Magazin-2017-3
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BRASILIEN: AKTUELLE POLITIK<br />
Brasiliens Übergangsregierung<br />
eliminiert erreichte Fortschritte<br />
Während des letzten Jahrzehnts sah es so aus, als ob Brasiliens Bevölkerung<br />
sich dank einer sozialer eingestellten Regierung langsam aus der Armut<br />
befreien könnte. Doch die politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen<br />
des letzten Jahres machen diese Hoffnung zunichte. Mit dem Stopp sozialer<br />
Programme hat die Regierung die Ärmsten aufs Trockene gesetzt.<br />
Text: Annette Mokler; Fotos: ASPTA<br />
men, ärmeren schwarzen Studierenden und Schülerinnen<br />
und Schülern mit Quoten und Stipendien<br />
den Zugang zu guter Bildung zu ermöglichen.<br />
Doch nun hat diese vorsichtig positive Entwicklung<br />
ein abruptes Ende gefunden. Vor gut einem<br />
Jahr setzte das brasilianische Parlament die 2014<br />
wiedergewählte Präsidentin Dilma Roussef unter<br />
fadenscheinigen Vorwürfen ab. Diese Machtübernahme<br />
durch eine Riege reicher, weisser Oligarchen<br />
und Grossgrundbesitzer erinnert an einen<br />
Putsch. Seither ist die politische Lage im Land<br />
chaotisch. Über die Hälfte der Abgeordneten der<br />
Interimsregierung scheint in Korruption verwickelt<br />
zu sein und der Justiz wird politisches<br />
Kalkül vorgeworfen.<br />
Eigene, sichere<br />
Wasserreserven<br />
machen die<br />
Jugendlichen und<br />
ihre Familien vom<br />
Regen und der von<br />
der politischen<br />
Elite kontrollierten<br />
Wasserversorgung<br />
unabhängig.<br />
Auch wenn die Situation für viele Menschen Brasiliens<br />
bei näherem Hinsehen nie nur eitel Sonnenschein<br />
war – zu gross waren die sozialen, politischen<br />
und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den<br />
verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Landesteilen<br />
– so schien sich seit Anfang dieses Jahrtausends<br />
doch eine leichte, stetige Besserung anzubahnen.<br />
Brasilien war von der Liste der Länder verschwunden,<br />
in denen grosse Teile der Bevölkerung von<br />
extremer Armut betroffen sind. Mit ein Grund für<br />
diese Entwicklung war die Regierung der Arbeiterpartei<br />
PT (seit 2003), bis 2010 unter dem Präsidium<br />
von Luiz Inacio Lula da Silva und danach Dilma<br />
Rousseff. Vor allem Lula hatte in seiner Regierungszeit<br />
zahlreiche Sozialprogramme zur Stärkung<br />
der ärmeren Bevölkerung eingeführt. Da wurden<br />
beispielsweise zaghafte Versuche unternom-<br />
Drakonische Kürzungen<br />
Der Sturz hat unmittelbare Folgen für die arme<br />
Bevölkerung des Landes. Kurz nach der Machtübernahme<br />
im September 2016 begann die nicht<br />
gewählte Übergangsregierung alle sozialen Programme<br />
zu kürzen. Die Ausgaben für Bildung<br />
und Gesundheit wurden für die nächsten 20 Jahre<br />
eingefroren und die Förderprogramme für<br />
schwarze und arme Jugendliche gestoppt. Gesetze<br />
zur Markierung von indigenen Gebieten und<br />
Gebieten, wo vor allem Schwarze leben, und Gesetze<br />
zum Schutz von Minderheiten sowie zum Umweltund<br />
Waldschutz wurden ausser Kraft gesetzt.<br />
Dies teilweise im Widerspruch zu international unterzeichneten<br />
Verpflichtungen. Arbeitnehmerrechte<br />
wurden ausgehöhlt. Die drakonischen Sparmassnahmen<br />
begründeten die Parlamentarier mit<br />
der schweren wirtschaftlichen Rezession, die das<br />
Land getroffen hat, während sie sich selbst aber<br />
eine saftige Gehaltserhöhung genehmigten. Zudem<br />
wurden die Ausgaben für das Militär drastisch<br />
erhöht und die Privatisierung staatlicher und<br />
halbstaatlicher Betriebe wird vorangetrieben.<br />
Die Liste der Rückschritte ist lang. So listet die<br />
brasilianische Menschenrechtsorganisation Alerta<br />
Social für die ersten 365 Tage der Amtszeit der Übergangsregierung<br />
für jeden Tag einen Rückschritt<br />
in der Gesetzgebung auf. Ausserdem berichten<br />
8 magazin September <strong>2017</strong>