf beiden Werken<br />
4.2.8 Grand jeu und Dialogue sur les Grands jeux<br />
(in Klammern = zusätzlich im frühen 18. Jahrhundert)<br />
G.O. (Montre 8',) Bourdon 8', Prestant 4', Nazard 2⅔',<br />
(Quarte de Nazard 2',) Tierce 1 3 /5', Cornet 5f, Trompette 8', Clairon 4'<br />
Manualkoppel, Tremblant fort<br />
Pos. Bourdon 8', Prestant 4', Nazard 2⅔', (Doublette 2'), Tierce 1 3 /5',<br />
Cromorne 8'<br />
III. Récit Cornet séparé<br />
IV. Echo Echo-Cornet<br />
Ped. Flûte 8', Flûte 4', (+ Zungenregister)<br />
Registrierung in der Spätklassik siehe nächste Seite<br />
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31<br />
Spätklassik (Dom Bédos ca. 1770):<br />
G.O. Cornet 5f., Prestant 4', Trompettes 8', Clairons 4', Cromorne 8'.<br />
Kein Tremblant.<br />
Pos. Cornet, Prestant 4', Trompettes 8', Clairons 4', Cromorne 8' (weglassen,<br />
wenn im G.O. nur eine Trompette und ein Clairon) [warum? F.L.]<br />
III. Récit Cornet séparé<br />
IV. Echo Echo-Cornet<br />
Ped. Trompettes 8', Clairons 4'<br />
Grand-jeu-<strong>St</strong>ücke mit dem kernig-herben, gravitätischen Plenum bilden<br />
in der Regel den festlichen Abschluss eines Hymnus, eines Magnificat,<br />
eines Abschlusses innerhalb oder später auch das Schlussspiel einer<br />
Orgelmesse. Grand jeu ist auch die bevorzugte Registrierung für die<br />
Offertoires und erscheint oft in Form eines "Dialogue" (abwechselndes<br />
"Gespräch" auf zwei Manualen). Ausserdem eignet sich diese polyphone<br />
Registrierung für langsame Fugen (Fugues graves).<br />
Charakteristisch an dieser Registrierung sind im Hauptwerk die Zungenregister<br />
(Trompette 8', Clairon 4') und der Cornet, im Positif Cromorne 8',<br />
ggf. Nazard 2⅔' und Tierce 1 3 /5'. Im Gegensatz zum Plein jeu enthält der<br />
Grand jeu also Zungen und Aliquoten, aber nie (Prinzipal-)Mixturen. Im<br />
17. Jahrhundert findet man zum Grand jeu noch unterschiedliche<br />
Angaben, unter anderem auch 16'-Register und "la grosse [= weite]<br />
Tierce" 3 1 /5'. Im 18. Jahrhundert werden die Zungen und Aliquoten gegenüber<br />
den Grundstimmen bevorzugt: Im Hauptwerk Trompette 8',<br />
Clairon 4', Bourdon 8', Prestant 4' und Cornet; im Positif Cromorne 8',<br />
Bourdon 8' und Prestant 4'. Das Cornet des Hauptwerks, das unmittelbar<br />
hinter den Prospektpfeifen erhöht aufgestellt ist, verstärkt den im<br />
Diskant relativ schwachen Klang der Zungen. Sofern vorhanden, haben<br />
auch Récit und Écho Zungen- und Cornetregistrierung. Das Pedal wird<br />
im Grand jeu erst in der späteren Zeit verwendet und wie im Plein jeu<br />
registriert (Pedalkoppel, anfänglich nur Flûte 8' und 4', später ebenfalls<br />
Zungenregister). Oft wurde zum Grand jeu auch der Tremblant fort gebraucht.<br />
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Literatur<br />
1 Billeter, Bernhard. Begleittexte zum Zyklus "<strong>Franz</strong>ösische Orgelwerke aus vier<br />
Jahrhunderten" 01.02.1998–28.11.1999 in der Kirche zu Predigern, Zürich.<br />
Typoskript.<br />
2 Billeter, Bernhard. Orgelmusik ohne oder mit wenig Pedal. Was können<br />
Pianistinnen und Pianisten im Gottesdienst spielen? Musik und Gottesdienst 62.<br />
Jahrgang 2008. S. 91–99.<br />
3 Busch, Hermann J. (Hg.). Zur Interpretation der französischen Orgelmusik.<br />
Überarbeitete und aktualisierte Neuauflage. Berlin, Kassel 2009.<br />
4 Busch, Hermann J., Geuting Matthias (Hg.). Lexikon der Orgel. Artikel Frankreich.<br />
(H.J. Busch, K. Lueders) und Paris (K. Lueders). Laaber 2007.<br />
5 De Crauzat, Claude Noisette. Frankreich mit Elsass und Lothringen.<br />
In: Reichling, Alfred (Hg.). Orgel. Festgabe zur 50. Wiederkehr des Gründungstages<br />
der GdO […]. Seite 87–91. Kassel, Basel etc. 2001.<br />
ISBN 3-7618-1622-7.<br />
6 Diederich, Susanne. Originale Registrieranweisungen in der französischen<br />
Orgelmusik des 17. und 18. Jahrhunderts. Beziehungen zwischen Orgelbau und<br />
Orgelkomposition im Zeitalter Ludwigs XIV. Kassel, Basel etc. 1975.<br />
7 Faber, Rudolf / Hartmann, Philip. Handbuch Orgelmusik. Artikel Frankreich<br />
(Bernhard Billeter) S. 161–186. Kassel 2002.<br />
8 Edler, Arnfried. Geschichte der Klavier- und Orgelmusik. Band 1. Kapitel<br />
Orgelmesse (S. 184–227). Laaber 2007.<br />
9 Gay, Claude. Notes pour servir à la registration de la musique d'orgue française<br />
des XVII e et XVIII e siècles.In "L'organo", 1961/2, S.169–199. Brescia.<br />
10 Kooiman, Ewald. Die "Inégalité" in der französischen Barockmusik.<br />
In [3], S. 53–68.<br />
11 Lade, Günter. Die klassisch-französische Orgel. In: Die regionale Entwicklung des<br />
Orgelbaus in Frankreich, Spanien und Italien. Österreichisches Orgelforum 1988 /<br />
2+3. S. 71–76.<br />
12 Lhôte, Georges. Die französische Orgel,<br />
in: "Iso-Information" Nr, 1, 1969, S. 57 ff (= G3, S. 1 ff).<br />
13 <strong>Lüthi</strong>, <strong>Franz</strong>. Registrierung und Klangvorstellungen in der französischen<br />
Orgelmusik des 17. und 18. Jahrhunderts. Bulletin <strong>OFSG</strong> Nr. 4, 1984.<br />
14 Meylan, Daniel. Registrations françaises du Classicisme à la Révolution (XVIIe–<br />
XVIIIe siècle). La Tribune de l'Orgue 59/3 (2007) S. 25–33 und 59/4 (2007) S. 25–<br />
31.<br />
15 Musch, Hans: Registrierungen, Satztypen und Vortragsweisen in der klassischen<br />
französischen Orgelmusik des 17. und 18. Jahrhunderts.<br />
In [3], Seite 6 – 52.<br />
16 Rensch, Richard (Hg.): Dom Bédos – Die Kunst des Orgelbauers. L’Art du<br />
Facteur d’Orgues. Übersetzung Christoph Glatter-Götz.<br />
Orgelbau-Fachverlag, Lauffen am Neckar 1977.<br />
17 Sonnaillon, Bernard. Die Orgel. München 1985.<br />
18 www.uquebec.ca/musique/orgues/france/smaximinp.html<br />
Besucht am 05.01.2013.<br />
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Die Mathis-Orgel in der <strong>St</strong>adtkirche <strong>St</strong>. Nikolaus in Wil<br />
<strong>Franz</strong> <strong>Lüthi</strong><br />
Wil war bereits um 754 alemannische Siedlung und erhielt von den Grafen<br />
von Toggenburg im Jahre 1200 das <strong>St</strong>adt- und Marktrecht. 1226 ging<br />
die <strong>St</strong>adt als Schenkung an das Kloster <strong>St</strong>. Gallen und erlangte Bedeutung<br />
als Residenz der Fürstäbte sowie als wichtiger strategischer Punkt.<br />
Im Jahre 1292 überfielen die Habsburger die <strong>St</strong>adt Wil und brannten sie<br />
nieder. 1301 ging sie an das Kloster <strong>St</strong>. Gallen zurück, wurde aber 1407<br />
erneut für kurze Zeit von den aufständischen Appenzellern eingenommen.<br />
Nach der französischen Revolution und dem Untergang des Klosters<br />
<strong>St</strong>. Gallen kam Wil 1798 als Munizipalgemeinde zum Kanton Säntis<br />
und wurde 1803 Politische Gemeinde im neuentstandenen Kanton.<br />
Die Kirche <strong>St</strong>. Nikolaus stammt aus der Zeit der <strong>St</strong>adtgründung um<br />
1200. Um 1304 entstand eine romanische Saalkirche. Im 15. Jahrhundert<br />
Erhebung zur Pfarrkirche anstelle von <strong>St</strong>. Peter ausserhalb der<br />
Mauern. 1429 spätgotischer Neubau als Rundpfeilerbasilika (Chor).<br />
Nach einem Unterbruch wurde das Langhaus um 1500 fertig gebaut.<br />
Veränderungen und Umbauten 1603, 1664, 1704, 1829, 1866/67,<br />
1932/33 mit Verlängerung des Schiffs nach Westen und Ersatz des<br />
Frontturms durch einen nachgebildeten Eckturm. 1981/83 Innenrestaurierung<br />
im Sinne einer baulichen Korrektur mit Erhaltung der künstlerischen<br />
Ausstattung früherer Epochen. Auf dem steilen Satteldach des<br />
Chors barocker Dachreiter mit Zwiebelhaube von 1729. Bronzeportale<br />
von Josef Büsser aus dem Jahr 1933, am Mittelportal mit Reliefszenen<br />
aus dem Leben des Nikolaus von Myra, umrahmt von Mosaiken des<br />
Wilers Karl Peterli. Diverse Umbauten und Renovationen haben im Lauf<br />
der Zeit inneres und äusseres Aussehen teilweise radikal verändert. Zu<br />
den prächtigsten Zeugen aus älterer Zeit gehört das Christophorus-<br />
Wandbild, das Hans Haggenberg (1450–1515) zugeschrieben wird.<br />
Geschichte der Orgel<br />
Spätestens seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wahrscheinlich<br />
aber schon früher, besass die <strong>St</strong>. Nikolauskirche eine Orgel. Gemäss<br />
aktuell zugänglichen Quellen wurde Orgelbauer Josef Braun aus<br />
Spaichingen (1807–1877) im Januar 1865 mit der Beurteilung und dem<br />
Abbruch der alten Orgel beauftragt. Wegen ausgedehntem Wurmbefall<br />
und schlecht gearbeiteten Zinnpfeifen riet er von einer Wiederverwendung<br />
für einen Neubau ab. So holte die Gemeinde Offerten ein für eine<br />
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einfache Orgel mit 24 Registern auf zwei Manualen und Pedal. Von<br />
den drei offerierenden Orgelbauern, Josef Braun (Spaichingen), Kuhn &<br />
Spaich (Männedorf), Kyburz & Co. (Solothurn), erhielt Braun offenbar<br />
den Auftrag. Jedenfalls ist er im Januar 1866 an der Arbeit und entschuldigt<br />
sich wegen deren Verzögerung.<br />
1874 schlug Friedrich Goll (Luzern) einige Verbesserungen vor, unter<br />
anderem an den Zungenregistern. Es scheint, dass der beigezogene<br />
Experte, Domorganist Johann Gustav Eduard <strong>St</strong>ehle (1839–1915) mit<br />
der ausgeführten Arbeit nicht zufrieden war. Eine neuerliche, mit Kosten<br />
von Fr. 1345 scheinbar grössere Reparatur führten 1882 die Gebr.<br />
Klingler durch: Anbringen von Kollektivzügen und neues Gebläse – eine<br />
Arbeit, die Experte <strong>St</strong>ehle offenbar akzeptierte. 1894 wiederum Reparatur<br />
am Gebläse, diesmal durch Goll, möglicherweise Einsatz eines<br />
neuen Magazinbalges. 1910 beanstandet Kirchenmusiker Schenk die<br />
<strong>St</strong>öranfälligkeit der Orgel: Alterserscheinungen, Temperatureinflüsse; vor<br />
allem sei die Windlade defekt. Das neue Gebläse funktioniere allerdings<br />
gut. Schenk empfiehlt den einheimischen Orgelbauer Hochreutener für<br />
eine Reinigung, Intonation und umfassende Reparatur, da diese Arbeiten<br />
bei ihm preislich günstiger seien als bei Goll oder Kuhn. Obwohl bei der<br />
Intonation nicht alle Ungleichheiten beseitigt werden konnten, schien<br />
man mit der ausgeführten Arbeit zufrieden. Man lobte das festliche, auch<br />
mit Zungenregistern nicht schreiende Plenum.<br />
Trotzdem befasste man sich offenbar mit einer neuen Orgel, wofür<br />
Orgelbau Goll 1912 eine Offerte einreichte (III/P/31). Gleichzeitig diskutierte<br />
man eine hydraulische oder eher elektrische Motorenanlage für<br />
das Gebläse. Ohne dass die Neubaupläne realisiert wurden, holte die<br />
Kirchgemeinde 1915 nochmals eine Offerte für eine mittlerweile zeitgemässere<br />
Elektroventilatorengruppe ein, die vermutlich in Auftrag gegeben<br />
wurde. Eine neuerliche Offerte von Kuhn vom 16.10.24 lautete auf<br />
ein Instrument mit 49 klingende Registern und 9 Auszügen/Transmissionen.<br />
Die neue Orgel (III/P/57), ein pneumatisches System mit Taschenladen,<br />
wurde 1925 als Opus 590 von Orgelbau Th. Kuhn erstellt. Dabei fand<br />
viel altes Material aus der Vorgängerorgel Verwendung. Die Register des<br />
III. Manuals kamen als Fernwerk in den Estrich; ihre Klangausstrahlung<br />
erfolgte von der Kirchendecke aus durch Jalousien in die obere Empore,<br />
wo sich auch die Hauptorgel befand. Auch die Windversorgung befand<br />
sich auf dem Dachboden. Bereits im Expertenbericht vom 23.11.25<br />
durch Josef Tobler, Altdorf und P. Ambros Schnyder, Gonten, kann man<br />
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diverse Problempunkte erahnen; Begeisterung spricht nicht daraus.<br />
Trotz vieler übernommener Register sei das Instrument mit seinen 57<br />
Registern (wohl inkl. Auszügen und Transmissionen) als ein neues Werk<br />
zu betrachten. Die Orgel besass einen Hauptprospekt mit einfachem<br />
Untergehäuse, der vom grössten Teil des Schiffes aus nicht sichtbar war<br />
und schon beim Neubau als Provisorium galt.<br />
Anlässlich der Kirchenrenovation 1933 baute man die Orgel aus und<br />
ergänzte sie beim Wiedereinbau durch ein Rückpositiv mit 7 Registern<br />
an der Emporenbrüstung. Die Orgel erhielt kein weiteres Manual. Das<br />
neue Rückpositiv konnte vom II. Manual aus gespielt werden, wobei die<br />
bestehende Lade des II. Manuals und die neue Rückpositiv-Lade durch<br />
zwei neue Absteller getrennt ein- und ausgeschaltet werden konnten (II<br />
ab und RP ab).<br />
Zum Jahresende 1933 lobte Musikdirektor Schenk die Grosszügigkeit des <strong>St</strong>immbürgers<br />
zugunsten der Orgelerweiterung und erwähnte in diesem Brief auch eindeutige<br />
Registerzahlen: I. Man. 14 / II. 12 / III. 15 (= Fernwerk) / Rückpositiv 7<br />
Register / Pedal 9 Register. Das wären trotz Erweiterung nur 57 Register, also die<br />
gleiche Anzahl wie 1925. Die Zählung von 1925 ist daher anzuzweifeln; auch bei<br />
Berücksichtigung der damaligen nichtklingenden Register geht die Rechnung nicht<br />
auf.<br />
1954 stellte die Firma Kuhn in einem Zustandsbericht fest, dass die<br />
Orgel unpräzise sei. Die Verzögerungen in der pneumatischen Traktur<br />
seien überdies unterschiedlich im Fernwerk (III. Manual) auf dem Estrich<br />
und im Rückpositiv an der Brüstung. Offenbar diskutierte man eine Verbesserung<br />
durch Umstellung auf elektrische Traktur. Orgelexperte Siegfried<br />
Hildenbrand sprach 1963 von einem überdimensionierten Harmonium.<br />
Nicht nur das Fernwerk im Estrich, sondern auch der <strong>St</strong>andort der<br />
Orgel auf der oberen Empore sei wegen der zu geringen Raumhöhe<br />
ungünstig. Eine neue Orgel solle unbedingt auf die untere Empore zu<br />
stehen kommen.<br />
Auf dem Weg zur neuen Mathis-Orgel<br />
Nachdem Musikdirektor Wirz 1970 einmal mehr auf den schlechten<br />
Zustand der Orgel und die <strong>St</strong>örungen aufmerksam machte, holte man<br />
Kostenvoranschläge ein für einen Neubau bei Orgelbau Graf, Sursee,<br />
und Späth, Rapperswil. Eine Orgelexpertise durch Josef Holtz am<br />
16.10.1973 kam zu folgendem Ergebnis (in der damaligen, teils "orgelbewegen"<br />
Ausdrucksweise): Das Klangbild dieser Orchesterorgel von<br />
1925 habe mit einem "echten strahlenden Orgelklang" nichts gemeinsam.<br />
Wenn auch nicht mehr so "dekadent" wie frühere Instrumente aus<br />
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dieser Zeit, klinge sie trotzdem wie ein grosses Harmonium, "zahm und<br />
mulmig" für eine Orgel von über 60 Registern. Dazu kämen die technischen<br />
Mängel: Unpräzise pneumatische Traktur als verfehltes Konzept,<br />
fehlende Töne, Verspätungen vor allem im Fernwerk (III) und im Pedal.<br />
Die ganze Orgel und insbesondere das Fernwerk seien ungünstig platziert<br />
und lägen zu hoch im Raum. Die Orgel sei abbruchreif. Empfohlen<br />
wird ein Neubau nach den Prinzipien heutigen Orgelbaus, wenn möglich<br />
mit Entfernung der oberen Empore. Die neue Empore sollte nur für Kirchenmusik<br />
reserviert und das Rückpositiv Richtung Hauptgehäuse<br />
zurückplatziert werden zwecks besserer Gestaltung der Brüstung. Nach<br />
Einholen von Offerten bei Kuhn (Männedorf) und Mathis (Näfels) für eine<br />
Orgel mit drei Manualen und ca. 45 Registern wird der Auftrag 1977 an<br />
die Firma Mathis vergeben.<br />
Orgelbauer, Architekt und Experte hätten ein Rückpositiv, jedoch nicht<br />
an der Emporenbrüstung, sondern unmittelbar im Rücken des Organisten,<br />
favorisiert. Sie führten klangliche Gründe an (bessere Plastizität)<br />
und eine bessere optische Gliederung der langen Empore. Ausserdem<br />
könne das Rückpositiv als chornahes Positivwerk für die Solisten- und<br />
Chorbegleitung genutzt werden. Der Organist der Nikolauskirche lehnte<br />
diese Variante ab, da er sich zu sehr vom Chor isoliert fühle und da es<br />
unmöglich sei, den Chor im Bedarfsfalle von der Orgel aus zu leiten.<br />
Schliesslich wurde auf ein Rückpositiv verzichtet und dieses als Brustpositiv<br />
im Hauptprospekt eingegliedert.<br />
So konnte für den Bau der neuen Orgel 1983 grünes Licht gegeben<br />
werden. Einige Register der alten Orgel (von 1865, 1925 und 1933)<br />
wurden beim Abbruch 1983 an den Orgelneubau in Tobel abgegeben.<br />
Historische, scheinbar allerdings beim letzten Neubau stark veränderte<br />
Pfeifen von Braun wurden bei Orgelbau Mathis eingelagert zuhanden<br />
allfälliger Renovationen von Braun-Instrumenten.<br />
Die Mathis-Orgel von 1983<br />
Es handelt sich um eine grosse vollmechanische Orgel mit sehr wenigen<br />
Spielhilfen, wobei auf freie Kombinationen völlig verzichtet wurde. Das<br />
sorgfältig gearbeitete, wenig tiefe Gehäuse aus Eichenholz ist harmonisch<br />
gegliedert: siebenteiliges Hauptwerk oben in der Mitte, darunter das<br />
Brustpositiv, flankierend die Pedaltürme.<br />
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Die Mathis-Orgel der <strong>St</strong>adtkirche <strong>St</strong>. Nikolaus in Wil<br />
Foto F. L.<br />
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Disposition<br />
I. Hauptwerk (C-g 3 ) II. Schwellwerk (C-g 3 ) III. Brustpositiv (C-g 3 )<br />
Principal 16' Diapason 8' Holzgedackt 8'<br />
Octave 8' Bourdon 8' Principal 4'<br />
Flauto 8' Gambe 8' Rohrflöte 4'<br />
Gemshorn 8' Unda maris (ab c°) 8' Octave 2'<br />
Octave 4' Octave 4' Sesquialtera 2f. 2⅔'<br />
Spitzflöte 4' Traversflöte 4' Quinte 1⅓'<br />
Quinte 2⅔' Nasat 2⅔' Scharf 4f. 1'<br />
Octave 2' Hohlflöte 2' Krummhorn 8'<br />
Mixtur 3-4f. 1⅓' Terz 1 3 /5' Regal 8'<br />
Cymbel 3f. ⅔' Plein jeu 5f. 2' Tremulant<br />
Cornett 5f. 8' Fagott 16'<br />
Trompete 8' Trompette harm. 8'<br />
Basson-Hautbois 8'<br />
Clairon 4'<br />
Pedalwerk (C-f 1 ) Tremulant<br />
Untersatz 32'<br />
Principal 16'<br />
Subbass 16'<br />
Octavbass 8'<br />
Gedecktbass 8'<br />
Octave 4'<br />
Mixtur 4f. 2⅔'<br />
Posaune 16'<br />
Trompete 8'<br />
Clairon 4'<br />
Weitere Angaben zur Orgel:<br />
• Orgel erbaut von M.Mathis & Söhne, Näfels, III/P, 45, 1983<br />
• Einweihung am Sonntag, 24. April<br />
• mechanische Spiel- und Registertraktur<br />
• 5 Normalkoppeln: SW-HW, BW-HW, HW-P, SW-P, BW-P<br />
• Organo pleno (HW: O8, O4, O2, Mx, Cy; Pedal: P16, O8, O4, Mx)<br />
• Einführungstritte: Tr8 (HW), Tr8 (SW), Pos16 (P), Tr8 (P)<br />
• Intonation: Hermann Mathis, Projekt und Expertise: Josef Holtz, Frauenfeld<br />
• Projektgestaltung: Andreas Heinzle, c/o Orgelbau Mathis in Zusammenarbeit<br />
mit dem Architekten Felix Schmid, Rapperswil<br />
• Einweihung mit Musik von L. N. Clérambault, J. G. Walther, J. S. Bach<br />
Liszt, Franck, J. Holtz, M. Reger (Orgel: Josef Holtz).<br />
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Das Hauptwerk enthält das geschlossene Prinzipalplenum auf 16-Fuss-<br />
Basis. Auch in Brustpositiv und Schwellwerk ist die Prinzipalgruppe gut<br />
vertreten. Begleit-, Solo- und Zungenstimmen finden sich in allen Werken.<br />
Prinzipale, Gedackte, Flöten, Gambe und Diapason besitzen differenzierte<br />
Klangfarben. Das fünffache Cornet im Hauptwerk ist mit einem einzigen<br />
Registerzug zu betätigen (Cornet composé). Auch in den übrigen Manualwerken<br />
sind Kornettregistrierungen durch entsprechende Registerkombinationen<br />
möglich (Cornet décomposé). Zusammen mit den reichhaltigen<br />
Zungenregistern lassen sich somit auch Registrierungen aus der französischen<br />
Orgelliteratur realisieren.<br />
Das registermässig stark besetzte Schwellwerk ist als nicht sichtbares<br />
Hinterwerk in einem mit Jalousien verschliessbaren Kasten aufgebaut. Die<br />
grossen Pedalpfeifen des Untersatz 32' sind hinter der Orgelanlage separat<br />
aufgestellt (gedeckte Holzpfeifen in voller Länge).<br />
Das Instrument beeindruckt durch seinen charakteristischen, obertonreichen<br />
und dadurch verschmelzungsfähigen Klang. So erlaubt die Orgel die<br />
Wiedergabe eines vielfältigen Spektrums der Orgelliteratur, Musik des<br />
deutschen und französischen Barock, aber auch – unter Aufgebot entsprechender<br />
Registranten/innen – romantische Literatur.<br />
Abnahmebericht vom 15. August 1983<br />
über die neue Orgel in der <strong>St</strong>adtkirche <strong>St</strong>. Nikolaus in Wil<br />
Am 12. August 1983 erfolgte durch den Unterzeichnenden die Abnahme der von<br />
Orgelbaufirma Manfred Mathis & Söhne neu erbauten Orgel. Anwesend war Max<br />
Haselbach, Hauptorganist an der <strong>St</strong>adtkirche Wil. Der Orgelbauer hat in der Zwischenzeit<br />
die Klaviaturen des Instrumentes ausgebaut und gewisse Einzeltasten auf<br />
die genauen Mensuren (Masse) korrigiert. Die Tastatur ist jetzt griffiger und angenehmer<br />
zu spielen. Ich darf dem Kirchenverwaltungsrat Wil bestätigen, dass<br />
sämtliche vertraglichen Verpflichtungen des Orgelbauers in jeder Beziehung erfüllt<br />
worden sind.<br />
Die Gestaltung des Orgelwerkes und die prachtvolle Anlage des Gehäuses entsprechen<br />
hohen kunsthandwerklichen Anforderungen. Sämtliche Einzelteile des Instrumentes<br />
wurden aus vorzüglichem Material sehr sorgfältig erbaut. Das gesamte Pfeifenwerk<br />
sowie die technisch anspruchsvolle Konstruktion zeugen von grossem<br />
Können. Die Klanggestaltung ist von hoher Qualität. Jedes der 45 Register besitzt<br />
ein ausgeprägtes Eigenleben, adäquate Klangstärke und Klangfarbe, verbunden mit<br />
vorzüglicher Verschmelzungsfähigkeit. Die Intonation ist zudem ausgeglichen, klangschön<br />
und verdient bei diesem Orgelbau hohe Anerkennung. Das Kollaudationskonzert<br />
hat bewiesen, dass die neue Orgel auch bei gutbesetzter Kirche bezüglich<br />
klanglicher Tragfähigkeit nichts einbüsst. Angenehm leicht und präzise laufen die<br />
mechanische Spiel- und Registertraktur.<br />
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Orgelbau Manfred Mathis & Söhne hat den anspruchsvollen Projektentwurf kunsthandwerklich<br />
und klanglich vorzüglich realisiert. So ist in Wil ein hervorragendes<br />
Orgelwerk entstanden, auch dank der sehr guten Zusammenarbeit zwischen dem<br />
Architekten Herrn Felix Schmid, dem Orgelbauer, dem Kirchenverwaltungsrat und<br />
dem Experten.<br />
Ich darf die Uebernahme des prachtvollen und vielseitigen Instrumentes ohne jegliche<br />
Vorbehalte empfehlen. [...]<br />
Frauenfeld, den 15.8.1983<br />
sig. Josef Holtz, Frauenfeld<br />
Literatur und Quellen zur Orgel in der <strong>St</strong>adtkirche <strong>St</strong>. Nikolaus in Wil<br />
Holtz, Josef. Meisterwerk der Orgelbaukunst: <strong>St</strong>adtkirche <strong>St</strong>. Nikolaus<br />
Wil SG. In: Katholische Kirchenmusik (früher "Der Chorwächter")<br />
108. Jg (1983) S. 231–232.<br />
Archiv Kath. Kirchgemeinde Wil: Akten zur Orgel der Kirche <strong>St</strong>. Nikolaus<br />
(seit 1657). Dossier 40.10.05.10.01.<br />
Herrn Urs Bachmann, Leiter Administration Kath. Kirchgemeinde Wil,<br />
danke ich herzlich für den Zugang zu den Orgelakten.<br />
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