#8 Identität
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
philou.
AUSGABE 8
THEMA: IDENTITÄT
UNABHÄNGIGES STUDIERENDENMAGAZIN AN DER RWTH AACHEN UNIVERSITY
„Laß mich nachdenken: War
ich noch dieselbe, als ich
heute früh aufstand? Ich
meine fast mich zu erinnern,
daß ich mich ein wenig
anders gefühlt habe. Aber
wenn ich nicht dieselbe
bin, erhebt sich als nächste
Frage:
‚Wer in aller Welt bin ich?‘
Ja, das ist doch das große
Rätsel!“
ALICE IM WUNDERLAND
LEWIS CARROLL (1865)
Editorial
Liebe Leser_innen,
nicht nur Lewis Carrolls Alice denkt über diese komplexe
Frage nach, seit jeher zerbrechen sich zahlreiche Philosoph_innen,
Psycholog_innen, Neurowissenschaftler_innen
und Soziolog_innen den Kopf darüber, wer wir sind und was
Identität überhaupt ist – oder sein kann.
René Descartes (1596–1650) schlussfolgert: Cogito ergo sum
– ich denke, also bin ich. Aber was ist das Ich? Und woraus
leiten wir dieses Ich ab? Leiten wir dieses Ich aus unseren
Empfindungen ab, müsste es doch reichen, dass wir ein Ich
fühlen, um zu bestätigen, dass es ein solches gibt. Der Soziologe
Niklas Luhmann (1927–1998) schreibt: „Man ist
Individuum, ganz einfach als der Anspruch, es zu sein. Und
das reicht aus.“
Aber streben wir nicht alle danach, ein Jemand in einem bestimmten
Kontext zu sein? Bei der Suche nach der eigenen
Identität passen wir uns auch der jeweiligen Gesellschaft
an und fühlen uns wohl, wenn nicht sogar bestätigt, einer
Gruppe zugehörig zu sein (S. 6).
Identität & Kollektiv: Was bedeutet Identität in der heutigen
globalisierten Welt? Entscheidet die Herkunft über
die Identität und wie findet Identitätsbildung entlang der
ethnischen Dimension statt? (S. 12) Und was geschieht mit
dem Individuum, wenn es sich in ein Kollektiv begibt? Das
Kollektiv vereint die einzelnen und suggeriert ihnen ein Gefühl
von Stärke und Verbundenheit – nur wie sieht eigentlich
die innere Logik solcher Kollektive aus? (S. 14) Eine
solche kollektive Identität birgt jedoch auch die Gefahr, in
extreme Strömungen zu konvergieren, wie es die Historie
schon so oft gezeigt hat (S. 17). „Ich, wir und die anderen“ –
das zeigt auch die Ost-West-Divergenz in Deutschland im
Kontext der Wiedervereinigung (S. 20). Das „Wir-Gefühl“
ist letztlich auch der Inbegriff kultureller Identität, die trotz
– oder aufgrund – einschneidender gemeinsamer Erlebnisse
im Sinne eines kollektiven Gedächtnisses zu Zusammenhalt
und Zuversicht führen kann (S. 24).
Aristoteles schreibt „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner
Teile“. Aber wie bilden sich diese Einzelteile? Und in
welchem Verhältnis stehen sie zum Ganzen?
Identität & Individuum: Ist es nicht gerade die Sprache, die
das Individuum mit dem Kollektiv verbindet? Sprache ist
unser Werkzeug zur Außenwelt und beschreibt den Schlüssel
zum Selbst- sowie Weltverständnis (S. 30). Die Sprache
ist aber ebenso der Ausdruck unserer Persönlichkeit. Was
geschieht, wenn wir durch unsere Sprache, unsere Kommunikation,
ein falsches Bild von uns erzeugen? Inwieweit
wirken sich Lügen auf unsere Identität aus und wo ist der
Übergang zur Scheinidentität? (S. 34) Letztlich glauben wir
doch an uns selbst und sehen den Kern unserer Persönlichkeit.
Dahinter steht die Realität hinter dem „Ich“ – ohne
diese wankt unser Identitätsgefühl und wir neigen stärker
dazu, von anderen abhängig zu werden. Deren Zustimmung
oder Ablehnung wird somit zur Grundlage unseres Identitätsgefühls,
die uns auch in der Liebe begegnet. In ihr tauschen
wir unsere Autonomie gegen die Abhängigkeit von
einer anderen Person. Oder ist es nicht vielmehr so, dass Abhängigkeit
und Freiheit zwei Seiten der gleichen Medaille
sind? (S. 38). Neben dem Glauben und der Überzeugung
an die Einzigartigkeit des Individuums bewegen wir uns
auf einem schmalen Grat zwischen Selbst- und Fremdbestätigung
– erkennen wir uns nicht nur im Austausch und
im Vergleich mit anderen als das, was wir sind? (S. 42) Im
Lebenszyklus sind wir ständig Krisen und Störungen ausgesetzt,
die ein Teil von uns und damit unserer Identität werden
können – insofern wir diese reflektieren und aufarbeiten.
Sind es dann nicht unsere individuellen Erfahrungen, die
uns auszeichnen? (S. 45)
Oder sagen wir es einfach mit Gertrude Stein (1874–1946):
„Rose is a rose is a rose is a rose.”?
Wir freuen uns, diese und weitere Fragen sowie Problemstellungen
mit euch teilen zu können und präsentieren euch
nun die achte philou. Durch den Fokus auf die Diversität
und Interdisziplinarität der Themen wollen wir zeigen, dass
das inneruniversitäre Gespräch eine der höchsten Prioritäten
im Studium genießen muss. Wir wollen euch hiermit Anreize
zu neuen Überlegungen liefern und hoffen, dass euch
die achte Ausgabe genauso gefällt wie uns!
Eure philou. Redaktion
VERFASST VON ANN-KRISTIN WINKENS
philou.
Anzeige
Erfolgreiche Mitarbeiter sind kein Zufall!
Arbeitgeber suchen nach Persönlichkeiten, die aufgrund
ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen perfekt in das gesuchte
Profil passen, während Arbeitsuchende bestrebt
sind eine Tätigkeit zu finden, die ihrer Persönlichkeit entspricht.
Diese Idealkonstellation zu finden ist eine sehr
aufwendige Angelegenheit. Es sei denn, man baut auf die
onlinebasierten Services von e-stimate, dem Pionier im
Bereich webbasierter Analyse-Tools für das Personalwesen.
Seit 1982 entwickelt und liefert e-stimate Tools für Persönlichkeits-
und Teamprofile als Grundlage für alle erdenklichen Analysen
im Personalwesen. Dieses Know-how transferierte das
Team um den Dänen Jørgen C. Friis in das Medium «World
Wide Web» und bietet somit die jahrelang erprobten Tools seit
2000 auch online an. Dank dieser digitalen Expansion können
sämtliche Analysen noch präziser, relevanter, schneller und
vor allem auch kostengünstiger angeboten werden. Doch aller
Technologie zum Trotz: Es gibt einige Faktoren im Bewerbungsprozess,
die sich nie verändern werden.
mehr Fällen ein Burnout bei einem der Betroffenen. Und das
alles nur, weil wichtige soziale Faktoren zu wenig berücksichtigt
wurden. Denn heutzutage werden komplexe Aufgaben meist in
variierend zusammengesetzten Projekt-Teams gelöst.
Fördern Sie Persönlichkeiten.
Mitarbeiter sind Menschen mit eigenen Zielen und Träumen.
Unterstützt man Angestellte auf ihrem individuellen Weg, so
steigt in der Regel auch die Loyalität zum Arbeitgeber, von
der Motivation ganz zu schweigen. Mit einer gezielten Förderung
von Talenten und dem Erschließen schlummernder
Potenziale legen Unternehmen den Grundstein für den Erfolg
von morgen. Es gilt also, einen gemeinsamen Nenner zu finden,
zu fördern – und auch wieder einzufordern. Jetzt müssen
Sie nur noch herausfinden, wo die Gemeinsamkeiten sind:
info@e-international.com
Nehmen Sie es persönlich.
Ein gutes Betriebsklima ist der Humus, aus dem jeder Erfolg
erwächst. Was nützt ein fachlich hochkompetenter Mitarbeiter,
wenn er menschlich nicht in eine bestehende Personalstruktur
passt? Die Chemie aller Beteiligten muss passen, sonst drohen
Disharmonie, unproduktive Konkurrenzkämpfe und in immer
e-international GmbH
Schweiz (Hauptsitz)
Kanalweg 8, 3322 Schönbühl-Bern
Tel.: +41 44 586 4662
www.e-stimate.ch
Deutschland
Filderstraße 45, D-70180 Stuttgart
Tel.: +49 711 72 24 68-56
info@e-international.com
Inhalt
06 Wer bin ich?
Typologien und Persönlichkeitskategorisierung
Ann-Kristin Winkens
IDENTITÄT & Kollektiv
12 Herkunft = Identität?
Hybride Identitäten als Reaktion auf
die globalisierte Welt
Sofia Eleftheriadi-Zacharaki
Meine Herkunft ist meine Identität: Eine
Gleichung mit unendlich vielen Lösungen
14 Schwarmidentität
Thomas Sojer
Das Ganze ist mehr als die Summe
seiner Teile: Über das Identitätsgefühl in
Massenbewegungen
17 Von den nationalrevolutionären
Denkern Weimars zur Identitären
Bewegung und Neuen Rechten
Arno Weiß
Kollektive Identität im Zentrum rechtsradikaler
Argumentationen
20 Deutsch-deutsche Befindlichkeiten
Jan Korr
Ein Exkurs über Identität, Entfremdung und die
Frage nach dem Autoritären im Kontext der
deutschen Wiedervereinigung
24 Identität und Technik –
Küstenschutz als Sinnbild des Wir-
Gefühls auf den nordfriesischen
Halligen
Christina Krüger
Erfahrungen im Kollektiv: Wie gemeinsames
Leid gemeinsame Zuversicht erzeugt
IDENTITÄT & Individuum
30 Du bist, was du sprichst
Cristina García Mata
Der Schlüssel zur Welt: Wie Sprache unser
Selbst- und Weltverständnis prägt
34 Lie to me
Svenja Blömeke
Die ganze halbe Wahrheit: Lügen als
Drahtseilakt zwischen Unwahrheit und
Scheinidentität
38 Im Wir zum Du zum Ich –
Versuch über Liebe und Person
Caner Dogan
Freiheit und Abhängigkeit: nur zwei Seiten der
gleichen Medaille
42 Sich selbst machen – oder auch
gemacht werden?
Mirko Beckers
„Mach dich zu dem, der du sein sollst“:
Der schmale Grat zwischen Selbst- und
Fremdbestimmung
45 Ich bin, was ich zu erleiden
vermag – Die Konvergenz von
Identität und Resilienz
Ann-Kristin Winkens
Auf der Suche nach der verlorenen
Stabilität: Der Einfluss der Krise auf die
Identitätsentwicklung im Lebenszyklus
philou.rwth-aachen.de
facebook.com/philoumagazin
info@philou.rwth-aachen.de
philou.
Typen
WER BIN ICH?
TYPOLOGIEN UND
PERSÖNLICHKEITSKATEGORISIERUNG
Bereits in der Antike entwickelte sich das Bedürfnis,
Menschen besser zu verstehen. Es gibt mittlerweile
zahlreiche Modelle von Typologien und
Kategorisierungen, die die Diversität und Verschiedenheit
menschlicher Persönlichkeitsmerkmale untersuchen
und aufzeigen sollen. Neben dem Bedürfnis,
Menschen mit ihrem komplexen Denken und Handeln
besser zu verstehen gibt es auch das eigene Bedürfnis,
sich in eine Kategorisierung zu begeben. Durch
die Beschäftigung mit dem eigenen Selbst und der
eigenen Identität, dem Versuch, seine Persönlichkeit
besser zu verstehen, fühlen wir uns wohl und verstanden,
wenn wir einen „Typ“ oder eine Gruppe finden,
der wir uns zugehörig fühlen, mit der wir uns identifizieren
können. Fraglich ist, inwieweit eine noch so
komplexe Typologie den einzelnen Menschen in seiner
Individualität erfassen kann.
THEORETISCHE ANSÄTZE
(NEUZEIT)
TYPENLEHRE NACH C. G. JUNG (1875–1961)
Jung untersuchte im Rahmen seiner analytischen Persönlichkeitspsychologie
vor allem Persönlichkeitsunterschiede.
Im Umgang mit seinen Patienten stellte er
fest, dass Menschen abhängig von ihren individuellen
Weltansichten unterschiedlich therapiert werden
müssen. Aufbauend auf dieser Erkenntnis entwickelte
er eine Typologie, die auf der Kombination von vier
psychischen Grundfunktionen (Empfinden, Intuieren,
Denken, Fühlen) und zwei grundlegenden Einstellungen
(extravertiert und introvertiert) basiert. Nach Jung
verfügen alle Personen über diese Grundfunktionen
und Einstellungen, sie unterscheiden sich jedoch in
ihren relativen Ausprägungen.
FUNKTIONEN
EINSTELLUNGEN
Extrovertiert
Introvertiert
DER BARNUM-EFFEKT
Empfinden
(Sensation)
Realistisch, fantasielos,
genießerisch
Kunstlerisch, an eigener
Erlebenswelt interessiert
„A LITTLE SOMETHING FOR
EVERYBODY“
Der Barnum-Effekt (oder Forer-Effekt)
kennzeichnet die
menschliche Tendenz, vage
und generische Aussagen
über die eigene Person als
passende Beschreibung zu
akzeptieren. Klassische Barnum-Aussagen
beziehen sich
auf häufig vorkommende
Wünsche und Ängste und sind
mehrdeutig zu verstehen.
Intuieren
(Intuition)
Denken
(Thinking)
Fühlen
(Feeling)
Leicht gelangweilt,
Möglichkeiten
offenlassend, nicht
verharrend
Tatsachenorientiert,
objektiv, logisch, praktisch
Taktvoll, konservativ,
hilfsbereit, emotional,
sprunghaft
Träumerisch, fantasievoll
Ideenorientiert,
philosophisch,
denkerisch
Non-konform, kühl,
reserviert
Abbildung: Rauthmann, J.F. (2017): Persönlichkeitspsychologie: Paradigmen – Strömungen
– Theorien. Wiesbaden: Springer Verlag.
6
Identität
MYERS-BRIGGS-TYPINDIKATOR:
16 PERSONALITIES
Der Typenindikator von Katherine Cook Briggs
und ihrer Tochter Isabel Myers (1958) greift
die von C.G. Jung entwickelte Typologie auf
und die Forscherinnen führten darauf aufbauend
Messreihen durch. Der Indikator beschreibt
einen Test, mit dem die Jungschen
Typen ermittelt werden sollen. Basierend auf
den von Jung festgelegten vier psychologischen
Kategorien Empfinden, Intuieren, Denken
und Fühlen ergibt sich eine vierstellige
Buchstabenkombination, sodass insgesamt 16
Persönlichkeitstypen möglich sind.
E
S
T
J
Extraversion
Sensoring
Thinking
Judging
I
N
F
P
INTJ – Architect (Analyst)
https://www.16personalities.com/de
Introversion
Intuition
Feeling
Häufigkeit: 2% der Bevölkerung
(Frauen sind unter ihnen mit 0,8 %
besonders selten)
Perceiving
+ Kreatives und strategisches Denken
+ Hohes Selbstbewusstsein
+ Unabhängig und entschlossen
+ Fleißig und zielstrebig
+ Aufgeschlossen
– Arrogant
– Wertend und voreingenommen
– Verkopft
– Abneigung gegen starre Strukturen
– Planlos in der Liebe
INFJ – Advocate (Diplomat)
Häufigkeit: selten (weniger als 1%
der Bevölkerung)
+ Kreativ
+ Inspirierend und überzeugend
+ Entschlossen
+ Leidenschaftlich und zielstrebig
+ Altruistisch
– Empfindlich
– Perfektionistisch
– Hohes Burnout Risiko
– Zurückgezogen
ESTJ – Executive (Wache)
Häufigkeit: häufig (knapp 11% in
demokratischen Gesellschaften)
+ Engagiert
+ Willensstark
+ Ehrlich und direkt
+ Loyal, geduldig und zuverlässig
+ Organisationstalent
– Unflexibel und stur
– Voreingenommen und wertend
– Bevorzugt bekannte Situationen
– Auf sozialen Status fixiert
– Schwierig im Ausdruck von Gefühlen
– Kann nicht entspannen
ESTP – Entrepreneur (Forscher)
Häufigkeit: 4% der Bevölkerung
+ Mutig
+ Rational und praktisch veranlagt
+ Scharfsinnig
+ Kreativ
+ Direkt und ehrlich
+ Gesellig
– Unsensibel
– Ungeduldig
– Risikofreudig
– Unstrukturiert
– Trotzig
– Kein Blick für das„große Ganze“
7 philou.
EMPIRISCH-
WISSENSCHAFTLICHER ANSATZ
BIG FIVE (FÜNF-FAKTOREN-MODELL)
Entgegengesetzt zur Idee, Persönlichkeiten in Typen
zu kategorisieren, basiert dieser Ansatz auf der sog.
„lexikalischen Hypothese“, d.h. auf der Annahme, dass
alle wichtigen Eigenschaften der menschlichen Persönlichkeit
durch Eigenschaftswörter einer Sprache
repräsentiert sind. Mit Hilfe einer Faktorenanalyse
wurden Eigenschaftswörter identifiziert, die gleiche
Persönlichkeitsfaktoren beschreiben. In den meisten
Untersuchungen betrug die Anzahl fünf – daher die
Bezeichnung „Big Five“:
Grafik angelehnt an: Borkenau, P.; Ostendorf, F. (2008): NEO-
FFI: NEO-Fünf-Faktoren Inventar nach Costa und McCrae, Manual.
Göttingen: Hogrefe. 2. Auflage 2008.
o
OPENNESS TO EXPERIENCE
curious vs. cautious
1. Offenheit (O)
Neigung zur Wissbegierde
2. Gewissenhaftigkeit (C)
Neigung zur Disziplin und hoher
Leistungsbereitschaft
3. Extraversion (E)
Neigung zur Geselligkeit und zum Optimismus
4. Anpassungsbereitschaft (A)
Neigung zum Altruismus und zur Kooperation
5. Neurotizismus (N)
Neigung zur emotionalen Labilität und Traurigkeit
Im Englischen wird das Modell auch OCEAN-Modell
genannt – entsprechend der Anfangsbuchstaben
der fünf Faktoren.
c
CONSCIENTIOUSNESS
organized vs. careless
PERSONALITY
nNEUROTICISM
nervous vs. confident
EXTRAVERSION
energetic vs. reserved
e
AGREEABLENESS
friendly vs. challenging
a
8
Identität
HOSTILE-DOMINANT
dD
O
M
I
N
A
N
T
FRIENDLY-DOMINANT
H
O
S
T
I
L
E
h s
HOSTILE-SUBMISSIVE
INTERPERSONAL
CIRCUMPLEX
S
U
B
M
I
S
S
I
V
E
f
F
R
I
E
N
D
L
Y
FRIENDLY-SUBMISSIVE
Grafik angelehnt an: Wagner,
C.C.; Kiesler, D.J.; Schmidt,
J.A. (1995): Assessing the
interpersonal transaction
cycle: Convergence of action
and reaction interpersonal
circumplex measures. In:
Journal of Personality and
Social Psychology. 69. Jg.
1995/05. S.938–949.
INTERPERSONALER
CIRCUMPLEX
Bei der Untersuchung zwischenmenschlichen
Verhaltens greifen
zahlreiche Studien auf den interpersonellen
Ansatz zurück. Der Interpersonal
Circumplex (IPC) geht zurück
auf Timothy Leary (1957) und basiert
auf der Annahme, dass menschliche
Verhaltensweisen, wie Persönlichkeitsmerkmale,
auf einem Kreis
darstellbar sind. Anhand eines Fragebogenverfahrens
werden interindividuelle
Unterschiede persönlichen
Verhaltens erfasst. Auf acht Skalen
mit jeweils acht Ausprägungen werden
alle als problematisch angesehenen
zwischenmenschlichen Aspekte
entlang der Dimensionen „Dominanz“
(dominant) und „Zuneigung“
(submissive) dargestellt.
ESOTERISCHE TYPENLEHRE
STERNZEICHEN
Als Grundlage für eine Typologie
mit zwölf Typen zählt die astronomische
Einteilung eines Jahres
nach Tierkreiszeichen. Hierbei determinieren
der Sonnenstand bei
der eigenen Geburt sowie das Geburtsdatum
den Typ.
VERFASST VON ANN-KRISTIN WINKENS
9 philou.
10
Identität Stadt & Mensch Kollektiv
CHARTA VON ATHEN
DIE FUNKTIONALE STADT
Die EIGEN- Charta UND von Athen FREMDGRUPPEN
ist ein städtebauliches Manifest,
das 1933 im Rahmen des IV. Kongress
Die Eigengruppe ist diejenige Gruppe, der man
der Congrès Internationaux d‘Architecture Moderne
(CIAM) in Athen zum Thema „Die funktiona-
selbst angehört. Fremdgruppen sind entsprechend
diejenigen Gruppen, denen man nicht zugehörig
ist.
le Stadt“ verabschiedet wurde. Mit dem Ziel einer
geordneten Stadtentwicklung wird in dem Manifest
eine Die Wahrnehmung grundsätzliche unterliegt Trennung der dabei urbanen zahlreichen Nutzflächen
Verzerrungen, nach Wohnen indem und die Arbeiten Eigengruppe gefordert. als Maßstab
für die Beurteilung fremder Gruppen gilt.
„Stadtbau kann niemals durch ästhetische Überlegungen
bestimmt werden, sondern ausschließlich
Dabei werden positive Eigenschaften häufig
überschätzt, wohingegen mit der Fremdgruppe
durch funktionelle Folgerungen.“ – eine der Forderungen
im Manifest.
Unsicherheit und Angst vor dem „Unbekannten“
einhergeht. Dadurch wird die Bildung von Vorurteilen
stark begünstigt, die soziale Distanz ist wesentlich
stärker ausgeprägt.
VITRUV
PRINZIPIEN DER ARCHITEKTUR
Vitruv FREMDGRUPPENHOMOGENITÄTS-
war ein Architekturtheoretiker, dessen Werk
De EFFEKT architectura libri decem im gesamten Mittelalter
bekannt war und das seit der Renaissance einen
wesentlichen Beschreibt die Einfluss Tendenz, auf eine architektonische Fremdgruppe Konzepte
Vergleich aufwies. zur Eigengruppe Nach ihm gibt als es homogener drei Hauptanfor-
wahr-
im
derungen zunehmen. an die Architektur: Firmitas (Festigkeit),
Utilitas (Nützlichkeit) und Venustas (Schönheit).
Diese drei Begriffe galten als die grundlegenden
Maßstäbe für die Bewertung von Architektur – sie
mussten alle drei gleichermaßen erfüllt sein.
Nur 21% der Deutschen
möchten in einer Großstadt
leben. Tatsächlich leben
allerdings 31% der Deutschen
in den Großstädten.
GRUPPENKOHÄSION
Beschreibt die Stärke des Zusammenhalts bzw.
der Beziehungen,
1,8 Millionen
die die Mitglieder
Wohnungen
einer Gruppe
an die Gruppe in Deutschland bindet. Die Kohäsion stehen hängt leer,
vor allem während von der 860.000 individuellen Menschen Attraktivität ab, in
die das
Deutschland
Individuum mit
wohnungslos
der Gruppe verbindet.
sind.
Je größer die eigenen Vorteile wahrgenommen
werden, desto höher ist auch das Zugehörigkeitsgefühl
zur Gruppe.
YUPPIE
YOUNG URBAN PROFESSIONAL (PEOPLE)
KOLLEKTIVES GEDÄCHTNIS
Junger, karrierebewusster, großen Wert auf seine
äußere
Teilen Gruppen
Erscheinung
Erlebnisse
legender
oder
Stadtmensch,
Geschichten
Aufsteiger.
über die gemeinsame
(Duden)
Vergangenheit, die ihr gegenwärtiges
Selbstbild prägen, spricht man von
Anleitung: einem kollektiven Wie werde Gedächtnis. ich ein Yuppie
https://de.wikihow.com/Sich-wie-ein-
Yuppie-kleiden
SUBURBANISIERUNG
Suburbanisierung beschreibt den Abwanderungsprozess
der Stadtbevölkerung, der Industrie
und des Dienstleitungsgewerbes ins städtische
Umland. Die Zentralität der Stadt wird in Frage
gestellt und nimmt ab.
11 philou.
Opener
HERKUNFT = IDENTITÄT?
Hybride Identitäten als Reaktion auf die
globalisierte Welt
SOFIA ELEFTHERIADI-ZACHARAKI
LEHRAMT GERMANISTIK/ANGLISTIK
In der Fremde zu sein bzw. dort die oder der Fremde zu
sein, zwingt zur Reflexion über die eigene Identität. Das
Überqueren von geographischen, politischen oder kulturellen
Grenzen und das damit verbundene Nicht-Angehören
zu einem bestimmten, gefestigten Territorium bzw. das
Aufwachsen in einer Bi- bzw. Multikulturalität, nimmt der
Identität ihre Selbstverständlichkeit und führt immer wieder
zur Konfrontation mit der Frage nach ebendieser Identität.
Deutschlands Bevölkerung ist im Zuge der Gastarbeiteranwerbung
der 50er/60er Jahre diverser und bunter geworden.
Derzeit haben 23% der Bevölkerung einen sogenannten
Migrationshintergrund. Obwohl viele von ihnen bereits in
zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben, dort
geboren, aufgewachsen und sozialisiert sind und noch nie in
einem anderen Land gelebt haben, werden sie in Statistiken
als Ausländerinnen und Ausländer verzeichnet. Und auch
außerhalb statistischer Erhebungen werden Migrantinnen
und Migranten, ob wegen ihres Aussehens, ihres Namens,
mit ihrer Andersartigkeit konfrontiert und somit impliziert,
sie würden noch immer nicht dazugehören, da sie doch anders
seien als die Mehrheit.
Identität greifbar zu machen, ist schwierig. Bei Migrationserfahrungen
erschwert das die Identitätsfindung umso mehr.
Migration scheint eine eindeutige Zugehörigkeit unmöglich
zu machen. Menschen und Gruppen, die über Generationen
hinweg in Deutschland leben und sich dort ein Zuhause und
einen Freundeskreis aufgebaut haben, stehen gleichzeitig in
engem Kontakt zu ihrer Familie im Heimatland und fühlen
sich ihnen verbunden. Sie feiern die hiesigen Feiertage und
Feste sowie auch diese, die sie aus Kindheitstagen oder durch
ihre Vorfahren kennen. Ihr Leben ist nicht einzig und allein
durch eine eindeutige Zugehörigkeit geprägt, sondern durch
eine mehrfache und kombinierte Zugehörigkeit – und damit
verbunden allen Chancen und Herausforderungen, die
diese Zugehörigkeiten mit sich bringen.
Abhängig davon, welcher Beweggrund zur Migration geführt
hat und welche Erfahrungen Migrantinnen und Migranten
12
Identität & Kollektiv
im Aufnahmeland gemacht haben, wird der Einfluss, den
die Heimatkultur auf die Identität von Migrantinnen und
Migranten hat, unterschiedlich sein: Die einen leben die
Kultur ihres Herkunftslandes auch in ihrem neuen Land
offen aus, die anderen wollen diese ablegen, sich assimilieren,
deutsch werden. Und dann gibt es noch diese, die ein
Mittelmaß beibehalten wollen. Von Generation zu Generation
mag sich dies unterscheiden.
Aber die Frage lautet, was bedeutet Identität in unserer heutigen
schnell wandelnden, globalisierten und multikulturellen
Welt? Die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen
machen biographische Diskontinuitäten zum Normalfall,
gerade im Kontext von Migrationen. Die klassischen Identitätsmodelle
können in dieser Postmoderne nicht mehr gelten,
Identität ist flexibel, offen und ohne festen Kern zu verstehen,
daher ist sie nie abgeschlossen und vollkommen, sondern
wandelbar. Die Annahme, dass es einen festen Identitätskern
gebe, der sich in der Kindheit und Adoleszenz herausbilde
und zum Ende der Adoleszenz weitgehend gefestigt
sei, kann im Kontext von Migration nicht gestützt werden.
Durch die Auflösung von klaren nationalen und kulturellen
Zugehörigkeiten sind die „großen kollektiven Identitäten
der Klasse, der ‚Rasse‘, des sozialen Geschlechts und der
westlichen Welt“ (Hall 1994) nicht mehr zeitkonform und
somit auch nicht mehr als homogene Gruppen zu verstehen.
Aus diesem Grund wurden neue und an die gesellschaftliche
Wandlung angepasste Identitätsmodelle entwickelt. Hier
steht die Verknüpfung einzelner, scheinbar miteinander unvereinbarer
Elemente aus diversen Kulturen im Mittelpunkt,
wie beispielsweise die „segmentierte Identität“ (Pries), die
„Patchwork-Identität“ (Keupp), die „Sowohl-als-Auch-Identität“
(Beck) oder die „hybride Identität“ (Bhabha).
All diese Modelle zeichnen sich durch ein nebeneinanderher
Existieren vermeintlich widersprüchlicher Elemente aus.
Bei der hybriden Identität beispielsweise ist Identität als
Konstrukt anzusehen, welches sich aus Diskursen, Interak-
tionen und kulturellen Begegnungen entwickelt. Historische,
kulturelle oder politische Erfahrungen gestalten und
prägen Identität (vgl. Hall 1994). Hybridität lässt sich daher
„re-interpretieren als Fähigkeit, sich aktiv zu verhalten
gegenüber den differenzierten Anforderungen ‚ethnischer‘/
kultureller Vielfalt in den gegenwärtigen Gesellschaften“
(Räthzel 1999). Die Chance für jede und jeden einzelne/n
liegt hier in der Kompetenz, durch den Rückgriff auf verschiedene
kulturelle Erfahrungen mehr Ressourcen für die
eigene Handlungsfähigkeit entwickeln zu können und somit
flexibler und weitsichtiger auf die Anforderungen des
modernen Lebens reagieren zu können.
Solche Identitätsmodelle folgen der Auffassung, dass „jeder
Mensch an mehreren, sich widerstreitenden, aber koexistierenden
Kulturen teilhat, seine individuelle Identität also aus
der Verarbeitung unterschiedlicher, koexistierender kollektiver
Identitäten erwächst“ (Geiger 1987). Migration kann
also als Chance sowohl für die Migrantin und den Migranten
selber (im Sinne eines Autonomiegewinns) als auch für
die Gesellschaft (im Sinne von Kulturentwicklung) sein.
Bundeszentrale für politische Bildung
(Hg.) (2018): Bevölkerung mit Migrationshintergrund
I. Online verfügbar
unter: http://www.bpb.de/wissen/NY3S-
WU,0,0,Bev%F6lkerung_mit_Migrationshintergrund_I.html.
[Zugriff: 20.06.2019].
Geiger, K.F. (1987): Kulturelle Identität –
Kritische Anmerkungen zur Diskussion über
Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik.
In: Köstlin, K. (Hg.): Kinderkultur. Bremen.
S. 219–236.
Hall, S. (1994): Rassismus und kulturelle
Identität. Ausgewählte Schriften 2. Hamburg:
Argument-Verlag.
Räthzel, N. (1999): Hybridität ist die Antwort,
aber was war noch mal die Frage? In:
Kossek, B. (Hg.): Instruktionen – Interaktionen
– Interventionen.
Hamburg. S. 204–219.
13 philou.
Artikel
SCHWARMIDENTITÄT
THOMAS SOJER
THEOLOGIE (GRAZ)
Im März 2019 wurde Greta Thunberg für den Friedensnobelpreis
nominiert. Manch eine_r spekuliert, dass Glanz
und Ehre der Preisverleihung ihr Anliegen und die daraus
erwachsene Bewegung politisch dressieren und letztlich
den ‚Störfaktor‘ streikender Schüler_innen beseitigen wird.
Die selbstorganisierten Bewegungsteilnehmer_innen sehen
Greta als Initialzündung einer globalen Bewegung und betonen
in den Sozialen Medien, bewusst ohne Führung und
übergeordnete Institution zu agieren. Betrachten wir Fridays
for Future deshalb einmal gemäß den Kategorien eines
Vogelschwarms, der ebenfalls führungslos und dennoch
überaus elegant seit gut 160 Millionen Jahren funktioniert.
Das oberste Gebot im Himmel heißt Äquilibrium: Fokussieren
sich die Vögel zu sehr auf einen ausgewählten Leitvogel,
zerbricht der Schwarm und das zuvor führungslose
Kollektiv liefert sich im Kampf um Nähe und Distanz zum
Leitvogel gegenseitigen Rivalitäten und Konflikten aus (vgl.
Horn 2015: 26).
Menschenschwärme irritieren: Eine Masse von Menschen
ist von außen intransparent. Vor allem, wenn sie spontan
und schwer einordbar auftritt (vgl. König 2017: 26f.). Die
Geschlossenheit gibt den Teilnehmer_innen im Bauch des
kollektiven Wals das Gefühl der Stärke und Sicherheit. Andererseits
verunsichert sie die, die der Masse gegenüberstehen.
Die Masse der auf dem Platz gegenwärtigen Körper
bildet Kohärenz (vgl. Stäheli 2015: 89). Im Schwarm des
mit ‚echten‘ Körpern gebildeten Wir entsteht ungeplant etwas,
das sowohl von innen als auch von außen als ein ‚Mehr
als nur die Summe ihrer Einzelteile‘ erfahrbar wird. Im Wir
erlebt die_der Einzelne das, was dem digitalen Schwarm auf
Instagram und Twitter fehlt, eine Massenseele. (vgl. Han
2013: 20) Zwischen, über und in den zahllosen Gesichtern
herrscht eine gemeinsame Identität. Eine solche spontane,
kollektive Identität folgt ambivalenten Gesetzen des kollektiven
Wiederkennens im anderen. Eine seltene Vertrautheit
beginnt in der Logik des Schwarms ein Eigenleben fernab
jeder äußeren und inneren Kontrolle zu führen. Die soziale
Macht entfesselt, die ohne Führung im Überhitzungseffekt
zu einer einzigen Handlungsmasse zusammenschweißt (vgl.
Tarde 2015: 54). Der einzelne Mensch hört in der unzählbaren
Masse auf, nur eine eingetragene Nummer zu sein
und erfährt gerade dort in der undifferenzierbaren Zugehörigkeit
zum Wir, im Unter- und Aufgehen des schäumenden
Wellenschlags des Menschenmeers eine neue Freiheit
im Zeitalter allgegenwärtiger Überwachung. Trotz der Maximierung
der Öffentlichkeit und Sichtbarkeit schafft die
Masse in ihrer optischen Relativierung und Musterbildung
Anonymität. Dem System nackter Identifizierbarkeit tritt
die geschlossene Identität des Schwarms aus Namenlosen
entgegen (vgl. Abels 2010: 375).
Menschenschwärme sind Spiegelkabinette der Identität: Die
Bedeutung der Musterbildung resoniert schon im etymologischen
Ursprung des Begriffs Identität. Das lateinische
Demonstrativpronomen idem deutet das Wiederauftreten
derselben Person oder Sache an und impliziert damit eine
ontologische Kontinuität (vgl. Ricoeur 1996: 151). Die Bedeutung
des Wiederauftretens desselben bahnt sich schließlich
ihren Weg in die Nationalsprachen und wird vor allem in
14
Identität & Kollektiv
der Wissenschaftsgeschichte zum Standardwortschatz dafür,
dass verschiedene Dinge als identisch erscheinen. Trotz der
Vielfalt an Kontexten und historischen Entwicklungen ist
dem Begriff Identität die Bedeutung des Wieder-auftretens,
wenn auch meist versteckt und implizit, erhalten geblieben:
nicht nur zeitlich als Wiederholung und Wiederkehr, sondern
auch räumlich, als dem gleichzeitigen Vorhandensein
der immergleichen Sache räumlich oder bildlich nebeneinander.
In diesem Sinne zeichnet sich die Identität eines
Schwarmes vor allem durch das Wiederauftreten des Eigenen
im Anderen aus (vgl. ebd.).
Menschenschwärme folgen sozialen Algorithmen: Das statische
Konzept eines Musters wird der Wirklichkeit ambivalenter,
dynamischer und fragmentierter Verhaltensoptionen
des Schwarms wenig gerecht. Eine effektivere Beschreibung
erlaubt die Schwarmtheorie von Craig W. Reynolds, der
Anfang der 1980er beim Betrachten eines Vogelschwarms
den Einfall hatte, ein theoretisches Konzept zu entwickeln,
welches Schwarmverhalten von Fischen, Vögeln und Insekten
rechnerisch rekonstruiert (vgl. Vehlken 2015: 147f.).
Reynolds kam zu dem Schluss, dass es zum längerfristigen
Zustandekommen eines Schwarms drei zentraler Faktoren
bedarf:
I. Kohäsion: Jedes Subjekt bewegt sich unaufhörlich auf
jenen (nicht real vorhandenen) Mittelpunkt zu, den es
in der Gruppe der anderen Subjekte immerzu ausfindig
macht.
2. Separation: Kein Subjekt darf einem anderen Subjekt zu
nahekommen und muss gegebenenfalls Distanz suchen.
3. Alignment: Jedes Subjekt bewegt sich bestmöglich in dieselbe
Richtung der anderen Subjekte.
Übertragen wir die drei Faktoren auf das soziale Phänomen
von Menschenschwärmen, ergeben sich folgende Vorbedingungen:
(1) Kohäsion: Innerhalb der Masse muss sich ein
‚diskursiver‘ Mittelpunkt herausbilden: ein Thema, ein Anliegen,
ein geteiltes Problembewusstsein. Im Fall von Fridays
for Future: Klimaschutz hat eine Deadline und diese
ist heute. Dies gilt als ungeschriebenes Gesetz, das ohne
genaue Definition und Erklärung auskommt (2) Separation:
Es kommt nicht zur Vergesellschaftung oder nachhaltigen
Gruppenbildung, die Teilnehmer_innen nehmen sich
als eigenständig und frei wahr: Sie stellen sich der Masse
sozusagen als parteilose Individuen für die Dauer der Ansammlung
körperlich, visuell und akustisch ‚zur Verfügung‘.
Die Zugehörigkeit zum konkreten Schwarm beschränkt
sich auf das aktuelle Auftreten dieses einmaligen Ereignisses,
eine neue Versammlung bedeutet immer einen vollkommen
neuen Schwarm. Fridays for Future ist keine Organisation.
Jede_r entscheidet jeden Freitag aufs Neue ob sie_er hinge-
15 philou.
hen will oder nicht. (3) Alignment: Die ‚agency‘ und folglich
auch die Verantwortung wird von den Teilnehmer_innen
an den Schwarm übergeben. Niemand im Schwarm agiert,
sondern alle re-agieren nach den Gesetzen des Schwarms.
Fridays for Future verkörpert diesen Transfer von agency besonders
im Selbstverständnis des ‚Streiks‘.
Gesellschaften sakralisieren, Schwärme sollten es nicht: Im historischen
Regelfall produzieren Prozesse der Kollektivbildung,
spontan oder geleitet, auf kurz oder lang eine „Sakralisierung
der Führung“ (Moebius 2018: 41f.). Damit soll das Wiedererkennen
des Eigenen in der gemeinsamen Heldenfigur
ermöglicht werden. Diese_r Held_in übernimmt die ‚agency‘
und in ihrer_seinem Gefolge bilden sich Hierarchien heraus,
die im Weiteren eigene Institutionen ausformen. Im
Schwarm ist die Trägerschaft der ‚agency‘ hingegen nicht
mehr eindeutig feststellbar. Zwar zeigt sich im intransparenten
Gesamtbild eine geschlossene ‚Stoßrichtung‘, die im
Sinne einer von allen anverwandelten gemeinsamen Identität
in den einzelnen Individuen ‚wieder-auftritt‘. Letztlich kann
aber kein eindeutiger Ursprung einer ‚agency‘ festgemacht
und damit von außen beeinflusst oder kontrolliert werden.
Dieser Umstand erklärt, warum spontane Massenbewegungen
für traditionelle Institutionen, deren ‚agency‘ klar
definiert und ausgeführt wird, als unberechenbare Gefahr
gesehen werden. Ohne eine zentrale Führung erlebt unsere
Gesellschaft Butterflyeffekte der Mobilisierung: Menschen
kommen wie aus dem Nichts und füllen ohne Vorwarnung
Straßen und Plätze.
Bei Fridays for Future sehen wir zur Zeit, wie die etablierten
Institutionen mit einer klaren ‚agency‘ von außerhalb die Sakralisierung
der Heldenfigur Greta Thunberg mit Auszeichnungen
und Preisverleihungen vorantreiben, um letztlich
einen identifizierbaren, verwundbaren und damit lenkbaren
Punkt im Schwarm zu erzeugen. Es bleibt abzuwarten,
ob der Schwarm abreißt, oder es sogar zum ‚Mushrooming‘
vieler neuer unabhängiger Klimaschutzbewegungen
kommt und schließlich ein nicht mehr einzufangender Superschwarm
die Wende bringt.
Abels, H. (2010): Identität. Wiesbaden: Springer
Verlag.
Han, B.-C. (2013): Im Schwarm: Ansichten des
Digitalen. Berlin: Matthes & Seitz.
Horn, E. (2015): Schwärme – Kollektive ohne
Zentrum. Einleitung. In: Horn, E.; Gisi, L.M.
(Hg.): Schwärme – Kollektive ohne Zentrum:
Eine Wissensgeschichte zwischen Leben und Information.
Bielefeld: transcript. S. 7–26.
Moebius, S. (2018): Die Sakralisierung des Individuums.
Eine religions- und herrschaftssoziologische
Konzeptionalisierung der Sozialfigur des
Helden. In: Rolshoven, J.; Krause, T.J.; Winkler,
J. (Hg.): Heroes – Repräsentationen des Heroischen
in Geschichte, Literatur und Alltag. Bielefeld:
transcript. S. 41–67.
König, R. (2017): Soziologische Studien zu
Gruppe und Gemeinde. Wiesbaden: Springer
Verlag.
Ricoeur, P. (1996): Das Selbst als ein Anderer.
München: Wilhelm Fink.
Stäheli, U. (2015): Emergenz und Kontrolle in
der Massenpsychologie. In: Horn, E.; Gisi, L.M.
(Hg.): Schwärme – Kollektive ohne Zentrum:
Eine Wissensgeschichte zwischen Leben und Information.
Bielefeld: transcript. S. 85–100.
Tarde, G. (2015): Masse und Meinung. Konstanz:
Konstanz University Press.
Vehlken, S. (2015): Fish & Chips. Schwärme
– Simulation–Selbstoptimierung. In: Horn, E.;
Gisi, L.M. (Hg.): Schwärme – Kollektive ohne
Zentrum: Eine Wissensgeschichte zwischen Leben
und Information. Bielefeld: transcript. S.
125–162.
16
Artikel
Identität & Kollektiv
VON DEN
NATIONALREVOLUTIONÄREN
DENKERN WEIMARS
ZUR IDENTITÄREN
BEWEGUNG UND NEUEN
RECHTEN
ARNO L. WEIß
AUTOMATISIERUNGSTECHNIK
Der Österreicher Martin Sellner ist spätestens seit seiner Festnahme infolge des Christchurch-Attentats
der breiteren Öffentlichkeit bekannt. Der Obmann der Identitären Bewegung (IB) hatte Verbindungen
zu ebendem Australier, der später 50 Menschen erschoss (vgl. Fiedler 2019). In der rechtsextremen Szene
Deutschlands ist er allerdings schon wesentlich länger bekannt und hat mit Guerilla-Marketing, einem
YouTube-Kanal und diversen Publikationen von sich reden gemacht. Sellner steht mit seinem modernen
Look und aktionistischen Politikstil sinnbildlich für die Neue Rechte, deren Teil die IB ist. Trotz dieses
neuen Anstrichs hat der Anschlag offengelegt, dass eine bestimmte Lesart des Identitätsbegriffs als Ausgangspunkt
für Gewalt und Terror dienen kann. Deshalb soll hier versucht werden, sich dieser Möglichkeit
über eine Betrachtung derer Denker zu nähern, die als Impulsgeber und Vorbilder genannt werden.
Martin Sellner selbst hat Philosophie studiert und im Antaios-Verlag des Pegida-Redners und neurechten
Aktivisten Götz Kubitschek einen Gesprächsband zu Martin Heidegger herausgebracht. Heidegger wird
dort zu einem identitären Denker stilisiert (vgl. Sellner/Spatz 2015). Diese Neigung zu Textarbeit und intellektuellem
Habitus ist keine Ausnahme. Inzwischen hat sich innerhalb der Szene ein Kanon etabliert,
der hauptsächlich aus der nationalistischen Bewegung der Weimarer Republik stammt und schon 1949
von Armin Mohler unter dem Sammelbegriff „Konservative Revolution“ zusammengefasst wurde (Mohler/
Weissmann 1949). Dass diese Akteure keineswegs konservativ im bewahrenden Sinne dachten und mindestens
ideologische Sympathien für den Nazistaat zeigten, wird schon aus ihren Biografien und Schriften
klar (vgl. Breuer 1993). Die Linien zur „Konservativen Revolution“ werden heutzutage selbst gezogen:
Neben seinem Dasein als Aktivist betreibt Martin Sellner als Unternehmer den Versandhandel „Phalanx
Europa“. Dort muss man nach pathetischen Fanartikeln für diese Denker nicht lange suchen. Drei von ihnen
sollen im Folgenden exemplarisch porträtiert werden:
17 philou.
Carl Schmitt
Der bereits mit 26 Jahren habilitierte
Staatsrechtler Carl Schmitt profilierte
sich in der Zwischenkriegszeit vor allem
über seine weithin beachteten wissenschaftlichen
Arbeiten. Zentral sind
dabei die Konzepte von Souveränität,
Raum, Volk und Identität. Sein Identitätsbegriff
bezieht sich auf die Identität
von Volk und Führer, also auf ein Identischsein
(vgl. Hacke 2018). Daraus
ergibt sich die Möglichkeit einer demokratischen
Diktatur, die ohne parlamentarische
Komponente funktioniert
– antiliberal, aber nicht notwendig antidemokratisch.
Der Führer artikuliert
und realisiert dabei den politischen
Willen, der dem Volk innewohnt und
schützt ihn vor Zersetzung durch aus
dem Parlamentarismus eingeschleuste,
äußere Kräfte. Prämisse für diese Identität
und damit für die demokratische
Diktatur müsse aber immer eine Homogenität
unter „Ausscheidung oder
Vernichtung des Heterogenen“ (Schmitt
1923: 14) sein. Es überrascht
also nicht, dass er in Berlin eine Tagung
unter dem Titel „Die deutsche
Rechtswissenschaft im Kampf gegen
den jüdischen Geist“ leitete (Schmitt
1936). Bei der IB hallen diese Ideen
wider im Konzept des Ethnopluralismus:
Die Völker sollen voneinander abgeschieden
existieren und leben nach
ihrem inhärenten, eindeutigen und einheitlichen
Willen.
Aus der Homogenitätsbedingung folgt
für Schmitts Demokratieverständnis
die strikte räumliche Begrenzung. Er
lehnte den Völkerbund und den damit
assoziierten Universalismus (vor allem
der Minderheitenrechte) grundsätzlich
ab. Dem Kontext entspringt auch
das Zitat auf Aufklebern im Phalanx-
Shop: „Wer Menschheit sagt, will betrügen“.
Als Gegenentwurf zu den
Menschenrechten schlug Schmitt ein
„Volksgruppenrecht“ vor, das als Ausdruck
souveräner Selbstbestimmtheit
lokal beschränkt gelten sollte (Schmitt
1941: 306).
Ernst Jünger
Während des 1. Weltkriegs war Ernst
Jünger Offizier und publizierte in der
Weimarer Republik die Eindrücke aus
seinen Tagebüchern. Sein Stil war dabei
weniger autobiographisch als ästhetisch.
Er schilderte Eindrücke, Szenen
und nahm dabei die Rolle des Beobachters
ein. Die Veröffentlichungen
„In Stahlgewittern“ und „Der Kampf
als inneres Erlebnis“ sind gezeichnet
von heroischen Soldatenfiguren: Der
Krieg befreit den Menschen von einer
als dekadent empfundenen Zivilisation
und wirft ihn zurück in archaische
ergo natürliche Verhaltensweisen (vgl.
Lühe 2018).
Jünger wurde aber auch politisch expliziter.
1923 publizierte er im NSD-
AP-Parteiblatt „Völkischer Beobachter“
und stritt dort für Hakenkreuz und
Diktatur (vgl. Jünger/Berggötz, 1921:
33). Den im Phalanx-Shop vertriebenen
Aufkleber ziert der Spruch „Weil
wir die echten, wahren und unerbittlichen
Feinde des Bürgers sind, macht
uns seine Verwesung Spaß.“. Bereits
diese im September 1929 verfasste Losung
zeigt auf, welche Lust am Verfall
demokratischer Ordnung Jünger in der
Weimarer Republik verspürte (vgl. Kesting
1969). Obschon er im Vorlauf der
Machtergreifung an seiner autoritären
Haltung festhielt und unzweideutig
antisemitische Schriften (vgl. Jünger
1930) verfasste, bleib er auf Distanz
zum NS-Staat. Jünger lehnte alle
Avancen ab – zu sehr gefiel er sich in
der Rolle des Anarchen und Beobachters.
Als solcher inszenierte er sich auch
nach 1945. Er wurde zu einem allseits
angesehenen Literaten, erntete die Bewunderung
des Bundeskanzlers Kohl.
Arthur Moeller van den
Bruck
Die zweifelhafte Ehre eigener Aufkleber
ist auch Arthur Moeller van
den Bruck vergönnt. Der Literaturgeschichte
ist er vermutlich eher – ohne
Russisch zu können – als der Autor
der Vorworte der ersten deutschen
Dostojewski-Übersetzungen bekannt
(vgl. Voigt 2014: 111). Aber auch politisch
hat er relevante Beiträge verfasst.
Ähnlich wie Schmitt verachtete er die
Weimarer Republik, was er 1923 in seinem
Opus Magnum „Das Dritte Reich“
deutlich machte. Der Begriff feierte damit
zehn Jahre vor der Machtergreifung
sein Comeback. Moeller teilte die
Völker in die Kategorien jung und alt
ein. Das ist hier weniger auf ein geschichtliches
Alter bezogen, sondern
auf eine innere Geisteshaltung. Nur
aus einem jungen Volk könne ein eigener
Stil erwachsen und das Potential
sah er in der schicksalhaften Verbrüderung
Deutschlands und Russlands
(vgl. Lommatzsch 2012). Trotz seiner
national-revolutionären Haltung
lehnte er den Bolschewismus nicht
grundsätzlich ab, sondern sah ihn als
Chance für eine deutsche Expansion
nach Osten. Ziel bleib damals immer
die Errichtung des Reichs, verstanden
als Begriff der vom Staat abgegrenzt
wurde und zu ihm stand wie die eine
Kirche zur Sekte (Moeller 1931: 305).
Nach dem Ende der Sowjetunion und
mit der Etablierung des System Putin
war auch der Widerspruch der intellektuellen
Rechten beendet, den man
zwischen Russland als antiliberalen
Partner und seiner kommunistischen
Realität gesehen hatte. Moellers Ideen
haben in Russland wie Europa vor
allem durch die Popularität des Philosophen
Alexander Dugin wieder an
Präsenz gewonnen, der die Idee einer
eurasischen Identität ins Zentrum seines
Handelns stellt. Dugin sieht im Liberalismus
amerikanischen Stils einen
„Ethnozid“ – Moellers Kernthese heißt:
„Am Liberalismus gehen die Völker zugrunde.“
(Weiß 2017: 196ff.)
18
Identität & Kollektiv
Breuer, S. (1993): Anatomie der Konservativen Revolution.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2. Auflage 1995.
Fielder, M. (2019): Identitären-Chef bekam offenbar Geld
von Christchurch-Attentäter. In: Tagesspiegel, 26.03.2019. Online
verfügbar unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/
hausdurchsuchung-bei-martin-sellner-identitaeren-chef-bekam-offenbar-geld-von-christchurch-attentaeter/24145238.html
[Zugriff:
09.05.2019].
Hacke, J. (2018): Carl Schmitt: Antiliberalismus, identitäre Demokratie
und Weimarer Schwäche. In: Zentrum Liberale Moderne, 2018.
Online verfügbar unter: https://gegneranalyse.de/personen/carl-schmitt/
[Zugriff: 08.05.2019].
Jünger, E. (1930): Über Nationalismus und Judenfrage. In: Süddeutsche
Monatshefte. 27. Jg. 1930/12. S. 845.
Jünger, E.; Berggötz, S.O. (2001): Politische Publizistik 1919 bis
1933. Stuttgart: Klett-Cotta. 2. Auflage 2013.
Kesting, M. (1969): Das Radikale schlechthin. In: Die Zeit,
16.05.1969. Online verfügbar unter: https://www.zeit.de/1969/20/
das-radikale-schlechthin/seite-3 [Zugriff: 08.05.2019].
Lommatzsch, E. (2012): André Schlüter: Moeller van den Bruck. Leben
und Werk. In: George-Jahrbuch 2012/01. S. 318–320.
Dieser verkürzte Überblick soll illustrieren,
welche Denker die intellektuelle
Rechte in Deutschland beschäftigt
und weshalb Identität ein so zentraler
Begriff rechtsradikaler Argumentation
geworden ist. Die politischen Konzepte
der Konservativen Revolution sind
in ihrer Vielfalt natürlich im Laufe der
Jahre stetig neu rezipiert und weiterentwickelt
worden. So beziehen sich
auch zeitgenössische Vordenker der
Neuen Rechten wie Alain de Benoist
oder Götz Kubitschek immer wieder
auf sie. In Deutschland strahlt ihre
Faszination bis weit in die AfD hinein.
Die politischen Konzepte der Neuen
Rechten sind also im Kern nicht neu.
Bei aller Widersprüchlichkeit der globalisierten
Welt ist es wichtig, klar zu
benennen, welch wütende Ablehnung
der universellen Menschenrechte, des
Judentums und der Moderne ihnen allen
im Kern innewohnt.
Moeller van den Bruck, A. (1916): Der Preußische Stil. Breslau:
Korn. 3. Auflage 1931.
Mohler, A.; Weißmann, K. (1949): Die konservative Revolution in
Deutschland 1918 – 1932. Graz: Ares-Verlag. 6. Auflage 2005.
Schmitt, C. (1936): Die Deutsche Rechtswissenschaft im Kampf
gegen den jüdischen Geist. In: Das Judentum und die Rechtswissenschaft.
Ansprachen, Vorträge und Ergebnisse der Tagung
der Reichsgruppe Hochschullehrer des NSRB. Berlin: Deutscher
Rechts-Verlag. S. 14–18.
Schmitt, C. (1923): Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen
Parlamentarismus. Berlin: Duncker und Humblot. 8. Auflage 1996.
Schmitt, C. (1941): Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot
für raumfremde Mächte. Berlin: Duncker & Humblot.
4. Auflage 1991.
Sellner, M.; Spatz, W. (2015): Gelassen in den Widerstand.
Schnellroda: Antaios.
Voigt, S. (2014): Die Akte Moeller van den Bruck. In: Zeitschrift für
Ideengeschichte. Heft VIII/01. München: C.H. Beck. S. 111–113.
Von der Lühe, I. (2018): Ernst Jünger – Die Amoralität des Ästheten.
In: Zentrum Liberale Moderne, 2018. Online verfügbar unter:
https://gegneranalyse.de/personen/ernst-juenger/ [Zugriff:
08.05.2019].
Weiß, V. (2017): Die autoritäre Revolte. Stuttgart: Klett-Cotta. 2. Auflage
2017.
19 philou.
Artikel
DEUTSCH-DEUTSCHE
BEFINDLICHKEITEN
Ein Exkurs über Identität, Entfremdung und die
Frage nach dem Autoritären im Kontext der
deutschen Wiedervereinigung
JAN KORR
POLITIKWISSENSCHAFT
Das „Superwahljahr“ 2019 birgt neben der Europawahl
vor allem drei Landtagswahlen: In Sachsen, Thüringen und
Brandenburg. Alle drei Bundesländer waren einst Teil der
DDR. Die rechtspopulistische AfD gilt in diesen Bundesländern
als Konkurrent für die amtierenden Regierungen.
Städte wie Dresden, Chemnitz, Cottbus oder Köthen sind
synonym für Hochburgen und Austragungsorte etablierter
rechtsextremer Bürger_innenbewegungen (vgl. Rippl et
al. 2018: 44). In Gesellschafts- und Demokratiedebatten
gilt dies vielen als Beweis vor allem für eins: Der demokratisch
gewählte Osten Deutschlands ist auch nach bald 30
Jahren Wiedervereinigung immer noch Sinnbild des autoritäreren
Teils der deutschen Nachkriegsidentität. Eine
Feststellung, die in Ostdeutschland vor allem als eine westdeutsche
Erkenntnis wahrgenommen wird: ein Exkurs in
die deutsch-deutsche Identitätsdebatte.
Der Osten – eine unhaltbare Typologie?
Die Thematisierung des Ostens im Kontrast zu dem Westen
ist an sich bereits der erste Gegenstand dieser Betrachtung:
Was ist der Osten und was ist der Westen? Es handelt sich
vorerst um geographische, ökonomische, historische und
soziale Einheitsdimensionen, deren Entstehung Teil eines
wechselwirkenden Systemkonflikts – des Kalten Krieges –
waren. Die Begriffe wurden umgangssprachlich im Kontext
ihrer groben kulturell sozialisierten Eigenarten verwendet.
Zwei Idiome, die aber mittlerweile seit 29 Jahren Teil der
gleichen Gesellschaft sind. Ist das heutige Sprechen über die
diffusen Entitäten Ost und West nicht ein anachronistischer
Akt, der Gefahr laufen kann, ein stereotypisches Schisma
aus einer anderen Zeit aufrecht zu erhalten? Diese Frage ist
gleichzeitig zu bejahen und zu verneinen.
Struktur des föderalen
Selbstverständnisses
Der föderale Staat Deutschland besteht im Jahr 2019 aus 16
Bundesländern mit regional-historisch gewachsenen Identitäten.
So finden sich in den Bundesländern unterschiedlich
geprägte Regionen hinsichtlich ihrer strukturellen, religiösen
und sozialen Dimensionen. Trotz dieser Heterogenität ist
den neuen wie auch den alten Bundesländern gemein, dass
in ihnen gesellschaftliche bzw. regionale Konflikte existieren.
Um es zu verdeutlichen: Nordrhein-Westfalen ist nicht
Bayern, genauso wenig wie Brandenburg Sachsen ist. In den
alten Bundesländern werden ebenfalls rechtspopulistische
Parteien und Bürger_innenbündnisse gewählt und gegründet.
Parteien wie die NPD (1964), Republikaner (1983) und
DVU (1987) entstanden alle in der Bonner Republik (vgl.
Decker 2007: 12f.). Dennoch waren die Wahlergebnisse der
Bundestagwahl 2017 eindeutig: In den Ländern Sachsen
(25,4%), Sachsen-Anhalt (16,9%), Thüringen (22,5%), Brandenburg
(19,4%) und Mecklenburg-Vorpommern (18,2%)
20
Identität & Kollektiv
erhielt die AfD die höchsten Stimmenanteile bundesweit
(vgl. Bundeswahlleiter 2019). Kann diese Wahltendenz als
Beweis für eine anhaltende Trennung der politischen Kultur
aufgrund der geteilten deutsch-deutschen Vergangenheit
angesehen werden?
Vergleichbare Gesellschaftskonflikte wurden bereits in den
1970ern durch die Cleavage-Theorie in der Wahlforschung
untersucht. Seymour Lipset und Stein Rokkan begründeten
diese makrosoziologische Analyse anhand gesellschaftlicher
Cleavages (Spaltungen) wie Stadt/Land, Arbeit/Kapital,
Kirche/Staat sowie Zentrum/ Peripherie (vgl. Schmitt-Beck
2007: 252f.) und überprüften, inwieweit strukturelle Faktoren
das Wahlverhalten beeinflussten und erklärten. Insbesondere
die Grundsatzkonflikte Arbeit/Kapital sowie Zentrum/
Peripherie können Aufschlüsse über die Bedingungen für das
Wahlverhalten in den neuen Bundesländern liefern.
Protest der Prekarisierten?
Das Thema Rechtsextremismus im Osten wird häufig als
ein Resultat verschiedener Faktoren gesehen, die nach der
verheißungsvollen postsozialistischen und demokratischen
Wende ein strukturelles Defizit in den neuen Bundesländern
erzeugten: Objektive Deprivation durch Deindustrialisierung
und damit verbundene höhere Arbeitslosenzahlen
(vgl. Martens 2010a), ausbleibende Lohnangleichung (vgl.
Thüringen-Monitor 2017: 25; 198) und ein „Elitenaustausch“
von Westdeutschen in ostdeutsche Entscheidungspositionen
(vgl. Vogel 2017: 45f.). Daraus resultierte gleichzeitig
eine starke Abwanderung junger qualifizierter Menschen –
vor allen von Frauen – in die alten Bundesländer (vgl. Martens
2010b).
Die Bilder „posttraumatischer“ Städte mit rechtsextremen
Aufmärschen wie in Bautzen und Hoyerswerda, geben der
innerdeutschen Identitätsdebatte eine scheinbar offensichtliche
Erklärung für rechtes Gedankengut: Soziale Deprivation
und Perspektivlosigkeit führen dazu, dass prekäre
Milieus rechte Parteien wählen. Diese Erklärung gilt in der
Rechtsextremismusforschung in Deutschland durchaus als
ein relevanter Faktor für das Wählen dieser Parteien: Sie ist
aber nicht als ein spezifisches Ost- oder Westphänomen zu
verstehen. So haben prekäre Milieus wie auch Milieus, die
der sozialen Mittelschicht zuzuordnen sind, in großen Teilen
die AfD gewählt, was eine Verringerung der messbaren
sozialen Spaltung zwischen Einkommensgruppen anzeigt
(vgl. Vehrkamp/Wegschaider 2017: 17f.).
Der blinde Punkt der strukturellen
Diskrepanz
Seit 1989 haben die neuen Bundesländer teils starke wirtschaftliche
und finanzielle Entbehrungen erleiden müssen.
Die wirtschaftliche Rehabilitierung ist trotz hoher Stagnationsraten
in den meisten dieser Länder dennoch vorangeschritten
– auch wenn sie immer noch teilweise weit hinter
den alten Bundesländern zurück liegen (vgl. Statistische
Ämter des Bundes und der Länder 2019). Langzeitstudien
wie beispielsweise des Thüringen-Monitors haben ermittelt,
dass die Zufriedenheitswerte bei der gesamtgesellschaftlichen
und persönlichen Einkommensstruktur der Befragten
in Thüringen zwischen 73% und 93% liegen (vgl. Thüringen-Monitor
2017: 60f ). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen
neuere Studien wie der vergleichbare Sachsen-Monitor
(vgl. Sachsen-Monitor 2018: 14ff.). Gleichzeitig bewerten
große Teile dieser Befragten aber eine Unzufriedenheit
und Deprivation in Relation zu den alten Bundesländern.
Eine scheinbar kollektiv empfundene Abwertung, die nicht
zwangsläufig mit persönlicher Einkommens- und Wirtschaftszufriedenheit
korrelieren muss.
Ostdeprivation
„Unter Ostdeprivation wird eine negative Bewertung
der deutschen Einheit sowie die Einschätzung, Westdeutsche
behandelten Ostdeutsche als „Menschen zweiter
Klasse“, verstanden.“ (Thüringen-Monitor 2017: 81)
Die soziale Deprivation ist somit als einzelne Ursachenerklärung
für das Wahlverhalten in den neuen Bundesländern
nicht ausreichend. Ein weiterer Faktor ist das negative politische
Fazit und der Umgang mit vielen dieser Menschen
nach der Auflösung der DDR. Denn mit der Friedlichen
Revolution sahen viele Bürger_innen der damaligen DDR
die Chance auf eine gemeinsame Neubestimmung mit der
damaligen Bundesrepublik. Diese „Prä-Wende-Generation“
hat nach der Wiedervereinigung eine kollektive Abwertung
durch die bundesdeutsche Mehrheitsgesellschaft erfahren.
Als „Migrant_innen“ eines gescheiterten autokratischen
Staates, dessen Zivilgesellschaft ein defizitäres Verhältnis
21 philou.
Die Wahrnehmung vom Osten Deutschlands, als Sinnbild
einer autoritären Gesellschaftsdisposition, führt zu einer
Verhärtung tradierter gesellschaftlicher Konfliktlinien, die
durch eine unterschiedlich stark ausgeprägte strukturelle
Disparität gefördert wird. Dennoch darf man die etablierzur
Demokratie aufweisen sollte, wurden die Ostdeutschen
als rückständig betrachtet und waren angehalten sich in die
bundrepublikanische Gesellschaft zu integrieren (vgl. Kubiak
2018: 27ff.). In den frühen 1990er Jahren waren die Abwertungserfahrungen
gegenüber Ostdeutschen vergleichbar
mit den xenophoben Ressentiments gegenüber Migrant_innen
(vgl. Pates/Schochow 2013). Sinngemäß des Cleavage
Zentrum/Peripherie lagen die finanziellen Ressourcen und
politische Deutungshoheit im Zentrum – der alten BRD –
und die neuen Bundesländer in der Peripherie.
Mit der Rolle der symbolischen Ausländer, den tradierten
Stereotypen aus den Zeiten der Blockrivalität, der ökonomischen
Disparität sowie dem allgemeinen Wegfall der sozialen
Ordnung und ideologischen gesellschaftlichen Norm,
resümierten viele Menschen eine kollektive Negativbilanz
und Fremdheitsgefühle, die in Teilen bis heute noch anhalten.
Deutsch = Westdeutsch?
Mit Hinblick auf die Wiedervereinigung wurde das Narrativ
einer gemeinschaftliche Neugründung Deutschlands für
viele Menschen in den neuen Bundesländern somit lediglich
formal durchgeführt. In Umfragen antworten überdurchschnittlich
viele Menschen in diesen Bundesländern auf die
Frage ihrer Nationalität, dass sie sich zuerst als Ostdeutsche
und dann als Deutsche verstehen würden (vgl. Klein 2014:
196; Förster 2003). Wenn Ostdeutsch ungleich Deutsch ist,
dann lässt es Raum zur Annahme, dass für Menschen mit
einer Ostdeutschen Identität, das was aktuell unter Deutsch
verstanden wird, als Westdeutsch bewertet wird. Eine Wahrnehmung,
die laut dem Soziologen Daniel Kubiak als Erzählung
auch in die Post-Wende-Generation übertragen wird
(vgl. Kubiak 2018: 31). Diese Ostdeutsche-ex negativo-Identität
wird vor allem in gesellschaftlichen Debatten über autoritäre
Phänomene wirksam. Die anhaltende Abgrenzung
oder auch „Othering“ (ebd.: 25) der Ostdeutschen ist nicht
nur Teil der sprachlichen Fortführung von Stereotypen und
Klischees aus dem deutsch-deutschen Konflikt: Sie dient
gleichzeitig als Beleg für eine Projektionsfläche des Autoritären
im Anderen. Ganz nach dem Prinzip: „So wie DIE
sind WIR Deutschen nicht!“ (Klein 2014: 53), offenbart sich
ein westdeutscher Chauvinismus, dessen Selbstverständnis
Rechtsextremismus und autoritären Nationalismus durch
die Staatsgründung der BRD hinter sich gelassen haben
will. Die BRD sei durch das reflektierte Staatswesen – in
Form der Erinnerungskultur – und demokratischer Kultur
immun gegen einen gesamtgesellschaftlichen Autoritarismus.
Das „bessere“ Deutschland sah die Autoritären demnach immer
im Anderen: In den Nationalsozialisten, in politischen
Gruppen des Äußeren Randes und im sozialistischen Nachbarstaat.
Eine Haltung, die eine selbstkritische Reflexion trüben
kann und eine Stigmatisierung der neuen Bundesländer
aufrechterhält. Das kollektive Gefühl der mangelnden Anerkennung
von politischen Leistungen wirkt bis in die heutige
Protestkultur in den neuen Bundesländern. Denn wie
eingangs erwähnt, ist die einzige friedliche Revolution in
der deutschen Geschichte von den Bürger_innen der DDR
ausgegangen (vgl. Richter 2018: 30). Die Protestrufe „Wir
sind das Volk!“ werden in einer anlehnenden Tradition an
den Topos der Friedlichen Revolution von 1989 skandiert.
philou.
22
Identität & Kollektiv
ten rechtsextremen Strukturen und Parteien deswegen nicht
relativieren. Strukturell sind sie im Querschnitt der Gesellschaft
vertreten. Aber sie bedienen Narrative der Enttäuschung
und missbrauchen ostdeutsche Demokratietradition.
In der deutsch-deutschen Identitätsdebatte ist die Beschäftigung
mit den Befindlichkeiten und gesellschaftlichen Einbindung
der Menschen in den neuen Bundesländern ein
relevantes Thema, um gegen autoritäre Gesellschaftsstrukturen
vorzugehen. Die politischen Einstellungen und Orientierungen
müssen immer wieder neuverhandelt werden,
um eine Angleichung der politischen Kultur künftig weiter
zu befördern (vgl. Jesse 2014: 294). Die Persistenz von
Entfremdungsgefühlen und Vorurteilen können nur durch
eine kontinuierliche Auseinandersetzung im innerdeutschen
Dialog aufgelöst werden.
Bundeswahlleiter (2019): Bundestagswahl 2017. Online verfügbar
unter: https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2017/ergebnisse.html
[Zugriff: 11.05.2019].
Decker, F. (2007): Parteiendemokratie im Wandel. In: Decker,
F.; Neu, V. (Hg.): Handbuch der deutschen Parteien. Wiesbaden:
Springer Verlag. 3. Auflage 2018. S. 3–40.
Förster, P. (2003): Langzeitwirkungen der DDR-Sozialisation.
Ergebnisse einer wendeüberschreitenden Längsschnittstudie
bei jungen Ostdeutschen. In: Adresen, S. et. al. (Hg.): Vereintes
Deutschland – geteilte Jugend. Ein politisches Handuch.
Wiesbaden: Springer Verlag. S. 143–155.
Schmitt-Beck, R. (2007): Seymour M. Lipset/Stein Rokkan
(Hg.), Party Systems and Voter Alignments: Cross-National Perspectives,
New York/London 1967. In: Kailitz, S. (Hg.): Schlüsselwerke
der Politikwissenschaft. Wiesbaden: Springer Verlag.
S. 251–255.
Jesse, E. (2014): Politik in Sachsen. Sonderausgabe der Sächsischen
Landeszentrale für politische Bildung. Wiesbaden: Springer
Verlag.
Klein, M. (2014): Die nationale Identität der Deutschen. Commitment,
Grenzkonstruktionen und Werte zu Beginn des 21.
Jahrhunderts. Wiesbaden: Springer Verlag.
Pohl, R. (2016): Ostdeutschland im 12. Jahr nach der Vereinigung
– Eine Bilanz nach der wirtschaftlichen Transformation.
In: ApuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte. Band 37–38 2002. S.
30–38.
Richter, F. (2018): Hört endlich zu! Weil Demokratie Auseinandersetzung
braucht. Berlin: Ullstein.
Rippl, S. et. al (2019): Ostdeutsche Identität: Zwischen medialen
Narrativen und eigenem Erleben. In: bpb (Hg.): Deutschland
Archiv 2018, Schriftenreihe der Bundeszentrale für
politische Bildung, Band 10353. Bonn. S. 43–54.
Sachsen-Monitor (2018): Ergebnisbericht Sachsen-Monitor. Online
verfügbar unter: https://www.staatsregierung.sachsen.de/
download/ergebnisbericht-sachsen-monitor-2018.pdf [Zugriff:
28.04.2019].
Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2019): Volkswirtschaftliche
Gesamtrechnung der Länder VGRdL. Arbeitnehmerentgelt
(Inland) 1991 bis 2018. Online verfügbar unter:
https://www.statistik-bw.de/VGRdL/tbls/tab.jsp?rev=RV2014&tbl=tab10&lang=de-DE
[Zugriff: 29.04.2018].
Thüringen-Monitor (2017): Thüringens ambivalente Mitte: Soziale
Lagen und politische Einstellungen. Ergebnisse des Thüringen-Monitors
2017. Online verfügbar unter: https://www.
thueringen.de/mam/th1/tsk/thuringen-monitor_2017_schlussfassung.pdf
[Zugriff: 28.04.2019].
Vehrkamp, R.; Wegschaider, K. (2017): Populäre Wahlen. Mobilisierung
und Gegenmobilisierung der sozialen Milieus bei
der Bundestagswahl 2017. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung.
Vogel, L. (2010): (Ostdeutsche) Politische Eliten zwischen Integration
und Repräsentation, in: Deutsche Gesellschaft e.V. &
Komrex (Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung
und gesellschaftliche Integration) (Hg.): Ostdeutsche
Eliten – Träume, Wirklichkeiten und Perspektiven. S. 45–53.
Online verfügbar unter: https://www.deutsche-gesellschaft-ev.
de/images/veranstaltungen/konferenzen-tagungen/2017-pb-ostdeutsche-eliten/Deutsche_Gesellschaft_eV_Broschuere_Ostdeutsche_Eliten.pdf
[Zugriff: 29.04.2018].
Kubiak, D. (2017): Der Fall „Ostdeutschland“. „Einheitsfiktion“
als Herausforderung für die Integration am Fallbeispiel der
Ost-West-Differenz. In: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft.
12. Jg. 2018/04. S. 25–42.
Martens, B. (2010a): Der entindustrialisierte Osten. In: bpb
(Hg.): Dossier – Lange Weg zur Deutschen Einheit. S. 68–
72. Online verfügbar unter: http://www.bpb.de/geschichte/
deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/ [Zugriff:
29.04.2018].
Martens, B. (2010b): Zug nach Westen. In: bpb (Hg.): Dossier
– Lange Weg zur Deutschen Einheit. S. 139–144. Online verfügbar
unter: http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/
lange-wege-der-deutschen-einheit/ [Zugriff: 29.04.2018].
Pates, R.; Schochow, M. (2013): Der „Ossi“. Mikropolitische
Studien über einen symbolischen Ausländer. Wiesbaden: Springer
Verlag.
23
Anzeige
Sie möchten bauen oder kaufen?
Ein Haus oder eine Wohnung
modernisieren?
o
Gutachten
• Bauphysik, Energiekonzept,
• Thermische Gebäudesimulation
• Machbarkeitsstudien
• Wärmeschutz nach EnEV
• Gebäude-Energiepass gemäß DIN 18599
• Deutsches Gütesiegel Nachhaltiges Bauen
nach DGNB
Babor, Verwaltung, Aachen (Heizung / Kühlung mittels Geothermie)
Wir fördern Ihre Pläne fürs
eigene Zuhause.
Shopping-Center, Montabaur
Huf Haus, Hartenfels, Westerwald - Einfamilienhaus, Qingdao, China (Holzhaus)
• Bauen
• Kaufen
• Sanieren
• Umbauen
Haus
Anbau
Haus
Wohnung
Fenster
Dämmung
Heizung
Wohnkomfort
Umweltgerecht
Energieeffizient
Messtechnische Überprüfung
• Thermografie / Wärmebilder
• Beleuchtungsmessung
• Temperatur- und Feuchtemessungen
• Strom-Lastgang / Monitoring
Weingut VIK, Fasslager / Barrique, Millahue, Chile (Unterirdisch, Foliendach)
Ihr Gewinn
• Maximale Planungssicherheit
• Höhere Produktivität und weniger Unfälle
infolge des besseren Raumklimas
• Kostenersparnis durch die Verringerung der
Betriebskosten Ihres Gebäudes
Hotel Hampton, Aachen
Artikel
Identität & Kollektiv
IDENTITÄT UND TECHNIK
Küstenschutz als Sinnbild des Wir-Gefühls auf
den nordfriesischen Halligen
CHRISTINA KRÜGER
SOZIOLOGIE
Für ein Leben, welches derart vom Meer und dem Wechsel
der Gezeiten geprägt ist, wie jenes auf den nordfriesischen
Halligen, spielt der Küstenschutz eine besondere Rolle. Die
vorwiegend technischen Maßnahmen dienen nicht nur dem
Schutz von Küste und Natur, sondern auch der Sicherheit
der Bewohner_innen. Aufgrund dieses hohen Stellenwertes
von Küstenschutzmaßnahmen kann davon ausgegangen
werden, dass die entsprechende Technik nicht nur als Mittel
zum Zweck dient, sondern auch die kollektive Identität der
Halligbewohner_innen nachhaltig geprägt hat. Im Folgenden
soll daher versucht werden, das Verhältnis von Küstenschutz
und Identität näher zu bestimmen.
Die Halligen im nordfriesischen Wattenmeer sind ein weltweit
einzigartiger, aber auch extremer Lebensraum: Bis zu
zwanzig Mal innerhalb eines Jahres, vor allem im März und
November, werden die Halligen von der Nordsee überspült.
Lediglich die Häuser der Bewohner_
innen liegen in diesem Zeitraum
noch oberhalb der Wasseroberfläche.
Zum Schutz vor einem solchen
Landunter sind diese nämlich
auf Erdhügeln, den sogenannten
Warften, erbaut. Neben den regelmäßigen
Landuntern stellen auch
Sturmfluten eine ernstzunehmende
Gefahr für die Bewohner_innen dar,
bei denen der Wasserpegel mindestens
3,50m über Normalnull (NN)
steigt. Allein zu Beginn des Jahres
2017 kam es zu einer ganzen Serie
DAS PROJEKT:
von Sturmfluten vor der schleswig-holsteinischen Küste und
im Januar 2019 sorgte Sturmtief Benjamin bereits für die
Im Rahmen eines dreimonatigen Praktikums
(RWTH-UROP) konnte an dem Projekt als Praktikantin
mitgewirkt werden. Das Vorhaben „Zukunft-
Hallig“ wurde vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF) über das Kuratorium für
das Küsteningenieurwesen (KFKI) gefördert (Laufzeit:
01.12.2011–30.11.2013). Das Praktikum fand
im soziologischen Teilprojekt am Lehrstuhl von
Technik- und Organisationssoziologie der RWTH
Aachen University, unter Federführung von Prof.
Dr. Roger Häußling sowie Nenja Ziesen, statt. Den
oben genannten Förderern, BMBF und KFKI sowie
den betreuenden Personen am Lehrstuhl gilt besonderer
Dank!
erste Sturmflut des Jahres. Doch nicht nur Sturmfluten und
Landunter bergen Risiken für das Leben der Menschen auf
den Halligen, auch die ärztliche Versorgung ist dort nicht
immer gewährleistet. Ebenso stellt der Zugang zum Festland
eine Herausforderung dar: Einkäufe, medizinische
Untersuchungen und andere Termine müssen frühzeitig
geplant werden und selbst dann können die Umweltbedingungen
diese Pläne wieder zunichtemachen.
Aktuell leben 270 Menschen auf sechs der zehn Halligen
(Stand 2017; Biosphäre die Halligen 2017a). Nun stellt sich
die Frage, weshalb sich, trotz dieser Extremität und der immanenten
Risiken, Menschen bewusst dafür entscheiden, an
diesem Ort zu leben. Eine mögliche Erklärung könnte die
Idee der kulturellen Identität nach Thomas (1992) bieten.
Kulturelle Identität meint
„nicht so etwas wie eine allgemein verbreitete
generelle Norm von Lebensstilen,
Werten und Verhaltensweisen,
[sondern vielmehr] die subjektiven
Gefühle und Bewertungen der
Menschen in einer Gesellschaft, die
über gemeinsame Erfahrungen verfügen
und gemeinsame kulturelle
Merkmale besitzen“ (ebd.: 67).
Thomas beschreibt drei Sphären, welche
die Basis für diese kollektiven
Empfindungen darstellen: das „Gefühl
für Kontinuität hinsichtlich der
Erfahrungen, die aufeinanderfolgende Generationen einer
Gesellschaft gemacht haben“ (ebd.), gemeinsame Erinne-
25
rungen und das Gefühl von Zusammengehörigkeit. Unter
die erste Sphäre fallen unter anderem lokalhistorische Ereignisse
und Gebräuche sowie das gemeinsame Überstehen
schlechter Zeiten. Gemeinsame Erinnerungen sind all jene
Erinnerungen, welche eine Gruppe von Menschen verbinden,
wobei hier konkrete Erfahrungen, wie Kriege oder Naturkatastrophen,
gemeint sind. Auch solche Personen, die für die
Geschichte des Ortes und das dortige Leben eine besondere
Bedeutung haben, gehören dazu. Für die dritte Sphäre, das
Zusammengehörigkeitsgefühl, wählt Thomas den Ausdruck
„Schicksalsgemeinschaft“ (ebd.).
Tief verwurzelt im kollektiven Gedächtnis der Halligbewohner_innen
sind die schweren Sturmfluten von 1962 und
1976, die zusammen mehr als 420 Todesopfer rund um die
norddeutsche Küste forderten und Schäden in Millionenhöhe
verursachten. Einige der heutigen Halligbewohner_
innen haben die Flut selbst miterlebt. Aus den Interviews
mit den Bewohner_innen, welche im Rahmen des Projektes
„ZukunftHallig“ geführt wurden, wird deutlich, dass die Erinnerung
an entsprechende Naturereignisse die Menschen
dort nicht nur über Generationen hinweg verbindet. Es gibt
ihnen außerdem ein Gefühl der Sicherheit: Sie wissen, dass
sie gemeinsam auch harte Zeiten überstehen können. Als
Gemeinschaft zeichne sie deshalb aus, so eine der befragten
Personen, dass „Halligbewohner […] keine Angst vor
dem Wasser haben“ (L–26: 980). Für gewöhnliche Landunter
gelte deshalb auch: „Wir haben uns daran gewöhnt“
(L–28: 72). Hier werden gleich alle drei von Thomas (1992)
beschriebenen Sphären deutlich: die Erinnerungen einiger
Bewohner_innen an die vergangenen Naturkatastrophen
münden in einem geteilten Bewusstsein für die gemeinsame
Bewältigung schwieriger Zeiten und die Abgrenzung von
anderen über die fehlende Angst vor dem Meer erzeugt ein
Gemeinschaftsgefühl.
Damit kommende Sturmfluten und Landunter möglichst
wenig Schaden anrichten und ein Leben auf den Halligen
auch in Zukunft noch möglich ist, werden, wie bereits angedeutet,
durch das Land Schleswig-Holstein und die Bewohner_innen
der Halligen Schutzmaßnahmen ergriffen.
Um den Folgen des Klimawandels, wie steigendem Meeresspiegel
und ansteigender Gefahr von Sturmfluten entgegenzuwirken,
werden beispielsweise die Warften erhöht
(vgl. Biosphäre die Halligen 2017b). Eine traditionelle Küstenschutzmaßnahme
auf den Halligen sind Lahnungsfelder.
Hierbei handelt es sich um „künstlich angelegte, quadratische
bis rechteckige Abgrenzungen mit Feldern unterschiedlicher
Größe [zur] Beruhigung des einströmenden
Flutwassers und [der] Förderung des Absetzens der Sedimente“
(Spektrum 2019). Zum Schutz vor Erosion dienen
Deckwerke und Buhnen (vgl. Bosecke 2005: 65), welche
die geböschten Ufer befestigen und als Wellenbrecher dienen,
während der sogenannte Igel die Halligkanten sichert
(vgl. Biosphäre die Halligen 2017b). Daneben gibt es noch
weitere Maßnahmen wie die Verwendung von Sandsäcken,
Schotten und Schleusen sowie die Bauweise der Hallighäuser.
Eine recht neue Küstenschutzmaßnahme ist Elastocoast.
Dabei werden mithilfe von Polyurethan kleinste Schotterkörner
miteinander verbunden, um so die Küste zu schützen.
Sie dienen als Ersatz für traditionelle Deckwerke (vgl.
BASF Polyurethanes GmbH 2014).
In den Interviews betonen die befragten Bewohner_innen
die Relevanz und persönliche Wertschätzung der vorgestellten,
traditionellen Küstenschutzmaßnahmen (vgl. Jensen et
al. 2014: 298). Sie zeigen damit an, wie essentiell diese als
Teil ihrer Kultur wie auch ihrer kulturellen Identität sind.
Ebenso lässt sich vermuten, dass sich über die Jahre und die
Erfahrungen ein Habitus (vgl. Bourdieu 1987) im Umgang
mit dem Küstenschutz entwickelt hat, der sich nicht mit
den potentiell neuen Küstenschutzmaßnahmen vereinbaren
zu lassen scheint. Dies zeigt sich vor allem an der Ablehnung
der Verwendung von Elastocoast (vgl. Jensen et al.
2014: 298, 345ff.), welches mittlerweile auf den Halligen
nicht mehr verwendet wird. Mobile Schläuche und Wände
als zukünftige Alternativen für den Küstenschutz werden
ebenfalls von den Halligbewohner_innen abgelehnt, z.B. mit
den Worten: „für eine Hallig untypisc[h]“ (H–5: 64). Auch
andere der Befragten lehnen beinah rigoros ab, was ihr Bild
vom Lebensraum Hallig verändern würde: „Aber die Hallig
[…] soll halligtypisch bleiben“ (H–8: 21). Deutlich wird an
Zitaten wie diesen aber auch, wie wichtig den Bewohnern
das äußere Erscheinungsbild der Hallig ist. Obwohl Küsten-
philou.
26
Identität & Kollektiv
schutz ein wichtiges bis, im Falle einer schweren Sturmflut,
existentielles Thema ist, werden (alternative) Maßnahmen
nicht nur nach ihrer Funktionalität oder Sinnhaftigkeit bewertet,
sondern immer auch nach ihrer Auswirkung auf das
Erscheinungsbild der Hallig. Dies lässt vermuten, dass es
sich beim Halligbild um einen Identitätsbestandteil für ihre
Bewohner_innen handelt.
Bereits dieser knappe Überblick über das Verhältnis der
Halligbewohner_innen zu den dort praktizierten Küstenschutzmaßnahmen
zeigt, wie stark Technik und Identität
miteinander verwoben sein können. Wenn technische
Maßnahmen zum gelebten Habitus und geteiltem Weltbild
werden, kann Technik zum Teil der kulturellen und damit
kollektiven Identität werden. Die Besonderheiten des Lebensraums
Hallig scheinen eine starke kollektive Identität
zu erfordern. Gleichzeitig führt diese Identität dazu, dass
Menschen sich trotz Risiken und extremer Lebensbedingungen
zu einem Leben auf der Hallig entscheiden.
BASF Polyurethanes GmbH (2014): Elastocoast – Ein innovatives
Verfahren im Küstenschutz. Online verfügbar unter:
http://www.polyurethanes.basf.de/pu/Kuestenschutz
[Zugriff: 30.08.2017].
Biosphäre Die Halligen (2017a): Die Halligwelt entdecken.
Online verfügbar unter: http://halligen.de/ [Zugriff:
02.05.2019].
Biosphäre die Halligen (2017b): Küstenschutz. Online
verfügbar unter: https://halligen.de/halligleben/halligleben-heute/kuestenschutz
[Zugriff: 23.08.2017].
Bosecke, T. (2005): Vorsorgender Küstenschutz und Integriertes
Küstenzonenmanagement (IKZM) an der deutschen
Ostseeküste: Strategien, Vorgaben und Defizite aus Sicht
des Raumordnungsrechts, des Naturschutz- und europäischen
Habitatschutzrechts sowie des Rechts der Wasserwirtschaft.
Berlin/Heidelberg: Springer-Verlag.
Bourdieu, P. (1987): Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen
Vernunft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
Jensen, J.; Arns, A.; Schüttrumpf, H.; Wöffler, T.;
Häußling, R.; Ziesen, N.; Jensen, F.; von Eynatten, H.;
Schindler, M.; Karius, V. (2014): KFKI-Projekt Zukunft-
Hallig. Entwicklung von nachhaltigen Küstenschutz- und
Bewirtschaftungsstrategien für die Halligen unter Berücksichtigung
des Klimawandels (ZukunftHallig). Abschlussbericht.
Siegen: Forschungsinstitut Wasser und Umwelt
Universität Siegen, Institut für Soziologie RWTH Aachen
University, Lehrstuhl und Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft
RWTH Aachen University, Landesbetrieb für
Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein
und Geowissenschaftliches Zentrum Göttingen.
H–5 (2012/2013): Interview mit Bewohner_in Hallig
Hooge. Erhebung im Rahmen des KFKI-Projekts Zukunft-
Hallig. Entwicklung von nachhaltigen Küstenschutz- und
Bewirtschaftungsstrategien für die Halligen unter Berücksichtigung
des Klimawandels (Laufzeit: 01.12.2011–
30.11.2013).
H–8 (2012/2013): Interview mit Bewohner_in Hallig
Hooge. Erhebung im Rahmen des KFKI-Projekts Zukunft-
Hallig. Entwicklung von nachhaltigen Küstenschutz- und
Bewirtschaftungsstrategien für die Halligen unter Berücksichtigung
des Klimawandels (Laufzeit: 01.12.2011–
30.11.2013).
L–6 (2012/2013): Interview mit Bewohner_in Hallig Langeneß.
Erhebung im Rahmen des KFKI-Projekts Zukunft-
Hallig. Entwicklung von nachhaltigen Küstenschutz- und
Bewirtschaftungsstrategien für die Halligen unter Berücksichtigung
des Klimawandels (Laufzeit: 01.12.2011–
30.11.2013).
L–28 (2012/2013): Interview mit Bewohner_in Hallig
Langeneß. Erhebung im Rahmen des KFKI-Projekts Zukunft-
Hallig. Entwicklung von nachhaltigen Küstenschutz- und
Bewirtschaftungsstrategien für die Halligen unter Berücksichtigung
des Klimawandels (Laufzeit: 01.12.2011–
30.11.2013).
Spektrum (2019): Lexikon der Geographie. Lahnung. Online
verfügbar unter: http://www.spektrum.de/lexikon/geographie/lahnung/4526
[Zugriff: 03.05.2019].
Thomas, A. (1992): Grundriß der Sozialpsychologie.
Band 2: Individuum – Gruppe – Gesellschaft. Göttingen:
Hogrefe Verlag für Psychologie.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR:
Kahlke, J. (2012): Die Große Sturmflut von 1962. Eine
Hallig-Familie kämpft um ihr Leben. In: Nordfriesland Tageblatt
vom 07.02.2012. Online verfügbar unter: https://
www.shz.de/lokales/nordfriesland-tageblatt/eine-hallig-familie-kaempft-um-ihr-leben-id114157.html
27
INDIVIDUALISMUS
(VS. KOLLEKTIVISMUS)
HOFSTEDE
Der niederländische Sozialpsychologe Geert
Hofstede führte in zahlreichen Ländern Umfragen
durch, um verschiedene Wertevorstellungen
in unterschiedlichen Kulturen zu vergleichen. Unter
anderem etablierte er die Dimension Individualismus
vs. Kollektivismus, die die Beziehung
zwischen dem Individuum und der Gesellschaft
beschreibt.
Eine enge Beziehung zwischen dem Individuum
und der Gesellschaft kennzeichnet Kollektivismus
und eine Distanz zu dieser beschreibt Individualismus.
SELBSTVERSTÄNDNIS DER EIGENEN PERSON:
Individualistische Kulturen:
• hohe Wertschätzung von Autonomiekennt
keine Werte, kein Gut und Böse
• Reflexion der eigenen Person und
Fähigkeiten
• lineare Perspektive
Kollektivistische Kulturen:
• Fokus auf das Wohl anderer
• Reflexion als Teil eines Ganzes
• ganzheitliche Perspektive
Ich bin das,
was ich scheine,
und scheine das
nicht, was ich
bin, mir selbst ein
unerklärlich Rätsel,
bin ich entzweit mit
meinem Ich!
E.T.A. HOFFMANN
1776–1822
28
Identität & Individuum
DIE INSTANZEN DER PERSÖNLICHKEIT
NACH SIGMUND FREUD (1856–1939)
Freud unterscheidet in seinem Persönlichkeitsmodell
zwischen drei Persönlichkeitsinstanzen, die
Erlebens- und Verhaltensweise von Individuen
erklären sollen: das ES, das ICH und das ÜBER-
ICH. Diese Instanzen entwickeln sich nacheinander
in der frühen Kindheit und beeinflussen sich
ständig gegenseitig.
Das ES ist die Instanz der Triebe, der Bedürfnisse
und der Wünsche:
• bei Lebensbeginn vorhanden
• kennt keine Werte, kein Gut und Böse
• einziges Ziel: Befriedung der eigenen Bedürfnisse
(Lustprinzip)
Das ICH ist die Instanz, die die bewusste Auseinandersetzung
mit der Realität beschreibt und
steht im Mittelpunkt des Freudschen Persönlichkeitsmodells:
• das Kind wird sich bald seiner Grenzen bewusst
und erlebt die Außenwelt.
• das ICH kennzeichnet Denken und Handeln,
Werten, Planen und Fühlen.
• kognitive Fähigkeiten werden ausgebildet (Realitätsprinzip).
• vermittelt zwischen ES und ÜBER-ICH.
Das ÜBER-ICH beschreibt die Instanz, die Wertund
Normvorstellungen verinnerlicht und das
Handeln des ICH im Sinne der Moral leistet:
• vertritt die Moralvorstellungen einer Gesellschaft
(Moralitätsprinzip).
• jede Kultur hat entsprechend ein anderes
ÜBER-ICH.
• Träger des Ich-Ideals, an dem sich das ICH
misst.
ICH-STÄRKE
Die drei Instanzen stehen
miteinander und
der Realität im Gleichgewicht.
ICH-SCHWÄCHE
Die einzelnen Instanzen
stehen zusammen mit
der Realität in einem Ungleichgewicht.
29 philou.
Opener
DU BIST,
WAS DU SPRICHST
CRISTINA GARCÍA MATA
TECHNIK-KOMMUNIKATION
Die Sprache existiert sowohl außerhalb als auch innerhalb
unseres Verstands. Sie ist Kommunikationskanal und gleichzeitig
Schlüssel zum Welt- und Selbstverständnis. Sie beeinflusst
unsere Art und Weise, die Welt zu erfahren, denn
es gibt keine „reinen“ Sinneserfahrungen, die nicht durch
(sprachliches) Denken getrübt sind. Es ist deshalb nicht
überraschend, dass Sprache wesentlich zur individuellen und
gemeinschaftlichen Identitätsbildung beiträgt (vgl. Leiss
2009). Inwiefern diese unvermeidliche Abhängigkeit zutrifft,
wird jedoch von Soziolinguisten und Kognitionspsychologen
seit dem 19. Jahrhundert viel diskutiert.
Für Wilhelm von Humboldt sei Sprache „das bildende Organ
des Gedankens“ (Humboldt VII: 53). Wenn man diese
Behauptung annimmt, muss man folglich auch akzeptieren,
dass unsere individuelle Identität durch unsere (Mutter-)
Sprache grundlegend geprägt ist. Denn wenn ihr Einfluss
sich über alles erstreckt, was „der Mensch denkt und empfindet,
beschließt und vollbringt“ (Humboldt IV: 27), so
folgt daraus, dass sich auch unsere eigene, persönliche Identitätskonstruktion
im Medium der Sprache bewegen muss.
Letztendlich konstruieren wir uns selbst beim Denken in
der Einsamkeit, im Gespräch mit diesem Unbekannten, der
wir selber sind.
Wenn das Denken unlösbar von der Sprache ist und die
Sprache in ihrem Wesen in verschiedene einzelne Sprachen
aufgespalten ist, heißt das, dass es auch nicht nur „ein“ Denken
gibt, sondern dieses durch die eigene Sprache beeinflusst
wird. In diesem Rahmen scheint es sinnvoll, das Prinzip der
sprachlichen Relativität (auch als Sapir-Whorf-Hypothese
bekannt) mit in Betracht zu ziehen, auch wenn viele Sprachwissenschaftler
sich dagegen aussprechen. Laut dieser Hypothese
ist die Art und Weise, wie ein Mensch denkt, durch
die semantische Struktur und den Wortschatz seiner (Mutter-)Sprache
beeinflusst und sogar bestimmt (vgl. Werlen
2002). Diese Annahme harmoniert auch mit der Idee von
Humboldt, dass jede Sprache „eine spezifische Weltansicht
[vermittelt]“ (Humboldt IV 420).
Jedoch hat sich beim Prinzip der sprachlichen Relativität
die Unterscheidung zwischen einer starken und einer
schwachen Form eingebürgert. In der stark deterministischen
Version wird behauptet, dass die sprechende Person
der Sprache ausgeliefert sei: „Sie kann gar nicht anders, als
den Kategorien ihrer Sprache folgen“ (Werlen 2002). Laut
der schwach deterministischen Form beeinflusst die Sprache
die Wahrnehmung der Welt dagegen so, dass das Individuum
sich von dieser Beeinflussung distanzieren kann.
Es ist entsprechend verständlich, dass die stark deterministische
Version kritisiert wird, da es schon unhaltbar ist
zu meinen, dass das Bild der Welt, das ein Individuum
hat, von seiner Sprache vollständig bestimmt ist (vgl. Elgin
2000: 51). Nichtsdestoweniger zeigt dieses Prinzip eine
interessante Erklärung für die Erlebnisse aller Menschen,
die mehr als eine Fremdsprache oder sogar einen Dialekt
oder Fachjargon beherrschen. Wie wir sprechen, macht uns
auch zu dem, was wir sind – und hat Einfluss darauf, wie
wir auf andere wirken.
Wenn in jeder Sprache eine charakteristische Weltansicht
steckt, so sollte die „Erlernung einer fremden Sprache
die Gewinnung eines neuen Standpunkts in der bisherigen
Weltansicht sein“ (Humboldt VII 6). Somit lösen wir
uns nicht von der Verhaftung an die muttersprachliche
Weltansicht, sondern treten nur von der einen zur anderen
über. Karl der Große soll gesagt haben: „Eine andere
Sprache zu sprechen, bedeutet, eine zweite Seele zu besitzen“.
Ob wir tatsächlich für jede Sprache eine andere Identität
übernehmen, ist jedoch empirisch schwierig zu belegen.
30
Identität & Individuum
philou. im Gespräch
Prof. Dr. Thomas Niehr lehrt Germanistische
Sprachwissenschaft am Institut für Sprach- und
Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen. Seine
Forschungsschwerpunkte liegen in der Politolinguistik,
der Diskursanalyse und der Sprachkritik. Seit 2011 ist
er Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sprache in
der Politik.
philou. Welche Beziehung gibt es Ihrer Meinung nach zwischen
Sprache und Identität?
Niehr: Das ist keine einfache Frage. Aber Sprache ist sicherlich
ein wesentlicher Bestandteil oder Baustein der persönlichen
Identität und auch – wenn es so etwas gibt – der Identität
eines Volkes.
p. Inwiefern kann Sprache die nationale Identität eines
Volkes bestimmen? Wie wichtig ist Sprache für ein Volk?
N.: Ich glaube schon, dass Sprache zentral ist, weil es eben
diesen engen Zusammenhang zwischen Sprache und Denken
gibt. Sprache ist etwas Kognitives oder Geistiges und damit
etwas anderes als z.B. Essen. Ich weiß nicht, ob ich mich jetzt
zu weit hervorwage, aber ich denke, dass es leichter ist, auf
die heimische Küche zu verzichten, als auf die Muttersprache.
Also, da sieht man, dass Sprache schon noch eine größere
Bedeutung hat als andere Dinge, die natürlich auch mit einer
Kultur oder Identität verbunden sind. in einem Unternehmen
sein, ein anderes Mal Bewohnerinnen und Bewohner eines
Quartiers oder einer ganzen Region, oder auch Anwohner
entlang einer in Planung befindlichen Straßenbahntrasse.
p. In unserer globalisierten Welt bevorzugen wir immer mehr
Mehrheitssprachen, wie z.B. Englisch. Dadurch ist fast die
Hälfte der existierenden Sprachen vom Aussterben bedroht.
Folglich gehen natürlich auch Volksgemeinschaften verloren,
was man auch als Identitätsverlust bezeichnen könnte. Gibt es
Ihrer Meinung nach einen Weg, um diesen Sprachenverlust zu
stoppen?
N.: Ich weiß es nicht, ich kann das nicht beantworten. Man kann
sicherlich – das wäre dann eine kulturpolitische Angelegenheit
– versuchen, zu unterstützen, dass möglichst viele Sprachen
erhalten bleiben. Beispielsweise indem man in Brüssel die
Sprachen der EU-Länder gleichberechtigt behandelt. Das wäre
sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wenn Sie
jetzt an irgendwelche Sprachen denken – und ich meine das
gar nicht abwertend, sondern rein quantitativ –, die von einem
kleinen Bergvolk gesprochen werden, das vielleicht noch 8000
Sprecher hat, da weiß ich nicht, welche Wege es geben kann,
diese Sprache wirklich zu retten. Was man natürlich tun kann,
ist Aufzeichnungen zu machen, um noch etwas von derartigen
Sprachen zu konservieren. Aber dass sie dann wirklich auch
noch aktiv gesprochen werden, da weiß ich nicht, welche
Maßnahmen man dazu ergreifen müsste. Und ich befürchte
auch, selbst wenn man hierfür das Patentrezept hätte, dass es
für solche Maßnahmen kein Geld geben würde. Ich sehe also
nicht, dass wir das hinbekommen könnten.
p. Angelehnt an die Theorien von Wilhelm von Humboldt
– finden Sie, dass Sprache verschiedene Weltansichten
bestimmt oder Sprachen verschiedene Weltansichten sind?
N.: Ich glaube sehr wohl, dass Sprache verschiedene
Weltansichten bildet. Humboldt sagte „Sprache ist das bildende
Organ des Gedankens“, und es scheint mir offensichtlich, dass
wir nicht sprachunabhängig denken können. Wie es ein Kollege
einmal so schön ausgedrückt hat: „Beim Denken redet die
Sprache immer ein Wörtchen mit“. Das trifft es, glaube ich, ganz
gut, und insofern würde ich Humboldt zustimmen. Außerdem
ist Humboldts Gedanke auch für die Idee einer sprachlichen
Identität ganz wichtig.
31
p. Würden Sie also sagen, dass Sie der Sapir-Whorf-
Hypothese zustimmen?
N.: Jein. Ich stimme eher Humboldt als Sapir und Whorf zu,
denn die ursprüngliche Sapir-Whorf-Hypothese, in ihrer Urform,
die vertritt heute, glaube ich, niemand mehr. Es gibt einfach
zu viele empirische Belege, die das in Frage stellen. Aber ich
denke schon, und das kann jeder bestätigen, der mehrere
Sprachen spricht, dass je nach dem, in welcher Sprache Sie
sich bewegen, unterschiedliche Weltansichten oder Weltsichten
stärker zu Tage treten als andere.
p. Es gibt „grundlegende“ Identitätszüge (Persönlichkeitszüge),
die trotz der verschiedenen Sprachen vorhanden sind. Im
Deutschen kann meine Äußerung beispielsweise rassistisch
sein, im Spanischen hingegen nicht.
Die Grenzen meiner
Sprache bedeuten die
Grenzen meiner Welt.
LUDWIG WITTGENSTEIN (1889–1951)
N.: Ja, dem würde ich zustimmen. Ich würde das auch auf
einer abstrakteren Ebene sehen. Beispielsweise werden
allein durch den Wortschatz teilweise andere Perspektiven
eingenommen. Es gibt so eine naive Vorstellung bei Laien: Es
gibt die Dinge in der Welt, und wir müssen ihnen nur einen
Namen geben. Sozusagen, ein Label draufkleben. Und damit
räumt die Humboldt-These auf. Weil ich durch Sprache erst
Welt konstituiere. Das ist der eigentlich spannende Gedanke,
der auch schon bei Humboldt in Grundzügen zu erkennen
ist. Außerdem sind sich Sprachwissenschaftler_innen darin
einig, dass die kontextfreie Betrachtung von Wörtern zu wenig
aussagekräftigen Ergebnissen führt.
p. Jahrelang wurde Mehrsprachigkeit als Belastung und
teilweise als Bedrohung für die Entwicklung eines Menschen
gesehen. Heutzutage wird durch die Globalisierung unter
anderem Mehrsprachigkeit eher als Chance betrachtet.
Würden Sie sagen, dass ich auf eine Weise meine Identität
verliere oder zumindest einen Verschleiß meiner Identität
erlebe, wenn ich Fremdsprachen lerne?
N.: Ich glaube, da muss man ziemlich streng unterscheiden.
Ich denke, dass jede Fremdsprache sozusagen ein Gewinn
ist, jede Fremdsprache, die ich lerne. Davon muss man
aber streng unterscheiden, ob ich das freiwillig tue oder
ob ich dazu gezwungen werde. Das kennen wir von
Kolonisierungsbewegungen, wenn Gebiete, Völker oder Länder
erobert werden. Will man dann den Leuten auch noch ihre
Identität nehmen, dann verbietet man ihnen, ihre (Mutter-)
Sprache zu sprechen. Und das ist natürlich etwas ganz anderes,
als freiwillig eine neue Sprache zu lernen, um den eigenen
Horizont zu erweitern. Das muss man klar trennen. Und ich
halte es für ein Verbrechen, jemandem zu verbieten, seine
Sprache – seine Muttersprache – zu sprechen.
UNIVERSALGRAMMATIK
Genauso wie ein körperliches Organ
entwickelt sich für den Linguisten Noam
Chomsky (1928) das Organ der Sprache.
Seine Theorie nimmt an, dass die Grammatik
eine angeborene menschliche Fähigkeit
ist, die biologisch bestimmt sei:
eine genetisch vorprogrammierte Unvermeidlichkeit
(genauso z.B. wie der
Milchzahnverlust in der Kindheit). Jedoch
akzeptiert er, dass sich unser sprachliches
Organ an die Struktur unserer Muttersprache
anpasst. Genauso wie er die
Struktur des englischen Dialekts seiner
Heimatstadt Philadelphia (Pennsylvania)
aufgesaugt hat, könnte er sein Organ an
die Mundarten anderer Städte wie New
York oder Boston angepasst haben.
Deshalb existiert für Chomsky eine
Universalgrammatik, die allen Mensch
gemein ist. Es handelt sich um einen vordefinierten
Mechanismus, der als Basis
für den Erwerb jeglicher Sprache funktioniert.
So lässt sich zum Beispiel erklären,
dass gehörlose Kinder trotz Taubheit eine
Sprache erwerben können.
32
Identität & Individuum
Elgin, S.H. (2000): The Language Imperative.
Cambridge, MA: Perseus Books.
Ein Deutsch sprechender und in
Deutschland lebender, gebürtiger
Spanier wird offensichtlich durch
seinen Akzent als Spanier wahrgenommen,
mit der unbeabsichtigten
Folge, dass ihm auch die
typischen Stereotypen aus Spanien
zugeordnet werden, obwohl
er sich in seinem eigenen Land
vielleicht nie bewusst als Spanier
identifiziert hat. Der Sprachwissenschaftler
François Grosjean
(1996) behauptet in diesem Zusammenhang:
„What is seen as a
change in personality is most probably
simply a shift in situation or
context, independent of language”.
Esteban Guitart, M.; Nadal, J.M.; Vila, I.
(2007): El papel de la lengua en la construcción
de la identidad: un estudio cualitativo
con una muestra multicultural. In:
Glossa. 2. Jg. 2007/02. S. 1–20.
Fishman, J.A. (2001): El nou ordre lingüístic.
Digithum. Revista digital d’humanitas,
3. Online verfügbar unter: https://
www.uoc.edu/humfil/articles/cat/fishman/fishman.html
[Zugriff: 09.06.2019].
Grosjean, F. (1996): Living with two languages
and two cultures. In: Parasnis, I.
(Hg.): Cultural and Language Diversity
and the Deaf Experience. Cambridge:
University Press. S. 20–37.
Humboldt, W.v. (1963): Schriften zur
Sprachphilosophie. In: Flitner, A.; Giehl,
K. (Hg.): Werke in fünf Bänden, Bd. III.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Leiss, E. (2009): Sprachphilosophie. De
Gruyter Studienbuch. Berlin, New York:
de Gruyter.
Werlen, I. (2002): Sprachliche Relativität:
Eine problemorientierte Einführung.
Basel: Francke.
Sprache und Identität zu reflektieren,
ohne dabei auch über einzelne
Nationen bzw. die eigene Herkunft nachzudenken,
erscheint wenig sinnvoll – insbesondere im globalisierten 21.
Jahrhundert. Denn eine Sprache lässt sich „nur in Verbindung
mit einem Volke denken“ (Humboldt VI 189). „Seine
Sprache ist sein Geist, und sein Geist seine Sprache“ (Humboldt
VII 42). Jedoch leben wir in einer Welt, in der Englisch
als globale Vernetzungssprache gilt; daher ist es wenig verwunderlich,
dass die eigenen Sprachen der einzelnen Völker
und Gemeinden zu einem Zeichen von Authentizität und
kultureller Identität geworden sind, die man verteidigen und
zurückerhalten muss (vgl. Fishman 2001). Wir bewegen uns
also in die Richtung einer Sprachrealität, in der die Muttersprache
(oder Identitätssprache) mit der beruflich-sozialen
und der globalen Sprachen zusammenleben muss (vgl. Esteban
Guitart et. al. 2007)
Französisch ist mein
Exil
MALEK HADDAD (1927–1978)
solange ich in der
eigenen Muttersprache
denke, bin ich
unbefangen
RUMJANA ZACHARIEVA (1950)
Es ist nach wie vor und trotz allem fraglich, inwieweit Sprache
die Identität beeinflusst. Dennoch ist unbestreitbar, dass
es einen grundlegenden Zusammenhang zwischen Identität
und Sprache gibt. Vielleicht liegt genau in der Omnipräsenz
der Sprache das Problem der Definition dieser Grenzen.
Jedoch hat 2014 eine Untersuchung zum Thema Wirkung
von Mehrsprachigkeit am Exzellenzcluster „Languages of
Emotion“ der Freien Universität Berlin gezeigt, dass über die
Sprache kulturelle Konzepte, Werte und Rollen im Geiste
aktiviert werden. Auch wenn wir womöglich keine komplett
andere Identität in jeder Sprache übernehmen, kann es sein,
dass wir durch die verschiedenen Sprachen andere Facetten
der eigenen Persönlichkeit hervortreten lassen.
33 philou.
Artikel
LIE TO ME
LIE TO ME
LIE TO ME
Der Psychologe Carl Rogers (Rogers 1981: 66) prägte mit
seiner Persönlichkeitstheorie des Humanismus maßgeblich
die moderne Persönlichkeitsforschung. So wird dem
Menschen ein hohes Potential zur Selbstverwirklichung und
Selbstentwicklung zugeschrieben. Annahme ist auch, dass
der Mensch in seinem Wesen grundsätzlich aufrichtig und
gut ist. Doch seien wir mal ehrlich: Wir alle lügen hin und
wieder. Von kleinen Unwahrheiten, die unseren Alltag komfortabler
gestalten, über den Lebenslauf, der völlig selbstverständlich
ein wenig „gebügelt“ wurde, bis hin zu gefälschten
Dokumenten oder Betrug. Ob nun gute Absichten, Scham
oder Manipulation das Motiv sind. Lügen sind Lügen. Doch
ist das wirklich so? Was passiert mit der Psyche eines Menschen,
wenn er aus unterschiedlichen Gründen regelmäßig
zu kleinen Lügen greift oder sich gar ein ganzes Konstrukt
einer falschen Identität über lange Zeit hinweg aufbaut? Ist
es in Ordnung, zugunsten der Gefühle anderer nicht völlig
aufrichtig zu sein, oder verleitet uns das dazu, immer häufiger
unehrlich zu sein, weil es einfacher erscheint? Der Artikel
soll anhand aktueller Erkenntnisse psychologischer und sozialwissenschaftlicher
Forschung darstellen, wie Menschen
die Fähigkeit zum Lügen entwickeln und worin sich kleine
Unwahrheiten von einer Pathologie abgrenzen lassen. Zudem
soll erörtert werden, wie sich Unwahrheiten auf unsere
Identität auswirken und welche Folgen es mit sich bringen
kann, große Teile der eigenen Person dauerhaft geheim zu
halten oder gar verschweigen zu müssen.
Was ist eine Lüge?
Forschende aus dem Bereich der Psychologie sind sich in
einem Punkt einig: In unserem Alltag wird viel gelogen,
eigentlich täglich (vgl. Schmid 2000). Obwohl Lügen in
Kulturkreisen weltweit eher negativ besetzt ist, so scheinen
gewisse Unehrlichkeiten an einigen Stellen unvermeidbar,
sei es aus Höflichkeit oder zum Selbstschutz (vgl. Serota et
SVENJA BLÖMEKE
LEHR- UND FORSCHUNGSLOGOPÄDIE
al. 2010: 2). Nur wenige Menschen sind dabei in der Lage,
intuitiv aufgrund verbaler und nonverbaler Merkmale zu
entscheiden, wann das Gegenüber tatsächlich lügt. Je nach
Disziplin oder Perspektive gibt es unterschiedlichste Definitionen
der „Lüge“. Nach Jaune Masip et al. (2004) enthalten
all diese Definitionen mindestens eine der drei folgenden
Komponenten: Objektive Falschheit eines Sachverhaltes,
Bewusstsein für die Falschheit und Intention der Täuschung.
Entscheiden wir uns also bewusst für eine Lüge, kommunizieren
wir dem Gegenüber eine Unwahrheit, derer wir uns
bewusst sind und damit beabsichtigt einen Betrug vollziehen.
Lügen in der kognitiven Entwicklung
Schon in der frühen Kindheit wird das Konzept der Lüge
relevant und repräsentiert einen wichtigen Teil der kognitiven
Entwicklung. Es besteht ein enger Zusammenhang
zwischen moralischer, emotionaler und sozialer Entwicklung.
Mit einem Lebensalter von 2 Jahren erlernen Kinder
ein erstes Bewusstsein dafür, dass sie in Wechselwirkung
mit ihrer Umwelt stehen und ihr Verhalten für andere Menschen
im Umfeld eine bestimmte Bedeutung einnehmen
kann. Die sogenannte „Theory of Mind“ (vgl. Kümmerling
2011) wird darüber definiert, inwiefern sich ein Mensch in
Gedanken-, Imaginations- und Gefühlswelten anderer hineinversetzen
und dies mit dem eigenen Handeln verknüpfen
kann. Diese Fähigkeit entwickelt sich ab einem Alter von ca.
4 Jahren und nimmt bis ins Jugendalter an Komplexität zu.
Mit zunehmenden kognitiven Fähigkeiten steigt auch die
34
Identität & Individuum
Komplexität für das Verständnis von Unwahrheiten sowie
die eigenen Möglichkeiten, andere Menschen anzulügen.
Werden Lügen von Kleinkindern zunächst als „schlecht“ bewertet,
erkennen Schulanfänger, dass sogenannte „Prosoziale
Lügen“ in bestimmten Kontexten angemessen erscheinen
(Kümmerling/Meibauer 2011).
Lügen in der psychologischen Forschung
Auf neuropsychologischer Ebene verlangen Lügen eine hohe
Kapazität von Gedächtnisleistung, Selbstbeherrschung und
Einfühlungsvermögen ab, sodass viele kognitive Prozesse
involviert sind (vgl. Sun et al. 2013: 349). Jeffrey Walczyk
et al. (2003) beschreiben einen dreistufigen Prozess bei der
Konstruktion einer Lüge. Wir bekommen von unserem Gegenüber
eine Frage gestellt (1), treffen eine Entscheidung
bezüglich der Ehrlichkeit/Unehrlichkeit (2) und konstruieren
schließlich die Lüge (3). Zudem sind wir in der Lage,
den Impuls zur Unehrlichkeit zu unterdrücken, wenn eine
Lüge als erfolglos eingestuft werden könnte.
Mithilfe moderner bildgebender Verfahren wie beispielsweise
der Magnetresonanztomographie (MRT) ist die Forschung
in der Lage, Einblicke in die neurophysiologischen
Prozesse bei unterschiedlichen Formen des Lügens zu erhalten.
So zeigen Studien, dass bei der Generierung einer
Lüge vor allem der präfrontale Kortex unseres Gehirns hohe
Aktivitätsmuster zeigt. Dieser Teil des menschlichen Gehirns
ist unter anderem für willentliche Entscheidungen
und komplexe Planungsvorgänge in sozialen Kontexten relevant.
Kommt es in der Kommunikationssituation zur konkreten
Täuschung des Gegenübers, so lassen sich ebenfalls
erhöhte Aktivitäten im Bereich der Amygdala abbilden (vgl.
Karim/Fallgatter 2012: 5). Als Teil des limbischen Systems
beeinflusst diese Hirnregion maßgeblich unsere Emotionen.
Neben der Relevanz einzelner Hirnregionen und für Konstruktion
und Kommunikation von Unwahrheiten stellt sich
weiterführend die Frage, inwiefern häufiges Lügen sich auf
Psyche und Kognition auswirken kann. Spannend erscheint
hier die Arbeit von Garrett et al. (2016). Die Studie zeigt,
dass die Anzahl an produzierten Lügen bei regelmäßiger
Täuschung in einem experimentellen Szenario stetig zunimmt,
sodass es Menschen nach und nach einfacher fällt, zu
lügen. Diese Veränderungen können auch im MRT sichtbar
gemacht werden. Sind Personen häufiger unehrlich, reduziert
sich die Aktivität um das Gebiet der Amygdala signifikant.
Profitiert jemand primär selbst von einer Lüge, verstärkt sich
dieser Effekt sogar noch. Eine mögliche Interpretation ist
die sinkende emotionale Erregung, wenn Täuschungen für
das Individuum routinierter werden.
Lügen als Pathologie
Tatsächlich geht aus der Forschung hervor, dass ein Großteil
der Menschen durchaus einen „moralischen Kompass“
in sich trägt und selbst regulieren kann, sich bewusst gegen
das Lügen zu entscheiden. Kleine Unwahrheiten stellen
also noch keine Pathologie dar. Eine ernstzunehmende
Persönlichkeitsstörung beginnt, wenn permanente Unwahrheiten
ein konkretes Verhalten bei den Betroffenen hervorrufen
sollen und dabei seitens der lügenden Person keinerlei
Schuldbewusstsein existiert. Das krankhafte Lügen, in der
Psychologie „Pseudologia Fantastica“ genannt, ist eine extreme
Form der Konstruktion von Unwahrheiten und kann als
Symptom der narzisstischen Persönlichkeitsstörung auftreten.
In der Alltagssprache wird häufig auch die Begrifflichkeit
„Münchhausen Syndrom“ verwendet. Im Zentrum der
Problematik steht der ständige Drang der Selbstinszenierung
und der Befriedigung des Geltungsbedürfnisses. Häufig
enthalten die aufwendigen Lügengeschichten einen wahren
Kern und die Betroffenen konstruieren über Jahre hinweg
Unwahrheiten um die eigene Identität, die sie mitunter irgendwann
selbst für korrekt halten. Vor allem auf sozialer
Ebene kann der Schaden für enge Kontaktpersonen hoch
sein, wenn das Gegenüber bezüglich prägender Lebensereignisse
oder beruflichem Werdegang derart komplexe Lügengeschichten
produziert (Lexikon der Psychologie). Doch
nicht nur auf zwischenmenschlicher Ebene kann Lügen eine
große Problematik darstellen. „Identitätsdiebstahl“ nimmt
seit über einem Jahrzehnt weltweit stetig zu und bedeutet
beispielsweise für die USA einen jährlichen finanziellen
Schaden in Milliardenhöhe (vgl. Wang et al. 2006: 30). Ge-
35 philou.
meint sind hiermit Vergehen, für welche sich eine Person
Daten wie Namen, private Nummern oder auch Konten anderer
Menschen zu eigen macht und damit beispielsweise
illegalerweise Dokumente ausstellt. Doch auch die Flucht
vor dem eigenen Leben, hinein in eine neue Identität, womöglich
in ein anderes Land, erscheint häufig als einziger
Ausweg aus der persönlichen Misere.
Fazit
Obwohl Unehrlichkeit gesamtgesellschaftlich eher negativ
bewertet ist und intuitiv zunächst als „schlecht“ oder „falsch“
assoziiert wird, sind Lügen ein fester Bestandteil unseres alltäglichen
Miteinanders. Die Grundlagen für das Verständnis
von Unwahrheiten und die Fähigkeit zur willentlichen
Täuschung entwickeln sich dabei bereits in der frühen Kindheit.
Bei der Diskussion über Lügen sollten Ursprünge und
Formen differenziert werden. Handelt es sich um alltägliche
Unwahrheiten, einen Akt der Höflichkeit oder pathologischen
Betrug im Sinne einer Persönlichkeitsstörung?
Letztlich scheinen die meisten von uns in der Lage zu sein,
eigene Entscheidungen bezüglich der Grenzen unserer Ehrlichkeit
zu treffen und danach im besten Interesse für die
Mitmenschen zu entscheiden. Zukünftige Forschung wird
sich noch stärker mit den Auswirkungen von Lügen auf
unsere Psyche auseinandersetzen und möglicherweise Ansätze
erarbeiten, ob ein ehrlicherer zwischenmenschlicher
Umgang wünschenswert und erreichbar wäre.
So, that's what they
wanted: lies. Beautiful
lies. That's what they
needed. People were
fools. It was going to be
easy for me.
CHARLES BUKOWSKI
(1889–1951)
Karim, A.; Fallgatter, A. (2012): Die Wahrheit
über das Lügen: Neurophysiologische Korrelate
und psychopathische Persönlichkeitszüge. In:
Müller, J.; Rösler, M.; Briken, P. (Hg.): Empirische
Forschung in der forensischen Psychiatrie, Psychologie
und Psychotherapie. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche
Verlagsgesellschaft. S. 3–12.
Kümmerling-Meibauer, B.; Meibauer, J. (2011):
Lügenerwerb und Geschichten vom Lügen. In:
Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik.
41. Jg. 2011/02. S. 114–1344.
Lexikon der Psychologie (Hg.) (2017): Krankhaftes
Lügen. Online verfügbar unter: https://www.
psychomeda.de/lexikon/krankhaftes-luegen.html
[Zugriff: 03.06.2019].
Masip, J.; Garrido, E.; Herrero, C. (2004): Defining
Deception. In: Anales de psicologia. 20. Jg.
2004/01. S. 147–171.
Rogers, C.R. (1981): Der neue Mensch. Stuttgart:
Klett-Coda.
Schmid, J. (2000): Lügen im Alltag – Zustandekommen
und Bewertung kommunikativer Täuschungen,
Zugl: Heidelberg, Univ., Habil.-Schr., 1996,
Lit, Münster, Hamburg.
Serota, K.B.; Levine, T.R.; Boster, F.J. (2010): The
Prevalence of Lying in America: Three Studies of
Self-Reported Lies. In: Human Communication Research.
36. Jg. 2010/01. S. 2–25.
Sun, S.-Y.; Mai, X.; Liu, C.; Liu, J.-Y.; Luo, Y.J.
(2011): The processes leading to deception: ERP
spatiotemporal principal component analysis and
source analysis. In: Social Neuroscience. 6. Jg.
2011/04. S. 348–359.
Walczyk, J.J., Roper, K.S., Seemann, E.;
Humphrey, A.M. (2003): Cognitive mechanisms
underlying lying to questions: response time as a
cue to deception. In: Applied Cognitive Psychology.
17. Jg. 2003/07. S. 755–774.
Wang, W.; Yuan, Y.; Archer, N. (2006): A contextual
framework for combating identity theft. In:
IEEE Security & Privacy Magazine. 4. Jg. 2006/02.
S. 30–38.
36
Anzeige
®
• Raumlufthygiene
• Trinkwasserqualität
• Umwelttechnik
• Umweltberatung
HYGIENEPRÜFUNGEN
Finden sich Flächen mit erhöhter Keimbelastung?
Stimmen Raumtemperatur und Luftfeuchte?
Sind die Arbeitsabläufe hygienisch einwandfrei?
Fragen, die Ihnen gui-lab zuverlässig beantwortet:
Von der Messplanung über die Analyseerstellung,
die Detailauswertung bis hin zum Optimierungsvorschlag.
Ebenfalls sehr wichtig ist uns die Überprüfung von
raumlufttechnischen Anlagen („Klimaanlagen“)
auf eventuelle Hygieneschwachstellen. Schließlich
muss die Luft, die wir einatmen, ebenso einwandfrei
sein wie unser tägliches Essen und Trinken.
Unsere Fachleute führen in vielen renommierten
Gebäuden Hygieneinspektionen von RLT-Anlagen
analog VDI 6022 durch. Als VDI-geprüfte Fachingenieure
RLQ und RLQ-Manager der DGUV-Test
überprüfen wir Raumlufttechnische Anlagen
bereits vor Inbetriebnahme und nehmen hier
Aufgaben des Gesundheitsschutzes und der
Gefährdungsbeurteilung wahr.
PRODUKTZERTIFIZIERUNGEN
Vom Handschuh über den Staubsauger, die
Matratze, die Waschmaschine, den Teppich, bis hin
zum Luftreinigungsgerät – für Allergiker relevante
Produkte. Aber auch Produkte, die allgemein zur
Verbesserung der Lebensqualität beitragen, haben
vielfach schon heute ein gui-lab Prüfzeichen. Auch
Prozesse innerhalb der Gebäudetechnik, die die
Hygiene beeinflussen, werden von uns zertifiziert.
Innerhalb unseres Netzwerkes haben wir uns zu
höchstem Qualitätsstandard verpflichtet.
Darüber hinaus zertifizieren wir fertig installierte
Raumlufttechnische Anlagen und dezentrale
Befeuchter als VDI-geprüfte Fachingenieure RLQ
gemäß der Richtlinien VDI 6022 Blatt 1 und Blatt 6.
Bei erfolgreicher Prüfung erhält die Anlage einen
VDI-Prüfaufkleber, der diesen Erfolg belegt, aber
auch die nächsten notwendigen Hygieneinspektionen
terminiert.
Wieselweg 16
41239 Mönchengladbach
info@dr-winkens.de
37 philou.
Artikel
IM WIR ZUM DU ZUM ICH
Versuch über Liebe und Person
CANER DOGAN
GESELLSCHAFTSWISSENSCHAFTEN
Nach der Erzählung des Aristophanes in Platons Gastmahl
gab es einst ein ganz anderes Geschlecht unter den Menschen:
„Denn zunächst einmal gab es drei Geschlechter unter
den Menschen, während jetzt nur zwei, das männliche
und das weibliche; damals kam nämlich als ein
drittes noch ein aus diesen beiden zusammengesetztes hinzu,
von welchem jetzt nur noch der Name übrig ist, während
es selber verschwunden ist.“ (Platon 189C–190B)
Ein solches „Mannweib“ (ebd.) zeichnete sich durch seine
runde Form und dadurch aus, dass es alle Gliedmaßen doppelt
besaß. Da sie gegen die Götter aufbegehrten, beschloss
Zeus, die Körper der mannweiblichen Menschen zu zerteilen.
In Folge fanden sie ihre andere Hälfte „mit sehnsüchtigem
Verlangen“ (Platon 190E–191D) und „schlangen die
Arme umeinander und hielten sich umfaßt, voller Begierde,
wieder zusammenzuwachsen…“ (ebd.). Sie bedrängt der
Wunsch nach Verschmelzung einerseits, die Rückkehr zu
einem ursprünglichen Zustand andererseits. Hierin finden
wir zwei problematische Haltungen der Liebe, die meines
Erachtens auch heute noch maßgeblich unser Verständnis
von Liebe prägen. Der Wunsch nach Wiedervereinigung
beschreibt die Sehnsucht nach der Rückkehr zu dem, was
war, weil das, was war, als gut und wünschenswert erachtet
wird gegenüber dem, was kommen könnte. Er verhindert
Entwicklung. Denn Liebe bedeutet hier entweder Stagnation
oder den Wunsch nach der Rückkehr zur unmöglich
erreichbaren Vergangenheit. Letzteres wird in der psychologischen
Literatur als Regression bezeichnet (vgl. Freud
1920: 247; auch Küchenhoff 1999: 190). Darüber hinaus ist
die Verschmelzung eine nicht minder problematische Figur
Güte bedeutet nicht entsagen
WISŁAWA SZYMBORSKA
(1923–2012)
für die Liebe. Sie überwindet keine Grenzen, sie zerstört sie.
Sie lässt Individuen nicht Individuen sein und kann daher
nur enttäuschen, weil wir als Menschen gleichsam dazu verurteilt
sind, Individuen zu sein.
Dieser Beitrag soll zeigen, dass die Liebe das Versprechen
einer Haltung erfordert, die Personen Person sein lässt. Es
geht dabei nicht darum, die Entstehung von Liebe zu erklären
oder Formen der Liebe zu untersuchen, sondern darum
zu verstehen, was Liebe überhaupt bedeutet. Was wir
dabei versuchen müssen zu verstehen, ist, dass Liebe nicht
nur Einheit und Verschmelzung bedeutet. Sie benötigt auch
eine Form von Trennung und ist damit eine Erfahrung der
radikalen Fremdheit des Anderen, die in der Liebe anerkannt
und zugleich überwunden wird. Der wohl klarste und
zugleich komplizierte Ausdruck dieser Haltung findet sich
in dem Augustinus zugesprochenen Satz amo: volo ut sis –
ich liebe: ich will, dass du bist. So verstanden ist die Liebe
kein Gefühl, sondern eine Form von Beziehung, im Unterschied
zu allen Gefühlen, die in der Liebe auftauchen. Hieraus
ergibt sich ein anderes Verständnis der Zweiheit, das
einem Seiltänzer gleicht in empfindlicher Balance zwischen
Verschmelzung und Trennung. Liebe ist damit die einzige
Form menschlichen Miteinanders, die den Anderen als
ganz Anderen anerkennt und die Kluft zwischen dir und
mir gleichzeitig überwindet. Es ist damit nicht gesagt, dass
Liebe als Vorbild aller Formen menschlicher Vergemeinschaftung
herhalten sollte. Das wäre nicht nur schlechthin
38
Identität & Individuum
unmöglich und damit ein beklagenswerter Umstand, sondern
geradezu ein Unheil für die Welt. Hannah Arendt beschreibt
das ikonisch in einem Interview: „wenn man also
die Liebe an den Verhandlungstisch bringt, um mich mal
ganz böse auszudrücken, so halte ich das für ein ganz großes
Verhängnis.“ (Arendt 2005: 65) Das Verhängnis liegt allerdings
nicht im Bösen, das die Liebe produzieren kann, in der
Leidenschaft, dem Hass, der Eifersucht, sondern in ihren
ethischen Implikationen: Die Anerkennung der radikalen
Fremdheit der Person überwindet alle Grenzen und trübt
damit nicht nur das eigene Urteil, sondern verhindert die
Vorstellung des Bösen im Anderen überhaupt. Die meisten
Formen der Vergemeinschaftung brauchen diese Grenzen
allerdings. Salopp formuliert: Man kann den Nazi lieben, ein
Akteur im politischen Geschehen sein sollte er allerdings
nicht. Gleichzeitig kann die Liebe „in ihrer existentiellen
Hingabe […] durch die Übergabe in andere gesellschaftliche
Sphären überfordert werden“ (Tömmel 2016: 355). Wir
sollten also die Liebe nicht als die Beziehung schlechthin
verstehen, doch können wir etwas von ihr lernen.
Auf der Suche nach Antworten darauf, was Liebe eigentlich
bedeutet, ist es lohnenswert, die christliche Tradition zu
befragen, begreift sich doch das Christentum als Religion
der Liebe. In der Bergpredigt interpretiert Jesus das Gebot
der Nächstenliebe radikal: „Liebet eure Feinde und betet für
die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters […]
im Himmel werdet; […] Seid also vollkommen, wie euer
himmlischer Vater vollkommen ist!“ (Mt. 5, 44–45, 48) Die
einfache Formulierung der Nächstenliebe trügt. Denn sie
ist erzwungen; sie ist nicht wählerisch (vgl. Bultmann 1930:
244) und gilt jedem, insofern jeder göttlichen Ursprungs ist.
Es ist nicht die Person, die liebenswürdig ist, sondern Gott
und das Göttliche in jedem. Die Liebe zu Gott kommt in der
Sache aber dem Verhältnis nahe, das die Liebe bezeichnet,
da sich Gott als der ganz Andere unserem Zugriff immerzu
entzieht. Der Preis dafür, Gott in allen zu lieben, ist allerdings
die absolute Trennung und die völlige Aufgabe meiner
selbst; ein Verhältnis, dass für Menschen kaum vorstellbar
ist. Alle zu lieben bleibt das Privileg Gottes. Das sind Komplikationen,
die hier nicht vertieft werden können. Wesentlich
ist, dass die christliche Nächstenliebe eine Vorstellung
von Liebe nahe legt, die dem Menschen qua Menschsein
zukommt und nicht aufgrund seiner jeweiligen Individualität.
Liebe aber gilt der je einzigartigen Person, die weit mehr
ist als der Mensch als Gattungswesen. Sie beruht auf dem
Grund einer freien Gabe an die Person und ist wählerisch.
Was wir im Folgenden verstehen müssen, ist, dass der scheinbare
Widerspruch zwischen Freiheit und Individualität einerseits
und Abhängigkeit andererseits eigentlich nur zwei
Seiten der gleichen Medaille meint. Aus der Psychoanalyse
wissen wir zwar, dass jede Liebe auch „Übertragungsliebe
sei, weil sie immer auch den verlorenen Objekten der Kindheit
gelte“ (Küchenhoff 2013: 129f.) bzw. eine „Wiedergutmachung“
(vgl. Klein: 1937) der unbewussten Aggressionen
39
des Kindes gegen die Eltern; doch auch die Einsicht, dass
wir nicht Herr im eigenen Haus sind, kann nicht das Ende
von Freiheit bedeuten.
Das Verhältnis von Freiheit, Individualität und Abhängigkeit
findet in dem bereits oben erwähnten Satz von Augustinus
seinen klarsten Ausdruck: amo: volo ut sis – ich liebe: ich will,
dass du bist. Arendt interpretiert den augustinischen Satz,
indem sie das Sein des du bist nicht als Wesen und damit als
zeitlos begreift, sondern als Identität einer Person, die historisch
und damit notwendig kontingent ist. Identität kann
dann nur in der Rückschau erinnert und erzählt werden; in
letzter Konsequenz also: nach dem Tod der Person. Identität
bedeutet demnach für die Lebenden im Wesentlichen
Potential. Sinngemäß ist volo ut sis dann nicht ‚ich will, dass
du bist, wer du wirklich bist‘, sondern:
„Love is the revelation of the other person’s freedom.
The contradictory nature of love is that desire
aspires to be fulfilled by the destruction of the
desired object, and love discovers that this object is indestructible
and cannot be substituted.“ (Kernberg 1995: 44)
„Ich will, daß Du seist – wie immer Du auch schließlich gewesen
sein wirst. Nämlich wissend, daß niemand ‚ante mortem‘
[dt. vor dem Tod C. D.] ist, der er ist, und vertrauend, daß es gerade
am Ende recht gewesen sein wird“ (Arendt 2003: 276f.).
Damit öffnet sie einen Raum für Entwicklung in der Liebe,
der immer die Individualität des Anderen berücksichtigt.
„Liebe ist die Bejahung von Sein und Werden.“ (Tömmel
2013: 316) Im volo ut sis sind dabei zwei scheinbar widersprüchlichen
Motive enthalten, die die Liebe ausmachen:
volo (dt. ich will) und ut sis (dt. dass du bist). Das ich will
ist nicht das bloße Versprechen, sondern durchaus ambivalent.
Als mein Wille kann er niemals unser oder dein Wille
sein. Der Wille kann das Wir wollen, aber nicht sagen: ‚Wir
wollen‘. Er ist in letzter Konsequenz immer übergriffig, da
er das meinige auf den Anderen projiziert. In der Sprache
der Psychologie: Der Andere ist immer Objekt meiner Bedürfnisse,
insofern ich sie auf ihn projiziere (vgl. Küchenhoff
2013: 150). Gleichzeitig ist der Wille auch immer Preisgabe
meiner Selbst, denn er ist „das innere Vermögen, mit dem
Menschen entscheiden, ‚wer‘ sie sein werden“ (Arendt 2008:
210). Bedürftigkeit und Selbstsein drücken sich gleichermaßen
im volo aus. Im ut sis passiert nun etwas anderes. Der
Andere wird in seiner für mich unerreichbaren Andersheit
anerkannt. Die Bindung des Willens an das Bestehen der
Kontingenz des Anderen geschieht kraft der Liebe, ja sie
ist Liebe. Diese paradoxe Bewegung hat Otto Kernberg in
die schönen Worte gekleidet:
Der Wille macht den Anderen zum Objekt und wird ihn
in letzter Konsequenz zerstören. Unersetzbar ist der Andere,
weil er mir im anhaltenden Dialog verstehend Heimat ist;
auch, weil er mir in der Berührung zeigt, dass mein Körper
liebenswert ist wie er ist. „Die Unmittelbarkeit sinnlicher
Begegnung ist, soll sie erfüllt sein, eine, die Abstand
schafft, dort wo die Nähe am größten ist… [und zwar C.
D.] im Sinne einer Befreiung der Sinnlichkeit von Zielen,
Zwecken und Verwendung.“ (Küchenhoff 2007: 126) Mit
anderen Worten: unersetzbar ist er auch, weil er unser Bedürfnis
nach Verschmelzung befriedigt.
In dem Gedicht Verliebte von Wisława Szymborska wird
die Trennung bereits im Moment des Verliebens gedacht.
Das Trennen spielt hier also schon in der frühen Begegnung
eine Rolle und kehrt uns als Verdrängtes im Traum wieder:
„Und wenn wir einschlafen, / sehn wir im Traum die Trennung.
/ Doch dieser Traum ist gut, / ja dieser Traum ist gut,
/ weil wir davon erwachen.“ Es ist nicht die Angst vor der
Trennung, die hier heraufbeschworen wird; auch nicht die
Hoffnung, dass wir die Trennung überstehen. Das davon
des letzten Verses bezeichnet nicht bloß ein Heraustreten
aus dem Traum, sondern eine Konsequenz. Der Traum ist
gut. Denn die Trennung lässt uns erwachen. Sie ist es, die
uns den Anderen als unerreichbar Anderen vergegenwärtigt
und erst dadurch, dass uns der Andere die Liebe in Freiheit
schenkt, sind wir. Im Wir suchen wir nach Du und durch
Du wird uns Ich vergegenwärtigt. Wie zu Beginn erwähnt,
können wir etwas aus der Liebe lernen: nämlich dass nicht
Einflussnahme, sondern das sein-lassen-Können des Anderen
Grund der Humanität ist, mit anderen Worten: volo ut
sis – ich will, dass du bist.
40
Identität & Individuum
Wo Liebe geht, bleibt Trauer
Wo Trauer geht, bleibt Leere
Was Leere ist, weiß der Geist
Dir ist mein Grund
Wo Grund ist, gedeiht es
Leere will nicht gefüllt
Werden, sie nährt Neues
Du bist Neues
Du kommst und wächst
Du blühst und bleibst
Bis du bist und frei
Und du gehst
Gehen ist Leben
Durchweg bin ich
Im Weg bist du
Und ich bei dir
CANER DOGAN
Arendt, H. (2003): Denktagebuch. 1950–1973.
München: Piper.
Arendt, H. (2005): Ich will verstehen. Selbstauskünfte
zu Leben und Werk. München: Piper.
Arendt, H. (1998): Vom Leben des Geistes. München:
Piper. 9. Auflage 2016.
Die Bibel. Einheitsübersetzung. Altes und Neues
Testament. Stuttgart: Herder 2016.
Bultmann, R. (1930): Das christliche Gebot der
Nächstenliebe. In: Glauben und Verstehen. Erster
Band. Gesammelte Aufsätze. Tübingen: Mohr. S.
229–244.
Freud, S. (1920): Jenseits des Lustprinzips. In:
Psychologie des Unbewußten. Freud-Studienausgabe
Band III. Frankfurt am Main: S. Fischer. S.
213–272.
Kernberg, O.F. (1995): Love Relations. Normality
and Pathology. New Haven: Yale University Press.
Klein, M. (1937): Liebe, Schuldgefühl und Wiedergutmachung.
In: Gesammelte Schriften. Band
1. Schriften 1920–1945. Stuttgart: fromann-holzboog.
S. 106–155.
Küchenhoff, J. (1999): Verlorenes Objekt, Trennung
und Anerkennung. Zur Fundierung psychoanalytischer
Therapie und psychoanalytischer Ethik
in der Trennungserfahrung. In: Forum der Psychoanalyse.
15. Jg. 1999/03. S. 189–203.
Küchenhoff, J. (2007): …dort, wo ich berühre,
werde ich auch berührt. In: Forum der Psychoanalyse.
23. Jg. 2007/02. S. 120–132.
Küchenhoff, J. (2013): Der Sinn im Nein und die
Gabe des Gesprächs. Psychoanalytisches Verstehen
zwischen Philosophie und Klinik. Weilerswist:
Velbrück Wissenschaft.
Platon (o. J.): Das Gastmahl. In: Sämtliche Werke.
Erster Band. Berlin: Lambert Schneider.
Szymborska, W. (1996): Hundert Freuden. Gedichte.
Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Tömmel, T.N. (2013): Wille und Passion. Der Liebesbegriff
bei Heidegger und Arendt. Berlin:
Suhrkamp.
41 philou.
Artikel
SICH SELBST MACHEN –
ODER AUCH GEMACHT
WERDEN?
MIRKO BECKERS
INTERDISZIPLINÄRE ANTHROPOLOGIE (FREIBURG)
Wer bin ich? – um sich mit dieser Frage überhaupt beschäftigen
zu können, muss davon ausgegangen werden, dass es so
etwas wie ein „Jemand“ oder eine Individualität überhaupt
gibt. Und die Erfahrung, ein Jemand zu sein oder eine Individualität
zu haben, entsteht im Kontrast zu anderen. Welche
besonderen Eigenschaften oder Wesenszüge zeichnen
mich aus, die andere nicht haben? Die wenigstens wollen
ein homme moyen sein, ein absoluter Durchschnittsmensch.
Unauffällig und nicht besonders. Deswegen arbeiten wir
auch ständig an unserer Identität und unserer Individualität,
feilen fleißig an unseren rauen Stellen oder versuchen gar,
durch neue Erfahrungen ungeahnte Seiten an uns zu entdecken
und hervorzuheben. Wir wollen an uns selbst wachsen,
wollen fast schon aufklärerisch aus der selbstverschuldeten
Un-Persönlichkeit hervortreten und uns eine einzigartige
Gestalt geben, auf die wir stolz sein können. Vertikalspannung
nennt Peter Sloterdijk das. Und als ein Wesen, das
ständig mit sich selbst in dieser Spannung lebt, müssen wir
den Menschen begreifen: „das heißt als ein Wesen, das von
einem Differenzstress in Bezug auf sein eigenes Sein- und
Werdenkönnen beansprucht ist. Der Mensch ist, wie man
sagt, nie mit sich selbst identisch, er steht immer in einem
Gefälle zu sich, in einem Mehr oder Weniger, in einem Hinaus
oder Hinunter, er ist von vertikalen Kräften berührt und
durchdrungen“ (Sloterdijk 2017: 210).
Nach diesem Mehr und Hinaus in seiner Identitätsbildung
zu streben, dieser Akt, klingt nach einem heroischen Heraustreten
aus sich selbst in die Welt. Als könne man sich
bewusst dazu entscheiden, dieses – und nur dieses spezielle
– Ich zu sein. Kann Identität so verstanden werden? Als
schöpferisches Projekt der reinen Selbstschaffung? Bin ich
nur der, weil ich mich zu dem gemacht habe? Habe ich alle
Entscheidungen, die mein Ich prägen, so bewusst und radikal
autonom getroffen, dass ich von mir als Selbst-Kreation
sprechen kann? In Zeiten von Selbst-Optimierung,
Selbst-Inszenierung und unbegrenzten Möglichkeiten, in
denen immer alles so souverän, selbstbewusst und positioniert
oder entschieden erscheint, muss man sich diese Fragen
erneut stellen. Und es scheint nur allzu oft, als käme
das alles aus der Person selbst. Als müsse man sich bei den
ganzen Angeboten nur rational und selbstbewusst genug
entscheiden und dann einfach zu diesem Ich, zudem man
sich dann gemacht hat, bekennen.
Wenn das wirklich so wäre, warum tut man sich dann
manchmal so schwer damit, zu wissen, wer man ist und
wer man sein will? Doch bestimmt nur deshalb, weil man
sich nicht genug anstrengt. Hadern mit sich selbst und seinen
Selbstentwürfen gehört aber fundamental zu dem, was
letztlich ein Ich werden will. So schreibt der Philosoph Hans
Blumenberg: „Der Mensch ist das Wesen, das sich, so wie es
sich mißlingen kann, als mißlungen zu empfinden vermag“
(Blumenberg 2014: 681). Dem Menschen ist es nicht nur
möglich, diesen heroischen Moment der Selbsterkenntnis
42
Identität & Individuum
zu vollziehen, indem er einem Ideal seiner Selbst hinterher
rennt und sich schöpferisch zur bestmöglichen Version
seiner Selbst macht, sondern ebenso ist es dem Menschen
auch möglich, „das von sich wahrgenommene Spiegelbild
nicht wahrhaben zu wollen, weil es entweder dem inneren
Selbstbild nicht entspricht oder dem Willensbild nicht genügt,
das man verwirklichen wollte“ (ebd.).
Mit sich selbst zu hadern, wer man ist und sein will, gehört
zur Identität dazu. Dadurch wird Identität mehrdimensional.
Sie definiert sich nicht nur aus dem Prozess heraus, selbst
ein bestimmter Jemand sein zu wollen, sondern bildet sich
gleichsam als Effekt aus der Anstrengung, sich selbst zu definieren.
Wir selbst sind immer auch Projektionen. Und diese
Projektionen sind sozial konstruiert und damit kontingent.
Daher können wir nicht einfach naiv werden, was wir immer
schon sind, sondern müssen uns zu dem machen, der
wir sein wollen. Das verläuft aber nicht linear, sondern entwickelt
sich, erleidet Rückschläge, Verunsicherungen oder
auch manchmal Sprünge nach vorne. Eine Identität zu entwickeln,
stellt sich uns daher als eine fortwährende Aufgabe
dar, die nie abgeschlossen werden kann.
Und überhaupt: Wer wir sein wollen, das kommt nicht genuin
nur aus uns selbst. Es braucht die Stimmen der anderen,
in deren Spiegelbild wir eine Ahnung davon gewinnen,
wer wir sein wollen oder sein können. So münzt der selbsternannte
Gelegenheitsphilosoph Günther Anders das alte
Credo Descartes um: „Als unbezweifelbar da erfährt sich
jeder von uns allein dann, wenn er von anderen als daseiend
in Anspruch genommen wird. Im Unterschied zum Cartesischen
Cogito ergo sum müßte der im Leben faktisch geltende
Seinsbeweis lauten: Cogitor ergo sum – ‚man denkt an
mich, also bin ich‘“ (Anders 1985: 70).
An uns wird aber nicht nur gedacht, sondern auch konkret
adressiert. Gesellschaftliche Normen und kulturelle Ansprüche
schaffen Erwartungshaltungen, die wir verinnerli-
43 philou.
chen und nach denen sich auch unsere Selbstbewertung im
Spiegel misst. Es entstehen gesellschaftliche Kraftfelder, die
sich überlagern und – oft auch gegenläufige – Erwartungen
schaffen, zwischen deren Kräfte wir uns zerrieben und
zerrissen fühlen können. Mit Georg Simmel könnte man
das die Kreuzung sozialer Kreise nennen, Niklas Luhmann
würde die Person als Konglomerat verschiedener Systemerwartungen
bestimmen und Ralf Dahrendorf vom homo sociologicus
sprechen, der die ärgerliche Tatsache der Gesellschaft
sei. Dabei ist die Gesellschaft ärgerlich, „weil sie uns zwar
durch ihre Wirklichkeit entlastet und vielleicht überhaupt
erst die Ausdrucksmöglichkeiten des Lebens gibt, weil sie
aber andererseits uns stets und überall mit unübersehbaren
Wällen umgibt, in denen wir uns einrichten, die wir bunt bemalen
und bei geschlossenen Augen fortdenken können, die
jedoch unverrückbar stehen bleiben“ (Dahrendorf 1974: 50).
Wir machen uns also nicht nur selbst, sondern sind auch
durch über-individuelle Kräfte formbar. Und weil wir darüber
hinaus auch formungsbedürftig sind, befindet sich
Identität immer in der Spannung, sich im richtigen Grad
zu unterwerfen: „Was später ‚ich‘ heißen wird, ist in seiner
Verletzbarkeit angewiesen auf die Unterwerfung unter die
‚Welt der anderen‘, und es muss diese Unterwerfung noch
aktiv bejahen, weil die einzige Alternative dazu die Preisgabe
der eigenen Existenz wäre“ (Bröckling 2017: 64).
Werde, was du bist? – das ist wohl kaum so einfach, denn:
man wird zu dem, der man ist, weil man als solcher angesprochen
wird und es gleichsam werden muss, weil man
sich zu gewissen Teilen dem identitätsbildenden Sog der
Gesellschaft unterwirft. Nicht in einem konkreten Moment
werden wir zu uns selbst, sondern in einem sich ständig
wiederholenden Prozess sind wir Selbst-Schöpfer und
Fremd-Geschöpf. Der Anspruch lautet daher vielleicht:
„Mach dich zu dem, der du sein sollst. Sei Puppenspieler,
obwohl du so oft ungeahnte Marionette bist.“
Das heißt nicht, dass wir uns selbst als repressiv wahrnehmen
sollen. Es geht darum, weg von einem Gedanken zu
kommen, der zu viel von uns in Form bewusster Entscheidungen
abverlangt. Es geht darum, den Prozess in den Fokus
zu rücken, der die Balance zwischen der gefragten Selbstverwirklichung
einer vertikalen Spannung hält und gleichzeitig
um die Unterwerfungen weiß, denen Menschen als
soziale Wesen unterliegen.
Menschen entwickeln keine Identität nur deshalb, weil sie
sich bewusst dazu entscheiden, dieser Jemand zu sein. Auch
wenn der Zeitgeist den Anschein erwecken mag, sich nur
souverän genug entscheiden zu müssen, um mit sich im Reinen
zu sein, ist die Entwicklung einer Identität weder ein
linearer Selbstentscheidungsprozess noch in dieser Form
transparent. Stattdessen sind wir Jemande, weil wir uns
austauschen, weil wir mit Freunden und andere Menschen
ein Selbst erarbeiten, weil andere an uns denken und weil
über-individuelle Kräfte uns Werte vorgeben, nach denen
wir uns richten. Dazu braucht es auch immer wieder ein reflexives
Moment, indem wir den Kreuzpunkt verschiedener
identitätsgebender Kraftfelder hinterfragen. Dadurch sind
Identitäten auch niemals stabil, sondern können sich ändern
– und wir Menschen können uns misslingen oder als
misslungen empfinden.
Anders, G. (1985): Post festum. In: Tagebücher
und Gedichte. München: C.H. Beck. S. 64–93.
Blumenberg, H. (2014): Beschreibung des
Menschen. Aus dem Nachlaß herausgegeben
von Manfred Sommer. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Bröckling, U. (2017): Der Mensch ist das Maß
aller Schneider. Anthropologie als Effekt. In:
Gute Hirten führen sanft. Über Menschenregierungskünste.
Berlin: Suhrkamp. S. 45–70.
Dahrendorf, R. (1974): Pfade aus Utopia. Arbeiten
zur Theorie und Methode der Soziologie.
München: Piper. 3. Auflage 1988.
Sloterdijk, P. (2017): Menschenverbesserung.
Philosophische Stichworte zum Problem der anthropologischen
Differenz. In: Nach Gott. Berlin:
Suhrkamp. S. 210–228.
44
Artikel
Identität & Individuum
ICH BIN, WAS ICH ZU
ERLEIDEN VERMAG
Die Konvergenz von Identität und Resilienz
ANN-KRISTIN WINKENS
UMWELTINGENIEURWISSENSCHAFTEN
„‚Risiko‘ ergo sum: Ich wage, also bin
ich. Ich leide, also bin ich.
Wer bin ich? Warum bin ich? Warum
bin ich der, der ich bin, und nicht der,
der ich auch sein könnte,
also auch bin?“
– Ulrich Beck (2008)
„Bedrohung und Unsicherheit gehören schon immer zu
den Bedingungen menschlicher Existenz“, schreibt Ulrich
Beck (2008) in seinem Werk „Weltrisikogesellschaft“.
Das menschliche Leben ist zahlreichen Krisenerfahrungen
und Belastungen ausgesetzt, sodass einschneidende Lebensereignisse,
Risiken und aversive Lebensbedingungen
als unvermeidbare und teilweise inhärente Bestandteile
sowohl individueller als auch gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse
gelten (vgl. Fooken 2016: 14). In diesem
Kontext gibt es verschiedene Vorstellungen und Theorien
darüber, inwieweit der Mensch auf Belastungen und
unerwartete Störungen reagiert oder reagieren kann. Wie
können Menschen einschneidende Erlebnisse oder sogar
existentielle Gefahren bewältigen, sodass sie nicht nur
widerstandsfähiger werden, sondern auch positiv aus den
Erfahrungen hervorgehen?
Im fachübergreifenden Diskurs ist Resilienz der Begriff,
der sich dieser Frage annimmt. Ausgehend von der ursprünglichen
Bedeutung des Resilienzbegriffes (Lateinisch
resiliere = „zurückspringen“ oder „abprallen“) aus
den Naturwissenschaften – hier beschreibt er die Fähigkeit
eines Körpers oder Materials, nach einer elastischen
Verformung durch Krafteinwirkung in die ursprüngliche
Form zurückzukehren – hat sich das Verständnis dessen
in den letzten Jahrzehnten bedeutend gewandelt und wird
auf zahlreiche Disziplinen übertragen. (vgl. Scharte/Thoma
2006: 125f.)
“Resilience is not only about being persistent or robust to
disturbance. It is also about the opportunities that disturbance
opens up in terms of recombination of evolved
structures and processes, renewal of the system and
emergence of new trajectories. In this sense, resilience
provides adaptive capacity that allow for continuous development,
like a dynamic adaptive interplay between
sustaining and developing with change.” (Folke 2006)
Im wissenschaftlichen Kontext wurde der Resilienzbegriff
erstmalig in der Entwicklungspsychologie verwendet
und insbesondere in den 1970er Jahren verstärkte sich
das Interesse an Fragestellungen zu menschlichen Entwicklungsmöglichkeiten.
Durch die bereits in dieser Zeit
durchgeführte resilienzorientierte Kauai-Studie von Werner
und Smith (2001) wurde der Einfluss widriger Lebensumstände
in der Kindheit auf den Erfolg im späteren
Leben untersucht. Die grundlegende Erkenntnis dieser
Studie war, dass trotz widriger Umstände eine positive
Entwicklung des Kindes möglich sein kann. Demnach
implizieren negative Voraussetzungen nicht zwangsläufig
eine negative Entwicklung. (vgl. ebd.; Fooken 2016: 37f.;
Scharte/Thoma 2016: 125f.) Wichtig ist hierbei die Abgrenzung
zur Traumabewältigung: Resilienz und Trauma
45
verhalten sich komplementär zueinander – Trauma basiert
auf einer Verletzbarkeit, die bereits erlebt wurde, während
Resilienz die Kompetenz beschreibt, Traumata zu verhindern.
(vgl. Graefe 2016)
Ähnliche positive Implikationen zu dem Resilienzkonzept
sind in einigen psychodynamischen Ansätzen der Persönlichkeitspsychologie
zu finden, wie beispielsweise nach
Carl G. Jung (1875–1961) oder Erik H. Erikson (1902–
1994). Entgegengesetzt zu den Freudschen Lehren wurden
hier soziale Beziehungen und die Autonomie des Ichs
in der Persönlichkeitsentwicklung fokussiert – Determinismus
sowie Pessimismus verloren somit ihre Bedeutung,
was hinsichtlich des Resilienzbegriffes zentral ist. Für Jung
war die entscheidende Triebkraft menschlichen Verhaltens
eine allgemeine psychische Energie. Weiterhin geht sein
Ansatz von einem seelischen Wachstumspotential aus, das
sich in einem lebenslangen Individuationsprozess entfalten
kann. Die Menschen seien nicht dauerhaft von frühkindlichen
Ereignissen determiniert, sondern ebendiese
haben ein erhebliches Potential für Entwicklungsprozesse.
(vgl. Rauthmann 2017; vgl. Fooken 18f.)
Erikson konzentrierte sich in seiner entwicklungspsychologischen
Forschung auf das Ich bzw. auf die Suche sowie
Ausgestaltung der Ich-Identität. Nach Erikson sei eine
Person dann gesund, wenn sie eine starke Ich-Identität
ausgebildet habe und diese aufrechterhalten könne. Seine
psychosoziale Entwicklungstheorie basiert auf acht potentiellen
psychosozialen Krisenerfahrungen, die die Ich-Entwicklung
über die Lebensspanne kennzeichnen. Jede der
acht Phasen beschreibt eine Krise zwischen zwei miteinander
in Konflikt stehenden Polen (z.B. Ur-Vertrauen vs.
Ur-Misstrauen), die bewältigt werden muss, da sie die Lösungsmöglichkeit
für die nächste Krise darstellt. Jede Krise
ergibt sich aus neu gewonnenen Fähigkeiten und Einsichten
sowie sich daraus ergebenden neuen Möglichkeiten. Die
Phasenfolge (s. Tabelle 1) hat dabei universelle Gültigkeit.
In diesem Ansatz ist ebenfalls eine Bedrohung der psychischen
Stabilität festzustellen – die entweder eine entwicklungsfördernde
oder entwicklungshemmende Wirkung
aufweisen kann. (vgl. Rauthmann 2017; vgl. Fooken 18f.,
37f.)
Wesentlich für die Ausbildung von Resilienz ist die fünfte
Krise und Phase der Adoleszenz nach Erikson: Identität
vs. Identitätsdiffusion – Ich bin, was ich bin. Nach dem
Ende der Kindheit beginnt die Jugend und damit eine
entscheidende Lebensphase:
„Alle Identifizierungen und alle Sicherungen, auf die man
sich früher verlassen konnte, [werden] erneut in Frage
DEFINITIONEN NACH C.G. JUNG
(vgl. Rauthmann 2017)
Psyche
Selbst
Individuation
Gesamtheit aller psychischen
Vorgänge
Zentrum, das psychische Systeme
integriert und Persönlichkeit
stabil und einheitlich
macht
Ständige (Weiter-)Entwicklung
und Entfaltung der eigenen
Persönlichkeit und
Individualität
46
Identität & Individuum
gestellt. […] Die Integration, die nun in der Form der
Ich-Identität stattfindet, ist mehr als die Summe der Kindheitsidentifikationen.
Sie ist das innere Kapital, das zuvor in
den Erfahrungen einander folgender Entwicklungsstufen
angesammelt wurde. [...] Das Gefühl der Ich-Identität ist
also das angesammelte Vertrauen darauf, daß der Einheitlichkeit
und Kontinuität, die man in den Augen anderer
hat, eine Fähigkeit entspricht, eine innere Einheitlichkeit
und Kontinuität aufrechtzuerhalten.“ (Erikson 1973)
Es bedarf eines Selbstwertgefühls, das nach jeder Krise erneut
bestätigt werden muss. Insbesondere in dieser Phase
muss sich eine Überzeugung ausbilden, dass der eigene
Weg und die Zukunft erreichbar sind. Das Kind in der
Phase der Adoleszenz muss aus jedem Lebensschritt ein
aktives Realitätsgefühl entwickeln, das ihm bestätigt, dass
sein individueller Weg der Bewältigung ein erfolgreicher ist.
(vgl. Erikson 1973)
Begreifen wir nach Jung und Erikson Identität also nicht
als Zustand, sondern als Prozess, folgt daraus, dass Identität
sowohl gestaltet werden kann als auch niemals im Leben
abgeschlossen ist (vgl. Sautermeister 2018: 132). Wie
ICH-IDENTITÄT NACH
E. H. ERIKSON
(vgl. Rauthmann 2017)
Ich bzw. Selbst, das
bewusst erlebt wird
und sich aus
Interaktionen mit
anderen Menschen
entwickelt
47 philou.
Psychosoziale Krise
Psychosoziale Modalitäten
I. Vertrauen vs. Misstrauen Ich bin, was man mir gibt
II. Autonomie vs. Scham und Zweifel Ich bin, was ich will
III. Initiative vs. Schuldgefühl Ich bin, was ich mir zu werden vorstellen kann
IV. Werksinn vs. Minderwertigkeitsgefühl Ich bin, was ich lerne
V. Identität vs. Identitätsdiffusion Ich bin, was ich bin
VI. Intimität und Solidarität vs. Isolierung Ich bin, was ich liebe
VII.
Generativität vs. Stagnierung und
Selbstabsorption
Ich bin, was ich bereit bin, zu geben
VIII. Integrität vs. Verzweiflung Ich bin, was ich mir angeeignet habe
Tabelle 1: Psychosoziale Krisen
im Lebenszyklus
nach Erikson (1973)
bereits erläutert, basiert Resilienz auf zu bewältigenden
Störungen und Krisen – Resilienz ist per se auf Krisen
angewiesen. Erst in dem Moment, in dem das Individuum
mit Störungen und Krisen konfrontiert wird, kann es
auch die eigene Identität erkennen und darauf aufbauend
weiterentwickeln. (vgl. Graefe 2016) Denn Krisen haben
zwei Perspektiven: Einmal die Verdrängung und die Hinterfragung
meiner selbst, sprich die Selbstreflexion. Ersteres
führt zu Pathologien, letzteres bedeutet Entwicklung
der eigenen Persönlichkeit. Der Begriff Resilienz kann
entsprechend eine „vulnerabilitätsbewusste und krisensensible
Perspektive für Identitätsbildung und Identitätsarbeitsfähigkeit“
bieten (Sautermeister 2018: 136). Ebenso
basiert er auf der Annahme, dass Menschen grundsätzlich
Mechanismen besitzen, auf unvorhergesehene Störungen
reagieren zu können: indem sie durch Anpassungs- oder
Transformationsprozesse nicht nur funktionsfähig bleiben
(oder werden können), sondern vor allem Impulse für eine
Entwicklung erlangen, um letztlich die eigene Anpassungsfähigkeit
zu stärken. (vgl. ebd.; vgl. Folke et al. 2010)
Ausgehend von der Annahme, dass die Verletzbarkeit und
Zerbrechlichkeit konstitutionell im Leben des Menschen
und im Menschen selbst verankert sind, ist fraglich, inwieweit
wir unerwarteten Störungen angemessen entgegentreten
(vgl. Sautermeister 2018: 129f.). Die meisten
Ereignisse der Kindheit scheinen unverarbeitet (und sind
schlimmstenfalls verdrängt), da uns niemand dabei geholfen
hat, uns ihnen anzunehmen, sie zu reflektieren und
daraus zu lernen. Eine aktive Aufarbeitung und Reflexion
der eigenen Entwicklung kann uns jedoch letztlich
dabei helfen, resilienter zu werden und die eigene Identität
mitzugestalten.
Auf der Suche nach einem Leben ohne Verletzlichkeit,
verlieren wir uns bei der zwanghaften Suche nach Schutz
und Stabilität. Die illusorische Vorstellung eines stabilen
und krisenfreien Lebens hält uns am Ende davon ab, Krisen
und Belastungen entgegenzutreten und sie zu bewältigen.
Auf diese Art verneinen wir das Leben selbst – eine
Bejahung des Lebens heißt, es mit all seinen Widrigkeiten
anzunehmen und zu lieben.
48
Identität & Individuum
„Resilience is not only
about being persistent
or robust to disturbance.
It is also about the
opportunities that
disturbance opens up in
terms of recombination
of evolved structures and
processes, renewal of the
system and emergence
of new trajectories. In
this sense, resilience
provides adaptive
capacity that allow for
continuous development,
like a dynamic adaptive
interplay between
sustaining and developing
with change.“
CARL FOLKE (2006)
Beck, U. (2008): Weltrisikogesellschaft. Auf
der Suche nach der verlorenen Sicherheit.
Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. 5.
Auflage 2017.
Erikson, E.H. (1973): Identität und Lebenszyklus.
Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
28. Auflage 2017.
Folke, C. (2006): Resilience: The emergence
of a perspective for social–ecological
systems analyses. In: Environmental Change
16. Jg. 2006/03. S. 253–267.
Folke, C.; Carpenter S.R.; Walker, B.;
Scheffer, M.; Chapin; T.; Rockström, J.
(2010): Resilience Thinking: Integrating Resilience,
Adaptability and Transformability.
In: Ecology and Society. 15. Jg. 2010/04.
Fooken, I. (2016): Psychologische Perspektiven
der Resilienzforschung. In: Wink. R.
(Hg.): Multidisziplinäre Perspektiven der Resilienzforschung.
Wiesbaden: Springer Verlag.
S. 13–45.
Graefe, S. (2016): Grenzen des Wachstums?
Resiliente Subjektivität im Krisenkapitalismus.
In: psychosozial. 39. Jg. 2016/143.
S. 39–50.
Rauthmann, J.F. (2017): Persönlichkeitspsychologie:
Paradigmen – Strömungen –
Theorien. Wiesbaden: Springer Verlag.
Sautermeister, J. (2018): Selbstgestaltung
und Sinnsuche unter fragilen Bedingungen.
Moralpsychologische und ethische Anmerkungen
zum Verhältnis von Resilienz und
Identität. In: Karidi, M.; Schneider, M.; Gutwald,
R. (Hg.): Resilienz. Interdisziplinäre
Perspektiven zu Wandel und Transformation.
Wiesbaden: Springer Verlag. S. 127–140.
Scharte, B.; Thoma, K. (2016): Resilienz –
Ingenieurwissenschaftliche Perspektive. In:
Wink. R. (Hg.): Multidisziplinäre Perspektiven
der Resilienzforschung. Wiesbaden:
Springer Verlag. S. 123–149.
Werner, E.E.; Smith, R.S. (2001): Journeys
from Childhood to Midlife: Risk, Resilience,
and Recovery. New York: Cornell University
Press.
49 philou.
Impressum
philou.
Das unabhängige wissenschaftliche Studierendenmagazin
an der RWTH Aachen University.
Kontakt
http://philou.rwth-aachen.de
https://www.facebook.com/philoumagazin
info@philou.rwth-aachen.de
Ausgabe 8, 2019
Auflage: 3.000
Mitwirkende
Bendler, Karl
Dogan, Caner
Eleftheriadi-Z., Sofia
Falter, Frédéric
García Mata, Cristina
Heinrichs, Katja
Layout
García Mata, Cristina
Hilker, Sarah
Korr, Jan
Lentzen, Nina
Neu, Sabrina
Winkens, Ann-Kristin
Credits
S. 29: Originalbild Jon Tyson via Unsplash
S. 45: Originalbild Freepik.com
S. 48f.: Originalgrafiken von vectorpouch via Freepik.com
Texturen: texturefabrik.com
V.i.S.d.P
Ann-Kristin Winkens
Studierendenmagazin Philou. e.V.
Robensstraße 65
52070 Aachen
Im Namen der gesamten Redaktion bedanken wir uns herzlichst
bei dem AStA, dem VDI Bezirksverein Aachen, Prof. Dr.
Thomas Niehr, Defne Erel und allen anderen Mitwirkenden,
die Zeit, Rat und Geld zur Verfügung gestellt haben.
Diese Ausgabe und die vorigen Ausgaben der philou. können
auch online unter philou.rwth-aachen.de eingesehen werden.
Die Redaktion behält sich das Recht vor, Artikel redaktionell
zu bearbeiten. Eine Abdruckpflicht für eingereichte Beiträge
gibt es nicht. Die in der philou. veröffentlichten, namentlich
gezeichneten Beiträge geben die Meinungen der Autoren wieder
und stellen nicht zwangsläufig die Position der Redaktion
dar.
Nachdruck und Wiedergabe von Beiträgen aus der philou.
sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion erlaubt.
AUSBLICK: AUSGABE 9
Das Prinzip
VERANTWORTUNG
Hans Jonas (1903–1993) begründet mit seinem Imperativ der
Verantwortung
Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen mit der Permanenz
menschenwürdigen Lebens verträglich sind.
das Prinzip der Verantwortung (1979).
Wir sind entsprechend nicht nur für unsere Handlungen
verantwortlich, sondern auch für die unterlassenen Handlungen.
Im Rahmen des Studiums, der Forschung, der Lehre und der
Wissenschaft befinden wir uns in einem Sammelsurium von
zahlreichen Disziplinen, in denen verantwortungsvolles Handeln
eine zentrale Rolle spielt. Was haben unsere technologischen
Fortschritte für Folgen? Wie wirken sich unsere Taten auf
die Umwelt und zukünftige Generationen aus? Welche
ethischen Implikationen birgt dies in den Ingenieur- und
Naturwissenschaften, der Medizin, Pädagogik, Politik und
Wirtschaft? Und wer trägt überhaupt Verantwortung? Was ist
„Verantwortung“?
Mit diesen und vielen weiteren Aspekten soll sich die nächste
Ausgabe beschäftigen – dabei geht es um einen interdisziplinären
und inneruniversitären Diskurs.
Hast Du Lust zu schreiben, wissenschaftlich zu arbeiten und zu
publizieren? Dann schreibe doch einen Artikel für uns!
Melde Dich unter lektorat@philou.rwth-aachen.de
KONTAKT & MITMACHEN
Du willst selbst redaktionelle Luft schnuppern?
Du hast Ideen oder Kritik?
Du hast Fragen, Anmerkungen oder Vorschläge?
Du möchtest mit uns zusammenarbeiten
oder uns kennenlernen?
Deine Anfragen nehmen wir gern entgegen. Darüber hinaus
sind wir immer auf der Suche nach Studierenden aller
Fachrichtungen, die bei philou. mitwirken möchten. Egal, ob
im Layout, im Lektorat, in der Öffentlichkeitsarbeit oder in
der Organisation: Tatkräftige Unterstützung ist zu jeder Zeit
willkommen.
Melde Dich unter info@philou.rwth-aachen.de
philou.rwth-aachen.de
facebook.com/philoumagazin
info@philou.rwth-aachen.de
50
Anzeige
Über Geld sprechen
ist einfach.
Weil die Sparkasse nah ist
und auf Geldfragen die
richtigen Antworten hat.
sparkasse-aachen.de