sergio cammarata
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Der Mord des Jahrhunderts behandelt<br />
nicht nur einen wahren rätselhaften<br />
Todesfall in New York im 19. Jahrhundert.<br />
Paul Collins beschreibt anhand<br />
der unterhaltend zusammengestellten<br />
Fakten auch einen Zeitungskrieg,<br />
der gnadenlos ausgetragen wurde<br />
zwischen William Randolph Hearst<br />
und dem alten Pulitzer, die den Mord<br />
an dem Immigranten Guldensuppe benutzten,<br />
um sich in immer wilderen<br />
Schlagzeilen zu übertreffen. Hearst,<br />
der sich den Zeitungskrieg (der andeutungsweise<br />
in Orson Welles‘ Citizen<br />
Kane nachgestellt wurde) insgesamt<br />
vier Millionen<br />
Dollar<br />
kosten<br />
ließ, hatte<br />
anschließend<br />
die<br />
Boulevardpresse<br />
mit<br />
all ihren<br />
hässlichenAuswüchsen<br />
erfunden.<br />
Er ließ seine<br />
Truppe<br />
BÜCHER<br />
ZEITUNGSKRIEGE<br />
Die Kleine Krimirundschau<br />
selbständig ermitteln (einmal beschlagnahmte<br />
man einen potentiellen<br />
Tatort, um ihn der Konkurrenz vorzuenthalten),<br />
führte eigene Verhöre<br />
durch und lieferte das Urteil<br />
gleich mit. Dass es dabei um<br />
mehr geht als nur einen völlig<br />
vermurksten Mordprozess, erklärt<br />
Collins in einem abschließenden<br />
Kapitel: Berauscht von<br />
der eigenen Macht, zettelte Hearst<br />
anschließend fast alleine<br />
den amerikanisch-kubanischen<br />
Krieg an und forderte vom<br />
Kriegsministerium die Genehmigung,<br />
mit einer eigenen kämpfenden<br />
Truppe einzugreifen.<br />
Das, immerhin, wurde ihm verweigert.<br />
(Aus dem Amerikanischen<br />
von Carina Tessari. Irisiana<br />
by Random House, München<br />
2011, 431 S., mit Abb. und Apparat,<br />
19,99)<br />
Das wäre doch nun wirklich nicht nötig<br />
gewesen, dass eine Hausfrau aus<br />
Hagen Agatha Christie nochmal erfindet.UndmitJamesBondinsAltersheim<br />
steckt. Aber was Marlies Ferber<br />
in Null Null Siebzig: Operation Eagle-<br />
hurst mit Rollatoren und USB-Sticks<br />
in südenglischer Kleinstadt-Atmosphäre<br />
und den ergrauten Zonen einesalterndenEx-Geheimagenten<br />
anfängt,<br />
ist dann<br />
doch ein nettes<br />
Debüt geworden.<br />
Nicht so<br />
übermäßig<br />
stilvoll wie<br />
Gilbert<br />
Adairs Klassiker-Reprisen,<br />
aber<br />
auch nicht<br />
so zwangslustig,<br />
wie<br />
Deutsche oft bei Hommagen werden.<br />
Der Grundton ist eher schmunzelnd,<br />
auch wenn, bei mehreren Morden und<br />
Altersbeschwerden überall nicht überraschend,<br />
auch ein paar düstere Gedanken<br />
aufkommen. Am Ende aber<br />
darf der anfangs arg tattrige James<br />
seinen Rollator einmotten und mit einer<br />
unverwüstlichen Miss Marple<br />
Händchen halten. (DTV, München<br />
2012, 271 S., 10,30)<br />
Historische Kriminalromane haben<br />
sich zu einem recht breit gefächerten<br />
Subgenre entwickelt, und die meisten<br />
sind sterbenslangweilig. Die Hälfte<br />
der Handlung vergeht mit Namedropping,<br />
was nichts weiter erfordert als<br />
ein halbwegs zuverlässiges Geschichtsbuch,<br />
die andere Hälfte besteht<br />
aus meist öden Handlungsverwicklungen,<br />
deren konstruierte Zusammenhänge<br />
glaubwürdiger werden<br />
sollen, weil sie in historische Fakten<br />
eingebunden sind. Dass die meistens<br />
auch nicht stimmen, steht auf einem<br />
anderen Blatt. Der Spinnenmann<br />
des Autorenduos Terje Emberland<br />
und Bernt Rougthvedt ist geradezu<br />
ein Prachtexemplar dieser neuen<br />
Gattung der literarischen Einschlafhilfen.<br />
Ein junger Reporter ist den Machenschaften<br />
eines deutschen Polizeioffiziers<br />
in Norwegen auf den Fersen.<br />
Der hinterlässt überall Tote und ist offensichtlich<br />
auf der Suche nach einem<br />
kleinen Bild. Der Held macht derweil<br />
Erfahrungen mit lockeren Damen mit<br />
„glänzenden Schamlippen“ und tapert<br />
dermaßen im Dunkeln, dass man<br />
die Osloer Polizei versteht, die ihm<br />
kein Wort glaubt. Weil alles Anfang<br />
der 30er spielt und weil der Deutsche<br />
ein Nazi ist und weil das alles mit der<br />
beginnenden Judenverfolgung in<br />
Deutschland zu tun hat, erzeugt dieser<br />
Historien-Krimi Bedeutsamkeit,<br />
die ihm nach der literarischen Gestaltung<br />
einfach nicht zusteht. Anders gesagt:<br />
Das Buch ist ausgesprochen langweilig.<br />
(Aus dem Norwegischen von<br />
Gabriele Haefs und Andreas<br />
Brunstermann. Osburg Verlag, Berlin<br />
2011, 287 D., 19,95)<br />
Vermutlich ist Andrea Maria Schenkel<br />
Schuld daran, dass mittlerweile<br />
jede dritte gefühlte Leiche nach einem<br />
historischen Vorfall nochmal neu umkommt.<br />
Was sie mit Tannöd und Kalteis<br />
anfing, ist inzwischen meist eher<br />
ärgerliche Mode, Finsterau aber folgt<br />
immer noch dem<br />
originalen Schenkel-Modell:<br />
Gut<br />
schreiben ist alles.<br />
Da steht eine<br />
erschöpfte Wirtsfrau<br />
und will ihre<br />
Kneipe zuschließen.<br />
Noch ist<br />
nichts passiert<br />
und schon hat die<br />
Autorin uns eingefangen.<br />
Nur<br />
wenige Seiten<br />
weiter stecken<br />
wir mittendrin in<br />
einem längst vergessen Mordfall. Wieder<br />
multiperspektivisch und wieder<br />
gegen den Zeitablauf, erzählt Andrea<br />
Maria Schenkel scheinbar unbeteiligt,<br />
am Rande der Herzlosigkeit von<br />
sprachlosen Menschen und was sie<br />
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