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Chancengleichheit in der Bildung ist Illusion

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dadurch ausgebügelt werden können, dass man sie geme<strong>in</strong>sam mit denen unterrichtet, die als<br />

le<strong>ist</strong>ungsstark und hochbegabt gelten. Zum<strong>in</strong>dest sollen die Le<strong>ist</strong>ungsstarken nicht mehr unter sich bleiben,<br />

um sich unbehelligt von den Problemen <strong>der</strong> Le<strong>ist</strong>ungsschwachen immer weiter „nach oben“ zu entwickeln.<br />

Le<strong>ist</strong>ungsangleichung an E<strong>in</strong>heitsschulen <strong>ist</strong> nicht bewiesen<br />

Für die Richtigkeit <strong>der</strong> Prognose, dass die E<strong>in</strong>heitsschule die Le<strong>ist</strong>ungen angleicht, gibt es ke<strong>in</strong>erlei<br />

empirischen Beweis. Die Pisa-Studie we<strong>ist</strong> sehr gute Schülerle<strong>ist</strong>ungen sowohl im geglie<strong>der</strong>ten als auch im<br />

System <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heitsschule aus. Im Län<strong>der</strong>vergleich <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Bundesrepublik haben die Län<strong>der</strong>, die<br />

über e<strong>in</strong> dreigliedriges Schulsystem verfügen (Bayern und Baden-Württemberg) gegenüber den Län<strong>der</strong>n<br />

mit überwiegendem Gesamtschulanteil sogar beson<strong>der</strong>s gut abgeschnitten.<br />

E<strong>in</strong>e Studie des Züricher Erziehungswissenschaftlers Helmut Fend, die vor Kurzem veröffentlicht wurde,<br />

we<strong>ist</strong> nach, dass Gesamtschulen nicht mehr <strong>Bildung</strong>sgerechtigkeit schaffen als die Schulen im geglie<strong>der</strong>ten<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem. 23 Jahre lang wurden hessische Jugendliche <strong>in</strong> ihrem schulischen Werdegang<br />

wissenschaftlich begleitet. Der Befund <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>deutig: Ob e<strong>in</strong> Jugendlicher e<strong>in</strong>e Lehre macht o<strong>der</strong> studiert,<br />

hängt stark vom sozialen Status <strong>der</strong> Eltern ab. Welche Schulart er besucht hat, spielt dabei kaum e<strong>in</strong>e Rolle.<br />

E<strong>in</strong> Glaubenskrieg aus e<strong>in</strong>er Kränkung heraus<br />

Warum dann <strong>der</strong> hartnäckige Kampf um die E<strong>in</strong>heitsschule, <strong>der</strong> wie e<strong>in</strong> Glaubenskrieg ausgefochten wird?<br />

Warum s<strong>in</strong>d <strong>der</strong>en Befürworter immun gegen alle empirischen Befunde, die die Heilserwartungen <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>heitsschule als Schimäre ausweisen? Man kann vermuten, dass die Vehemenz <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung Ausdruck<br />

e<strong>in</strong>er tief sitzenden Kränkung <strong>ist</strong>. E<strong>in</strong>er Kränkung darüber, dass es junge Menschen gibt, denen – unverdient<br />

– alles zufliegt, weil sie das Glück haben, <strong>in</strong> bildungsbeflissenen Elternhäusern heranzuwachsen, während<br />

an<strong>der</strong>e – unverschuldet – <strong>in</strong> Milieus h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren werden, die sie von Anfang an <strong>in</strong> ihrer Sozialisation<br />

benachteiligen. Letztlich <strong>ist</strong> für die Vertreter <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heitsschule <strong>Bildung</strong>spolitik e<strong>in</strong>e verkappte Form von<br />

Sozialpolitik.<br />

Die Benachteiligungen von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n beg<strong>in</strong>nen, wie man heute weiß, sehr früh. Wenn e<strong>in</strong>e schwangere Frau<br />

häufig klassische Musik hört, entwickelt das Neugeborene schon früh e<strong>in</strong> Rhythmusgefühl, die Vorstufe von<br />

Musikalität. Wenn kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n regelmäßig vorgelesen wird, bilden sie e<strong>in</strong> differenziertes<br />

Sprachvermögen aus und schreiben schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grundschule verblüffend gute Texte. Wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d im<br />

Elternhaus erlebt, dass die Eltern elaboriert reden und diskutieren, überträgt sich dieses sprachliche<br />

Vermögen auf das K<strong>in</strong>d. Es wird zum verbal geschickten, selbstbewussten Streiter <strong>in</strong> eigener Sache.<br />

Wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d Lob und Zuspruch erfährt, wenn es die Welt im Spiel entdeckt, wird es später auch im<br />

schulischen Lernen Neugier und Ehrgeiz entwickeln. Wenn man sich von all diesen stimulierenden Anreizen<br />

das Gegenteil denkt, kann man ermessen, wie tiefgründig und wie nachhaltig die Handicaps und Defizite<br />

s<strong>in</strong>d, mit denen die K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu kämpfen haben, die <strong>in</strong> bildungsfernen Elternhäusern heranwachsen müssen.<br />

Schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grundschule sitzen sie im h<strong>in</strong>tersten Waggon des Geleitzuges.<br />

Kann die Schule <strong>in</strong>dividuelle Defizite überhaupt ausgleichen?<br />

Die entscheidende Frage für den Pädagogen <strong>ist</strong>: Kann Schule diese Defizite noch ausgleichen? Nach allem,<br />

was man über kompensatorische <strong>Bildung</strong> weiß, kann sie es nur sehr begrenzt. Sie kann es vor allem nicht<br />

dadurch, dass man die schwachen Schüler geme<strong>in</strong>sam mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n unterrichtet, die überragende<br />

Fähigkeiten besitzen. Letztlich wird <strong>der</strong> Lehrer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Unterricht <strong>in</strong> so stark heterogenen Lerngruppen<br />

ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong> beiden Schülergruppen gerecht.<br />

Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e normale Schulklasse am Gymnasium unterrichtet hat, weiß, wie schwierig es <strong>ist</strong>, den<br />

Lernstoff so aufzubereiten, dass er allen Lernniveaus gerecht wird. B<strong>in</strong>nendifferenzierung gehört nämlich zu<br />

den schwierigsten Handwerkstechniken e<strong>in</strong>es Lehrers. Wie soll dies erst gel<strong>in</strong>gen, wenn alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>es<br />

Jahrganges – unabhängig von ihren <strong>in</strong>tellektuellen Fähigkeiten – <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Klasse sitzen?<br />

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