EDUCATION 2.21
Empathie
Empathie
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Thema | Dossier<br />
Weil sie Aussagen, die ironisch oder<br />
sprichwörtlich gemeint sind, oft wortwörtlich<br />
nehmen, erleben sie immer wieder<br />
Nachteile. Nach einem ironischen «Na, das<br />
war ja mal eine Glanzleistung», kann es<br />
sein, dass der angesprochene Schüler<br />
sich über seine «tolle» Leistung freut, statt<br />
den Wink zu verstehen, zu mehr Anstrengung<br />
motiviert zu sein. Autistische Schülerinnen<br />
und Schüler müssen immer wieder<br />
die Verwirrung auflösen, die bei ihnen entsteht,<br />
weil sie Botschaften wortwörtlich<br />
verstehen und nicht mit dem für sie seltsam<br />
anderen Verhalten von Menschen in<br />
Einklang bringen. Dies kann zu Konzentrationsproblemen<br />
führen. Autistinnen und<br />
Autisten können zudem ausgenutzt werden,<br />
weil sie die eigentlichen Absichten<br />
zudem gute Empathietrainings (siehe Kasten),<br />
die man an der Schule anbieten kann.<br />
Wie wichtig ist Empathie generell im<br />
Unterricht?<br />
Es gibt viele Aspekte des Unterrichts. Beim<br />
Lösen einer mathematischen Gleichung<br />
etwa dürfte Empathie nicht so wichtig sein.<br />
Beim sozial-kooperativen Lernen, für die<br />
Beziehung zur Lehrperson sowie für das<br />
Klassenklima macht es hingegen einen<br />
Unterschied, ob man den anderen auch<br />
nonverbal versteht und Mitgefühl zeigen<br />
oder erwarten kann oder nicht.<br />
Auch Lehrpersonen sind gefordert: Sie<br />
brauchen Empathie, um die Perspektive<br />
eines Schülers einnehmen zu können, der<br />
Angst hat, vor der Klasse zu sprechen,<br />
sich schämt, weil er die Antwort nicht<br />
«Menschen mit zu viel emotionaler Empathie laufen<br />
Gefahr, wegen ihres zu grossen Mitgefühls zu leiden.»<br />
Alexander Bertrams<br />
der anderen nicht erkennen. Und sie erleben<br />
häufiger soziale Ablehnung, Ausschluss<br />
und Mobbing aufgrund ihrer besonderen<br />
Ehrlichkeit. Sie erkennen nicht,<br />
wenn ihre Aussagen das Gegenüber verletzen<br />
oder langweilen.<br />
Und wie können Lehrpersonen diese<br />
Nachteile ausgleichen?<br />
Lehrerinnen und Lehrer unterstützen autistische<br />
Schülerinnen und Schüler durch eine<br />
direkte und klare Kommunikation über<br />
ihre Erwartungen und beim Feedbackgeben.<br />
Ab und zu dürfen sie ihre Emotionen<br />
aber auch explizit äussern, ironisch sein<br />
und ironische Bemerkungen danach erklären.<br />
Dies kann der autistischen Schülerin,<br />
dem Schüler einen Impuls geben. Ein offener<br />
Umgang mit Autismus in der Klasse<br />
kann die Situation ebenfalls entspannen.<br />
Vorher braucht es aber unbedingt das Gespräch<br />
mit dem betroffenen Kind oder Jugendlichen<br />
und seinen Eltern. Sonst besteht<br />
die Gefahr der Stigmatisierung. Lehrpersonen<br />
sollten sich immer wieder klarmachen,<br />
dass ein befremdliches Verhalten<br />
einer Schülerin, wie eine auf den ersten<br />
Blick nicht ganz passende Antwort, nicht<br />
automatisch etwas über ihre kognitiven<br />
Potenziale aussagt. Ganz wichtig dünkt<br />
mich, dass die Schulen, die autistische<br />
Schülerinnen und Schüler erfolgreich integrieren<br />
wollen, eine Strategie gegen Mobbing<br />
haben. Für autistische Kinder gibt es<br />
weiss oder unter Prüfungsangst leidet.<br />
Wer das versteht, kann besser darauf achten,<br />
dass die Schülerin oder der Schüler<br />
nicht blossgestellt wird, kann angstreduzierende<br />
Massnahmen ergreifen und damit<br />
Schulangst mit all ihren negativen Konsequenzen<br />
entgegenwirken. Es geht hier<br />
nicht um «Verhätschelung» oder Leistungsfeindlichkeit,<br />
sondern um ein freundliches<br />
und faires Miteinander, damit Potenziale<br />
einen Ackerboden erhalten, auf dem<br />
sie gedeihen können.<br />
Empathie in Zeiten von Corona:<br />
Wie kann sie im Fernunterricht<br />
gelebt werden?<br />
Je nach genutzten Kommunikationskanälen<br />
klappt dies ganz gut. Die wichtigsten<br />
Informationsquellen für das aktuelle Innenleben<br />
eines Gegenübers sind das Gesicht<br />
und die nonverbale Sprache, der Tonfall.<br />
Über Bild und Ton können wir vieles über<br />
den inneren Zustand und die Absichten<br />
mitkriegen bzw. anderen etwas über unseren<br />
Zustand vermitteln. Natürlich ist im<br />
Fernunterricht nicht das komplette Repertoire<br />
an empathischem Verhalten möglich:<br />
Berührungen fallen weg – z. B. von den<br />
Freunden nach dem Erhalt einer guten<br />
oder schlechten Note zum Mitfeiern bzw.<br />
Trösten spontan in den Arm genommen zu<br />
werden. Oder ein anerkennendes Händeschütteln,<br />
ein High Five.<br />
Unsere Kommunikation läuft zunehmend<br />
virtuell. Hat Empathie in der<br />
Internetkommunikation und in den<br />
sozialen Medien überhaupt Platz?<br />
Tatsächlich werden Beleidigungen, Bedrohungen,<br />
Mobbing dort wahrscheinlicher,<br />
wo sich viele Menschen anonym tummeln.<br />
Aber das ist nur die eine Seite, die oft aus<br />
politischen Gründen in den Vordergrund<br />
gerückt wird, um mehr staatliche Steuerung<br />
im Internet zu legitimieren. Ein Medium<br />
ist ja nur der Träger, über den man<br />
ganz unterschiedliche Inhalte auf die Reise<br />
schicken kann. Deshalb ist empathischer<br />
Austausch über soziale Medien sehr wohl<br />
möglich. Es gibt beispielsweise erste Hinweise<br />
darauf, dass über Online-Psychotherapie<br />
eine starke Beziehung zwischen<br />
Klienten und Therapeuten aufgebaut werden<br />
kann.<br />
Kann man Empathie auch im<br />
Erwachsenenalter lernen?<br />
Empathiefähigkeit lässt sich ein Leben<br />
lang trainieren. Erwachsene Autistinnen<br />
und Autisten können ihre kognitive Empathie<br />
verbessern. Man nimmt an, dass sie<br />
nonverbale Signale auf analytischem Wege<br />
verstehen lernen. Durch Übung kann<br />
eine Automatisierung stattfinden, die es<br />
ihnen ermöglicht, eine Situation, in der ihre<br />
emotionale Empathie gefragt ist, besser zu<br />
erkennen. Auch emotional empathisches<br />
Verhalten ist verbesserbar. Wie mitfühlend<br />
wir in der einzelnen Situation sind, hängt<br />
nicht zuletzt von der Motivation und den<br />
Umständen ab. Unter Zeitdruck und Stress<br />
ist es schwierig, die Nöte des Gegenübers<br />
wahrzunehmen und einfühlsam zu reagieren.<br />
An diesen Störfaktoren kann man<br />
ansetzen, sich beispielsweise mehr Zeit<br />
nehmen für das Gegenüber, um die emotionale<br />
Empathie zu erhöhen. Jemanden<br />
mit einer psychopathischen Persönlichkeit<br />
zu echtem Mitgefühl zu motivieren (was<br />
habe ICH davon?), dürfte hingegen schwierig<br />
sein …<br />
TRAININGS FÜR AUTISTISCHE KINDER<br />
UND JUGENDLICHE<br />
– Zirkus Empathico: www.zirkus-empathico.de<br />
– Trainings- und Interventionsprogramme zur Förderung von Empathie: Ein praxisorientiertes<br />
Kompendium. Marcus Roth, Victoria Schönefeld, Tobias Altmann (Hrsg.)<br />
https://www.springer.com/de/book/9783662481981<br />
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