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Papiers Folteropfer und Suizid Das Genfer Ambulatorium für Folter

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Ein Mensch erzählt<br />

6<br />

Dieser Text erschien bereits in<br />

einer Geschichtensammlung mit<br />

dem Titel «Geschichten der Hoffnung»,<br />

die das <strong>Ambulatorium</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Folter</strong>- <strong>und</strong> Kriegsopfer Bern<br />

anlässlich seines zehnjährigen<br />

Bestehens im letzten Jahr herausgegeben<br />

hat. Nebst der bewegten<br />

Vergangenheit der Porträtierten<br />

erzählen die fünf Geschichten<br />

auch, wie die Betroffenen von<br />

<strong>Folter</strong> <strong>und</strong> Krieg dank der Unterstützung<br />

im <strong>Ambulatorium</strong> wieder<br />

neue Hoffnung schöpfen.<br />

Bestellungen:<br />

ambulatorium.miges@redcross.ch<br />

Ich will von einer jungen Frau berichten,<br />

deren Umgang mit den Grausamkeiten der<br />

<strong>Folter</strong> mich wiederholt in anerkennendes<br />

Erstaunen versetzte <strong>und</strong> deren unbeirrt geradlinige<br />

Art, ihre Probleme zu bewältigen,<br />

mich zuweilen geradezu beschämte.<br />

Leyla<br />

Als politisch aktive türkische Studentin wurde<br />

Leyla Mitte der neunziger Jahre in Istanbul<br />

verhaftet. Zusammen mit ihren Fre<strong>und</strong>en setzte<br />

sie sich <strong>für</strong> soziale Ideale ein. Der Verhaftung<br />

war eine polizeiliche Verfolgung vorausgegangen,<br />

bei der einer ihrer Fre<strong>und</strong>e ums Leben<br />

kam. Sie selbst wurde an der Hüfte angeschossen.<br />

Es folgte eine zweiwöchige Untersuchungshaft,<br />

deren Erinnerungsspuren sie bis<br />

heute in Albträumen verfolgen. Danach wurde<br />

sie zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach sieben<br />

Jahren Gefängnis beteiligte sie sich an<br />

einem Hungerstreik. Als sie zu sterben drohte,<br />

wurde sie ihrer Familie übergeben. Später<br />

konnte sie sich ins Ausland absetzen. Heute<br />

lebt Leyla in der Schweiz, ist mit einem türkischen<br />

Partner verheiratet <strong>und</strong> Mutter eines einjährigen<br />

Kindes.<br />

Leyla wurde vom Hausarzt ins <strong>Ambulatorium</strong><br />

geschickt. Ihre Symptome waren – wie bei vielen<br />

<strong><strong>Folter</strong>opfer</strong>n – starke Schlafstörungen, Albträume,<br />

sich stetig aufdrängende Erinnerungen,<br />

verminderte Konzentrationsfähigkeit <strong>und</strong><br />

Vergesslichkeit. Oft plagten sie auch Müdigkeit<br />

<strong>und</strong> der Schmerz in ihrer Hüfte. Leyla<br />

machte von Anfang an klar, dass sie nur so oft<br />

als unbedingt nötig zur Therapie kommen<br />

möchte, was sie mit der langen Anreisezeit <strong>und</strong><br />

dem Kind begründete. Anfangs wirkte sie verschlossen,<br />

bald aber öffnete sie sich <strong>und</strong> liess<br />

uns, die Übersetzerin <strong>und</strong> mich, an ihrer<br />

Geschichte <strong>und</strong> ihrem aktuellen Leben teilnehmen.<br />

Es waren vor allem Erinnerungsbilder aus der<br />

Untersuchungshaft, die sich Tag <strong>und</strong> Nacht<br />

immer wieder in ihr Bewusstsein drängten.<br />

Endlose Verhöre, Drohungen, Schläge. Oft<br />

(Fotos: Nathalie Flubacher, Biel)<br />

wurde sie aufgehängt <strong>und</strong> mit Steinen<br />

beschwert. Sie erzählte vom Eingeschlossensein,<br />

von falschen Beschuldigungen, vom<br />

Schmerz – <strong>und</strong> sie berichtete von jenem unsäglichen<br />

Moment, als sie mit einer Schlinge um<br />

den Hals zu Aussagen über ihre Fre<strong>und</strong>e genötigt<br />

wurde. Es wurde ihr gedroht, dass der<br />

Schemel, auf dem sie stand, weggestossen<br />

würde. Dann... ihr Sprung! Die <strong>Folter</strong>knechte<br />

eilten, um sie am Leben zu erhalten. «Die Verrückte»<br />

wurde sie fortan genannt. Ihr Todesmut<br />

liess ihre Peiniger vorsichtig werden.<br />

Leyla berichtete von endlosen Gefängnistagen,<br />

meist in der Einzelzelle – <strong>und</strong> trotzdem innerlich<br />

aufs Engste mit ihren Mitstreitern verb<strong>und</strong>en.<br />

Es kam das Todesfasten, welches begleitet<br />

war von Gefühlen der Gemeinschaft, die jeder<br />

<strong>Folter</strong> trotzen. Sie strahlte, als sie die<br />

Geschichte vom Brief ihrer Angehörigen<br />

erzählte, der auf raffinierte Art eingeschmuggelt<br />

werden konnte: «Wir lieben <strong>und</strong> unterstützen<br />

dich!», stand da auf einem kleinen, zerknitterten<br />

Zettelchen. <strong>Das</strong> gab ihr Kraft <strong>für</strong><br />

lange Monate.<br />

Ihre Erzählungen waren nie ausschweifend; sie<br />

beschrieb das Erlebte mit wenigen Worten.<br />

Und so, wie diese wenigen Worte ihr genügten,<br />

so verlangte <strong>und</strong> brauchte sie auch von uns<br />

nicht viel. Nachdem Leyla einige ihrer Erleb-

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