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LebensLust 02/ 21

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16 LEBENSLUST<br />

WENN NUR NOCH<br />

DAS GEHEN GEHT<br />

Der Spaziergang ist in der Coronakrise wieder<br />

salonfähig geworden<br />

Der Besuch im Restaurant, im Theater,<br />

im Museum oder im Fitnessstudio, all<br />

das können wir gerade nicht machen.<br />

Corona hat vieles, was uns im Alltag lieb<br />

und teuer ist, auf Eis gelegt. Auch Freunde<br />

treffen ist in der derzeitigen Situation<br />

nur eingeschränkt möglich. Geblieben<br />

ist uns aber als Freizeitvergnügen die<br />

Option, an der frischen Luft spazieren zu<br />

gehen. Diese eher gemütliche und ‚altmodische‘<br />

Aktivität ist sogar bei der jüngeren<br />

Generation zurzeit fast alternativlos<br />

und Ersatz für andere Events. So hat<br />

sich – Corona ‚sei Dank‘ – das Flanieren<br />

neben dem Fahrradfahren mittlerweile<br />

über alle Altersgrenzen hinweg zum<br />

Trend gemausert.<br />

Spazierengehen ist so für viele zwangsläufig<br />

das neue Ausgehen und wurde<br />

dadurch auch zu einem Medium des<br />

sozialen Miteinanders – sei es an Uferpromenaden,<br />

im Stadtpark oder im Wald.<br />

Wir gehen also nicht mehr nur wegen der<br />

moderaten Bewegung, der frischen Luft<br />

und der reizvollen Natur spazieren. Wir<br />

nehmen das Ganze vielmehr zum Anlass<br />

jemanden zu treffen, um sich auszutauschen<br />

und zu unterhalten – natürlich immer<br />

gemäß der Hygiene- und Abstandsregeln.<br />

Doch das Promenieren 2.0 hat noch weitere<br />

Qualitäten. Durch die aktuell verordnete<br />

Entschleunigung des Lebens entdecken<br />

viele nun auf ihren Exkursionen zu Fuß ihre<br />

Umgebung neu und entwickeln so häufig<br />

einen anderen, erfrischenden Blick auf vermeintlich<br />

Vertrautes.<br />

Was eher absichtsloses und nicht zielgerichtetes<br />

Herumschlendern – wo der Weg<br />

das Ziel ist – mit den Menschen macht, hat<br />

Stadt- und Landschaftsplaner und Spaziergangsforscher<br />

Bertram Weisshaar wissenschaftlich<br />

untersucht. „Wenn wir im Freien<br />

unterwegs sind“, sagte er kürzlich in einem<br />

Spiegel-Interview, „kommen wir wieder in<br />

Resonanz mit der Natur. (…) Das funktioniert<br />

nicht wirklich über den Verstand, dazu<br />

brauchen wir das Sinnliche. Wir müssen die<br />

Sonne auf der Haut spüren oder die Vögel<br />

singen hören. Auf diese Eindrücke sind wir<br />

als Menschen angewiesen.“<br />

Viel Gutes kann auch Autorin Ildiko von<br />

Kürthy dem Spazierengehen abgewinnen.<br />

„Gehen“, so kommentiert sie den Trend in<br />

einer Brigitte-Kolumne, „ist atmen mit den<br />

Augen. Gehen ist das bewusste, gefühlte<br />

Zurücklegen einer Strecke, die Gleichzeitigkeit<br />

der Fortbewegung von Seele und<br />

Körper.“<br />

Die Psyche profitiert also offenbar besonders,<br />

wenn wir nur um des Laufens willen<br />

zu Fuß unterwegs sind und uns einfach<br />

mal treiben lassen. Das gilt nun mehr<br />

denn je! Sobald wir nämlich vor die<br />

Tür treten, sind wir nicht nur draußen,<br />

sondern sehen auch andere Menschen.<br />

So ist der Spaziergang zurzeit<br />

ebenso wichtiger und wohltuender Teil<br />

des öffentlichen Lebens. Und er bietet die<br />

Möglichkeit, den Kopf frei zu bekommen<br />

und die Gedanken laufen zu lassen. Man<br />

ist dadurch ganz bei sich. Zu Fuß wird alles<br />

unmittelbarer, da entspanntes Gehen ohne<br />

sportliche Ambitionen ganz automatisch<br />

abläuft. Da reicht schon eine Runde um den<br />

Block, um etwa der Enge des aktuell eingeschränkten<br />

Aktionsradius und dem Trott<br />

des Homeoffice zu entkommen. Der Spaziergang<br />

bietet dann eine ideale Gelegenheit<br />

abzuschalten und sich zu erholen von<br />

allem, was einen im Moment belastet und<br />

zermürbt: Gehen als Balsam für die Seele.<br />

Früher war der Spaziergang das Privileg<br />

des Adels. Flanieren und Promenieren<br />

war Müßiggang und Lustwandeln für diejenigen,<br />

die es sich leisten konnten. Später<br />

galt es dann vor allem als spießige Freizeitbeschäftigung<br />

für Ältere, während jetzt in<br />

der Pandemie gefühlt alle durch das eigene<br />

Wohnviertel oder durch nahes Feld-,<br />

Wald- und Wiesengelände pilgern. Es ist<br />

die Wiederentdeckung einer dynamischen<br />

Langsamkeit.<br />

Ein unschlagbarer Vorteil an der sprichwörtlichen<br />

neuen ‚Volksbewegung‘ ist,<br />

dass jeder sofort mitmachen kann. Zudem<br />

kostet diese Aktivität nichts und<br />

man kann jederzeit loslegen… möglichst<br />

mit gutem Schuhwerk und Allwetterkleidung.<br />

Positiv beim Spazierengehen<br />

sind außerdem die ganz praktischen<br />

gesundheitlichen Auswirkungen auf den<br />

Körper. Entspannt in mäßigem Tempo zu<br />

Fuß – je nach Strecke – eine gute Weile<br />

unterwegs zu sein kann da so effektiv<br />

sein wie Sport. Schnell kommt man<br />

nämlich bei einer moderaten Tour durch<br />

heimatliche Gefilde auf die von der WHO<br />

empfohlenen täglichen 10.000 Schritte.<br />

Und man muss dabei noch nicht mal ins<br />

Schwitzen geraten. Schon bei normalem<br />

Gehtempo kommt der Kreislauf an der<br />

frischen Luft in Schwung, die Sauerstoffversorgung<br />

verbessert sich und die Gelenke<br />

werden nicht überstrapaziert. Zudem<br />

wird die Muskulatur unserer beiden<br />

Fortbewegungswerkzeuge auf sanfte Art<br />

fit gehalten.<br />

Spazierengehen muss aber nicht nur heißen<br />

‚Schritt für Schritt Strecke machen‘…<br />

Die Füße danken es einem nämlich sehr,<br />

wenn sie unterwegs hin und wieder<br />

mehr luftige Freiheit bekommen: Wie<br />

wäre es also jetzt im Frühling mal beim<br />

Lustwandeln barfüßig über bemoosten<br />

Waldboden zu laufen, über Baumstämme<br />

zu balancieren, das nahe Bächlein<br />

ohne Schuhe zu durchwaten oder auf<br />

der nächsten Wiese Greifübungen mit<br />

den Zehen zu machen? So viel naturnahe<br />

Fußwellness ist nicht nur spaßig sondern<br />

auch eine ideale Prophylaxe, um orthopädischen<br />

Problemen wie beispielsweise<br />

Hallux Valgus, Senk-Spreiz-Füßen oder<br />

Hammerzehen erfolgreich entgegenzuwirken.<br />

Auf diese Weise kann das Promenieren<br />

in Coronazeiten noch abwechslungsreicher<br />

und gesünder werden.<br />

Nicola Wilbrand-Donzelli

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