EDUCATION 2.21
Empathie
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Politischer Kommentar | Regard politique<br />
DIE WELT MIT ALL IHREN<br />
WUNDERN SEHEN<br />
Christine Häsler, Bildungs- und Kulturdirektorin<br />
christine.haesler@be.ch<br />
Nun leben wir schon länger als ein Jahr mit der Pandemie. Covid<br />
beeinträchtigt unseren Alltag, schränkt uns ein, macht uns Sorgen.<br />
Und gleichzeitig dreht die Welt sich weiter, mit all ihren wunderbaren<br />
Seiten und mit all ihren Tragödien, Kriegen, Unrecht und<br />
Klimakatastrophen, mit der Armut und den Menschen auf der<br />
Flucht. Auch in unserem direkten Umfeld gibt es Menschen, die<br />
viel Schweres zu tragen haben, und manchmal müssen wir auch<br />
selbst durch ein tiefes Tal.<br />
In solchen Phasen stellt sich die Frage, wie wir mit diesen<br />
Herausforderungen umgehen. Wie hält man schwierige Zeiten<br />
aus? Wie bestehen wir eine Krise? Wir als Individuen und wir als<br />
Gesellschaft?<br />
Vielleicht hatte auch Albert Einstein mit einer Krise oder doch<br />
mindestens mit grossen Fragen zu kämpfen, als er folgendes Zitat<br />
niederschrieb: «Es gibt nur zwei Arten zu leben. Entweder so als<br />
wäre nichts ein Wunder oder so als wäre alles ein Wunder.»<br />
Ob es nur zwei Arten zu leben gibt, darüber lässt sich bestimmt<br />
diskutieren. Aber dass es uns hilft, wenn wir die unzähligen<br />
Wunder im Alltag immer noch sehen, wahrnehmen und auf<br />
uns wirken lassen, das erachte ich als wichtige Erkenntnis.<br />
Wer auch in schweren Zeiten im Alltäglichen das Wunderbare<br />
sieht, und es auch als solches wahrnimmt, kennt eine der<br />
wichtigsten Kraftquellen überhaupt. Eine Kraftquelle, die auch<br />
Krisen überstehen hilft und Resilienz schenkt. Und wer dieses<br />
Geschenk dann auch an andere weitergibt, sorgt dafür, dass<br />
wir alle gemeinsam die Krise überwinden. Empathie lautet das<br />
Zauberwort. Auf andere eingehen, für andere da sein, und sei<br />
es bloss mit Freundlichkeit, Aufmerksamkeit oder Anteilnahme.<br />
Mit einem Lächeln oder einem Gruss, mit einer Nachfrage, einem<br />
Dank oder mit ganz konkreter Hilfe in einer schwierigen Situation.<br />
Auf andere eingehen und das Gegenüber so nehmen, wie es ist.<br />
Stärken erkennen, Schwächen verzeihen, Defizite ausgleichen<br />
helfen und dort anpacken, wo es nötig ist und hilft.<br />
Empathie ist auch in der Bildung elementar. Auch hier geht<br />
es darum, Anteil zu nehmen an den Schülerinnen und Schülern.<br />
Sich auf Schülerinnen und Schüler einzulassen, heisst auch, ihre<br />
Individualität, Ganzheit und Einzigartigkeit zu erkennen und zu<br />
schätzen.<br />
Die Stärken zu sehen, die guten Anlagen zu fördern und sie<br />
dabei zu unterstützen, an ihren Schwächen zu arbeiten. In der<br />
Schule heisst das ganz konkret auch, die Schülerin, den Schüler<br />
und damit den Menschen zu sehen und nicht nur seine Noten,<br />
seine Herkunft oder den Beruf der Eltern.<br />
Menschen sind einzigartig. Kinder sind einzigartig. Jeder und<br />
jede eine Persönlichkeit. Und auch die Beziehung zwischen Lehrperson<br />
und Schülerin oder Schüler ist unendlich vielfältig und einzigartig.<br />
Die Empathie im Schulalltag und die Beziehung zwischen<br />
Kind und Lehrperson und das, was daraus entstehen kann und<br />
entsteht, das ist der Kern des Unterrichts, die Basis des Lernens<br />
und ein sich immer wieder vervielfältigendes Wunder.<br />
4 <strong>EDUCATION</strong> <strong>2.21</strong>